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Ulf Poschardt beschreibt, wie in dieser Generation die Vorstellung von einer unaufgeregten Normalität nicht mehr als repressive Zumutung, sondern als entdramatisierte Form der Selbstgenügsamkeit erlebt wurde - und macht eine Rechnung auf: die "Babyboomer" ist die vielleicht langweiligste, aber auch friedlichste Generation.
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Seitenzahl: 18
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Ulf Poschardt
Der lange Marsch in die Normalität
Welcome im Normcore. Von den Ruhesehnsüchten der Babyboomer und dem Glanz ihres aufgeklärten Opportunismus
Am Ende war es die Zeit für ein wenig Antiheroismus. Der Zweite Weltkrieg war gerade mal 19 Jahre vorüber: In den Städten standen noch ausgebombte Häuser, Baulücken als Resultat von Luftangriffen waren nur zwei Ecken weiter anzutreffen. Die Bundesrepublik war als Bonner Republik ein junges Provisorium, zu Israel gab es offiziell noch keine diplomatischen Beziehungen, Heimatfilme und Schlager idyllisierten gegen die Erinnerung an zwölf Jahre Barbarei an. Nicht nur unter den Talaren dampfte der Muff von tausend Jahren. Deutschland war verzweifelt erfolgreich. Die Trümmerfrauen hatten das Vorwärts neu definiert als Augen-zu-und-durch. Der Fleiß war Therapie: Er sollte beim Vergessen und Verdrängen helfen, er sollte die Schmach kompensieren.
1964 wurden so viele Kinder geboren wie seither im Nachkriegsdeutschland nicht mehr. Diese 1357304 Babys genossen die bescheidenen Wohlstands- und Normalitätsfrüchte des sogenannten Wirtschaftswunders. Das politische System wirkte intakt, die Demokratie wundersam gefestigt und der gesellschaftliche Zusammenhalt war dank egalitärer Zivilreligion eng und feucht. Alles schien gut an der Wiege dieser Generation, die später unter dem anglophonen Begriff »Babyboomer« für so vieles verantwortlich gemacht wurde. Doch in der Literatur und dem neuen deutschen Autorenfilm, in der Philosophie traten bereits Risse auf, die mit der Studentenrevolte 1968 das große Ganze durcheinander wirbeln sollte.
Weil nichts mehr stimmte
Das Jahr 1964 ist keineswegs so unschuldig wie es bisher schien, behaupten zumindest die Politologen Robert Lorenz und Franz Walter. Sie haben jüngst ein Buch veröffentlicht über 1964, in dem deutlich wird, dass dieses Jahr nicht nur ereignisreich, sondern auch andeutungsreich war für jenes Eruptionsjahr 1968, das zum Kulminationspunkt sozialen Wandels werden sollte.1