Der neue Himmel auf Erden - Oliver Brunotte - E-Book
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Der neue Himmel auf Erden E-Book

Oliver Brunotte

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Beschreibung

Ist künstliche Intelligenz in der Lage all unsere Probleme zu lösen? Und... wollen wir das überhaupt? Tim ist sich da auch nach all seinen Abenteuern im Neuen Paradies auf Erden und seinem Abstieg in die Neue Hölle auf Erden noch immer nicht sicher. Natürlich genießt er es, wieder mit Oma und Opa vereint durch die wunderbar grünende Natur rund um ihr idyllisches kleines Dörfchen zu wandern und endlich Antworten auf all seine vielen Fragen zu bekommen. Doch je mehr er über die schöne neue Welt erfährt, in die er da geraten ist, desto deutlicher muss er auch erkennen, wie hoch der Preis ist, der den Menschen abverlangt wird, für diesen Neuen Himmel auf Erden Michael hingegen kennt nur noch ein einziges Ziel: Den Freund, der ihm auf so grausame Weise genommen worden ist, wiederzufinden und den verhassten Feind ein für alle Mal zu besiegen. Doch auf seiner Reise quer durch eine verwüstete und unbewohnbare Welt muss er sich nicht nur Kampfrobotern, Unwettern und künstlichen Intelligenzen stellen, sondern auch ganz neuen Herausforderungen, auf die ihn all sein Kampftraining nicht haben vorbereiten können. Zum Beispiel: Mädchen. Der dritte und letzte Teil von Oliver Brunottes "Paradies"-Trilogie

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Der neue Himmel auf Erden

© 2023 Oliver Brunotte

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Linus,

für Willi,

für Kilian,

und für Hannah

Das ist deine letzte Chance.Danach gibt es kein Zurück.Nimm die blaue Pille:Die Geschichte endet,du wachst in deinem Bett auf und glaubst,was du auch immer glauben willst.

Nimm die rote Pille:Du bleibst hier im Wunderlandund ich werde dir zeigen,wie tief das Kaninchenloch reicht

Die Matrix – 1999

Wollen wir ein Spiel spielen?

WarGames – 1983

Inhaltsverzeichnis

Cover

Halbe Titelseite

Titelblatt

Urheberrechte

Widmung

Kapitel 1: Auf der Flucht

Kapitel 2: Fernseher

Kapitel 3: Das Messer

Kapitel 4: Nachricht aus dem Himmel

Kapitel 5: Simulant

Kapitel 6: Gehege

Kapitel 7: Auf der Jagd

Kapitel 8: Normal

Kapitel 9: Ohne Plan

Kapitel 10: Gassi

Kapitel 11: Babelfisch

Kapitel 12: Freigänger

Kapitel 13: Wetter

Kapitel 14: Straßen

Kapitel 15: Skydweller und Orca

Kapitel 16: Inshallah

Kapitel 17: Meer

Kapitel 18: Leben

Kapitel 19: Die Anlage

Kapitel 20: Bewahren

Kapitel 21: Das Hauptquartier

Kapitel 22: Sterben

Kapitel 23: Radtour

Kapitel 24: Erkundungsmission

Kapitel 25: Würfel

Kapitel 26: Der Funkspruch

Kapitel 27: Künstliche Intelligenz

Kapitel 28: Lagerfeuer

Kapitel 29: Die Baustelle

Kapitel 30: Etwas Neues

Kapitel 31: Nachtzug

Kapitel 32: Vor der Schlacht

Kapitel 33: Abstieg in die Dunkelheit

Kapitel 34: Das letzte Gefecht

Kapitel 35: Der Gigant

Kapitel 36: Vernichtung

Kapitel 37: Wieder vereint

Kapitel 38: Aufbruch

Kapitel 39: Allgegenwärtig

Kapitel 40: Die Entscheidung

Kapitel 41: Das Ende – Der Glaube der Maschine

Kapitel 42: Der Anfang

Der neue Himmel auf Erden

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Widmung

Kapitel 1: Auf der Flucht

Kapitel 42: Der Anfang

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Kapitel 1: Auf der Flucht

Oh ja, die Vergangenheit kann wehtun.Aber so wie ich das sehe,kann man entweder davor davonlaufenoder daraus lernen.

Der König der Löwen - 1994

Die Granate kam mit hoher Geschwindigkeit direkt auf ihn zugeflogen. Verdammt. Damit hätte er rechnen müssen. Innerlich verfluchte Michael sich dafür, so schnell vorgerückt zu sein. Jetzt saß er hier mitten im Feindbeschuss fest und abgesehen von dem kleinen Mauerrest, hinter den er sich gekauert hatte, gab es weit und breit keine Deckung.

Half jetzt alles nichts. Der Explosion musste er ausweichen. Da blieb nur die Flucht nach vorne.

Mit einem kraftvollen Hechtsprung und einer anschließenden Judorolle brachte er sich aus dem Gefahrenbereich der Granate. Keine Sekunde zu früh. Noch bevor er wieder auf die Beine kommen und in einen schnellen Sprint übergehen konnte, hörte er bereits das Dröhnen der Explosion, sah die faustgroßen Bruchstücke der gesprengten Mauer um sich herumfliegen und spürte den starken Schub, mit dem die Druckwelle ihn nach vorne schleuderte.

Nur nicht stolpern. Weiterrennen. Und gleichzeitig beide Gewehre heben, um sich den Weg freizuschießen.

Die Roboter rechts und links von ihm fielen reihenweise zu Boden, wenn sie von seinen Kugeln durchsiebt wurden. Inzwischen kannte er es gar nicht mehr anders. Er schaute kaum noch hin, überließ das genaue Zielen komplett der Anzugselektronik. Die Waffen in die grobe Richtung richten, Ziele mit einem kurzen Blick anvisieren, abdrücken.

Und weiter, immer weiter rennen, rennen, rennen.

Endlich erreichte er die Ruine am Stadtrand, die er sich als seine nächste Deckung ausgesucht hatte. Hier würde er einmal kurz durchatmen können, bevor die Mistkerle sich wieder sammeln und erneut auf ihn zuzustürmen würden.

Er knallte die Tür hinter sich zu, schob die Überreste eines alten Tisches davor und rannte in die oberste Etage. Von hier aus hatte er beste Sicht auf die vorrückende Roboterarmee und konnte einen nach dem anderen mit seinem Sniper-Gewehr ausschalten.

»ESSEN IST FERTIG!«

Irritiert blickte Michael sich um. War die Stimme aus dem kleinen Badezimmer da hinten gekommen? War das ein Trick der Maschinen, um ihn aus seiner Deckung zu locken?

Im nächsten Augenblick spürte er einen stechenden Schmerz in seiner rechten Seite.

»Hey, du Möchtegern-Rambo«, sagte Vi und riss Michael ohne Vorwarnung die VR-Brille vom Kopf. »Mama hat gerufen und die lässt man besser nicht warten.«

Michael blinzelte mehrmals. Die völlig andere Umgebung, die Seile, in denen er hing, Vis spitzer Finger, der sich in seine Seite bohrte, all das ergab für ihn gerade so überhaupt keinen Sinn. Er musste zurück, musste weiterkämpfen, durfte sich nicht ablenken lassen.

Er griff nach der Brille, brummte Vi ein kaum verständliches »habkeinhunger« entgegen und war in Gedanken schon wieder in einer Welt des ewigen Kampfes.

Nur dass Vi sich so einfach natürlich nicht abspeisen ließ. Sie verstärkte den Druck ihres Zeigefingers, bis Michael sich unwillkürlich zu ihr herunterkrümmte. In genau dieser Sekunde fuhr Vis zweite Hand zu seinem Gesicht hoch. War schon klar. Die Amazonenkönigin ließ sich nicht so einfach ignorieren. Michael kniff die Augen zusammen in Erwartung der Backpfeife, die er vermutlich für seine grummelige Art auch wirklich verdient hatte. Er konnte sich ja selbst kaum erinnern, wann er das letzte Mal ein nettes Wort mit Vi gewechselt hatte.

Doch die Hand, die da so schnell auf ihn zugeschossen war, schlug ihn nicht. Stattdessen fühlte er Vis schlanke, zarte Finger ganz sanft sein Kinn und seine Wange umfassen. Und als er den Blick wieder hob, schaute er ihr direkt in ihre strahlend grünen Augen.

»Hey«, sagte sie wieder, doch diesmal klang ihre Stimme völlig anders. Leiser. Sanfter. Besorgter. »Ich weiß, was du da tust. Hab ich selbst auch schon oft genug gemacht.«

Der Zeigefinger ihrer Hand bewegte sich einige Millimeter weit über die Haut direkt unter seinem Ohrläppchen. Ein Kribbeln begann in Michaels Nacken und fuhr gleich darauf durch seinen ganzen Körper. Mit einem Schlag war er komplett im Jetzt und Hier. Vis Blick durchbohrte ihn und hielt ihn in unbeweglicher Starre gefangen.

»Immer wenn‘s mir schlecht ging«, sagte sie. »Bin tagelang abgestürzt im Training, hab virtuelle Bots niedergemäht und nichts mehr von der echten Welt wissen wollen.«

Jetzt legte sie auch ihre zweite Hand an sein Gesicht und zog seinen Kopf ein kleines Stück dichter zu sich heran. Zwischen ihnen lagen nur noch wenige Zentimeter. Michael glaubte sogar ihren Atem auf seinen Lippen zu spüren, als sie weiterredete.

»Glaub mir: das bringt dich nirgendwohin«, flüsterte sie. »Du kannst da drin vielleicht für ne Weile deine Probleme vergessen. Aber sie warten hier draußen auf dich. Und wenn du zurückkommst, dann schlagen sie nur umso heftiger wieder auf dich ein.«

Ihr Blick ging durch ihn hindurch, als blicke sie in eine Welt, die nur für sie sichtbar war. Keine schöne Welt, von den Falten aus zu schließen, die sich auf ihrer Stirn bildeten. Doch noch immer hielt sie Michaels Gesicht fest in ihren Händen. Und noch immer strich ihr Zeigefinger ganz langsam an seinem Hals auf und ab. Eine winzige Bewegung nur, vermutlich merkte Vi nicht einmal, was sie da grade tat, aber Michael jagten heiße Schauer den Rücken herunter, sein Mund wurde trocken und sein Herz begann zu rasen.

Bis Vi wieder sprach. Und damit die geheimnisvolle Spannung, die da gerade zwischen ihnen geknistert hatte, ein für alle Mal zerstörte.

»Ganz egal, wie viele Roboter du da drinnen auch killst, wie hoch du dich levelst und was für Highscores du aufstellst, nichts davon wird Tim wieder lebendig machen. Weißt du…«

Ganz offensichtlich redete Vi noch eine ganze Weile weiter. Ihr Mund bewegte sich und sie blickte ihn eindringlich an, doch Michael bekam davon nichts mehr mit. In seinen Ohren rauschte es, ihm war schwindelig und er fühlte sich, als würde er ins Bodenlose fallen. Er wollte nicht hören, was sie sagte, nein, konnte es nicht hören.

Vor seinem inneren Auge sah er wieder die kleine Gestalt seines Freundes weit draußen in der unwirtlichen Wüste dieser Hölle auf Erden. Sah sich selbst, wie er einen nach dem anderen der verdammten Mistkerle niederstreckte. Hörte, wie er immer wieder Tims Namen rief.

Und wie jedes Mal, wenn ihm sein gequältes Hirn diese Szene vorspielte, war er zu langsam. Zu langsam und zu schwach, um diese Armee aus Robotern zu besiegen, bevor sie einen immer engeren Kreis um seinen Freund bildeten und näherkamen, immer näher und näher, bis…

Er schüttelte den Kopf. Wand sich aus Vis Griff und schnappte sich seine VR-Brille.

»Tut mir leid, Vi«, murmelte er, »ich kann das nicht.«

Vi sagte nichts. Schaute ihm nur traurig dabei zu, wie er die Brille zurechtrückte und die Seile der Aufhängung straffte, die ihn sofort wieder einen halben Meter in die Höhe zogen.

»Hab grad echt keine Zeit für sowas«, sagte Michael jetzt schon wieder etwas lauter. »Stecke mitten in der Challenge für Level 16 und wenn ich jetzt nicht dranbleibe, fall ich gleich wieder ne ganze Ebene zurück, also…«

Er blickte sich nicht mal mehr nach Vi um. Die würde schon irgendwann gehen. So eine Ablenkung konnte er grad echt nicht gebrauchen. Schließlich war er so kurz davor, aufzusteigen. Sein Aim war inzwischen schon ziemlich OP und der neue Scharfschützenaufsatz für sein M-72 war der absolute Hammer. Dranbleiben. Konzentriert bleiben.

Und bloß nicht daran denken, wovon er sich hier in dieser völlig bescheuerten künstlichen Welt so grandios ablenkte. Bloß nie an Tim denken. Sonst würde er wieder zusammenbrechen, wie direkt nach dem Einsatz. Und dann würde er es nie mehr schaffen, wieder aufzustehen und weiterzukämpfen.

Aber das musste er.

Kämpfen. Trainieren. Immer besser werden.

Es diesen Monstern, die ihm seinen Freund genommen hatten, zurückzahlen. Sie ein für alle Mal vernichten.

Er lud seine Waffe durch und legte auf den nächstbesten Roboter an.

Kapitel 2: Fernseher

»Du kämpfst wie ein dummer Bauer«»Wie passend! Du kämpfst wie eine Kuh«

The Secret of Monkey Island – 1990

Die Kugeln flogen, Rauch verdunkelte den Himmel und der kleine, dreckverkrustete Soldat, der Michaels Spielfigur darstellte, hechtete von Deckung zu Deckung.

ANRUF: ERWIN MEIER VORSITZENDER DES HOHEN RATES

Die Worte tauchten einfach mitten im Schlachtfeld auf. Schräg rechts über Michaels Figur, direkt zwischen der kleinen Wolke am Himmel, die für einen kurzen Moment die Sonne halb verdeckt hatte und der Ruine einer alten Fabrik. Darunter schwebten zwei runde Knöpfe: ANNEHMEN und ABWEISEN in rot und grün.

Sichtlich verwirrt hob Michael die Hand, als wollte er seine Augen vor der Sonne schützen. Der grüne Knopf blinkte daraufhin zwei Mal fröhlich auf und die Worte am Himmel verwandelten sich in das Gesicht des Vorsitzenden.

Auswahl:

A: freundlich begrüßen

B: unfreundlich begrüßen

C: neutral begrüßen

Auswahl… [A]

»Ah, Kadett Simons», sagte der Vorsitzende. »Ich freue mich, dich schon wieder voll im Training zu sehen. Das ist der richtige Kampfgeist! Wenn man vom Pferd abgeworfen wird, sollte man gleich wieder aufsteigen, um dem Gaul zu zeigen, wer der Chef im Ring ist.«

Michael sagte nichts, ignorierte das Bild des Vorsitzenden völlig und schob stattdessen den Lauf seines langen Gewehres über den Felsbrocken, hinter dem er Deckung gesucht hatte.

Auswahl:

A: Über seine Zukunft sprechen.

B: Über den letzten Einsatz sprechen.

C: Über das Wetter sprechen.

Auswahl… [B]

»Ich störe natürlich nur äußerst ungern beim Training«, begann der Vorsitzende, »aber es war mir nochmal ein dringendes Bedürfnis, dir zu deiner großartigen Leistung beim letzten Einsatz zu gratulieren.«

Michael schnaubte freudlos, drückte ab und lud die Waffe nach.

»Was denn bitte für eine Leistung?«, fragte er. »Der Plan mit dem Computervirus hat nicht funktioniert, unser Transporter wurde zerfetzt und wir sind aus der ganzen Sache nur um Haaresbreite mit dem Leben wieder rausgekommen. «

Der Vorsitzende schüttelte den Kopf. »Aber das war doch nicht deine Schuld. Hierfür tragen ganz alleine Viola und ihre Mutter die Verantwortung. Aus diesem Grund sind sie ja auch vom Dienst suspendiert worden. Die haben euch da in eine unmögliche Situation manövriert.«

Das Bild des Vorsitzenden wurde größer, als er sich dichter an die Kamera lehnte.

»Aber du und Ben und die anderen, ihr habt euch wirklich tapfer geschlagen. Euch würde ich gerne möglichst schnell wieder im Einsatz sehen.«

Michael schnaubte nur, schnallte sich sein Scharfschützengewehr auf die Schulter und begann in wildem Sprint auf das alte, verfallene Fabrikgebäude zuzurennen. Mitten im Lauf zog er zwei kleine Pistolen aus seinen Taschen und feuerte blind nach rechts und links, um sich den Weg frei zu schießen.

Auswahl:

A: seinen Kampfstil loben.

B: seinen Kampfstil kritisieren.

C: seinen Kampfstil mit dem eines Bauern vergleichen.

Auswahl… [A]

»Unglaublich! Positionswechsel souverän und elegant durchgeführt, Deckung gesichert und währenddessen noch drei Gegner ausgeschaltet. Also wirklich, mein lieber Junge… Dich müssen wir ganz dringend wieder in den aktiven Dienst schicken. Ich sehe da eine große Karriere auf dich zukommen.«

Michael war inzwischen in den ersten Stock des verfallenen Gebäudes gerannt, hatte ein zerborstenes Fenster mit dem Lauf seines Gewehres von den letzten Glasscherben befreit und schoss nun in scheinbar völliger Ruhe einen nach dem anderen seiner Angreifer ab. Er war inzwischen so routiniert darin, dass er mit dem Vorsitzenden sprechen konnte, ohne sich auch nur im Geringsten ablenken zu lassen. Sein Auge blieb die ganze Zeit über wie angeschweißt an seinem Zielfernrohr. Nur an seiner bebenden Stimme konnte man erkennen, wie sehr es in ihm kochte.

»Es ist ja überaus nett, dass sie mich so sehr loben…« PENG! Eine Drohne fiel getroffen vom Himmel.

»Aber ehrlicherweise muss ich ihnen wohl mitteilen, dass ich sie für einen manipulativen, elenden Dreckskerl halte!« BAMM! Der Roboter, der sich hinter dem Felsen in fünfzig Metern Entfernung versteckt hatte und es gewagt hatte, einmal kurz darüber zu schauen, verlor seinen Kopf.

»Ich hatte genügend Zeit, darüber nachzudenken. Und weder Vi noch ihre Mutter trifft letztendlich die Schuld für diesen Riesenhaufen Mist, der unser letzter Einsatz war. Derjenige, der alle Generäle überzeugt hat, weil er sich völlig unerwartet auf die Seiten von Vis Plan geschlagen hat, das waren Sie.Sie alleine tragen die Verantwortung für die fehlgeschlagene Mission.« RATATATATATA… Michael hatte das Gewehr auf Dauerfeuer gestellt und mähte damit auf einen Schlag vier angreifende Roboter nieder, die den Fehler begangen hatten, sich seinem Versteck gemeinsam zu nähern.

»Und je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr glaube ich sogar, dass sie uns absichtlich in diese Falle geschickt haben. Um Vi loszuwerden, oder ihre Mutter, oder Gott weiß warum.«

Mitten in seinem vor Wut brennenden Monolog hielt Michael abrupt inne. Er senkte das Gewehr, blickte mit leerem Ausdruck in die Weite und sagte: »Und… er… er hat es gewusst…« Es folgte eine Pause in der sich Michaels Augen mit Tränen füllten. »Tim hat versucht, uns zu warnen. Er … hat gesagt ›Der Vorsitzende hängt da mit drin‹. Kurz bevor er… bevor er…«

Auswahl:

A: ignorieren

B: abstreiten

C: ablenken

»Boah, blöder mistiger Doofkasten!«

Tim knallte die Fernbedienung mit so viel Schwung auf den uralten Röhrenfernseher, dass das kleine körnige Bild von Michael und dem Vorsitzenden darin für einen Augenblick heftig flackerte und undeutlich wurde.

»Da kann man ja gar nichts Vernünftiges aussuchen! Der bietet einem immer nur total doofe und belanglose Möglichkeiten an.«

Oma strich dem vor Wut bebenden Tim sanft über den Kopf. Der schmiegte sich daraufhin sofort an sie und vergrub sein Gesicht in ihrer Kochschürze.

»Ich wollte ihm doch nur irgendwie eine Nachricht schicken, dass es mir gut geht! Er ist so schrecklich traurig. Und alles nur wegen mir.«

Oma legte ihre Arme um seinen kleinen bebenden Körper. Der Duft nach Gewürzen, gerösteten Zwiebeln und Bratenspeck, der Oma stets anhaftete, wenn sie kochte - also eigentlich immer - schloss ihn in einen tröstenden, beruhigenden Kokon ein.

»Schhhhh… Schhh….«, machte Oma und wiegte ihn ein wenig hin und her. »Alles ist gut, mein lieber kleiner Tim. Lass ihm einfach noch ein bisschen Zeit. Er wird seinen Weg schon finden.«

Sie zauberte ein weißes Stofftaschentuch hervor und wischte ihm damit die Tränen aus den Augen. Danach hob sie die Fernbedienung wieder auf, die Tim so achtlos von sich geworfen hatte und schaltete den Fernseher ab. Einen Augenblick lang sah man noch Michael, der weiterkämpfte, als hinge sein Leben von diesem bescheuerten Ballerspiel ab, im nächsten verschwand alle Farbe und übrig blieb nur ein kleiner weißer Punkt in der Mitte des Gerätes. Und auch der verblasste nach wenigen Sekunden.

»Brauchst du gar nicht weiter probieren«, mischte sich Opa ein, der in seinem Lieblingssessel gegenüber dem großen offenen Kamin gesessen hatte und sich jetzt langsam erhob. »Das hat noch keiner geschafft. Die Fernseher funktionieren nur in eine Richtung. Glaub es mir. Habe es oft genug selber probiert. Damals, als ich gerade hier angekommen war. Da hätte ich meiner lieben Almut auch gerne eine Nachricht geschickt. Ihr gesagt, dass es mir gut ging. Sie getröstet. Ihr einfach nur irgendetwas gesagt. Aber das lässt das System schlichtweg nicht zu. Ist eine völlige Einbahnstraße.«

Er streckte sich und Tim hörte laute Knackgeräusche aus seinen Knien. Er sah um einiges älter aus, als er ihn in Erinnerung hatte. Was natürlich kein Wunder war, denn schließlich hatte er ja nur Erinnerungen an einen Opa, der im Simulator seit Jahren für ihn künstlich dargestellt worden war. Und der war natürlich nicht weiter gealtert, ganz im Gegensatz zu diesem richtigen Opa hier.

Es fiel Tim noch immer schwer zu akzeptieren, dass er hier tatsächlich dem echten, dem lebendigen Opa Hinrich und der echten Oma Almut gegenüberstand.

In Gedanken war er wieder bei ihrem allerersten Treffen hier im ›Himmel auf Erden‹. Als sich nach dem ewig langen Flug endlich die Türen öffneten und die beiden ihn so völlig unerwartet gegenüberstanden, ihn in die Arme schlossen und mit hunderten Küsschen und mindestens genau so vielen ›Ach-bist-du-aber-groß-geworden‹ überschütteten.

Er sah das kleine, bereitstehende Auto vor sich, das auf so unwirklich vertraute Weise genau wie die ›Sonnen-Ernter‹ in seinem eigenen Dorf aussah und ließ sich von Oma und Opa auf den Rücksitz bugsieren. Saß den beiden gegenüber, während das viersitzige Gefährt mit leisem Surren durch grüne Wiesen und Felder voller blühender Blumen fuhr.

Wie ferngesteuert beantwortete er ihre Fragen nach Michael, seinen Eltern und Vi, obwohl die ganze Zeit über die eine Frage, die einzig wichtige Frage in seinem Kopf stand und alles andere verdrängte. Die Frage, die darauf bestand, gestellt zu werden, nein die verlangte, herausgeschrien zu werden:

WIE KÖNNT IHR NOCH AM LEBEN SEIN?

Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie sie gestorben waren. Hatte um sie getrauert, von ganzem Herzen. Nur, um sie dann ein zweites Mal zu verlieren, als er herausfinden musste, dass seine Besuche bei den beiden im Jenseits nichts anderes gewesen waren als reine Illusion und Computertricks. Hatte akzeptieren müssen, dass die Oma und der Opa, die er dort gekannt hatte, lediglich simulierte Programme in Gottes großem Theaterspiel gewesen waren. Dass sie beide schon seit Jahren fort waren und nie mehr wiederkommen würden.

Und doch saßen sie ihm hier jetzt direkt gegenüber, scherzend, Geschichten erzählend und ganz offensichtlich alles andere als tot. Tims Herz, dass sich so sehr danach sehnte, den beiden nahe zu sein, schlug derart heftig, dass er das Gefühl hatte, es würde ihm im nächsten Augenblick aus der Brust springen.

Aber was, wenn auch diese Welt sich wieder nur als eine Simulation herausstellte? Was, wenn er es riskieren würde, Oma und Opa in sein Herz zu lassen und die beiden ihm dann letztendlich doch wieder genommen würden, so wie es ja schon einmal passiert war? Er wusste nicht, ob er es verkraften könnte, sie ein weiteres Mal zu verlieren.

»Das Leben gehört den Lebenden«, sagte Opa und riss ihn damit aus seinen Gedanken.

»Wir können ihnen zwar dabei zuschauen und uns ihnen manchmal sogar nahe fühlen, weil wir uns durch die Auswahlmöglichkeiten der Fernsehgeräte vorgaukeln lassen, irgendwie wirklich an ihrem Leben teilzuhaben. Aber einmischen oder sogar richtige Botschaften in ihre Welt schicken, das geht leider nicht.«

Tim, der noch immer tief versunken in Omas Küchenschürze sein Gesicht vor der Welt verbarg, sagte nichts. Doch in seinem Inneren arbeitete es bereits, rasten die Gedanken hin und her und formierten sich zu einem groben, aber immer klarer werdenden Plan. Er würde jedenfalls nicht so schnell aufgeben. Seine Freunde sollten nicht um ihn trauern, so wie er um Oma und Opa getrauert hatte. Sie mussten wissen, dass es ihm gut ging. Und er hatte auch schon eine Idee, wie er es anstellen könnte.

In seiner Hosentasche schloss sich seine Hand um das ihm so vertraut gewordene Stück Holz mit der verborgenen Klinge darin.

Kapitel 3: Das Messer

Das ist doch kein Messer… DAS ist ein Messer!

Crocodile Dundee – 1986

Jetzt komm da endlich raus, du elender, kleiner, mistiger…«

PLING.

Mit einem befriedigenden metallischen Klicken landete die Kugel auf dem Metalltisch, den Vi sich als provisorische Werkbank in ihrem Geheimversteck aufgebaut hatte. Mann, hatte die festgesteckt. War direkt durch das ungeschützte Auge des Roboters gesaust und hatte sich tief in die dahinterliegende Elektronik gebohrt. Vi zog ganz vorsichtig den Schraubenzieher, mit dem sie in dem Schädel des Roboters herumgehebelt hatte, aus dem unschön aussehenden Einschussloch.

»Alles halb so schlimm, mein Großer«, murmelte sie, während sie gleichzeitig mit einer Stabtaschenlampe in das Loch leuchtete und mit einer langen Pinzette kleine grüne Plastikstückchen daraus entfernte. »Nur 'n paar zertrümmerte RAM-Chips. Nichts, was wir nicht beheben könnten… bis zur Hochzeit ist das alles wieder gut…«

Sie kramte in einer Schublade herum, in der ein ganzes Sammelsurium verschiedenster Computerbauteile in einer für kein menschliches Wesen nachvollziehbaren Ordnung herumlag und hatte nach wenigen Sekunden gefunden, wonach sie suchte: Eine daumennagelgroße grüne Platine mit winzig kleinen metallischen Erhebungen und Vertiefungen darauf. Mit ihrer Pinzette führte sie den winzigen Chip ganz vorsichtig in das zerstörte Auge ein. Es gab ein leises Klick und ein Strahlen glitt über Vis Gesicht.

»Tadaaa…!«, sagte sie und hob Ts halbwegs wiederhergestellten Kopf in Michaels Richtung. »So gut wie neu!«

Keine Antwort.

Okay, war jetzt auch nicht überraschend. Der steckte schließlich noch immer in seiner ganz privaten Hölle aus Kampf, Action und Dauergeballere. Vi war schon froh, dass sie ihn überhaupt mal raus aus dem Kinderzimmer bekommen hatte. Zwar saß er hier draußen in ihrem Geheimversteck ganz genau so dumm herum, den Kopf fest umschlossen von der VR-Brille, die Arme wild fuchtelnd und auf hunderte virtuelle Feinde gleichzeitig zielend. Sah total peinlich aus, wenn man es mal von außen betrachtete. Aber Vi verbuchte trotzdem jeden der Ausflüge zu ihrem Schuppen vor der Stadt als kleinen Erfolg. Zumindest redete sie sich ein, dass Michael dadurch in den letzten Tagen ein wenig zugänglicher geworden war, auch wenn er sein Training dafür keine Sekunde lang hatte aussetzen wollen.

Nach wie vor nutzte er jede freie Minute, um in dem Ballerspiel, das ihnen in der Schule als ›Sportunterricht‹ vorgesetzt wurde, immer besser und tödlicher zu werden. Nicht mehr lange, und Vi musste sich ernsthafte Gedanken um ihre Highscores machen.

Sollte er doch. Kein Problem für sie. Wenn es ihm irgendwie half, mit dem, was geschehen war, klarzukommen, war ihr jedes Mittel Recht.

Aber jetzt brauchte sie mal für einen Augenblick seine Aufmerksamkeit. Das war doch wohl nicht zu viel verlangt, oder?

Vi begann zu grinsen und legte einen kleinen, gut verdeckten Schalter an der Rückseite des Metallschädels um. Augenblicklich begann das verbliebene rechte Auge, rot zu leuchten.

»Aua«, sagte T.

»Ga… ga… ganz … großes … Aua.«

»Ach jetzt stell dich nicht so an du Riesenbaby«, gab Vi zurück. Sie betrachtete kritisch die Mundpartie des Roboters. Da hatte sich beim Sprechen noch überhaupt nichts bewegt. War für die synthetisierte Sprachausgabe natürlich auch nicht nötig, sah aber immer viel cooler aus, wenn sich der Kiefer zumindest ein bisschen im Rhythmus des Gesagten bewegte. Sie seufzte. Noch mehr Schrauberei. Vermutlich die Servomotoren komplett austauschen. Und das Gestottere deutete zudem auf weitere defekte Speicherchips im Sprachzentrum hin. Na super.

Aber egal. Jetzt wollte sie erstmal ein bisschen Spaß haben.

Sie stöpselte das Kabel einer kleinen Tastatur in die Eingänge am Hinterkopf des Roboters und flüsterte: »manuelle Sprachausgabe aktivieren«, während das Grinsen in ihrem Gesicht immer breiter wurde.

Michael hatte definitiv einen Lauf. Sein Abschuss-Zähler hatte heute erstmals die Hundert überschritten und es sah nicht danach aus, als könnte ihn irgendetwas stoppen. Er hatte noch ’zig Med-Kits, sämtliche seiner Lieblingswaffen auf höchstem Level und den Robotern gegenüber ganz eindeutig den ›High Ground‹.

Alles sah super aus, bis ihm plötzlich mit einer groben Bewegung die VR-Brille vom Kopf gerissen wurde und er einem echten Kampfroboter gegenüberstand. Und zwar wirklich Auge in Auge! Irgendwie musste sich das Biest während seines Trainings heimlich an ihn herangeschlichen haben und jetzt stand es so dicht vor Michael, dass er die eiskalte metallene Oberfläche seiner Kampfpanzerung beinahe berühren konnte.

Das Auge des Monsters - es hatte aus irgendeinem Grund nur noch eines, die zweite Augenhöhle war dunkel und schien völlig zerstört - blendete ihn mit seinem rötlichen Glühen. Und dann sprach das Ungetüm mit tiefer, endgültiger Stimme, die jedem, der sie aus dieser Nähe vernahm, den sicheren Tod verhieß.

»MIIIICHAEEEEEL…«, dröhnte die Roboterstimme.

Michael war wie gelähmt. Er wusste natürlich, dass er hier in der echten Welt nicht eine einzige Waffe besaß, und trotzdem griff seine Hand wie von selbst an seine rechte Hosentasche; die Geste, mit der er im Spiel sein nahezu unerschöpfliches Inventar durchsuchen konnte. Kein Glück hier.

Doch dann tat der Roboter etwas gänzlich Unerwartetes. Mit einem Ruck kam sein Kopf noch einen guten Zentimeter näher an Michaels Gesicht und sagte: »K… K… KÜSS MICH, DUSSELCHEN!«

Und dann verschwand der Roboterkopf aus Michaels Blickfeld und gab den Blick frei auf eine sich vor Lachen krümmende Vi. Sie warf den Metallkopf, den sie Michael direkt vors Gesicht gehalten hatte, achtlos auf einen kleinen neben ihr stehenden Metalltisch und schlug Michael immer wieder auf die Schulter.

»Dein Gesicht!«, prustete sie. »Das hättest du sehen sollen. Das war so Hammer!«

Der Kopf des Roboters kullerte auf dem Tisch zwischen Metallarmen, Händen und vielen weiteren herumliegenden Roboterteilen hin und her, bis er schließlich neben einem halb aufgeschraubten stählernen Torso zum Liegen kam.

»Komm schon«, sagte Vi. »Du musst zugeben, das war echt witzig.«

Michael, der das Ganze überhaupt kein bisschen witzig fand, bemühte sich, seinen Herzschlag wieder auf eine normale Geschwindigkeit zu reduzieren. Mit einiger Mühe schaffte er es, wieder sein lässiges Gesicht aufzusetzen und die Augenbraue hochzuziehen. Beinahe sogar, ohne dass die noch merklich zitterte.

»Ha…«, sagte er. Dann ließ er eine lange Pause, bevor er ein weiteres »ha…« und dann nach einer noch längeren Pause ein letztes »…ha!« von sich gab. Super lässig. Ganz ultracool. Es war jetzt wichtig, Vi nicht merken zu lassen, wie sehr ihn die Sache grade mitgenommen hatte. War schon klar, dass sie sich einfach nur einen Spaß machen wollte. Und er musste ja auch zugeben, dass er momentan nicht die beste Gesellschaft war und Aufmunterung jeglicher Form gerade total gut gebrauchen konnte.

Aber in dem Augenblick, als der Roboterkopf so dicht vor seinem eigenen aufgetaucht war, hatte er nur noch an Tim denken können. Daran, wie sein Freund gelacht hatte, bevor er sich von Michael und Vi weggedreht hatte und plötzlich Auge in Auge mit einer dieser gnadenlosen Tötungsmaschine gestanden hatte. Ob ihm in seinen letzten Sekunden dieselben Gedanken durch den Kopf geschossen waren wie eben grade Michael? Die Überraschung, die Angst, das verzweifelte Suchen nach Auswegen, bevor ihn dieses Monster einfach so aus dem Leben gewischt hatte, als wäre er nichts weiter als ein störender Fleck auf der chromglänzenden, kalten Metallhaut dieser gnadenlosen unmenschlichen Maschine?

Michael schüttelte sich. Versuchte, die Gedanken durch reine Willenskraft aus seinem Kopf zu vertreiben. Nein. Das konnte er Vi nie im Leben erzählen. Das konnte er nicht einmal in seinen eigenen Gedanken zulassen, weil es ihn sonst innerlich zerreißen würde.

Stattdessen konzentrierte er sich auf den lässigen Gesichtsausdruck und das lockere Armschlenkern, während er - nach außen völlig unbeeindruckt - zu dem kleinen Tischchen herüberschlenderte.

»Bist ja echt weit gekommen mit deinem Bastelprojekt«, sagte er anerkennend und stupste dabei den wiederhergestellten T-Kopf mit dem Zeigefinger an.

»Du hast ja keine Ahnung«, sagte Vi. »Das ist ein tierisch kompliziertes Puzzlespiel! T hat es so heftig erwischt, dass ich ihn nahezu von Null wieder aufbauen musste. Zum Glück herrscht nach der letzten großen Schlacht kein Mangel an Ersatzteilen für die alte Blechdose.«

»We… we… wenn sie sich dabei wenigstenssssss… um die schre… schre… schrecklichen Schmerzen in aaaaaaallen D…D…Dioden an meiner linken Seite kümmern wüwüwürde. A…A…Aber diesessssss Puzzleteil scheint die große Meisterin…in…in wohl noch nicht gefunden zu ha…ha…haben«, meldete sich der Roboterkopf vom Tisch zu Wort.

»Du hast doch noch nicht mal ’ne linke Seite, du rostige Fehlfunktion«, gab Vi bissig zurück. »Sei mal froh, dass ich überhaupt dein Gedächtnis hab retten können. Wäre die Kugel ein bisschen weiter eingedrungen, hättest du jetzt erstmal wieder grundlegendes Sprechen lernen dürfen.«

»Ich da… da… danke dir, oh große Erbauerin«, schnarrte der Roboter und Michael war sich sicher, aus der Stimme mehr als nur einen Hauch Sarkasmus heraushören zu können. »Wenn du jetzt … bitte so gütig wärst, mir die… mir die… mir die… Arme anzuschrauben? Da… da… dann kann ich den Resssssssst der Reparatatatatur selbst übernehmen. Ununununund all die Fffffehler korrigieren, die du bisher schon ei…ei…eingebaut hasssssssst.«

»Fehler…? Ich…?«, schnaubte Vi und knallte den Kopf dabei unsanft auf den halb zusammengeschraubten Torso. »Du unterstellst deiner allwissenden, allgütigen und allgeduldigen Schöpferin tatsächlich, Fehler in deiner Konstruktion gemacht zu haben…?«

Michael konnte nicht anders. Trotz seiner miesen Stimmung musste er lächeln, wenn er den beiden so zuhörte. Als wären sie ein altes Ehepaar, bei dem jeder ganz genau wusste, wie er den anderen zur Weißglut bringen konnte. Gleichzeitig erinnerten die beiden ihn irgendwie an die Opas aus der Muppet Show, die vom Balkon aus ihre Sprüche machten und sich über jeden und alles lustig machten und einander immer wieder ihre kleinen Nettigkeiten an den Kopf warfen.

Und trotzdem erkannte man deutlich, wie sehr Vi die Anwesenheit und die geistreichen Antworten dieser Maschine doch gefehlt hatten in den Tagen nach der großen Schlacht. Kein Wunder, dass sie jede freie Minute damit verbrachte, T wiederherzustellen.

Das war halt ihre Methode, mit der Situation umzugehen. Vermutlich lenkte sie sich damit genauso ab, wie er es mit seinem Training tat, wenn die dunklen Gedanken wieder einmal über ihn herfielen. Sein Blick fiel auf die VR Brille, die neben T auf dem Metalltisch lag. Sein Siegeslauf von vorhin war definitiv für die Tonne. Da kannte das Spiel keine Gnade. Es gab ja nicht mal ’nen Pause-Knopf, um mal kurz aufs Klo zu gehen. Aber so gut, wie er heute drauf war, könnte er es ja vielleicht noch mal schaffen. Das Hochleveln der Waffen kriegte er inzwischen im Schlaf hin und die Position von vorhin war echt super für einen Sniper wie ihn gewesen.

Er hatte die Hand schon nach der VR-Brille ausgestreckt, als ihn ein lautes Geräusch zusammenzucken ließ. Die Tür im hinteren Teil des Schuppens war aufgeflogen und mit lautem Krachen gegen die Metallwand des Schuppens geknallt.

Und dann sah er das Bein, das die Tür da so rücksichtslos aufgetreten hatte. Es schimmerte metallen im grellen Licht der Neonbeleuchtung und sah exakt so aus, wie eines jener Beine, die noch in Einzelteile zerlegt auf dem kleinen Metalltischchen herumlagen. Nur dass dieses Bein offensichtlich voll funktionsfähig war und einen fast zwei Meter großen, kraftstrotzenden Körper in ihr kleines Versteck beförderte. Michael sah noch mehr glänzenden Chrom, als der Eindringling sich ihnen schließlich ganz zuwendete und die Tür mit einer lässigen Bewegung des Metallbeins wieder hinter sich zuschlug. Michael entspannte sich. Dieses Metallbein war in ihrem kleinen Versteck inzwischen ein regelmäßiger und auch immer ein sehr willkommener Besucher.

»Nachschub«, dröhnte die tiefe, ihnen beiden vertraute Stimme.

»Perfekt«, rief Vi, ließ ihren Schraubenzieher fallen und lief dem Neuankömmling entgegen, um ihn von dem Berg Roboterteile zu befreien, den er mit sich herumtrug. »Da könnte genau das Gelenk mit dabei sein, das ich schon den ganzen Abend lang suche.«

»Hallo Ben«, sagte Michael. »Nett, dass du mal wieder vorbeischaust.«

»Ist doch Ehrensache«, meinte Ben, ignorierte Vis angebotene Hilfe und trug den großen Haufen Elektroschrott selbst bis zum kleinen Tisch, wo er ihn scheppernd fallen ließ. Inzwischen humpelte er so gut wie überhaupt nicht mehr. Das neue, metallene Bein, das ihm die Docs noch während der Rückfahrt von ihrem Einsatz angeschraubt hatten, steuerte er inzwischen so souverän, als wäre es schon immer ein Teil seines Körpers gewesen.

Der war echt unglaublich. Hatte sogar schon wieder an mehreren echten Kampfeinsätzen teilgenommen. Ein wahrer Berg von einem Kerl. Den haute so schnell nichts um.

Und genau den Eindruck versuchte er natürlich auch jedem so deutlich wie möglich zu vermitteln. Entsprechend ließ er sich auch seine Überraschung nicht anmerken, als ihm vom Tisch her ein halb zusammengeschraubter Roboter freundlich zuwinkte. Mit dem einzigen Körperteil, das Vi bereits an den Torso geschraubt hatte: seinem rechten Arm.

»Ha…Ha… hallo, Ben«, stotterte T. »Schön dich zu… schön dich zu … schön dich zu …«

Vi schlug mit der flachen Hand auf den Roboterschädel.

»…sehen«, schloss T.

Der Roboter streckte Ben die Hand hin und der schüttelte sie beherzt.

»Hey Blechbirne. Freut mich, dich auch mal richtig kennenzulernen. Bisher sahst du ja eher nach ’nem Haufen Sperrmüll aus, aber … hey, aua… nicht so fest!«

Erschrocken zog Ben seine Hand zurück.

»Hmm…«, machte Vi und zückte noch einmal ihren Schraubenzieher. »Sieht so aus, als hätte ich da ein klein bisschen zu weit gedreht. Naja, aber zumindest so grob scheine ich das Drehmoment ja wohl doch erwischt zu haben. Sonst wäre deine Hand jetzt vermutlich nur noch Brei.«

Sie schob den Schraubenzieher in eine kleine Öffnung kurz über dem Handgelenk des Roboters und drehte ihn eine Winzigkeit nach links. Dann griff sie selbst nach der Roboterhand und schüttelte sie.

»Ah, ja… viel besser so. Besten Dank fürs Testen.«

Ben massierte möglichst unauffällig seine rechte Hand. An den Stellen, an denen die Roboterfinger zugedrückt hatten, sah Michael mehrere rote Striemen. Aber außer einem etwas verkniffenem Gesichtsausdruck ließ sich Ben natürlich weiterhin nichts anmerken. Der hätte vermutlich auch noch freundlich gelächelt, wenn T tatsächlich Brei aus seinen Fingern gemacht hätte.

»Kein Ding«, grunzte er.

Vi hatte ihn offensichtlich schon wieder halb vergessen und hatte nur noch Augen für die neuen Teile, die da auf dem Tisch ausgebreitet lagen. »Hab ich schon… hab ich schon doppelt… Hmm… kann ich als Reserve gebrauchen…«, murmelte sie. »Oh, ja! Auf dich hab ich gewartet.«

»Ununununund der Konde… Konden…sator da drüben sieht auch p..p…prima aus«, ergänzte T und zeigte mit seinem Finger auf einen anderen Teil des Schottberges.

Alles wie immer, dachte Michael. Während Vi sich über die Neuzugänge hermachte, waren er und Ben völlig abgemeldet. Normalerweise ließ sich Ben trotzdem nicht davon abhalten, ihnen hier noch eine ganze Weile Gesellschaft zu leisten. Meistens fläzte er sich dann in seinen Lieblingsstuhl in der Ecke und erzählte ihnen von seinen großen Heldentaten des Tages. Wie er den verdammten Mistbots mit Hilfe seines neuen Beines mal wieder gehörig in den Hintern getreten hatte. Oder wie er die ganze Saubande mit seiner riesigen Kanone derart zersiebt hatte bis nur noch winzige Robo-Fetzchen übriggeblieben waren.

Michael war das immer ganz recht. Außer Bens Erzählungen – so übertrieben die auch sein mochten – kamen bei ihnen ja sonst keinerlei Informationen über den Kampf da draußen mehr an. Vis Mutter war aus dem aktiven Dienst suspendiert worden und musste nun nahezu täglich in irgendwelchen Sitzungen und Ausschüssen zur Klärung des desaströsen letzten Einsatzes Rede und Antwort stehen. Und nachdem er dem Vorsitzenden gegenüber so eine große Klappe riskiert hatte, brauchte Michael sich selbst wohl auch keinerlei Hoffnung mehr zu machen, jemals zurück in den aktiven Dienst aufgenommen zu werden. Also waren Bens tägliche Berichte sein einziger Blick nach draußen in die echte Welt aus Krieg und Kampf, für die er sich doch mit seinem Training eigentlich so intensiv vorbereitete.

Heute aber kamen weder markige Sprüche noch sonst irgendwelche Kommentare aus Bens Ecke. Ganz im Gegensatz zu seinem üblichen Gequassel sagte der heute überhaupt nichts. Stand einfach nur stumm da und schaute Vi beim Schrauben zu. Völlig untypisch für ihn, fand Michael. Er hatte sich nicht mal hingesetzt. Mehrmals öffnete er den Mund, schloss ihn dann aber gleich wieder.

Vi bekam davon genau so wenig mit wie von Bens sonst üblichem Gebrabbel. Sie war zum Handlanger ihres eigenen Roboters geworden, der seinem Körper in einem unglaublichen Tempo immer neue Teile hinzufügte, während sie ihm die Teile nur noch anreichte.

»Jetzt ganz vorsichtig. Von diesem Kupplungsgelenk haben wir nur ein einziges.«

»Ve…ve… vertrau mir… ich weiß, was ich tue.«

»Hammer?«, bot Vi an.

»N…n…nein. Besser den s..s..sechser Schlüssel.«

»Vi?«, versuchte Michael ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. »Ich glaube, Ben möchte uns etwas mitteilen.«

Vi hob nur kurz den Blick, sichtlich genervt von der Ablenkung. Aber als sie den verlegen dreinblickenden und unsicher hin und her schwankenden Riesen zum ersten Mal richtig wahrnahm, legte auch sie ihr Werkzeug beiseite und betrachtete Ben mit neu erwachtem Interesse.

»Ja, also…«, druckste der herum, »Bin ja nicht sicher, ob euch das überhaupt interessiert und so…aber…«

Vi und Michael warfen einander verwunderte Blicke zu. So hatten sie Ben wirklich noch nie gesehen. Wenn der etwas wollte, dann sagte er es geradeheraus und redete nicht um den heißen Brei herum. Vi fixierte ihn mit ihrem patentierten Laserstrahlenblick und zog eine Augenbraue hoch. Das sollte eigentlich genügen, um jeden zum Reden zu bringen, dachte Michael.

»Ist vermutlich gar keine große Sache. Dachte halt, dass es euch interessieren könnte«, sagte Ben. »Also… jedenfalls hab ich bei dem Einsatz heute das hier auf dem Schlachtfeld gefunden.«

Er kramte in seinen übergroßen Jackentaschen, in denen er vermutlich auch noch Vorräte für drei Tage, vier Handgranaten und einen Weihnachtsbaumständer vergraben hatte. Als seine Hand schließlich wieder zum Vorschein kam, weiteten sich Michaels Pupillen.

»Wo…? Wie…?«, stammelte er. Natürlich hatte er es sofort erkannt. Hätte es vermutlich unter hunderten anderer innerhalb von Sekunden herausgefunden.

»Ja also, war ’ne echt komische Sache, das«, sagte Ben und legte das kleine Teil vorsichtig auf das Metalltischchen vor sich, als wäre es eine hochexplosive Bombe, die jederzeit hochgehen könnte. »Ich hab’s dem Bot abgenommen, der den Truck gelenkt hat, auf den wir es abgesehen hatten. War voll der easy Raid heute, kaum Gegenwehr, nicht mal Geleitschutz gab es. Nur eben diesen einen Truck mit Fahrer und Beifahrer.«

Nachdenklich zog er die Stirn kraus. »Und die haben sich eigentlich auch beide so gut wie gar nicht gewehrt.«

Vi blickte das Teil verwirrt an. Ihr sagte es ganz offensichtlich überhaupt nichts. Aber Michael ließ die VR-Brille achtlos auf den Boden fallen und schnappte es sich vom Tisch.

»Als ich die Tür vom Truck aufgebrochen und den beiden Bots die Köpfe weggepustet hab, haben die einfach so dagesessen, als hätten sie nur auf mich gewartet. Tja und der eine hat mir halt dieses Ding hier entgegengestreckt. Hat es sogar dann noch in seiner ausgestreckten Hand gehalten, als ich ihm schon ’ne Kugel in seinen hässlichen Metallschädel verpasst hatte.«

Michael befühlte das kleine hölzerne Teil, das er doch schon so oft in Händen gehalten hatte und das ihm jetzt trotzdem seltsam fremd vorkam. Als hätte es ihm eigentlich niemals wirklich gehört.

»Hab erst gar nicht gewusst, was ich damit machen sollte«, sagte Ben. »Wollt’s schon wegschmeißen, weil ich das Ganze irgendwie ’n bisschen gruselig fand. Naja… aber dann hab ich halt gesehen, was auf der Rückseite stand. Und… tja… da dachte ich eben, dass euch das ja vielleicht irgendwas sagen würde… weil… ihr kanntet ihn ja am besten… und… also…«

Seine Stimme verlor sich mit jedem Wort und man konnte ihm deutlich anmerken, dass er nicht mehr wusste, was er noch sagen sollte.

Brauchte er auch nicht. Das kleine Schnitzmesser, das Michael in Händen hielt, sagte ja eigentlich alles. Er befühlte es von allen Seiten. Ließ seine Finger über die eingeritzten Buchstaben gleiten. Da war das M, das er vor Ewigkeiten eingeritzt hatte. Und etwas weiter links davon die zwei Linien, die den Buchstaben T bildeten. Die erkannte er ganz deutlich. Hatte sie ja selbst hinzugefügt. Damals, als sie nach Tims großen Sturz bei ihm im Zimmer übernachtet hatten. Wie lange war das eigentlich schon her? In rein objektiv gemessener Zeit waren es vermutlich erst wenige Wochen gewesen, aber für Michael waren inzwischen ganze Ewigkeiten vergangen. Nichts war mehr, wie es damals einmal war.

Und auch die Inschrift auf dem Taschenmesser hatte sich verändert. Wann immer Michael mit seinen Fingerkuppen über die kleinen, eingeritzten Buchstaben fuhr, spürte er eine weitere Linie, die dort definitiv noch nicht gewesen war, als Tim es ihm zum letzten Mal gezeigt hatte.

Er hob das Messer dicht vor seine Augen und hielt es ein wenig schräg, so dass der grelle Neonlampenschein es besser beleuchten konnte.

Er las die drei Buchstaben, die dort standen und sie veränderten für ihn auf einen Schlag einfach alles. Er begriff sofort, dass dieses Messer auf gar keinen Fall durch Zufall in seine Hände geraten war. Nein. Das hier war eine Botschaft. Eine Botschaft an ihn.

Mit Tränen in den Augen drehte er das Messer herum, so dass auch Vi die Inschrift lesen konnte.

Vi kniff die Augen zusammen und las:

T I M

Kapitel 4: Nachricht aus dem Himmel

Dies ist eine Botschaft und ein Gebet.

Message in a Bottle – 1999

Ben fluchte innerlich, während er Trümmerteilen auswich, die auf der alten verfallenen Straße lagen. Das war doch alles eine total blöde Mistidee. Er hätte das verdammte Messer niemals einstecken sollen. Es Vi und Michael zu zeigen, war definitiv ein Fehler gewesen, das sah er jetzt ein.

Warum hatte er überhaupt angefangen, mit den beiden Spinnern abzuhängen? Klar, war schon spannend gewesen, die Roboterteile für Vi rauszuschmuggeln und ihr bei ihrem verrückten Bastelprojekt zu helfen. Und nett war es natürlich auch von ihm gewesen. Waren schließlich beide völlig fertig gewesen, nach der Sache.

Witzig eigentlich, dachte Ben grimmig. Er hatte sein verdammtes Bein verloren und machte nicht annähernd so ein Gewese darum wie die beiden, die beinahe völlig unverletzt aus dem letzten Einsatz rausgekommen waren. Na klar konnte er sie auch ein bisschen verstehen. War ja ihr Freund gewesen, der kleine blonde Bengel. Aber hey! Sie waren nicht die einzigen, die jemanden verloren hatten. Jan war schon seit der Grundschule in seiner Klasse gewesen, während Vi diese beiden hier schließlich erst letzte Woche aufgesammelt hatte.

Er rammte den nächsten Gang rein und trat das Gaspedal durch. Zeit, das Ganze zu beenden. Konnte jetzt eigentlich nicht mehr so weit sein, bis zu der Stelle, an der sie heute morgen gewesen waren.

Dass er sich wirklich hatte breitschlagen lassen, sie hierher zu fahren! Aber dieser Michael war sowas von aus dem Häuschen gewesen, wegen dem kleinen Schnitzmesser. Als wäre es eine uralte Reliquie, die ihm den Weg zum heiligen Gral weisen könnte.

»Wir müssen da sofort hin«, hatte er gesagt. Und: »Das ist von ihm! Das ist eindeutig von ihm!«

Ne Nachricht aus dem Jenseits… schon klar, mein langhaariger Freund.

Ben hatte es nicht übers Herz gebracht, Michael seine gerade neu aufkeimende Hoffnung gleich wieder kaputt zu machen. Aber für ihn stand fest, dass der Kleine das Messer einfach nur irgendwo da draußen verloren hatte, bevor die Mistkerle ihn erledigt hatten. Wie es jetzt genau in den Besitz dieses Truck-Fahrer-Bots gelangt war, erschloss sich Ben zwar nicht so ganz, aber das war ja noch lange kein Grund, gleich an Geister zu glauben. Vermutlich hatte es einfach nur einer der Bots beim Aufsammeln der Überreste seiner Kollegen versehentlich mit eingesteckt. Die recycelten doch immer alle Reste, die auf dem Schlachtfeld herum lagen und da war es halt irgendwie mit dazwischen geraten. Zack, Ende der Geschichte. Kein großes Wunder benötigt.

Aber nein, er musste sich ja überreden lassen, die beiden hier rauszufahren, um ›nach weiteren Hinweisen zu suchen‹. Was für eine saublöde Idee. Es wurde spät, und hier im Feindesgebiet herumzufahren war schon tagsüber gefährlich genug.

Wenigstens war es jetzt nicht mehr weit. Hinter dieser Kurve müsste der Truck stehen, wenn sie ihn nicht schon weggeräumt hatten. Darin waren die Biester eigentlich immer sauschnell und super gründlich.

Aber heute schienen sie mal eher Feierabend gemacht zu haben. Der Truck stand noch immer genau dort, wo sie ihn heute Mittag überfallen und geplündert hatten.

Ben fuhr bis dicht an den Wagen heran, ließ den Motor laufen und rief Vi und Michael über die Schulter zu: »Los los los! Ihr habt genau drei Minuten. Danach ist Abfahrt, egal ob ihr was findet oder nicht und egal, ob ihr dann wieder im Wagen sitzt oder nicht. Hab keinerlei Lust hier auf dem Präsentierteller zu sitzen, wenn die Bots uns finden und unter Beschuss nehmen. GO, GO, GO!«

Klang soweit alles richtig. Ben fand, dass er genau den richtigen scharfen Befehlston getroffen hatte, den er bei den Einsätzen immer von den Kommandanten hörte, und der ihm so gut gefiel, weil er weder Widerspruch noch irgendwelche Zweifel aufkommen ließ. Da sagte einer, was getan werden musste, und genau so wurde es dann gemacht. Punkt, aus, Ende.

Klappte nur eben nicht so gut bei Vi. Die blieb erstmal sitzen und starrte ihn mit dieser nervig hochgezogenen Augenbraue an. Dann tippte sie sich mit zwei Fingern an die Stirn, sagte »Aye Aye, mon Capitan« und stieg anschließend nervenaufreibend langsam aus dem Fahrzeug. Michael grinste Ben verlegen an, zuckte entschuldigend mit den Schultern und folgte ihr.

Ben blieb mit laufendem Motor im Wagen sitzen. Natürlich würde er nicht einfach wegfahren, wenn die beiden verspätet zurückkamen. Aber ein bisschen den Motor aufheulen lassen und ein paar Meter weiter rollen würde er bestimmt! Alleine schon, um die hochnäsige Vi mal ein klein wenig von ihrem hohen Ross runterzuholen. Die würde schön blöd gucken, wenn ihr eigener Jeep sich plötzlich aus dem Staub machte. Ben grinste bei dem Gedanken daran.

Neben ihm klickte und knackte es. Schon die ganze Fahrt über hatte auf dem Beifahrersitz Vis Roboter weiter an sich selbst herum geschraubt. Inzwischen hatte er zwei Arme und fast sämtliche Finger und noch immer suchte er in dem großen Metallhaufen unter sich nach weiteren verwendbaren Teilen. Ben sah ihm fasziniert dabei zu, wie er sich mit seiner linken Hand einige Schrauben des rechten Schultergelenks festzog. Dafür brauchte er nicht einmal einen Schraubenzieher, da er die Fingerkuppe seines Zeigefingers zurückklappen und alle möglichen Werkzeuge daraus hervorzaubern konnte. Vorhin hatte er sogar einmal aus dem Augenwinkel gesehen, wie ein winzig kleines blau blitzendes Schweißgerät daraus erschienen war, mit dem der Roboter zwei Metallstücke zusammengefügt hatte.

»Hey, Großer«, rief ihn Vis Stimme zurück in die Wirklichkeit. »Kannst du uns T hier rüberbringen? Ich glaube, ohne den kommen wir hier nicht wirklich weiter«

Na super. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.

»Kannst du laufen?«, fragte Ben den Roboter, aber in der Sekunde, in der er es aussprach, fiel ihm schon auf, wie bescheuert die Frage gewesen war.

»K… k… k… keine Beine«, antwortete der Roboter und streckte Ben die Arme entgegen. »Aber ich bin n…n…noch sehrrrrrr leicht. Nur vierzig Proproprozent Körpermasse.«

Ben seufzte. Auch das noch. Jetzt also auch noch Huckepack spielen mit einer der Tötungsmaschinen, die er tagsüber reihenweise wegballerte. Der Abend wurde immer besser.

Er schaltete den Motor ab, ließ den Schlüssel aber im Zündschloss stecken. Besser, sie kamen schnell weg, falls hier doch noch Probleme auf sie zukommen sollten. Dann drehte er sich auf dem Fahrersitz so herum, dass er T seinen Rücken präsentierte und ließ zu, dass der seine Arme um seine Schultern legte. So schwer war er tatsächlich noch nicht. Ben konnte ihn auf diese Art bequem als Rucksack bis zum Truck tragen, wo er ihn – dankbar ihn wieder los zu sein – an Vi übergab.

»Na endlich«, sagte die und schaute nicht Ben, sondern den Roboter vorwurfsvoll an. »Was hast du da so lange getrieben? Habt ihr Händchen gehalten?«

T setzte zu einer gestotterten Antwort an, doch Vi ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Los jetzt. Der große Komandante hier hat uns nur drei Minuten gegeben, also log dich ein und such!«

Sie hatte T direkt auf den Schoß eines der Fahrer-Roboter gesetzt, die Ben heute Morgen so perfekt getroffen hatte, dass jeder von ihnen lediglich ein einziges Einschussloch im Kopf aufwies. Saubere Arbeit. Aber ob Vis Spielzeug-Robi da drin noch etwas Brauchbares finden würde, wagte er zu bezweifeln. Der war doch völlig hinüber.

Vom lädierten Aussehen seines Gegenstücks völlig unbeeindruckt hob Vis Roboter seinen Arm und zielte mit seinem Zeigefinger direkt auf das eine, noch intakte Auge des zerstörten Fahrer-Bots. Wie auch vorhin schon klappte dabei die Fingerkuppe nach oben weg und gab den Blick frei auf die darunterliegenden Werkzeuge. Diesmal schob sich ein dünner, achteckiger Metallstab aus dem Finger, der exakt in eine winzige Aussparung unter dem rechten Auge des zerstörten Roboters passte. Der Metallstab rastete ein und begann, sich in enormem Tempo mal in die eine Richtung, mal in die andere Richtung zu drehen.

Währenddessen schnarrte T mit leiser, ausdrucksloser Stimme und erstaunlicherweise diesmal komplett ohne Stottern die Namen der Dateien herunter, die er offenbar im Kopf seines Roboterkollegen noch finden konnte. Viel war es nicht.

»dateibeschädigt…dateibeschädigt…servomotoren-protokolle…dateibeschädigt…dateibeschädigt…ramspeicher… dateibeschädigt… kühlsystemprotokolle… externerspeicher… dateibeschädigt… dateibeschädigt…«

»STOP!«, rief Michael. »Was war das da grade? Haben die Dinger sonst auch einen externen Speicher? Könnte das nicht etwas sein?«

Ben zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung, was in ’nem Bot normalerweise drin sein sollte. Ich beschränke mich bei den Kerlen eigentlich immer eher aufs kaputtmachen und weniger darauf, was in ihrem Innersten so los ist.«

Vi ignorierte die beiden und sprach ihren Roboter direkt an. »T, kannst du den externen Speicher dieser Einheit auslesen?«

»J…J… Ja.«, antwortete T. »Es ist a…a… aber nnnnur eine Da…Da…Datei darauf.«

»Okay. Und wie heißt die Datei?«

»D…D…Der Dateiname la…la…lautet…« Es surrte und knirschte, während der Roboter seinen Metallstab wild hin und her rotieren ließ. »he.. he.. helftmirobiwankenobi.wav«, schloss der Roboter. »Es ist eine rei…rei…reine Audiodatei«

»Das ist von ihm!«, riefen Vi und Michael wie aus einem Mund.

»Los, spiel schon ab«, drängelte Vi und rutschte in der beengten Fahrerkabine so dicht wie möglich an die Lautsprecher, die direkt im Mund des Roboters verbaut waren.

T öffnete den Mund ein wenig, hielt seinen Körper aber ansonsten komplett still, während die Aufnahme abgespielt wurde. Ben fand es ohnehin schrecklich unnötig, dass er vorher beim Sprechen immer den Mund bewegt hatte. Besonders bei den gestotterten Worten hatte das total albern ausgesehen. Jetzt, wo aus seinen Lautsprechern nicht mehr die tiefe, abgehackte Roboterstimme zu hören war, sondern eine hohe Kinderstimme erklang, hätte es sicher richtig grotesk gewirkt.

Tims Stimme war mit einem mal so klar und deutlich mit ihnen in der Fahrerkabine, als würde er direkt neben ihnen stehen.

»Hallo?«, fragte T mit Tims Stimme. »Ist das jetzt an oder was? Ich seh hier nichts blinken, leuchten oder sonst was. Vielleicht, wenn ich den Knopf nochmal….«

Dann brach seine Stimme abrupt wieder ab. Doch schon nach wenigen Sekunden war sie wieder da. »…so vielleicht? Keine Ahnung, ob ich es jetzt an oder ausgeschaltet habe. Egal. Ist ja sowieso erstmal nur ’ne Testaufnahme. Weiß eh noch nicht, wie ich das hier rausschmuggeln kann. Auf jeden Fall irgendwie zusammen mit dem Messer. Dann weiß Michael sofort, dass es von mir kommt! Also… Erst mal überlegen. Was müsste auf die Aufnahme denn unbedingt drauf? Als erstes natürlich schonmal das Wichtigste: Hey yippie, bin noch am Leben, hurra hurra. War alles nur ’ne blöde Show die die KI speziell für euch abgezogen hat, bla bla bla… Micha und Vi trösten… alles gut, und so weiter…«

Ben hörte, wie aus Michaels Brust ein unterdrücktes Schluchzen drang und er sah Tränen, die ihm aus den Augen rannen. Freudentränen, ganz eindeutig.

»Okay, okay… und dann muss ich sie unbedingt noch vor dem blöden Vorsitzenden warnen. Bloß niemandem vertrauen. Total Akte-X-mäßig, Riesenverschwörung, alles fake und so weiter. Weiß ja nicht, wie viel Platz auf so ’ner Aufnahme ist. Das mit dem Buchhalter, dem Turmbau und den Verkleidungen müsste da eigentlich auch unbedingt noch mit rein. Aber nee… so wichtig ist das alles ja für die erstmal gar nicht. Viel wichtiger wäre, dass sie wissen, wo ich überhaupt bin. Äh, hey, wo genau sind wir hier eigentlich? Und jetzt sag bitte nicht ›im Himmel‹. Ich glaube, das wäre eher verwirrend für die beiden. Vom Stand der Sterne aus müssten wir ja ’ne ganze Ecke weiter nördlich sein, oder?«

Dann erklang eine andere Stimme, viel leiser und weiter weg. Als würde jemand sprechen, der im Nebenzimmer mit etwas anderem beschäftigt war. Ben erkannte die Stimme trotzdem sofort wieder.

»Ja, ja… nördlich trifft es schon mal ziemlich gut. Eigentlich müssten sie von unserer Siedlung einfach nur schnurgerade nach Norden fahren. Komm mal rüber, ich zeig’s dir auf einer von den Uralt-Karten die auf dem Dachboden rumliegen.«

Dann hörten sie das Zuschlagen einer Tür und anschließend folgte nur noch Stille.

Vi und Michael begannen sofort drauf los zu schnattern, kaum dass die Aufnahme verstummt war. Wie das mit einem Mal alles ändern würde. Dass es beweisen würde, dass Tim lebte. Und was sie jetzt alles unternehmen müssten. Mann, die beiden würden vermutlich gleich selbst in den Jeep springen und völlig planlos einfach in Richtung Norden brettern, um ihren verloren gegangenen Freund zu suchen.

Ben schluckte und wischte sich einmal mit der Hand über die Augen.

Dann sagte er mit lauter Stimme: »Gar nichts werden wir jetzt machen.«

Das sicherte ihm schonmal die Aufmerksamkeit der beiden, die ihn völlig fassungslos anstarrten. Michael schien überhaupt nicht verstehen zu können, warum sie nicht gleich jetzt und hier losfahren sollten, um seinen Freund zu retten. Vi hingegen hatte wieder ihr rebellisches Gesicht aufgesetzt. Schon klar, die würde jederzeit ’ne völlig unüberlegte Alleingang-Mission starten und alles auf eine Karte setzen. Aber nicht mit ihm.

»Jetzt