Der Mensch auf dem Meeresboden - Siegfried Lenz - E-Book

Der Mensch auf dem Meeresboden E-Book

Siegfried Lenz

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Beschreibung

"Ich gestehe, ich brauche Geschichten, um die Welt zu verstehen." Die Vielfalt der Themen und die Entwicklung eines unvergleichlichen Stils treten in den Erzählungen von Siegfried Lenz deutlich hervor. Brillant verdichtet er auf engstem Raum und mit außerordentlicher Intensität Situationen und die Gefühlswelten seiner Figuren. In der Tradition der deutschen Novelle, der russischen Erzählung und der angelsächsischen Kurzgeschichte stehend, hat Siegfried Lenz die kurze Form zu einer in der Gegenwartsliteratur beispielhaften Meisterschaft geführt. "Lenz schreibt unglaubliche und letztlich, da mit künstlerischen Mitteln beglaubigt, doch glaubhafte Erzählungen; sie mögen einem bisweilen unwahrscheinlich vorkommen, aber sie sind immer wahr." Marcel Reich-Ranicki Diese eBook-Ausgabe wird durch zusätzliches Material zu Leben und Werk Siegfried Lenz ergänzt.

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Seitenzahl: 33

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Siegfried Lenz

Der Mensch auf dem Meeresboden

Erzählung

Hoffmann und Campe Verlag

Der Mensch auf dem Meeresboden

Die Geschichte, die ich erzählen will, sollte angemessenerweise wortlos erzählt werden – allenfalls im blubbernden, knarrenden, sanft brummenden Dialekt der Fische. Die Geschichte nämlich spielt im Wasser, genauer: im schönen, großen Schweigen, das über dem Meeresgrund liegt, zwischen wallender Unterwasserfauna, lichtlosen Felsschründen, zwischen der ruckartig krabbelnden Meeresspinne und dem glotzäugigen Tintenfisch. Die natürliche Umgangssprache, die hier herrscht, ist Schweigen, und folglich müßte ein angemessener Bericht über diese Welt schweigend gegeben werden… Da dies aber einstweilen mit Schwierigkeiten verbunden ist, bitte ich um Entschuldigung für den Rückfall in die Sprache. Doch vielleicht kann man heute auch schon ohne Bedenken über diese letzte Welt des Schweigens sprechen; denn so still, so einsam und verschont wie ehedem ist sie nicht mehr. Ja, es spricht sogar einiges dafür, daß die alte Ruhe des Meeresbodens nicht mehr lange bestehen wird.

Mit seinem Hang, immer neue Paradiese der Kurzweil zu entdecken, mußte der Mensch ihn eines Tages annektieren – und diese Annexion ist gerade jetzt in vollem Schwange. Ja, die große Unterwasser-Saison hat angefangen, eine feuchte Passion für den Meeresgrund hat eingesetzt: die neuen Nachbarn im Urlaubsparadies sind Meerbrassen und Muränen…

Die neue Unterwasserleidenschaft treibt auch bereits seltsame Blüten: In Filmen und Wochenschauen haben wir gesehen, wie man in Florida Modenschauen unter Wasser veranstaltete; wir haben betroffen einem Spaghetti-Wettessen auf dem Meeresgrund zugeschaut; wir waren Zeugen einer Unterwasser-Cocktailparty und haben verwundert verfolgt, wie man in Neptuns eigener Residenz Delphine zuritt, Karten spielte, sich die Haare schneiden ließ oder sogar die Zähne plombieren…

Viele Leute, so hat es den Anschein, tun heute, was die kleinköpfigen Reptilien der Vorzeit taten, als sie in die erdgeschichtliche und wohl auch existentielle Kreide gerieten: sie marschierten am Strand auf und gingen nach 50 Millionen Jahren trauriger Landerfahrung zurück ins Wasser, woher sie gekommen waren.

Sie binden den Schnorchel vor, schlüpfen in die Flossen und wedeln in flüssiger Zeitlupenanmut hinab zum fächelnden, gefräßigen, glotzäugigen Vetter… In der Tat, verfolgt man das flossenreiche Treiben etwa an den Küsten des Mittelmeeres, so hat man gelegentlich den Eindruck, daß sich hier ein organisiertes Heimweh nach dem Mutter-Ozean kundtut, in dessen Wasser die Elemente Natrium, Kalium und Kalzium ja fast in den gleichen Proportionen vorkommen wie im Körper eines Steuerzahlers.

Ja, die Leidenschaft für den Meeresgrund ist allgemein: so etwas wie eine Demokratie unter Wasser kündigt sich an. Wer auf sich hält – oder halten zu müssen glaubt –, macht seine Aufwartung dem naßlockigen Neptun. Und nicht nur dies; schon haben auch die Bürger Neptuns ihre Literatur erhalten: Unterwasser-Leitfäden, Fibeln für Flossenfreunde, Anleitungen zur Unterwasserjagd. Bekennend und erbauend äußert man sich darin über das neue Hoheitsgebiet, erzählt, was man auf dem Meeresgrund zu tun und zu lassen hat: mit einer submarinen Weltanschauung wird das Glück eines Tages vollständig werden.

Nun, auch ich bin in dem feuchten Arkadien gewesen; auch ich fühlte in mir die Elemente Natrium, Kalium und Kalzium nach dem Meerwasser verlangen. Ich wollte, wo kein Untertan, so doch ein Bürger Neptuns werden, und so entdeckte ich eines Tages meine Leidenschaft für den Meeresgrund. Zu meinem Erstaunen wollte sie am gleichen Tag auch meine Frau entdeckt haben, und als Ehepaar mit dem Drang zum Meeresboden im Herzen beschlossen wir, uns auf das neue Elixier schulmäßig vorbereiten zu lassen. Wir fuhren ans Mittelmeer, und da wir beide schon etliche Kurse zur besseren Beherrschung des Lebens hinter uns hatten, meldeten wir uns auch diesmal ohne Zögern zu einem Kursus für Sporttaucher an, der uns für die neue Bürgerschaft zwischen Stachelrochen und Steingrundel präparieren sollte. Ungeduldig warfen wir uns auf das neue Metier.