Der neue Landdoktor 26 – Arztroman - Tessa Hofreiter - E-Book

Der neue Landdoktor 26 – Arztroman E-Book

Tessa Hofreiter

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Beschreibung

"Der neue Landdoktor" zeichnet sich gegenüber dem Vorgänger durch ein völlig neues Konzept aus. Es wird noch größerer Wert auf Romantik, Spannung und sich weiterdichtende, zum Leben erwachende Romanfiguren, Charaktere und Typen gelegt. Eines darf verraten werden: Betörend schöne Frauen machen dem attraktiven Landdoktor schon bald den Hof. Und eine wirkliche Romanze beginnt... "Nein, danke, Marie, ich kann leider nicht noch auf einen Kaffee bleiben, ich muss gleich wieder los. Meine Schicht unten im Hotel fängt an." Die junge Frau verstaute den großen Korb mit Erdbeeren auf ihrem Fahrrad und umarmte ihre Freundin zum Abschied. "Bis bald! Wir sehen uns demnächst, wenn wir Bens Geburtstag feiern?", antwortete Marie Lauterberg, eine zierliche Frau mit dunklen Locken und warmen dunklen Augen. "Aber sicher! Ich habe meine Schichten so eingerichtet, dass ich dann nicht arbeiten muss." Tilla Wieland umarmte ihre Freundin und schwang sich aufs Fahrrad. "Gib den Süßen ein Küsschen von mir und sag Bescheid, was ich zu futtern für die Feier mitbringen kann. Du hast genug zu tun mit deinen Zwillingsbabys und euren Ferienwohnungen hier auf dem Hof." Die junge Mutter lachte dankbar und winkte ihrer Freundin zu, die jetzt den Ebereschenhof verließ und auf die Zufahrt einbog, die hinunter zur Landstraße führte.

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Der neue Landdoktor –26–

Wir beide Hand in Hand

Tilla und Magnus sind ein gutes Team

Roman von Tessa Hofreiter

»Nein, danke, Marie, ich kann leider nicht noch auf einen Kaffee bleiben, ich muss gleich wieder los. Meine Schicht unten im Hotel fängt an.« Die junge Frau verstaute den großen Korb mit Erdbeeren auf ihrem Fahrrad und umarmte ihre Freundin zum Abschied.

»Bis bald! Wir sehen uns demnächst, wenn wir Bens Geburtstag feiern?«, antwortete Marie Lauterberg, eine zierliche Frau mit dunklen Locken und warmen dunklen Augen.

»Aber sicher! Ich habe meine Schichten so eingerichtet, dass ich dann nicht arbeiten muss.« Tilla Wieland umarmte ihre Freundin und schwang sich aufs Fahrrad. »Gib den Süßen ein Küsschen von mir und sag Bescheid, was ich zu futtern für die Feier mitbringen kann. Du hast genug zu tun mit deinen Zwillingsbabys und euren Ferienwohnungen hier auf dem Hof.«

Die junge Mutter lachte dankbar und winkte ihrer Freundin zu, die jetzt den Ebereschenhof verließ und auf die Zufahrt einbog, die hinunter zur Landstraße führte.

Tilla freute sich, den Morgen für die Stippvisite bei ihren Freunde nutzen zu können, ehe sie den Rest des Tages im Hotel verbrachte. Sie war Studentin, die ihre Semesterferien in ihrer Heimat Bergmoosbach verbrachte, und arbeitete während der Sommermonate im bekannten ›Steg-Haus‹, das direkt am und teilweise sogar auf den Sternwolkensee hinaus gebaut worden war.

Auf der Landstraße, die in den idyllischen Ort hineinführte, hatte die sportliche junge Frau ein ziemliches Tempo vorgelegt, aber als sie durch die Gassen hinunter zum Sternwolkensee fuhr, drosselte sie ihre Geschwindigkeit. Viele Spaziergänger waren unterwegs, denn Bergmoosbach hatte sich zu einem beliebten Reiseziel entwickelt. Außerdem war es immer gut, sich auf ortsfremde Autofahrer einzustellen, nicht jeder hielt sich sofort ans Tempolimit oder respektierte Gassen, die als Einbahnstraßen gekennzeichnet waren.

Wie gut, dass ihr Instinkt die junge Frau gewarnt hatte! Als sie an einer Abzweigung vorbeifuhr, missachtete ein Autofahrer ihre Vorfahrt und holte sie vom Rad. Mit quietschenden Reifen kam er in allerletzter Sekunde zum Stehen. Pures Glück seinerseits und blitzschnelle Reaktion von Tilla verhinderten einen schweren Unfall. Das Rad der jungen Frau lag zwar auf der Straße, aber sie selbst hatte sich mit einem waghalsigen Sprung in Sicherheit bringen können.

Der Fahrer war aus seinem Wagen gesprungen und starrte Tilla schreckensbleich an. »Mein Himmel! Ist Ihnen etwas passiert?« Der Mann war groß und hager, dieser sehr schlanke, sehnige Typ. Er hatte dunkle Haare und dunkle Augen, die aufrichtig erschrocken dreinblickten. Er trug perfekt aufeinander abgestimmte, sommerliche Kleidung von hoher Qualität, und sein Haarschnitt verriet einen teuren Friseur.

Tillas Herz raste vor Schreck, sie war sehr wütend. »Nein, Schlimmes passiert ist mir nicht, weil ich mit Idioten wie Ihnen rechne!«, fauchte sie ihn an.

»Oh!« Eine solche Reaktion hatte er nicht erwartet, und er musterte Tilla verblüfft.

Sie war hübsch, hatte einen intelligenten, wachen Gesichtsausdruck, und ihre Kleidung zeigte Stil und Individualität. Die junge Frau trug Shorts, die ihre hübschen, sonnengebräunten Beine zeigten, und ein weich fallendes, cremeweißes Top. Sie hatte lange, dunkelblonde Haare, die sie mit einer zornigen Handbewegung aus dem Gesicht strich. Ihre hohen Wagenknochen und den schmalen Nasensattel zierten einige zarte Sommersprossen. Die Augen unter den seidigen, fein gezeichneten Brauen waren von einem rätselhaften Grün, und sie funkelten bedrohlich. Sie trug witzige, goldene Ohrringe, die eine Ananas darstellten, und eine modische Armbanduhr. »Ich, äh, es tut mir leid!«, stotterte der Mann und bückte sich nach Tillas Fahrrad.

»Das sollte es auch!«, antwortete sie knapp. Sie nahm ihr Rad entgegen und begutachtete es kritisch. Auf den ersten Blick schien es keinen größeren Schaden genommen zu haben.

»Die Hauptsache ist doch, dass Ihnen nichts passiert ist!«, sagte er erleichtert. »Für alle Reparaturkosten komme ich natürlich auf, hier ist meine Karte.« Er überreichte Tilla seine Visitenkarte, die sie nach einem flüchtigen Blick in ihren Rucksack steckte. »Sie können mich unter den angegebenen Nummern erreichen. Mein Na­me ist übrigens Klages, Marcel Klages.«

Anstatt sich nun ihrerseits vorzustellen, deutete Tilla auf die große Menge Erdbeeren, die als dunkelroter, triefender Matsch auf der Straße lagen. »Jetzt schauen Sie sich diese Schweinerei an! Das Konfitürekochen kann ich vergessen!«, sagte sie streng.

»Jesses! Das hätte dein Blut sein können!«, fuhr eine aufgeregte Frauenstimme dazwischen.

Marcel sah eine Frau mittleren Alters im grünen Dirndl mit roter Schürze. Ihre flinken, dunklen Augen waren mit einer Mischung aus echtem Erschrecken und wohliger Neugier auf die rote Flüssigkeit gerichtet, die sich auf dem Pflaster ausbreitete.

»Ist es aber nicht!«, antwortete Tilla mit einem Seufzer. Sie kannte Afra seit ihrer Kindheit und wusste, dass diese Frau die lebende Nachrichtenzentrale Bergmoosbachs war: nicht unsympathisch, aber mit einem losen Mundwerk ausgestattet. »Ich bin mit dem Schrecken davongekommen.«

Wie aus dem Boden gewachsen stand plötzlich auch der örtliche Polizist, Gregor Leutner, neben Tilla. »Wollen wir den Unfall aufnehmen, willst du Anzeige erstatten? Für die Versicherung ist es gut, wenn ich die Daten habe«, sagte Gregor.

Die junge Frau zögerte. »Mir ist wirklich nichts geschehen, ich bin ja nicht gestürzt, sondern abgesprungen. Nur mein Rad ist zu Boden gegangen, und es sieht unbeschädigt aus. Sollte etwas damit sein, übernimmt Herr Klages die Kosten, ich habe seine Karte.«

Der Polizist runzelte die Stirn. »Wenn du dich darauf einlassen willst? Ich rate dir, allein schon wegen der Versicherung alles aufnehmen zu lassen.«

Tilla wechselte einen Blick mit dem Fremden. Er schien aufrichtig bemüht zu sein, diesen Vorfall so gut und anständig wie möglich zu regeln, und ihr war nichts wirklich Schlimmes passiert. »Lass gut sein, Gregor. Ich muss zum Dienst und habe keine Zeit mehr für das Protokoll. Außerdem vertraue ich Herrn Klages, dass ich mich an ihn wenden kann, falls an meinem Rad etwas repariert werden muss.«

»Das können Sie auch!«, antwortete Marcel überzeugend. Er lächelte sehr charmant in die Runde der Einheimischen, die sie umstanden. »Es war eindeutig mein Fehler, und wenn es überhaupt eine Entschuldigung gibt, dann die, dass ich an dieser Ecke nicht mit einem hübschen Mädchen auf dem Fahrrad gerechnet habe.«

Tilla verdrehte die Augen. »Den albernen Spruch mit dem Mädchen können Sie sich sparen!«, antwortete sie kühl. »Gegebenenfalls werden Sie von mir hören. Da Sie den Unfall verursacht haben, werden Sie diese Schweinerei hier beseitigen. Ich muss jetzt los, Servus!«

Entgeistert schaute der elegante Mann auf den Erdbeermatsch. »Ich soll das wegmachen? Ja, wie denn?«

Tilla zuckte die Achseln. »Lassen Sie sich was einfallen!«, sagte sie trocken und schwang sich aufs Rad.

»Schauen’S, dort drüben im Blumengeschäft, da gibt man Ihnen bestimmt Besen, Kehrblech und einen Eimer Wasser!«, fügte Afra hilfreich hinzu.

»Ob das Madl nicht doch besser unseren Doktor aufsuchen sollte?«, überlegte eine andere Frau, die alte Ederin. »Wer kann denn wissen, ob das Rote im Rinnstein wirklich nur Erdbeersaft ist?«

»Leute! Machen wir aus einer Mücke doch keinen Elefanten!« Energisch scheuchte Gregor die kleine Gruppe auseinander. »Jetzt kümmert sich mal jeder um seine eigenen Angelegenheiten.«

»Das ist ein guter Gedanke!«, antwortete Marcel erleichtert. Er war froh, der gut gemeinten Anteilnahme entrinnen zu können. Wenn er sich schon die Hände schmutzig machen sollte, dann bitte ohne neugierige Zuschauer! Aber ehe er zum Blumengeschäft hinübergehen konnte, hatte ihn der Dorfpolizist gestoppt.

»So, und nun geben Sie mir bitte Ihre Papiere!«, sagte er nachdrücklich. »Auch wenn von der jungen Dame auf eine Anzeige verzichtet worden ist, interessiere ich mich sehr dafür, dass Sie in falscher Richtung aus einer Einbahnstraße gekommen sind!«

Marcel seufzte. So hatte er sich den Beginn seiner Zeit im beschaulichen Bergmoosbach nicht vorgestellt! Hätte das Zusammentreffen mit dieser hübschen Frau nicht unter anderen Umständen stattfinden können? Und er wusste noch nicht einmal ihren Namen, was er jetzt bedauerte. Andererseits war er nicht zum Flirten hier, sondern um wichtige Geschäfte abzuwickeln. Eigentlich hatte er keine Zeit für etwas, was über berufliche Dinge hinausging. Sowie er im Hotel eingecheckt hatte, würde er beginnen zu arbeiten.

»Hier sind meine Papiere«, sagte er zu dem wartenden Polizisten und lächelte charmant. »Ich bin ein viel beschäftigter Mann und habe schon eine Menge Zeit verloren. Ich hoffe, es dauert jetzt nicht allzu lange, Herr Polizeihauptmeister.«

»Und ich hoffe für Sie, es wird nicht allzu teuer!«, antwortete Gregor Leutner ungerührt und zückte sein Notizbuch.

*

Während Marcel sich einen saftigen Bußgeldbescheid einhandelte, war Tilla beim ›Steg-Haus‹ angekommen, hatte sich umgezogen und ihren Platz im Empfang des noblen Hotels eingenommen. Jetzt trug sie ein gut geschnittenes, ärmelloses schwarzes Kleid, hatte die Haare zu einem weichen Knoten aufgesteckt und ihr dezentes Make up mit Lippenstift und einem Hauch von Rouge aufgefrischt. Der Schrecken von eben war ihr nicht anzumerken, sie war durch und durch die freundlich-ruhige Empfangsdame, die sich um die Wünsche der Gäste kümmerte. Ihr Lächeln blieb höflich und professionell, als sie sich mit einem älteren Gast auseinandersetzte, der sich über den Duft der Seife in seinem Bad beschwerte, und es erlosch auch nicht, als plötzlich Marcel Klages sein Gepäck vor ihr abstellte und mit einem leichten Grinsen sagte: »Der bewusste Bürgersteig ist wieder so sauber wie alles andere in Ihrem malerischen Bergmoosbach!«

Innerlich zuckte Tilla zusammen und dachte: Ach, du meine Güte, er ist ein Gast von uns! Äußerlich blieb sie unbeeindruckt und antwortete: »Das freut mich. Willkommen im ›Steg-Haus‹, Herr Klages! Sie hatten reserviert?«

»Aber sicher.« Er musterte sie, als sie im Computer nach seinen Daten suchte. Sie wirkte sachlich und aufmerksam, und insgeheim bewunderte er, dass sie den Beinahe-Unfall so gut wegsteckte. An ihrem Kleid trug sie ein Namensschild, das ihm ihren Namen verriet. »Konnten Sie gut mit Ihrem Rad weiterfahren, Frau Wieland, oder gab es Probleme?«

»Bisher nicht«, antwortete sie. »Sie haben das Zimmer mit der Nummer 21, es geht auf den Sternwolkensee hinaus und wird Ihnen bestimmt gefallen. Der Ausblick auf den See und das Alpenpanorama ist wunderschön.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Marcel. Er hätte gern noch mehr zu ihr gesagt, aber weitere Reisende traten an den Empfangstresen, und Tilla verabschiedete ihn mit einem freundlichen Kopfnicken. »Bis später!«, sagte er, so als hätte die junge Frau eine Verabredung mit ihm getroffen. Tilla runzelte leicht die Stirn.

Als kurze Zeit später niemand mehr am Empfang stand, sagte ihre Kollegin Dorette leise zu Tilla: »Der Klages hat ein Auge auf dich geworfen. Er sieht doch gut aus und ist charmant, warum bist du eigentlich nicht mehr auf ihn eingegangen? Du warst zwar nicht unhöflich, aber herzlich sieht anders aus.«

»Er hat mich gerade eben mit seinem dicken Schlitten vom Fahrrad geholt, da hält sich meine Herzlichkeit in Grenzen«, antwortete Tilla trocken.

»Du meine Güte, ist was Schlimmes passiert?«, erkundigte sich ihre Kollegin erschrocken.

»Nein, ich konnte abspringen und bin nicht auf dem Pflaster gelandet, aber immerhin ist der Kerl aus einer Einbahnstraße gekommen und hat mir die Vorfahrt genommen. Du kannst dir sicher vorstellen, dass ich nicht sehr begeistert von ihm bin!«

»Klar kann ich das«, stimmte Dorette zu. »Aber wenn nichts passiert ist, dann könnte man es doch eigentlich abhaken, oder? Er ist ein interessanter Typ und er hat Stil. Hast du die Qualität seiner Gepäckstücke und seiner Kleidung gesehen? Da steckt Geld dahinter.«

»Und das ist der Grund, weshalb ich mich für ihn interessieren sollte?« Tilla schüttelte den Kopf. »Nicht mit mir!«

Aber dann war es etwas anderes, was sie doch versöhnlicher gegen den rücksichtslosen Fahrer stimmte. Am Ende ihres Arbeitstages kam Marcel wieder an den Tresen und überreichte ihr einen hübschen Weidenkorb, ganz ähnlich dem, der heute unter seinem Auto gelandet war. Er war gefüllt mit Gläsern mit unterschiedlich zubereiteter Erdbeermarmelade und Konfitüre. Außerdem enthielt er einen hübschen Blumenstrauß aus Ranunkeln und Hortensien und eine Schale mit köstlichen, frischen Erdbeeren.

»Die Schrecksekunde kann ich wohl kaum wiedergutmachen, aber den Verlust Ihrer Früchte, die Sie verarbeiten wollten, schon. Nehmen Sie meine Entschuldigung an?«, fragte Marcel. Das Lächeln nahm seinen hageren Gesichtszügen etwas von der Schärfe, die Tilla nicht gefiel. Er schaute sie erwartungsvoll an.

»Das ist eine nette Geste, vielen Dank«, antwortete sie. »Mein Rad und ich sind in Ordnung, vergessen wir die Sache.«

»Schön, dass Sie an dem ersten Eindruck, den ich bei Ihnen hinterlassen habe, nicht festhalten! Habe ich dann vielleicht die Chance, Sie zum Essen einzuladen?«

»Es ist nicht üblich, sich mit Gästen zu verabreden«, antwortete Tilla zurückhaltend, aber nicht unfreundlich.

»Das weiß ich und ich weiß auch, dass Sie meine Einladung nicht falsch verstehen. Ich komme aus der Hotelbranche, bin also sozusagen ein Kollege und würde mich gern mit Ihnen unterhalten.«

»Vielleicht findet sich eine Gelegenheit«, erwiderte Tilla unverbindlich. Mit einem Kopfnicken verabschiedete sie sich von ihm und wandte sich einer Familie mit einem kleinen Jungen zu, die auf ihre Zimmer wartete.

Marcel bestellte einen Espresso und setzte sich auf die Terrasse des Hotels, die über den See hinaus gebaut worden war. Er hatte einen Platz direkt neben dem eleganten Geländer und schaute in Gedanken versunken über das Wasser und die schöne Uferlandschaft.

Marcel Klages war nicht einfach ein Tourist, der im schönen Bergmoosbach seinen Urlaub verbringen wollte. Er arbeitete als sehr gut bezahlter Geschäftsmann für eine bekannte Kette, die große Hotels baute. Seine jetzige Aufgabe war es, hier Grund und Boden aufzukaufen, damit ein Hotelklotz entstehen konnte. Bergmoosbach würde dann zwar vom Massentourismus überrollt werden und seine idyllische Ruhe verlieren, aber das sorgte ihn nicht. Seine Augen wanderten über die glitzernde Wasserfläche und den kaum bebauten Uferbereich. Was wäre das für ein Treffer, wenn er ein Grundstück direkt am Sternwolkensee aufkaufen könnte!

Er hatte schnell bemerkt, dass Tilla eine Einheimische war, und von ihr erhoffte er sich nützliche Informationen und Tipps. Weil sie außerdem sehr hübsch war, reizte es ihn besonders, sie auf sich aufmerksam zu machen. Es würde nett sein, mit ihr auszugehen und ganz nebenbei Wissenswertes über den Ort und seine Bewohner zu erfahren.

*

Später am Abend beschloss Marcel, noch einen ausgiebigen Bummel durch den Ort zu machen und Augen und Ohren offen zu halten. Vielleicht konnte er das eine oder andere Gespräch, das beim Bier hin und her ging, aufschnappen und für seine Zwecke nutzen.

Als er den Biergarten der Traditionsbrauerei Schwartz betrat, sah er sofort, dass auch Tilla unter den Gästen war. Sie saß offensichtlich mit Freunden an einem der langen Tische, die unter alten Kastanienbäumen standen.

»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setzte?«, fragte er höflich.

»Bitte, nur zu, es ist genug Platz da«, antwortete Tilla.

Sie wusste nicht genau, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Marcels Interesse an ihrer Person war ihr natürlich nicht entgangen, und seine Geste mit dem Korb hatte sie versöhnlich gestimmt. Marcel Klages schien also auch nette Seiten zu haben. In allererster Linie aber war er Gast des Hauses, und als Angestellte musste sie ihm mit Freundlichkeit begegnen, ohne zu persönlich zu werden.

»Ich hoffe, ich störe Ihre gesellige Runde nicht?«, erkundigte er sich.

»Durchaus nicht«, antwortete Tilla. Für einen winzigen Moment zögerte sie, denn was ging sie dieser Mann eigentlich an? Aber dann tat er ihr leid, denn als Fremder war er von der Runde ausgeschlossen. Höflich machte sie ihre Freunde, die Familie Seefeld und Hebamme Anna Bergmann, mit Marcel Klages bekannt.

»Dann sind Sie also der Arzt, zu dem Frau Wieland heute besser hätte gehen sollen?«, sagte er.

»Wieso denn das?«, erkundigte sich Doktor Seefeld überrascht.

Tilla verdrehte die Augen. »Wegen nichts, Sebastian! Herr Klages und ich hatten heute einen Beinahe-Zusammenstoß, aber mir ist nichts passiert. Ich bin rechtzeitig vom Rad abgesprungen, und jetzt wechseln wir bitte das Thema!«

Sebastian Seefelds bemerkenswerte graue Augen musterten die junge Frau eindringlich. Es schien ihr gut zu gehen, und er traute ihrem Urteilsvermögen viel zu, sodass er nicht weiter nach möglichen Blessuren fragte.

Tilla räusperte sich energisch. »Habt ihr eigentlich gehört, dass sich die Hotelkette ›schlichtweg glücklich!‹ hier in Bergmoosbach nach Grundstücken umgehört hat? Die Firmenvertretung hatte jemanden geschickt, der beim Bürgermeister gewesen ist. Die Vorgespräche sind wohl daran gescheitert, dass kein Grundstück passender Größe zur Verfügung stand.«

Marcel horchte alarmiert auf. Die Kette ›schlichtweg glücklich!‹ war der schärfste Konkurrent, und es passte ihm gar nicht, dass die ihm hier in die Quere kommen wollten! Er sollte sich wirklich beeilen, um die Konkurrenz nicht zum Zuge kommen zu lassen.

Ehe er vorsichtig nachfragen konnte, antwortete Traudel Bruckner energisch: »Na, das hätte uns gerade noch gefehlt! Diese ›schlichtweg glücklich!‹-Hotels sind gesichtslose Riesenkästen, eines davon hätte schon unsere schöne Gegend verschandelt! Und dann diese Touristenmassen! Stellt euch mal den Verkehr und die Menschenmengen vor, die durchs Dorf wandern, das wäre doch schrecklich. Mit Ruhe und Schönheit wäre es dann vorbei.«