Der neue Aktienberater - Uwe Lang - E-Book

Der neue Aktienberater E-Book

Uwe Lang

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Beschreibung

Hier spricht der Klassiker: Vor über 15 Jahren veröffentlichte Uwe Lang eines der ersten Bücher über die Aktienanlage. Der Autor gilt als einer der weitsichtigsten und solidesten Börsenbeobachter. Mehrere Tausend Leser vertrauen seinen Analysen, die er monatlich in den Börsensignalen veröffentlicht.

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Lang, Uwe

Der neue Aktienberater

Kritische Empfehlungen für Anfänger und Fortgeschrittene

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Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2003. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40028-0

|9|Vorwort

»Nie wieder Aktien!« So ließ sich die Stimmungslage bei vielen Privatanlegern umschreiben, als ich das Manuskript für das vorliegende Buch erstellte. Viel Geld war in einer langen Börsenbaisse verloren gegangen; von Banken und ihren Beratern fühlte man sich verraten und verkauft. Dabei hatte die Mehrheit der Bevölkerung in Europa erst in den 90er Jahren Vertrauen in die Anlageform Aktie gefasst. Die Jahre 2001 und 2002 zeigten dann, wie sehr sich Analysten um die Jahrhundertwende in der Bewertung von Aktien und in den Möglichkeiten der Kurssteigerung verschätzt hatten.

Da notierten Aktienindizes wie der deutsche DAX im Juli 2002 mit einem Tiefststand von 3260 Punkten rund 50 Prozent unter den Höchstständen von Anfang März 2000 (Hoch bei 8200 Punkten). Auf nichts mehr schien Verlass. Weder Zinssenkungen noch Gewinnschätzungen von Analysten konnten die Weltbörsen dazu bewegen, die früheren Höhen wieder zu erklimmen. Offensichtlich läuft das Börsengeschehen im 21. Jahrhundert nicht mehr genau so ab wie es in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts üblich war. Seit Anfang der 80er Jahre hatte es nie länger als ein Jahr gedauert, dass nach einem weltweiten Aktienhoch dieses erneut übertroffen wurde. Solange Wirtschaftswachstum vorhanden war, stiegen auch die Unternehmensgewinne. Die Aktienkurse nahmen es vorweg. Daran hatte man sich gewöhnt. Und nun gab es derartige Enttäuschungen!

Die Ursache liegt darin, dass die Börsenentwicklung dem weltwirtschaftlichen Geschehen zu weit vorausgeeilt war. Auch in früheren |10|Zeiten hatte es Verzögerungen in den Kursentwicklungen gegeben, die wesentlich länger dauerten als gewohnt. 23 Jahre brauchte es in den USA und Europa, bis die Höchstkurse der überschäumenden Börsenentwicklung von 1960 im Jahre 1983 wieder erreicht wurden. Wenn im Jahre 1960 ein Sechzigjähriger gehofft hatte, durch regelmäßige monatliche Einzahlungen in Aktien als die angeblich »beste Anlageform« seinen Ruhestand zu finanzieren, dann kam der Aufschwung der 80er Jahre für ihn zu spät.

Noch schlimmer war die Wartezeit nach dem Crash 1929 und der großen Weltwirtschaftskrise; fast drei Jahrzehnte benötigte der Dow-Jones-Index, seinen Stand von 1929 wieder zu erreichen.

Gute und schlechte Jahrzehnte für die Aktienanlage haben sich also abgewechselt. Deshalb wurde auch die Frage nach der besten Anlageform in den verschiedenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts immer wieder anders beantwortet.

»Die beste« Anlage gibt es nicht. Ende der 70er Jahre galten Gold und Immobilien als die sichersten und renditeträchtigsten Anlagen. Davon waren damals 90 Prozent der Anleger überzeugt.

Die wichtigste Lehre, die jeder Anleger künftig beherzigen muss, lautet: Aktien müssen langfristig gesehen keineswegs ständig steigen. Das bedeutet, dass wir am besten niemals in Jahrzehnten denken, sondern immer nur die kommenden ein bis zwei Jahre im Auge haben sollten – also den »mittelfristigen« Trend. Übertreibungen nach unten und oben müssen zum Kauf und Verkauf genutzt werden.

Aktien sind sicherlich auch als Altersvorsorge tauglich. Aber diese darf auf keinen Fall in Form von »Sparplänen durch Fonds«, wie sie gern von Banken und Versicherungen empfohlen werden, erfolgen. Sie werden vermutlich nicht mehr die Renditen der Jahre 1995 bis 2000 erbringen, nach denen sie gern hochgerechnet werden.

Den Börsenberatern in den Finanzinstituten und Medien fällt in den nächsten Jahren die Aufgabe zu, das Vertrauen der Anleger zurückzugewinnen. Ein genereller Rückzug aus Aktien wäre jedenfalls falsch. Aktien haben wie jede andere Anlageform ihre positiven und |11|negativen Zeiten. Es muss und wird auch künftig Unternehmen geben, die gut verdienen werden, weil die Menschheit auf ihre Produkte und Dienstleistungen dringend angewiesen ist. Deren Aktionäre werden davon profitieren können. Selbst wenn wir vor Zeiten stehen sollten, in denen, ähnlich wie zwischen 1960 und 1982, kein Kursfortschritt zu erzielen war, bleiben Aktien interessant. Dank der Kursschwankungen konnte man immer gut verdienen, wenn man in der Baisse kaufte und in der Hausse verkaufte. Das wird auch künftig so bleiben. Dass die Aktienkurse wieder Höhenluft atmen werden, dafür werden schon die Banken und Topmanager aus einem Selbsterhaltungstrieb heraus sorgen, denn sie leben davon.

Geändert haben sich auch einige Regeln und Analysemethoden. Die großen Kapitalströme, die ein Vielfaches der Summen ausmachen, die noch vor 20 Jahren um den Erdball gejagt wurden, die steil angestiegene Zahl der Aktienfonds, die von jungen, unerfahrenen und um ihre Stellung besorgten Managern verwaltet werden, sorgen für immer heftigere Übertreibungen nach oben wie nach unten. Zinssignale spielen nach dem Ende der Inflationsbefürchtungen nicht mehr eine so wichtige Rolle wie in den Jahren 1960 bis 1995. Neue Methoden, wie die Übertreibungen antizyklisch genutzt werden können, sind nötig. Diese globalen Veränderungen auf den Kapitalmärkten und die daraus erwachsene Notwendigkeit, die Geldanlage in Aktien nach neuen Bewertungskriterien auszurichten, machte eine komplette Überarbeitung meines Buches Der Aktien-Berater aus dem Jahr 1999 erforderlich. Dies war die Grundlage für das vorliegende Buch.

Auch bei der Auswahl der Aktien gibt es neue Gesichtspunkte. Wer die Unternehmen analysiert, ob sie über- oder unterbewertet sind und dazu das von mir seit Jahrzehnten angewandte Auswahlverfahren der Relativen Stärke beachtet, wird in der Regel zwar weiter besser abschneiden als der DAX, der Eurostoxx-50-Index oder andere Aktienindizes. Die US-Studie von James P. O’Shaughnessy (»What works on Wall Street«), auf die ich in diesem Buch ebenfalls noch näher eingehen |12|werde und die sich auf Auswahlverfahren von 1951 bis 1997 in den USA bezieht, hat jedoch in der Frage der Aktienauswahl und -bewertung derart wichtige Erkenntnisse gebracht, dass man sie künftig unbedingt mit berücksichtigen sollte.

Dieses Buch soll Mut machen. Wer bestimmte einfache Börsenregeln kennt, wird auch in kritischen Zeiten das Geschehen am Aktienmarkt nicht als unerklärliches Schicksal betrachten, sondern sich die Bewegungen im Sinne einer planvollen Vermögensanlage zunutze machen. Sowohl der Börsenneuling als auch der Fortgeschrittene erfahren in diesem Buch, worauf es heutzutage bei der Aktienanlage ankommt, wo man sich allzu rasch auf den Holzweg begibt.

Uwe Lang

|13|1 Gute Zeiten, schlechte Zeiten – Börsenerfolge sind immer möglich

Um die Jahrtausendwende waren 90 Prozent der Bevölkerung in den USA und Europa der Meinung, dass Aktien als Geldanlage unschlagbar seien. Die Kurse würden auch im kommenden Jahrzehnt kräftig steigen, so wie man es aus den 90er Jahren gewohnt war. Jeder Kursrückgang sei bald aufgeholt, und in jedem Kalenderjahr gebe es neue Höchstkurse. So glaubte man. Deshalb hatten die wenigsten Anleger Bedenken, sich mit ihrem Anlagekapital zu 100 Prozent in Aktien zu engagieren. Meldeten doch alle Statistiken, dass die Aktie als Anlageform unübertroffen sei. Da wurden einige forsche Bücher zum Thema »Aktien als Daueranlage« geschrieben. Heftige Kursschwankungen seien kein Nachteil, sondern eine Chance. Die meisten Autoren plädierten für die Daueranlage in ausgesuchten Wachstums- und Konsumtiteln. Dass Aktien die beste Anlageform seien und der Deutsche Aktienindex (DAX) jährlich im Durchschnitt mehr als 12 Prozent zulege, war diesen Ratgebern selbstverständlich. Doch dann kam alles anders.

Der Sittenverfall an der Börse

Wenn dies alles so gestimmt hätte, dann hätte man ja vor Kursstürzen wie in den Jahren 2001 und 2002 keine Angst zu haben brauchen. Oder doch? In Zeiten einer allgemeinen Aktieneuphorie redet es sich |14|leicht von »Buy and Hold« (»Kaufen und liegen lassen«). Wenn es aber dann wirklich kracht an den Börsen, stellen sich schnell Zweifel ein, ob es in den nächsten Jahren überhaupt wieder aufwärts geht, ob nicht Wirtschaft und Börse in einem Sumpf von Schuldenkrise und Depression versinken. Abb. 1 gibt ein anschauliches Beispiel.

Abbildung 1: Kursentwicklung Deutsche Telekom 1996 bis 2002

Es war die Aktie der Deutschen Telekom, die seit 1996 in der deutschen Bevölkerung größeres Interesse für diese Anlageform geweckt hatte. War der Ausgabekurs um rund 14 Euro im Jahre 1996 noch einigermaßen fair, wurden die Anleger später durch viel Werbung regelrecht zum Kauf dieser Aktie geködert. Wer seinerzeit bei der Neuemission der Telekom-Tochter T-Online (April 2000) keine Aktien bekommen hatte, wurde angeschrieben, er würde stattdessen bei der Telekom-Neuemission im Juni 2000 berücksichtigt, zu 63 Euro – als ob dies sonderlich günstig gewesen wäre. Viele Aktionäre meinten wohl, ihnen würde hier ein Geschenk präsentiert. Im Juni 2002 war die Telekom-Aktie an der Börse unter 9 Euro zu haben.

Schwer geschadet hat allen Weltbörsen Folgendes: Die meisten US-Gewinnzahlen waren in den 90er Jahren so stark geschönt, dass sie in den Bilanzen danach nur noch schwer zu überbieten waren. Jetzt wurde immer klarer, warum die US-Aktien stärker gestiegen waren als |15|in Europa, obwohl die USA nicht wirklich ein höheres Produktivitätswachstum aufzuweisen hatten. Manipulierte Bilanzierungsmethoden führten zu aufgeblähten Gewinnen und damit weit überhöhten Aktienkursen. Wie eine Zitrone wurden US-Unternehmensbilanzen ausgepresst, damit die Topmanager zu Traumgehältern gelangen konnten. Ihre Jahreseinkommen in zweistelliger Millionenhöhe waren – dem eng ausgelegten Shareholder-Value-Prinzip folgend – an den Unternehmensgewinn oder den Börsenkurs gekoppelt. Im Grunde handelten viele von ihnen nach dem Motto »Nach mir die Sintflut«. Nach solchen Manipulationen ließen sich Zahlen nicht mehr weiter verdrehen, ohne dass es auffiel. Enron und Worldcom waren die ersten Großkonzerne, die danach einräumen mussten, zahlungsunfähig zu sein.

Immer klarer wurde, dass die Weltbörsen im Grunde unter den Folgen eines »Sittenverfalls« auf dem Gebiet der Wirtschaft litten, wie das manager magazin in seiner Juni-Ausgabe 2002 mit Recht formulierte. Was den Kleinanlegern im Jahre 2000 angetan wurde, als die Kurse hoch waren, war in der Börsengeschichte beispiellos. Finanzdienstleister und Wirtschaftslenker in den Großunternehmen fabrizierten mit falschen Versprechungen einen Scherbenhaufen und zerstörten massiv Vertrauen. Wie insbesondere die Kleinaktionäre rücksichtslos behandelt wurden, dafür ein Beispiel: Die Deutsche Bank empfahl ihren Anlegern am 6. August 2001 Telekom-Aktien zum Kauf. Schon am nächsten Tag begann sie für den Großkunden Hutchison Whampoa mit massiven Telekom-Verkäufen. Mit Recht war man bei der Telekom über das Verhalten der Deutschen Bank empört. Der Skandal bestand darin, eine Kaufempfehlung just einen Tag vor einer großen Verkaufsabwicklung (44 Millionen Stück Telekom-Aktien!) auf den Markt kommen zu lassen. Wer noch immer nicht wusste, dass Kleinanleger den Großbanken vor allem als Abnehmer für Finanzprodukte wichtig sind und ansonsten auf sie keine große Rücksicht genommen wird, konnte jetzt wieder einiges dazulernen. Denn so offenkundig anlegerfeindlich hatte sich bisher noch keine |16|Großbank bei der Empfehlung einer Standardaktie verhalten. Bisher kannte man dies nur vom Neuen Markt, wo sich bereits fast alle Großbanken Skandale geleistet hatten. Hier hatten Berater die Anleger auf die Fonds verwiesen, deren »professionelles Management« durch eine gute Streuung dafür sorgen werde, dass keine Baisse allzu hart ausfallen werde. Das war die Theorie – und die Praxis? 70 bis 90 Prozent Verlust waren bei den Neuen-Markt-Fonds die Regel.

Eine Frage des Vertrauens

Wirtschaft und Handel leben im Grunde genommen davon, dass man sich gegenseitig vertrauen kann. Vertrauen heißt nicht nur, dass Rechnungen pünktlich bezahlt werden, sondern auch, dass Auskünfte richtig sind und Versprechungen eingehalten werden. Wer seine Kunden und Geschäftspartner nur noch als Hilfsmittel zum »Raffen« ansieht, sägt sich den Ast ab, auf dem er selbst sitzt.

Vertrauen ist ein Wirtschaftsfaktor, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. In den meisten Ländern ist es im Laufe der vergangenen Jahre deutlich zurückgegangen. Mit einer schlichten Meinungsumfrage »Vertrauen Sie den meisten Menschen?« ist es möglich zu erkennen, ob die nötige Grundlage für eine funktionierende Wirtschaft in einem Land vorhanden ist. Am meisten Vertrauen besteht noch in Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Kanada und Finnland. Schlimm bestellt ist es in den USA, Italien, Großbritannien, Spanien, Frankreich, der Türkei und Brasilien. Deutschland liegt etwa in der Mitte.

Was die Aktionäre am meisten verstimmte, war das Frisieren von Bilanzen durch die Konzerne. Aber ein Sittenverfall ist auch sichtbar in der Zunahme der Schmiergeldzahlungen, in Preisabsprachen, in ruppigen Marketingmethoden, im Übervorteilen von Kleinaktionären bei Übernahmen, im Abzocken von unbedarften Privatanlegern durch immer mehr Fonds und im Ausplündern von Großunternehmen |17|durch ihre Topmanager. »Raubtier-Kapitalismus« nannte dies der Spiegel in seiner Ausgabe vom 8. Juli 2002.

Wenigstens berichteten die Medien jetzt darüber, und das Bewusstsein, dass man den Finanzdienstleistungsunternehmen und Unternehmensführern stärker auf die Finger sehen muss, hat sich inzwischen verschärft. Viele Jahre hatte kaum jemand vor der Erfolglosigkeit und dem ungenierten Absahnen der meisten Fonds gewarnt. Jetzt kamen die Fakten endlich in der Presse auf den Tisch. Auch die Selbstbedienung der Topmanager an den Unternehmensvermögen wurde angeprangert, nachdem es jahrelang immer hieß, Kritik daran sei nur eine »Neidkampagne«. Es ist nicht in Ordnung, wenn Vorstandsmitglieder zum Beispiel neben einem Grundgehalt von vier Millionen Euro im Jahr noch zusätzliche Einkünfte von sieben Millionen über so genannte »Optionen« beziehen, die ihre Wirkung bereits dann garantieren, wenn der Aktienkurs von einem tiefen Niveau aus um 20 bis 30 Prozent steigt. Michael Adams, Professor für Wirtschaftsrecht in Hamburg, wies im Spiegel am 27. Mai 2002 darauf hin, »dass sich die Manager leistungslos bereichern«.

Wolfgang Kaden, Chefredakteur des manager magazin, klagte in der Juni-Ausgabe 2002: »Die Selbstbedienung ist das Ergebnis von Machtmissbrauch. ... Aus der Leistungsgesellschaft, so scheint’s, hat sich inzwischen eine Raffgesellschaft entwickelt, in der es außer der Mehrung des eigenen Vermögens keine Wertmaßstäbe mehr gibt.«

Kleinaktionäre als Opfer

Aktionäre haben es nicht leicht. Sie müssen sich immer wieder vorwerfen lassen, sie beteiligten sich an »ausbeuterischen kapitalistischen Systemen«. Das ist allerdings sehr kurz gedacht. Auch Gelder von Sparbüchern fließen in den Wirtschaftskreislauf ein. Kein Sparer hat es in der Hand, wem seine Bank mit seinen Einlagen Kredite erteilt.

|18|Die Kritiker übersehen, dass die Kleinaktionäre oft selbst übervorteilt werden! Der schlimmste Skandal besteht darin, dass oft für das Geld der Anleger in Fonds keine entsprechende Leistung geboten wird und sie ständig falsch beraten werden (»Jetzt unsere Telekom-Aktien, unsere Optionen, unsere Turbozertifikate kaufen!«), ständig zum Einzahlen aufgefordert wird (»Kaufen Sie unsere fondsgebundene Altersvorsorgeversicherung mit erstklassigen Fonds! Unsere Topleute sind laufend im Einsatz für Sie!«) und Finanzinstitute daran glänzend verdienen!

Dass Kleinaktionäre nur als Zahler erwünscht sind, ist schon an den monatlichen Millionen-Gehältern der Topmanager der AGs zu sehen. Diese werden weder demokratisch geregelt, noch werden sie durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Zwar gehört eine AG nicht dem Vorstand, sondern den Aktionären. Aber wen interessiert das? In den Aufsichtsräten sitzen ebenfalls nur Topmanager, die schon ihre Gründe haben, astronomische Gehälter zu genehmigen!

Staatsanwälte greifen wegen »Untreue« ja erst dann ein, wenn es zu bunt getrieben wird, wie bei der Übernahme des Mannesmann-Konzerns durch Vodafone, wo nicht nur die Spitzenleute zweistellige Millionenbeträge extra kassierten, sondern auch noch Aufsichtsräte und frühere, mittlerweile pensionierte Manager reich bedacht wurden. Wohlgemerkt, diese Prämien werden für angeblich besondere Leistungen gezahlt! Dass die Konzerne Vodafone und Mannesmann durch die Fusion mehr kaputtgemacht als gefördert wurden, interessiert nicht. Der Kleinaktionär durfte bei seiner letzten Mannesmann-Hauptversammlung ein wenig schimpfen und Entlastungen verweigern, was aber niemanden störte und absolut folgenlos ist.

Als Beispiel für Kursmanipulationen sei nur der Fall »Kurt Ochner« erwähnt. Um ihren guten Ruf zu wahren, hat die angesehene Schweizer Bank Julius Bär ihren bisherigen Top-Fondsmanager Kurt Ochner im Jahr 2001 entlassen. Als Grund wurde angegeben, er habe sehr viel Zeit für Dinge aufgewendet, die nicht Bestandteil des Fondsmanager-Geschäfts seien. Das ist milde formuliert. Tatsächlich waren |19|von seinem Wohlwollen zahlreiche Unternehmen der Neuen Märkte abhängig gewesen. War Ochner bereit, den Fondsanteil einer Firma nur von 0,2 % auf 1 % aufzustocken, dann schoss der Kurs sofort um 60 % in die Höhe. Wehe dem Vorstand, der sich einer Zusammenarbeit mit Ochner verweigerte! Die Börsenkurse solcher Unternehmen hatten dann wenig zu erhoffen.

Keiner der Anleger, die Ochner begeistert ihr Geld anvertrauten, hatte eine Ahnung davon, mit welch einfachen Methoden Ochner die Kurse manipulierte. Was er privat gekauft und verkauft hat, darüber muss man nicht viel spekulieren. Das Problem für ihn als Fondsmanager bei Julius Bär war lediglich, dass seine großen Fonds ihre umfangreichen Aktienpakete nicht mehr zu den von ihm selbst geschaffenen »Mondkursen« verkaufen konnten. Sein »Special German Fund« stürzte ebenso ungebremst ab wie der NEMAX-50-Index.

Der frühere EM.TV-Chef Thomas Haffa hat ebenfalls ausgesorgt. Die Medienaktie EM.TV hätte ohne die Fürsorge Ochners niemals ihre Spitzenkurse vom Frühjahr 2000 erreichen können, zu denen Haffa rechtzeitig und rechtswidrig verkauft hat. Die Kursentwicklung gibt Abb. 2 wieder:

Abbildung 2: EM.TV 1998 bis 2002

|20|Das Schlimme war, dass auch ahnungslose Journalisten solche Leute immer wieder gefördert hatten und ihnen erst die Publizität verschafften, die es ihnen ermöglichte, Kurse nach Belieben »schieben« zu können. Viele meinten wirklich, Fondsmanager vom Schlage Ochners hätten so großartige analytische Fähigkeiten, und warfen ihm noch bis zuletzt ihr gutes Geld nach!

Ob gegen das Bankhaus Julius Bär Schadensersatzklage möglich ist, darf bezweifelt werden. Zwar stimmt es, dass Ochner vor allem marktenge Nebenwerte nach oben getrieben hatte, aus denen große Fonds nicht mehr aussteigen konnten. Doch daraus den Nachweis zu führen, dass das Bankhaus seine Aufsichtspflicht verletzt habe, ist äußerst schwierig. Käme eine solche Klage durch, könnten praktisch alle Bankinstitute verklagt werden! Alle haben sie Neue-Markt-Fonds gegründet, obwohl sie genau wissen mussten, dass sich solche Aktien wegen ihrer Marktenge nicht für Fondsengagements eigneten und damit zwangsläufig »Mondkurse« entstehen mussten. Was sich verschiedene Großbanken damit am Neuen Markt geleistet haben, ist im Übrigen ähnlich verwerflich wie Ochners Vorgehensweise.

Die Liste von Beispielen dieser Art könnte lange fortgesetzt werden. Ich möchte damit nur deutlich machen, dass Aktionäre keineswegs andere Menschen ausbeuten, sondern einfach nur ihr Erspartes sinnvoll anlegen möchten. Dabei werden sie oft selbst Opfer unseriöser Geschäftspraktiken.

Börsen-Manipulationen sind offenbar in den vergangenen Jahren vor allem in Europa (in Japan sowieso schon längst) immer mehr Mode geworden, je intensiver sich die Medien des Themas Börse annahmen. In Europa aber nimmt man – anders als in den USA – diese Gefahr immer noch nicht ernst. Es herrscht kaum Aufsicht über die Märkte, und eventuelle Geldbußen sind lächerlich gering. Immer bleibt der vertrauensselige Kleinanleger auf der Strecke. Beispiele sind in meinem Buch Die gefährlichsten Börsenfallen – und wie man sie umgeht (2001) veröffentlicht.

|21|Ethisches Bewusstsein auf dem Vormarsch

Immer mehr Menschen sind bereit, sich für den Erhalt der Umwelt, für soziale Gerechtigkeit, Frieden und die Erhaltung der Menschenwürde einzusetzen. Sie wollen ihr Geld in Unternehmen investieren, die ihren eigenen sozialen, politischen, ökologischen oder religiösen Überzeugungen entsprechen. Dabei gilt es ein paar wichtige Grundsätze zu beachten.

Aktien kaufen, um »sauberen Unternehmen« zu helfen?

Nun wird oft behauptet: »Wenn schon Aktien, dann muss man sich an sauberen Unternehmen beteiligen, zum Beispiel an Umweltaktien«. Eine solche Aussage ist ohnehin fragwürdig. Sind denn die anderen Unternehmen, von deren Produkten wir leben, »unsauber«? Freilich, Umweltaktien haben bei vielen Anlegern einen »ethischen Bonus«. Diese Aktien könne man wenigstens mit gutem Gewissen kaufen, kann man immer wieder hören.

Erlauben Sie mir dazu – auch als Theologe, der sich ein ganzes Leben lang mit ethischen Fragen befasst hat – einige grundsätzliche Bemerkungen.

Zunächst würde ich niemals Aktien eines Unternehmens nur aus dem Grund kaufen, um diesem zu »helfen«!

Erstens helfe ich keiner Firma, deren Aktien ich an der Börse kaufe. Eine Aktie wechselt bei meinem Kauf lediglich den Besitzer. Als Daueranlage sehe ich sie ohnehin nicht an. Denn um an der Börse Geld zu verdienen, muss ich jede Aktie immer wieder auch mal verkaufen. Insofern kann ich mich ohnehin niemals als Mitinhaber des Unternehmens fühlen und mich mit diesem identifizieren. Wenn ich ein Unternehmen für gut halte und von dem, was es tut, begeistert bin, dann kaufe ich in erster Linie seine Produkte oder nehme seine Dienstleistungen in Anspruch und empfehle sie Freunden und Bekannten weiter|22|. Da tue ich mehr für das Unternehmen, als wenn ich seine Aktien besitze!

Zweitens muss jedes Unternehmen in der Lage sein, sich unter den harten Bedingungen der Weltmärkte zu behaupten. Wer dies nicht schafft, kann auch nicht durch wohlmeinende Aktionäre künstlich am Leben erhalten werden. Das mag eine Zeit lang möglich sein, aber irgendwann geht das Geld aus, und dann kommt das Ende. Zahlreiche begeisterte Fans des Neuen Marktes können davon ein Lied singen.

Drittens sollte man sich keinen Illusionen hingeben. Kleinaktionäre sind nicht wirklich die »Eigentümer« einer Firma, auch wenn dies formaljuristisch stimmen mag. Im Grund haben sie nichts zu melden. Sie können zwar in den Hauptversammlungen unverschämte und umweltfeindliche Geschäftspraktiken bekannt machen, in der Hoffnung, dass eine aufmerksame Presse vielleicht darüber berichtet und dies dem Unternehmen peinlich ist. Sie können die horrenden Gehälter des Managements anprangern, sofern keine im Verhältnis zu den vielen Beschäftigten entsprechende Leistung gegenübersteht.

Viertens wird die Gutwilligkeit von Aktionären, die ihr Investment als »ethische« Entscheidung zum Beispiel für die Umwelt betrachten, oft schamlos ausgenutzt. In den 90er Jahren brachte die Metallgesellschaft (heute: mg Technologies) einige ausgegliederte Unternehmensteile unter dem Namen B.U.S. (»Berzelius Umweltservice«) an die Börse. Die Medien feierten die Aktie, die nur einen Bruchteil des Emissionspreises wirklich wert war, als »erste lupenreine Umweltschutzaktie«. Umweltschützer jubelten, jetzt könnten sie endlich »guten Gewissens« auch eine Aktie kaufen. Heutzutage ist jedermann klar, dass ein solches Schwarz-Weiß-Denken an der Wirklichkeit vorbei geht. Wer als Verbraucher umweltfeindliche Chemikalien und Tabletten bedenkenlos kauft, energiefressende Geräte benutzt, Eier aus Legebatterien und Fleisch von transportgeschädigten und gequälten Tieren verzehrt, hat kein Recht, die entsprechenden Unternehmen zu beschuldigen und sich selbst ein gutes Gewissen zu verschaffen, indem er bestimmte Aktien nicht kauft. Den Firmen ist es gleichgültig, wer |23|ihre Aktien hält, solange ihre Produkte gekauft werden. Wer wirklich etwas für den Natur- und Umweltschutz tun will, muss sich fragen lassen, warum er sich nicht auf diesem Gebiet wirklich engagiert, zum Beispiel im Bund Naturschutz. Je mehr Personen sich dem Bund Naturschutz anschließen, desto mehr Gewicht hat er, um auch praktisch etwas durchzusetzen. Zu meinen, man habe für die Umwelt genug getan, indem man Aktien kauft, die sich wie B.U.S. mit der Verwertung von Stahlwerkstäuben, Salzschlacken und Kabelschrotten befassen, ist ziemlich naiv gedacht.

Ethisch handeln, aber nicht blauäugig!

Es kann sogar Gründe für den Aktionär geben, sich erst recht an Unternehmen zu beteiligen, mit deren Zielen oder Produkten er nicht einverstanden ist. Er kann das Management mit Protestbriefen bombardieren, kann in der Hauptversammlung unbequeme Fragen stellen. Das würde das Unternehmensmanagement sehr viel mehr stören als ein Boykott der Aktien durch einige Kleinanleger, die ja ohnehin nur bis zum nächsten Verkauf Teilhaber dieser Firma sind.

Wer es mit Recht für unerträglich hält, dass Lebendtiere in engen Käfigen eingesperrt oder über weite Strecken herumgekarrt werden, Hunger und Durst leiden und Angst haben, der meide eben dieses Fleisch bzw. diese Eier. Der Verbraucher steuert mit seinem Nachfrageverhalten sehr wohl den Markt; der Kleinaktionär steuert mit dem Boykott von Aktien gar nichts.

Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit seinen Aktienkursgewinnen Greenpeace, den Bund Naturschutz, den Tierschutzbund oder andere Organisationen zu unterstützen, die gegen diese Missstände Aktionen veranstalten! Das ist wesentlich sinnvoller als zum Beispiel aus diesen Gründen beispielsweise keine Unilever-Aktien mehr zu kaufen. Dieses Unternehmen produziert ja auch sehr viele lebensnotwendige Nahrungsmittel.

|24|Vorsicht bei »Ethikfonds«

Von »Ethikfonds« halte ich wenig. In Deutschland dürfen »Ethikfonds« nicht unter diesem Namen angeboten werden – und dies mit Recht! Denn eine solche Bezeichnung spricht allen anderen Gesellschaften ethisches Handeln ab. Damit tut man aber vielen verantwortlich handelnden Mitarbeitern in zahlreichen Unternehmen und auch in Konzernteilen Unrecht.

Diejenigen, die dem Kleinanleger so genannte »Ethikfonds« anbieten, haben oft mit diesen Prinzipien gar nichts am Hut. Sie haben nur mal wieder eine Gruppe entdeckt, der sie etwas verkaufen können, damit diese mit etwas besserem Gewissen Aktien halten. Ob diese Fonds dann nicht nur für die ausgebende Bank, sondern auch für den Anleger erfolgreich sind, ist zweitrangig.

Dennoch werden von Luxemburg aus Fonds unter solchem Namen angeboten; es ist offenbar für Investmentbanken zu verlockend, eine neue Anlegergruppe in einem offensichtlichem Wachstumsmarkt für sich zu gewinnen. Immerhin ist die Summe, die in »ethischen Investments« in den letzten Jahren angelegt wurde, pro Jahr um rund 60 Prozent gewachsen.

Anleger benötigen jedoch keine Fonds, die ihnen Spesen und Gebühren aufladen und dabei in ihrer Zusammensetzung möglicherweise gar nicht das repräsentieren, was beispielsweise Umweltschützer anstreben. Da wurde auch schon der US-Müllentsorger Waste Management als »grüne Aktie« bezeichnet, obwohl eine Tochtergesellschaft dieses Konzerns bereits Bußgelder wegen Umweltverstößen berappen musste und fünf ehemalige Topmanager wegen Betrugs angeklagt wurden.

Nein, Anleger sollten ihre Aktiengesellschaften, mit deren Produkten sie sich identifizieren können, selbst auswählen können, und dabei nicht auf Rendite verzichten. Es sind schnell einige Unternehmen zusammengestellt, die alternative Energie produzieren, die Umwelt reinigen, an der Waffentechnik nicht beteiligt sind, keine Atomkraftwerke |25|bauen, in ihren Auslandsfilialen in Drittweltländern Kinderarbeit ablehnen und ordentliche Löhne zahlen, keine mit Tierversuchen hergestellten Kosmetika vertreiben und auch keine schädlichen Genussmittel herstellen. Diese Kriterien ließen sich beliebig fortsetzen, wobei die Grenzen recht fließend sind.

Auf den richtigen Zeitpunkt kommt es an

Gerade die Umweltbranche gilt als ausgesprochener Wachstumsbereich. Man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass man in Sonne, Wind und Wasser wie auch in andere Unternehmensbranchen nicht immer und jederzeit investieren kann. Es ist ein eingegrenzter Bereich, der seine eigene Konjunktur hat. Ein Einstieg in solche Aktien im falschen Moment kann sehr teuer sein, wie beispielsweise der Kursverlauf von Solarworld in Abb. 3 zeigt.

Abbildung 3: Kursentwicklung Solarworld Oktober 2000 bis Juli 2002