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Emma und ihr bester Freund Valentin sind um eine Winzigkeit zu spät dran: Verhindern können sie nicht, dass drei Halbstarke die beiden kleinen Mädchen überfallen, die an der Radstrecke Limonade verkaufen, aber sie schlagen die Jugendlichen in die Flucht, ehe noch Schlimmeres passiert. Für den Moment ist es ihnen wichtiger, sich um die beiden Mädchen zu kümmern, doch sie sind zuversichtlich, dass es nicht schwer werden wird, die Täter zu finden. Aber sie stoßen auf unerwartete Hürden: Die Mädchen wollen nicht sagen, wer es war, obwohl Emma und Valentin sicher sind, dass sie es wissen. Auch die Eltern scheinen nicht ernstlich entschlossen, der Sache nachzugehen, obwohl sie einen Verdacht haben. Trotzdem forschen Emma und Valentin weiter nach, zusammen mit ihrer Freundin Amelie. Bald wird ihnen klar, was hinter der Zurückhaltung steckt, doch wenn die Täter sich bisher alles erlauben konnten, dann ist es überfällig, ihnen endlich Grenzen zu setzen.
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Seitenzahl: 79
Emmas Umzug von ihrer Geburtsstadt Dortmund ins beschauliche Dorf St. Vinzent in den Bergen Südtirols war noch nicht lange her. Erst vor kurzem hatte ihr Vater die Hutmacherwerkstatt wiedereröffnet, die zu übernehmen der Anlass für den Umzug gewesen war. Aber trotz der kurzen Zeit hatte Emma sich schon erstaunlich gut eingelebt, auch wenn vieles natürlich immer noch neu und ungewohnt war. Das verdankte sie vor allem den Freunden, die sie bereits gefunden hatte, und mit ihnen hatte sie schon genug erlebt, um mehrere Sommerferien mit Abenteuern zu füllen. Ein Wegweiser, den sie bei ihrer ersten Bergwanderung im Regen übersehen haben musste, hatte sie den Weg von Valentin kreuzen lassen, der schnell ihr bester Freund geworden war. Auf der Alm seiner Tante hatten sie dann wenig später herausgefunden, wer dort ein Kraut in die Töpfe geschmuggelt hatte, das den Magen ordentlich durcheinanderbrachte. Dabei hatte ihnen Amelie geholfen, die Tochter der Dorfärztin, und auch mit ihr war Emma seitdem gut befreundet. Auch die meisten anderen Kinder kannte sie inzwischen, eigentlich gehörte sie schon komplett dazu.
Das nahm ihr auch ein bisschen die Angst vor der neuen Schule. Auf jeden Fall würde sie nicht lauter unbekannte Gesichter um sich haben, wenn sie ihr erstes Jahr an der Mittelschule begann. Alle Kinder aus St. Vinzent, die jetzt von der Grundschule zur Mittelschule wechselten, würden in ihre Klasse kommen.
Bis dahin hatte sie jedoch noch Zeit. Sie war umgezogen, gleich nachdem das letzte Schuljahr in Dortmund zu Ende gewesen war, und in Südtirol dauerten die großen Ferien länger als in Deutschland. Erst ein Stück in den September hinein würde die Schule wieder losgehen. Emma war gespannt, wie sich die Mittelschule von dem Gymnasium unterschied, das sie in Dortmund besucht hatte; sie wusste nur, dass sie drei Jahre dauerte, ehe die Jugendlichen sich entscheiden mussten, ob sie die Matura – so hieß das Abitur hier – ablegen oder eine Ausbildung beginnen wollten.
Obwohl es noch nicht eilig war, fand Emmas Mutter, dass es nicht schaden konnte, schon mal die Schulsachen zu besorgen. Was Emma an Schreibzeug brauchte, sofern sie nicht den Bestand weiterverwenden konnte, gab es im Dorfladen, aber Bücher würde sie im nächsten Städtchen besorgen müssen. Darum kümmerte sie sich selbst, ihre Mutter meinte, dass sie inzwischen alt genug dafür war. Per E-Mail bestellte sie die Bücher, und die Buchhandlung schrieb zurück, dass alle Titel kurzfristig lieferbar waren. In zwei Tagen würde Emma sie abholen können.
Emma verschob die Abholung um einen Tag auf den Samstag. Das passte ihr besser, und der Buchhandlung tat es wohl auch nicht weh, wenn die Bücher einen Tag länger dalagen. Das passierte bestimmt regelmäßig, weil die Kunden schauen mussten, wann sie Zeit hatten.
Valentin fragte, ob er mitkommen sollte, und schlug vor, die Strecke mit dem Fahrrad zu machen. Emma war erst nicht überzeugt, vor den gut zwölf Kilometern machte sie sich nicht bange, aber die ganze Zeit die Talstraße entlangzuradeln, stellte sie sich nicht schön vor. Die war Staatsstraße, das Gegenstück zu den Bundesstraßen in Deutschland, sie wurde viel und von manchen leider auch rabiat befahren. Doch das wusste Valentin auch, und er hatte genauso wenig Lust wie Emma, als Versuchsobjekt dafür herzuhalten, wie dicht man einen Radfahrer überholen konnte. Er wollte einen Weg nehmen, der parallel zur Straße verlief, mal weiter, mal weniger weit entfernt. Er war nicht generell für Autos gesperrt, aber nur wenige Anlieger fuhren dort durch, ansonsten traf man nur Fußgänger und Radfahrer. Als Radwanderweg war er auch bei Touristen beliebt.
Emma war einverstanden. Sie überlegte, ob sie ihn einladen sollte, vorher zum Frühstück zu ihr zu kommen. Sie hätte es schön gefunden, allerdings hätte es für ihn bedeutet, zuerst ein Stück in die Gegenrichtung zu radeln.
Aber Valentin hatte offenbar den gleichen Gedanken gehabt. Das war oft so, dass sie sich auf Anhieb so gut verstanden hatten, kam nicht von ungefähr. „Frühstück bei mir?“, schlug er vor. „Wenn du um acht oder kurz nach acht kommst, ist alles fertig.“ „Gebongt“, antwortete Emma.
Am Samstagmorgen packte sie rechtzeitig ihren Schulrucksack mit etwas zu Knabbern und vor allem Wasser. Sie hoffte zwar, vor der größten Mittagshitze wieder im Dorf zu sein, aber auch wenn es noch nicht so heiß war, würde sie unterwegs dankbar sein für einen Schluck zu trinken. Für die Schulbücher blieb neben der Wasserflasche noch genug Platz, das musste ja so sein; in die Schule nahm sie schließlich neben Büchern, Heften und Etui auch ihre Pausenbrote und etwas zu trinken mit.
Um viertel vor acht verabschiedete sie sich von ihren Eltern und radelte los. Den Weg zu Valentin kannte sie im Schlaf, es gab wohl keinen Ort in der Umgebung, den sie seit dem Umzug häufiger besucht hatte. Sie radelte aus dem Dorf hinaus, ein Stück über die Landstraße und erreichte dann den Weiler, in dem Valentin wohnte. Vor dem Haus ließ sie das Rad ausrollen und stellte es auf den Ständer. Anzuketten brauchte sie es nicht, hier kam niemand vorbei, der es einfach mitnehmen würde.
Valentin hatte sie offenbar kommen sehen, er öffnete die Tür, ehe sie klopfen konnte. Dass sie ein paar Minuten zu früh dran war, war nicht schlimm, er freute sich trotzdem, dass sie da war, und das Frühstück war auch schon fertig. Es gab nichts Besonderes, einfach Valentins übliches Frühstück mit Müsli und Milch, aber das Wichtige war ja auch das Zusammensein.
Trotzdem behielten sie die Uhr im Auge, denn auch Valentin wollte nicht in die Mittagssonne kommen. Der Weg bot kaum irgendwo Schatten, und auf dem Rückweg würde es noch dazu in Summe bergauf gehen. Es waren keine steilen Steigungen dabei, versicherte er, nur zwei, drei kurze mittelprächtige Anstiege, aber auch längere leicht ansteigende Stücke kosteten auf die Dauer Kraft.
„Du kannst dein Zeug auch bei mir reintun, wie immer“, bot Emma an, als sie sah, dass Valentin ebenfalls einen Rucksack packte. Beim Wandern teilten sie sich inzwischen oft einen, der beider Sachen enthielt, und wechselten sich fair beim Tragen ab. „Nee, ich nehme ihn mit“, antwortete Valentin. „Dann kann ich ein paar von den Büchern bei mir reintun, und du hast’s nicht so schwer.“ „Zur Schule muss ich sie doch auch selbst tragen“, gab Emma zu bedenken. „Schon“, räumte Valentin in. „Aber nicht alle auf einmal. Wir haben ja nicht jeden Tag alle Fächer.“ Da hatte er einen Punkt, und Emma konnte sich nur bedanken für die Hilfe. Sie wusste, dass sie kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte, wenn sie sich solchermaßen helfen ließ. Valentin tat es, weil er allgemein hilfsbereit war, weil er sie mochte und weil es ihm keinen Spaß gemacht hätte, locker neben ihr herzuradeln, während sie buckelte. Dass diese Hilfsbereitschaft keine Einbahnstraße war, verstand sich von selbst, er konnte sich umgekehrt genauso auf Emma verlassen.
Als sie losfuhren, war es gerade halb neun vorbei. Bis die Buchhandlung um neun öffnete, würden sie es nicht ganz schaffen, aber das war nicht schlimm. Auf ein paar Minuten früher oder später kam es auch wieder nicht an.
Valentin führte Emma direkt durch den Weiler auf den Radweg. Die Strecke war gut zu fahren, der Weg war asphaltiert und breit genug, dass sie sogar nebeneinander fahren konnten. Natürlich achteten sie darauf, niemanden zu behindern, wenn ihnen jemand entgegenkam, reihte Emma sich hinter Valentin ein, bis der Gegenverkehr vorbei war. Auch wenn jemand überholen wollte, machte sie Platz, nur einmal bekam sie einen missmutigen Blick, weil sie einen Radfahrer, der überholen wollte, zu spät bemerkte. Dadurch musste er etwas abbremsen und klingelte die ganze Zeit wie wild, obwohl Emma schon zur Seite zog; sie konnte doch auch nicht Valentin in den Acker rammen! „Spinner!“, brummte Valentin, aber das hörte der Mann schon nicht mehr, der war nämlich mit einem Affenzahn unterwegs. Im Gegensatz zu den beiden Kindern ließ er sich allerdings auch beim Treten unterstützen; Emma nahm es am Rande wahr und strich den Typen gleich wieder aus dem Gedächtnis.
„Kurze Pause?“, schlug Valentin vor, als die das nächste Dorf erreichten. „Ist ungefähr Halbzeit.“ Emma war einverstanden und bremste neben ihm. „Schönen Strecke!“, sagte sie. „Bleibt das bis zum Schluss so?“ „Bleibt so“, versicherte Valentin. „Gleich geht’s ein Stück weiter weg von der Straße, wir folgen dem Fluss, der macht hier einen Bogen. Die Straße schneidet das ab.“
Emma gefiel das, auch wenn es natürlich einen kleinen Umweg bedeutete. Links von ihr erstreckten sich Felder, ehe in einiger Entfernung die Häuser zu sehen waren, die sich entlang der Straße zogen. Rechts schlängelte sich der Bach, der das ganze Tal durchfloss, und dahinter stieg der Hang an. Stellenweise reichte der Wald bis ans Ufer, an anderen Stellen war ein Streifen Wiese dazwischen. Nur selten kamen Emma und Valentin jetzt noch an einem einzelnen Haus vorbei, und das würde sich auch nicht mehr ändern, bis sie das Städtchen erreichten, das ihr Ziel war.
Sie hatten das Dorf, an dessen Rand sie Pause gemacht hatten, seit ungefähr zehn Minuten hinter sich gelassen, als vor ihnen eine Art Raststation auftauchte. Ein Sonnenschirm war dort in den schmalen Streifen Gras zwischen Weg und Acker gerammt, darunter standen zwei Kanister und ein Stuhl, auf dem sich Gläser und Tassen stapelten. Ein handgemaltes Schild warb für Limonade, es stand auch mit bunter Kreide geschrieben fünfzig Meter vorher auf dem Asphalt.