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Kraftvolle Heiltechniken aus dem Urwald.
Was haben eine Tänzerin, für die jeder Schritt zur schmerzenden Qual wird, eine Mutter, die den Verlust ihres toten Babys nicht verwinden kann und ein junger Mann, der erschöpft und ausgebrannt den ganzen Tag im Bett verbringt, miteinander gemeinsam? Es sind alles Menschen, deren Leben ins Straucheln geraten ist, die Heilung und Licht bei Alberto Villoldo suchen, einem der weltweit renommiertesten schamanischen Lehrer. Einfühlsam und berührend schildert dieses Buch neben weiteren Fällen ihre persönlichen Geschichten, deren Lektüre uns ein Gefühl für die Weisheit, Macht und Schönheit der schamanischen Energiemedizin gibt und gleichsam dazu anregt, sich selbst auf die Reise schamanischer Transformation zu begeben.
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Seitenzahl: 393
Buch
Dieses Buch versammelt die wichtigsten Werkzeuge schamanischer Heilung: Anhand von berührenden wie verblüffenden Fallgeschichten erfahren wir, welche Kraft den schamanischen Methoden wie der Entkopplung, dem Illuminations- und Extraktionsprozess, innewohnt, um bestimmte Krisen und Herausforderungen im Leben zu meistern. Einfühlsam, nahbar und verständlich führt Alberto Villoldo in die schamanische Praxis ein und erweitert damit unsere Möglichkeiten, die energetischen Voraussetzungen für Gesundheit und Selbstheilung zu schaffen.
Autor
Alberto Villoldo lebt in Los Angeles und ist klassisch ausgebildeter medizinischer Anthropologe. 25 Jahre lang bereiste er die Hochländer der Anden und des Amazonas und studierte die schamanischen Heilpraktiken. In seinen Seminaren führt er alljährlich Tausende von Medizinern und Laien in die energiemedizinischen Techniken ein. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter »Das erleuchtete Gehirn« und »Das geheime Wissen der Schamanen«.
Von Alberto Villoldo ist bei Goldmann außerdem lieferbar
Das geheime Wissen der Schamanen (14216)
Seelenrückholung (21765)
Die vier Einsichten (21805)
Mutiges Träumen (21857)
Das erleuchtete Gehirn (21963)
Vorwort
Einleitung – Der Weg des Schamanen
1 Die Extraktion eingedrungener Energien
2 Vom Schicksal zur Bestimmung
3 Wie man den Kampf-oder-Flucht-Mechanismus zurücksetzt und Depressionen heilt
4 Die Reise über den Tod hinaus
5 Das Herz im Jenseits heilen
6 Illumination – Entfernen von Abdrücken aus dem Leuchtenden Energiefeld
7 Seelenrückholung und der Verbund der Kraft
8 Seelenrückholung – auf der Suche nach der verlorenen Seele
9 Leben nach dem Leben
10 Die Heilung der Mutterwunde
11 Den Tod heilen, den wir in uns tragen
12 Verbündete in der geistigen Welt
13 Die Geschichte des Schamanen
14 Begegnung jenseits der Zeit (Eine übernatürliche Liebesgeschichte)
Nachwort
Dank
Glossar
Es ist kalt. Im Winter tanzen auch hier in der Hochwüste die Schneeflocken. Ich werfe einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch: zwei Uhr morgens. Es ist Zeit. Die Worte lassen mir keine Ruhe, treiben mich aus meinem warmen Bett. Ich schlüpfe in die dicken Wollsocken und den schweren Bademantel und versuche, meinen Mann dabei nicht zu wecken. Ich gehe leise in das Büro in der anderen Ecke des Hauses. Ich habe zu arbeiten.
Aber zuerst entzünde ich die Kerze. Die Arbeit muss immer mit einem Ritual beginnen. Ein kleines Bücherregal dient mir als Altar, dort steht die Kerze umgeben von den Symbolen meiner spirituellen Reise. Beim Anzünden der Kerze erbitte ich den Schutz des Feuers, und auf den Wänden beginnen Schatten zu tanzen. Licht und Dunkelheit – das Wesen der schamanischen Arbeit. Ich öffne einen heiligen Raum, lade die Geister der vier Himmelsrichtungen ein und erinnere sie daran, dass ich es alleine nicht schaffe. Dass ich sie brauche. Natürlich bin ich es, die dieser Erinnerung bedarf.
Der Computer erwacht zum Leben, und ich sitze reglos da, warte, nehme die Stille, die Ruhe dieser tiefen Nacht in mich auf. Das Telefon wird nicht klingeln. Die Türglocke wird nicht läuten. Nichts wird mich ablenken – es sei denn, ich tue es selbst. Ich muss meine Mitte finden. Welcher Klient wird mir heute Nacht Gesellschaft leisten? Es ist Jered.
Wir haben uns ausführlich unterhalten, und ich trage seine Geschichte in mir, kenne sie fast schon auswendig. Was denkt, was fühlt er? Wie kann ich es in Worte fassen? Es ist, als öffnete ich eine Tür und beträte eine fremde Wirklichkeit. Das muss ich tun, wenn ich für ihn sprechen, wenn ich die Geschichte seiner Heilung erzählen möchte. Er bringt mir ein enormes Vertrauen entgegen! Ich nehme es nicht auf die leichte Schulter. Es erstaunt mich sogar sehr. Aber ich kann es auch verstehen.
Die Menschen, deren Geschichten ich aufschreibe, sind Albertos Klienten. Sie haben ihn um Hilfe, Heilung und Licht gebeten, waren bereit, sich den Schatten zu stellen.
Ich lege die kalten Finger auf die Tastatur.
Dies war mein Arbeitsrhythmus, und er floss über die Jahre mit den Jahreszeiten dahin. Geschichte um Geschichte wurde dieses Buch lebendig. Den Anfang machte ein ausführliches Gespräch mit den Klienten, gefolgt von Rücksprachen, E-Mails und so vielen Entwürfen, wie nötig waren, bis der Text die Zustimmung aller fand. Alberto war immer da. Kein Wort entging seinem prüfenden Blick. Schließlich war es sein Buch, seine Schöpfung. Ich war mir des Privilegs, als Mitautorin des begnadeten Schamanen an diesem Prozess teilhaben zu dürfen, stets bewusst.
Ich habe keine Ahnung, wann der Funke dieses Projekts in den Augen des Schamanen aufblitzte. Aber ich weiß, wann für mich die Reise begann. Es war im Juli 2001. Jener Sommertag, der Tag meiner ersten Begegnung mit dem Schamanen, hat sich tief in mein Gedächtnis eingegraben. Ich wandte mich wegen einer tödlichen Krankheit an ihn, verpackt in eine spirituelle Krise. Der Schamanismus war mir neu und kam mir fremd, seltsam und rätselhaft vor. Ich war fasziniert. Ein Teil von mir zweifelte nicht daran, dass dieser Mann mir etwas sehr Wichtiges zu sagen hatte – und ich gefälligst zuhören sollte. Ich entblößte die Wunden meiner Seele, die Wunden eines ganzen Lebens vor ihm. Alberto saß mir gegenüber, hatte einen Block in der Hand und machte sich Notizen. Mit einem Mal hielt er inne, drückte mir seinen Stift in die Hand und sagte: »Nimm diesen Stift und schreib um dein Leben, Anne!« Damals hatten – zumindest soweit ich das sagen kann – weder er noch ich eine Vorstellung davon, wohin dieser Stift mich führen würde. Er wurde Teil meiner Mesa, des Altars der Schamanen, und ist es bis heute geblieben.
Es folgten viele weitere Sitzungen mit Alberto, denn meine Wunden waren zahlreich und mussten heilen, wenn ich das Leben in seiner ganzen Fülle erfahren wollte. Ich unterzog mich verschiedensten schamanischen Heilmethoden wie Illuminationen, Seelenrückholungen und Extraktionen, von denen Sie auch in diesem Buch lesen werden. Ich absolvierte die Light Body School der von Alberto ins Leben gerufenen Four Winds Society. Am Ende dieses Ausbildungsprogramms steht die energiemedizinische Qualifikation, außerdem bietet es Raum für die persönliche Heilung. Wegen meiner körperlichen Einschränkungen war dies von Anfang bis Ende ein harter Kampf. (Nun, inzwischen weiß ich, dass nichts rein körperlich ist.) Aber als ich die Ausbildung abschloss, tanzte ich um das zeremonielle Feuer.
Bereits lange, bevor ich jenen Stift zur Hand nahm und begann, die Wege der Heilung anderer Menschen aufzuzeichnen, stand ich mit beiden Beinen fest auf dem schamanischen Pfad. Andernfalls wäre ich gar nicht dazu in der Lage gewesen. Abgesehen von meiner Erfahrung mit der schamanischen Arbeit wirkte ich in Hollywood als professionelle Autorin in erster Linie an Dokumentarfilmen mit. Alberto wusste das und sprach mit mir über die Möglichkeit, gemeinsam an diesem Projekt zu arbeiten. Wie üblich verfasste ich ein Exposé und ein paar Textproben. Ich machte den Vorschlag, die Geschichten abwechselnd aus der Perspektive des Klienten und des Schamanen zu erzählen.
Alberto erkannte das Potenzial meines Materials und sagte: »Dieses Buch wird vielen Menschen sehr viel bedeuten.« Ich brannte darauf, ja zu sagen, aber Wellen der Unzulänglichkeit konnten diese Feuer schnell zum Erlöschen bringen. Und Alberto sagte ganz offen: »Das ist ein großes Projekt, und es wird sehr viel Arbeit machen.« (Er hatte recht.) Trotzdem glaubte ich fest daran, dass ich dieses Unterfangen nicht alleine zu bewältigen hatte, dass mir alles gegeben würde, was ich brauchte. Und so fingen wir an. Das war im Jahr 2005. Ich ging ganz in dem Projekt auf und muss auch heute noch viel daran denken.
Als ich zu dem Projekt stieß, legte mein Mann Laban Strite, Psychologe und ebenfalls Absolvent der Light Body School, bereits das Fundament, indem er auf Albertos Anweisung hin Vorgespräche mit knapp hundert Klienten führte. Damals war ich abends oft allein und las, während er am Telefon die Vorarbeiten zu diesem Werk erledigte. Ich war darüber nicht sonderlich erfreut, denn eigentlich gehörte der Abend uns. Aber dank der Informationen, die er sammelte, konnte ich nach meinem Einstieg in das Projekt sofort mit den ausführlichen Interviews beginnen.
Meine zwölf Gesprächspartner kamen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft und aus verschiedenen Ecken der Vereinigten Staaten. Sie alle hatten Einzelsitzungen mit Alberto absolviert. Sie gingen den Weg der Heilung, was allerdings nicht zwangsläufig bedeutete, dass sie auch geheilt waren. Trotzdem kann man sagen, dass die Erfahrung, mit dem Schamanen an der eigenen Heilung zu arbeiten, sie alle veränderte – genau wie mich.
Das Schreiben dieses Buches ähnelte dem unberechenbaren Lauf eines Flusses, der mal fröhlich dahineilt, über Felsbrocken und Steine springt, und mal Gefahr läuft auszutrocknen. Würde er ganz und gar versiegen? Andere Aufgaben und Verpflichtungen sowie unerwartete Veränderungen in Albertos und in meinem Leben sorgten dafür, dass das Buch längere Zeit auf Eis lag. Die Vorstellung, etwas warten zu lassen, ist ein vertrautes – und sogar positives – Konzept der schamanischen Arbeit. Ich versicherte Alberto: »Das Buch wird seine Zeit finden.« Er ermutigte mich, nicht aufzugeben: »Diese Geschichten verdienen es, erzählt zu werden.« Wir hielten durch, und der Fluss begann wieder zu fließen.
Und die Klienten auf unserer Liste? Sie warteten geduldig, still und vertrauensvoll. Sie wussten, welch großes Privileg mit der Teilnahme an diesem Projekt verbunden war. Ich bin mir sicher, dass sich im Laufe dieser Jahre auch in ihrem Leben vieles verändert hat. Und die Arbeit ist nie getan. Noch bevor die sprichwörtliche Tinte trocken ist, kann die Geschichte eine andere sein – die niemals erzählt wird. Um ihre Heilung zu schildern, mussten die Klienten zurückblicken, sich erinnern und die Ereignisse manchmal noch einmal durchleben. Dies war ein wertvoller, oft aber auch schmerzlicher Aspekt für sie. Er vertiefte und verstärkte das Gelernte und brachte häufig neue Einsichten. Ich wollte wissen: »Was hat Alberto gemacht?« Den Befragten fiel es nicht leicht, ihre nichtalltäglichen Erfahrungen in ganz normale Worte zu fassen. Und wenn ich versuchte, sie zu Papier zu bringen, fühlte es sich häufig an, als glitten mir die Worte wie Quecksilber durch die Finger.
Es war keine leichte Aufgabe. Viele der Befragten hatten das Gefühl, als versuchten sie von der Reise in ein fernes Land zu berichten, dessen Landschaften, Bräuche und sogar Sprache ihnen fremd sind. Man ist versucht zu sagen: »Das kann nur verstehen, wer es selbst erlebt hat!«
Diese wenigen Auserwählten stehen für die vielen Menschen auf diesem Weg. Ihre spirituelle Reise hat bereits vor langer Zeit begonnen und geht weit in die Zukunft hinein. Lasst uns die Flügel ausbreiten und mit dem Adler in die Lüfte aufsteigen, um unseren Blick zu weiten und durch seine scharfen, durchdringenden Augen zu schauen. Mit jedem mächtigen Flügelschlag wird das Bild, das sich uns bietet, umfassender, werden seine Grenzen weiter. Wir erkennen die Jahre der Erfahrung, die zur Begegnung und zur Arbeit eines Klienten mit dem Schamanen führten. Alberto sagt: »Entscheidend ist, mit welchem Hintergrund du an die Arbeit herangehst.« Niemand ist soeben erst dem Mutterleib entschlüpft. Wer weiß, was sich hinter dem ersten Schrei eines Neugeborenen verbirgt? Manchmal erhalten wir sogar Einblick in frühere Leben, wie sie eins ins andere fließen.
Wir steigen noch weiter empor und sehen, wie sich die Linie Leben um Leben in die Zukunft erstreckt. Ein endloser Horizont des Potenzials … der Möglichkeiten … der Bestimmung … und darüber hinaus. Der Adler steht nun in der Luft. Die Größe seiner Vision lässt sein Herz schneller schlagen. Sie ist unsagbar weit.
Die Sitzungen mit dem Schamanen endeten zu einem Zeitpunkt, der für die Klienten der richtige war. Aber es war nicht das Ende ihrer Reise. Es war vielmehr ein weiterer Neubeginn. Es gehört zur Arbeit des Schamanen, mit Tod und Erneuerung bestens vertraut zu sein. Es ist möglich, dass die Geschichte, die diese Menschen heute erzählen würden, kaum Ähnlichkeit mit ihrer gestrigen Schilderung oder gar den Worten hat, die den Weg auf diese Seiten fanden. Ihre Heilung führte sie in klarere, tiefere Gewässer, wo sie noch feinere Geschichten spinnen. Aber das Ziel besteht darin, alle Geschichten abzulegen, so wie die Schlange die alte, einst bequeme Haut abstreift, und frei zu werden.
Vielleicht wirft die Lektüre dieser Geschichten mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Vielleicht führt sie dich auf deine eigene Reise und auf den Pfad, der deine Seele ruft – wohin er auch führt. Nur dort kannst du die Antworten finden. Jeder von uns muss sich über die punktuelle Gegenwart erheben, um den gesamten Umfang seiner Heilung, seiner Aufgabe und seines Auftrags hier auf Erden zu verstehen. Keine unserer Geschichten macht uns aus; keine zieht die Fäden unserer Existenz. Wir sind nicht unsere Geschichten. Die Perspektiven, die uns der Aufstieg in die Lüfte verschafft, offenbaren: Wir sind so viel mehr. Wir sind spirituelle Wesen, die eine körperliche Erfahrung machen. Wir sind unendliche Wesen, die zu Göttern werden.
Wenn wir uns weit genug emporschwingen, sehen wir, dass die Lebenslinie einen Kreis bildet. Sie ist geschlossen, vollendet, erfüllt. Sie besteht aus so vielen Punkten, dass es am Ende keine Punkte, sondern Perlen einer Gebetskette sind, verbunden durch die schamanische Reise der Transformation.
Der Adler muss landen. Er muss zur Erde zurückkehren. Und wir finden uns in der Höhle des Schamanen wieder, um mit der ersten Geschichte von Heilung und Transformation in diesem Buch zu beginnen.
Ich habe diese Menschen bis auf wenige Ausnahmen nicht persönlich getroffen und würde sie nicht erkennen, wenn wir auf der Straße aneinander vorbeiliefen. Aber ich werde nie vergessen, was sie mir geschenkt haben. Manchmal sprechen ihre Worte ganz unerwartet auf eine sehr persönliche Weise zu mir – immer dann, wenn ich es am nötigsten habe. Daher weiß ich um ihre Wirkung und ihre große Macht. Als wir dieses Buch vollendeten, ertönte die Stimme des Schamanen von seinen Seiten: »Löse dich vom Ausgang der Dinge!« Wie treffend. Die schamanische Arbeit holt uns oft auf den Boden der Tatsachen zurück, während wir nach den Sternen greifen.
Anne O’Neill
Die Sammlung von Geschichten in Ihren Händen zeigt, auf welche Weise ein Schamane die Menschen mit Energiemedizin unterstützt und ihnen hilft, ihre eigenen Selbstheilungskräfte zu finden. Es sind die Stimmen meiner Klienten, zu Papier gebracht von Anne O’Neill. Gemeinsam haben wir unter großen Anstrengungen ein Buch hervorgebracht, das den Leserinnen und Lesern zu einem besseren Verständnis für die Praxis der schamanischen Heilung verhelfen soll. Es zeigt das Leben und die persönliche Entwicklung einiger Klienten, die sich hilfesuchend an mich gewandt haben – jeder mit einem anderen Hintergrund und mit anderen Herausforderungen.
Ich hoffe, die Lektüre dieser Geschichten kann Ihnen ein Gefühl für die Weisheit, Macht und Schönheit der schamanischen Energiemedizin vermitteln. Ich hoffe auch, sie regt Sie dazu an, selbst Erfahrungen mit schamanischen Heilmethoden zu sammeln – ob Sie nun glauben, der Heilung zu bedürfen oder nicht, und unabhängig davon, welche Heilung Sie benötigen. Dem Schamanismus liegt die Vorstellung zugrunde, dass der Körper folgen wird, wenn wir die Qualität und die Schwingung des Leuchtenden Energiefelds (LEF) verbessern; dass Krankheiten verschwinden, wenn wir die energetischen Voraussetzungen für Gesundheit schaffen; und dass wir einen neuen Körper erschaffen können, der anders altert, heilt und stirbt. Dieses Versprechen klingt für jeden verlockend, aber es ist mehr als ein Versprechen. Es kann Wirklichkeit werden, wenn Sie den inneren Schamanen zum Leben erwecken – die Macht, die jeder in sich trägt.
Unmittelbar vor Drucklegung dieses Buches fiel mir auf, dass eine Geschichte fehlte: die Geschichte meiner eigenen Heilung und Rettung durch die schamanische Medizin. Wie alle Menschen erschaffe ich mein Leben gemeinsam mit dem Spirit und schreite bewusst voran – aber dann geschieht etwas Unerwartetes und bringt mich auf einen völlig anderen Weg. Jeder Fehler, der mich ins Gestrüpp am Wegesrand stolpern ließ, barg das Versprechen, mich etwas zu lehren. Mit der Zeit gelang es mir immer besser, die Chance auf Wachstum zu ergreifen, statt mich darüber zu beklagen, dass ich mir unterwegs Schrammen und blaue Flecken holte.
Ich hatte mich stets zum Heiler berufen gefühlt, aber ich hatte mir nicht gewünscht, einmal Schamane zu werden, wenn ich groß bin. Wie viele andere gelangte ich durch eine Mischung aus glücklichen Zufällen und Synchronizität auf meinen Weg. Aber der Drang, mein Leben in den Dienst anderer zu stellen, hat seinen Ursprung in meiner Kindheit. Er ist ein häufiges Motiv der Geschichten, die Sie hier lesen werden. Es sollten viele Jahre vergehen, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich ein Heiler sein wollte, und bis ich sagen konnte, dass es sich bei dem Weg, dessen Ruf ich vernahm, um den des Schamanen handelte.
Mit Anfang zwanzig studierte ich Psychologie. Dieses Studium bereitete mich darauf vor, die Seelen meiner Patienten zu erforschen. Bei meinem Praktikum in einer psychiatrischen Klinik lernte ich, wie viele Möglichkeiten es gab, verrückt zu werden, und wie wenig wir im Westen tun konnten, um die geistige Gesundheit der Menschen wiederherzustellen. Ein Patient, Harold, ist mir besonders in Erinnerung geblieben, er beeindruckte mich tief. Bei unserer ersten Begegnung starrte er mir so lange in die Augen, bis ich es mit der Angst zu tun bekam. Es war, als sähe er durch meine Augen und meinen Kopf in mein Innerstes. Die ersten Worte, die mir ohne nachzudenken entfuhren, waren: »Wen haben Sie denn verschreckt, dass Sie in einer Nervenklinik gelandet sind?«
Ohne den Blick abzuwenden, erwiderte Harold: »Alle.«
Im Laufe der nächsten Wochen fand ich heraus, dass Harold keineswegs verrückt war. Stattdessen war die dünne Membran, welche die innere von der äußeren Welt trennt, für ihn einfach nicht vorhanden. Er besaß ein außergewöhnliches Talent: Er konnte in die Herzen der Menschen sehen und Geheimnisse zutage fördern, die sie sogar vor sich selbst verborgen hatten. Er war der erste hochintuitive Mensch, den ich kennenlernte.
Eines Tages sagte Harold zu mir: »Sie sind nur ein verängstigter kleiner Junge, der vorgibt, ein Mann zu sein, und sich hinter seinem Titel versteckt, Herr Doktor. Sie liegen immer noch zitternd unter jenem Bett, als draußen vor dem Haus geschossen wurde. Sie haben Angst, was geschehen könnte, wenn Sie je darunter hervorgekrochen kämen.« Dann lachte er mir ins Gesicht und ging.
Ich dachte: »Der Typ ist echt durchgeknallt.« Aber als ich ins Büro kam, musste ich mich setzen. Ich hatte angefangen, unkontrollierbar zu zittern. Ich schloss die Augen, und Bilder stürmten auf mich ein: ein verängstigter Neunjähriger, Schüsse und Explosionen in der Ferne, helle Blitze in der sternenklaren Nacht vor meinem Schlafzimmerfenster und ich, zitternd und tränenüberströmt unter dem Bett. Harold hatte nicht wissen können, dass ich als Junge die kubanische Revolution überlebt hatte. Nun durchlebte ich die Schrecken noch einmal. Ich war mir sicher gewesen, meine Mutter, meinen Vater, meine Schwester und am Ende auch mein Leben zu verlieren. Wie konnte er das wissen? Wie war es ihm gelungen, so tief in mein Herz zu sehen und Dinge hervorzuholen, die zu vergessen ich mich so sehr bemüht hatte?
Nein, Harold war nicht verrückt. Er besaß nur ein Talent, das niemand verstand und das er nicht kontrollieren konnte. Er kannte nur eine einzige Möglichkeit, mit seiner außergewöhnlichen Begabung fertigzuwerden, nämlich andere Menschen abzuschrecken. So war er in der Psychiatrie gelandet. Ich war nur ein Doktorand, die echten Ärzte der Klinik fürchteten Harold noch viel mehr. Welche bedrohlichen Wahrheiten hatte er ihnen enthüllt? Mir wurde klar, dass er die unschönen Geheimnisse aus den Tiefen ihrer Psyche hervorgekramt und über den Flurfunk der Klinik verbreitet hatte. Sie hatten keine andere Wahl, als ihm seine Gabe mit Medikamenten auszutreiben.
Bei unserer nächsten Begegnung stand Harold unter dem Einfluss so vieler Medikamente, dass er mich nur noch stumm anstarrte. Sein Licht war unter einem Scheffel Antipsychotika verborgen, aber ich sollte den kurzen Blick, den ich darauf erhaschen durfte, niemals vergessen. Er hatte mir vor Augen geführt, dass ich, wenn ich ein Heiler werden wollte, den Krieg beenden musste, der noch immer in mir tobte. Andernfalls hätte der verängstigte Neunjährige die Kontrolle über mein Nervensystem und würde heimlich die Entscheidungen fällen.
Die Arbeit in der Nervenklinik machte mir klar, wie begrenzt die westliche Psychiatrie war. Wir sperren Menschen weg, die nicht ins System passen, Menschen, die andere mit ihren Begabungen erschrecken und für die wir keinen Platz in unserer Kultur und in unserer Gesellschaft haben. Natürlich gibt es Menschen, die andere verletzen und behandelt werden müssen. Aber viele der Klinikinsassen waren freundlich und angenehm. Einige waren sogar genial. Als die Welt keine Notiz von ihren ungewöhnlichen Talenten nahm, fingen sie an, sich und anderen zu schaden. Ihr Zauber, ihr Geist entwich immer wieder aus der Flasche, und wir versuchten, diese Kraft mit Medikamenten einzudämmen, statt sie zu bewundern und Menschen wie Harold dabei zu helfen, sie zu zähmen.
Was meine eigenen Begabungen anging, so hatte ich als kleiner Junge in Kuba, wo ich zur Welt gekommen bin, nicht die leiseste Ahnung davon. Als Castro in Havanna einmarschierte, war ich erst neun und konnte mir keinen Reim auf die Kämpfe auf den Straßen machen. Wer war der Feind? Die Guten und die Bösen sprachen die gleiche Sprache, hatten die gleiche Hautfarbe, gehörten oft sogar zur gleichen Familie. Es war eine sehr chaotische und verwirrende Zeit. Meine Familie wanderte schließlich aus und ging nach Miami, da war ich zehn Jahre alt und sprach nur vier oder fünf Wörter Englisch.
Als ich in den USA für die Schule angemeldet wurde, wurde meine schulische Eignung geprüft und mein Leistungsstand getestet. An das beängstigende Gespräch mit dem Schulpsychologen erinnere ich mich bis heute. Er bestand darauf, dass ich ihm in die Augen sah. In der südamerikanischen Kultur, in der ich aufgewachsen war, hatte ich aber gelernt, dass es respektlos war, Erwachsenen in die Augen zu sehen. Wenn ein Erwachsener zu einem sprach, erwies man ihm Hochachtung und Respekt, indem man den Blick senkte. Nervös widersetzte ich mich der Aufforderung des Prüfers, ihn anzusehen. Immer wieder packte er mich am Kinn und zwang mich, ihm in die Augen zu sehen, bis mir die Tränen über die Wangen liefen. Er kam zu dem Ergebnis, ich sei in meiner Entwicklung verzögert, was damals noch »geistig leicht zurückgeblieben« hieß. Ich kam in eine Klasse mit geistig behinderten Kindern.
Zu meinem Erstaunen sprachen die meisten meiner Mitschüler weder ein Wort Englisch noch irgendeine andere Sprache. Wir kommunizierten ausschließlich über Gesten und Berührungen, und ich war begeistert. Sie wussten nicht, dass ich nur Spanisch sprach, und es war ihnen auch egal. In den nächsten Wochen erforschte ich die Welt der Bauklötze und Farben, Kletterhallen und Ballspiele in der Gesellschaft von Kindern, die ohne Worte kommunizierten.
Auf Drängen meiner Eltern wurde ich ein paar Monate später noch einmal getestet. Die Diagnose hatte sie überrascht, und sie hatten um eine zweite Einschätzung gebeten. Sie wurde von einer sehr freundlichen, Spanisch sprechenden Psychologin vorgenommen. Sie erkannte, dass sie einen kleinen Jungen vor sich hatte, der vom Krieg traumatisiert war. Nachdem sie mich behutsam befragt und mich nicht gezwungen hatte, Blickkontakt herzustellen, teilte sie der Schule und meinen Eltern mit, dass ich blitzgescheit sei und in die Klasse der Hochbegabten versetzt werden sollte.
In der darauffolgenden Woche kam ich zu den Hochbegabten und stellte fest, dass niemand dort Spanisch sprach. Ich selbst konnte nur ein paar Brocken Englisch. Die Lehrerin fragte die anderen Kinder, wie viele Abgeordnete im US-Repräsentantenhaus saßen oder was Galileo entdeckt hatte, und dann wandte sie sich an mich: »Alberto, sag uns das Jahr und das Datum.« Ich antwortete in holprigem Englisch. Was für ein Triumph! Von da an verlief meine schulische Entwicklung normal, aber die merkwürdige und traumatisierende Erfahrung meines Schulstarts in den Vereinigten Staaten habe ich niemals vergessen.
Die Patienten, mit denen ich in der psychiatrischen Klinik zu tun hatte, erinnerten mich auf seltsame Weise an die Klasse, in die ich mit zehn Jahren vom Schulpsychologen gesteckt worden war. War es möglich, dass wir Ärzte und Studenten schlicht die Sprache dieser Menschen nicht verstanden? Dass sie wie ich verwundet waren und sich nicht artikulieren konnten? Dass ein seltsamer Krieg in ihnen tobte, für den wir blind waren? Leider gab es für Psychiatrie-Patienten keine Hochbegabtenklassen, sondern nur Medikamente, die dafür sorgten, dass die Stürme sich legten, und die sie gehorsam und gefügig machten. Ich hatte Glück gehabt, dass mir die Entwicklungsverzögerung und Hyperaktivität zu einer Zeit bescheinigt worden war, als man diese Dinge noch nicht mit Ritalin behandelte.
Nach der Erfahrung mit Harold und nachdem ich mir der Grenzen der westlichen Psychologie bewusst geworden war, wuchs meine Enttäuschung bezüglich meines gewählten Berufes. In der Ausbildung hatte ich gelernt, alle psychischen Probleme seien auf eine schlechte Erziehung und traumatisierende Erlebnisse in der Kindheit zurückzuführen. Aber was war mit der geistigen Welt? Was war mit den außergewöhnlichen übernatürlichen Fähigkeiten, über die einige meiner Patienten verfügten? Noch mehr interessierte ich mich für einen Studienzweig, der noch gar nicht erfunden war – die medizinische Anthropologie. Ich wollte die Mythologie und die Heilmethoden indigener Völker erforschen. Ich war versessen darauf herauszufinden, was normal und was außergewöhnlich war. Vor allem aber wollte ich wissen, wie dies von den Menschen definiert wurde, die von den alten Kulturen Nord-, Mittel- und Südamerikas abstammten und ein reiches Erbe mitbekommen hatten, eingebettet in Symbolik und Geschichten.
Der Mann, der mein Interesse an diesem Gebiet weckte und mit dem ich später zwei Bücher schreiben sollte, hieß Dr. Stanley Krippner. Er war ein namhafter Parapsychologe und hatte jahrelang die positive Seite übernatürlicher Phänomene erforscht. Er zeigte mir, dass Dinge, die wir im Westen für neueste Forschungen hielten, bereits zum Gefüge und den Heilmethoden früher Kulturen gehört hatten. Was war mit diesen Zivilisationen geschehen, die Städte wie Machu Picchu in den Wolken gebaut, die majestätische Mayatempel und Mayapyramiden errichtet und die Stadt Teotihuacán in Zentralmexiko gegründet hatten? Als die Spanier Mexiko eroberten, war der Lebensstandard in Teotihuacán höher als in London. Die Bewohner waren gesünder und lebten länger als die Bürger von Paris, Rom oder Madrid.
Von Dr. Krippner inspiriert machte ich mich mit Mitte zwanzig und einem bescheidenen Forschungsstipendium auf den Weg ins Hochland von Peru, um die verschwundenen Städte der Anden zu erforschen und mit den Nachfahren der Inka – der »Kinder der Sonne« – zu sprechen. Die Zivilisation der Inka hatte nicht lange Bestand. Sie überdauerte lediglich vom 13. Jahrhundert bis zur Ankunft der Spanier im 16. Jahrhundert. Doch in dieser kurzen Zeit einten die Inka ein Reich, das größer war als die Vereinigten Staaten. Sie bauten knapp 21 000 Kilometer Straßen sowie Bewässerungskanäle und errichteten prächtige Städte auf Berggipfeln. So faszinierend ihre Architektur auch war, interessierten mich doch vor allem die Legenden über Männer und Frauen, die in die Herzen und Seelen der Menschen blicken konnten – so ähnlich, wie Harold es bei mir getan hatte. Dies waren die Erdenwächter. Sie bewahrten das Wissen und die Weisheit ihrer Vorfahren und verstanden, dass körperliche Krankheiten stets einen spirituellen Hintergrund hatten. Sie konnten in die tiefsten Winkel der Seele blicken und den Menschen helfen, die Wunden zu heilen, die sogar ihnen selbst verborgen waren. Sie waren Pagos oder Schamanen, und ich hoffte, ihre modernen Nachfahren würden mich an ihrem reichen Erbe teilhaben lassen.
Als ich in Cuzco, der früheren Hauptstadt des Inkareiches ankam, war ich ein junger Anthropologe auf der Suche nach dem Abenteuer. Ich hatte den Rucksack voller Träume und im Kopf die Vorstellungen der westlichen Wissenschaft und Psychologie. Damals war Peru ein gefährliches Land, in dem Chaos und soziale Ungleichheit herrschten und Terroristenbanden Bergdörfer besetzten. Ich hatte das Glück, in Cuzco einem alten Indio zu begegnen, der mein erster Mentor werden sollte.
Stolz auf meinen brandneuen Titel als Doktor der Geisteswissenschaften war ich fest davon überzeugt, dass meine Ansichten über das Wesen der Wirklichkeit und des menschlichen Geistes für einen intelligenten Menschen die einzig richtigen waren, und ich stand kurz vor meiner ersten schockierenden Begegnung mit der schamanischen Weltanschauung.
Zuallererst machte mein Mentor mich darauf aufmerksam, dass ein Unterschied zwischen Information und Weisheit bestand. Wenn ich die zeitlose Weisheit der amerikanischen Ureinwohner erwerben wollte, musste ich meinen allzu geschwollenen Kopf zunächst von allen Fakten und Informationen befreien, die ich fälschlicherweise für Wissen hielt. Wer weiß, dass H2O die Formel für Wasser ist, besitzt Information. Wer aber weiß, wie man Regen macht, besitzt Weisheit. Wer die Diagnose kennt, besitzt Information. Wer aber heilen kann, besitzt Weisheit. Mein Mentor erklärte, dass Krankheiten sich zwar in Geweben und Organen manifestierten, sie würden aber stets von einer Erkrankung der Seele verursacht. Dies widersprach meinem akademischen Verständnis. Bis dato hatte ich nur den Körper, die Organe und Gewebe für real und die Seele für eine flüchtige, nicht greifbare Vorstellung gehalten, mit der sich ausschließlich die Religion befasste – und das nur sehr vage.
»Zuerst musst du deine Unwissenheit heilen«, sagte mein Mentor. »Du kennst viele Zahlen und Fakten, besitzt aber sehr wenig Weisheit.« Damit begann meine Reise in die Welt der Schamanen.
Es dauerte viele Jahre, es waren noch viele beschämende Begegnungen mit Schamanen nötig, die sehr viel weiser waren als ich, und ich musste noch oft über mein Ego stolpern und kopfüber ins Gestrüpp am Rande des Weges zu wahrer Weisheit purzeln, ehe ich die grundlegenden schamanischen Heilmethoden halbwegs beherrschte. Sie sind ausführlich in meinen früheren Büchern beschrieben, vor allem in Das geheime Wissen der Schamanen.
Hier werden Sie lesen, wie diese Techniken im Rahmen echter Heilsitzungen funktionieren. Die Geschichten werden von Männern und Frauen erzählt, mit denen zu arbeiten ich die Ehre hatte. Jede Geschichte veranschaulicht einen Kernaspekt der schamanischen Heilung. Alle Beteiligten begaben sich auf die Heldenreise, nachdem die Möglichkeiten der westlichen Medizin und Psychologie ausgeschöpft waren. Alle Klienten hatten das Gefühl, irgendwie seien ihnen ihr Leben und ihre Gesundheit abhandengekommen. Ihr Heilungsprozess führte sie aus der tiefen Verzweiflung zur Hoffnung, vom Schmerz zum Mitgefühl. Er half ihnen auch, körperlich und seelisch zu genesen.
Die Männer und Frauen, denen Sie auf den folgenden Seiten begegnen werden, haben sich auf ihrer verzweifelten Suche nach Heilung an mich gewandt. Oft hatte es den Anschein, als seien ihre Probleme rein körperlich. Aber der Schamane weiß, dass alle körperlichen Leiden die Folge von Störungen der Seele sind. Ein Leuchtendes Energiefeld (LEF) umgibt den Körper eines Menschen und beeinflusst ihn auf zellulärer und biochemischer Ebene wie ein Magnet ein Häufchen Eisenspäne. Zur Heilung begibt der Schamane sich in die nichtalltägliche Wirklichkeit, um die im Leuchtenden Energiefeld codierten Energien und Informationen zu verändern – den Bauplan für körperliche Gesundheit und Wohlbefinden.
Obwohl ich bei der Suche meiner Klienten nach Gesundheit eine entscheidende Rolle spielte, habe ich sie weder »gesund gemacht« noch »geheilt«. Die schamanische Arbeit ist immer ein Tanz des Schamanen mit dem Hilfesuchenden und der Quelle der Heilung. Ich schenkte meinen Klienten die erforderliche Energie und vermittelte ihnen die nötigen Einsichten, damit sie den Weg zur Heilung antreten konnten. Unterwegs erteilte mir jeder von ihnen wertvolle Lektionen zum Wesen der Heilung, die meine Ehrfurcht vor dem eleganten Reigen, in dem wir uns mit dem Spirit drehen, noch weiter wachsen ließen.
Wir tragen die schädlichen Energien der Traumata unserer Kindheit und sogar früherer Leben in uns. Sie sind dunkel und alt, trüben das Leuchtende Energiefeld, bilden dunkle Ansammlungen in den Chakras, steuern und beeinflussen Körper und Geist. Sie bergen Erinnerungen an verletzende Menschen und schmerzliche Ereignisse, die wir nicht heilen konnten. Irgendwann treten sie vielleicht als Krankheiten in Erscheinung. In Sharons Fall hatten sich diese Energien in den Hüftgelenken festgesetzt, die dunkel und leblos aussahen – sowohl auf den medizinischen Röntgenbildern als auch, wenn ich sie mit dem Blick des Schamanen betrachtete. Sharon musste sehr vorsichtig sein, damit sie sich nicht die Hüfte brach, sie war stark eingeschränkt und konnte kaum gehen.
Oft hat es den Anschein, als würde der Kurs unseres Lebens von nacktem Schmerz bestimmt. Dabei ist nichts Geringeres am Werk als die Anziehungskraft unserer Bestimmung.
Glaubt man der Psychologie, sind nicht all unsere Gedanken und Überzeugungen auch wirklich unsere eigenen. Wir übernehmen sie zu einem großen Teil von unseren Eltern und unserer Kultur. Gleichwohl basiert die Psychologie auf der Annahme, dass sämtliche Energien, die wir in uns tragen, unsere eigenen sind. Die Schamanen wissen, dass dem nicht so ist.
Der Extraktionsprozess erlaubt es dem Schamanen, schädliche Energien aus dem Leuchtenden Energiefeld eines Menschen zu entfernen, damit er körperlich genesen kann. Sind die dichten, dunklen Ansammlungen stagnierender Energie beseitigt, ist der Körper in der Lage, sich selbst zu heilen. Einer der Grundsätze der schamanischen Medizin lautet sogar, dass Krankheiten verschwinden, sobald man die Energien entfernt, die nichts im Körper zu suchen haben.
Diese dunklen und abgestandenen Energien sind sehr schwer aufzuspüren, wenn man nicht gelernt hat, wie ein Schamane zu sehen. Ich selbst gewann Einblick in die geistige Welt, als ich bei den Schamanen im Amazonasgebiet in die Lehre ging. Durch jahrelanges Üben erlernte ich das innere Sehen, und inzwischen sehe ich in dieser göttlichen Welt besser als in der Welt aus Beton und Stahl. Anfangs fand ich es beunruhigend, dass ich die Geister von Verstorbenen wahrnehmen konnte. Oder die Scherben, die aus Sharons Seiten ragten, sodass sie aussah, als sei sie durch eine Glasscheibe geflogen. Inzwischen habe ich gelernt, diese Fähigkeit zu kontrollieren, als würde ich eine Brille auf- oder absetzen. Das ist sehr wichtig. Schließlich kann man der Geister auch überdrüssig werden – obwohl sie zuweilen lebendiger und interessanter sind als die Lebenden.
Der Spiegel wirft das Bild einer Frau aus der Vergangenheit zurück. Ich sitze da und mustere das Gesicht, das mich aus dem Spiegel anstarrt. Sie ist wirklich hübsch. Mit ihrem langen, braunen, gewellten Haar sieht sie beinahe königlich aus. Ich fahre mit den Fingen hindurch und genieße das Gefühl der glänzenden, seidigen Wellen.
Ich arbeite seit etwa einem Jahr mit Dr. Villoldo. Bei unserer ersten Sitzung waren meine Haare kurz, heller und ganz bestimmt nicht gewellt. Ich hatte »Schnittlauchlocken«, wie meine Mutter sagen würde. Was hat das zu bedeuten? Das Spiegelbild ist zu einer quälenden Präsenz aus einer fremden Vergangenheit geworden. Oder … werde ich allmählich zur Vergangenheit? Oder drängt sich die Vergangenheit in meine Gegenwart? Der Verstand eines Analytikers macht niemals Pause. Ich sollte es besser wissen. In meiner psychotherapeutischen Praxis beschäftige ich mich mit Dingen dieser Art – dem ohnmächtigen Sezieren der Seele. Auch Alberto ist der Ansicht, dieses wiederkehrende Bild könnte eine tiefere Bedeutung haben, könnte mehr als bloße Einbildung sein. Was aber ist davon zu halten, dass ich diesem Bild immer ähnlicher werde? Das ist neu. Nun, morgen werde ich den Schamanen treffen.
Es ist so viel passiert. Und ich bin noch nicht alt genug, um schon so stark eingeschränkt zu sein. Sagen wir in den Vierzigern? Ich hatte so große Träume, als ich jünger war.
Ich schaue tiefer in den Spiegel, schaue durch die hübsche Frau mit dem gewellten Haar hindurch, bis ich das junge, verletzliche Kind entdecke. Wenn ich es recht bedenke, hatte auch sie Wellen – zumindest für die Auftritte. Mutter sorgte schon dafür.
Tanzstunde 1984. Meine Ballettschuhe sind so eng! Sie sagen, dass müsse so sein. Meine Füße schmerzen so sehr, dass ich manchmal kaum laufen kann. Es tut weh, wenn ich auf Zehenspitzen über die Bühne wirble. Alle sagen mir, wie hübsch ich bin, wie wunderschön ich in meinen Ballettröckchen aussehe. Wie eine Prinzessin, so süß! Mutter meint, ich hätte »Bühnenpräsenz« – was immer das bedeutet. Aber es muss etwas Gutes sein, denn sie lächelt, wenn sie es zu mir sagt. Ich bin nur ein Kind, aber ich habe große Träume. Sie gehen weit über das Tanzen hinaus. Ich will fliegen! Ich will den Wind einfangen und mit den Wolken ziehen.
Es sollte nicht lange dauern, bis das Bild der Prinzessin verblasste und ich die Ballettschuhe an den Nagel hängte. Nie mehr Schmerzen! Das klassische Ballett war zu einer Fessel geworden, die ich keinem Kind wünsche. Und doch ließ mich der Wunsch nach einer fließenden Form des künstlerischen Ausdrucks nicht los. Klar wurde mir das erst mit siebzehn, als ich den modernen Tanz entdeckte. Einen Tanz, der die entblößten Füße – und entblößte Seelen – würdigte. Der die Freiheit bot, sich von innen heraus zu bewegen. Der wahre Kreativität ermöglichte, frei von den Vorstellungen und Anweisungen anderer.
Ich konzentriere mich wieder auf das Spiegelbild. Ich verscheuche das Bild des Kindes und bemühe mich, die Siebzehnjährige zu sehen, die die Freiheit hatte, Künstlerin zu sein. Der Blick wird durchdringender, der Mund entschlossener.
Siebzehn. Die Kommentare hatten sich verändert, man beschrieb mich mit Worten wie hypnotisch und stark. Reizend und süß hatte ich hinter mir gelassen.
Ach! Und welche Worte beschreiben mich jetzt? Ich wende mich ab, will mein Spiegelbild nicht sehen. Nur wenige Jahre nach meinem siebzehnten Geburtstag wurde der Schmerz mein Leben. Düstere medizinische Prognosen zerstörten die hochfliegenden Träume meiner Jugend. Skoliose war nur ein Teil des Problems. Man diagnostizierte Knochennekrose an beiden Oberschenkelköpfen. Die mangelnde Versorgung mit arteriellem Blut konnte kein Leben spenden. Beidseitig Tod des Oberschenkelkopfes hieß es in meiner Krankenakte. Ja, Tod. Ich hatte weder die geschmeidige Beweglichkeit noch das Herz einer Frau, die Wolken haschen konnte. Dieser Teil von mir verschwand mit den fließenden Tanzgewändern in einem dunklen Schrank – an einem Ort, an den kein Lichtstrahl drang. Das Instrument meines künstlerischen Ausdrucks als Tänzerin war für immer verloren. Geblieben war die Sehnsucht, mich frei von der Schwerkraft durch den Raum zu bewegen.
Mit der Zeit verstärkte sich das Gefühl, von der Erde angezogen zu werden, und fesselte mich an einen kalten, harten Boden – den Schmerz. Ich wurde mehrmals operiert, auch Knochentransplantationen mit den entsprechenden Komplikationen waren darunter. Andere Gelenke machten Probleme. Und damit nicht genug …
Bei der Erinnerung daran halte ich mir den Bauch vor Schmerz. Die Frau mit dem glänzenden Haar, deren Bild mich verfolgt, wurde in den Bauch gestochen. Ich kann nicht sagen, woher ich das weiß. Ich weiß es einfach. Ist es ihr Schmerz, den ich spüre? Alberto hat inzwischen auf seine schamanische Art gesehen, was ihr zugestoßen ist. Ich bilde es mir nicht nur ein. Es erleichtert mich, wenigstens das zu wissen.
Ich will beschreiben, wie ich mich in diesem Augenblick fühle, in dem ich weder gehen noch aufrecht stehen kann: alles andere als anmutig. Ich fühle mich wie eine ungelenke Marionette, die sich ruckartig, stoßweise bewegt. Da haben wir’s schon wieder … stoßweise. Angesichts der vielen Traumata in meinem Leben muss ich fragen: Hat dieser Schmerz psychische Ursachen, Alberto? Er versichert mir, dass es nicht so ist, dass die psychologische Arbeit getan ist. Ich muss diese Worte hören, sonst könnte ich all das nicht ertragen. Es fühlt sich an, als würden Glasscheiben meinen Oberkörper in zwei Teile schneiden. Das ist es, was ich Alberto morgen zeigen möchte. Da ich weiß, wie merkwürdig sich das anhört, fällt es mir schwer, irgendjemandem davon zu erzählen. Ich habe gelernt, diese Spaltung zu kompensieren, aber mein Körper ist eingeschnürt, verschoben. Wenn ich mir vorstelle, was aus ihm geworden ist …
Die Erkenntnis durchdringt mein Fleisch und trifft mich in der Seele.
Dies war die dritte Sitzung mit Sharon. Als sie das erste Mal zu mir kam, konnte sie kaum laufen. Aber sie macht Fortschritte. Ich denke, dass die Arbeit als Therapeutin ihren Zustand verschlimmert. Sie ist sehr sensibel und schnappt oft schädliche Energien von ihren Klienten auf, die sich wie Puzzleteile in ihr Leuchtendes Energiefeld einfügen. Sie muss lernen, sich vor ihrem negativen Einfluss zu schützen – genau wie ich vor vielen Jahren. Arzt, hilf dir selber!
Mit dem Extraktionsprozess säubere ich Sharons Leuchtendes Energiefeld von diesen eingedrungenen Energien. Mit dem Illuminationsprozess bade ich die trichterförmigen Energiewirbel ihrer Chakras in reinem Licht. Schwere Energien verstopfen Sharons Energiesystem wie giftiger Schlamm. Sie sagt, der »Verlust ihrer Gesundheit« hätte sich lange hingezogen. Das deckt sich mit meinen Beobachtungen. Ein Akupunkteur würde sagen, dass ihre Meridiane blockiert sind und das verbrauchte Chi – oder die Lebenskraft – nicht abfließen kann.
Ich weiß noch, wie sehr mich die zahlreichen Parallelen zwischen den uralten chinesischen Heilsystemen und der Energiemedizin Nord-, Mittel- und Südamerikas faszinierten. Ich nehme die Meridiane als goldene Lichtströme wahr, die etwa zwei Zentimeter über dem Körper an der Haut entlangfließen. Bei Sharon waren sie grauschwarz und bewegten sich kaum. Ihr ganzes Energiesystem war träge, es war fast keine Bewegung darin, und es konnte weder Gifte ausleiten noch lebensspendendes Chi in Umlauf bringen.
Meine Methode funktioniert, aber sie braucht Zeit. Man beseitigt eine Schicht Ablagerungen aus den Chakras und stößt auf die nächste. Es ist wie beim Zwiebelschälen. Aber irgendwann ist der Kern erreicht. Sharon misst ihren Erfolg daran, wie schnell sie wieder schmerzfrei laufen kann. Aber wahre Heilung geht tiefer als Haut und Knochen oder gar Muskeln und Bänder. Sie vollzieht sich im Leuchtenden Energiefeld, dessen optimaler Gesundheitszustand wiederhergestellt werden muss. Andernfalls verschwinden die körperlichen Symptome zwar vorübergehend, aber die Krankheit kehrt zurück. Zuweilen bessert sich der Zustand der Klienten nach einigen Sitzungen rasch, aber ich bitte sie durchzuhalten. Nur weil die Symptome vielleicht verschwunden sind, sind sie noch nicht geheilt. Erst, wenn sich ihr Leuchtendes Energiefeld erholt hat, sage ich ihnen, dass sie genesen sind. Ich vermute, dass Sharons Heilung dauern wird. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass die Genesung jedes Klienten ihr eigenes Tempo und ihren eigenen Rhythmus hat – mit plötzlichen Durchbrüchen und frustrierenden Plateaus.
Gestern habe ich die Glasteile »gesehen«, die Sharons Oberkörper teilen. Es klingt unglaublich, aber als sie die Glasstücke beschrieb, konnte ich sehen, wie sie von großen, kantigen Scherben entzweigeschnitten wurde.
Ich habe die Kunst der nichtalltäglichen Wahrnehmung erlernt, sie ist für die schamanische Arbeit unerlässlich. Es ist keine Gabe, denn eigentlich hatte ich kein Talent dafür. Ich hatte das große Glück, dass ich von Schamanen darin unterwiesen wurde, die unsichtbare Welt zu »sehen«. Mit Geduld und Übung kann jeder die nichtalltägliche Wahrnehmung erlernen, ich selbst gebe diese Fähigkeit an die Schülerinnen und Schülern, der Light Body School weiter. Diese Arbeit ist allerdings nichts für Menschen, die sich auf dem schnellsten Weg ihre schamanischen Sporen verdienen möchten. Man macht beschämende, beunruhigende und sogar beängstigende Erfahrungen, denn zuerst muss man bereit sein, all die verborgenen und beängstigenden Aspekte der eigenen Persönlichkeit zu »sehen«. Das, was Carl Gustav Jung den »Schatten« nannte, den wir meist auf andere projizieren und nur in ihnen sehen können.
»Lehn dich zurück, Sharon. Entspann dich. Schließ die Augen. Atme langsam und tief durch die Nase ein und durch den Mund wieder aus.« Ich atme mit ihr. Sharon kennt das bereits. Sie weiß, was sie tun muss, um in einen Zustand zu gelangen, in dem sie ruhig und ihr Leuchtendes Energiefeld empfänglich für Heilung ist. Ich unterstütze sie mit meiner Rassel dabei, diesen Zustand der Ruhe zu erreichen. Die Rassel hat eine hypnotische Wirkung. Der gleichmäßige Rhythmus hilft auch mir, denn ich muss mich ebenfalls entspannen und mich jener anderen Form des Sehens überlassen, die einsetzt, wenn ich die alltägliche Welt in den Hintergrund treten lasse.
In der heutigen Sitzung werden wir Sharons Bestimmung finden. Wir werden den leuchtenden Linien folgen, die sich von ihrem Leuchtenden Energiefeld in die Vergangenheit und in die Zukunft erstrecken. Wie ein Jäger verenge ich meinen Fokus, um weit in die Ferne sehen zu können, und folge den Linien. Ich möchte sehen, wohin sie führen. Jede von ihnen ist mit einer möglichen Zukunft verknüpft. Mal schön, mal schrecklich. Mal mehr, mal weniger wahrscheinlich. Ich möchte die Linie aufspüren, die zu strahlender Gesundheit führt, und sie stärken. So kann ich diese mögliche Entwicklung in Sharons Leuchtendem Energiefeld verankern und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sie auch eintritt. Sie wird Sharon wie ein Magnet anziehen und sie an jenen Zustand der Gesundheit heranführen, der trotz der vorhandenen Widrigkeiten für sie machbar ist. Ich folge gewissermaßen den Zeitlinien und wähle eine heile Zukunft aus, statt dies dem Zufall oder dem Schicksal zu überlassen. Ich muss diese heile Zukunft finden, bevor ich in der Gegenwart etwas unternehmen kann. Es ist wirklich nicht kompliziert. Ich tue es jedes Mal, wenn ich ein Buch schreibe. Ich spüre das fertige Buch in meiner Zukunft auf, was mich dann beim Verfassen der einzelnen Kapitel unterstützt.
Wenn ich der Bestimmung eines Klienten nachspüre, ist es jedoch anders. Als Schamane weiß ich, dass ich alles verändern kann, dass ich Krankheit durch Gesundheit, Tod durch Leben ersetzen kann – sofern ich bereit bin, das Karma auf mich zu nehmen. Deshalb bin ich sehr vorsichtig. Ich muss die beteiligten Geister davon überzeugen, dass meine Klientin Leben oder Gesundheit verdient. Dass sie über Talente verfügt, die auch anderen zugutekommen werden. Und dass ich ihr helfen werde, die für ihre Heilung nötigen Lektionen zu lernen. Denn darauf kommt es an. Der Schamane bezeichnet diese Lektionen als die »Medizin«, die seine Klienten nicht nur heilt, sondern auch weiser macht.
Die Minuten verstreichen. Als ich den Zustand künftiger Heilung entdecke, den ich suche, entfährt Sharon und mir unwillkürlich ein Seufzer, und wir holen beide tief Luft. Es ist vollbracht. Ich weiß nicht genau, wie es funktioniert. Ich weiß nur, dass es funktioniert – wie in diesem Augenblick. Denn ein Schamane kann nicht nur in die Vergangenheit seiner Klienten reisen, um Teile ihrer Seele zurückzuholen. Er kann auch in die Zukunft reisen, um die ersehnte Bestimmung zu finden.
Anschließend taste ich Sharons Energiefeld ab und konzentriere mich dabei auf den Bereich, der ihren Oberkörper umgibt. Ich kann die kristallisierten, glasähnlichen Fragmente recht deutlich sehen, die ihren Körper in der Mitte durchtrennen. Ich sehe die scharfen Kanten, die an beiden Seiten aus ihrem Leuchtenden Energiefeld herausragen.
Wie ein Energiechirurg beginne ich mit dem Extraktionsprozess. Ein Skalpell brauche ich nicht. Die Extraktion ist im Wesentlichen eine Praxis der Absicht: Man greift mit den Fingern in die ätherische Schicht hinein und entfernt aus dem Lichtkörper alle verhärteten und kristallisierten Energien, die eine fast schon feste Form angenommen haben. Ohne den Zustand der Ruhe zu stören, in dem wir uns beide befinden, stehe ich auf und ziehe auch Sharon auf die Füße. Schnell entferne ich mit den Händen die scharfen, kalten Scherben. Ich muss sehr behutsam vorgehen, wenn ich danach greife und sie mal in die eine, mal in die andere Richtung drehe, um sie mit größtmöglicher Vorsicht aus Sharons Energiefeld zu lösen. Schließlich gelingt es mir, die Scherben unversehrt zu entfernen, ohne Splitter zurückzulassen. Ich lasse das Glas fallen. Es zerbricht in tausend Teile, die zerfließen und vom Boden verschluckt werden. Sobald Energien wie diese aus dem Körper gelöst sind, zerstreuen sie sich und werden von der Umgebung aufgenommen – wie Wasser, das in der Erde versickert.
Bei der Arbeit mit Sharon schießt mir eine Frage durch den Kopf, die ich mir schon tausend Mal gestellt habe: Ist das echt oder Einbildung? Und spielt es überhaupt eine Rolle? Ich versuche, mich von diesem inneren Dialog nicht stören zu lassen. Früher warf es mich aus der Bahn, wenn sich derartige Fragen in mein Bewusstsein schlichen. Ich fragte mich, was ich da eigentlich tat und ob ich den Menschen wirklich half.