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Lieben Sie es, Selfies zu machen? Ist Ihnen schon häufiger aufgefallen, dass Sie am liebsten nur von sich erzählen? Dann fragen Sie sich vielleicht, ob Sie ein Narzisst sind. Doch was genau ist Narzissmus? Kaum ein Begriff aus der Psychologie wird häufiger bei Google gesucht als Narzissmus. Dabei stellen wir gerne unserem Gegenüber die Diagnose, während wir sie für uns selbst weit von uns weisen – und uns insgeheim doch fragen, ob wir nicht selbst an dieser Krankheit leiden. Oder wir fragen uns, warum wir in unserem Leben immer wieder an Narzissten geraten, und wie wir uns gegen sie durchsetzen könnten. Der klinische Psychologe Dr. Craig Malkin zeigt in »Der Narzissten-Test« wissenschaftlich fundiert und verständlich, dass Narzissmus nur selten eine Krankheit ist, sondern dass wir uns alle in einem Spektrum bewegen, das von völliger Selbstlosigkeit bis zu extremem Größenwahn reichen kann. Dabei wird deutlich, dass wir narzisstische Anteile brauchen, um unser Selbstwertgefühl stabil zu halten. Ob man über einen gesunden Narzissmus verfügt oder im ungesunden Bereich des Spektrums angesiedelt ist, kann man anhand eines umfangreichen Tests erfahren. Zudem gibt Dr. Malkin dem Leser einen Leitfaden an die Hand, wie man sich selbst ebenso wie Lebenspartner, Vorgesetzte oder Freunde fördern bzw. bremsen kann. »Ein wahres Juwel unter den Büchern zum Thema Narzissmus« LIBRARY JOURNAL
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Seitenzahl: 333
Dr.Craig Malkin
DER NARZISSTEN-TEST
Wie man übergroße Egos erkennt … und überraschend gute Dinge von ihnen lernt
Aus dem Amerikanischen von Harald Stadler
eBook 2016
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel Rethinking Narcissism. The Bad – And Surprising Good – About Feeling Special bei HarperCollins, New York
© 2015 by Craig Malkin
© 2016 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Übersetzung: Harald Stadler
Umschlaggestaltung: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Nach einer Idee von: Jo Anne Metsch
eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
EINLEITUNG
Meine Mutter war die wunderbarste und zugleich unausstehlichste Person, die ich je kannte: Sie war ein Narzisst.
Mir war das lange nicht bewusst, bis ich mich im College mit einem Einführungstext zur Psychologie befasste. Da stand, direkt unter der Abbildung des jungen Griechen Narziss, der in einem Gewässer auf sein Spiegelbild starrt, in großen Lettern das Wort »Narzissmus«. Als ich die begleitende Erläuterung las, war ich gleichzeitig erleichtert und entsetzt. Der Begriff brachte das paradoxe Wesen meiner Mutter vollkommen auf den Punkt.
Sie war die strahlende Gestalt meiner Kindheit – unbezähmbar aus sich herausgehend, ansteckend witzig und wunderbar fürsorglich. Die ganze Welt schien sich um sie zu drehen. Sie war blond und auffallend groß, sprach mit unüberhörbar britischem Akzent, weil sie in England aufgewachsen war, und schien überall Anschluss zu finden – im Lebensmittelgeschäft, im Café und im Friseursalon. Für Freunde opferte sie sich auf; sie stand jedem bei, der krank oder in Schwierigkeiten war. Auch in der Gemeinde engagierte sie sich, egal ob es darum ging, einen Spielplatz zu säubern oder für eine Wohltätigkeitsveranstaltung zu backen. Für ihren Mann und ihre Kinder – meinen Bruder und mich – war sie immer da. Wir alle spürten ihr großes Herz und schätzten ihren Rat.
Mit zunehmendem Alter verblasste ihr Glanz jedoch allmählich. Sie schien ichbezogener zu werden. Sie prahlte mit ihren Leistungen als junge Balletttänzerin und unterstrich dies zuweilen, indem sie – höchst ungelenk – ein Plié oder einen Spagat vorführte. Sie versuchte, Eindruck zu machen, indem sie die Namen berühmter Leute fallen ließ, die sie angeblich kennengelernt hatte, wobei ich nie genau wusste, ob die Begegnungen real oder nur eingebildet waren. Sie fixierte sich immer mehr auf ihr Äußeres, registrierte fieberhaft jede neue Falte, suchte ihren Körper nach Hautflecken ab und hungerte, um schlank zu bleiben. Sie unterbrach andere Menschen mitten im Satz, selbst wenn diese über ihre Sorgen und Nöte sprachen. Als ich einmal versuchte, ihr mein Herz über meinen Liebeskummer auszuschütten, murmelte sie versonnen: »Ich hatte nie Probleme, Jungs zum Ausgehen zu finden.« Ich war verdutzt über diese Äußerung, mit der sie überhaupt nicht auf mich einging.
Was war mit meiner Mutter geschehen? Am College hatte ich das Wort »Narzissmus« gelernt, aber ich begriff überhaupt nicht, was es bedeutete. So viele Fragen stellten sich mir: War meine Mutter schon immer narzisstisch gewesen und ich hatte es bloß nicht bemerkt? Wurde sie durch die Umstände, nämlich ihr Älterwerden, plötzlich dahin gedrängt? Konnte ich irgendetwas tun, um die liebevolle, selbstlose Mutter, die ich von meiner Kindheit kannte, wiederzubekommen?
Ich setzte alles daran, Antworten zu finden. In der Bibliothek vertiefte ich mich in Bücher und Aufsätze, angefangen bei Sigmund Freud. Während meiner Ausbildung zum Psychologen absolvierte ich ein Praktikum bei einem der führenden Experten für Narzissmus. Nach meiner Promotion erhielt ich ein Forschungsstipendium zur Behandlung von Patienten mit Persönlichkeitsstörungen – in der Hoffnung, die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (NPS), die ausgeprägteste Form von Narzissmus, besser zu begreifen. Aber obwohl ich in jenen Jahren sehr viel lernte, kam mir mein Verständnis immer noch recht lückenhaft vor. Doch dann erlebte ich eines Tages etwas, das meine Ansichten über Narzissmus – bei meiner Mutter, bei meinen Klienten und mir selbst – dauerhaft veränderte.
Kurz nachdem mein Vater gestorben war, übernahmen meine Frau, Jennifer, und ich die mühsame Aufgabe, den Umzug meiner Mutter aus ihrem großen Haus in ein kleines Apartment in unserer Nähe zu bewerkstelligen. Die beengten Räumlichkeiten, in denen sich meine Mutter nun wiederfand, verstörten sie vollends. »Hübsches Heim, das ihr mir da besorgt habt«, knurrte sie sarkastisch.
Jene erste Nacht verbrachte sie in einem nahe gelegenen Hotel. Am folgenden Nachmittag ließ sie sich von einem Taxi bei der Wohnung absetzen, wo wir auf sie warteten. Wir machten uns wieder daran, ihre Sachen auszupacken, größtenteils schweigend und weitgehend ohne ihre Hilfe. Es dauerte nicht lange, bis meine Mutter wieder mit dem Taxi davonrauschte, diesmal, um riesige Summen für »Dekorationen« auszugeben.
So ging es eine Woche lang – die Nächte verbrachte meine Mutter im Hotel und tagsüber ging sie einkaufen. Eines späten Abends erklärte sie mit einem übertriebenen Seufzen: »Ich muss es mir bequem machen!« Sie verschwand im Schlafzimmer, wo wir sie mit Kartons rascheln hörten. Kurz darauf kam sie wieder – in Schuhen mit zehn Zentimeter hohen Absätzen, von Manolo Blahnik, wie sie uns stolz wissen ließ. »So, jetzt kann ich mich entspannen«, seufzte sie. »Zumindest meine Schuhe machen mehr her als diese Wohnung.« Die Schuhe gaben ihr anscheinend das Gefühl, etwas Besonderes zu sein.
Da wurde es mir schlagartig klar. Sich als etwas Besonderes vorzukommen, diente meiner Mutter als Krücke, auf die sie sich stützte, wenn sie sich verunsichert, traurig oder einsam fühlte. Anstatt sich an mich, an meinen Bruder, an Jennifer oder irgendjemanden zu wenden, um darüber zu reden, wie sehr sie das Alleinsein ängstigte, setzte sie darauf, sich besser als andere Menschen zu fühlen. (Auf ihren Edelstilettos stand sie förmlich über den meisten anderen.) Als sie jünger war, schien es nicht so wichtig zu sein, sich als etwas Besonderes zu fühlen; dieses Gefühl vermittelten ihr damals andere Menschen durch Zuwendung und Komplimente. Aber als sie älter wurde und ihr strahlendes Aussehen – aus dem sie sehr viel Selbstvertrauen ableitete – verblasste, glaubte sie immer mehr, sie habe sehr wenig zu bieten, und zog sich aus dem gesellschaftlichen Leben zurück. Und so musste sie andere Wege finden, sich herauszuheben und sich selbst zu beweisen, dass sie etwas Besonderes war.
Diese Sichtweise des Narzissmus – als menschliche Angewohnheit, sich selbst aufzurichten – eröffnete mir einen viel klareren, einfacheren Weg, mit meiner Mutter zurechtzukommen. Ich konnte erkennen, welche Faktoren ihren Narzissmus verstärkten beziehungsweise entschärften. Ich konnte feststellen, wie und warum ihr Narzissmus destruktiv wurde. Ich kam sogar dahinter, wie ich ihr helfen konnte, ihren Narzissmus abzulegen und offen über ihren Kummer zu sprechen.
Diese Bemühungen, meine Mutter zu verstehen, verhalfen mir noch zu einer weiteren Erkenntnis: Narzissmus ist nicht immer nur negativ. Genau genommen sind einige Formen des Narzissmus gut, ja sogar notwendig, um ein glückliches und erfülltes Leben führen zu können. Eines konnte ich immer wieder feststellen: Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, kann den Menschen kreativer machen und ihm außergewöhnliche Eigenschaften verleihen – in einer Beziehung, im Familienleben, bei öffentlichen Aufgaben und den unterschiedlichsten Herausforderungen, die Mut und Unerschrockenheit erfordern. Und es kann sogar dafür sorgen, dass man länger lebt.
Zahlreiche Studien bestätigten einen Großteil dessen, was ich in meiner Kindheit und Jugend mitbekam. Die Charakterzüge, die ich an meiner Mutter einst so bewundert hatte – ihre Herzlichkeit, ihre Lebensbejahung und ihre Dynamik –, wurden weitgehend durch ihren Narzissmus genährt und verstärkt. Ihr Gefühl, etwas Besonderes zu sein, verlieh ihr Selbstvertrauen und Schneid. Es gab ihr die Überzeugung, sie könne durch ihre Klugheit die Welt verändern und so gut wie alles verwirklichen, was sie sich nur vornahm; und es gab ihr die Courage, ihre Pläne auch tatsächlich anzupacken. Ihr Narzissmus war für sie gleichsam ein Sprungbrett. Er machte sie zu einer treusorgenden Mutter und einem tatkräftigen Gemeindemitglied. Und er befähigte sie, nicht nur an sich selbst zu glauben, sondern auch an andere – was jeder spürte.
Als ich sieben Jahre alt war, unterhielt sie sich mit einem verzweifelten Geschäftsmann, der kurz davor stand, seinen Laden aufzugeben. »Wir brauchen Sie«, sagte meine Mutter freudestrahlend. »Ich brauche Sie. Wo sonst würde ich so leckere Lebensmittel und so geistreiche Gespräche kriegen?« Sie stülpte ihre Lippen zu einem übertriebenen Schmollmund auf. »Das geht nicht!«, erklärte sie mit einem Fußstampfen. »Sie können nicht dichtmachen – das lasse ich nicht zu!« Während ich an einem Keks knabberte, sah ich, wie sich das betrübte Gesicht des Mannes aufhellte. Solche Fähigkeiten besaß meine Mutter: Sie kam sich als etwas Besonderes vor und gab auch anderen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein. Das Geschäft des Mannes blieb noch für Jahre in Betrieb.
Dass dieses Gefühl, etwas Besonderes zu sein, vorteilhaft, aber auch schädlich sein kann, ist nur eine der überraschenden Erkenntnisse, die ich machte, während ich dem Rätsel des Narzissmus auf den Grund ging. Auf den folgenden Seiten beschreibe ich viele weitere Beobachtungen und Erkenntnisse, die das gängige Meinungsbild infrage stellen. Meine Schlussfolgerungen stützen sich auf umfassende Recherchen und Forschungsarbeiten, die größtenteils in den letzten Jahren durchgeführt wurden. Darüber hinaus konnte ich auf meine Erfahrung als klinischer Psychologe zurückgreifen; meine therapeutische Arbeit mit Einzelpersonen und Paaren lieferte anschauliche Beispiele für Narzissmus in seiner schlimmsten und seiner besten Form sowie in all seinen feinen Abstufungen. (Sämtliche Beispiele setzen sich aus Menschen zusammen, die bei mir in Therapie waren; persönliche Daten wurden zum Schutz ihrer Privatsphäre abgeändert.)
Dieses Buch soll dazu beitragen, dass Sie nicht nur mit Ihren Mitmenschen, etwa Angehörigen oder Arbeitskollegen, leichter zurechtkommen, sondern auch sich selber besser verstehen. Mir selbst ist meine wissenschaftliche und therapeutische Arbeit auf jeden Fall zugutegekommen.
Wie so viele andere Kinder von Narzissten erlaubte ich es mir früher überhaupt nicht, mich als etwas Besonderes zu fühlen. Ich hatte sogar Angst davor, es auch nur zu versuchen. Komplimente verunsicherten mich; ich wies sie zurück oder tat sie ab. Egal was ich auch leistete – es war nicht gut genug.
Als ich in späteren Jahren als junger Erwachsener darum rang, meine eigene Stimme zu finden, schlug ich in die entgegengesetzte Richtung aus; ich beherrschte Gespräche mit ein bisschen zu viel Gewitzel oder großtuerischen Sprüchen, bloß um zu beweisen, dass ich etwas Interessantes zu sagen hatte. Erst allmählich erkannte ich, dass keine der beiden Grundhaltungen – ständige Selbstzweifel beziehungsweise andauernde Prahlerei – ein wirklich erfüllendes Leben garantierten; beide gaben mir das Gefühl, allein und unverstanden zu sein.
Zum Glück ist es mir gelungen, mich zu ändern und ein dankbares Gleichgewicht zu finden. Und ich habe vielen anderen Menschen geholfen, ein gesundes Mittelmaß zu erlangen. Als Therapeut bin ich fest davon überzeugt, dass Wachstum und Entwicklung jedem offenstehen, ob er nun zu wenig oder zu viel Narzissmus in sich birgt. Erfreulicherweise wird dieses Fazit durch Indizien bestätigt, wie wir sehen werden.
Einige Jahre nachdem ich begonnen hatte, für dieses Buch zu recherchieren, starb meine Mutter. Mein Bruder und ich waren an ihrer Seite. Inzwischen hatte ich gelernt, ihren Narzissmus in einem anderen, differenzierteren Licht zu sehen. Ohne diese neue Sichtweise wäre ich bestimmt nicht imstande gewesen, mich in Liebe von ihr zu verabschieden.
Mit diesem Buch möchte ich die Klarheit und Zuversicht, die ich erlangt habe, auch in Ihr Leben bringen. Möge es dazu beitragen, dass Sie die negativen Seiten der Selbstverliebtheit überwinden und die positiven bewusst bejahen.
DER MYTHOS DES NARZISS
Im antiken Griechenland lebte dem Mythos zufolge einst ein Knabe namens Narziss; er war der Sohn des Flussgottes Cephisus und der Quellnymphe Liriope. Aufgrund seiner Abstammung war er mit göttlicher Schönheit gesegnet. Goldene Locken fielen über seine Stirn und sein Körper war wohlgestaltet, gestählt von der Jagd nach Wild und Vögeln.
Narziss wurde von allen Seiten umworben; Jung und Alt, Männer und Frauen verfielen seinen Reizen. Immer wenn er die Wälder durchstreifte oder einem Bachlauf folgte, lockte er eine Schar von Nymphen an, die einen Blick auf ihn erhaschen wollten.
Narziss gewöhnte sich an diese Bewunderung, blieb jedoch ungerührt und verschmähte sämtliche Verehrer. Schon bald war sein kalter Stolz ebenso legendär wie seine Schönheit. Jeder Verehrer wurde herzlos abgewiesen. Narziss schien zu glauben, er stehe über der Liebe und der Welt der Menschen – ja sogar über den Göttern.
Eines Tages entbrannte auch das Herz der Bergnymphe Echo für den stolzen Jüngling. Während die Sonne durch die Bäume des Waldes fiel, erblickte sie Narziss auf seiner täglichen Jagd. Sie konnte den Blick nicht von ihm abwenden und folgte ihm, zunächst heimlich und leise. Überwältigt von ihrer Leidenschaft, wurde sie kühner und trat lauter auf. Da merkte Narziss, dass ihm jemand folgte.
»Wer ist da?«, rief er.
Echo wollte antworten, aber sie hatte keine eigene Stimme – ein Fluch der Göttin Hera hatte ihr diese geraubt. (Hera hatte die sonst so redselige Echo dafür bestraft, dass jene ihre Nymphenschwestern gewarnt hatte, mit denen sich Heras Gatte Zeus vergnügte.) Sie wollte antworten, konnte aber nur die Worte des Narziss wiederholen.
»Wer ist da?«, erwiderte sie hoffnungsvoll.
»Komm sofort heraus!«, verlangte Narziss.
»Heraus«, gab Echo betrübt zurück.
Narziss wurde wütend. Er fühlte sich verspottet und rief: »Zeige dich!«
»Dich!«, greinte Echo und sprang hinter den Büschen hervor. Sie streckte die Hände nach ihm aus und schlang ihre Arme um seinen Hals.
Narziss blieb jedoch kaltherzig. »Geh weg!«, brüllte er. Während er weglief, schrie er über seine Schulter: »Eher möchte ich sterben, als dass ich der Deine würde!«
»Der Deine würde!«, gab Echo zurück. Gedemütigt und mit gebrochenem Herzen verschwand sie im Dickicht des Waldes. Der Kummer verzehrte ihren Leib, sie erstarrte zu Stein und nur ihr Echo blieb.
Auch ein Mann namens Ameinios empfand die Zurückweisung durch Narziss so schmerzlich, dass er sich in ein Schwert stürzte, nicht aber ohne zuvor die Rachegöttin Nemesis anzurufen. Und so verhängte Nemesis einen Fluch über Narziss, der jener Grausamkeit entsprach, die Narziss anderen zugefügt hatte. Narziss sollte selbst den Schmerz erleiden, den unerwiderte Liebe gebiert.
Eines Nachmittags ließ er sich erschöpft von der Jagd an einem abgelegenen Teich nieder. Das Wasser war so still, dass es einem Spiegel glich. Um seinen Durst zu löschen, beugte sich Narziss dicht über das Nass, in dem er ein berückendes Antlitz erblickte. Er erkannte gar nicht, dass er sein Spiegelbild anstarrte, so geblendet war er vom Fluch der Nemesis. Sein Herz pochte vor Leidenschaft. Solch tiefes Verlangen, solche Freude über die Gegenwart eines anderen hatte er noch nie empfunden. Konnte dies Liebe sein?
»Wer du auch seist, tritt hervor!«, rief er.
Stille.
»Warum antwortest du mir nicht?«, brüllte er, während er sein Spiegelbild anstarrte. »Verschmähst du mich?«
Er beugte sich hinab, um das Gesicht zu küssen. Das Gesicht schien für kurze Zeit zu entschwinden.
»Komm zurück!«, flehte der Liebestolle und versuchte erneut, sich der Gestalt zu nähern, sie zu berühren, ihre Umarmung zu spüren. Doch immer wieder schien das Antlitz zurückzuweichen und in die Tiefe der Quelle zu entschwinden.
Stunden vergingen, Tage, bis Narziss endlich aufstand und sich fasste. Endlich wusste er, was er zu tun hatte.
»Ich komme zu dir!«, rief er in die Wellen. »So sind wir vereint!«
Damit stürzte er sich in den Teich, tauchte in die Tiefe, immer weiter hinab, bis er gänzlich verschwunden war, für alle Zeit.
TEIL I
WAS IST NARZISSMUS?
1.
NARZISSMUS NEU BETRACHTET
Alte Thesen, neue Sichtweisen
Der heimliche Killer bei allen erfolgreichen Männern und Frauen –besonders bei Männern, ich weiß nicht warum, vielleicht wegen des Testosterons– ist wohl Narzissmus. Sogar mehr als Arroganz. Auch bei Frauen. Narzissmus ist der Killer.
Ben Affleck
Narzissmus. Das Wort ist in jüngster Zeit so ungeheuer populär geworden, dass sogar Narziss selbst vor Stolz erröten würde. Man muss nur eine Zeitung oder Zeitschrift aufschlagen, die Abendnachrichten oder eine Talkshow im Fernsehen verfolgen, Pendler bei ihren Handygesprächen belauschen oder mit einem Nachbarn plaudern– immer wieder taucht dieses Wort auf. Jeder verwendet es: Normalbürger, Schauspieler, Gesellschaftskritiker, Psychotherapeuten, ein Richter am Obersten US-Gerichtshof, sogar der Papst. Berücksichtigt man zudem, dass wir angeblich mitten in einer »Narzissmusepidemie« stecken, so wird leicht ersichtlich, warum das Wort in aller Munde ist. Kaum etwas beherrscht die Gesprächsthemen so sehr wie eine sich ausbreitende Krankheit, besonders wenn sie –wie Ben Affleck zu fürchten scheint– letal ist.
Was aber bedeutet Narzissmus eigentlich genau? Dafür, dass dieses Wort so häufig und so besorgt geäußert wird, erscheint dessen Definition beunruhigend vage. In der Umgangssprache ist es inzwischen kaum mehr als eine gängige Beleidigung, die auf ein übersteigertes Ego verweist– Selbstbewunderung, Selbstverliebtheit, Selbstgefälligkeit und Selbstsucht. Die Presse neigt dazu, dieses Etikett jedem Promi oder Politiker anzuheften, dessen Werbegags oder Selfie-Gewohnheiten ausarten.
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