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Der Mann des Schicksals: Komödie in einem Akt Bernard Shaw - Die Erkenntnis irgendeines schrecklichen, gänzlich unerwarteten Irrtums hat sie jäh erschreckt, inmitten ihrer ruhigen Sicherheit und Siegesgewißheit. Im nächsten Augenblick steigt eine Blutwelle unter dem cremefarbenen Fichu auf und ergießt sich über ihr ganzes Gesicht. Man sieht, daß sie am ganzen Leibe errötet. Selbst der Leutnant, der für gewöhnlich ganz unfähig ist, zu beobachten, und eben im Aufruhr seiner Wut ganz den Kopf verloren hat, kann etwas bemerken, wenn man es ihm rot anstreicht. Da er das Erröten als das unfreiwillige Eingeständnis schwarzer, mit ihrem Opfer konfrontierter Verräterei auslegt, zeigt er mit einem lauten Schrei vergeltenden Triumphes auf siedann ergreift er die Dame am Handgelenk, zieht sie hinter sich her in das Zimmer, schlägt die Türe zu und pflanzt sich mit dem Rücken davor auf.)(Leutnant.) Habe ich dich erwischt, Bursche! Du hast dich also verkleidetwas? (Mit Donnerstimme:) Zieh diesen Rock aus!
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Seitenzahl: 83
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DER MANN DES SCHICKSALS
Komödie in einem Akt
Bernard Shaw
(Übersetztung von Siegfried Trabitsch)
Diese Komödie wurde zuerst unter dem Titel "Der Schlachtenlenker" veröffentlicht und aufgeführt.
Napoleon Ein Leutnant Eine fremde Dame Giuseppe Grandi, Gastwirt
Schauplatz der Handlung: Tavazzano, ein kleiner Ort auf dem Wege von Mailand nach Lodi.
(Es ist am 12. Mai 1796 in Norditalien, in Tavazzano, auf der Straße von Lodi nach Mailand; die Nachmittagssonne strahlt hell herab auf die Ebenen der Lombardei. Sie behandelt die Alpen mit Respekt and die Ameisenhügel mit Nachsicht und wird weder durch die sich sonnenden Schweine und Ochsen in den Dörfern belästigt, noch verletzt durch das kühle Verhalten der Kirchen gegenüber ihrem Licht. Verachtungsvoll lacht sie jedoch über zwei Horden schädlicher Insekten, nämlich der österreichischen und der französischen Armee. Vor zwei Tagen, bei Lodi, hatten die Österreicher die Franzosen zu hindern versucht, den Fluß auf der dort befindlichen schmalen Brücke zu überschreiten. Aber die Franzosen, befehligt von einem siebenundzwanzigjährigen General, Napoleon Bonaparte, der die Kriegskunst nicht versteht, überschritten dennoch die von feindlichem Feuer bestrichene Brücke, unterstützt von einer furchtbaren Kanonade, bei welcher der junge General selbst Hand anlegte. Das Schießen mit Kanonen ist seine technische Spezialität. Er ist in der Artillerie unter dem alten Regime ausgebildet und ein Meister in den militärischen Künsten, sich von seinen Pflichten zu drücken, den Kriegszahlmeister um Reisespesen zu beschwindeln und den Krieg mit dem Lärm and Rauch der Kanonen zu verherrlichen, der auf allen militärischen Bildern aus dieser Epoche zu sehen ist. Er ist jedoch ein origineller Beobachter und hat seit der Erfindung des Schießpulvers als erster herausgefunden, daß eine Kanonenkugel den Mann, den sie trifft, unfehlbar töten muß. Dem gründlichen Erfassen dieser bemerkenswerten Entdeckung fügte er eine höchst entwickelte Fähigkeit für physikalische Geographie und für die Berechnung von Zeit und Entfernungen hinzu. Er besitzt eine erstaunliche Arbeitskraft und eine klare, realistische Kenntnis der menschlichen Natur in bezug auf öffentliche Angelegenheiten, die er während der französischen Revolution nach dieser Richtung hin reichlich erprobt hat. Er hat Einbildungskraft ohne Illusionen, und schöpferischen Geist ohne Religion, Loyalität, Patriotismus oder irgendeines der landläufigen Ideale, obwohl er dieser nicht unfähig ware; im Gegenteil: er hat sie alle einmal in seiner Knabenzeit begierig eingezogen, und da er feine dramatische Fähigkeiten besitzt, versteht er sie mit der Kunst eines Schauspielers und Bühnenleiters äußerst geschickt auszuspielen. Dabei ist er durchaus kein verzogenes Kind. Armut, Mißgeschick, die Kniffe einer ärmlich zur Schau getragenen Eleganz, wiederholte Durchfälle als Autor, die Demütigungen eines zurückgestoßenen Strebers, die Verweise und Bestrafungen, die der untaugliche und unehrenhafte Offizier zu ertragen hat, haben das verhindert. Er entging sogar nur mit knapper Not der Strafe, aus dem Dienste gejagt zu werden. Wenn recht Auswanderung der Adeligen selbst den Wert des schuftigsten Leutnants zu dem Teuerungspreise eines Generals gesteigert hätte, würde er mit Verachtung aus dem Heere ausgestoßen worden sein. Alle diese Schicksale haben ihm jede Selbstüberschätzung ausgetrieben und ihn gezwungen, genügsam zu sein und zu begreifen, daß die Welt einem Manne seinesgleichen nichts gibt, was er ihr nicht mit Gewalt abringen kann. Hierin aber zeigt die Welt einige Feigheit und Dummheit. Denn ein erbarmungsloser Kanonier des politischen Kehrichts, wie Napoleon es war, ist der Welt von Nutzen. Man kann sogar heute nicht in England leben, ohne manchmal einzusehen, wieviel dieses Land dabei verlor, daß es nicht von Napoleon ebenso wie von Julius Cäsar erobert wurde.)