Der Messianismus des Moses Maimonides. Analyse  einzelner Schriften Maimonides und Darstellung der geschichtlichen Entwicklung -  - E-Book

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2012 im Fachbereich Theologie - Sonstiges, Note: 1,7, Eberhard-Karls-Universität Tübingen (Evangelische Fakultät), Veranstaltung: Einführung in das Judentum, Sprache: Deutsch, Abstract: Gegenstand der vorliegenden Hausarbeit sind ausgewählte Schriften des jüdischen Theologen Moses Maimonides (1135-1204). Untersucht werden soll sein Denken bezüglich des Messias und des Messianismus. Ziel ist hierbei primär, sich dem Thema des Messianismus in seiner geschichtlichen Komplexität aus jüdischer Perspektive anzunähern sowie die messianischen Vorstellungen des Maimonides zu erfassen und in der jüdischen Geschichte zu verorten. So soll in einem ersten Schritt als Grundlage der weiteren Ausführungen ein Überblick über die Geschichte des jüdischen Messianismus mit Schwerpunkt auf der rabbinischen Zeit gezeichnet werden. Anschließend sollen in einem zweiten Schritt Maimonides Überzeugungen näher untersucht werden. Hierbei fungieren zwei seiner bedeutendsten Werke, der „Brief in den Jemen“ sowie die „Mischne Tora“, als Hauptuntersuchungspunkte. Desweitern wird als Exkurs die heutige jüdische Haltung gegenüber Jesus beleuchtet sowie, angelehnt an die Untersuchungen zu Maimonides, dessen Einstellung zu den Christen knapp dargestellt.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung

2. Der jüdische Messianismus im geschichtlichen Überblick

2.1 ... im Alten Testament und im Frühjudentum

2.2 ... in der rabbinischen Zeit und im Mittelalter

2.3 ... in der Gegenwart

Exkurs: Der „jüdische Jesus“ heute

3. Der Messianismus des Maimonides

3.1 Der Brief in den Jemen / Iggeret Teman

Exkurs: Maimonides Haltung gegenüber den Christen

3.2 Mischne Tora

4.Schlussbetrachtung

5. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung

Gegenstand der vorliegenden Hausarbeit sind ausgewählte Schriften des jüdischen Theologen Moses Maimonides (1135-1204), welche hinsichtlich seines Denkens bezüglich des Messias und des Messianismus untersucht werden sollen. Ziel ist hierbei primär, sich zugleich dem Thema des Messianismus in seiner geschichtlichen Komplexität aus jüdischer Perspektive anzunähern sowie die messianischen Vorstellungen des Maimonides zu erfassen und in der jüdischen Geschichte zu verorten.

So soll in einem ersten Schritt als Grundlage aller weiterer Ausführungen ein Überblick über die Geschichte des jüdischen Messianismus mit Schwerpunkt auf der rabbinischen Zeit gezeichnet werden. Anschließend soll in einem zweiten Schritt Maimonides Überzeugungen näher untersucht werden. Hierbei fungieren zwei seiner bedeutendsten Werke, der Brief in den Jemen sowie die Mischne Tora

2. Der jüdische Messianismus im geschichtlichen Überblick

 

Eingangs soll erwähnt werden, dass in der vorliegenden Arbeit nur ein knapper Überblick über die Geschichte des jüdischen Messianismus darstellbar ist und keinesfalls ein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann. Grund hierfür ist neben dem begrenzten Umfang dieser Arbeit eine dem jüdischen Messianismus inhärente Problematik: es kann nicht von der Geschichte des jüdischen Messianismus gesprochen werden, sondern vielmehr muss von verschiedenen messianischen Strömungen die Rede sein. Obgleich die messianischen Ansichten und Überzeugungen der letzten Jahrtausende sich in einem Punkt treffen, nämlich in der Tatsache, dass es bei den „Messiaserwartungen aller Zeiten [...] um erhoffte Wiederherstellungen alter und bewährter Offenbarungsinstitutionen und um Änderungen gegenwärtiger, als ungerecht, unbefriedigend, leidvoll und Gott mißfällig empfundener Zustände  [geht]“[1], differieren die Vorstellungen sowohl auf synchroner als auch auf diachroner Ebene, wie im Folgenden gezeigt werden soll.

 

Eine erste Grundeinsicht hinsichtlich des jüdischen Messianismus ist die Tatsache, dass der Messianismus dem Judentum nicht von Beginn an inhärent war, sondern ein sekundäres Phänomen darstellt. So bestand unter den Juden lange Zeit die feste Überzeugung, das Volk Israel sei auserwählt, die Gottesherrschaft auf Erden zu errichten, welches in besonderer Weise im Bundesschluss zwischen Jahwe und dem Volk Israel bestätigt wurde. Die Messiaserwartungen und -hoffnungen entstanden demzufolge wohl erst nach dem babylonischen Exil (586-538) und wurden durch „die exilisch-nachexilischen Propheten Ezechiel, Deutero- und Tritojesaja, Haggai und Sacharja“ [2] mit dem Ziel geweckt, in den, aufgrund von Entwurzelung und babylonischer Gefangenschaft verzweifelten Juden neue Hoffnung und Vertrauen in ihre Religion zu schaffen. Dies war vor dem babylonischen Exil nicht nötig gewesen, sodass das Judentum erst als „geschichtlich gewachsene Form“[3] als eine messianische Religion zu bezeichnen ist.

 

2.1 ... im Alten Testament und im Frühjudentum

 

Um diese messianische Entwicklung des Judentums erfassen zu können, bietet sich vorab ein Blick auf den Begriff des „Messias“ als hilfreich an. Das hebräische Wort meshîa („Gesalbter Jahwes“) stammt ab von der Wurzel mâshah und erscheint insgesamt 38 Mal in der Bibel, gehäuft bei Samuel und in den Psalmen[4]. meshîa bezeichnet hier fast durchgehend eine königliche Person und bezieht sich entweder auf den König im Allgemeinen oder im Speziellen auf Saul oder David, wobei auch hier stets deren königliche Funktion und weniger sie als Einzelpersonen im Blickpunkt stehen.

 

Trotz dieser ursprünglich königlichen Verwendung des Messiastitels, besitzt er dennoch von Anfang an eine theologische Konnotation, da er „stets in Verbindung mit JHWH [...] konstruiert“ wird.“[5] Dies bestätigt auch Hans Strauß, wenn er meint, dass die Bezeichnung als „geprägte syntaktische Verbindung das souverän erwählende, legitimierende Handeln Jahwes am (davidischen) Königtum im Gottesvolk [betont].“[6]

 

Den Königen wie Saul, David und Salomo, wurden im Zuge dieser theologischen Konnotation verschiedene Prädikationen zugeschrieben wie „Kriegsheld“, „Hirte und Hüter seines Volkes“, „Retter“ und „Richter“. Desweiteren wurden ihnen von Gott  besonders tugendhafte Fähigkeiten wie Recht und Gerechtigkeit[7] bei ihrem ersten rituellen Akt, der Salbung mit Öl, verliehen:

 

Die biblischen Texte verbinden mit dieser Königssalbung ein Erfaßtwerden der königlichen Person durch den Geist Gottes. [...]. Bei der Salbung dringt der Geist Jahwes in den König ein wie das Öl in den Körper und verleiht ihm übermenschliche Kraft.[8]

 

In der Folgezeit transformierte sich die Vorstellung eines geheiligten Königs in die Vorstellung eines kommenden Messias und die Mehrheit des jüdischen Volkes erwartete fortan einen messianischen König aus der Dynastie Davids. Bezeichnenderweise für die gesamte Geschichte des jüdischen Messianismus gab es aber auch neben der Vorstellung eines messianischen Nachkommen Davids abweichende Überzeugungen, welche sich von der Vorstellung mehrerer Messiasgestalten über die Ansicht, dem Messias wären noch Gefährten an die Seite gestellt wie beispielsweise Abraham, Jakob oder Mose[9] bis hin zu dem gänzlichen Fehlen des Glaubens an eine konkrete Messiasgestalt erstreckten. Hinsichtlich Letzterem soll auf eine fundamentale Differenz bezüglich des jüdischen Grundverständnisses des Begriffs des „Messianismus“ hingewiesen werden, welche sowohl auf synchroner als auch diachroner Ebene bestand und fortbesteht: In Anlehnung an die obigen Ausführen teilen und teilten der Großteil der Juden den Glauben an einen persönlichen Messias im Sinne einer konkreten Messiasgestalt[10], wie sie Hans Strauß schon im Alten Testament anzutreffen meint:

 

Gehört also zur Messiasgestalt im Alten Testament nach verbreitetem Verständnis Dreifaches: erstens, daß sie eine Königsgestalt sei, zweitens, daß sie Heil bringe, drittens, daß mit ihr die Endzeit anbreche, so daß kurz unter ‚Messias‘ der ‚eschatologische Heilskönig‘ zu verstehen sei.[11]

 

Ein geringerer Teil des jüdischen Volkes setzte dagegen die messianische Hoffnung mit einem heilvollen Ende der Geschichte in politisch-sozialer Dimension gleich. Letzteres ist überspitzt formuliert ein Messianismus ohne Messias, eine messianisch-eschatologische Hoffnung.

 

Unter diesen auf einen Messias wartenden nachexilischen Juden Israels herrschte weitgehende Einheitlichkeit hinsichtlich der Endzeitvorstellungen: So wurde von dem Kommen des Messias primär die „Rückführung, Zusammenführung und Vollendung, des in alle Windrichtungen zerstreuten, teils unsichtbar gewordenen, israelitischen Volkes“ [12] erwartet, da von den anfänglich zwölf israelitischen Stämme nur die beiden Südstämme Juda und Benjamin nach der Exilierung nach Israel zurückkehren konnten. Die Sammlung der Exilanten wurde als „das entscheidende Zeichen der Endzeit“[13]  angesetzt. Desweiteren wurde von dem Messias erwartet, die endgültige Aufhebung der Unterdrückung von Seiten der anderen Völker herbeizuführen sowie alle Israeliten und möglichst viele Menschen anderer Völker zu dem Glauben an den einen Gott Israels zu führen. Außerdem erhoffte man sich die „Bestätigung der singulären Erwählung Israels allen anmaßenden Konkurrenten, Verdrängern und Unterdrückern gegenüber“.

 

Als nun jedoch ersichtlich wurde, dass die herrschenden Könige, allesamt sündhaft, scheiterten, mussten die Juden die Hoffnung auf das baldige Kommen des Messias aufgeben und ihre Heilserwartungen in eine unbekannte Zukunft verschieben[14], welches zur Folge hatte, dass der Messianismus aus seiner bisherigen zentralen Stellung im Judentum herausgelöst wurde.

 

2.2 ... in der rabbinischen Zeit und im Mittelalter

 

In der rabbinischen Zeit änderte sich der Stellenwert des Messianismus einerseits angesichts der Zerstörung des 2. Tempels um 70 n.Chr., welche als eine existentielle Bedrohung der jüdischen Identität empfunden wurde und anderereits angesichts dem Nichterscheinen des Messias beziehungsweise dem Erscheinen des sich als falscher Messias erweisenden Bar Kokhba um 130 n.Chr. Diese Zeit der Not und Bedrängnis  ging nun aber nicht einher mit einer Geringschätzung oder Aufgabe der messianischen Hoffnungen, sondern gerade angesichts dieser Leidenszeit trat der Glaube an den Messias wieder stärker in den Vordergrund. Zahlreiche rabbinische Schriften setzten sich mit ihm auseinander und zeichneten apokalyptisch geprägte Szenarien und utopisch-paradiesische Zustände: Israel werde frei sein von Schmerz, Elend, Fremdherrschaft und Friede und Gerechtigkeit werden unter den Juden herrschen werden, welche sich, nach dem Wiederaufbau der Heiligen Stadt und des Jerusalemer Tempels, dort sammeln werden. Kurzum: die rabbinische Zeit zeichnete sich primär durch ein immenses Spektrum an apokalyptischen Heilserwartungen aus, welche sich von der Erwartung einer militärischen Wiederherstellung eines ideal-utopischen Zustandes bis hin zu der Erwartung eines katastrophalen Untergangs der Welt mit anschließender Neuschöpfung erstreckten. Dieses „apokalyptische Katastrophenbewußtsein [...] war so groß, daß der Talmud manchem rabbinischen Lehrer den Ausspruch zuschreiben konnte: ‚Möge der Messias kommen, doch ich will es nicht sehen‘.“[15]

 

Gerade in dieser Zeit entstand auch die sogenannte Zwei-Messias-Lehre, welche die Vorstellung bezeichnet, dass zwei Messiasgestalten an der endgültigen Erlösung beteiligt sein werden und ihr Auftreten für die Realisierung der eschatologischen Hoffnungen notwendig sein wird.  Der erste Messias wird ein kriegerischer Messias aus dem Hause Josephs bzw. Efraims sein, der gegen die Feinde Israels Krieg führen und sie vernichten wird, hierbei jedoch selbst im Gog- und Magog-Krieg erliegen wird. Er ist als Vorläufer des eigentlichen Messias aus dem Hause Davids gedacht [16] und fungiert als Auftakt zur kommenden Erlösung durch den Sohn Davids, welcher die Gottesherrschaft und eine ewig währende Zeit des Friedens und der Gottesgemeinschaft errichten wird. Diese Konzeption sieht demzufolge eine klare Trennung der messianischen Aufgaben vor: der scheiternde Messias wird Krieg führen und die Erde aufrichten, der erfolgreiche Messias wird zum dauerhaften Frieden und glorreichen Zeitalter führen.

 

Dennoch blieb auch weiterhin die Vorstellung eines rein davidischen Messianismus bestehen, beispielsweise bei Flavius Josephus oder bei Philo v. Alexandrien.

 

Besonderen Wert legten sie aber allesamt auf die Vorstellung des Messias als ein menschliches Wesens und irdischer Erlöser und betonten eine fleischliche und ungeistige messianische Vorstellung, welche bis heute als einer der größten Diskussionspunkte zwischen Juden und Christen gilt[17].

 

Dieses menschliche Wesen des Messias kommt besonders stark in der mythische Vorstellung zum Tragen, dass in jeder Generation eine potentielle Messiasgestalt unter den Menschen lebt, welche nur darauf wartet, offenbart zu werden, die bisherigen Generationen jedoch für das Kommen des Messias nicht für wert empfunden wurden.[18]

 

Die Vielfalt an messianischen Erwartungen in der rabbinischen Zeit zeigte sich auch an den verschiedenen Spekulationen über die Konsequenzen des Kommens des Messias. Hier stehen sich einerseits restaurative Erwartungen, welche eine Wiederherstellung der Ordnung wie zu Zeiten des Bundesschlusses beinhalten, und andererseits das Hoffen auf eine gänzliche Verwandlung und Erneuerung der Welt gegenüber.  

 

Desweiteren gab es unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich einer Ankündigung des Kommens des Messias. Hier gab es die Auffassung, dass moralische Verdorbenheit das Kommen des Messias ankündige beziehungsweise moralische Verdorbenheit das Kommen des Messias verhindere[19]. Im Zuge dessen entwickelte sich in dieser Zeit unter einer Minderheit der Rabbinen die Vorstellung, die Juden könnten die Ankunft des Messias vorbereiten beziehungsweise beschleunigen, beispielsweise durch das Einhalten der Gebote der Tora. Dieser Gedanke wurde bis ins 20. Jahrhundert tradiert und so wies auch Schalom Ben-Chorin darauf hin, dass der Messias kommen wird, wenn alle Juden den Sabbat heiligen oder eben kein Jude dies tun wird[20].  Alain Goldmann spricht sich für Ersteres aus und bekräftigt, dass das Kommen des Messias sich nach

 

langer, durch religiösen und moralischen Fortschritt bedingten Vorbereitung [ereignen wird]. Dies heißt folglich, daß die conditio sine qua non die aus vollem Herzen und mit ganzer Seele erfolgte Umkehr zu Gott ist.[21]

 

Besonders breit wurde auch die jüdische Tradition rezipiert, dass dem endgültigen Heil eine Zeit des Schreckens voraus gehe, die sogenannten „Geburtswehen“, die Chevelei Maschiach[22] des messianischen Zeitalters. Somit konnten die Rabbinen die Messiashoffnung im jüdischen Volk auch in Zeiten des Leids und der Bedrängnis aufrecht erhalten, indem sie dem Volk tröstend erläuterten, dass „der Preis für das Kommen des Messias ein so großer Schmerz sein wird wie derjenige, der einer Mutter bei der Geburt eines Kindes widerfährt.“[23] So wurde in besonders schlimmer Verfolgung in ausgeprägtem Maße die Ankunft des Messias erwartet, denn  „je schlimmer die Leiden waren, je tiefer die Katastrophen und je größer die Zahl der Juden war, die davon betroffen wurden, desto lauter und näher glaubte man die Schritte des Messias zu vernehmen.“[24]

 

Im Mittelalter dann wurde die messianische Hoffnung zwar eher zu einem sporadischen Phänomen, wirkte jedoch latent weiter und orientierte sich stark an den Vorstellungen der rabbinischen Zeit.  So gab es immer wieder akut-messianische Bewegungen, in deren Zentrum in der Regel ein Messiasprätendant stand, welcher sich selbst zum Messias ernannte, jedoch meist nur eine kleine Menge an Anhänger mobilisieren konnte, sodass sein Auftreten meist nur kurzzeitig und vorübergehend war.

 

2.3 ... in der Gegenwart

 

Nach diesem knapp skizzierten Gang durch die Geschichte, soll nun abschließend noch der jüdische Messianismus in der Gegenwart in den Blickpunkt rücken. Es gilt, was seit über 2000 Jahren gilt: der jüdische Messianismus hat ein Leben im Warten und Hoffen auf Erlösung zur Folge; alles Tun ist vorläufig: „das Herz des Messianismus ist die Verzögerung, das Nicht-Kommen des Messias.“[25]. Gershom Scholem sagt dazu: „So hat die messianische Idee im Judentum das Leben im Aufschub erzwungen, in welchem nichts in endgültiger Weise getan und vollzogen werden kann.“[26] Obgleich stets von jüdischer Seite betont wird, dass die Gestaltung des gegenwärtigen Lebens an der Hoffnung auf das Kommen des Messias ausgerichtet und die gegenwärtige Zeit als Vorläufer der messianischen Zeit betrachtet werden soll, so ist insgesamt doch ein in den Hintergrundtreten des Messianismus und eine absteigende Beschäftigung mit ihm zu beobachten. Obgleich strenggläubige Juden täglich für das Kommen des Messias beten[27], liegt ihr Blick dennoch vor allem auf der Gegenwart und darauf, ihr Leben nach der Tora auszurichten. Auch existiert weiterhin die Vorstellung von einem Judentum ohne Messianismus und nur mit Gott selbst als Erlöser, wie beispielsweise bei Franz Rosenzweig: „Denn dies ist die Quelle zugleich und Mündung alles jüdischen Messiasglaubens: daß schließlich doch Gott selbst der Erlöser ist, er selbst und kein anderer.“ [28]

 

Die Reformjuden erhoffen sich sogar, dass sie selbst durch die jüdische Mission und „die Selbstvervollkommnung des Menschengeschlechts“ [29] das  messianische Zeitalter verwirklichen können und zeigen sich ebenso wie die Zionisten eher ablehnend dem traditionellen Messianismus gegenüber. Im Zuge dessen zeichnet Manfred Voigts ein relativ düsteres Bild für die Zukunft des jüdischen Messianismus:

 

„Festzustellen ist jedenfalls, daß die zentralen Themen des jüdischen Messianismus in der heutigen Diskussion keine Rolle mehr spielen: Weder die Erwählung des Volkes noch die Bündnisschließung noch Landverheißung oder die Geschichtslosigkeit des jüdischen Volkes werden gegenwärtig diskutiert. Der jüdische Messianismus ist kompromittiert [...].“[30]

 

Besonders negativ tritt heute vor allem eine radikale, jüdisch-messianische Gruppierung in den Blickpunkt, die Sekte der Chassiden, welche mit ihrer Lehre einen drastischen Gegenpol zu dem zunehmend sinkenden jüdischen Interesse an dem Thema des Messianismus darstellt. Ihrer Auffassung nach muss das Kommen des Messias aktiv herbeigeführt werden und zwar durch die Mittel der Waffen. Durch das Heraufbeschwören von katastrophalen Kriegen in Anlehnung an die biblisch-apokalyptischen Prophezeiungen soll das Kommen des Erlösers provoziert werden und somit die biblischen Prophezeiungen erfüllt werden. Ziel ist hierbei „die Vereinigung der gesamten Menschheit in einem weltumgreifenden Gottesstaat, der zentral von Jerusalem gelenkt wird.“[31]

 

Abschließend ist festzuhalten, dass „die Palette der messianischen und quasimessianischen Gestalten also im Judentum unter Umständen sehr bunt werden“ [32] konnte und es bis heute geblieben ist. So kann als bedeutendstes Charakteristikum des jüdischen Messianismus in seiner Gesamtheit die Vielfältigkeit der Messiaserwartungen sowohl auf diachroner als auch synchroner Ebene festgehalten werden, welche den jüdischen Messianismus zu einem schwer fassbaren, gleichzeitig aber ebenso spannenden Phänomen machen.

 

Exkurs: Der „jüdische Jesus“ heute

 

Auch hinsichtlich der Person Jesu gehen die Meinungen der zeitgenössischen jüdischen Gläubigen auseinander. Streng orthodoxe Juden sehen in Jesus teils einen abtrünnigen Jude und den Gründer einer destruktiven Religion, teils erkennen sie ihn als Person gar nicht an. Unter modernen Juden ist bei der breiten Mehrheit eine Änderung im jüdischen Denken über Jesus zu konstatieren. Im letzten Jahrhundert begann eine intensivere Beschäftigung mit Jesus, eine Entwicklung hin zur Jesus-Forschung  war zu konstatieren und man zeigte sich immer mehr bereit dazu, in ihm eine positive Figur zu sehen, einen Propheten, einen großen Weisen, einen rabbinischen Lehrer oder einen auserwählten Knecht Gottes, welcher durch mit der Taufe in den Besitz des Heiligen Geistes kam.

 

Heute zeigen sich sogar vermehrt Stimmen, die Jesus nicht nur als jüdische Persönlichkeit akzeptieren, sondern seine jüdischen Wurzeln bewusst hervorheben wie beispielsweise Leo Baeck:

 

Die meisten Darsteller des Leben Jesu unterlassen es, darauf hinzuweißen, dass Jesus in jedem seiner Züge durchaus ein echter jüdischer Charakter ist, dass ein Mann wie er nur auf dem Boden des Judentums, nur dort und nirgends anders, erwachsen konnte. [...]. Er war ein Jude unter Juden; aus keinem anderen Volke hätte ein Mann wie er hervorgehen können und in keinem anderen Volke hätte ein Mann wie er wirken können.

 

Diese positive Konnotation wird vor allem auch bei Schalom Ben-Chorin deutlich sichtbar, welcher sich stark für einen christlich-jüdischen Dialog einsetzt:

 

Jesus ist für mich der ewige Bruder, nicht nur der Menschenbruder, sondern mein jüdischer Bruder. Ich spüre eine brüderliche Hand, die mich fasst, damit ich ihm nachfolge.[33]

 

Trotz dieser durchweg positiven Bewertung Jesu, betont Ben-Chorin im Anschluss dennoch ganz deutlich, worin sich alle Juden bis heute einig sind: Jesus ist keinesfalls der Messias. Einzige Ausnahme stellt hierbei die Gruppe der sogenannten „messianischen Juden“ dar, welche Christus als ihren Messias anerkennt, das Alte Testament und Neue Testament als theologische Grundlage nutzt und an die Dreifaltigkeit glaubt, zugleich aber sich dem Judentum und Christentum zurecht und jüdische und christliche Traditionen bewahrt. Diese soll bei unserer Betrachtung aber nicht zu der Gesamtheit der Juden gezählt werden aufgrund ihres religiösen Synkretismus.

 

Grund für die Unmöglichkeit, Jesus als Messias anzuerkennen, stellt Ben- Chroin nach die Unfähigkeit Jesu dar, die Erwartungen, die an den Messias gestellt werden, nämlich die Errichtung des Königreichs Gottes, zu erfüllen, wie er weiter ausführt:

 

Für das Judentum ist Jesus nicht der Messias, denn die Welt hat sich nach dem Opfergang von Golgatha nicht grundsätzlich verändert. Es gab Kriege vor und nach Jesus, Klassen- und Rassenhass wurden durch sein Wirken nicht beseitigt, sodass unsere Welt noch der Erlösung harrt. Vom Messias aber wird erwartete, dass er den Weltfrieden bringt, Israel in das Land der Verheißung zurückführt, das Reich seines Urvaters David wiedererrichtet und den Dritten Tempel erbaut. All das ist mit dem Kommen Jesu nicht verwirklicht worden.[34]

 

Kurzum: Die von Ben-Chorin bereits erwähnte, „brüderliche Hand“  ist für die Gesamtheit der Juden also „bestimmt keine GÖTTLICHE, sondern eine MENSCHLICHE Hand, in deren Linien das tiefste Leid eingegraben ist.“[35]

 

3. Der Messianismus des Maimonides

 

Nach diesem Versuch, sich dem jüdischen Messianismus in seiner Gesamtheit mithilfe eines geschichtlichen Überblicks zu nähern, soll nun der Fokus minimiert werden und der Blick ausschließlich auf die Ansichten Moses Maimonides gelegt werden.

 

Trotz des Fehlens einer systematischen oder umfassenden Darstellung der Ansichten Maimonides hinsichtlich des  Messianismus, lassen sich zahlreiche Aussagen diesbezüglich in einzelnen seiner Schriften finden, welches auf eine intensive Beschäftigung mit diesem Themenkomplex schließen lässt und weiter auf die zentrale Stellung, welche er in dem maimonidischen Glauben einnahm.

 

So betont auch Walter Wurzburger, dass „keiner der mittelalterlichen Gelehrten [...] die grundlegende Bedeutung des Glaubens an die messianische Erlösung so nachhaltig wie Maimonides.“[36] Bereits in dem ersten öffentlichen Dokument Maimonides, dem Iggeret ha-Shemad (1660/61), erwähnt er das Kommen des Messias und hebt jede Abhängigkeit der Ankunft des Messias von der Beachtung des Gesetzes auf.[37] Primär jedoch und weitaus detaillierter setzt Maimonides sich in dem Brief an den Jemen und in seinem bedeutendsten Werk, der Mischne Tora, welche eine systematische Darstellung des jüdischen Gesetzes ist, mit dem Messianismus auseinander.

 

3.1 Der Brief in den Jemen / Iggeret Teman[38]

 

Der Brief in den Jemen bezeichnet ein ursprünglich in Arabisch verfasstes Sendschreiben an die Gemeinde im Jemen aus dem Jahr 1772. Historischer Hintergrund stellt hierbei sowohl eine tiefe Krise der jüdischen Gemeinde aufgrund einer existentiellen Bedrohung durch eine fanatisch- muslimische Bewegung sowie eine allgemeine Verunsicherung der jüdischen Gemeinde im Jemen durch das Auftreten eines Messiasprätendanten dar. Angesichts dieser Bedrängnis wuchsen die Zweifel und immer stärker wurde die Treue zu der eigenen, jüdischen Religion in Frage gestellt. Maimonides sieht sich nun infolgedessen dazu gezwungen, die Gemeinde in ihrem Glauben zu stärken und sie vor einer Konversion oder einem Glaubensabfall abzuhalten.

 

Hierzu gliedert Maimonides seinen Brief an die Gemeinde nach inhaltlichen Kriterien in 3 Abschnitte. In dem ersten Abschnitt führt Maimonides seine „Kritik an Islam und Christentum hinsichtlich der Darstellung des falschen Messias und der Konzeption der Geschichte“ aus, fügt anschließend Ausführungen über „die Berechnung der Ankunft des Messias“ an und schließt mit der Darlegung der „politischen und führenden Funktion des Messias“.[39]

 

Hinsichtlich des ersten Abschnitts war es Maimonides Ziel, die jüdische Gemeinde vor falschen christlichen oder muslimischen Messiasgestalten zu schützen. Jesus wirft er im Zuge dessen vor, den Versuch der Zerstörung des Judentums unternommen zu haben und weist auf die besondere Verwerflichkeit diese Zerstörungsversuches hin, da Jesus auf alle beiden der von ihm unterschiedenen Arten der Zerstörung, nämlich auf die durch Gewalt und auf die durch die „Mitteln des Geistes“[40], zurückgriff. Intention Jesu war laut Maimonides hierbei der Versuch, die Tora abzuschaffen und so beschreibt Maimonides Jesu Absichten und dessen Ziel folgendermaßen[41]:

 

Der erste, er diesen Vorsatz hatte, war Jesus, der Nazarener – mögen seine Gebeine zu Staub zermahlen werden. [...]. Er [Jesus] wollte glauben machen, daß er von Gott geschickt worden sei, um komplizierte Stellen in der Tora zu erklären, und daß er der Messias wäre, den alle Propheten vorausgesagt hätten. Aber [seine] Auslegung würde zur Annullierung des Gesetzes insgesamt führen, zur Aufhebung aller seiner Gebote und zur Mißachtung aller seiner Verbote. Dies ist sein Ziel und seine Absicht. [42]

 

Daran anschließend beschreibt er das offenkundige Scheitern Jesu und der sich an ihm orientierenden neuen Religion, dem Christentum:

 

Längere Zeit nach seinem Auftreten verbreitet sich eine Religion, die von den Nachkommen Esaus auf ihn zurückgeführt wird. Dies entsprach jedoch weder dem Ziel, daß er sich erhofft hatte, noch fügte es Israel Schaden zu. Weder Gruppen noch Einzelne begannen, Zweifel zu hegen, denn für sie war deutlich erkennbar, wie er unterlag, bezwungen wurde, in unsere Hände fiel und die Sache schließlich ihr wohlbekanntes Ende fand.[43]

 

Diese Darstellung des Nichtzweifelns der Juden deckt sich natürlich nicht mit der Realität, denn es gab offenkundig einige Juden, die in Zweifel gerieten und fortan das Christentum bildeten. Begründen lässt sich diese euphemistische Darstellung Maimonides mit seinem pädagogischen Anliegen, die jüdische Gemeinde und ihren inneren Zusammenhalt zu stärken. Auch sollte Jesus hier als abschreckendes Beispiel für zukünftige Messiasprätendanten fungieren, welche dasselbe Schicksal wie Jesus, nämlich den Tod, zu erwarten hatten. Dies erklärt weiter die Radikalität einiger maimonidischer Aussagen über die Person Jesu.

 

Exkurs: Maimonides Haltung gegenüber den Christen

 

Ebenso wie hinsichtlich Maimonides Haltung gegenüber der Person Jesu, welche in all seinen Schriften lediglich drei Mal erwähnt wird[44], liegt auch hinsichtlich der Haltung gegenüber der ganzen christlichen Gemeinde keine systematische oder umfassende Darstellung vor. Eine wichtige und auffällige Beobachtung in der Gesamtheit der einzelnen Schriften ist jedoch die Zwiespältigkeit seiner diesbezüglichen Aussagen. Einerseits nennt er sie ovde avodah zarah, also Götzendiener, andererseits erlaubt er den Christen, dass man sie die Torah lehrt wohingegen er dies den Nichtjuden im Allgemeinen untersagt. Desweiteren gesteht er dem Christentum sowie dem Islam eine positive Rolle in der Geschichte zu, welche sich aber ausschließlich auf ihre Funktion  der Vorbereitung und Wegebnung für den wahren, jüdischen Messias bezieht. Das Christentum ist seinem Wesen nach also schlichtweg die praeparatio messianica[45].

 

In dem zweiten Teil des Briefes betont Maimonides dann die Ablehnung von Berechnungen die Endzeit betreffend, wenn er schreibt: „Zuallererst mußt du wissen, daß kein menschliches Wesen jemals den Zeitpunkt der Befreiung [genau] bestimmen kann.“[46]

 

Eine falsche Berechnung der Ankunft des Messias und das damit für die jüdische Gemeinde zutiefst enttäuschende Ausbleiben des Messias könnten zur Folge eine Hinwendung der Juden zu einer der anderen Religionen haben, da sie sich ihrer messianischen Hoffnung beraut sehen würden. Auf dem Hintergrund dieses Wissens erscheint es verwunderlich, dass Maimonides dennoch die seit der Tempelzerstörung von Vater zu Sohn tradierte Überlieferung, dass „das Wiederauftreten des prophetischen Geistes als Vorläufer der messianischen Zeit für das Weltjahr 4976 (d.h. 1216 der üblichen Zeitrechnung) zu erwarten wäre“[47], anführt:

 

Was den Zeitpunkt seines Erscheinens anbelangt, so geht aus allen Prophezeiungen Daniels und Jesajas sowie aus den diesbezüglichen Äußerungen unserer Weisen klar hervor, daß dieser in die Periode der Ausdehnung des byzantinischen und arabischen Imperiums fällt, wie es in unserer Zeit der Fall ist. Dies ist eine Tatsache, die nicht in Frage gestellt werden kann und an der kein Zweifel möglich ist. [...] Das genaue Datum der Befreiung kann von niemand ermittelt werden. In meinem Besitz befindet sich jedoch eine ungewöhnliche Tradition, die mir mein Vater überliefert hat, der sie wiederum von seinem Vater erhalten hat. [...] Nach dieser Berechnungsmethode erfolgt die Wiedereinsetzung  des Prophetenamtes in Israel im Jahre 4970 der Schöpfungsära.[48]

 

Hierbei ist jedoch zu beachten, dass sich diese Berechnung auf die Wiedereinführung der Prophetie bezieht und nicht auf den Messias im Speziellen. Desweiteren fungiert die Berechnung hier als Ermutigung an die jemenitischen Juden um in ihnen den Hoffnungsgedanken aufrecht zu erhalten und sie von einer möglichen Konversion abzuhalten.

 

Das Wesen des wahren Messias beschreibt Maimonides im dritten Teil anschließend in aller Ausführlichkeit und sehr detailliert und erstellt damit einen regelrechten Merkmals-Katalog für den wahren Messias, welcher im Folgenden grob zusammengefasst werden soll:

 

So wird der kommende Messias ein Prophet sein, welcher laut Maimonides alle Propheten übertreffen wird.[49] Einzige Ausnahme stellt hierfür Mose dar, welcher von Maimonides stark idealisiert wird mit der Intention, Mose gegenüber dem muslimischen Propheten Mohammed als überlegen zu präsentieren.

 

Weiterhin wird der Messias laut Maimonides aus dem Stamm Davids kommen und seine Aufgabe, die zerstreuten Juden zu sammeln und die Tora allen Völkern zu verkünden, gänzlich erfüllen. Zugleich wird er selbst vorbildhaft das Gesetz Gottes verwirklichen, wie Mose es tat.[50] Außerdem zeichnet Maimonides in diesem Brief in besonders deutlicher Weise das Bild eines Messias mit stark politischem Charakter. Politischer Erfolg, welcher sich über den Sieg über die Feinde Israels, die Sammlung und Rückführung der Exilanten sowie den Wiederaufbau Jerusalems und des Tempels definiert, ist für Maimonides dabei das primäre Erkennungszeichen des Messias. So beschreibt er eben diese politisch-sieghaften Ereignisse als die außergewöhnlichsten Ereignisse während des Wirkens des Messias:

 

 „Was die große Anzahl der außergewöhnlichen Ereignisse betrifft, die alle Propheten von Mose bis Maleachi im Zusammenhang mit seinem Erscheinen beschrieben haben, so findest du sie ohne Ausnahme in den vierundzwanzig [der Heiligen Schrift]. Das außergewöhnlichste von ihnen ist jedoch, daß die Kunde von seinem Erscheinen die Könige in Angst und Schrecken versetzen wird, so daß ihre Königreiche ins Wanken geraten; sie sind außerstande, ihm mit dem Schwert oder in einer Auseinandersetzung Widerstand zu leisten. [...]. Mit seinem Befehl und seinem Wort vernichtet er, wen er will. Es gibt kein Entkommen und kein Entrinnen vor ihm [...].[51]

 

So wird der Messias als Vorbild für alle Menschen fungieren und sie alle durch seine Führungsqualitäten anregen, sich zu ändern und „die ganze Menschheit zur Erkenntnis Gottes [...] führen und sie [...] befähigen, nach moralischer und intellektueller Vollendung zu streben. Das ist das äußerste Ziel der Lehre und der Gesetzgebung der Tora, welches sich im Errichten des Königsreichs Gottes auf der Welt manifestieren wird.“[52]

 

3.2 Mischne Tora

 

Die Mischne Tora gilt als systematische Darstellung des gesamten jüdischen Gesetzes. Sie umfasst insgesamt 14 Bücher und erlangte besondere Bedeutung aufgrund des im Traktat Sanhedrin in 13 Artikeln enthaltenen Glaubensbekenntnisses, „das in das  jüd. Gebetbuch Eingang fand und allen Richtungen des Judentums als theol. Diskussionsgrundlage diente.“[53]

 

Das Thema des Messianismus wird innerhalb dieser Glaubensartikel primär in den „eschatologischen Glaubensprinzipien“[54] und im Speziellen in dem 11. und besonders in dem 12. Kapitel thematisiert, welche von F. Y. Albertini als „Lehre von Strafe und Belohnung“ und als „der Glaube an die Ankunft des Messias“[55] tituliert werden.

 

So wird in dem 11. Glaubensartikel auf das Kommen des „gesalbten Königs“ hingewiesen, welcher mit der restaurative  Zielsetzung erscheinen wird, die davidischen Königsherrschaft wiederherzustellen, das zerstreute Israel wieder zu einer Einheit zusammenzuführen und Jerusalem mitsamt dem Tempel wieder aufzurichten. Als weiteres Erkennungszeichen des wahren Messias führt Maimonides dann die Abstammung aus dem Hause Davids an, ein richtiges Deuten und Praktizieren der Tora sowie die Hinführung des ganzen israelischen Volkes zu einem Leben gemäß der Tora mit dem Ziel, Jahwe zu heiligen; erst dann „besteht die Vermutung zu Recht, daß er der Messias ist.“[56]

 

Gleichzeitig warnt er hier die jüdischen Gläubigen davor, den Glauben an den Messias aufzugeben oder dessen Kommen nicht stets zu erwarten und zu erhoffen, denn dies würde das Verleugnen aller Propheten, Mose und selbst der Torah bedeuten.[57]

 

Auch weist er hier explizit daraufhin, dass der Messias sich nicht durch getätigte Wunder als ein solcher erweisen wird, wenn er meint: „Laß es dir nicht in den Sinn kommen, daß es dem gesalbten Könige obliegt, Zeichen und Wunder zu wirken, daß er etwa neue Dinge in der Welt hervorrufen oder die Toten zum Leben erwecken wird und dergleichen mehr.“[58]

 

Die umfassendsten Ausführungen über den maimonidischen Messianismus lassen sich aber in dem 12. Glaubensartikel finden, welcher eine Sonderstellung inne hat und vor allem durch eine empathische Ausdrucksweise geprägt ist. Hauptanliegen Maimonides ist hierin die Vermittlung seiner Überzeugung, dass derjenige, der den Glauben an den Messias leugnet, den Glauben an das göttliche Gesetz leugnet.  Er pocht vehement auf die Notwendigkeit, auf das Kommen des Messias zu warten, selbst wenn es sich verzögern sollte und dennoch die göttlichen Gesetze im Erwarten seiner Ankunft zu befolgen. Er fordert hier sehr stark ein aktives Handeln von den Gläubigen und ein Ausharren in Zeiten der Zweifel und der Not.

 

Außerdem  betont er, entgegen der zeitgenössisch vorherrschenden Meinung, welche auf der rabbinischen Überlieferung beruht, laut welcher Wunder und die Wiederbelebung der Toten als Beglaubigungswunder des Messias gelten, zum wiederholten Male, hier aber in einer besonders ausführlichen und eindringlichen Weise, dass der Messias zur Beglaubigung seines göttlichen Auftrags keiner Wunderhandlungen bedarf. Grund hierfür ist die gänzlich unapokalptische Vorstellung des Messias. Es wird keine grundlegende Verwandlung oder Veränderung der Welt geben, sondern nur eine „graduelle Veränderung der Verhaltensmuster und der Gesinnung der Menschen in der Gesellschaft“[59] Auch im messianischen Zeitalter werden also die Naturgesetze weiter bestehen, selbst der Messias wird diesen unterworfen sein und die Welt wird gemäß ihrem natürlichen Verlauf weiter funktionieren. Krieg, Hunger und Not werden weiter bestehen und nicht mit dem Beginn des messianischen Zeitalters aufhören. „Was die Zunahme von Aufruhr und Krieg in Ost und West anbelangt, so wird dies nicht vor seinem Erscheinen der Fall sein, sondern erst nach dem Krieg von Gog, wie Ezechiel [Ez 38-39] deutlich gemacht hat.“[60]

 

Wichtig ist hierbei, dass Maimonides hiermit nicht einzelne Wunder oder vorübergehende, individuelle Veränderungen gänzlich ausschließen will, sondern vielmehr wiederspricht er einer permanenten Veränderung eines der Naturgesetze:

 

„Man möge nicht denken, daß in den Tagen des Messias irgend etwas, das dem natürlichen Lauf der Welt entspricht, aufhören oder eine Neugestaltung innerhalb des Schöpfungswerkes stattfinden werde. Vielmehr wird sich in der Welt alles nach der gewohnten Norm vollziehen. Wenn im Prophetenbuche Jesaja gesagt ist [Jes 11:6]: „Es wird der Wolf bei dem Lamme wohnen und der Panther bei dem Böcklein lagern“, so ist dies ein Gleichnis und eine bildliche Redeweise [...]. Ebenso sind alle ähnlichen, auf den Messias bezüglichen Schriftstellen als Gleichnisse aufzufassen.“[61]

 

Er ‚naturalisiert‘ die messianische Lehre also gänzlich und entkleidet sie „der übernatürlichen Charakteristika“ [62] . Diese Naturalisierung bezieht sich auch auf die Person des Messias selbst, wenn Maimonides betont, dass der Messias keine größere Autorität hat wie die anderen Propheten, obwohl er dennoch ein außergewöhnlich großer Prophet ist. Er wird ein irdischer Mensch sein und kein, wie im christlichen Denken, Welterlöser oder gar Gottessohn. Er wird auch kein Gesetzesgeber sein, sondern ein Erfüller des Gesetzes. Ebenso wie die Menschen bleibt auch der Messias sterblich. Es findet also beinahe eine Normalisierung der Zeit des Messias statt und eine Gleichsetzung mit dieser Welt.

 

Eine grundlegende Veränderung jedoch wird sich dennoch vollziehen: Die Unterdrückung und die Drangsale durch die Israel feindlich gesinnten Völker wird beendet werden. Auch hier wird also abermals der politische Erfolg zum Erkennungszeichen des Messias erklärt: er muss die Stämme Israels zusammenführen, welche sich fortan mit dem Ziel der Erkenntnis Gottes beschäftigen werden:

 

Alle Welt wird kein anderes Anliegen haben, als Gott zu erkennen. Darum werden die Kinder Israels hervorragende Weise sein, und sie werden verborgene Dinge ergründen und die Gedanken ihres Schöpfers, soweit der menschliche Geist dies vermag, erfassen.[63]

 

Sollte ihm dies nicht gelingen, so ist er als falscher Messias entlarvt.

 

Festzuhalten ist hierbei weiter, dass Maimonides seinem oben ausgeführten Konzept zufolge die Vorstellung der rabbinischen Tradition, laut welcher es zwei Messiasgestalten für die Realisierung der eschatologischen Hoffnung Israels bedarf, nur ablehnen kann. Die Unterscheidung zwischen dem im Kampf erliegenden Messias aus dem Hause Josephs und dem ihm nachfolgenden, ein dauerhaftes Reich des Friedens schaffenden Messias aus dem Hause Davids ist für ihn keine Möglichkeit. Das Scheitern des ersten Messias ist im maimonidischen Denken nicht möglich. Dass der Messias nur aus dem Hause Davids stammen kann, liegt in seiner Bestimmung: er hat die Aufgabe, „das Fundament für die allmähliche Erfüllung des Gesetzes [zu] legen, nämlich die Erkenntnis Gottes“[64], wozu nur ein Nachkomme des weisesten Königs, Davids, in der Lage ist. Hier wäre als ein möglicher erster Messias höchstens David zu denken[65].

 

Die messianischen Zeit, welche durch dieses Auftreten des einen Messias eingeleitet wird, kündigt sich laut Maimonides durch den durch die Propheten angekündigten ‚Krieg des Gog und Magog‘ an, welchem das Erscheinen eines Propheten vorangehen wird. Dieser Prophet, welcher in der jüdischen Tradition oft mit Elija in Verbindung gebracht wird, soll das Volk Israels auf das Kommen des Messias vorbereiten. Wie genau sich all diese Dinge ereignen werden, lässt Maimonides jedoch im Dunkeln und zeigt sich hier deutlich weniger detailliert als bei der Beschreibung des Wesens des Messias. Wichtig ist ihm hierbei vor allem die Vergänglichkeit der messianischen Zeit; sie ist eine „menschliche Institution“ [66] und stellt nur eine Periode in der Geschichte da und ist somit ihrem Wesen nach zeitlich begrenzt. Am Ende dieser Periode werden „die Wiederauferstandenen Körper erneut sterben werden, und nur die Seele der Gerechten wird am ‘olam ha-ba teilnehmen.“[67] Im Zuge dieser naturalistischen Haltung kommt also ein weiterer wichtiger Gedanke Maimonides zum Tragen, welcher ihn abermals von seiner Umwelt und von den traditionellen Konzepten abgrenzt: für ihn sind die auferweckten Körper nicht unsterblich, sondern erlangen nur vorübergehend eine physische Existenz.

 

Zusammenfassend ist die Tatsache entscheidend, dass laut Maimonides der Messias nicht zur Erlösung führen wird.  Dieses Ausbleiben eines Umbruchs in der Welt und die verhältnismäßig irritierend-geringen Auswirkungen des Kommens des Messias zu beruht auf der Tatsache, dass das maimonidische Konzept noch eine Phase nach der messianischen Zeit ansetzt: es gibt ein Mehr als die messianische Zeit, ein Danach, nämlich die sogenannte ‚kommende Welt‘. Die messianische Zeit darf also keinesfalls mit der ‚kommenden Welt‘ gleichgesetzt werden, welche die Erlösung bringen wird:

 

Die höchste und vollkommenste Belohnung, der letzte Segen, der weder Unterbrechung noch Schmälerung erleiden wird, ist das Leben der kommenden Welt. Die Tage des Messias werden hingegen in dieser Welt umgesetzte werden, welche abgesehen davon, dass unabhängig die Herrschaft in Israel wiederhergestellt wird, in ihrem normalen Lauf weiterbestehen wird.[68] 

 

4.Schlussbetrachtung

 

Abschließend ist festzuhalten, dass Maimonides uns keine umfassende und abgeschlossene Arbeit über seine Haltung zum Messianismus zurück gelassen hat. Dennoch kann man sich mithilfe verschiedener Einzeltexte ein Gesamtbild erschließen. Hier zeichnen vor allem die beiden Hauptquellen, der Brief in den Jemen und die Mischne Tora, das Bild von Moses Maimonides als eines tief im jüdischen Messianismus verwurzelten Gläubigen, welcher sich stark an der jüdischen Tradition orientiert. Zentrale Bedeutung haben in seinem Konzept die Aufforderung zum Aktivismus der Gläubigen, die gänzliche Naturalisierung des Messianismus und infolgedessen die Ablehnung eines messianischen Umbruchs der Welt, welcher von Maimonides in die ‚kommende Welt‘ verschoben wird.

 

So kann abschließend resümiert werden, dass der Glaube an den Messias für Maimonides einen der „wichtigsten Glaubensgrundsätze der jüdischen Religion“[69] darstellt. Obgleich die Überzeugungen Maimonides angesichts der Vielfalt der jüdisch-messianischen Strömungen nicht als allgemein gültig im Judentum bewertet werden können, gilt das von ihm entworfene Konzept des jüdischen Messianismus als das eines der einflussreichsten jüdischen Theologen bis heute als richtungsweisend und fungiert als Leitlinie und Orientierungspunkt für viele Juden.

 

5. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

 

1. Primärliteratur:

 

Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. Mit Apokryphen. Durchgesehene Auflage.

 

    Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1999.

 

2. Sekundärliteratur:

 

2.1 Monografien

 

ALBERTINI, Francesca Yardenit: Die Konzeption des Messias bei Maimonides und die

 

    frühmittelalterliche islamische Philosophie. Berlin [u.a.]: de Gruyter 2009 (Studia Judaica,

 

    Bd. XLIV).

 

BECKER, Joachim: Messiaserwartungen im Alten Testament. Stuttgart: Katholisches Bibelwerk

 

    1977 (Stuttgarter Bibelstudien, Bd. 83).

 

BEN-CHORIN, Schalom: Bruder Jesus. Der Nazarener in jüdischer Sicht. 16. Auflage.

 

    München: Deutscher Taschenbuch Verlag 1996.

 

BROWN, Michael L.: Handbuch Judentum. Antworten auf die wichtigsten Fragen aus