Der Rosenturm - Valerie  Lord - E-Book

Der Rosenturm E-Book

Valerie Lord

4,3

Beschreibung

Hastings im Jahre 1066. Die normannischen Eroberer haben gesiegt und besetzen das Land. Liliana von Hawkstone will lieber sterben, als diese Schmach ertragen. Doch unter der Rüstung des tollkühnen Knappen entdeckt Raynal de Cambremer die schöne sächsische Prinzessin. Der normannische Ritter setzt für sie alles aufs Spiel. Lady Liliana und der Normanne gründen eine Familie und sind fortan der Lord und die Lady von Hawkstone bei Hastings. Beginnend mit der Eroberung Englands erzählt die Erfolgsautorin Valerie Lord in der Rosenturmsaga in sieben abgeschlossenen Romanen von den Mitgliedern einer einzigen, großen Familie. Dieser in sich abgeschlossene Roman bildet den ersten Teil der siebenbändigen Roman-Pentalogie, in der es immer um die Liebe geht. “Fünf von fünf Sternen. Herzergreifend gelingt es Valerie Lord den Leser zu fesseln“. Kundenrezension aus dem Internet

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UUID: 978-3-86466-200-3
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Table of contents

Valerie Lord – Die Rosenturmsaga

Pentalogie in sieben Bänden

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Epilog – September 1074

Valerie Lord – Die Rosenturmsaga

Pentalogie in sieben Bänden

Band 1: Der Rosenturm

Band 2: Rosen der Leidenschaft

Band 3: Herz hinter Dornen

Band 4: Kreuzzug der Liebe

Band 5: Das Geheimnis der Rose

Band 6: Die Dienerin des Rosenturms

Band 7: Duell der Sinnlichkeit

1. Kapitel

»Gütiger Himmel! Was soll das sein? Eine Festung? Ein Dorf?« Raynal de Cambremer zügelte sein mächtiges Streitross und gab das Zeichen zum Halt.

Die Männer, die ihn umringten, teilten seine Verblüffung. Die Ansammlung von Gebäuden, Hütten, Dächern und Türmen, die sich in einer Schleife des Flusses hinter einem eher harmlos aussehenden Erdwall ausdehnte, glich weder einer Burg noch einem ländlichen Hof. Ursprünglich quadratisch angelegt, hatte sie sich offensichtlich im Laufe der Zeit der Hufeisenform des Cuckmere angepasst und schmiegte sich in seine Windungen.

Die spitzgiebeligen Ziegeldächer verrieten den uralten römischen Ursprung, aber der mächtige viereckige Wehrturm, der sie um vieles überragte, war sicher in späterer Zeit errichtet worden, vielleicht um Ausschau nach möglichen Feinden zu halten. Eine einzelne, trotzige Standarte wehte auf seinen Zinnen.

Neu und stark wirkten lediglich die frisch gehobelten und spitz auslaufenden Stämme einer Palisadenmauer, die den inneren Kern des Gutes schützte. Auch sie war kein unüberwindbares Hindernis, aber dennoch eines, das berücksichtigt werden musste. Es blieb lediglich die Frage, ob es Männer gab, die dieses Anwesen verteidigten, oder ob sie sich wie viele andere auch dem unglücklichen König angeschlossen hatten, der Leben und Reich bei Hastings verloren hatte.

»Hawkstone«, murmelte der Reiter neben Raynal und richtete sich im Sattel auf. »Ob die Neuigkeiten schon bis hierher gereist sind?«

»Darauf kannst du dich verlassen, mein Freund«, knurrte de Cambremer, der seine Streitmacht mit einem kurzen Blick überflog. Es waren nicht viele Soldaten, aber unter seinem Kommando dienten nur die Besten. In der Schlacht hatte er nicht mehr als eine Hand voll Bogenschützen und zwei Reiter eingebüßt. »Lass dich nicht dadurch täuschen, dass dies dort unseren Burgen in der Normandie überhaupt nicht gleicht. Trotz seiner enormen Größe kann man es vermutlich mit wenigen Männern halten, und ich möchte wetten, dass ...«

Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden, denn das doppelflügelige Palisadentor schwang in diesem Moment völlig unerwartet auf und spuckte einen Trupp Bewaffneter aus, der von einer Hand voll Ritter hoch zu Pferd begleitet wurde. Polierte Helme und gezückte Waffen blitzten im Licht des Nachmittags und ließen keinen Zweifel an ihrer Absicht.

»Diese Narren! Sie greifen an, anstatt uns vor ihren Mauern stranden zu lassen!« Raynal de Cambremer schloss mit einer knappen Bewegung das Visier seines Helmes, gab seinem Streitross die Sporen und zog mit der Rechten das mächtige Schwert. Es war ihm nur recht, wenn die Sachsen ohne großes Wenn und Aber eine Entscheidung erzwingen wollten. »Vorwärts!«

Ein Sonnenstrahl brach sich auf der erhobenen Klinge und gab seinen Kriegern einen Befehl, der das gesprochene Wort an Deutlichkeit weit hinter sich ließ. Daran gewöhnt, ihrem Anführer widerspruchslos zu folgen, bildeten sie im Nu ein Karree aus donnernden Hufen und blinkenden Schwertern, das sich wie eine verhängnisvolle Wolke über Männer mit den Streitäxten und Lanzen warf, ehe jene wussten, wie ihnen geschah.

In dem erbarmungslosen Kräftemessen Mann gegen Mann hatten die Normannen binnen kurzer Zeit die Oberhand, obwohl auch sie noch die Folgen der mörderischen Schlacht spürten, die sie vor wenigen Tagen an der Küste in der Senke von Senlac gewonnen hatten. Wilhelm hatte ihnen keine große Erholung gegönnt. Er war sich der Tatsache bewusst, dass er auf feindlichem Gebiet stand und dass das Blut des Sachsenkönigs an seinen Händen klebte. Er mochte ein Gefecht gewonnen haben, aber noch war ihm das Land nicht untertan. Er musste seine neue Herrschaft festigen, wenn er den Tag seiner Krönung tatsächlich erleben wollte. Die Pläne dafür hatte er in den langen Wochen der Vorbereitung für diese Invasion längst geschmiedet. Es waren seine treuesten und tapfersten Männer, die er ins Landesinnere schickte, um Burgen, Brücken und Straßen zu sichern, um Plünderer, Rebellen und den letzten Widerstand zu vernichten und um mit der ritterlichen Macht seiner Krieger zu demonstrieren, dass für diese Insel eine neue Zeit begonnen hatte.

Raynal de Cambremer sah mit dem Blick des erfahrenen Kämpfers, dass in Hawkstone nur die sehr Alten und sehr Jungen zurück geblieben waren. Das drahtige, dünne Bürschchen zum Beispiel, das ihn mit einem flirrenden viel zu großen Schwert mutig attackierte, mochte zwar den prächtigen Hengst beherrschen, in dessen Sattel es saß, seinen Schwerthieben indes fehlte deutlich die Kraft eines erwachsenen Mannes. Sie zeichneten sich eher durch Schnelligkeit und ungewöhnliche Führung aus als durch echte Gefährlichkeit. Wie eine wütende Mücke surrten sie um den gewappneten Ritter. Lächerlich wären sie gewesen, hätten sie nicht die Verzweiflung des Kämpfers so deutlich offenbart.

Das Kettenhemd des Knaben sah so aus, als habe er es seinem großen Bruder gestohlen. Die Brustplatte fehlte ebenso wie die Schienbeinschoner. Der Bursche hielt das Schild viel zu tief, und in einem Turnier hätte er vermutlich nicht einmal das erste Lanzenstechen im Sattel überlebt. Trotzdem warf er sich mit einem Mut ins Getümmel, der Besseres als den Tod verdiente.

Es war dieser Gedanke, der den Ritter im letzten Moment dazu veranlasste, den tödlichen Hieb, der ihn von diesem tapferen, aber lästigen Insekt befreien sollte, nicht mit der Schneide, sondern mit der flachen Klinge zu führen. Das Schwert donnerte mit Urgewalt auf den dunklen Helm, hinter dessen Visier das Kindergesicht nur zu ahnen war. Das Stöhnen seines Opfers verklang im Lärm des erbitterten Scharmützels.

Noch während sein harmloser Gegner im Sattel taumelte, sein Schild verlor und zur Seite fiel, riss Raynal das eigene Ross herum, um sich einem neuen Gegner zu stellen. Doch dort war plötzlich niemand mehr, der die Waffe gegen ihn erhob. Es schien, als habe er mit seinem mächtigen Hieb gegen den Knaben die Schlacht für sich entschieden.

Auch die, die noch zum Widerstand fähig waren, ließen Streitäxte und Schwerter in diesem Augenblick sinken. Es entstand eine geradezu andächtige Stille, in dem nur das heftige Schnauben der Schlachtrösser, das Klirren der Zaumzeuge und das Ächzen der Verwundeten zu hören war. Raynal de Cambremer steckte als Erster sein Schwert in die Scheide zurück und legte die Hände über dem Sattelknauf aufeinander, ehe er sich umsah.

Die jämmerliche Hand voll Männer, die die aussichtslose Schlacht für Hawkstone geschlagen hatte, wandte ihre Blicke wie magisch angezogen zu jenem Fleck, wo der Junge in dem Kettenhemd vom Pferd gestürzt war. Sogar das Ross schien die allgemeine Bestürzung zu teilen. Es schnoberte mit weichen Nüstern über die metallischen Glieder des Kettenhemdes und stupste gegen den Helm, dessen Riemen ohnehin durch Hieb und Sturz gerissen waren. Er wackelte ein wenig und rollte bei der nächsten Berührung zur Seite, weil er ohnehin viel zu groß war.

Raynal de Cambremer beachtete den Knaben nicht, seine Befehle kamen knapp und kalt. Er verabscheute überflüssige Brutalität, und so sehr er den Wunsch der Sachsen respektierte, ihre Heimat zu verteidigen, so sehr verachtete er auch ihren Anführer, der seine Männer in ein sinnloses Gemetzel getrieben hatte. Entweder war er tatsächlich so dumm, dass er sich für unbesiegbar hielt, oder er war so rücksichtslos, dass ihn Menschenleben nicht kümmerten. Beides verdiente nur Verachtung.

Raynal schwang sich aus dem Sattel, als wöge die stählerne Rüstung, die ihn von Kopf bis Fuß einhüllte, nicht mehr als ein seidenes Festwams. Die Zügel seines Rosses in der Rechten klappte er das Visier hoch und wandte sich an die wenigen Gefangenen, die sich von den Waffen seiner Männer bedroht aneinander drängten. Wie er es sich gedacht hatte, waren es alte Haudegen und Knechte, die ihrem Lebensabend nahe standen und junge Burschen mit wildem Haarwuchs, aber ohne den kleinsten Anflug von Bartschatten. Sie alle waren verletzt, aber im Stande, sich aufrecht zu halten.

»Wer ist Euer Anführer?«

Niemand antwortete. Hatten sie die Worte nicht verstanden, oder stellten sie sich taub?

»Wer ist Euer Herr?«, wiederholte Raynal seine Frage im sächsischen Dialekt der Einheimischen. Seine Augen ruhten scharf genug auf den Gefangenen, um den flüchtigen Funken der Überraschung zu entdecken, der ihre Blicke färbte. Sie hatten offenbar nicht damit gerechnet, dass die Eroberer ihre Sprache beherrschten. Wussten sie denn nichts von den zahllosen sächsischen Geiseln, die an Wilhelms Hof in der Normandie gelebt hatten und die einem wissbegierigen Normannen nur allzu gern behilflich waren, besonders wenn die Geisel jung und weiblich und der Normanne freundlich, ansehnlich und in der Gunst des Herzogs stand?

»Unser Herr ist Cenwulf von Hawkstone«, entgegnete ein Greis mit einer klaffenden Wunde an der Schulter, in der das Blut bereits zu stocken begann. »Gefolgsmann König Harolds von England!«

»König Harold ist tot«, entgegnete der Ritter knapp. »Er starb auf dem Schlachtfeld. Euer neuer König heißt Wilhelm, so wie es der Wunsch Eures frommen Königs Edward war! Wer jetzt noch die Waffen gegen Wilhelm erhebt, ist des Todes, alter Mann! Wo also ...«

»Raynal! Donner noch mal, das musst du dir ansehen!«

Der Ritter runzelte die Stirn und wandte den Kopf unwillig zur Seite, wo sich einige seiner Kampfgefährten um eine Gestalt versammelt hatten, die leblos im Gras lag, bewacht von einem tiefschwarzen Pferd. Mit einem leisen Klirren seiner Rüstung ließ er von dem Alten ab und trat in den Kreis seiner Männer.

»Was zum Henker...!«, rutschte es ihm gegen seinen Willen heraus, als er begriff, was seinen Freund Gilbert de Nansay zu diesem ungewohnt verblüfften Ausruf veranlasst hatte.

»Recht ungewöhnlich, nicht wahr?«, grinste Gilbert und kratzte sich mit der Geste eines Mannes, der selbst nicht so recht weiß, was er von den Ereignissen halten soll, unter dem Lederschutz seines Helmes im Nacken. »Sie ist bewusstlos, obwohl ich keine Verletzung entdecken kann. Weiß der Himmel gegen wen sie gekämpft hat ...«

»Gegen mich«, knurrte Raynal knapp und starrte auf das fein gezeichnete schmale Antlitz, das von einer engen Lederkappe umschlossen in tödlicher Blässe schimmerte. Bis auf einen kleinen Kratzer auf dem Jochbein, der offensichtlich entstanden war, als der Helm abrutschte, war es unverletzt. Aber auch der Ritter erkannte jetzt, dass es unzweifelhaft das zarte Gesicht eines sehr jungen Mädchens war.

»Verdammt noch mal! Ich hielt sie für ein naseweises Bürschchen, dem ich eine Lektion erteilen wollte, damit es sich nicht länger in die Kämpfe der Erwachsenen mischt«, verteidigte er sich unwillkürlich.

»Was hast du getan?«

Raynal konnte Gilbert den Anflug von Vorwurf nicht verübeln, der in seinen Worten schwang. Trotzdem reagierte er unwirsch. »Ich habe mich gegen einen Angreifer verteidigt, der zwar nichts taugte, aber trotzdem hätte gefährlich werden können!«, knurrte er.

»Sie sieht aus, als könne sie nicht einmal das Schwert heben, geschweige denn auf diesem Ungeheuer von Pferd sitzen«, stellte de Nansay ungerührt fest. »Hast du denn nicht bemerkt, dass ein Mädchen unter dem Helm steckte?«

»Wie sollte ich? Bittest du vor jedem Kampf deinen Gegner darum, den Helm abzunehmen, damit du genau weißt, mit wem du das Schwert kreuzt?«, fuhr Raynal auf. »Verdammt, es war nur ein Hieb auf den Helm, übrigens einer mit der flachen Klinge. Das dumme Kind kann von Glück sagen, dass ich Milde walten ließ! He, du da!«

Die letzten Worte galten dem alten Sachsen, der von einem der Männer, die die Gefangenen bewachten vorwärts gestoßen wurde. »Habt ihr denn völlig den Verstand verloren, dass ihr schon Mädchen gegen Männer kämpfen lasst? Und warum rekrutiert ihr sie auch noch aus den Reihen der ganz Kleinen? Bei Gott, ihr seid wirklich Barbaren!«

Die unüberhörbare Verachtung in seiner Stimme riss den Graubart aus seinem Schock. In den müden blassblauen Augen unter den buschigen Brauen, die er auf den Sieger richtete, stand eine Verzweiflung, die den jungen Ritter berührte, obwohl er es nicht zugegeben hätte. »Ihr mögt uns Barbaren schimpfen, aber wir sind ein stolzes freiheitsliebendes Volk. Wir ziehen den Tod der Knechtschaft vor! Deswegen folgten wir ihr, obwohl wir wussten, dass wir nicht siegen konnten.«

»Ihr?« Raynals Blicke kehrten zu dem blassen Oval zurück, auf dem die langen, dunklen Wimpern einen Fächer aus zitternden Schatten bildeten und die geschwungenen Brauen von Empfindsamkeit und Jugend kündeten.

»Sie ist die Erbin von Hawkstone. Liliana, das einzige Kind Cenwulfs und Herrin des Hauses. Ihr habt unsere Lady getötet!«

»Eine Lady so ungenießbar wie eine giftige Schlange«, knurrte der Ritter, der im Gegensatz zu dem alten Sachsen die kaum merkliche Bewegung des pulsierenden Blutes am Hals des Mädchens wahrnahm. »Und obwohl man giftige Schlangen zertreten sollte, bleibt diese Euch erhalten. Sie ist lediglich bewusstlos, und ich nehme an, dass sie über geraume Zeit heftige Kopfschmerzen haben wird.«

»Dem Himmel sei Dank!«

Es berührte Raynal seltsam, als der alte Mann mit frommer Geste das Kreuz schlug. Mit seinem Bart, dem schlohweißen, wilden Haar und den zerfetzten Kleidern glich er so sehr einem Heiden, dass er sich nur schwer vorstellen konnte, dass sie zum selben Gott beten sollten.

»Was wird nun mit uns geschehen?«, wagte der Alte auch die Frage zu stellen, die alle Besiegten bewegte.

»Schwört eurem neuen König Gehorsam, und es wird euch nichts geschehen«, entgegnete Raynal knapp.

»Und Hawkstone?«

»Hawkstone gehört dem König. Er wird seinen neuen Herrn bestimmen.«

Sweyne, der alte Waffenmeister des Herrn von Hawkstone, senkte das Haupt vor der Eiseskälte in der Stimme des normannischen Ritters. So sehr er dem Himmel dafür dankte, dass die Herrin am Leben war, so sehr zürnte er ihm, dass er selbst nicht unter den Toten dort auf dem Anger lag. Er hätte gern darauf verzichtet, die neuen Zeiten in Hawkstone zu erleben.

»Vorwärts!« Raynal de Cambremer schwang sich kraftvoll in den Sattel und überließ es seinen Männern, sich um das Mädchen zu kümmern, das zu Schaden gekommen war, weil es sich anmaßte, den Krieger zu spielen. Unwillkürlich dachte er an Königin Mathildes Damen, die in Bayeux zurückgeblieben waren, als er und seine Männer Segel gen England gesetzt hatten. Nicht eine der zarten Edelfrauen und schönen Damen ihres Hofes wäre auf die närrische Idee verfallen, in eigener Person einen verzweifelten Ausfall anzuführen. Nicht eine hätte ihre Weiblichkeit für ein Schwert verleugnet!

Auch seine Mutter, Dame Elisabetta de Cambremer, die mit eiserner Disziplin vier Söhne und drei Töchter aufgezogen hatte, hätte vermutlich niemals zu solchen Mitteln gegriffen. Nur eine Barbarin ohne Kultur und Bildung konnte einen Ritter derart beleidigen, dass er ahnungslos eine Frau niederschlug!

Bei Gott, hoffentlich blieb das Frauenzimmer noch eine geraume Weile ohnmächtig, denn eine innere Stimme sagte ihm, dass der Kampf mit Liliana von Hawkstone mit dieser Schlacht erst begonnen hatte. Allein, er stand in den Diensten eines Mannes, der für sich ein Königreich eroberte, und er hatte Wichtigeres zu tun, als sich mit einer sächsischen Erbin herumzuzanken, der es offensichtlich an Erziehung mangelte.

Die Tore von Hawkstone öffneten sich ohne weiteren Widerstand für den neuen Herrn, aber die Menschen wichen ängstlich vor der Gestalt in der schwarzen Rüstung zurück. Der schnelle Sieg seiner Männer über das letzte Aufgebot der Lady und die eisige Verachtung, die aus jeder Bewegung des Normannen sprach, ließ nichts Gutes für die Zukunft erwarten. Hawkstone duckte sich murrend unter die Autorität des Siegers.

Freilich wurden Flüche und Verwünschungen nur in Bärte gemurmelt und hinter vorgehaltenen Händen versteckt. Die große Müdigkeit nach der Niederlage ging Hand in Hand mit der Verzweiflung über eine Zukunft, die sie alle zu Sklaven der Normannen machen würde.

2. Kapitel

»Was auch immer geschieht, vergiss nicht, wer du bist, Liliana von Hawkstone! In deinen Adern fließt das Blut der edelsten Familien dieses Landes, es reicht bis zurück zu den heiligen Druiden und Priesterinnen. Die Ehre unseres Namens liegt auf deinen Schultern!«

Liliana vernahm die letzten, beschwörenden Worte ihres Vaters wie ein Echo aus der Ferne. Die vertraute Stimme, die stets ein wenig atemlos und heiser klang, wenn er mit ihr scherzte, erstarb in einem wirren Chaos aus Stimmen, Hundegebell und Waffengeklirr. Der Schmerz hinter ihren Schläfen erwachte zusammen mit ihrem Bewusstsein. Einen Herzschlag lang fragte sie sich orientierungslos, wo sie sich befand und was geschehen war. Dann verstand sie, und die Verzweiflung nahm ihr den Atem.

Cenwulf und die tapferen Männer von Hawkstone würden ihre Heimat nie wieder sehen. Der Rosenturm war in die Hände der normannischen Eroberer gefallen und mit ihm das ganze Land, ja, die ganze Insel. Ihr unsinniger Versuch, das Lehen von Hawkstone mit den letzten Kräften und Waffen zu verteidigen, war nichts anderes gewesen als ein ehrenwerter Selbstmordversuch. Der christliche Glaube verbot ihr zwar, Hand an sich selbst zu legen, aber er verbot ihr nicht, für eine verzweifelte Sache zu sterben. Doch offenbar war diesem Versuch kein Erfolg beschieden gewesen.

Lilianas Kopf schmerzte, als hätte ihn der Hufschmied von Hawkstone als Amboss verwendet, und ihr Körper brannte vor Qual. In ihrer Kehle kratzte trockener Staub gleich einem erstickten Schrei. Sie versuchte, sich in den rötlichen Nebeln der Qual zurecht zu finden und die pochenden Schläfen mit den Fingern zu massieren. Doch sie konnte ihre Hände keinen Zoll weit bewegen. Dünne, schmerzend enge Riemen umspannten ihre Handgelenke und hielten die Hände in ihrem Rücken. Fesseln? Wer wagte es, die Lady von Flawkstone zu fesseln? Entsetzt riss sie die Augen auf und blinzelte gegen das grelle Licht, das es ihr unmöglich machte, etwas zu erkennen.

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