Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
South Milwaukee, 2018: Rituale, Morde, Massenpanik. Die Lösung des "Museums-Falls" scheint dem FBI unmöglich, als der skrupellose Serienmörder plötzlich verschwindet. Vier Jahre später erschüttert eine neue Mordserie den Süden Milwaukees, altbekannte Rituale treten abermals zutage und der Mörder ist noch immer unauffindbar. Der einzige Hinweis: Mors certa. Der Tod ist gewiss.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 363
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ein Buch
ist die Seele seines Autors
& die Figuren
sind die Kinder seiner Fantasie.
Für Icke und Heinz,
im Herzen vereint.
Es kann einhundert Gründe geben, weiterzumachen, doch wenn ein einziger Grund genügt, alles zu beenden, weiß man, dass es Liebe ist.
Für Ute und Jeff,
mit denen ich diese wunderschöne Stadt erkunden durfte.
Selbst ein Ozean kann Familie nicht trennen ♥
Der letzte Fall der Evelyn Preston
Kriminalroman
Von Emily Schuster
© 2021 Emily Schuster
Umschlag, Illustration: Emily Schuster
Lektorat, Korrektorat: Emily Schuster
Weitere Mitwirkende: Katharina Schuster
Druck und Distribution im Auftrag der Autorin:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschland
ISBN
Paperback978-3-384-37082-2
Hardcover978-3-384-37083-9
E-Book978-3-384-37084-6
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist die Autorin verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne ihre Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag der Autorin, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Deutschlad
MABEL MCKENZIE
Mein Herz rast beängstigend und springt mit jedem Schlag gegen meine Rippen. Das Blut rauscht laut in meinen Ohren, Schwindel überkommt mich. Auf einmal glaube ich, man müsste meine Schritte durch den gesamten Gebäudekomplex hören können, so laut sind sie, obwohl ich mir die größte Mühe gebe, so lautlos wie nur irgend möglich aufzutreten. Vergebens.
»Hey.«, der Laut lässt mich erschrocken zusammenfahren und ich kann mich nur knapp davon abhalten, den Abzug der Clock in meinen Händen zu drücken.
Mein Kopf schnellt zu dem Verursacher des Geräuschs herum. Wütend taxiere ich Colton, ungläubig, mit welcher Leichtsinnigkeit er vorgeht. Hier geht es um etwas. Und zwar um weit mehr als nur um die bloße Anerkennung irgendeines Directors. Colton jedoch scheint sich keiner Schuld bewusst und erwidert meinen Blick mit hochgezogenen Augenbrauen. Verwirrung spricht aus seiner Haltung, doch der Moment ist schon bald verstrichen. Mit einem irritierten Kopfschütteln lässt er das Thema fallen und nickt in Richtung eines dünnen Drahts, der quer, knapp über dem Boden angebracht, durch den Flur verläuft. Stolperfalle oder Warnanlage, überlege ich. Ich muss ihm später unbedingt für seinen Hinweis danken. Andernfalls wäre mir die nähgarndünne Schnur, die fast vollständig mit dem Stoppelteppich des Bodens verschmilzt, erst zu spät aufgefallen. Eine schemenhafte Bewegung in meinem Augenwinkel reißt mich aus meinen Gedanken und ich sehe gerade noch, dass Colton mich wild gestikulierend dazu anhält, hinter ihm zu bleiben, als er sich schon in Bewegung setzt. Der lange Flur ist scheinbar verwaist und erstreckt sich in unheimlicher Stille vor uns. Warum ist es so still? Für ein bewohntes Mehrgenerationenhaus ist das ungewöhnlich. Was geht hier vor? Das kann kein Zufall sein. Langsam folge ich meinem Kollegen, über dessen breiten Rücken ich nur einen flüchtigen Blick auf den Korridor vor uns erhaschen kann. Und dann, plötzlich, erkenne ich, was hier vor sich geht.
»Colton. Stopp.«, schreie ich noch verzweifelt, doch da ist es schon zu spät.
Ein Schuss fällt und bringt mein Trommelfell zum Klingeln. Eine ganze Welt zergeht in Blut. Und dann ist es still. Totenstill.
MABEL MCKENZIE
Ein weiterer, langweiliger Tag in der nie ruhen wollenden Stadt Milwaukee, Wisconsin. Ein weiterer Tag, an dem ich eilig auf den Lake Drive auffahre und kaum eine Viertelmeile später den ersten Stau des morgendlichen Berufsverkehrs erreiche. Genervt stöhne ich und schlage frustriert gegen den Rahmen des Lenkrads. Ich hätte das vorhersehen müssen. Den Morgen werde ich wohl erneut in Moores Büro mit der verzweifelten Rechtfertigung meiner Verspätung verbringen dürfen. Großartig.
»Fuck.«, das ist doch nicht das erste Mal, dass ich diese Straße benutze.
Doch auf mysteriöse Weise scheint mir das Glück heute gewogen zu sein. Der Stau, der sich durch den gesamten Veteran‘s Park gezogen hat, lichtet sich endlich und das Milwaukee Art Museum taucht soeben zu meiner Linken auf. Die Flügel des riesigen weißen Gebäudes sind geöffnet, sodass das Museum an einen gigantischen Engel erinnert, der seine Schwingen beschützend über das Ufer des Lake Michigan und die Milwaukee Bay spannt. Nur noch zehn Minuten bis zum Büro. Erleichtert atme ich auf. Eine Viertelstunde Verspätung wird Moore mir wohl nachsehen. Hoffentlich. Allerdings habe ich das Gelände des Museums noch nicht hinter mir gelassen, als mein Blick plötzlich auf das gelbe Polizeiband fällt, das einen Großteil des Grundstücks absperrt. Vor Schreck vergesse ich zu atmen und trete das Bremspedal so abrupt durch, dass die Fahrerin des Dodge Ram hinter mir empört hupt. Meine Sicht verschwimmt. Das kann nicht wahr sein.
»Scheiße. Scheiße. Reiß dich zusammen, Mabel. Du fantasierst.«, meine Stimme klingt so zerbrechlich und dünn, dass ich ihr selbst kaum glauben kann.
Trotzdem überwinde ich mich und lasse meinen Wagen langsam wieder Fahrt aufnehmen, während mein Augenmerk jedoch weiterhin starr auf dem Tatort liegt. Es ist nicht zu fassen. Das kann nicht sein, das darf nicht sein. Und wenn es nur ein zusammenhangloser Unfall ist? Das hier ist Milwaukee, nicht Chicago oder Maine. Vielleicht war es schlichtweg ein Fahrradfahrer, der auf dem Gelände verunglückt ist, rede ich mir ein. Doch meine beruhigenden Worte verlieren augenblicklich an Wirkung, als ich den Springbrunnen vor dem Museumseingang passiere und ein eisiger Schauder über mein Rückgrat rinnt, als ich das unheilverkündende, weiße Tuch am Boden liegen sehe. Die Proportionen, die sich unter dem Tuch abbilden, sind seltsam angeordnet, nicht menschlich. Oder zerfetzt, flüstert die Stimme, die ich vehement zu unterdrücken versuche, leise in meinem Hinterkopf. Wieder ertönt das missbilligende Hupen der Autofahrerin hinter mir und ich kann ihr ihr ungezügeltes Temperament nicht verübeln. Wahrscheinlich hält sie mich für eine Schaulustige, die sie davon abhält, rechtzeitig in die Arbeit zu kommen. Würde ich mich an ihrer Stelle anders verhalten? Wohl kaum. Und obwohl ich weiß, dass ich den Vorfall schnellstmöglich vergessen, nicht weiter darüber nachdenken sollte, wollen die Bilder nicht aus meinem Kopf verschwinden. Das Leichentuch. Immer wieder zieht es vor meinem inneren Auge auf und jagt eine Gänsehaut über meinen Körper. Ich kann das nicht als einen Zufall abtun. Wie hoch ist schon die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein so einzigartiges Ereignis in einer Stadt wie dieser und dann noch scheinbar willkürlich wiederholt? Nicht besonders hoch, schätze ich und lenke meine Konzentration stur wieder auf die Straße.
»Hör auf, daran zu denken. Es ist nur wahr, wenn du daran glaubst.«, befehle ich mir insgeheim.
Ich verbiete meinem Blick, zur Seite zu schweifen und widme mich gänzlich der gelben Fahrstreifenmarkierung auf der Mitte des Lake Drive. Die restliche Fahrt vergeht schneller, als mir lieb ist, denn als ich das Büro erreiche, geht mein Atem noch immer in flachen und abgehakten Stößen. Vor mir ragt das hohe, mehrflüglige Bürogebäude auf, das mit seinem hohen schwarzen Metallzaun und der ausgefallenen Architektur mehr abstoßend als vertrauenswürdig aussieht. Es setzt sich aus zwei runden, turmähnlichen Bauelementen sowie mehreren quaderförmigen Komplexen zusammen. Blaue Fenster durchbrechen die beige Außenverkleidung und gut zehn Meter vor dem Tor kündigt eine braune Steintafel den Zweck der Institution an. FEDERAL BUREAU OF INVESTIGATION, Milwaukee Division, steht in weißen Lettern darauf geschrieben, daneben das unverwechselbare Emblem selbiger Organisation. Das Tor öffnet sich, nachdem ich dem Wärter meinen Ausweis vorgezeigt habe und ich zögere nicht, eilig auf das Parkgelände des Grundstücks einzubiegen. Ich verlasse mein Auto derart übereilt, dass ich fast vergessen hätte, meinen Schlüssel vom Zündschloss abzuziehen. Kaum fünf Minuten verstreichen, bevor ich durch die große Glastür des dritten Stocks breche und atemlos im Türrahmen zum Stehen komme. Hätte ich mir doch die Zeit genommen und den Aufzug benutzt, anstatt ganze drei Stockwerke über das Treppenhaus zu bewältigen.
»Mal wieder…«, empfängt mich eine vertraute Stimme mit süffisantem Unterton.
Doch ich lasse Queshaun nicht ausreden.
Sofort unterbinde ich seinen schadenfreudigen Triumph, indem ich den Redeschwall nicht daran hindere, ungestüm aus mir hervorzubrechen: »Du glaubst nicht, was ich gerade gesehen habe. Wenn ich mit meiner Vermutung auch nur annähernd richtig liege, haben wir ein riesiges Problem.«
»Okay?«, aus großen, braunen Augen blickt Queshaun auf mich herab, seine Kiefermuskeln gespannt, seine Hände zu Fäusten geballt, »Was ist passiert?«
Sorge schwingt in seiner melodischen Stimme mit und erneut komme ich nicht umhin, die Gabe meines Kollegen zu bewundern. Es ist unglaublich, wie er aus dem Verhalten eines Menschen lesen kann. Ich habe kaum zwei Sätze gesagt und dennoch weiß er, dass meine Beobachtung zur Sorge veranlasst. Oder vielleicht bin ich auch einfach enorm schlecht darin, meine Gedanken zu verbergen und gleiche daher einem offenen Buch. Möglich wäre es immerhin.
»Ich bin heute Morgen wie immer über den Lake Drive und den Veteran‘s Park gefahren. Aber als ich am Kunstmuseum vorbeikam, war das ganze Gelände gesperrt. Es war wie ein verdammtes Déjà-Vu. Gelbes Polizeiband. Das Leichentuch. Alles war genau wie damals. Der Tatort sah identisch aus. Identisch, Queshaun.«
»Das ist unmöglich. Das weißt du so gut wie ich.«, widerspricht er, legt jedoch seine Stirn in nachdenkliche Falten.
»Ich weiß.«, stimme ich ihm zu, »Aber verdammt, ich habe es gesehen. Und auch, wenn das vollkommen absurd ist, habe ich ein ungutes Gefühl. So etwas wird man nicht los, auch nicht nach all den Jahren.«
»Wem erzählst du das? Verständlich, dass du dich sofort mit den Geschehnissen von damals konfrontiert siehst. Aber glaub mir, das war ein Streich, den dir dein Verstand gespielt hat. Alles andere würde an ein Wunder grenzen. Das ist so gut wie unmöglich. Nein. Nicht so gut wie. Es ist unmöglich.«
»Und wenn nicht? Schon davor gab es Fälle, die zu den Akten gelegt wurden und…«
»Hörst du nicht, wie unglaubwürdig das klingt? Einem Zeugen, der seine Aussage auf diese Weise begründet, würdest du nie auch nur mehr als einen Augenblick deiner Zeit schenken.«, fällt Queshaun mir unwirsch ins Wort.
»Hey, was ist denn hier los?«, noch bevor ich meinem Kollegen antworten kann, fahre ich vor Schreck über den Neuankömmling zusammen.
Die raue Bassstimme erfüllt mich mit blanker Panik. Noch nie hatte ich ein sonderlich gutes Verhältnis zu Cassian Moore, Special Agent in Charge und Leiter unserer Einheit. Doch in meiner augenblicklichen Situation könnte ich mir keinen schlimmeren Ausgang der Lage vorstellen. Und Moore trägt nicht gerade zu meiner Beruhigung bei. Im Gegenteil. Noch während ich mich zu dem großen, grauhaarigen Mann umdrehe, überkommt mich ein eisiger Schauder der Angst. Ich bin zu spät, erneut, und noch dazu erscheine ich mit ausgefallenen Verschwörungstheorien im Büro, von denen Moore wohl als Letzter erfahren wollen wird. Ich kann ihm nicht davon erzählen, ohne mich vollständig der Lächerlichkeit preiszugeben.
Also trage ich all mein schauspielerisches Geschick zur Schau und sage in gekünstelt fröhlichem Tonfall: »Guten Morgen, Special Agent Moore.«
Der markdurchdringende Blick seiner eiskalten, steingrauen Augen durchbohrt mich regelrecht und für einen Moment fühlt es sich an, als würde die sengende Hitze seines Starrens ein Loch in meinen Brustkorb brennen.
»Guten Morgen, McKenzie.«, grüßt er halbherzig und nickt Queshaun ebenfalls zu, »Parlow.«
»Chef.«, erwidert Queshaun den Gruß und zieht sich eilig in die Obhut seines Schreibtisches zurück, als sich Moore erneut an mich wendet.
»Wo waren Sie? Ich kann mich nicht erinnern, Sie heute Morgen schon einmal gesehen zu haben.«
»Sorry.«, stottere ich, bemerke dann, dass diese Antwort als unglaublich respektlos aufgefasst werden könnte und verbessere mich eilig, »Ich meine, bitte entschuldigen Sie, Sir. Es gab einen Stau auf dem Lake Drive und im gesamten Veteran’s Park. Ich bin erst vor wenigen Minuten angekommen.«
Angesichts meiner Erklärung schießen Moores buschige, graumelierten Augenbrauen skeptisch in die Höhe.
»Wenigstens sind Sie ehrlich. Wenngleich ich allmählich ernsthafte Zweifel an Ihrer Zuverlässigkeit hege.«, entgegnet Moore in seinem gewohnt überheblichen Singsang.
»Tut mir wirklich leid, Sir. Das kommt nicht wieder vor.«
»Seit meinem Antritt als Special Agent in Charge ist das wohl die meistgehörte Antwort, die ich von Ihrer Seite erhalten habe.«, kommentiert er unterkühlt und verschränkt die Arme vor der Brust, »Sorgen Sie dafür, dass es sich diesmal nicht nur um leere Floskeln handelt.«
»Natürlich.«, wispere ich kleinlaut und beiße widerwillig die Zähne zusammen.
Er hat recht. Wie könnte es auch anders sein? Er ist mein Vorgesetzter und ich muss wirklich an meiner Pünktlichkeit arbeiten, wenn mir etwas an diesem Job liegt. Ich habe zu viel aufgegeben, geopfert und zu viel Arbeit in meine Qualifikation für diesen Job gesteckt, als dass ich ihn wegen ein paar Verspätungen riskieren werde. Dafür habe ich nicht all die Monate gekämpft. Und nur, weil ich letztendlich die Anstellung beim FBI erreicht habe, heißt das nicht, dass sie mir nicht genauso schnell wieder entzogen werden kann. Und dann? Verdammt, ich habe ein kleines Kind. Was wird aus Zoë, wenn ich den Job verliere?
»Wow, was habe ich verpasst?«, fragt Gideon, der gerade um die Ecke des Pausenraums in das geräumige Großraumbüro einbiegt und einen Zusammenprall mit unserem Chef nur knapp verhindern kann.
Ihm entgeht nicht der grimmige Gesichtsausdruck auf Moores sowieso dauerhaft angespannten Zügen und seine Neugierde scheint ins Unermessliche zu wachsen, als er ungeduldig auf eine Antwort wartet.
»Toll, Moore hatte heute Morgen gute Laune und kaum, dass ich mir einen Kaffee hole, gelingt es euch beiden, alles zunichtezumachen.«, scherzt Gideon schelmisch grinsend und nippt an seiner Tasse.
»McKenzie kam zu spät.«
»Oh.«, das ist alles, was Gideon zu dem Gespräch beisteuert, ehe er auf dem Absatz kehrt macht und in die entgegengesetzte Richtung davongeht.
Ich höre noch sein leises, ärgerliches Murmeln, kann jedoch nicht verstehen, was er sagt. Dann ist er schon verschwunden.
»Habe ich das Meeting verpasst?«, frage ich, um zumindest den Anschein von Professionalität zu wahren.
»Nein.«, versichert Queshaun und dreht seinen Bürostuhl, sodass er mir nicht länger den Rücken zuwendet, »Den Drogenfall haben wir an die DEA abgegeben. Und den Typen aus Appleton, der den Einbrecher auf seinem Grundstück erschossen hat, nehmen sich Sophia und Colton vor. Momentan gibt es nur Papierkram, den wir erledigen können, deswegen kein Meeting.«
»Dann habe ich wenigstens nichts verpasst und Moore kann mir das nicht allzu lange nachtragen.«, überlege ich und stoße erleichtert die Luft aus, die ich angehalten habe.
Doch es ist fast, als wolle Moore mir an diesem Morgen keine einzige Sekunde gönnen, um zu Atem zu kommen, denn plötzlich tritt er abermals aus der Tür zu seinem Büro und ruft: »Parlow, McKenzie, in mein Büro. Sofort.«
»Oh shit.«, zische ich niedergeschlagen, beiße mir vor Frustration auf die Unterlippe.
Das darf doch wohl nicht wahr sein. Hat Moore etwa gehört, was ich soeben gesagt habe? Oder legt er heute schlichtweg alles daran, mein Nervenkostüm vollständig zu ruinieren? In stummer Übereinkunft lösen sich Queshaun und ich aus unserer Starre und bewegen uns schweigend auf das Büro des dienstleitenden Agents zu. Eine milchgläserne Tür in türkisblauen Farbton verstellt uns die Sicht in das Zimmer und genau auf Augenhöhe ziert der Schriftzug MOORE, CASSIAN, SPECIAL AGENT IN CHARGE das feinporöse Glas.
»Sir?«, sagt Queshaun und lässt mir den Vortritt.
Widerwillig nehme ich sein Angebot an und nicke im Vorbeigehen dankbar. Doch insgeheim widerstrebt es mir, das Büro zu betreten. Alles in mir sträubt sich dagegen, in Cassians Nähe zu sein und ich kann mir diese Reaktion selbst nicht erklären. Es ist nicht so, als hätte Moore mir je ein Leid angetan oder sich mir gegenüber ungebührlich oder unangemessen verhalten. Doch irgendetwas, eine Charaktereigenschaft oder vielleicht eine Duftnuance seines Parfums, führen dazu, dass ich seine Anwesenheit nur schwerlich ertragen kann. Wäre er nicht mein Vorgesetzter, würde ich alles tun, um seine Gesellschaft zu meiden, doch in Anbetracht unseres Arbeitsverhältnisses ist das wohl kaum möglich.
»Setzen.«, mehr sagt Moore nicht, nachdem Queshaun die Tür hinter uns geschlossen und sich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen neben mir aufgebaut hat.
Das Tattoo in seinem Nacken sticht in dem hellen Licht, das die Neonröhren absondern, noch deutlicher hervor. Ein etwa handtellergroßer Skorpion prangt gut sichtbar knapp unterhalb seines Haaransatzes und schwenkt seinen giftbewährten Schwanzstachel.
»Gibt es ein Problem?«, rate ich vorsichtig, während ich mich auf einem der zehn Stühle niederlasse, die rund um den langen Holztisch verteilt stehen.
Jetzt erhebt sich auch Moore von seinem Schreibtisch am anderen Ende des Büros und setzt sich ans Tischende der Tafel, den Blick taxierend auf mich geheftet.
»Nein.«
»Und warum…«, Queshaun stockt kurz und vergewissert sich, dass Cassian nicht aus eigener Initiative heraus fortfahren wird, »…sind wir dann hier?«
»Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.«, seiner Ankündigung folgt eine theatralische und wenig authentische Pause.
»Okay?«, meine Stimme klingt seltsam schrill, als sie die anhaltende Stille in dem großen Büro durchbricht.
Gekonnt weiche ich Moores forschenden Augen aus und blicke stattdessen in Richtung des deckenhohen Bücherregals, dessen Bretter sich unter dem Gewicht unzähliger Aktenmappen, Ordner und Gesetzbücher biegen. Durch das einzige Fenster des Raums, das in der Wand gegenüber dem Schreibtisch eingelassen ist, dringt strahlendes Sonnenlicht und wärmt mein Gesicht angenehm.
»Ich habe heute Nacht einen Anruf vom Captain des Milwaukee Police Departments erhalten.«, führt Moore seinen Monolog endlich fort und knackt nervös seine Fingerknöchel, »Er berichtete mir, dass gegen Mitternacht eine Leiche im Garten des Kunstmuseums aufgefunden wurde.«
»Mabel hat mir vorhin davon erzählt.«, erinnert sich Queshaun und wirft mir einen flüchtigen Seitenblick zu, »Aber inwiefern betrifft uns das? Wenn es ein regulärer Mordfall war, fällt er in die Zuständigkeit des M.P.D.s. Das ist keine unserer Angelegenheiten. Warum hat der Captain Sie also kontaktiert? Kommen sie in dem Fall schon jetzt nicht mehr weiter und benötigen unsere Hilfe?«
Sein Scherz bleibt ungehört.
Stattdessen klärt Moore emotionslos auf: »Es lassen sich gewisse Parallelen ziehen.«
»Zwischen?«
»Siehst du? Ich habe es dir gesagt.«, raune ich tonlos und lehne mich zu meinem Kollegen hinüber, sodass nur er meine Worte hören kann.
»Wie war das?«, erkundigt sich Moore und fixiert mich mit forschender Miene.
»Ich habe den Tatort von der Straße aus gesehen, Sir.«, erkläre ich ihm, »Alles daran erinnerte mich sofort an den Tatort vor 4 Jahren. Ich konnte keine genauen Einblicke erhalten, aber so viel ich zum jetzigen Zeitpunkt sagen kann, ähnelte auch die Anordnung der sterblichen Überreste unter dem Leichentuch der von den Leichenschauplätzen damals. Die Ähnlichkeit ist erschreckend. Das kann kein Zufall sein.«
»Davon ist auch der Captain der Milwaukee Police überzeugt und hat mich förmlich angefleht, den Fall zu übernehmen.«
»Haben Sie zugestimmt?«, hakt Queshaun argwöhnisch nach und rauft sich das kurzgehaltene, braune Haar.
»Ich hatte keine Wahl.«, verteidigt sich Moore, die Hände abwehrend vor der Brust erhoben, »Der Commissioner hat es angeordnet. Er will nicht riskieren, dass dieser Fall an die Öffentlichkeit gelangt und glaubt, wir hätten die größte Chance, den Schuldigen zu fassen. Immerhin ist es uns schon einmal gelungen.«
»Seit wann setzt der Commissioner höchstselbst ein so hohes Vertrauen in uns?«, frage ich irritiert.
»Ich würde nicht unbedingt von Vertrauen sprechen.«, wendet der uniformierte Special Agent in Charge zögerlich ein, »Vielmehr lauteten seine Worte: ‚Ihr Team hat den Dreckskerl entkommen lassen, also sehen Sie zu, dass Sie die Scheiße, die Sie hinterlassen haben, selbst beseitigen.‘«
»Sie verarschen uns, oder?«, braust Queshaun plötzlich auf, »Wir waren der Grund, warum wir überhaupt einen Durchbruch in diesem Fall hatten. Wir haben die Parallelen zu all den anderen Fällen hergestellt und hätten ihn geschnappt, wenn der Mistkerl nicht untergetaucht wäre. Wie zum Teufel könnten wir für sein Entkommen verantwortlich sein? Noch dazu können wir gar nicht mit absoluter Gewissheit sagen, ob es sich um denselben Täter handelt. Oder haben Sie bislang den Tatort gesehen? Liegen Ihnen seine DNA-Spuren vor, die auf der Leiche gefunden wurden?«
»Seien Sie nicht albern, Parlow. Natürlich nicht.«
»Und woher will der Commissioner dann wissen, dass es unser Fall ist, der seiner Ansicht nach zu urteilen, von uns verbockt wurde? Es wurden keine Bundesgrenzen überschritten. Das fällt nicht in unsere Zuständigkeit, verdammt.«
»Queshaun.«, zur Besänftigung lege ich meinem Kollegen meine Hand auf den Unterarm und sehe ihn eindringlich an.
Doch der 34-Jährige scheint so in Rage, dass er keinerlei Notiz von mir nimmt.
»Der Commissioner ist vorsichtig.«, ruft Moore seinen Unterstellten zur Vernunft, »An seiner Stelle würde ich genauso verfahren. Leichter ist es, sich bei einem gedemütigten FBI-Einsatzteam zu entschuldigen, als vor der gesamten Stadt das Entkommen eines schwerkriminellen Straftäters zu rechtfertigen, der nun abermals sein Unwesen in Milwaukee treibt. Wenn dieser Fall an die Presse gerät, bricht eine Massenpanik aus. Sie waren vor vier Jahren dabei und haben gesehen, was geschah, nachdem die Gerüchte um den ominösen Massenmörder laut wurden. Sie haben selbst genug Leichen gesehen, die aufgrund falscher Beschuldigungen einfach von ihren Nachbarn exekutiert wurden. Der Commissioner weiß, dass wir uns am ausführlichsten mit diesem Fall befasst haben, und hält es für das Beste, uns abermals damit zu betrauen. Er erhofft sich, dass wir das schnellstmöglich bereinigen, bevor es zur Eskalation kommt.«
»Wenn Sie das meinen.«, gibt Queshaun schließlich nach.
»Und wo sollen wir anfangen?«, frage ich, ebenso wenig von den neuen Aussichten erfreut wie mein Kollege, »Sophia und Colton sind fast zwei Stunden von hier entfernt in Appleton, Gideon wird nächste Woche zurück nach Green Bay versetzt. Bleiben noch Queshaun und ich. Und wir sollen zu zweit einen so enorm wichtigen Fall übernehmen? Wem machen Sie hier etwas vor?«
»Das habe ich dem Commissioner ebenfalls mitgeteilt. Uns fehlen schlichtweg die Kapazitäten, der ein solcher Fall bedarf.«, interveniert Moore seufzend, »Er lässt eine Kollegin aus Wauwatosa zu uns versetzen, um Gideon zu ersetzen. Außerdem haben wir die Anweisung erhalten, dass wir uns ausschließlich um die Ermittlungen kümmern sollen. Alle Außeneinsätze sollen Field Agents übernehmen.«
»Wir sind keine Profiler, wir sind Polizisten. Es ist unser Job, Außeneinsätze zu übernehmen.«, protestiere ich grimmig.
»Das sind die offiziellen Anweisungen.«
»Wunderbar.«, meine Fingerknöchel treten weiß unter meiner Haut hervor, als ich wütend die Fäuste unter dem Tisch balle, »Dann fahren Queshaun und ich also zum Tatort und vergewissern uns, dass es wirklich unser Täter ist?«
»Am besten wäre es wohl, wenn Sie sofort aufbrechen. Ich werde Sie begleiten und mit dem Captain der Milwaukee Police sprechen.«, bestätigt Cassian und streicht sich nachdenklich über die Stoppeln, die seine Wangen übersäen.
»Was ist mit Gideon?«, fragt Queshaun skeptisch.
»Weisen Sie ihn an, alle Anhaltspunkte und Akten, die wir damals zusammengestellt haben, wieder auszugraben und zu sichten. Er soll nach etwas suchen, das wir vor vier Jahren übersehen haben könnten.«
»Alles klar.«, obwohl sich der Agent kooperativ zeigt und nachgiebig nickt, verrät ihn sein gezwungenes Lächeln seiner Missbilligung.
Er ist alles andere als einverstanden, erkenne ich in dem peinlichen Schweigen, das sich nun über den Raum senkt.
In plötzlichem Tatendrang springe ich von meinem Stuhl auf und berühre auffordernd Queshauns Ellenbogen: »Dann los.«
MABEL MCKENZIE
»Special Agent Moore?«, empfängt uns die kleine und eher introvertiert wirkende Frau, sobald wir aus dem SUV steigen.
»Das bin ich.«, meldet sich Cassian zu Wort und geht der Polizistin mit ausgestreckter Hand entgegen.
Sie ergreift sie und schüttelt sie zum Gruß, während sie sagt: »Gut, dass Sie hier sind. Ich bin Captain Vanessa O’Brien. Wir haben telefoniert.«
»Was haben Sie bis jetzt?«, mischt sich Queshaun in das Gespräch ein, ohne sich die Mühe zu machen, sich namentlich vorzustellen.
Irritiert schweift der Blick der Polizistin von Moore zu Queshaun. Ihre Augen verengen sich und sie blinzelt überrascht.
Doch bevor sie zu einer Antwort ansetzen kann, erwidert Moore: »Die Agents Parlow.«, er nickt in meine Richtung, »und McKenzie. Sie waren ebenfalls an den Ermittlungen vor vier Jahren beteiligt und kennen den Fall bereits.«
»Perfekt, dann müssen wir keine Zeit mit ausschweifenden Erklärungen verschwenden.«, stellt Vanessa erleichtert fest und tritt einen Schritt zurück.
Ihre Haut ist von einem olivenfarbenen Teint, ihr Haar in einem strengen Zopf zurückgekämmt, der ihr in seichten Wogen über die Schulter fällt, und ihre Augen werden von einem dezenten Lidstrich hervorgehoben. Alles in allem ist sie durchaus attraktiv und es ist mir unmöglich, ihr Alter zu schätzen. 40? Vielleicht etwas älter.
»Um zu meiner Frage zurückzukommen…«, wendet Queshaun erneut ein und mustert den Captain eindringlich.
»Ja, natürlich. Wenn Sie mir bitte folgen möchten.«, mit diesen Worten setzt sie sich in Bewegung und hält auf die Brücke zu, die sich über die Straße hinweg zum Eingang des Museums spannt, »Wir haben eine Leiche. Größe, Gewicht und Alter sind nicht mehr festzustellen. Es handelt sich um einen männlichen Afroamerikaner. Zerstückelt, das dürfte Sie ja wohl nicht überraschen. Auf seiner Haut konnten wir Spuren von zahlreichen Misshandlungen feststellen. Identifizierung nicht möglich.«
»Warum?«, ich kenne die Antwort bereits, doch die Frage bricht sich durch meine Kehle Bahn, bevor ich ihr Einhalt gebieten kann.
Die Augen der Polizistin verdunkeln sich bei der Erinnerung daran.
Ihre schmalen Schultern straffen sich und sie dreht sich im Gehen zu mir um, wobei sie sagt: »Fingerkuppen und Kopf wurden abgetrennt und befinden sich nicht bei den anderen Überresten der Leiche.«
»Sein übliches Muster also.«, bemerke ich düster und sehe mich nach Queshaun um.
Auch er begreift, dass die Lage hier um einiges ernstzunehmender ist, als wir bislang vermutet haben. Der Gedanke, ER könnte wirklich zurück sein, lässt meinen Magen rebellieren.
»Wir haben eine Fallakte mit dem Namen John Doe angelegt.«, erklärt der Captain weiterhin, »Meine Officers sind gerade dabei sämtliche Vermisstenfälle der vergangenen zwei Monate zu durchforsten und mit unserer Leiche abzugleichen. Bislang ohne Erfolg.«
»Das war zu erwarten.«, mischt sich Moore ein, »Die letzten Opfer unseres Täters, wenn es sich denn um denselben und nicht um einen Nachahmungstäter handelt, stammten ausschließlich aus umliegenden Bundesstaaten. Illinois, Michigan, Iowa, Minnesota. Deshalb wurde der Fall an uns abgegeben.«
»Das ergibt doch keinen Sinn.«, entgegnet Vanessa perplex und hebt das gelbe Absperrband auf Höhe ihres Kopfes, sodass Moore, Queshaun und ich darunter hindurchtreten können, »Warum sollte jemand seine Opfer aus anderen Bundesstaaten entführen, ihnen weiß Gott, was für Grausamkeiten antun, die Leiche dann zerstückeln, aber anstatt sie in Müllsäcken zu entsorgen, zurück nach Wisconsin bringen und öffentlich platzieren. Das ist doch unsinnig. Warum ermordet er seine Opfer nicht im jeweiligen Bundesstaat und entledigt sich dort der Leichen?«
»Er entledigt sich nicht der Leichen, er präsentiert sie der Welt.«, korrigiert Queshaun.
»Was?«
»Er präsentiert das Gräuel, das er diesen Menschen angetan hat. Er will Aufmerksamkeit. Er ist besessen von der Vorstellung, gefürchtet zu werden. Zumindest war es das, was wir zum damaligen Zeitpunkt vermutet haben.«, erklärt sich der Agent.
»Das ist krank.«, kommentiert Vanessa mit angewidert verzogenem Gesicht und deutet dann hastig auf das Leichentuch, dessen Ecken vom seichten Morgenwind angehoben werden, »Hier sind wir. Tun Sie sich keinen Zwang an. Ich werde derweil meine Officer abkommandieren. Wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie.«
»Danke.«, antwortet Moore und sieht der Polizistin hinterher, als sie sich erneut unter dem Band hinwegduckt und auf eine Gruppe ihrer Angestellten zu hält, die nur wenige Meter von uns entfernt stehen.
Selbst von hier aus kann ich das Entsetzen in ihren Augen sehen und die Angst aus ihrer Haltung lesen. Sie haben etwas Derartiges noch nie gesehen und ich fühle mit ihnen. Auch ich habe das erste Mal, als ich vor vier Jahren den ersten dieser Tatorte erblickt habe, lange gebraucht, bis ich wieder schlafen konnte. Wäre Filip in dieser Zeit nicht gewesen, hätte ich die schrecklichen Bilder wohl nie vollständig aus meinem Gedächtnis verbannen können. Und doch verspüre ich auch jetzt wieder dieses ungute, mulmige Gefühl in meiner Magengegend, das mir weitere schlaflose Nächte und traumatische Albträume in Aussicht stellt.
»Das ist definitiv unser Täter.«, flüstert Queshaun, der in seinen ausgeblichenen Jeans am Boden kniet und das Leichentuch an einer Seite anhebt.
»Es könnte auch ein Nachahmungstäter sein.«, wirft Moore von der Seite aus ein, während ich neben meinem Kollegen in die Hocke gehe und das Leichentuch endgültig von den einzeln verstreuten Körperteilen ziehe.
»Wohl kaum.«, meine Stimme ist so schwach, dass ich lediglich ein klägliches Hauchen zustande bringe, zu gebannt bin ich von dem erschreckenden Anblick, der sich mir bietet.
In spiralförmiger Anordnung liegen die Körperteile auf dem Rasen verstreut, das kürzeste Körperteil, die Überreste eines kleinen Zehs, in der Mitte, das längste, der zerfetzte Oberschenkel, am äußersten Ende. Nach Länge geordnet, wie immer. Die Gliedmaßen säuberlich an den Gelenken abgetrennt und nur solche Körperteile sind unberührt geblieben, die nicht von einem ganzen Knochen durchzogen werden. Der Torso liegt wie immer abseits von der grausigen Spirale aus menschlichen Bausteinen, auf der Brust ist ein gezacktes Pentagramm eingeritzt.
»Davon wussten die Medien nichts.«, unterstütze ich Queshauns Verdacht, bin jedoch unfähig, mich von dem Anblick zu lösen, »Das war unser Täter. Ein Nachahmungstäter hätte das nie mit solcher Präzession vollbringen können.«
»Dann sind wir uns einig.«, stimmt Moore wispernd zu, »Decken Sie die Leiche wieder ab. Dort drüben sammeln sich bereits die ersten Schaulustigen. Unser Opfer hat es nicht verdient, auch noch der Befriedigung perverser Neugierde zu dienen.«
Ich zögere keine Sekunde, ehe ich das weiße und nun auch mit feinen Blutsprenkeln übersäte Leinen abermals über das furchtbare Muster ziehe. Dankbar ergreife ich Queshauns ausgestreckte Hand und lasse mir von ihm auf die Beine helfen, bevor ich vereinzelte ausgerissene Grashalme von meiner Stoffhose klopfe. Meine Knie zittern.
»Lassen Sie uns fahren.«, bitte ich Moore, »Wir haben den Tatort gesehen. Wir wissen jetzt, dass es sich um den gleichen Täter handeln muss. Den Rest soll die Gerichtsmedizin und das CSI erledigen.«
»Noch nicht.«, verwehrt der Special Agent mir meine Bitte.
Ohne sich zu erklären stakst er zu der Gruppe Polizisten hinüber, die noch immer um ihren Captain herum versammelt ist. Ich folge ihm und höre gerade noch, wie Vanessa ihren Beamten anordnet, sich bei Bedarf den Rest des Tages freizunehmen.
Dann unterbricht Moore sie ungeniert: »Captain. Der Zeuge, der die Leiche gefunden hat. Wo ist er?«
»Da vorne. Die Bank neben dem Springbrunnen.«, zischt Vanessa, die nicht sonderlich erfreut über die respektlose Unterbrechung scheint, und wendet sich erneut an ihre Officers.
Cassian nickt und visiert jetzt einen jungen Mann an, der mit leerem Blick auf einer hölzernen Parkbank sitzt. Neben ihm steht ein Polizist, der vergebens versucht, beruhigend auf den Teenager einzureden, doch seine Bemühungen bleiben ohne Wirkung.
»Sie haben die Leiche gefunden?«, ruft Moore, noch ehe er die Parkbank erreicht hat.
Perplex sieht der Jugendliche zu ihm auf, ohne ihn allerdings wirklich zu sehen. Sein Blick ist stumpf, in die Leere gerichtet oder womöglich auf einen Punkt, den nur er allein sehen kann. Der Junge ist groß, wahrscheinlich an die 1,90 Meter, doch lässt ihn seine zusammengekauerte Haltung und die eingesunkenen Schultern verletzlich und vollkommen hilflos wirken.
»Wie ist Ihr Name?«, dringt Moore weiter in ihn und erreicht jetzt endlich die Bank.
»Sie können gehen.«, sagt er an den Officer gewandt, der sichtlich erleichtert zu seinen Kollegen zurückkehrt und dem Jugendlichen keine weitere Beachtung schenkt.
Mein Herz droht angesichts dieses verlorenen Häuflein Elends zerspringen zu wollen. Mitleid überkommt mich. Wie alt kann dieser Junge schon sein? 17, höchstens 18 Jahre alt. Und dennoch wird er diesen Anblick nie wieder vergessen können, dessen bin ich mir sicher. Ich kann nicht anders, als ich plötzlich einen beherzten Schritt nach vorn tue und Moore bestimmt am Arm fasse.
Aus mir spricht nicht länger die objektive Ermittlerin, sondern vielmehr eine besorgte Mutter, als ich Cassian zurückreiße und anherrsche: »Lassen Sie mich das machen.«
Der Special Agent ist zu überwältigt von der plötzlichen Veränderung, um sich mir in den Weg zu stellen. Also gehe ich langsam auf den blonden Teenager zu und lasse mich neben ihm auf die Bank fallen.
»Hey, ich bin Mabel. Ich arbeite für das FBI. Ist alles in Ordnung bei dir?«, frage ich und stütze meine Ellenbogen auf meine Knie, sodass ich den Blick des Zeugen kreuzen kann.
Das Kopfschütteln, das ich als Antwort erhalte, ist so zaghaft, dass es mir entgangen wäre, wenn ich den Jugendlichen nicht eingehend beobachtet hätte.
»Kann ich jemanden anrufen, der dich abholt?«, forsche ich weiter und überschreite jegliche Grenze unserer Richtlinien, als ich dem Jungen beruhigend eine Hand auf den Rücken lege und in langsamen Zügen über seine Wirbelsäule streiche, »Deine Eltern? Einen Freund? Geschwister?«
»Meine… meine Mum.«, stottert der Jugendliche, den es sichtlich große Mühe kostet, die drei Wörter hervorzuwürgen.
»Okay, gut. Ich rufe Sie an, damit sie dich abholt und nach Hause bringt.«, verspreche ich und schenke ihm ein trauriges Lächeln, »Wie heißt du?«
»Will.«, wispert der Jugendliche.
»Will.«, wiederhole ich schmunzelnd, »Mein Vater hieß auch Will.«
Ich hole tief Luft und sehe zu Moore auf, der uns mit vor Zorn zusammengepressten Lippen beobachtet. Allmählich beginnt Will, sich unter den sanften Bewegungen meiner Hand zu entspannen und er begegnet meinem Blick.
»Ich habe die Leiche gefunden.«, flüstert er leise, seine Stimme zarter als das Schlagen von Kolibriflügeln, »Ich war Joggen.«
»Wann war das?«
»Gegen Mitternacht.«
»Warum gehst du so spät noch Joggen? Haben sich deine Eltern denn keine Sorgen um dich gemacht?«, hake ich überrascht nach.
»Meine Freundin wohnt hier in der Nähe und bis Nachhause ist es eine Stunde Fußweg. Ich nutze die Strecke immer zum Joggen. Ich bin Quarterback im High School Footballteam und wer nicht fit bleibt, fliegt raus. Deswegen trainiere ich und jogge den Weg nachhause.«
»Auch gestern Abend?«, schlussfolgere ich.
»Ja.«, doch mehr sagt Will nicht.
»Du bist hier also gegen Mitternacht vorbeigekommen. Und dann bist du auf die Leiche gestoßen, richtig?«
»Ja.«, wieder verfällt er in belegtes Schweigen.
»Und dann? Hast du die Polizei gerufen?«
»Nein. Nicht sofort.«, erklärt Will, »Da war noch jemand. Ich wollte nicht, dass er mich bemerkt. Also habe ich mich im Gebüsch versteckt und gewartet, bis er weg war. Dann bin ich rüber zum Springbrunnen und habe die Leiche entdeckt. Ich hatte kein Handy dabei, deswegen habe ich versucht, die Tür zum Museum zu öffnen. Ich wusste, dass ein Alarm losgehen und die Polizei kommen würde. Das war dann auch der Fall.«
»Du hast noch jemanden gesehen? Wo? Bei der Leiche? Hast du denjenigen sehen können?«, helle Aufregung schwingt in meinem Tonfall mit.
Ich muss mich beherrschen, um nicht vor Aufregung aufzuspringen und laut zu klatschen. Wenn Will tatsächlich den Mörder gesehen hat, hätten wir den Fall, an dem wir bereits seit über 4 Jahren arbeiten und immer wieder scheitern, endlich gelöst.
Doch zu meiner Ernüchterung antwortet der Teenager: »Ich konnte nichts sehen, es war zu dunkel. Aber er oder sie, ich bin mir nicht sicher, ob es ein Mann oder eine Frau war, hat über der Leiche gekniet. Und er hat… getanzt und leise gesungen.«
»Gesungen?«, es ist Moore, der sich nun erneut am Gespräch beteiligt.
Ungläubig mustert er den Zeugen und der misstrauische Ausdruck auf seinem Gesicht verrät, dass er dem Jugendlichen kein einziges Wort glaubt.
»Ja, er hat sich seltsam verbogen und es war unheimlich. Einmal dachte ich, er hätte mich gesehen, weil er in meine Richtung gestarrt hat.«
»Und trotzdem hast du ihn oder sie nicht erkennen können?«
»Nein. Das habe ich doch gesagt.«, ruft Will genervt und sieht Cassian verzweifelt an.
»Ist schon gut.«, beschwichtige ich ihn und bedenke Moore mit einem warnenden Blick, »War es so dunkel, dass du nicht einmal das Gesicht erkennen konntest?«
»Er war verhüllt. Er hatte irgendeine Kutte an, eine Art Robe mit Kapuze. Und um die untere Gesichtshälfte hatte er einen Schal geschlungen.«
»Das konntest du also trotz der Dunkelheit sehen?«, Moore macht sich noch nicht einmal die Mühe, so zu tun, als würde er Will Glauben schenken, »Die genauen Details seiner Kleidung, aber nicht das Geschlecht? Das ist doch lachhaft. McKenzie, Sie verschwenden hier unsere Zeit.«
Zu allem Überfluss tritt er jetzt noch näher an uns heran, stößt ein ungläubiges Prusten aus und meint kühl: »Ich möchte dich bitten, uns ins Büro zu folgen, damit wir einen Drogentest machen können.«
»Was? Einen Drogentest. Das können Sie nicht ernst meinen. Mabel, Sie haben versprochen…«, stottert Will, der zu verblüfft von der plötzlichen Wendung der Dinge ist, als dass er seinen Satz beenden könnte.
»Moore, das kann nicht Ihr verdammter Ernst sein. Er ist noch fast ein Kind.«, brause ich empört auf und springe in den Stand, sodass er nicht länger in überheblicher Attitüde auf mich herabsehen kann.
»Er spricht von einem Mann oder einer Frau, der oder die in einer Robe durch den Museumsgarten tanzt und Leichenteile auf dem Gelände verstreut. Ihnen fällt doch sicherlich selbst auf, wie absurd das klingt. Er ist unser einziger Zeuge und in diesem Fall werde ich mich nicht auf womöglich verfälschte Angaben verlassen.«, faucht Cassian und zuckt angesichts meines offensichtlichen Zorns nicht einmal zusammen.
»Ich lasse Sie kein traumatisiertes Kind für einen sinnlosen Drogentest mit auf ein FBI-Revier nehmen. Der Junge ist doch bereits verstört. Haben Sie ihn etwa nicht gehört? Er hat diese Leiche gefunden, die selbst Sie in Ihre schlimmsten Albträume verfolgen wird. Und trotzdem wollen Sie ihm das auch noch zumuten? Stellt sich bloß die Frage, wer von beiden der größere Sadist ist? Sie oder unser Täter?«
Queshaun zieht scharf die Luft ein und tritt, aus einem lebensrettenden Instinkt heraus, zwischen den Special Agent und mich: »Mabel, das reicht. Du solltest jetzt besser wieder zum Wagen zurückgehen.«
»Nein, nein, lassen Sie sie.«, verlangt Moore und entgeistert mich vollständig, »Ich will hören, was Sie zu sagen haben, Agent.«
Bevor ich meine Antwort überdenken könnte, entwinden sich die Worte bereits meiner Zunge und sprudeln ungewollt dreist aus mir hervor: »Das hier ist wohl kaum der richtige Ort, um einen Streit zu beginnen.«
Ich habe meinen Satz noch nicht beendet, als die Reue mich bereits zu übermannen droht. Einerseits schäme ich mich für den respektlosen Umgang mit meinem Vorgesetzten, doch was hätte ich denn tun sollen? Was wäre ich für eine Mutter, wenn ich zulasse, dass ein Minderjähriger, der gerade eine zerstückelte Leiche entdecken und um sein eigenes Leben fürchten musste, aus reiner Schikane zu einem Drogentest genötigt wird? Das kann ich einfach nicht vertreten. Allerdings bin ich mir durchaus bewusst, dass ich mit dieser eloquenten, doch definitiv unangemessen Antwort sämtliche Grenzen überschritten habe. Um Moore nicht noch weiter zu reizen, entschließe ich mich deshalb dazu, Queshauns Rat Folge zu leisten und mich eilig in Richtung des SUVs zurückzuziehen, der mit eingeschaltetem Blaulicht am Straßenrand steht.
»Wo wollen Sie hin?«, fragt Moore mich jetzt mit einer Zornesfalte, die seine Stirn quer teilt, »Ich brauche Sie, um Will zur Kooperation zu überzeugen. Oder meinten Sie nicht, Sie regeln das?«
Er hat die Hände zu Fäusten geballt und die Ader an seinem Hals tritt stärker als gewöhnlich unter seiner Haut hervor. In ihm brodelt der Zorn. Und diesen Tag wird er mich nicht vergessen lassen, davon bin ich überzeugt.
»Will, wenn du nichts zu verbergen hast, hast du auch nichts zu befürchten.«, wendet sich Moore jetzt abermals an den Zeugen, da ich keine Anstalten dazu erhebe, »Aber wenn du dich dagegen sträubst, bedeutet das für mich, dass du sehr wohl etwas vor uns zurückhalten willst. Das nennt man Behinderung der Justiz und wie du dir sicherlich erschließen kannst, ist das ein Straftatbestand. Also überlege dir gut, ob es die Diskussion wert ist. Du wirst uns so oder so auf das Revier begleiten. Aber es ist deine freie Entscheidung, wie das Ganze ablaufen soll. Ich habe kein Problem damit, dich in Handschellen abzuführen, wenn es sein muss.«
»Das… das ist Erpressung. Bedrohung.«, zischt Will entsetzt.
Allmählich scheint er zu erkennen, dass es für ihn keinen Ausweg aus dieser misslichen Lage gibt. Er muss sich dem Willen des Special Agents beugen.
Mit flehenden Augen sieht er zu mir auf: »Mabel, bitte. Das können Sie doch nicht zulassen.«
»Moore, ich…«, setze ich mitleidig an, doch sofort hebt der Grauhaarige seine Hand in einer herrischen Geste und gebietet mir zu Schweigen.
»Komm mit, Will.«, fordert er den Teenager auf und fasst ihn am Ellenbogen, um ihn auf die Beine zu ziehen.
Widerwillig folgt der Junge, doch in seinen Augen sehe ich blanke Panik glänzen. Irgendetwas stimmt nicht. Vielleicht hat er ja tatsächlich etwas zu verbergen? Und wenn nicht?
Bevor ich den Gedankengang vertiefen kann, streift Moore mich im Vorbeigehen an der Schulter und reißt mich unvermittelt in die Gegenwart zurück. Er beugt sich so nah zu mir herab, dass ich seinen warmen Atem an meinem Hals spüren kann, seine Augen zu bedrohlichen Schlitzen verengt.
Dann flüstert er, gerade laut genug, dass ich seine Worte hören kann: »Diesmal kommen Sie mit dieser Frechheit davon. Beim nächsten Mal suspendiere ich Sie vom Dienst. Verstanden?«
Die Ernsthaftigkeit, die in seine markanten Züge geschrieben steht, trügt nicht. Ich weiß, dass er keine Scherze macht und, dass dies meine wohl letzte Gelegenheit ist, die Dinge zum Guten zu wenden. Ich darf mir jetzt keinen weiteren Fehler erlauben.
Deshalb wispere ich in ebenfalls gedämpften Tonfall: »Ja, Sir.«
Ergeben senke ich meinen Blick auf meine Fußspitzen und hoffe, das brennende Gefühl, das Moores anhaltendes Starren auf meiner Haut hinterlässt, möge endlich abebben.
»Queshaun.«, ruft Moore, weiterhin nur Zentimeter von mir entfernt, »Informieren Sie die Mutter des Jungen. Sie soll ebenfalls ins Büro kommen.«
»Natürlich, Sir.«, nickt dieser und entfernt sich von unserer Gruppe, um sich die nötigen Kontaktdaten von den anderen Polizisten vor Ort zu beschaffen.
»Sie kommen mit mir.«, verfügt Moore weiterhin und setzt sich, Will noch immer am Ellenbogen festhaltend, in Bewegung.
Ich habe keine andere Wahl, als den beiden zu folgen, als sie an Vanessa vorbei über die Rasenfläche vor dem Museum schreiten und den SUV schon bald erreicht haben. Der Verkehrslärm der danebenliegenden Straße schwillt weiter an und ich kann spüren, wie der Luftzug der vorbeirasenden Autos meine Beine streift, als ich über den Bordstein trete und um den Wagen herumgehe. Nur Sekunden später stößt auch Queshaun zu uns und legt die letzten Meter zum SUV sprintend zurück. Schweiß rinnt ihm über die Stirn. Allmählich beginnt die Mittagshitze einzukehren und glühend heiß auf die Stadt am See zu drücken.
»Sie fahren.«, bestimmt Moore und deutet auf mich, während er sich auf dem Beifahrersitz niederlässt und mit einem lauten Knall die Tür schließt.
Es ist an uns, Will zur Hintertür des Wagens zu lotsen und ihn anzuweisen, auf der Rückbank Platz zu nehmen.
»Mabel, bitte.«, raunt er mir zu, als ich gerade dabei bin, die Tür auf seiner Seite zu schließen.
»Mach dir keine Sorgen. Es ist, wie Moore gesagt hat: wenn du nichts zu verbergen hast, hast du auch nichts zu befürchten.«, versuche ich ihn mit einem milden Lächeln zu beruhigen.
Doch vermutlich würde ich mir selbst nicht glauben, würde ich mir gegenüberstehen, so schwach und zittrig fühlt sich das Lächeln auf meinen Lippen an. Wieder setze ich dazu an, die Tür zu schließen und kann im Rückspiegel bereits die missmutige Miene meines Chefs ausmachen.
»Und wenn ich etwas zu verbergen hätte?«, das Geständnis bringt Will derart kleinlaut vor, dass ich sein Wispern beinahe überhört hätte, »Klagt er mich dann wirklich wegen Behinderung an? Ich kann nicht ins Gefängnis, ich bin noch nicht einmal volljährig. Ich habe doch nichts getan. Ich bin kein Krimineller.«
Mein Herz setzt einen Schlag lang aus. Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Wenn Moore das erfährt, und das wird er spätestens, nachdem ihm die Resultate des Drogentests vorliegen, bin ich geliefert. Scheiße.
»Das klären wir auf dem Revier.«, erwidere ich in Ermangelung einer besseren Antwort und schließe die Tür, bevor Will noch weitere Geständnisse vorbringen kann.
Für einen Sekundenbruchteil schließe ich die Augen und bete stumm, dass dieser verdammte Tag endlich enden möge. Dann straffe ich meine Schultern und steige auf der Fahrerseite des Autos ein.
»Sofia und Colton kommen zurück nach Milwaukee, um uns zu unterstützen. Sofia hat mir gerade geschrieben.«, meldet sich Queshaun vom Rücksitz und hebt demonstrativ sein Handy in die Höhe, als wolle er seinen Worten Nachdruck verleihen.
»Gut.«, kommentiert Moore monoton, während er auf seinem Sitz nach vorn rutscht und seine langen Beine im Fußraum ausstreckt.
Ich fühle, wie er mich von der Seite aus beobachtet, versuche jedoch, nicht darüber nachzudenken, als ich den Schlüssel im Zündschloss drehe und langsam losfahre.
MABEL MCKENZIE
»Wo verdammt ist mein Sohn?«, die schrille Sopranstimme ist bereits zu hören, bevor ihre Besitzerin das Büro betreten hat.
»Scheiße.«, murmele ich und wende mich eilig vom Eingang des riesigen Zimmers ab.
In dem Versuch, beschäftigt zu wirken, greife ich nach einem Stapel Fallakten und verlasse das Büro durch die Tür zum Pausenraum. Der graue Stoppelteppich dämpft meine Schritte, sodass ich fast lautlos gehen kann. So ist es nicht verwunderlich, dass Gideon erschrocken zusammenfährt, als er sich zu mir umdreht und mich im Türrahmen stehen sieht.