Mutiges Träumen - Alberto Villoldo - E-Book

Mutiges Träumen E-Book

Alberto Villoldo

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Beschreibung

Carlos Castaneda trifft Rhonda Byrne – schamanische Techniken, um eine bessere Welt zu kreieren

Unser Leben ist nichts als ein Traum, und die Welt ist, was wir durch unsere Gedanken und Vorstellungen ins Dasein hinein träumen. Schamanen traditioneller Naturvölker wussten dies, und sie erfanden Techniken, um ihre Realität zu verändern.

Bestseller-Autor Alberto Villoldo studierte 25 Jahre lang die spirituellen Praktiken der Schamanen im Amazonas- und Andengebiet. Seine Forschungsergebnisse trug er in diesem wahrhaft "traumhaften" Arbeitsbuch zusammen, das seine Leser zu inspirieren vermag wie kaum ein anderes.

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Seitenzahl: 352

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Alberto Villoldo

MUTIGESTRÄUMEN

Wie SchamanenRealitätenerträumen

Aus dem Englischen von Andrea Panster

Buch

Wenn die Realität zum Albtraum zu werden droht, können wir uns nur retten, indem wir unseren schönsten und kühnsten Traum Realität werden lassen. Denn letztendlich ist das Leben nichts als ein Traum, und die Welt ist, was wir durch unsere Gedanken und Vorstellungen ins Dasein hineinträumen. Schamanen traditioneller Naturvölker wussten dies, und sie erfanden Techniken, um ihre Realität zu verändern, indem sie ihre Vorstellungen veränderten. Auch die moderne Quantenphysik hat erkannt, dass wir alle gemeinsam durch unsere Wahrnehmung die Welt erschaffen. Der größte Teil der Menschheit ist jedoch noch immer gefangen in einem Denkgefängnis aus »Realpolitik«, einem beschränkten Wissenschaftsbegriff und begrenzenden Vorstellungen von unseren Potenzialen. Wenn wir begreifen, dass wir Mitschöpfer unseres Universums sind, löst sich der Albtraum auf, wir wären Opfer von äußeren Ereignissen. Sagen wir nicht: »Ich trage einen Stein«, sondern: »Ich baue an einer Kathedrale.« BestsellerAutor Alberto Villoldo studierte 25 Jahre lang die spirituellen Praktiken der Schamanen im Amazonas- und Andengebiet. Seine Forschungsergebnisse trug er in diesem wahrhaft »traumhaften« Arbeitsbuch zusammen, das seine Leser zu inspirieren vermag wie keines mehr seit den Werken von Carlos Castaneda. »Du kannst wählen: Lebe das Leben, das du willst, oder finde Gründe dafür, warum das nicht geht.«

Autor

Alberto Villoldo lebt in Los Angeles und ist klassisch ausgebildeter medizinischer Anthropologe. 25 Jahre lang bereiste er die Hochländer der Anden und des Amazonas’ und studierte die schamanischen Heilpraktiken. In seinen Seminaren führt er alljährlich Tausende von Medizinern und Laien in die energiemedizinischen Techniken ein. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter »Das erleuchtete Gehirn« und »Das geheime Wissen der Schamanen«. Seine Internetseite: www.thefourwinds.com

Die Originalausgabe erschien 2008 unter dem Titel »Courageous Dreaming. How Shamans Dream the World into Being« bei Hay House Inc., Carlsbad, California, USA.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe August 2009 © 2009 der deutschsprachigen Ausgabe Arkana, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 München © 2008 Alberto Villoldo Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München Umschlagmotiv: Getty Images Redaktion: Gerhard Juckoff WL · Herstellung: cb Satz: EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

ISBN: 978-3-641-21208-7V002

www.arkana-verlag.de

www.randomhouse.de

Für meine Tochter Alexis und meinen Sohn Ian. Möget ihr immer mutig träumen!

Inhalt

Buch und AutorCopyrightWidmungEinleitung: Mutiges Träumen
TEIL I - Vom Albtraum zum Traum
Kapitel 1 - Wie man dem Albtraum entkommt
Kapitel 2 - Die Drehbücher unserer Albträume
Kapitel 3 - Wie man erwacht und in die Traumzeit gelangt
Kapitel 4 - Das Bewusstsein, die Wirklichkeit und die vier Wahrnehmungsebenen
Kapitel 5 - Die vier Arten des Mutes
TEIL II - Vom Traum zum beherzten Handeln
Kapitel 6 - Mut in Aktion
Kapitel 7 - Übe dich in Wahrhaftigkeit
Kapitel 8 - Säubere deinen Fluss
Kapitel 9 - Sei jederzeit zum Sterben bereit
NachwortDanksagung

Einleitung Mutiges Träumen

Alle Dinge entstehen im Geist, sind unseres mächtigen Geistes Schöpfung.

Buddha: Dhammapada

Jeder von uns träumt die Welt ins Dasein, ob wir es wissen oder nicht. Dabei haben wir es nicht mit dem vertrauten Akt des Schlafens zu tun. Wir träumen vielmehr mit offenen Augen. Wenn wir nicht wissen, dass wir zusammen mit dem Universum die Macht haben, die Wirklichkeit zu erschaffen, entgleitet sie uns, und unser Traum wird zum Albtraum. Wir fühlen uns als Opfer einer unbekannten, beängstigenden Schöpfung, die wir nicht beeinflussen können. Es scheint, als würden wir von den Ereignissen beherrscht und säßen darin fest. Dieser schrecklichen Wirklichkeit können wir nur entrinnen, wenn wir erwachen und erkennen, dass auch sie nur ein Traum ist – und wir eine bessere Geschichte schreiben können. Eine Geschichte, die das Universum mit uns manifestieren wird.

Der Kosmos ist so beschaffen, dass alle deine Visionen von dir und der Welt Wirklichkeit werden. Sobald du erwachst und dir deiner Macht bewusst wirst, trainierst du die Muskeln deines Mutes und kannst mutig träumen: Du kannst dich von einschränkenden Überzeugungen lösen und deine Ängste hinter dir lassen. Du kannst anfangen, dir einen wahrlich originellen Traum auszudenken, der in deiner Seele entspringt und in deinem Leben Früchte trägt.

Wenn du mutig träumst, kannst du aus der Quelle, der Quantensuppe des Universums schöpfen, in der alles schlummert und alles möglich ist. Die Physiker wissen, in der Quantenwelt werden die Dinge erst dadurch »wirklich«, dass man sie beobachtet. Die einzelnen Energiepakete (die sowohl aus Materie- als auch aus Lichtteilchen bestehen), die sogenannten »Quanten«, sind weder »hier« noch »da«. Sie befinden sich so lange überall in Raum und Zeit, bis ein Mensch beschließt, Notiz von ihnen zu nehmen. Auf diese Weise locken wir sie aus dem Netz der unendlichen Möglichkeiten und verdichten sie zu einem räumlich und zeitlich fixierten Ereignis. Sobald sich die Energiequanten für eine bestimmte Manifestation entschieden haben, wollen sie sich miteinander verbinden. Mit der Manifestation verfestigt sich die Wirklichkeit: Sie kann dann nicht mehr überall sein, sondern spielt sich genau »hier« ab.

Quantenereignisse finden nicht nur im Labor, sondern in unserem Gehirn, auf dieser Buchseite und überall in unserer Umgebung statt. Selbst wenn Millionen Meilen, Tage oder Wochen diese Energiequanten trennen, bleiben sie eng miteinander verbunden. Nimmt man mit einer dieser Energien Verbindung auf, kann man das gesamte System beeinflussen, zu dem sie gehört. Tritt man an einer beliebigen Stelle in diesen Traum ein, in die große Schöpfungsmatrix, kann man die Wirklichkeit und den ganzen Traum verändern. Diese Veränderung wirkt sich dann auch auf Vergangenheit und Zukunft aus.

Die moderne Physik erklärt uns, was die uralten Weisheitshüter des amerikanischen Doppelkontinents schon lange wissen. Diese Schamanen werden als »Erdenwächter« bezeichnet und sie sagen: Dadurch, dass wir die Welt betrachten, träumen wir sie ins Dasein. Die Wissenschaftler glauben, dass wir dazu nur in der winzigen subatomaren Welt in der Lage sind. Die Schamanen dagegen wissen, dass wir auch die Welt ins Dasein träumen, die wir mit unseren Sinnen erfahren.

Die Erdenwächter leben wie die australischen Aborigines in einer Welt, in der die Traumzeit noch nicht in den Bereich des Schlafes abgedrängt wurde, wie das bei den meisten anderen Menschen bereits geschehen ist. Sie wissen, dass die gesamte Schöpfung aus dieser kreativen Matrix entsteht und wieder dahin zurückkehrt. Die Traumzeit durchdringt Materie und Energie. Sie verbindet alle Wesen, jeden Stein, jeden Stern, jeden Lichtstrahl und jedes kosmische Staubkörnchen. Die Macht zu träumen entspricht somit der Macht, sich am Schöpfungsprozess zu beteiligen. Es ist nicht nur unser Recht, sondern sogar unsere Pflicht, die Wirklichkeit ins Dasein zu träumen. Jeder Mensch muss diese Pflicht mit Anstand und Würde erfüllen, damit wir unseren Enkeln eine Welt hinterlassen, in der sie in Frieden und Fülle leben können.

In der Tat sind wir schon weit ins Detail gegangen bei unserem Versuch, das Universum ins Dasein zu träumen. Gleich nach dem Urknall machten sich 99,99 Prozent der gesamten Materie und Antimaterie daran, einander auszulöschen. Übrig blieben nur die Sterne und Galaxien, von denen wir heute noch umgeben sind. Das ist nur ein winziger Teil dessen, was früher einmal war. Hätte sich das Verhältnis von Materie zu Raum im Universum auch nur um ein Milliardstel Prozent verschoben, hätte es die physikalischen Gesetze nicht gegeben, welche die Entstehung des Lebens ermöglichten. Der Urknall musste so perfekt inszeniert und berechnet sein, dass dabei nur ein Teil Materie auf 1050 Teile Sternenstaub kam. Das ist eine 10 mit 50 Nullen – nicht mehr und nicht weniger. Dass dies purer Zufall war, ist nur dann denkbar, wenn wir glauben, dass es im Kosmos sehr viele Universen gibt. Nur dann wäre etwas so Unwahrscheinliches wie die zufällige Entstehung unseres Universums möglich.

Noch verblüffender ist das Zusammenspiel der Parameter des Universums auf der Erdoberfläche, auf der seit über einer Milliarde Jahren eine ausgeglichene Temperatur zwischen Gefrier- und Siedepunkt des Wassers herrscht. Dass für die Entstehung von Leben diese ganz besonderen Voraussetzungen nötig sind, lässt auf die Existenz einer intelligenten Kraft schließen. Ich meine damit keinen Schöpfer oder Gott, sondern eine universelle Kraft, welche die Erdenwächter als »Traumzeit« oder »Unendlichkeit« bezeichnen.

Ich bin bei Erdenwächtern in den Anden und im Amazonasgebiet in die Lehre gegangen. Sie glauben, dass wir nur Zugang zu dieser Macht erhalten, wenn wir unsere Bewusstseinsstufe erhöhen. Dann wird uns klar, dass wir – wie die Wassertropfen in einem weiten, göttlichen Ozean – sowohl einzigartig als auch Teil von etwas Größerem sind. Erst dadurch, dass wir uns mit dem Unendlichen verbunden fühlen, bekommen unsere Träume ihre Kraft. Im Grunde hält uns nur der Glaube, von der Unendlichkeit getrennt zu sein, im Albtraum gefangen. Wenn du meinst, hier beiße sich die Katze in den Schwanz, hast du recht. Was war zuerst da? Der Albtraum oder das Gefühl der Isolation? Nun, beides geschieht gleichzeitig.

Wenn du dem Albtraum ein Ende machen und wieder imstande sein willst, die Wirklichkeit ins Dasein zu träumen und etwas Besseres zu erschaffen, reicht das theoretische Wissen um die nötigen Abläufe nicht aus. Du musst deine Traumkraft körperlich spüren und sie in jeder Zelle deines Körpers wahrnehmen können. Das rein intellektuelle Verständnis der Fähigkeit, die Wirklichkeit zu erschaffen, ahmt zwar die Träume nach, zu denen du fähig bist. Doch dann verhindert es sie. Gelingt es dir nicht, über die rein intellektuelle Kenntnis hinauszukommen, wirst du dir am Ende niedrigere Ziele stecken und eine weit weniger herrliche Erfahrung der Welt erschaffen, als es dir eigentlich möglich gewesen wäre. Verinnerlichst du hingegen deine Traumkraft, wird dir klar, dass du die Unendlichkeit schon jetzt und hier erfahren kannst und dich nicht mehr abgeschnitten und isoliert fühlen musst.

Man braucht Mut, um die Unendlichkeit zu kosten. In der griechischen Mythologie straften die Götter sofort jeden Sterblichen, der es wagte, den Olymp zu erklimmen und einen Hauch der göttlichen Macht zu erfahren. Andererseits belohnten sie am Ende auch jene, die den Mut hatten, ihr Reich zu betreten, wie zum Beispiel Herkules und Psyche. Ganz ähnlich schildern die jüdisch-christlichen Überlieferungen, wie Gott Adam und Eva aus dem Paradies vertrieb, nachdem sie vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen gegessen hatten, »damit er [der Mensch] nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich« (1. Mose 3:22). Trotz dieser Erbsünde können am Ende aller Tage alle Menschen in den Himmel kommen.

Sobald du weißt, wie man träumt, wird dir klar, dass sich dein Leben genau so entfaltet, wie es sein soll. Natürlich kann es vorkommen, dass sich die Dinge nicht so entwickeln, wie du das gerne hättest. Aber im Ganzen betrachtet fügt sich alles in höchster Harmonie. Wenn du etwa an dem Tag den Zug zur Arbeit verpasst, an dem Terroristen einen Anschlag auf das World Trade Center verüben (was einer meiner Schülerinnen passiert ist). Oder wenn dir dein Kind erzählt, dass es zum Studium an der Universität seiner Wahl zugelassen wurde und du in derselben Woche die erhoffte Beförderung bekommst. Scheint es dagegen, als habe sich das Universum gegen dich verschworen, musst du etwas anderes träumen.

Beim mutigen Träumen stellst du fest, dass deine Probleme dich weder erdrücken noch dein Leben beherrschen. Natürlich sind die Schwierigkeiten, die du zu bewältigen hast, real. Trotzdem hast du stets die Wahl, ob du eine Heldensaga oder eine Leidensgeschichte, die dir deine Kraft raubt, daraus machen willst. Dir wird klar, dass du die Opferrolle ablegen kannst. Dass du nicht mehr mutterseelenallein versuchen musst, die Welt in Ordnung zu bringen. Oder dass du dich von deinen Rachegefühlen gegenüber den Menschen lösen kannst, die dir geschadet haben. Du verstehst, dass dein Leben genau so ist, wie es gerade sein soll, und kannst alle Geschichten ablegen, die dir das Gefühl geben, gefangen und unglücklich zu sein, und die dafür sorgen, dass du deiner Frustration auf der Couch deines Therapeuten Luft machst. Du fängst an, die Welt ins Dasein zu träumen, und alles wird anders.

Die Erdenwächter glauben durchaus, dass die Welt wirklich ist – doch das ist sie nur, weil wir sie ins Dasein geträumt haben. Zum Träumen brauchen wir natürlich Mut. Ohne Mut müssen wir uns mit dem zufriedengeben, was uns Kultur oder Gene zubilligen. Wir glauben, wir müssten uns mit dem Albtraum abfinden. Wenn wir mutig träumen wollen, müssen wir es mit dem Herzen tun. Andernfalls werden unsere Träume nie über die Ebene des übermäßigen Denkens, Planens und Sorgens hinausgehen. Unser Traum verkommt dann zu einem Albtraum oder einer bloßen Fantasievorstellung. Er hält uns gefangen oder entschwindet, während wir uns fragen, was eigentlich passiert ist.

Ich erinnere mich an eine meiner ersten Reisen ins Amazonasgebiet. Damals war ich ein junger Anthropologe, erforschte die Heilmethoden der Regenwaldschamanen und hatte beschlossen, mir selbst als Versuchskaninchen zu dienen. Ich erklärte dem Medizinmann im Dschungel, dass ich als Kind wegen einer kommunistischen Revolution aus meiner Heimat geflohen sei. Dass ich das Blutvergießen auf den Straßen gesehen hätte und nachts von Gewehrfeuer erschreckt worden sei. Seither litt ich an wiederkehrenden Albträumen, in denen sich bewaffnete Männer Zutritt zu meinem Haus verschafften und mir die Menschen nahmen, die mir am liebsten waren. Damals war ich Ende zwanzig, und es war mir noch nicht gelungen, eine feste Beziehung einzugehen. Ich fürchtete stets, den geliebten Menschen wie in meinem Albtraum zu verlieren.

Während einer Heilungszeremonie erklärte mir der Schamane, dass ich wie alle anderen wählen könnte, ob ich das Gewünschte bekommen oder meine Gründe behalten wollte, weshalb dies unmöglich sei. »Du bist viel zu verliebt in deine Geschichte«, sagte der alte Mann. »Solange du nicht den Mut hast, etwas anderes zu träumen, bleibt dir nur der Albtraum.«

An jenem Abend lernte ich, mir eine neue Geschichte auszudenken – dass dieses Unglück mich stärker gemacht und meine Erfahrungen mich gelehrt hatten, Mitgefühl mit leidenden Menschen zu haben. Der erste Schritt auf dem Weg zu meinem neuen Traum bestand darin, mir eine neue Geschichte einfallen zu lassen, in der ich nicht die Opferrolle spielte. Dann wurde mir klar, dass ich nicht nur mein Leben, sondern den ganzen Kosmos ins Dasein träumte, wie das auch umgekehrt der Fall war.

Obwohl sich der Verstand dagegen wehrt, ist es eine Tatsache, dass auch du die Wahl zwischen dem von dir ersehnten Leben und den vermeintlichen Gründen hast, weshalb du es nicht haben kannst. Du kannst in Frieden und Freude schwelgen oder unter der Last des großen schwarzen Bündels all der beklagenswerten Ereignisse und Schicksalsschläge leiden, die du in deiner Kindheit oder deiner letzten Beziehung erlebt hast. Du kannst mit deinen Wunden leben oder dich an deiner Herrlichkeit erfreuen. Du kannst das Leben eines Opfers führen, das von seinen früheren Traumata niedergedrückt wird, oder ein Held sein. Beides zugleich ist nicht möglich. Wenn du deine Macht spüren willst, musst du bewusst beschließen, einen heiligen Traum zu erschaffen und dich in Mut zu üben.

Das mutige Träumen findet auf einer Wahrnehmungsebene statt, die von den Erdenwächtern als die Ebene des Kolibris bezeichnet wird. Der Kolibri gehört zum Archetyp des fahrenden Helden, und genau wie der Kolibri wirst auch du zwangsläufig von Zeit zu Zeit den falschen Weg einschlagen. Aber jedes Mal, wenn du dir erneut vor Augen führst, dass du deine Wirklichkeit ins Dasein träumst, vertiefst du das Verständnis für deine Reise und steigerst deine Entschlossenheit. Du kannst deine sich ständig verändernde Umgebung gleichmütig und voller Humor annehmen und wirst sogar Gnade erfahren.

Wie du erkennst, dass du einen Albtraum lebst

Das Wort träumen beschwört die Vorstellung von den seltsamen Bildern herauf, die im Schlaf in unseren Köpfen entstehen. Träume können auch Metaphern sein: Wir jagen dem amerikanischen Traum, dem Traumhaus, dem Traumpartner oder dem Traumberuf hinterher. Wir betrachten die Probleme auf der Welt und sagen, wir träumten vom Ende der Armut, der Gewalt und der Bedrohung durch den Klimawandel. Damit meinen wir, dass wir es für Wunschdenken halten, über Dinge zu sprechen, die unserer Ansicht nach niemals Wirklichkeit werden können. In diesem Buch beschäftigen wir uns weder mit den Erlebnissen im Schlaf noch mit dem Wunschdenken.

Sofern du eine gewisse Ähnlichkeit mit den meisten anderen Menschen hast, ist dein ursprünglicher Plan von einem traumhaften Leben irgendwo schiefgegangen. Du hast das Problem analysiert, an deinem Plan herumgebastelt, die Enttäuschung beiseitegeschoben und es noch einmal versucht … und hast erneut versagt. Vielleicht verlierst du allmählich den Glauben daran, dass du überhaupt ein sinnvolles, erfüllendes Leben führen kannst. Oder du hast das Gefühl, es stünde nicht in deiner Macht, das gewünschte Schicksal zu erschaffen. Vielleicht wurdest du abgelenkt, hast deine ursprünglichen Visionen vergessen und meinst nun, nur noch vor dich hinzuleben und dir deiner Aufgabe nicht mehr sicher zu sein. Möglicherweise findest du es frustrierend und sinnlos zu »träumen«.

Wenn wir uns nur noch darum bemühen, den Alltag zu überstehen und unser Leben auf eine Weise zu gestalten, von der unser Verstand meint, es müsste uns glücklich machen, kann das zu Verwirrung führen. Die Beziehung zerbricht, das sorglose Leben endet, und die Rechnungen stapeln sich. Oder wir betrachten die erworbenen Statussymbole und fragen uns, warum sie uns nicht glücklich machen. Unsere Formel für Glückseligkeit entpuppt sich als das Rezept für ein bestenfalls banales und schlimmstenfalls leidvolles Leben. Unser Traum wird zum Albtraum.

Wir würden gerne glauben, dass wir ein kühnes, originelles Leben führen, und doch kommt uns die Abenteuerlust schon früh abhanden, während wir allmählich den gesellschaftlichen Erwartungen entsprechen, wie wir zu denken, zu fühlen und zu handeln haben. Wir wachsen in einem kulturellen Albtraum heran, der statt Mut und Originalität Apathie und Anpassung fördert. Wir finden weder Erfüllung noch Sinn, würden aber niemals wagen zuzugeben, dass wir mit unserem Leben unzufrieden sind. Allein der Gedanke daran, welche Konsequenzen eine Veränderung des Status quo haben könnte, lässt uns an Ort und Stelle verharren und Neuerungen ängstlich meiden.

Ich befand mich an diesem Punkt, als ich an der San Francisco State University tätig war. Damals war ich einer der jüngsten Professoren im staatlichen Universitätsdienst und Leiter des Biological Self-Regulation Laboratory (Labor für biologische Selbstregulation). Eines Tages kam mir der Gedanke, dass ich möglicherweise durch das falsche Ende des Mikroskops blickte. Dass ich nicht immer winzigere, sondern immer größere Elemente betrachten musste, wenn ich den Geist verstehen wollte. Ich gelangte an einen Punkt, an dem ich ein Paradigma in Betracht zog, dessen Regeln für Zeit und Raum ganz andere waren als die, die ich gelernt hatte. Ich vernahm den leisen Ruf, das Labor zu verlassen und ins Amazonasgebiet zu gehen. Dort wollte ich jene Schamanen erforschen, die sich ganz und gar auf die Kraft des Geistes verlassen, um das zu erschaffen, was ich damals »psychosomatische Gesundheit« nannte.

Meine Freunde hielten mich für verrückt, weil ich eine vielversprechende Karriere für ein wildes Abenteuer im Dschungel aufgab. Nur der Dekan war glücklich, dass ich ging. Für ihn war die Erforschung des Bewusstseins reine Zeit- und Geldverschwendung. Ich weiß noch, wie sehr ich mich schämte und wie enttäuscht meine Familie war, als ich meine »respektable« Stellung an der Universität aufgab und Forscher wurde. (Noch Jahre später, als ich bereits Mitte vierzig war, über ein halbes Dutzend Bücher geschrieben und Vorlesungen an Universitäten in aller Welt gehalten hatte, fragte mich meine Mutter, wann ich endlich »eine richtige Stelle« an einer Hochschule annehmen würde. In ihren Augen war das besser als das, was ich tat.)

Die Erinnerung daran, wie wir uns früher wegen unserer Andersartigkeit geschämt haben, ist so unangenehm, dass wir diese Scham auf unser Gegenüber projizieren und uns in einem kollektiven Albtraum aus Ohnmacht und Angst einrichten. Wir misstrauen allen Menschen, die anders denken, fühlen und handeln, und sind insgeheim doch neidisch auf sie. Wir sind in diesem Albtraum gefangen, gehen keine Risiken mehr ein und werden verbittert. Wir verlieren das Vertrauen in die Menschheit und behaupten steif und fest, wir könnten schon selbst für uns sorgen und bräuchten keine Hilfe.

Wir reden uns gern ein, wir führten ein kreatives Leben, seien Nonkonformisten und überaus faszinierende Menschen. Und doch fallen uns nur banale Akte der Rebellion ein. Wir fahren kein normales Auto, sondern einen protzigen roten Schlitten oder gehen statt im Anzug im Hawaiihemd zur Arbeit. Leider sind unsere Akte der Kreativität nur leere Symbole, und unser Leben ist wie die Parodie einer Seifenoper, in der die Menschen stereotype Rollen nach denselben abgedroschenen Drehbüchern spielen.

Dieser Mangel an Originalität und Mut ist typisch für den kollektiven Albtraum. Da sich grundsätzlich jeder Mensch nach der Sicherheit sehnt, die das Vertraute ihm bietet, wollen wir daran teilhaben. Wir trösten uns mit dem Gedanken, dass auch der morgige Tag so werden wird wie der heutige. Der Psychologe Abraham Maslow identifizierte eine Hierarchie der menschlichen Bedürfnisse. Er stellte fest, dass Männer und Frauen den Wunsch nach Sicherheit über das Verlangen nach Liebe stellen. Veränderungen zwingen uns, uns der Ungewissheit und dem Unbekannten zu stellen, deshalb meiden wir sie. Ehe wir auch nur einen Schritt vor die Tür setzen, hätten wir gerne die Gewissheit, dass wir keine Unannehmlichkeiten erleben werden, dass unser Weg immer frei sein und uns geradewegs zum Ziel führen wird. Jede noch so winzige Unwägbarkeit genügt, und wir schlagen die Tür endgültig zu. Wir finden es weniger schmerzlich, an Vertrautem festzuhalten, obwohl wir ständig jammern und klagen, wie schrecklich alles ist.

Wir brauchen Mut, um zugeben zu können, dass unser Handeln nicht die gewünschten Erfolge bringt. In meinem Universitätslabor hätte ich immer weitere Forschungsgelder für – wie ich wusste – letztlich bedeutungslose Studien bekommen können. Ich versuchte mir einzureden, die Mittel von angesehenen Stiftungen seien der Beweis dafür, dass ich mit meiner Arbeit etwas Wichtiges bewirkte. Als ich mich entschloss, ins Amazonasgebiet zu gehen, wollte keiner meiner Sponsoren mein Vorhaben fördern. Von den Kollegen unterstützte mich nur mein Professor, Dr. Stanley Krippner. Nachdem mir klar geworden war, dass ich mir hinsichtlich der Bedeutung meiner akademischen Karriere etwas vormachte, musste ich mich von einem meiner Verhaltensmuster lösen. Bislang hatte ich auf mein Unbehagen nämlich immer damit reagiert, dass ich einfach weitermachte wie bisher – und mich noch ein wenig tiefer in meine Arbeit stürzte. Ich musste die Hoffnung aufgeben, dass ich eines Tages eine Möglichkeit finden würde, mit dem Segen einer großen Universität sinnvolle Arbeit zu tun, wenn ich mich nur genügend anstrengte.

In den Vereinigten Staaten haben wir seit je eine Vorliebe für die Metaphern der wiederentdeckten Lebenskraft und des erneuerten Engagements. In den amerikanischen Buchläden türmen sich die Memoiren von Sportlern und Schauspielern, die ihre Drogensucht besiegt haben, von armen Männern und Frauen, die zu großem Reichtum gelangt sind, und von dicken und unglücklichen Menschen, die sich in dünne und glückliche Menschen verwandelt haben. Aber ganz gleich, wie groß unsere Begeisterung für die eigene Erneuerung ist: Solange wir uns nicht von den Träumen und dem Wunschdenken lösen, die uns in den Albtraum geführt haben, werden wir ihn in der einen oder anderen Form immer wieder neu erschaffen. Wir halten uns für wiedergeboren und merken doch schnell, dass wir wie Sisyphos noch immer den Felsbrocken den Berg hinaufrollen und nichts erreichen. Die Expartnerin, die uns in den Wahnsinn getrieben hat, ist fort – aber die neue Freundin ist nicht minder zum Verzweifeln. Oder wir landen nach dem Arbeitsplatzwechsel erneut in einem Büro, in dem die internen Rangeleien im Vordergrund stehen. Kein Wunder, dass wir uns ohnmächtig fühlen! Wir wünschen uns den Weltfrieden oder zumindest ein friedliches Leben, können aber nicht einmal mit unserem Expartner oder unserer Kollegin reden, ohne gleich wütend zu werden.

Du kannst diese sinnlosen Bemühungen sehr wohl einstellen und dich von dem Gefühl befreien, in einem Albtraum gefangen zu sein, doch dazu musst du deine Wahrnehmung der Wirklichkeit radikal verändern. Dabei nützt dir weder ein Selbsthilfekurs noch genügt es zu wissen, was du eigentlich tun müsstest. Du musst die Macht wiedererlangen, kühn und mutig zu träumen, während du dir deines Weges durch die Unendlichkeit bewusst bist. Nur so kannst du dich leicht und mühelos von der Angst lösen, die dich in deinen ganz persönlichen Albträumen gefangen hält.

Wie man ein sinnerfülltes Leben ins Dasein träumt

Man hat uns gesagt, wenn wir materielle Sicherheit besäßen, würden wir uns gut fühlen. Aber selbst die Menschen, die unseren kulturellen Maßstäben zufolge erfolgreich sind, sind oft entsetzt, wie hohl ihre Erfolge sind. Einige meiner Klienten sind Multimillionäre und die meisten Menschen würden sie um ihren Reichtum beneiden. Dennoch sind viele von ihnen weder glücklich noch können sie einen Sinn in ihrem Leben erkennen. Einige von ihnen denken pausenlos darüber nach, wie schrecklich es wäre, den angehäuften Reichtum zu verlieren, was meist auch der Grund für ihren Besuch bei mir ist. Sie wollen sich von dem Fluch befreien, den ihnen die Gesellschaft auferlegt – von dem Zwang, etwas erreichen und anhäufen zu müssen. Sie wollen wissen, wie sie stattdessen ein sinnvolles Leben führen und eine Aufgabe erfüllen können.

Andere Klienten haben ihre Ziele noch nicht erreicht. Sie richten ihre Aufmerksamkeit gern auf die Zukunft und sagen: »Ich werde mein Leben ändern und die Welt verbessern, sobald die Kinder groß sind / die Altersversorgung geregelt ist / ich eine weniger belastende Arbeit gefunden habe.« Sie warten darauf, dass alle Ablenkungen verschwinden und sie ihre große Chance nutzen und beweisen können, wie kühn und originell sie eigentlich sind. Im Augenblick sind sie freilich in einem stumpfsinnigen, fantasielosen kollektiven Albtraum gefangen, der auf Dauer nicht auszuhalten ist … und ihnen das Gefühl gibt, ganz langsam zu sterben.

Viele Menschen ähneln dem Frosch, der in einem Topf voll Wasser sitzt, das langsam zum Sieden gebracht wird. In dieser beliebten Geschichte spürt das Tier, wie das Wasser wärmer wird. Statt sich allerdings zu sagen: »Ich sollte besser rausspringen, bevor es zu heiß und richtig unangenehm wird«, passt es sich der Temperatur immer wieder an und wird schließlich zu Tode gekocht. Zurzeit beginnt auch das Wasser um uns herum zu sieden. Wir müssen die Hoffnung aufgeben, dass die Dinge eines Tages besser werden, und einfach springen.

Viel zu oft greifen wir in unserer Panik nach einer schnellen Lösung, die nur eines minimalen Aufwands bedarf. Dann reden wir uns ein, wir hätten eine Abkürzung zum Glück gefunden. Wir schicken unser Kind auf eine neue Schule und hoffen, damit die Probleme zu lösen, die es auf der alten hatte. Wie sich herausstellt, ist es dort genauso unglücklich wie zuvor.

Auch auf kollektiver Ebene haschen wir nach ähnlichen Lösungen: In den letzten Jahren büßte Ecuador 40 Prozent seiner Regenwälder ein, weil man nach Öl bohrte, um die unersättliche Gier der Amerikaner nach fossilen Brennstoffen zu stillen. Am Ende hatte man gerade genug Öl, um die Vereinigten Staaten zwei Wochen lang damit zu versorgen. Es ist offensichtlich, dass so mancher Schnellschuss einen schmerzlich hohen Preis von uns verlangt, vollkommen sinnlos ist und uns geradewegs in den Topf mit kochendem Wasser zurückwirft. Das Problem der begrenzten fossilen Brennstoffe ist nicht gelöst, die Wirtschaft ist immer noch von ihnen abhängig, und die Erde erwärmt sich weiter.

Einer der Gründe, weshalb wir zu schnellen Lösungen greifen, statt mutig etwas Neues zu erträumen, ist die irrige Annahme, mutiges Handeln erfordere Opfer. In Wirklichkeit aber kostet uns die Feigheit noch viel mehr: Sie kostet uns unsere Überzeugungen, Prinzipien, Hoffnungen und Träume. Wenn wir in Panik geraten und nach materieller Sicherheit streben, klappt das nie lange, und der Preis ist hoch. Wir geben auf, was uns am meisten bedeutet, und das bringt uns viel mehr Leid, als auf die Anerkennung durch andere oder ein wenig materielle Bequemlichkeit zu verzichten. Es ist weitaus besser, von schnellen Lösungen abzusehen und herauszufinden, wie man den Mut zum Träumen findet.

Der Mut der Seele

Das Wort Courage, ein Synonym für Mut, geht auf das lateinische cor zurück, was »Herz« oder »Seele« bedeutet. Der Mut der Seele ist mehr als bloße Kühnheit. Wenn wir kühn handeln, gehen wir Risiken ein, um unser Überleben zu sichern. Die Geschichten von militärischen Helden, die trotz einer überwältigenden feindlichen Übermacht bis zum Ende kämpfen, sind außergewöhnlich. Aber sie werden von ihrem Überlebensinstinkt getrieben. Wenn wir seelischen Mut beweisen, geht es uns nicht nur um Selbsterhaltung und Sicherheit. Manchmal sind wir gezwungen, Annehmlichkeiten, Sicherheit und sogar das eigene Leben aufs Spiel zu setzen, wenn wir nach unseren tiefsten Überzeugungen handeln. Dieser Mut entspringt einer höheren Quelle, und wir brauchen ihn, um einen neuen Traum zu erschaffen.

Vielleicht träumst du von Frieden oder Abenteuer, von der Eltern- oder der Lehrerrolle, vom Nähren oder Heilen. Und obwohl ein Traum nicht aus Sätzen, sondern (ähnlich wie unsere Träume im Schlaf) aus Visionen, Instinkten und Gefühlen besteht, lässt er sich durchaus in Worte fassen. Hier sind ein paar Beispiele: »Ich möchte mein Leben bis zur Neige auskosten und Freude an meinen Kindern haben. Ich möchte mich im Büro ganz meiner Arbeit und zu Hause ganz meiner Familie widmen.« Oder: »Ich möchte das Leben eines Abenteurers führen, meine Möglichkeiten testen und meinem Herzen folgen.« Oder: »Ich möchte etwas in der Welt bewirken und lasse mich dabei vom Spirit führen.« Im Gegensatz zu Sehnsüchten, Hoffnungen oder gar festen Zielen können diese Affirmationen in jedem Augenblick Wirklichkeit werden, in dem du sie in deinem Herzen bewahrst. Dann handelst du ganz automatisch und mühelos in Übereinstimmung mit deinem Traum und nutzt die gewaltige Kraft deines Mutes.

Wenn du mutig träumst, erlebst du eine höhere Stufe der Wahrnehmung und der Fürsorge, bist aber weder völlig weggetreten vor Glückseligkeit wie ein Mönch auf einem Berggipfel noch im bloßen Überlebenskampf gefangen. Du gehst ganz in deiner Erfahrung auf und denkst weder an die Vergangenheit noch an die Zukunft. Wenn du zum Beispiel die Wertstoffe zum Recyceln in einer Tonne sammelst und an den Straßenrand stellst, ist dir gleichzeitig bewusst, dass du etwas für die Erde tust und für sie sorgst. Wenn du Schlange stehst, um deinen Führerschein abzuholen, akzeptierst du den Hinweis, dass dein Formular nicht ordnungsgemäß ausgefüllt ist. Du schreibst nicht sofort im Kopf eine Geschichte über deinen höllischen Nachmittag im Kampf gegen die Bürokratie.

Man könnte auch sagen, du nimmst deine Verbundenheit mit anderen wahr und erkennst, dass du nicht der einzig wichtige Mensch auf Erden bist. Du sorgst dich ehrlich um das Wohl aller Geschöpfe auf Erden. Dir liegen der Angestellte hinter dem Schalter und der aufgeregte Teenager am Herzen, der auf seine Fahrprüfung wartet. Dir wird klar, dass deine eigene Angst dir nicht das Recht gibt, anderen Menschen Angst zu machen, und deine eigene Frustration es nicht rechtfertigt, sie an anderen auszulassen.

Seelischer Mut erhebt uns über kleinliche menschliche Gefühle und verhilft uns dazu, dass wir authentisch leben, unsere Wahrheit verkünden und die Regeln brechen – selbst wenn es peinlich oder unangenehm ist. Er macht es uns möglich, in den kleinen Momenten des Lebens Position zu beziehen, statt auf die große Gelegenheit zu warten, in der wir zum Helden werden und beweisen können, aus welchem Holz wir geschnitzt sind. Auf jenen Augenblick, in dem wir so berühmt werden können wie Rosa Parks.

Auch die Afroamerikanerin Rosa Parks hat auf den Augenblick ihres Ruhmes gewartet. Als sie sich 1955 in Montgomery, Alabama, weigerte, ihren Sitzplatz im Bus einem Weißen zu überlassen, hatte sie sich bereits seit Jahren als Sekretärin der NAACP (National Association for the Advancement of Colored People) und Leiterin der örtlichen Jugendgruppe im Kampf für die Bürgerrechte engagiert. Sie hatte schon zuvor Busfahrern die Stirn geboten, war aber noch nie deswegen verhaftet worden. Sie lebte bereits nach ihren Werten und half anderen, die das ebenfalls taten. Sie blieb sitzen und brach das Gesetz. Nicht, weil sie an jenem Tag besonders müde gewesen wäre oder plötzlich und zufällig eine Quelle des Mutes in sich entdeckt hätte, die bis zu jenem magischen Augenblick verborgen geblieben war. Sie handelte lediglich im Einklang mit ihren wichtigsten Werten und ihrer Lebensaufgabe, und als sie Mut brauchte, stand er ihr zur Verfügung. Ihr integres Handeln kostete sie weder große Mühe noch große Willenskraft, da es ihr bereits zur Gewohnheit geworden war.

Bis zu ihrem Todestag sagte Mrs. Parks stets, es sei ihr unangenehm, dass man ihr das Verdienst für den Beginn des Montgomery Bus Boycotts zuschrieb. Sie wusste, der Auslöser hätte ebenso gut jeder andere Mensch sein können, der wie sie ein integres, mutiges Leben führte und unter den gleichen Umständen das Gleiche getan hätte. Und doch hat man ihre Geschichte dahingehend umgeschrieben, dass eine tapfere Nonkonformistin plötzlich Zugang zu einer bislang verschütteten Quelle des Mutes fand und eine Revolution auslöste. Als sei die echte Geschichte nicht inspirierend genug.

Wenn du auf deinen Augenblick des Ruhms wartest, beraubst du dich deiner Macht. Das Warten verhindert, dass du anfängst, jeden noch so unbedeutenden Augenblick mutig zu leben. Aber genau wie Mrs. Parks kannst du lernen, mutig zu träumen und dich dafür zu entscheiden, in ebendiesem Moment eine neue, bessere Wirklichkeit zu erschaffen, statt darauf zu warten, dass dein Leben irgendwann besser wird. Dieses Buch und die darin beschriebenen Übungen werden dir helfen, die Kraft zum Handeln zu finden, das Chaos im Fluss deines Lebens zu beseitigen und nicht mehr die immer gleichen Geschichten von Opfersein und Ohnmacht zu erzählen und zu erleben.

Du kannst dich dafür entscheiden, lieber dein bequemes Leben aufs Spiel zu setzen, als die Prinzipien zu opfern, die dir am wichtigsten sind. Du kannst ehrlich zu dir und anderen sein, angstfrei lieben und dich und deine Beziehungen heilen. Du kannst aufhören, dich vor der schmerzlichen Wahrheit zu drücken, dass du nicht immer nach deinen Idealen lebst. Du kannst über dich lachen, in jedem Moment oder jeder Situation das Schöne finden und so jene Veränderungen verkörpern, die du in der Welt gern sehen würdest. Auf diese Weise kannst du es schaffen, jederzeit zum Sterben bereit zu sein. Dann musst du keine Angst mehr vor dem Ende haben und weißt stattdessen das Leben und die wertvolle Zeit zu schätzen, die dir bleibt, um es zu genießen.

Sobald du dich aus dem Albtraum befreit hast, kannst du allmählich mit dem Träumen beginnen und zusehen, wie das Universum deinen Wandel spiegelt, indem es deine Lebensumstände verändert. Dann bedarf es keiner großen Anstrengung mehr, um ein glückliches, erfülltes Leben zu führen. Trotzdem wirst du jede Chance ergreifen müssen, mutig zu leben. Sobald du dich bei einer Lüge ertappst, die dein Ego schützen soll, sobald du dir eine Geschichte ausdenkst, in der du das Opfer bist, oder sobald du zu feige bist, für deine Überzeugung einzutreten, und murmelst: »Na gut. Vielleicht beim nächsten Mal«, musst du erwachen. Du musst dir deiner Macht zu träumen bewusst werden und den in dir aufwallenden seelischen Mut zulassen.

Die Folgen deiner mutigen Träume werden nicht immer sofort in der physischen Welt sichtbar. Die dramatischsten Veränderungen vollziehen sich ganz still in dir, während du beschließt, dich gegen die unannehmbaren Erwartungen deiner Gesellschaft, deiner Familie, deiner Nachbarn und deiner Kirche zu wehren. Löse dich von dem Bedürfnis, akzeptiert, gemocht oder bewundert zu werden. Gib zu, dass du dich manchmal verletzlich, unsicher oder wie ein Versager fühlst. Du bedienst dich deines Seelenmutes, wenn du die Dinge mit neuen Augen siehst und dir ein neues Leben erschaffst. Daraufhin wird sich auch deine unmittelbare Umgebung allmählich verändern.

Keiner von uns wird je die endgültige Erleuchtung erlangen, die Schuhe ausziehen, die Füße hochlegen und sicher sein können, dass er sich von all seinen Problemen befreit hat und von nun an für immer mit seiner Situation zufrieden sein wird. Sobald wir dieses Gefühl haben, wird uns das Universum nämlich unweigerlich die perfekte Gelegenheit präsentieren, die uns klarmacht, wie lächerlich und arrogant wir gerade sind. Deshalb müssen wir anfangen, die Welt ins Dasein zu träumen, in der wir leben wollen, und das Leben zu führen, das wir führen möchten. Zuerst müssen wir erkennen, wie lähmend es ist, den Albtraum zu leben, den wir uns zusammenreimen, und auf welche Weise wir zu dem kulturellen Albtraum beitragen, an dem alle Menschen teilhaben. Blättern wir um und fangen wir an!

TEIL I

Vom Albtraum zum Traum

Kapitel 1

Wie man dem Albtraum entkommt

Ich persönlich halte es für das Beste, der Wirklichkeit direkt ins Auge zu blicken und sie zu verwerfen.

Garrison Keillor

Mit 15 war ich in ein Mädchen aus meiner Schwimmmannschaft vernarrt. Rose war das schönste Mädchen, das ich je gesehen hatte, und wenn ich in ihrer Nähe war, tat das Herz mir weh. Ich war viel zu ängstlich und schüchtern, um ihr meine Gefühle zu gestehen, obwohl ich oft neben ihr herschwamm und jedes Mal von schierer Lust überwältigt wurde, wenn eine kleine Welle von ihrer Seite über mich hinwegschwappte. Wenn wir nebeneinander unsere Bahnen zogen und lediglich vom schwimmenden Markierungsband getrennt waren, schwang sich meine Fantasie zu Höhenflügen auf. Ich stellte mir vor, wie wir uns unsterbliche Liebe schworen, und malte mir ihre Freudentränen aus, wenn ich vor ihr auf die Knie sinken und sie bitten würde, meine Frau zu werden. Ich träumte von ihrem Lächeln, wenn ich nach der Arbeit in unser Häuschen auf dem Hügel zurückkehrte und mir unsere lachenden Kinder mit offenen Armen entgegenliefen.

Ich ging ganz und gar in diesem Traum auf, der für Rose und mich nie Wirklichkeit werden sollte. Ein sehr viel selbstsicherer Junge aus unserer Mannschaft machte ihr den Hof, und irgendwann heirateten sie. Ich verschloss meine heimliche Schwärmerei tief in mir, während Rose und ich unterschiedliche Wege einschlugen. Schließlich heiratete ich eine andere Frau und nahm an, dass sich mein Leben nun wie in dieser Vorstellung entfalten würde, die wie ein Film in meinem Kopf gespeichert war. Nur dass jetzt diese Frau Roses Rolle als hingebungsvolle Ehegattin und Mutter übernehmen würde.

Zu meinem großen Entsetzen stellte ich fest, dass meine Traumehe schon bald zum Albtraum wurde. Es machte meine Frau nicht glücklich, sich um die Kinder zu kümmern, während ich zur Arbeit ging. Auch mein Beruf war damals alles andere als erfüllend und zehrte an mir. Statt in dem kleinen Häuschen auf dem Hügel lebten wir in einem heruntergekommenen Mietshaus in einem lauten, gefährlichen Viertel von San Francisco am falschen Ende der Stadt. Ich fühlte mich ohnmächtig und wie in einer Sackgasse. Je mehr ich mich bemühte, mein Leben nach dieser alten Vorstellung zu gestalten, desto mehr litt ich. Viele Jahre später und nach dem Ende dieser Ehe wurde mir klar, dass ich einen von meiner Gesellschaft, meiner Gemeinschaft und meiner Familie geschaffenen Albtraum gelebt hatte. Ich hatte seinen Sinn nie infrage gestellt und auch nicht daran gedacht, mir etwas anderes aufzubauen.

Viele Menschen sind heute in einer ähnlichen Situation – aber sie sind sich dessen unter Umständen nicht bewusst. Vielleicht gehörst auch du zu ihnen und wirst auf einer geraden