Der Mann mit den kalten Knien - Thomas Bahr - E-Book

Der Mann mit den kalten Knien E-Book

Thomas Bahr

4,7

Beschreibung

„Der Mann mit den kalten Knien“ ist das Debütwerk von Thomas Bahr und ein Musikroman. Verfolgen Sie ein spannendes Leben in der Nach-68er-Generation mit dem Soundtrack seines Lebens. „Der Mann mit den kalten Knien“ ist zu 100% autobiographisch und ein Schelmenroman in der Tradition von Henry Fielding. Angereichert um die hoffentlich lustig geratene Ebene eines sehr lieben, aber trotteligen Gotts, der schon mal den Gesamtüberblick über seine Schöpfung verliert. Wo kann das nur enden?

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Ich habe so viel aus meinen Fehlern gelernt … Ich denke darüber nach, noch mehr zu machen (unbekannt)

Inhaltsverzeichnis

Auftakt

Der große Lenker

Heike

The Name of the Game

Airport

Happy ending

Die Menschlinge verpfuschen Alles

Musik ist Trumpf

Das Frisurendrama

‚Welt der Erdlinge‘

Probelauf

Und nu?

Studium des Lebens

Voilá, Fronkreisch!

Hard times!

USA Today

Bella Italia

Back to school

De Bello Gallico

Lucy in the Sky with Diamonds

Lawrence Durrell und John Fowles treffen ein, Peter Peterman auch

Down Under

Ich werde überrascht

Psychosoziales Moratorium

Heaven must be missing an angel

Gewitterwolken

Living at home

Da wiehern ja die Pferde

Reklame

„Blamin‘ it all on the nights on Broadway“

Sturmflut

Fünf magere Jahre

Liberalitas Bavariae

Lost in Bavaria

Steel Bär

„Don’t let the sun go down on me“

Neustart

37.2 Big Bang

Abspann

1. Auftakt

Welche Richtung hat die Zeit? Nicht nur déjàvus lassen mich vermuten, dass der Zeitstrahl von links nach rechts nicht die ganze Wahrheit darstellt. Die Gleichzeitigkeit ist normal und verwirrend zugleich und auch das dichte Aufeinander von lustigen Vorfällen und dem blitzartigen Einfall von Wut, Streit und schlechter Stimmung.

Wie kann es zum Beispiel sein, dass ein eben noch so engelsgleiches Wesen zur gefühlskalten, unsensiblen Person mutiert? Die rosarote Brille ist ein Phänomen (R.R.B. ist eine heimtückische Krankheit – siehe auch unter studipedia. org im Internet), das zweifelsohne existiert und völlig blind macht für die in der „Mitte“ liegende Wahrheit. Ich habe bei allem Bemühen um verschiedene Blickwinkel immer wieder erlebt, dass sich Filter auf meine Wahrnehmung legen und dass intensive Erlebnisse, die nur wenige Augenblicke dauerten in meiner Wirklichkeit tiefe, lange Spuren und unauslöschliche Erinnerungen hervorrufen.

Die Konventionen eines zeitgenössischen Romans am Beginn des 21. Jahrhunderts verlangt jetzt, dass sich der Held in einer Umwelt der Jetztzeit vorstellt und durch Andeutungen verrät, dass er ein ganz besonderes Wesen ist. Mindestens aber eins, das wir aus den Klischees der einen oder anderen Fernsehserie wiedererkennen. Ich werde mich dem versuchsweise entschlossen verweigern, denn Fernsehserienhelden sind zumeist völlig verblödete Wesen. Remember, wir befinden uns am Anfang des 21. Jahrhunderts – sagen wir 2013. Die Jahreszahl ist so gut wie jede andere und ergibt in der Quersumme 6. Damit kann ich die bange Frage des Lesers bereits vorwegnehmen: ja, es wird gelegentlich auch Sex geben und somit in Cent umgerechnet auch ein ‚return on investment‘ für die 10,99 €, die Sie für dies Buch in der Paperback-Version ausgegeben haben.

In erster Linie ist dies jedoch ein ganz konventioneller Erlebnisbericht. Er berichtet von ganz klassischen boy meets girl – Geschichten. Und zwar welche, die völlig schief gehen – so, wie eben die meisten, was ich vermute, aber nicht weiß. In Europa, ob noch christlich, ob katholisch oder evangelisch, oder auch atheistisch, werden mehr als die Hälfte aller Ehen geschieden. Die Muslime oder vielleicht auch Buddhisten gestalten die Statistik um ein paar Prozente freundlicher, aus meiner Sicht aber bestimmt nicht ehrlicher. Die ganzen Beziehungen, die schon auf dem Weg zu dieser Zielgeraden gescheitert sind, sind gar nicht dokumentiert.

Fangen wir aber weit vorn an: ich bin sechs Jahre alt und mein Leben nimmt die erste völlig unvermutete Wendung. Aus dem gänzlich idyllischen Otterndorf (das gibt es wirklich und ja, es ist autobiographisch, weil mir partout kein Grund einfällt, bei diesem Thema zu schwindeln) an der Elbmündung rollt ein Umzugswagen nachHamburg. Das Einfamilienhaus wird eine 2 ½ Zimmerwohnung am nordwestlichen Hamburger Stadtrand. Die Innenstadt mit Rathaus, Alsterpavillon und Michel sind so weit weg, dass Michel (das bin ich) sie erst Jahre später sehen wird. Meine Welt besteht aus dem siebenstöckigen Hochhaus, in dem wir die Mittelwohnung in der sechsten Etage beziehen, dem davor liegenden „Park“, der bis zum Waschhaus führt und am anderen Ende zu einem Geschäft der heute längst nicht mehr existierenden Pro-Markt-Kette. Links davon geht es zur Grundschule und der Weg führt direkt am Wohnblock meines Schulfreunds Andreas vorbei. Leider liegt auf dem Weg auch die Querstraße, die den Erzfeind meiner ersten vier Schuljahre auf die gleiche Strecke führt. Rainer ist der Jüngste von zwölf Geschwistern, der beständig auf Ausschau nach Opfern für seinen Frust ist. Eine vierzehnköpfige Familie in einem 5-Zimmer-Reihenhaus schreit nach Ausgleich – ich hätte allerdings gut darauf verzichten können dieser Ausgleich zu sein. Nie wieder habe ich eine solch hirnlose Prügelmaschine kennen gelernt. Rainer ist schon mit sieben Jahren nur darauf aus, einfach um sich zu schlagen.

Ich bin phasenweise in den 3 ½ Jahren mit einem dicken Knoten im Magen zur Schule gegangen und, wenn es gut gegangen war, mit demselben schlechten Gefühl nach Hause gegangen. Irgendwann tauchte er immer mal wieder auf und verprügelte mich mit diabolischem Vergnügen – biszu einem Tag an dem der liebe Gott entschied, dass ich genug gelitten hätte. Wie aus dem Nichts tauchte Ingo auf und – ich weiß’ bis heute nicht, warum – sagte zu Rainer: „Verpiss Dich. Wenn Du meinen Kumpel schlägst, werde ich Deinen ältesten Bruder vermöbeln bis er aus dem Maul blutet.“ Eine größere Verunsicherung hätte Rainer nicht ereilen können. Sein ältester Bruder war neben seinem Vater die größte vorstellbare Autorität und dessen Unbesiegbarkeit stellte jetzt jemand in Frage. Natürlich war Rainer zu beschränkt, um im ersten Anlauf zu verstehen, dass er hier und jetzt seinen Meister gefunden hatte. Er versuchte, in dem er mich trotzdem attackierte, zu beweisen, dass er kein Feigling war. Ingo war so gut und hielt Rainer einfach fest und forderte mich auf, Rache zu nehmen.

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen und habe Rainer in den Magen geschlagen bis er sich winselnd auf den Heimweg machte. Ingo rief ihm noch hinterher, dass er sich bei erneutem Fehlverhalten schon auf die nächste Tracht Prügel einstellen solle und für mich war Ruhe bis zum Ende des vierten Schuljahres. Gottlob hatte Rainer offensichtlich sehr viel Respekt vor dem für ihn Unvorstellbaren.

Im Verlauf des vierten Schuljahrs stellte sich ein neues Problem heraus. Nach den ersten unschuldig-liebevollen Vorstellungen, die ich mir im Zusammenhang mit meiner Lehrerin, Frau Stenzel, machte, kam eine erste Verliebtheit zu meiner Mitschülerin Regina ins Spiel – und die wohnte nur 100m von Rainer und Co… Statt zu lernen, lief ich verhältnismäßig willenlos hinter Regina hinterher. Sie wurde in der fünften Klasse in der neuen Schule gegen Solveig ausgetauscht. Solveig schockierte mich damit, dass sie sich auf dem ersten Klassenfest ganz ungeniert mit ihrem Unterleib an meinem rieb und mir ins Ohr flüsterte, dass ich sie endlich küssen sollte. Das war an sich kein Problem, außer dass ich damals sehr in meine Mitschülerin Heike verliebt war.

2. Der große Lenker

Ha El langweilte sich, denn es war Sonntagabend und er hatte ausgiebig ausgeruht. So zappte er durch zahlreiche YouTube Channels und blieb schließlich in der ARD Mediathek hängen. Die Geschichte von Michel fiel ihm beim Vorspann der Krimireihe „Tatort –Die Heilige“ wieder ein und er musste kichern. Immer wieder hatte er putzige Exemplare der Menschenrasse ins Rennen geschickt, aber gelegentlich fiel ihm die Eine oder der Andere wieder ein und er erlaubte sich einen kleinen Scherz mit diesem Menschling.

Warum nicht, dachte er und schrieb den Plot in Michels Personendatei um. Er dachte dabei Worte in einer für Menschlinge unverständlichen Sprache und pfiff gleichzeitig das wunderbare Lied „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ vor sich hin.

3. Heike

Der „Kollege Zufall“ kommt mir sehr zur Hilfe als ich über eine Zufallsbekanntschaft meiner Mutter zum jugendlichen Kinokartenabreißer des Stadtteils avanciere. Also konnte ich es nach gefühlt sechs Wochen Anlaufzeit wagen, Heike ins Kino einzuladen?

Der Film war mir natürlich egal, aber ich wartete ab bis ein Film mit Überlänge ins Programm kam. Einladungen ins Kino waren nicht nur ein ganz eindeutiges Zeichen für den Versuch, Mädels in Dunkle zu locken, sondern auch mit der verzwickten Hürde behaftet, dass sich die Eltern des Mädchens erkundigen konnten, ob der Film ab 12 Jahren freigegeben wäre oder das die Vorstellung nicht mit dem Sonntagsprogramm der Familie zusammenpasste. Die FSK war streng in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts und es gab Filme, die sich selbstverständlich von allein disqualifizierten, weil schon das Plakat auf einen Liebesfilm hindeutete und das hätte Heikes Mutter ihrer 12 jährigen Tochter sowieso verboten. Oder gerade nicht? Eltern reagierten oft auf unvorhersehbare Art und Weise. Nun ja, schließlich fiel meine Wahl auf Ben Hur. Das ließ sich hervorragend auch als Abenteuerfilm verkaufen. „Hey, Heike, ääh, hast Du vielleicht Lust auf Kino nächsten Sonntag? Ich jobbe da jetzt in den Lichtspielen und kann Dich umsonst rein lassen.“ Heike lächelte auf diese Art, die mich immer ins Schwitzen brachte.

„Gern, Michel, aber allein ist langweilig. Kann ich Sabine mitbringen?“ Können zwei Sätze gemeiner sein? Nichts gegen Sa-11 bine, aber die Implikationen waren niederschmetternd. Was heißt hier allein? War ich etwa Niemand? Aus dem Fantasiebild vom heimlichen Händchenhalten wurde eine Vorstellung, die im besten Fall einem Bild wich, in dem ein Mädchen links und eins rechts von mir saß und die sich über mich hinweg unterhielten.

Mist, Heikes beste Freundin Sabine war schon im Nachmittagssportunterricht immer ein Störfaktor gewesen. „Klar, Heike, bring sie gern mit.“, war hingegen alles, was mir als pubertierendem Jungen einfiel und gesagt war, bevor ich richtig nachgedacht hatte. ‚Jetzt‘ war damals Mittwoch und ein Countdown begann, der mich noch gute 40 Jahre später in immensen Stress versetzt: Mutti nach Friseurgeld fragen, würde Irritationen auslösen nach dem jahrelangen Streit um die akzeptierte Haarlänge. Andererseits, fiel mir ein, Omas Geburtstag in zwei Wochen wäre ein guter Grund, den ich für den freiwilligen Coiffeurgang anführen könnte.

Dann die Outfit-Frage. Sei kein Mädchen überlegte ich mir, die Auswahl ist eh übersichtlich. Nur die rote Samtcordhose war nach meinem eigenen strengen Urteil annähernd cool genug, um lässig zu erscheinen und Sabine aus dem Feld zu schlagen.

Andererseits würde sich auch Herr Elbländer, dem die Lichtspiele gehörten, wundern, warum ich leuchtend wie ein Feuerwehrmann zum Dienst kam und seinen Ratschlag ignorierte, im Job eher zweckmäßig schmutzabweisende Sachen zu tragen. Schließlich gehörte es zum weniger glamourösen Teil meines Schülerjobs nach der Vorstellung Papier und andere achtlos weggeworfene Dinge aufzusammeln und den Saal ordentlich an Achim zu übergeben. Achim war aus meiner Sicht mehr als zu beneiden. Er war 18 und hatte ein Auto und durfte die richtigen Kinovorstellungen für Erwachsene machen. Aber jetzt nicht zu Uschi Glas und Brigitte Bardot abschweifen, dachte ich: konzentrieren. Ich sag Herrn Elbländer einfach, wir haben direkt anschließend eine Familienfeier und Mutti hat mir Sonntagsornat verordnet. Nicht überzeugend, aber besser als unvorbereitet.

Die Taschengeldlage war die nächste Tretmine in diesem selbst eingebrockten Thema. Eigentlich hatte ich vorgehabt, Heike am Süßwarenstand der Lichtspiele wie selbstverständlich zu einer Lakritzschnecke einzuladen und die 50 Pfennig später von meinem Lohn abziehen zu lassen. Andererseits wusste ich, dass Sabine, die bereits mit einem Jungen aus der achten Klasse der Nachbarschule ging, immer extravagante Ideen hatte und bestimmt auch gleich „Ich auch, bitte, Michel. Oder kann ich auch ein Eiskonfekt haben?“ sagen würde.

Die nächste Single, die ich schon fest im Visier hatte, „A hard day’s night“ (https://youtu.be/rqbXy0Jctk ) von den Beatles rückte an dieser Stelle in weite Ferne. Fünf Märker extra waren ein heftiger Preis, aber gut. Es sollte schlimmer kommen.

Der angenehmste Teil der Aktion war, dass auch die beiden besonders doofen Mitschüler Detlev und Peter aus meiner Klasse am Sonntag zu ‚Ben Hur‘ gingen und sichtlich beeindruckt waren, dass mit Heike und Sabine die zwei hübschesten Mädels aus der Klasse bei mir waren. Offiziell galten derart private Treffen zwischen Jungen und Mädchen außerhalb von Klassen- und Schulfest als schlicht nicht machbar, weil die Jungen dann hätten eingestehen müssen, dass sie die noch vor einem Jahr als uninteressant geltende Hälfte der Menschheit doch für salonfähig hielten.

Auch hatten wir alle schon von Tanzschulen gehört, in denen Jungen und Mädchen ZUSAMMEN zu megaunangesagter Musik Standardtänze übten. Das brachte Lachsalven hervor wegen der Musik und war gleichzeitig unvorstellbar, weil allein die Vorstellung von den dabei unvermeidlichen Berührungen zu verwirrenden Spontanerektionen führte.

An diesem Sonntagnachmittag in den Lichtspielen jedoch nicht. Nachdem ich Heike und Sabine zu unseren Plätzen geführt hatte, musste ich in den ersten Minuten der Vorstellung noch die Tonlautstärke regeln, weil die Trailer für kommende Highlights immer eine viel lautere Tonspur als der Hauptfilm hatte. Gutgelaunt schlich ich während des Ben Hur-Vorspanns zu unseren Plätzen, um was zu sehen? Heike und Sabine hatten sich natürlich nebeneinander gesetzt und auch noch so, dass der dritte Platz neben Sabine frei war.

Ich kann heute sehr darüber lachen, hatte aber damals nach drei Stunden immer noch geballt schlechte Laune und verabschiedete mich eher wortkarg von den Mädels, nicht ohne den Versuch, hierbei eine souveräne Lässigkeit auszustrahlen. „Bis morgen dann, Mädels. Muss hier noch weiter machen. Ich hoffe, Euch hat der Film gefallen.“ Sabine murmelte irgendetwas wie „Blödes Wagenrennen und das Auspeitschen der Pferde, nein, das fand ich brutal, oder Heike?“ Wenigstens war Heike höflicher und sagte: „Michel, ganz tolle Idee. Mir hat der schöne lange Film ein langweiliges Kaffeetrinken mit der ganzen Familie erspart. Dank Dir schön und wir sehen uns Montag.“

4. The Name of the Game

Ha Els Kichern wurde immer lauter. Wie blöd sich doch diese Menschlinge immer anstellen, wenn sie geschlechtsreif werden. Das hab ich bei den Vierbeinern besser gemacht. Einmal im Jahr überkommt es sie und die meisten Balztänze sind bedeutend interessanter als diese verklemmten und gehemmten Rituale. Und später sah es bei den Karnickeln auch authentischer aus – auch wenn sich viele männliche Menschlinge ähnlich schnell entluden.

Selbst schuld, dass viele Menschen das Märchen mit dem Apfel für bare Münze nahmen, dachte er andererseits. Ihnen diesen Floh ins Ohr zu setzen, dass sie auch denken konnten und das dieses Denken auch gleich zur praktischen Selbstzerstörung führte. Hmm, und diese kleine Gruppe Weibchen und Männchen, die er als 2.0 Nachfolgemodell zur Verbesserung der Verhältnisse auf der Erde vorgesehen hatte, haben es eigentlich noch schlimmer gemacht. Mittlerweile fummelten die schon derart dreist in seinem Konzept herum, dass er schon mehrfach vorgehabt hatte, diese fast 9 Milliarden Spielfiguren alle abzuräumen und etwas ganz Neues zu erfinden.

Immer wieder neue Plagen und Konflikte ausdenken oder schon wieder eine Spezies, „die sich die Erde Untertan machen soll“ war natürlich eine verlockende Aussicht. Aber schließlich hatte er die Menschlinge selbst verbockt und sie hatten ja durchaus das Bestreben sich zu bessern …

Große Müdigkeit überkam ihn und so beschloss Ha El seine Entscheidung nochmal für 1.000 Menschenjahre aufzuschieben. Nach dem Schläfchen würde er eine zweite Partie ‚Welt der Erdlinge‘ mit einem anderen Online-Mitspieler anfangen. Wenn die Partie dann nicht ganz so verfahren wäre, würde er heimlich einige Figuren tauschen. Genau, guter Plan, dachte er und fing wieder „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“ zu summen an.

Als er nach ein paar durchaus sonnigen Träumen wieder gut gelaunt und munter aufwachte, waren auf seinem „Spielbrett“ zehn Jahre vergangen und allerlei Chaos von den Menschlingen angerichtet worden. Er schrieb sich eine Notiz, dass er nicht wieder vergessen durfte, die Pause-Taste zu drücken.

5. Airport

„Das hab ich nicht bestellt!“ brüllte ich dem Kellner Hans in meiner Lieblingsdisco Airport ins Ohr. „Schon klar, der Persiko kommt von der Rothaarigen und ihrer blonden Freundin da drüben.“ schrie Hans zurück, weil die Anlage mit gut 120 db den Underground-Hit „The Faith Healer“ von der ‚The Sensational Alex Harvey Band‘ (https://www.youtube.com/watch?v=2u3Cg2oiess) auf die Tanzfläche übertrug, auf der sich kaum mehr als 10 Menschen jeweils selbst betanzten.

Wallende Mähnen, die für übersichtliche Blickfelder sorgten und dezent verspiegelte Wandflächen, in denen das Stroboskop-Gewitter für schaurig-schöne Ein- und Ausblicke sorgte, waren Mitte der 70er Jahre schwer angesagt. Während ich also überlegte, was zu tun war, sah ich zum Einen, dass sich unter dem weißen Top von Erika (wie sich später herausstellte) ein roter BH befand, der mit ihrer Haarfarbe korrespondierte und musste mich zu irgendeiner Reaktion entschließen.

Ich hob das Glas unbestimmt in ihre Richtung, prostete ihr zu und überlegte, wie ich ein möglichst freundliches, aber nicht zu überschwängliches Gesicht ziehen sollte. Der Persiko traf die Entscheidung gleichsam für mich, denn diese Geschmacksverirrung der 70er hat einen ähnlichen Effekt wie der erste Ouzo, den ich Jahre später auf Kreta trinken sollte. Außerdem fragte ich mich, wie viel Promille wohl so ein Drink verursacht. Mein Käfer stand vor dem Airport und sollte schon deshalb nicht da stehen bleiben, weil sich neben der Disco ein Gebrauchtwagenhändler aus dem Iran angesiedelt hatte.

Die Ajatollahs fuhren ja auch noch mit den importierten Amischlitten, die in der Schah-Zeit en vogue gewesen waren. Kurz, ich hatte Angst um meinen 40 PS-Käfer und wollte auch den frisch erworbenen Führerschein nicht schon nach einem halben Jahr verlieren. Diese politisch unkorrekten Überlegungen führte ich allesamt auf der Tanzfläche durch. „Fly like an eagle“ (https://www.youtube.com/watch?v=cdB9lTUyshM) wurde jetzt von der Steve Miller Band gespielt. An Hans rudernden Armbewegungen in meine Richtung konnte ich sehen, dass er mich wieder sprechen wollte. Ich schlenderte also zum Tresen und konnte im zweiten Anlauf etwas wie „geh doch mal rüber zu der, ich soll Dir noch einen ausschenken“ verstehen.

Meine aufsteigende Panik konnte ich gerade noch durch meine blonde Lockenmähne kaschieren. ‚Michel, womit hast Du das verdient. Jetzt heißt es ruhig Blut wahren und Bäckchen zusammen kneifen. Bestimmt beobachten Dich alle 50 Anderen an der Bar schon‘ So ging der innere Monolog als ich - mit einem frischen Drink von Hans ausgestattet - auf Erika zuging. Sie lächelte mich innig an, prostete mir zu und stellte - alles in einer fließenden Bewegung- mir auch noch ihre Freundin Angela vor. Da diese einschneidende Begegnung lange vor „was geht ab?“ stattgefunden hat, wird etwas ähnlich Belangloses gefallen sein. „Wollen wir noch woanders hin?“ fragte Erika irgendwann und ich war erleichtert, dass ich nach dem zweiten Drink und einem Wasser das Feld räumen konnte und der Käfer vom Hof des Gebrauchtwagenhändlers kam. Außerdem fing ich immer wieder ein süffisantes Grinsen von Hans auf, der sich offenbar sehr freute, dass seine Gäste miteinander ins Gespräch kamen. ‚Hö, hö, hö‘, dachte ich und nahm mir fest vor, auch schmierig zu grinsen, wenn Hans demnächst wieder von einer drallen Landpomeranze aus Pinneberg angeflirtet würde.

Kaum sprang der Käfer an und die Mädels hatten sich auch auf Rückbank und Beifahrersitz verteilt, fiel mir ein, dass ein Ziel auch nicht schlecht wäre. Sie schlugen den ‚Schwarzen Kater‘ vor. Dort war ich noch nie gewesen, aber in der Rock-Szene zu der ich als Schlagzeuger meiner Jungstudentenband gehörte, hielt sich hartnäckig das Gerücht, der ‚Schwarze Kater‘ wäre eine Lesben-Disco. Wahrscheinlich hatte ich jetzt wieder so ein Erlebnis der dritten Art. Zwei Persikos sind günstiger als ein Taxi von Altona zum Kiez überlegte ich, während Erika mir eine Hand aufs Knie legte und vermutlich Vergnügen an meinem verdatterten Gesichtsausdruck hatte. Mein Blut musste sich entscheiden zwischen Hirn und Hose, so dass natürlich ein unentschiedener Kompromiss herauskam, ich aber wenigstens fehlerfrei den Käfer zum ‚Schwarzen Kater‘ fuhr. Drinnen war vor Qualm erst mal wenig zu sehen. Ich wurde weiteren Bekannten von Erika und Angela vorgestellt, darunter beruhigenderweise auch mehrere Jungs. Langsam taute ich auf und trank noch eine Cola, die man wenigstens auch für einen Whisky-Cola halten konnte, wenn man das Glas geschickt in die Nähe einer der zur Innenausstattung gehörenden Schirmlampen stellte.

Nach einer Stunde Tanzen und munterem Geplausche wollte ich nach Hause. Halb eins war bei Hans Albers die Stunde der Stunden, aber die erste Vorlesung startete um 10.15 Uhr, oder wie es an der Uni hieß 10.00 Uhr c.t. Latinum habe ich erst später nachgeholt und fand es damals noch ziemlich albern. Die Chauffeur-Idee verfestigte sich, denn die Mädels griffen zügig zu ihren Handtaschen und wollten mit. Da ich aus Gründen der Coolness keinesfalls zugegeben hätte, noch zu Hause bei den Eltern zu wohnen, auch wenn die im Urlaub waren, fragte ich also, wohin ich sie bringen durfte. Der nächste Schock folgte als die Beiden sagten, Hermann-Hesse-Straße 51. Das war sowohl mein damaliger Lieblingsschriftsteller als auch nur 4 km von mir entfernt und sie wohnten beide dort. Und – noch ungewöhnlicher um die Uhrzeit – es gab eine Parklücke vorm Haus. Angela musste, um den Käfer vor Erika zu verlassen, ihre Freundin quasi an die Frontscheibe drücken und flötete, dass sie schon mal vorginge.

Erika wollte Knutschen, was mir einerseits recht war, andererseits war Angela eigentlich eher mein Typ. Irgendwann meldeten sich widersprüchliche Signale und so musste Erika nach zehn Minuten den Vorschlag machen, noch auf einen letzten Schluck mit hoch zu kommen. Angela saß mittlerweile in der WG-Küche im Pyjama und hatte noch eine Flasche Rosenthaler Kardaka geöffnet und beobachtete amüsiert, dass ihre Freundin erfolgreich im Nahkampfmodus war. Sie schenkte uns auch ein und ich dachte letztmals an diesem Abend an Alkohol und Führerschein, denn Erika flüsterte mir bereits in Ohr, dass sie mir gleich das Schlafzimmer zu zeigen gedächte.

Die drei Minuten im WG-Badezimmer lass ich mal aus, denn schon im Flur sah ich, dass die Küche mittlerweile dunkel war und nur noch Licht aus einer halb geöffneten Tür schien. Nicht nur war mir das noch nie passiert, sondern ich ging beherzt in dieses Zimmer hinein. Dort wurde ich eines klassischen Doppelbetts angesichtig, in deren rechten Hälfte Erika schon nackig lag und mir die Decke hochhielt. Wenige Sekunden später war ich ebenfalls nackt und lag neben ihr. Die Überraschung war komplett gelungen als Angela den Kopf aus der zweiten Decke herausstreckte.

„Wir hoffen, das macht Dir nichts aus, Michel“ war ihr einziger Satz bevor sie wieder unter die Decke abtauchte. Ich finde auch heute noch, dass für 10,99 € hier schon Sex genug angedeutet ist. Die Realität gibt mir natürlich nicht recht, wenn ich morgens die ‚BLIND‘ beim Bäcker durchblättere.

Meine damalige Schüchternheit und Naivität hat sich inzwischen gewandelt und ich bin nur noch naiv, wenn ich mich verliebe. Wobei ich damals sicher Ursache und Wirkung verwechselt habe. Heftig verliebt war ich in Beate aus der evangelischen Mädchenjungschar, die wiederum mit Theo aus der evangelischen Jungenjungschar ging, weil er das schnellste Kleinkraftrad hatte und auch sonst schwer in Ordnung war. Während wir anderen Jungs typische Gymnasiastenhobbys hatten und unsere Schulband schleppende musikalische Fortschritte machte, hatte Theo schon seine Lehre als Elektroniker oder Installateur absolviert und sparte auf einen Renault Alpine. Als der dann endlich da war, hab ich ihn aus den Augen verloren, denn er hatte sich als Roadie für unsere freundschaftlichen Konkurrenten der Band „Eintopf“ entschieden. Freundschaftlich ist nicht ganz richtig, denn aus heutiger Sicht, gab es schon Erlebnisse, die bis heute kleine Narben hinterlassen haben.

6. Happy ending

1. Januar 1972. Was immer da los war, verstehe ich auch heute noch nicht. Tatsache ist, dass als an einem Neujahrsnachmittag gegen 15 Uhr die Klingel läutete, ich in meinem Zimmer keinen Grund hatte zu vermuten, einer meiner im Afri-Cola Rausch gegen 2 Uhr zurückgelassenen Freunde wäre schon wieder auf dem Damm. Umso überraschter war ich, als es auf einmal klopfte und Beate ihren Lockenkopf durch die Tür steckte.

Sie strahlte mich so sehr an, dass ich mich ganz spontan freute und froh um die weit geschnittene Jeans war, die ich anhatte. Ich begrüßte Beate deshalb lieber aus der Distanz, die sie jedoch entscheidend verkürzte und auf meine mit einer Tagesdecke abgedeckte Bettstatt kam. Diese Decke erinnerte latent an eine kürzlich erlegte bunte Kuh aus dem Schleswig-Holsteinischen, die bei der Flucht vor dem Melker dem Jäger vor die Flinte gelaufen war. Zottelig, braun-weiß und dennoch kuschelig war sie zudem ideal, um stundenlang Musik zu hören und davon zu träumen, die Welt jenseits von Hamburg-Eidelstedt kennen zu lernen. Nicht den Hauch eines Zweifels hatte ich, dass dies auf den Bühnen der Welt als gefeierter Rock-Drummer mit Jochen, Markus und Nick stattfinden würde.

Gut, bei den Namen der beiden deutschen Gitarristen sahen wir Nachbesserungsbedarf, weil damals alle deutschen Bands englische Musik nachspielten und die wenigen Ausnahmen machten entweder Instrumentalrock mit psychedelischem Einschlag oder waren Schlagersänger, die kaum zu ertragen waren.

Dieter-Thomas Hecks ZDF-Hitparade, so war die Mehrheitsmeinung, war das Brechmittel, das den Samstagabend vor dem Ausgehen zu einer Tortur machte. Die leuchtenden Augen von Mutti, wenn Udo Jürgens auftrat, irritierten mich zusätzlich und wenn der Wahnsinn seinen Lauf nahm, folgte um 20.15 Uhr die Peter Alexander Show und Anneliese Rothenberger trat mit Rudolf Schock im Duett auf.

Ich bin erst vor Kurzem wieder entsetzt gewesen, dass ich die meisten Melodien noch heute mitsummen kann und schlagertextsicher bei den gröbsten Ausfällen der musikalischen Nachkriegsbewältigung bin. Heimlich und leicht angeekelt war ich schon damals, dass ich „Wähle 333 und Du hast mich schon“ von Graham Bonney (https://www.youtube.com/watch?v=H7PeCbbBSWw verwirrter Engländer, der deutsche Schlager sang und zu meiner festen Überzeugung beitrug, dass nur Engländer und Amerikaner Musik machen konnten) und Ricky Shayne (der durch ein durch und durch erotisches Rüschenhemd nachhaltigen Einfluss auf meine modische Orientierung nahm und auch irgendetwas dazu sang wie „Ich sprenge alle Ketten“) eigentlich ganz gut anzuhören waren.

Mutti stellte mich unwissentlich und unabsichtlich gern mit der Geschichte aus Otterndorf bloß, in der ich mit 4 ½ Jahren im Cowboy-Kostüm im Innenhof unseres Hauses stand und statt mit Platzpatronen auf imaginäre Indianer zu ballern, den Bauarbeitern, die auf dem Nachbargrundstück das Gebäude der neuen Druckerei der Niederelbe-Zeitung errichteten, die Arbeit mit meiner Version des Schlagers „Liebeskummer lohnt sich nicht, my darling. Schade um die Tränen in der Nacht“ (https://www.youtube.com/watch?v=mUUJxMiznfc) erschwerte.

Donnernder Applaus mit Maurerkellen auf Gerüststangen geklopft, waren der Lohn für meine Darbietung und Mutti war total begeistert über mein musikalisches Talent. Hätte ich damals annähernd verstanden, was ich sang und dass dies den lieben Gott dazu verleiten könnte, mich reichlich von der besungenen Suppe auslöffeln zu lassen, hätte ich wahrscheinlich „Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehen“ geträllert und mich dem eigenen Geschlecht zugewandt.

Dazu gab es schon in früher Kindheit eine Gelegenheit, die ich allerdings im Unterschied zu Mutti und Tante Inga nicht bedeutsam fand. Mein Freund Walter, war in einem unbestimmten Alter jenseits der Zehn und deshalb war es eine große Ehre, dass er sich mit meinem Kumpel Frank, dessen Vater die Niederelbe Zeitung gehörte, und mir abgab.

Wolfgangs Mutter betrieb am Otterndorfer Markt gegenüber von der beeindruckend großen Kirche das Strick- und Kurzwarenfachgeschäft ohne welches keine deutsche Kleinstadt in den 60ern auskommen konnte. Otterndorf hatte im Stadtzentrum, zu dem auch mein Geburtshaus Küsterstraße 8 gehört, alles, was die Beatles zehn Jahre später in „Penny Lane“ besungen haben (https://youtu.be/PfNjwfbyOLM) und ZUSÄTZLICH einen Teppichladen.

Jahrzehnte bevor diese Fachhändler durch Dieter Bohlen in Misskredit gebracht wurden, war das Teppichgeschäft Danzer in Otterndorf unser Synonym für Wohnlichkeit der frühen 60er. Der Chef fuhr einen orangefarbenen Ford, der nicht immer ansprang. Eines Tages nach einer gehaltvollen Mittagsmahlzeit seinerseits durfte ich sein Auto mit anschieben und das hatte tatsächlich den gewünschten Erfolg. Noch bevor er Gas geben konnte, riss ich die Beifahrertür auf, schmiss mich quer zur Fahrtrichtung auf den Sitz und war auf der ersten Autotour meines Lebens!

Hin und her gerissen zwischen moralischer Verpflichtung, mich wieder abzusetzen und den Motor wieder absterben zu lassen, entschied sich Herr Danzer dafür mobil zu bleiben. Wie sich abends herausstellte, hatte er Recht mit der Vermutung, dass das keine sehr gute Idee war. Mutti war völlig aus dem Häuschen, nur weil ich zwei Stunden nicht zu finden war. Wüste Vermutungen, die sie mit Tante Inga und der Mieterin der zweiten Erdgeschosswohnung, Frau Grothusen, diskutierte, waren mir völlig unverständlich. Herr Danzer kam für mich in der Stadthierarchie gleich nach dem Pastoren, der mich sonntags zwischen 9.30 Uhr und 11.00 Uhr beaufsichtigte, damit Mutti und Papi für ein Geschwisterchen sorgen konnten. Also, um das klar zu stellen. Herr Danzer war total cool und hat mir zwar gelegentlich eine Kugel Eis spendiert, aber immer die Finger bei sich behalten.

Nicht so ganz Freund Walter. Der hatte wegen der Wirtschaftskraft seiner Mutter immer die neuesten Matchbox-Automodelle und lud Frank und mich oft ein, um mit den Autos zu spielen. Irgendwann kam er dann mit der Idee rüber, wir müssten kleine Prüfungen bestehen, damit wir mit den interessanteren Gefährten wie Panzern, Traktoren und Lastwagen spielen durften.

Da der Speicher in seinem Elternhaus zu einem wahren Kinderparadies ausgebaut war, um ihn aus dem Strick- und Kurzwarenfachgeschäft fern zu halten, hatte Walter freie Bahn um seine kurzfristig ausgebrochenen homoerotischen Tendenzen mit uns Autonarren auszuleben. Nicht gerechnet hatte Walter damit, dass ich Muttis Ansage immer die Wahrheit zu sagen, wörtlich bis heute zu befolgen versuche und nicht nur ihn, sondern auch mich selbst damit immer wieder in Schwierigkeiten bringe. Am fraglichen Nachmittag mussten Frank und ich an uns selbst rumspielen bis wir eine kindgerechte Erektion hatten und dann ein kleines Sandeimerchen mit dem Griff drüber hängen.

Walter hat dann, nein, das nicht, liebe Leser, das bleibt ein Betätigungsfeld für den Klerus, er hat uns Schaufel für Schaufel Sand in den Eimer gefüllt, um zu sehen, was der kleine Schwanz so alles tragen kann. Durch aus meiner Sicht völlig beglückende Siegesgefühle, weil ich die halbe Stunde geschafft hatte, kam ich in die Küsterstraße 8 zurück und platzte förmlich mit der Geschichte heraus als ich mit Mutti und Tante Inga in der Küche saß und das Abendbrot aß.

Verwundert bekam ich irgendwann den ungewöhnlichen Schnappatem von Tante Inga mit, die nur herausbekam: „Und was hat er dann gemacht?“

„Na, als ich gewonnen hatte, durfte ich ne ganze halbe Stunde mit dem Trecker spielen.“, triumphierte ich und war langsam ärgerlich, dass ich unterbrochen wurde.

Ansonsten war es üblich, dass den beiden Damen nach dem täglichen Abenteuerbericht eher beifällige Bemerkungen entfleuchten, die mich in der Rolle des Herren im Hause bestärkten, weil Papa unter der Woche in der für mich exotischen Großstadt namens Hamburg arbeitete und immer freitags anrückte, um Wochenendurlaub mit uns zu machen.

Aber nein, gleich nachdem Tante Inga in ihrer Wohnung im ersten Geschoss verschwunden war, um sich für das Treffen mit ihrem „Freund“ Willi aufzuhübschen, gab es ein ernstes Gespräch mit Mutti. „Also, Michel, Du musst mirversprechen, dassDuWalterNIEwiederFritzizeigst.“Fritzi war der, wie ich heute weiß, eher ungewöhnliche Name, den sich Mutti für meinen Schwanz ausgedacht hatte. Das hatte aus ihrer Sicht den unschlagbaren Vorteil, auch in der Öffentlichkeit auf heikle Fragen meinerseits antworten zu können. „Mutti, Fritzi juckt, obwohl ich ihn schon lange zurück gejuckt habe.“, konnte natürlich unverdächtig mit „Den waschen wir, wenn wir wieder zuhause sind“ beantwortet werden. Nachbarin Grothusen oder Andere dachten dabei natürlich an den Hauskater mit gleichem Namen.

Ich lass Otterndorf jetzt mal für eine Weile ruhen und komme zu dem Neujahrsnachmittag zurück, etwa 10 Jahre später als Beate plötzlich auf meinem Bett Platz nahm. Neben der Stereoanlage hatte mein Zimmer auch einen Schwarz-/Weiß-Fernseher zu bieten, der allerdings durch seinen leuchtend orangefarbenen Plastikrahmen schon damals ein gewisses Kultpotential aufwies.

Selten hat mich ein Nachmittag und Abend so langanhaltend verwirrt und mein Verhältnis zu Frauen an sich langfristig positiv beeinflusst. Das Mädel hatte auf einmal ein dermaßen großes humoristisches Talent und wegen ihres stark aufgetragenen Parfüms ‚Obsession‘ einen erotischen Magnetismus, dass ich jegliche jugendliche Schüchternheit abgelegt habe und ihr immerhin schon nach einer Stunde der verbalen Pirouetten meine schon immer empfundene Zuneigung gestehen konnte.

Völlig fertig war ich als Beate sagte: „ Ich dachte immer, Du stehst auf Anja W., sonst hätte ich mich doch nie mit Theo eingelassen. Der kratzt immer so und sein orange-rotes Haar sieht auch nicht so gut aus, oder?“ „Nein, natürlich nicht, Beate. Ich hab nie was mit Anja Wahnwitz angefangen (was sicher auch Beate richtigerweise mit ‚Anja hat ihn nie gelassen ‚übersetzt hat), weil die immer vor den AKN-Schienen bei ihrem Elternhaus so verkrampft wurde (was im Klartext hieß, dass die Hände immer auf dem Pullover bleiben mussten).“

„Dann sieh Dir meine mal genauer an“, sagte Beate einfach nur und zog sich den Pullover über den Kopf. „Hier ist es schön warm und ich will Deine Hände spüren.“ Das war eine Reizüberflutung und sicherlich eine der schönsten Jahresauftakte, die ich jemals erleben durfte. Das Lowlight des Nachmittags war, dass Mutti gegen 17.30 Uhr fragte, ob Beate zum Essen bleibt.

Selten war ich so geistesgegenwärtig mit so wenig Blut im Hirn, als ich ihr durch die Tür zurief: „Ja, Mutti, auf jeden Fall, aber wir essen lieber allein hier im Zimmer.“ Und selten habe ich meine Mutter mehr für Ihren Takt bewundert, denn sie stellte uns ein Tablett mit Schnittchen und Multivitaminsaft vor die Tür.

Gleich nach Schnittchen und Saft gab es die bestimmt dritte Fernsehausstrahlung des Klassikers ‚Harold and Maude‘, die wir uns als Geräuschkulisse gönnten, während ich herausfand, wie ich mit Zunge und Lippen Beates Nippel zum Stehen bringen konnte und ihren Mund zu wunderbarem Stöhnen verführen konnte. Sie hat ganz selbstverständlich mit ihrer Hand über meine Hose gestrichen und sie dann hineingleiten lassenund nahm meinen Schwanz durch den Slip in die Hand.

Gerade als Harold im Film den Fake im Leichenwagen spielt, kam ich mit Wucht und wir mussten ob der Skurrilität schallend lachen. Das Bemerkenswerte war die Einmaligkeit unseres ‚heavy pettings‘. Keine Wiederholung nach dem 1.1. Beate war noch eine Zeit mit Theo zusammen, lernte dann im Drogenrausch einen zehn Jahre älteren BMW-Fahrer aus Oststeinbek kennen und driftete ab. Ich habe sie noch eine ganze Zeit als Freund begleitet und dabei ihre Mutter kennen gelernt, die lange Abende, wenn ihr Mann auf Dienstreise war, mit mir über die Gewalt in ihrer Ehe sprach und ich verstand, dass vielleicht besonders harmlos ausschauende Beamtentypen mit korrekt aussehenden Brillen die größten Gewalttäter sein können. Beate und ihre Mama sind daran verzweifelt.

Ich habe kurz überlegt, ob ich die Schule schmeißen soll und mit Mama-Beate durchbrennen soll und Beate und ihren Bruder adoptieren soll, aber irgendwie kamen wir von diesem Plan ab.

Das hatte mit Sicherheit viel mit meinem Geschichtslehrer Joachim Madsen zu tun. Optisch eine junge Ausgabe von Julius Cäsar und politisch ein Vertreter der 68er Bewegung, lebte er mit einer optisch gereiften Frau an der Hamburger Elbchaussee. Mindestens fünf Zimmer und fünf Meter Deckenhöhe, aber im proletarischen Altona, gut 5 Kilometer vor Blankenese.

Joachim war mein Geschichtslehrer und schaffte es mühelos, einen Bogen von den griechischen Freidenkern zum römischen Staatswesen zu schlagen und hat nach wenigen Monaten Jochen und mich aus seiner siebten oder achten Klasse zu sich eingeladen. Da ging nun eine Welt auf, die sich zum Glück nie wieder verschlossen hat.

Eine Hausbibliothek wie ich sie auf ganz andere Art nur aus Filmen kannte und dazu fünf Meter Reclam-Bände über alle Epochen, die man sich vorstellen kann. Der Gipfel aber war, dass wir zwei Jungs das untrügliche Gefühl hatten, er nimmt unsere Meinung ernst. Wir sprachen mit einem LEHRER, der den Namen verdient. Wir konnten lernen und völlig frei sagen, was wir denken. Seine Freundin war jetzt nicht dermaßen fasziniert von unseren Gesprächen, sondern beteiligte sich nur während des Abendbrots, bei dem wir französischen Boursin-Käse auf Baguette und andere mediterrane Köstlichkeiten serviert bekamen. Als Krönung des Abends ging Joachim irgendwann während des Essens zum Plattenspieler und legte ohne Vorwarnung den „Longplayer“ der „Faces“ auf.

Die ersten Takte von „Bad ‚n‘ Ruin“ werde ich nie vergessen. (https://youtu.be/JZqWXE7nOM) Sie elektrisieren mich noch heute, denn sie sind eine Fanfare des Blues, wie ihn nur Leute spielen können, die ihn ganz tief empfunden haben. Natürlich Ron Wood an der Gitarre und als der Sänger der Faces, Rod Stewart, die erste Zeile singt oder eher schreit: „Mother, don‘t you recognise your son?“ war eine Liebe geboren, die bis heute anhält. Der viel zu früh an seiner grausamen MS zugrunde gegangene Bassist Ronnie Lane singt auf dieser Platte die Paul Mc Cartney- Nummer „Maybe I’m amazed“ (https://youtu.be/SLhoLkTyNkM) mit einer so großen Intensität,die genau meine neugierige Naivität ausgedrückt hat und wenn dann die Stimme ab der dritten Strophe zu Rod Stewart wechselt, ist es spätestens geschehen: Gänsehaut pur.

Die ganze Band steht in Reihe 3 der Hamburger Musikhalle als die „Faces“ endlich nach der uns nur nervenden Vorgruppe„Strider“aufdieBühnekommen(ihrGitarristwird übrigens später ständiges Mitglied von Rods Soloband).

Kritiker, die verbal an ihrer selbst so empfundenen Wichtigkeit fast erstickten, gab es auch für Rock-Musik. Und so sind die Faces immer wieder für ihre Spontaneität, ihren unfertigen Garagen-Sound und ihre zahlreichen Verspieler bei Live-Konzerten verrissen worden. Nichts, aber auch gar nichts begriffen, Jungs.

Die hatten SPASS und die Party ging auf der Bühne einfach weiter, ob nüchtern oder betrunken. Die Auftritte haben dennoch einen festgelegten Ablauf, aber es wird improvisiert und um jeden einzelnen Fan gekämpft. Mal liegt Rod nach gekonntem Schlusssprung auf dem Flügel und singt dabei weiter, dann wieder jagt er wie ein Derwisch vom linken zum rechten Bühnenrand und bietet den Leuten aus seiner Flasche ‚Teacher’s Whisky“ einen Schluck an und kickt mit Schottland-Schal um den Hals Fußbälle als Geschenk in die Menge.

Nur bei „Maybe I’m amazed“ wird es feierlich ernst und Feuerzeuge werden gezückt. Die Band wird vorgestellt, bittet um Fürbitte für Ronnie Lane, der jetzt schon so schwach ist, dass ihn Tetsu Yamauchi für die Tourneen am Bass ersetzen muss. 25 Jahre später rührt mich vielleicht noch mal annähernd ein Stück von R.E.M. auf ähnliche Art und Weise: „Everybody hurts“ (https://youtu.be/ijZRCIrTgQc ), aber eben nur fast und schon gar nicht von Amys Version an der Harfe in ‚The Big Bang Theory‘. (https://youtu.be/rbDRxxlszjQ)

Eine der ganz großen Momente dieser urkomischen Serie, die ich nur in der deutschen Synchron-Fassung kenne, die aber so großartig menschlich ist, dass ich mich immer kugeln muss. Kurze Gedenkminute für den Executive Producer Chuck Lorre und ein großes Dankeschön. Nie hat eine Sitcom so viel über die menschlichen Schwächen und Eitelkeiten verraten und ist dabei so voller Liebe für die menschlichen Versager geblieben. Ich wünsche mir dann immer, dass ich auch so vergebend sein kann und nur das Gute im Menschen sehen kann. But nobody‘s perfect, gell?

Wahrscheinlich sind die meisten von uns bei ‚2 Broke Girls‘ besser aufgehoben und Caroline ist allemal noch schärfer als Penny. Oder doch anders herum? Wie schaffen die das immer wieder Figuren zu schaffen, die mich hoffen lassen, dass es Mädels mit einem „heart of gold“ gibt? (https://youtu.be/Eh44QPT1mPE )

Das bringt mich unvermittelt zurück in die Schule. Irgendwann zwischen ‚Faces‘ bei Joachim und der zehnten Klasse tritt Jolina in mein Leben. Sie ist eine polnische Englischehrerin, die zum Teil in UK aufgewachsen ist und bei uns ein Zusatzangebot „conversation“ gibt. Da Jolina vermutlich auch nicht weiß, was Schüler in der Pubertät heiß macht, kommt sie auf den coolen Gedanken, einfach das zu behandeln, was sie selber bewegt. „A heart of Gold“ ist die Hitnummer auf dem „Harvest“-Album von Neil Young. Fast jede Nummer ein Aufschrei einer zutiefst gepeinigten Seele, die seit Woodstock nicht mehr für längere Zeit vom LSD-Trip heruntergekommen ist und immer zwischen zärtlich poetischen Folkrocknummern und megaagressiven Abwehrübungen wie „Like a hurricane“ hin und her schwankt. (https://youtu.be/2gd2KXbhq3o)