Der Original-Knigge in modernem Deutsch - Felix Goda - E-Book

Der Original-Knigge in modernem Deutsch E-Book

Felix Goda

4,6

Beschreibung

Der Klassiker von 1788 - sprachlich modernisiert. Was hat dieser Knigge damals eigentlich geschrieben? Was steht im "Original-Knigge" von 1788, was macht ihn zum Namensgeber für tausende Benimm-Ratgeber? Was macht die Zeitlosigkeit des Werkes von Adolph Freiherr von Knigge aus? Knigge höchstpersönlich ist im Jahr 2016 wieder aufgetaucht und hat sein Werk "Über den Umgang mit Menschen" gemeinsam mit seinem WG-Mitbewohner Felix Goda für die zeitgenössische Leserschaft sprachlich behutsam entstaubt. Aufbau und Inhalt blieben wie im Original. Diese Neubearbeitung macht den "Original-Knigge" für heutige Leser zu einem authentischen, aber zeitgemässen Lesevergnügen, kurzweilig und lehrreich zugleich. In diesem ersten von drei Teilen beschäftigt sich Knigge mit allgemeinen Umgangsregeln, dem Umgang mit sich selbst sowie dem Umgang mit unterschiedlichen Charakteren.

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„Selbst die Wahrheit bedarf zu

anderen Zeiten wieder einer anderen

Einkleidung, um gefällig zu sein.“

Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799),

Freund Knigges

Die Vorgeschichte

Knigge ist wieder da. Ohne erkennbaren Anlass ist Adolph Freiherr von Knigge 2016 auf einer Uferwiese am Schweizer Zürichsee erwacht. Außer seinem Dreiteiler mit Rock und Kniestrümpfen hatte er nichts bei sich. Der erste Mensch, den er traf, war Felix Goda. Die beiden gerieten schnell in ein lebhaftes Gespräch über Lebensweisheit und die Regeln des guten Umgangs. Noch am selben Tag nahm Goda Knigge in seiner WG auf. Das erste Projekt, das sie in ihrer gemeinsamen WG-Zeit verwirklicht haben, ist vorliegende sprachliche Neubearbeitung des ersten von drei Teilen des „Original-Knigge“ von 1788.

Inhalt

V

ORWORTE ZU DEN NEUEN

A

UFLAGEN

(2017 & 2016)

V

ORWORT ZUR DRITTEN

A

UFLAGE

(1790)

V

ORWORT ZUR ERSTEN UND ZWEITEN

A

UFLAGE

(1788)

EINLEITUNG

Worüber ich (nicht) schreibe

Andere Länder, andere Sitten

Warum ich dieses Buch schreibe

Meine Erfahrungen mit dem Thema dieses Buches

ERSTES KAPITEL

A

LLGEMEINE

B

EMERKUNGEN UND

V

ORSCHRIFTEN ÜBER DEN

U

MGANG MIT

M

ENSCHEN

Etwas gelten

Schein und Sein

Sklave sein

Auf Kosten anderer glänzen

Fremde Lorbeeren einheimsen

Probleme gestehen

Vom Glück prahlen

Zuversicht und Vertrauen

Übereifrig sein

Verbindlichkeiten

Notlügen

Ordnung halten

Interesse für Andere

Offen- und Verschlossenheit

Humor und Entertainment

Leeres Geschwätz und Höflichkeit

Lästern

Vom Hörensagen

Interna

Kritik äußern

Mit Worten haushalten

Gesprächsthemen

Von sich reden

Die Meinung ändern

Anekdoten wiederholen

Zoten machen

Sprichwörter zitieren

Unnötige Fragen stellen

Widerspruch ertragen

Vergnügen

Religion

Äußerlichkeiten

Briefverkehr

Sich lustig machen

Falschnachrichten, Neugier und Peinlichkeiten

Schlechte Erinnerungen wachrufen

Zeuge von Ausfällen werden

Hinweis

Leben und leben lassen

Langweilige Gesprächspartner

Verschwiegen sein

Kontakt aufnehmen

Vorträge & kleine Anstandsregeln

Kleidung

Kleinere Fehltritte

Wie gesellig soll man sein?

Vom Fordern und Erwarten

Mit Gesten differenzieren

Launisch sein

Andere glänzen lassen

Gesellschaftliches Fingerspitzengefühl

Mit wem soll man seine Zeit verbringen?

Provinz und Großstadt

In fremden Städten und Ländern

Privatangelegenheiten

Berufliches Vorankommen fordern

Die Grenzen des Gebens

Ein Urteil über Menschen bilden

Unter anderen über andere reden

Wer braucht (keine) Umgangsregeln?

Grundsätze

Das gute Gewissen

Frauen

ZWEITES KAPITEL

Ü

BER DEN

U

MGANG MIT SICH SELBST

Die innere Stimme der Wahrheit

Dein bester Freund in schweren Zeiten

Das richtige Maß

Nicht verzagen!

Dich respektieren, wenn es niemand sieht

Die innere Größe bewahren

Sich selbst unterhalten

Streng gegen sich selbst sein

Sich selbst bewerten

DRITTES KAPITEL

Ü

BER DEN

U

MGANG MIT VERSCHIEDENEN

C

HARAKTEREN

Die vier Hauptcharakterzüge und ihre Extreme

Machtbesessene Menschen

Ehrgeizige Menschen

Eitle Menschen

Stolz und Hochmut

Empfindliche Charaktere

Sture Menschen

Streitsüchtige Leute

Choleriker

Rachsüchtige Menschen

Faule und leidenschaftslose Menschen

Misstrauische, Schlechtgelaunte, Verschlossene

Neidische und schadenfrohe Menschen

Geizige Menschen

Undankbare Menschen

Intrigen und Täuschungen

Angeber und Prahler

Zudringliche Leute und Schleimer

Schlechte Menschen

Bescheidene Menschen

Plaudertaschen, Neugierige und Vergessliche

Wunderliche, Sonderlinge und Launische

Dumme und schwache Leute

Leute mit wahrem Humor & Satiriker

Trinker, Wollüstlinge, lasterhafte Menschen

Schwärmer

Gottesgläubige, Heuchler und Abergläubische

Atheisten & Religionsverächter

Depressive, verrückte, hysterische Menschen

A

NHANG

I

Ein paar Zitate

A

NHANG

II

Interview mit Knigge & Goda

A

NHANG

III

Altes & Neues Deutsch

A

NHANG

IV

Auszug aus dem Original von 1788

Vorworte zur 4. Auflage (2017)*

Meine wohlgeborenen Freunde! Der fortwährende Erfolg meines geliebten Werkes in neuem Gewand ist mir Freude und Glück. Der Persephone Verlag hat für diese Auflage eine umfangreiche Korrektur durchgeführt; man versicherte mir, dass jeder Buchstabe geprüft wurde. Goda und ich haben an einigen Stellen kleinere Verbesserungen vorgenommen. Meine aufrichtigste Dankbarkeit und Anerkennung für meine Helfer können nicht billig genug sein!

Adolph Freiherr von Knigge, Diktiert am Zürichsee im Sommer 2017

Vorwort zur Neuauflage (2016)*

Freien Herzens gestehe ich, mit dieser Neuauflage meine Vermögenssituation in günstigere Bahnen lenken zu wollen. Dennoch kann ich voller Stolz sagen: „Über den Umgang mit Menschen“, der „Original-Knigge“ von 1788, ist vielleicht das vortrefflichste, sicher aber das bekannteste unter meinen bisherigen Werken. Ich habe nicht wenig Herzblut in diese Neubearbeitung gesteckt – stets mit dem Wunsch im Sinn, dass sie Euch, liebe Freunde, gefallen möge!

Es erfüllt mich mit stolzer Freude, dass mein Name heute noch ein Begriff ist und sich so viele Bücher und Seminare auch 220 Jahre nach meinem Tod namentlich auf ihn beziehen. Einzig, dass viele Menschen den „Original-Knigge“ nicht kennen, trübt diese Freude. Doch wen nimmt die Unwissenheit Wunder? Das Buch zählt nun mehr als 225 Lenzen und entspricht freilich sprachlich nicht mehr billig den Erfordernissen der Zeit. Nicht nur zur Verringerung meiner Schulden, sondern in gleichen Stücken zur fortwährenden Sicherung meines Nachruhms, war es nun eiligst angeraten, das Werk zu überarbeiten.

„Über den Umgang mit Menschen“ habe ich mithilfe meines dienstfertigen Kompagnons Felix Goda – einem Kind des 20., einem Mann des 21. Jahrhunderts – sprachlich entstaubt und behutsam modernisiert. Es soll so klingen, als hätte ich es gerade erst von der Feder aufs Pergament gebracht. Allein, die Sätze im „Original-Knigge“ waren oft eher lang und verwinkelt, ich geriet ins Schwärmen. Das Werk enthielt Wörter, die heute jeder nachschlagen müsste; viele Wörter hat man früher in anderer Weise gebraucht als man sie heute gebrauchen würde. Manche Redewendung aus dem Original ist veraltet. Das alles erschwert dem heutigen Leser den freudigen Genuss meines Buches, auf das ich nach wie vor so stolz bin und das viele von Euch, liebe Freunde, doch so gerne lesen würden. Den Inhalt des Originals haben Goda und ich bei der Überarbeitung deshalb, so weit als möglich, nicht modifiziert. Auch wurde nichts an andere Stellen gesetzt, alles blieb an seinem Orte. Es war gewiss unvermeidlich, einige Nuancen des Originals zu verwerfen oder umzuformen. Mein Stil ist aber, soweit mein geringes Urteil darüber zu richten vermag, unverkennbar erhalten geblieben.

Adolph Freiherr von Knigge, Zürich im Frühjahr 2016

*Die aktuellen Vorworte Knigges beruhen auf dessen Diktat und wurden nur geringfügig bearbeitet.

Vorwort zur dritten Auflage (1790)

Wie das Publikum im In- und Ausland dieses Buch würdigt, übertrifft meine Erwartungen. Der schnelle Verkauf der ersten zwei Auflagen, die guten Kritiken und nicht zuletzt die Übersetzungen des Buches in andere Sprachen, haben mich darin bestärkt, das Buch in der dritten Auflage noch ein wenig zu verbessern.

Die aufmerksamen Leser werden sofort merken, dass es gegenüber den ersten zwei Auflagen einige Veränderungen im Inhalt und in der Anordnung der Kapitel gegeben hat. Dabei habe ich mich nicht nur von meinen eigenen Überzeugungen leiten lassen, sondern auch von den Tipps anderer. Ich danke besonders dem Literaturkritiker im 87. Band der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, dessen rücksichtsvolle, aber ernsthafte Kritik ich zu meinem Vorteil nutzen konnte.

Über unweise, nicht gut überlegte Kritik, habe ich mich dagegen hinweggesetzt. Ich werde nicht näher auf die verachtenswerten Beschuldigungen des Herrn Kritikers aus Salzburg eingehen. Ich möchte mich nur zum Vorwurf der zu großen Vollständigkeit meines Werkes äußern, womit mich der Rezensent in der Allgemeinen Literatur-Zeitung beehrt. Ich werde weiterhin versuchen, diesem Vorwurf bestmöglich gerecht zu werden. Wenn mein Buch einen besonderen Wert hat, dann eben den der Vollständigkeit – und ich bin jedem dankbar, der mir noch mehr Ideen aus dem menschlichen Leben liefert, über die ich schreiben kann.

Den Titel des Buchs „Über den Umgang mit Menschen“ hat man kritisiert, weil er nur das Wort „Umgang“ betone, während das Buch aber allgemeiner ein Buch der Sittenlehre sei. Die meisten Kritiker haben eingesehen, dass das kaum zu vermeiden war. Die Regeln des Umgangs sollten allerdings nicht nur Vorschriften einer konventionellen Höflichkeit sein. Deshalb müssen sie auf die Lehre der Pflichten gegründet sein, die wir jedem Menschen schulden – und die wir wiederum von jedem Menschen einfordern können. Das heißt, dem Umgang mit Menschen muss eine Theorie unterliegen, deren Grundpfeiler Moral und Lebenskenntnis sind. Denjenigen, die den Titel des Buches immer noch unpassend finden, schlage ich folgenden Alternativtitel vor: „Vorschriften, wie der Mensch sich zu verhalten hat, um in dieser Welt und in Gesellschaft mit anderen Menschen glücklich und vergnügt zu leben und seine Nebenmenschen glücklich und froh zu machen.“ Dieser Titel kommt mir allerdings zu prahlerisch vor – man verzeihe mir, dass ich es bei „Über den Umgang mit Menschen“ belassen habe.

Manche Kommentatoren haben explizite Regeln für junge Menschen, zum Beispiel Studenten, vermisst. Wie vom Rezensenten in den Würzburger Gelehrten Anzeigen aber richtigerweise angemerkt wurde, hätte ich dann so ins Detail gehen müssen, dass zehn Bücher nicht gereicht hätten, um über alles und jeden zu schreiben. Außerdem hätte ich mich dann wiederholen müssen. Ich füge noch hinzu, dass junge Leute ohnehin noch nicht sehr charakterfest sind – und sie bezüglich des Betragens noch eine Art Narrenfreiheit genießen. Sie können sich für den Umgang mit Menschen im gleichen Alter daran halten, was in diesem Buch in allgemeiner Form beschrieben ist.

Hannover, im Januar 1790

Vorwort zur ersten und zweiten Auflage (1788)

Das Thema dieses Buches kommt mir groß und wichtig vor – und der Gedanke, ein Buch über den Umgang mit allen Arten von Menschen zu schreiben, ist meines Erachtens noch neu. Da mir daher niemand als Vorbild dienen konnte, muss ich einige Unvollständigkeiten dieses Buches entschuldigen. Es wäre viel verlangt, ein vollständiges Buch zu schreiben, und für meine Fähigkeiten wäre das zu viel. Wenn das Buch als Ausgangspunkt für weitere Arbeiten dienen könnte, so könnten mir die Leser dennoch dankbar sein.

Vielleicht wird man mir Weitschweifigkeit vorwerfen. Es ist jedoch schwierig, die Grenze zu ziehen. Wenn ich zum Beispiel darüber schreiben möchte, wie Freunde miteinander umgehen sollen, so finde ich es passend, erst etwas über die Wahl der Freunde und die Grenzen der Freundschaft zu schreiben. Wenn ich andererseits über den Umgang im gesellschaftlichen Leben schreibe und zeige, dass man anderen ihre Schwächen nachsehen soll, dann stehen ein paar philosophische Bemerkungen über diese Schwächen sicher nicht am falschen Ort.

Übrigens habe ich dieses Buch nicht flüchtig hingeschrieben, wie andere meiner Werke. Es enthält Überlegungen aus meinem ziemlich unruhigen Leben, in dem ich Kontakt mit vielen unterschiedlichen Leuten hatte. Bei dem veränderlichen Geschmack des deutschen Publikums und der übertriebenen Nachsicht, mit der man hier unbedeutende Romane, Klatschzeitschriften oder nichtsnutzige Anekdotensammlungen aufnimmt, kann es schon einmal passieren, dass man als Schriftsteller beim Schreiben seiner Bücher nicht ganz so genau ist. Schriftstellerei in der heutigen Zeit ist eher ein Gespräch mit den Lesern – da achtet man nicht auf jedes Wort. Der müßige Haufen will ständig etwas Neues hören, aber ernste Beiträge werden nicht halb so gern gelesen wie Modeware. Ich gebe zu, dass sich da auch bei mir wohl der ein oder andere unnütze Beitrag eingeschlichen hat.

Niemand weiß besser als ich, welche Ausarbeitung meine ersten Bücher noch gebraucht hätten. Sie wurden und werden noch immer häufiger gelesen und aufgelegt, als sie es verdienen. Der Verleger wollte immer mehr von derselben Sorte, machte mir gute Angebote – und ich willigte ein. Wer auch nur im Ansatz weiß, wie mein Vermögen ohne meine eigene Schuld über viele Jahre hinweg verwaltet worden ist, wird mir sicher verzeihen.

Während meiner achtzehnjährigen Abwesenheit wurde ich als Autor von Büchern genannt, die ich nicht einmal gelesen hatte. Da ich wieder zurück bin, ist mir das nun nicht mehr gleichgültig. Was ich von nun an schreibe (wenn ich je noch etwas außer diesem Werk schreiben sollte), soll daher keine Billigware sein. Nicht aus Unzufriedenheit mit meinem Verleger in Frankfurt, sondern aus anderen Gründen habe ich mich entschlossen, dieses Buch in Hannover bei Herrn Andreä verlegen zu lassen, der mich jederzeit sehr gut und freundschaftlich behandelt hat. Einige meiner Bücher sind unerlaubt in Leipzig und Wien nachgedruckt worden. Sollte jemand etwas Vergleichbares für dieses Büchlein planen, so sollte dieser wissen, dass alle Vorkehrungen getroffen wurden, den Schaden eines solchen Diebstahls auf den Räuber selbst fallen zu lassen. Hannover im Januar 1788

Erster Teil

Einleitung

1. Worüber ich (nicht) schreibe

Die klügsten Leute tun Dinge, über die man nur den Kopf schütteln kann. Die größten Menschenkenner fallen auf den offensichtlichsten Betrug herein. Erfahrene, agile Persönlichkeiten wählen im Alltag unzweckmäßige Mittel, sodass es ihnen misslingt, auf andere zu wirken. Sie hängen trotz aller Vernunft von der Einfältigkeit anderer ab. Die weniger Klugen jedoch setzen Dinge durch, die der Vernünftige nicht zu denken wagt.

Viele aufrichtige, anständige Menschen sind fast allgemein verkannt. Die witzigsten und hellsten Köpfe scheitern in Gesellschaft, während ein anderer, äußerst geistesleerer Mensch seine paar Begriffe, die er hier und da aufgeschnappt hat, so fallenlassen kann, dass er Aufmerksamkeit erregt und selbst kenntnisreiche Menschen darauf hereinfallen.

All das scheint uns zu sagen, dass die gelehrtesten Menschen durch Mangel an einer gewissen Gewandtheit zurückbleiben, und dass die Geistreichen, von der Natur mit allen Vorzügen gesegneten, oft am wenigsten zu gefallen und zu glänzen verstehen.

Ich schreibe aber nicht über die freiwillige Zurückhaltung weiser Menschen. Nicht darüber, dass der anständige Mensch schweigt, wenn er nicht verstanden wird. Nicht darüber, dass sich der Witzige und Geistreiche in einer Gesellschaft von Dummköpfen nicht zum Spaßmacher herablässt und nicht darüber, dass sich der Mensch mit einer gewissen Würde nicht an jede unbedeutende Gesellschaft anpasst. Auch nicht darüber, dass es jungen Menschen besser steht, bescheiden und schüchtern als, wie die meisten jungen Leute, vorlaut, egoistisch und plauderhaft zu sein. Nicht darüber, dass der edle Mensch, je klüger er ist, umso bescheidener und misstrauischer gegenüber seinen eigenen Kenntnissen ist. Das alles ist sehr natürlich – darüber schreibe ich nicht1.

Ich schreibe auch nicht von der gekränkten Eitelkeit eines Menschen, der ständig geschmeichelt und vorgezogen werden will und eine traurige Figur macht, sobald dies nicht der Fall ist. Auch nicht vom gekränkten Hochmut eines Neunmalklugen, der beleidigt ist, wenn er nicht überall für ein großes Licht der Welt gehalten und so behandelt wird – und nicht jeder mit seinem Lämpchen zu ihm läuft, um es an seinem großen Licht der Aufklärung anzuzünden. Ich schreibe auch nicht über einen steifen Professor, der gewöhnt ist, vor einem Haufen glotzender, unbärtiger Musensöhne hohe Weisheit zu predigen und dann zu sehen, wie diese ihn ehrerbietend grüßen und ihm in der Sprechstunde die Aufwartung machen. Wenn ein solcher einmal einen gesellschaftlichen Empfang oder eine andere Stadt besucht und man ihn dort kaum kennt, und er in einer feinen Gesellschaft von zwanzig Personen gänzlich übersehen oder von irgendeinem Fremden für Teil des Personals gehalten wird. Wenn er dann sein verdrossenes Gesicht zeigt. Das alles gehört nicht hierher.

Dass auch dem Besten einmal ein Missgeschick widerfährt oder dass bei manchen ein ungeselliger Charakterzug diverse gute Eigenschaften überdeckt, werde ich in diesem Buch nicht ausführen.

Nein! Mein Buch ist für diejenigen, die trotz gutem Willen, vorzüglichen Charaktereigenschaften, dem begeisterten Bestreben, in der Welt voranzukommen und dabei eigenes und fremdes Glück zu bauen, zu gar nichts gelangen. Woher kommt das? Was ist es, was diesen Leuten fehlt, was andere haben, die trotz weniger Vorzüge viel erreichen? Ihnen fehlt:

Die Kunst des Umgangs mit Menschen.

Eine Kunst, die der schwache Kopf oft besser versteht als der verständige und weise. Die Kunst, sich bemerkbar, geltend, geachtet zu machen, ohne beneidet zu werden. Sich nach anderen Menschen zu richten, ohne sich zu verstellen. Ungezwungen an unterschiedlichen sozialen Anlässen teilhaben zu können, ohne an Charakter zu verlieren, noch zu schleimig zu sein. Wen die Natur nicht mit dieser glücklichen Veranlagung geboren hat, muss sich diese Kunst selber erwerben: Eine gewisse Geschmeidigkeit, Geselligkeit, Kontrolle über lasterhafte Emotionen, Wachsamkeit auf sich selbst und Heiterkeit. Diese Kunst ist nicht zu verwechseln mit der Gefälligkeit des Sklaven, der sich von jedem missbrauchen lässt, sich jedem preisgibt, schlechte Menschen für kleine Gefallen anbetet, für eigenen Vorteil zum Unrecht schweigt, dem Betrug die Hand reicht und die Dummheit vergöttert!

Die Kunst des Umgangs mit Menschen, über die ich schreibe, muss uns im Umgang mit allen Menschen leiten. Ich möchte keine komplette Abhandlung schreiben, sondern von meinen Erfahrungen berichten, die ich in einer nicht kurzen Reihe von Jahren gesammelt habe. Ich habe mich unter Menschen aller Arten und Gesellschaftsschichten aufgehalten und oft in der Stille beobachtet. Vorliegendes Buch bietet keine vollständige Theorie, aber Bruchstücke, die zum Nachdenken anregen sollen.

2. Andere Länder, andere Sitten

In keinem europäischen Land ist es wohl so schwer, im Umgang mit Menschen aus allen Bevölkerungsschichten und Gegenden zu glänzen, sich in jedem dieser Zirkel wie zu Hause zu fühlen, wie in Deutschland. Kaum woanders ist es so schwer, ohne Zwang, ohne Falschheit, ohne sich verdächtig zu machen und ohne sich dabei selbst zu vernachlässigen, mit anderen Menschen gelungen umzugehen. Denn nirgendwo herrscht gleichzeitig eine so große Vielfalt der Gesprächstöne, der Erziehungshintergründe, der Meinungen und der aktuellen Themen, mit denen sich die Menschen in einzelnen Regionen beschäftigen. Dies kommt von der Vielfalt der Regionen, vom Unterschied der Beziehungen der verschiedenen Länder zueinander und vom sehr bemerkenswerten Abstand der Bevölkerungsschichten in Deutschland voneinander, zwischen denen anhaltende Vorurteile, Erziehung und teilweise auch der Staat eine viel genauere Grenze gezogen haben als in anderen Ländern. Wo durchkreuzen sich mehr Interessen als hier? – Und das alles wird nicht durch gewisse, allen Bürgern des Landes gleich wichtige, nationale Bedürfnisse und Angelegenheiten konzentriert, wie etwa in England – dort, wo Aufrechterhaltung des Staatswesens, Freiheit und Glück der Nation das ist, wonach alle streben. Es ist hier anders als in fast allen anderen europäischen Ländern, die durch ein einziges, allen Bürgern gleich wichtiges Interesse beherrscht werden; wie etwa die Schweiz, oder Länder, in denen eine alleinherrschende Religion oder ein tyrannisches Klima die Gewalt über die Art zu denken, die Atmosphäre und die Stimmung hat.

Dass das deutsche Staatswesen auch seine Vorzüge hat, daran besteht kein Zweifel. Allerdings besteht auch kein Zweifel daran, dass es nun einmal einen großen Einfluss auf die Verschiedenheit der einzelnen Regionen und Bundesländer hat. Eben daher kommt es, dass es die Schauspieler, Dichter, Schriftsteller hier schwer haben, wenn sie alle regionalen Nuancen kennen, aber gleichzeitig einen Anstrich von nationalem Charakter durchschimmern lassen wollen. Viel schwerer als in Frankreich, wo die Sitten der verschiedenen Bevölkerungsschichten und Regionen sich nicht so sehr voneinander unterscheiden. Daher kommt es, dass man über so wenige unserer Schriftsteller ein einstimmig lobendes Urteil hört, dass wenige ihrer Werke Nationalgut werden – und daher eben kommt es, dass es so schwer ist, mit Menschen aus allen Schichten und Gegenden in Deutschland umzugehen und auf alle gleich vorteilhaft zu wirken.

Der treuherzige, naive, manchmal auch etwas bäuerliche Bayer ist äußerst verlegen, wenn er auf all die anständigen Dinge antworten soll, die ihm der feine Sachse entgegenschickt. Dem schwerfälligen Westfalen kommt alles chinesisch vor, was der Österreicher ihm in seinem fremden Akzent vorpoltert. Die zuvorkommende Höflichkeit des durch französische Nachbarschaft polierten Rheinländers würde man in manchen Städten Niedersachsens für zudringlich halten! Man glaubt dort, ein Mensch, der so unterwürfig und nachgiebig ist, hätte falsche Absichten, wäre arm und hilfsbedürftig. Oft genügt dort ein leichtes Übermaß an äußerer Höflichkeit, um einen Menschen, der sich am Rhein dadurch allgemeine Liebe erworben hätte, unbeliebt zu machen. Dafür wird aber auch der ernsthaftere Niedersachse, der bei der ersten Bekanntschaft ein wenig verlegen ist, anderswo für einen schüchternen Menschen ohne Lebensart, ohne Kultur und Lebenserfahrung gehalten.

Sich nach Ort, Zeit und Umständen zu richten und sich von verjährten Angewohnheiten loszumachen, erfordert Studium und Kunst.