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Seitenzahl: 113
Friedrich Dürrenmatt
Der Richter und sein Henker
Lektüreschlüssel XL für Schülerinnen und Schüler
Von Theodor Pelster
Reclam
Dieser Lektüreschlüssel bezieht sich auf folgende Textausgabe: Friedrich Dürrenmatt: Der Richter und sein Henker. Roman. Hamburg: Rowohlt, 1202017.
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Lektüreschlüssel XL | Nr. 15514
2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2019
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN 978-3-15-961553-0
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-015514-1
www.reclam.de
Über Wert und Nutzen literarischer Texte lässt sich trefflich streiten. Ein einhelliges Urteil wird selten oder nie zustande kommen. Verbindliche Wertmaßstäbe gibt es nicht und die Interessen von Leserinnen und Lesern sind sehr unterschiedlich. Umso bemerkenswerter ist, dass es dem Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt mit seinem Ein Roman Roman Der Richter und sein Henker – als Buch erstmals 1952 veröffentlicht – gelungen ist, eine ungewöhnlich große Zahl von Lesern anzusprechen, eine nachhaltige Diskussion anzuregen und einen dauerhaften Verkaufserfolg zu sichern. Die epische Gattung des »Kriminalromans« hat mit diesem Werk und den in kurzen Abständen folgenden Romanen Der Verdacht (1951/1952) und Das Versprechen (1958) eine deutliche Aufwertung erfahren.
Kriminalromane Kriminalromane, meist verkürzend und leicht abschätzig »Krimis« genannt, sind Produkte der neueren Literaturgeschichte. Literaturwissenschaftler glauben, in der 1841 erschienenen Detektivgeschichte von Edgar Allan Poe The Murders in the Rue Morgue die erste typische Kriminalerzählung erkennen zu können. Als wichtigstes Charakteristikum dieser neuen Erzählart galt die in ihr angelegte Spannung, die den Leser nicht mehr loslässt, bis ihm eine glaubhafte Lösung des Rätsels präsentiert wird. Diesem Rezept folgten später Arthur Conan Doyle, Edgar Wallace und andere. Durch sie wurde der Kriminalroman zu einer beliebten und massenhaft verbreiteten Literatur. Das war für Leser, die von großer Dichtung mehr als nur gute Unterhaltung erwarteten, zu wenig. Veröffentlichungen dieser Art ließen sie als banal oder trivial links liegen – auch dann noch, als die Beliebtheitskurve für diese Bücher und Hefte anstieg und sogar noch als Film und Fernsehen hier einen Markt entdeckten. Inzwischen präsentieren die Feuilletons großer Tages- und Wochenzeitungen wie Die Zeit und Die Frankfurter Sonntagszeitung Listen mit den besten – auch fremdsprachigen – Kriminalromanen des Monats. Auch in den Fernsehprogrammen der verschiedenen Sender haben Krimis als Einzelfilme und als Fernsehserien einen festen Platz.
Gemeinsam ist den verschiedenen Arten und Unterarten der Gattung, dass die Geschichten inhaltlich und formal bestimmt sind von einem zugrunde liegenden Ausgangspunkt: Ein Verbrechen Verbrechen. Das lateinische Substantiv crīmen, das mit ›Anklage‹ und ›Beschuldigung‹ sowie mit ›Vorwurf‹, aber auch mit ›Schuld‹ und ›Verbrechen‹ übersetzt werden kann, ist Ausgangspunkt für die nachträgliche Gattungsbezeichnung. Das Adjektiv ›kriminell‹ und die verschiedenen Wortzusammensetzungen wie »Kriminalgericht« und »Kriminalpolizei« sind leicht als Ableitungen der lateinischen Bezeichnung zu durchschauen.
Autoren und Leser von Kriminalromanen mussten sich lange den Vorurteile Vorwurf gefallen lassen, dass sie sich gedanklich allzu sehr auf die Schatten und Nachtseiten des menschlichen und gesellschaftlichen Lebens einließen und dass sie sich allzu leichtfertig dem Einfluss des Bösen aussetzten.
Ein Hinweis, dass nicht der zugrunde liegende Stoff die Intention und Gestaltung eines Werks bestimme, dürfte diese Bedenken erledigen. Tatsächlich ist der Stoff eines Werks nicht mehr als das Baumaterial, das zur Formung bereitsteht. Wichtiger ist die Aufbereitung. Stoffliche Grundlage aller hier unter der Bezeichnung »Krimi« zusammengefassten und erzählten oder verfilmten Geschichten ist ein »Fall«, ein »Verbrechen«, eine Handlung, die strafbar ist und für die Bestrafung droht.
Ein für die epische oder filmische Ausgestaltung geeigneter Fall sollte kompliziert, aber lösbar sein. Er sollte in der verfügbaren Lese- oder Sehzeit gelöst werden. Die Lösung sollte schlüssig und nachvollziehbar sein. Am Ende sollte die von allen akzeptierte Ordnung wiederhergestellt sein.
Ein Verbrechen – in den meisten Fällen ein Mord Mord – bildet das zentrale Ereignis dieser Art von Erzählungen, Romanen und Filmen. Eine Tat – genauer: eine Untat – wird begangen, wird bekannt und wird aufgedeckt. Um die geltende Ordnung wiederherzustellen, muss der Schuldige bestraft werden und muss dem Unschuldigen Genugtuung erwiesen werden. Dazu muss der genaue Tatbestand – die Tatumstände, aber auch die Vorgeschichte der Tat – festgestellt und die Gesetzeslage geklärt werden. Als Vertreter des Rechts sind Polizisten, Kriminalisten, Anwälte und Richter gefragt. Eine besondere Rolle kommt den ermittelnden Behörden – den Polizisten und dem Untersuchungsrichter – zu: Die Untat, die der Verbrecher begangen hat, soll durch Kriminalisten aufgedeckt und zur Verurteilung und Bestrafung für das Gericht vorbereitet werden.
Nicht durch den Erzählgegenstand, sondern durch die Formung ist eine Unterscheidung zwischen Kriminalroman und Kriminalroman oder Detektivroman?Detektivroman möglich und sinnvoll. Der Germanist Richard Alewyn beschrieb den Unterschied folgendermaßen:
»Der Kriminalroman erzählt die Geschichte eines Verbrechens, der Detektivroman die Geschichte der Aufklärung eines Verbrechens. Man kann jeden Kriminalroman auf den Kopf stellen und ihn als Detektivroman erzählen, und man kann umgekehrt jeden Detektivroman auf die Füße stellen und damit den ihm zugrunde liegenden Kriminalroman herstellen.«1
Der Detektivroman, der seine Artbezeichnung vom lateinischen dētegere (›aufdecken, enthüllen, offenbaren‹) herleitet, wendet sich vor allem an die Intelligenz des Lesers, der die Schlüssigkeit des Erzählvorgangs prüfen und kritisch betrachten soll. Der Kriminalroman – im engeren Sinn des Wortes – »erzählt die Geschichte eines Verbrechens unter besonderer Berücksichtigung der psychologischen (auch soziologischen) Disposition des Täters, seiner Tatmotive, des Tathergangs und der Tatfolgen. Der Detektivroman gilt als Sonderform des Kriminalromans, die die Suche nach dem Täter und die Aufklärung des Tathergangs zum Inhalt hat und damit die Intention verfolgt, den Leser durch Teilhabe am Rätselraten in Spannung zu versetzen.«2
Das unterschiedliche inhaltliche Interesse hat Folgen für die Formung: Der Kriminalroman erzählt meist in chronologischer Reihenfolge, vorwärts gerichtet; der Detektivroman setzt beim eingetretenen Fall ein, sucht – rückwärts gerichtet – die Voraussetzungen zu erkennen und – vorwärts gerichtet – den Täter dem Gericht zu überantworten.
Leserverhalten Leser, die sich mit einem intellektuellen Vergnügen daranmachen, den Detektiv bei seiner Arbeit zu begleiten und zu verfolgen, gleichen scharfsinnigen Rätselfreunden, die aus Andeutungen Schlüsse ziehen und an der Lösung der Aufgabe Freude haben. Dass es bei dem Spiel um Mord geht, wird nicht ernst genommen.
Wer hingegen die in einem Kriminalroman erzählte Geschichte als Abbild von Wirklichkeit zur Kenntnis nimmt, als aus der Wirklichkeit übernommenes Geschehen, dürfte entsetzt sein über das Böse in der Welt und Mitleid haben mit den unschuldigen Opfern. Er nimmt wahrscheinlich allzu ernst, was als Spiel gemeint ist.
Das Gegenstand von Kriminalromanen Verbrechen, d. h. das Brechen einer gebotenen Ordnung, bedeutet die »Auflehnung des Täters gegen den allgemeinen Willen des Rechts«3; der Täter, der »vor sich selbst wie vor der Rechtsgemeinschaft schuldig wird«, fordert »die Vergeltung als die notwendige Folge der Tat heraus«4.
Dass Verbrechen wie Mord und Totschlag als Motive eines Gedankenspiels und als raffiniert gestellte Rätselaufgabe benutzt werden, dass also »der Mord und die Entlarvung des Täters […] auf ein letztlich immer lösbares Rätsel reduziert wird«5, ist ein Vorwurf besorgter Soziologen und Pädagogen. Es könnte sich jedoch zeigen, dass sich auch der Vorwurf, im Kriminal- und Detektivroman werde leichtfertig und allzu spielerisch mit Verbrechen umgegangen, als Vorurteil erweist. Vom Autor gewählte literarische Gattungen und Gegenstände sagen noch nichts aus über die von ihm verfolgte Intention.
Ein Kriminalroman ist immer auch ein Figurenroman. Deshalb verbindet sich die Frage nach dem grundlegenden Verbrechen immer mit den Fragen nach dem oder den Verbrechern einerseits und dem oder den Verfolgern andererseits.
1. (S. 5–12) Am Morgen des 3. November 1948 wird Ulrich Der »Fall Schmied«Schmied, Polizeileutnant der Stadt Bern, von dem Polizisten Alphons Clenin in der Nähe des Schweizer Ortes Lamboing in einem blauen Mercedes tot aufgefunden und nach Biel, der nächsten Stadt, überführt. Schmieds Vorgesetzter, Kommissär Bärlach in Bern, ein welt- und menschenerfahrener Kriminalbeamter, »über sechzig« (S. 10) und »nicht mehr so ganz gesund« (S. 15), nimmt sich des Falles an, verfügt vorläufige Geheimhaltung gegenüber der Presse und besorgt sich aus der Wohnung des Toten eine »Mappe, die auf dem Schreibtisch lag« (S. 12) und die wichtig zu sein scheint.
2. (S. 13–17) Im Gespräch mit seinem Vorgesetzten, dem Untersuchungsrichter Dr. Lucius Lutz, erklärt Bärlach, dass er zwar »irgendwen im Verdacht« (S. 14) habe, mehr jedoch nicht sagen könne. Zur weiteren Aufklärung des Falles bittet Bärlach um die Unterstützung des Kollegen Der Kollege Tschanz Tschanz, den man daraufhin extra aus »den Ferien im Berner Oberland« (S. 15) holt. Mit dem Polizisten Blatter fährt Bärlach zum Tatort und findet dort eine »Revolverkugel« – »Zufall« (S. 17), wie Bärlach Blatter gegenüber zugibt. Der gutwillige Leser mag glauben, dass es sich bei dem Fund tatsächlich um einen Zufall handelt; der skeptische Leser könnte vermuten, dass hier von Bärlach eine Falle gelegt wird, in die Tschanz später tappt und der weitere Fallen folgen werden.
3. (S. 18–23) Am nächsten Morgen meldet sich Tschanz, der »den gleichen Mantel wie Schmied und einen ähnlichen Filzhut« (S. 18) trägt, bei Bärlach, der ihm zwar die am Tatort gefundene Kugel zeigt, nicht aber »die Mappe Schmieds« (S. 18). Tschanz erklärt, aus Indizien bereits geschlossen zu haben, wie Schmied ermordet worden sei. Aus einem Kalender Schmieds wisse er außerdem, dass dieser häufig – so auch am Tag seiner Ermordung – bei einer mit Die Spur zu G G abgekürzten Person oder Institution eingeladen gewesen sei. Diese Spur wolle er verfolgen: Er plane, am gleichen Tag noch, »um sieben, zur selben Zeit wie das Schmied auch immer getan hat« (S. 22), nach Lamboing zu fahren. Zu seiner Überraschung will Bärlach ihn begleiten. Von seinem Verdacht, wer der Mörder Schmieds sein könnte, gibt Bärlach nichts preis.
4. (S. 24–28) Tschanz holt Bärlach in dessen Wohnung ab. Tschanz wählt eine in den Augen Bärlachs »ungewöhnliche Route« (S. 26), die aber zwei Tage zuvor auch Schmied gefahren zu sein scheint. Jedenfalls erfährt Tschanz an einer Tankstelle, dass einer »am Mittwochabend« dagewesen sei, »der seinen Wagen den blauen Charon nannte« (S. 27). So nannte Schmied, wie Tschanz und Bärlach wissen, seinen Mercedes. Kurz vor acht halten sie auf der »Straße von Twann nach Lamboing« (S. 28) und beratschlagen.
5. (S. 29–31) Während sie warten, erklärt Tschanz, er vermute, dass es an diesem Abend genau da »eine Gesellschaft gibt« (S. 29), wo sich Schmied am Abend vor seiner Ermordung aufgehalten habe. Tatsächlich fahren mehrere Autos an ihnen vorbei. Als sie ihnen folgen, stehen sie bald vor einem »Haus, von Pappeln umrahmt« (S. 30). Das auf dem Türschild abgebildete G steht für Vor Gastmanns Haus Gastmann, wie Tschanz aus dem Telefonbuch weiß und nun Bärlach gegenüber erklärt.
6. (S. 32–41) Als Tschanz und Bärlach um das von einer Mauer umgebene Anwesen Gastmanns gehen, wird Bärlach von einem riesigen Hund angefallen, den Tschanz mit seinem Revolver erschießt. Gastgeber und Gäste treten ans Fenster. Man ist empört und weigert sich zunächst, mit den Polizisten zu reden. Dann aber werden die beiden Kriminalisten von Oberst von Konfrontation mit von Schwendi Schwendi, der zugleich Nationalrat und Advokat ist, in anmaßender Weise zur Rede gestellt. Als der Oberst jedoch hört, dass »eine Untersuchung über den Mord an Polizeileutnant Schmied« (S. 38) geführt werde, zeigt er sich plötzlich kooperationsbereit und verspricht, mit Gastmann zu reden und am nächsten Tag auf das »Bureau« (S. 39) zu kommen. Während Tschanz weitere Erkundungen in Lamboing macht und dort die Polizisten Clenin und Charnel trifft, gibt Bärlach vor, in einem kleinen Restaurant an der Straße etwas für »[s]einen Magen« (S. 39) tun zu wollen.
7. (S. 42–44) Bärlach hat im Restaurant nur »einen Schnaps getrunken« (S. 42), ist dann vorgegangen und hat genau am Tatort auf Tschanz gewartet. Tschanz nimmt ihn ins Auto – »weiß vor heimlichem Entsetzen« (S. 43). Ihm ist bewusst, dass gerade der Der nachgespielte Tathergang Tathergang nachgespielt wurde. Auf der Fahrt nach Bern berichtet Tschanz, was er erfahren hat. Zu Hause angekommen, dankt Bärlach Tschanz noch einmal, dass er ihm »das Leben gerettet« (S. 44) habe. Als er allein ist, holt er einen Revolver aus der Manteltasche. Sein linker Arm war »mit dicken Tüchern umwickelt« (S. 44), wie man jetzt sieht. Bärlach war also auf Gefahren besser vorbereitet, als Tschanz erkennen konnte.
8. (S. 45–50) Wie angekündigt, spricht Nationalrat von Lutz und von Schwendi Schwendi am nächsten Morgen, an dem Samstag, an dem Schmied beerdigt werden soll, im Polizeibüro vor – doch nicht bei Bärlach, sondern bei Dr. Lutz. Von dem Oberst erfährt Lutz, dass Schmied mit falscher Identität »unter dem Namen Doktor Prantl« (S. 47) an einigen Treffen bei Gastmann teilgenommen habe. Nationalrat von Schwendi glaubt, dass Schmied »für eine fremde Macht« (S. 48) spioniert habe; denn bei den Treffen sei es um »politische Vorgänge von eminenter Wichtigkeit« (S. 50