Der Ruul-Konflikt 12: Blutige Vendetta - Stefan Burban - E-Book

Der Ruul-Konflikt 12: Blutige Vendetta E-Book

Stefan Burban

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Beschreibung

Der Luxusliner "Sternentraum" wird auf seiner Kreuzfahrt von einer Gruppe Bewaffneter aufgebracht und gekapert. Die fast dreitausend Passagiere und Besatzungsmitglieder werden als Geiseln genommen. Die Geiselnehmer stellen jedoch keinerlei Forderungen, weder wollen Sie Geld noch andere Leistungen. Vielmehr scheinen Sie an ganz bestimmten Zielpersonen interessiert zu sein und setzen alles daran, ihrer habhaft zu werden. Sind womöglich die Kinder der Zukunft zurück, um das Terranische Konglomerat von innen heraus zu bekämpfen? Oder ziehen aus dem Hintergrund die Ruul die Fäden in diesem perfiden Spiel? Brigadier General David Coltor vom MAD weiß, dass er schnell handeln muss, will er das Leben der Geiseln retten. Aus diesem Grund setzt er in einem gewagten Manöver alles aufs Spiel und entsendet eine seiner gefährlichsten Waffen – ROCKETS-Team Panther unter dem Befehl von Major Alan Foulder …

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Inhalt

Prolog

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Epilog

Weitere Atlantis-Titel

Stefan Burban

Blutige Vendetta

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Oktober 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-536-5 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-557-0 Dieses Paperback/E-Book ist auch als Hardcover-Ausgabe direkt beim Verlag erhältlich. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Der Mann saß allein am Tisch. Vor sich hatte er die Einzelteile einer Neunmillimeter ausgebreitet. Die Waffe war fein säuberlich auseinandergenommen. Nun reinigte er die einzelnen Bestandteile. Der Mann ging dabei mit äußerster Präzision vor. Jedes Teil wurde aufgenommen, mit einem Tuch und etwas Öl von allen Schmutzpartikeln gesäubert und anschließend wieder an seinen Platz gelegt.

Als er fertig war, setzte er die Waffe wieder zusammen, bis am Ende nur noch Magazin, einige Patronen und die Waffe selbst vor ihm lagen. Zu guter Letzt setzte er die Patronen eine nach der anderen wieder ins Magazin ein.

Er hätte die Waffe ohne Weiteres auch mit verbundenen Augen zusammensetzen können. Tatsächlich hatte er dies in vergangenen Zeiten schon des Öfteren getan. Wie er wusste, benötigte er weniger als eine Minute, um sie ohne Blickkontakt auseinanderzunehmen, zu säubern und wieder zusammenzufügen. Doch dieses Mal verzichtete er auf derlei Kinkerlitzchen.

Die Waffe zu säubern entsprach bei ihm einem Ritual. Es half ihm, sich auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren. Es half ihm, sein mitunter nervtötendes Gewissen zum Schweigen zu bringen – zumindest für eine Weile.

Die meisten vertrauten inzwischen auf Laserwaffen. Sie waren in der Handhabung und in der Wartung einfacher und auch leichter zu bedienen. Ironischerweise war das der Grund, weshalb er weiterhin auf Projektilwaffen setzte. Für Laserwaffen benötigte man keine übermäßigen Fähigkeiten. Es war viel zu einfach, sie einzusetzen. Eine Projektilwaffe jedoch erforderte große Sorgfalt und Können – in jeder Beziehung.

Die letzte Patrone fiel mit einem Klick an ihren Platz. Als hätte seine Begleiterin nur darauf gewartet, öffnete sich die Tür und sie trat ein.

Der Mann sah auf. »Und?«

Sie legte mehrere Flugtickets auf den Tisch. »Alles erledigt. Dafür ist unser letztes Bargeld draufgegangen. Wir sind blank.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Spielt keine Rolle. Ab jetzt brauchen wir keines mehr.«

Die Frau war beinahe einen Meter achtzig groß, schlank und durchtrainiert. Ihr strohblondes, hüftlanges Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Mit langsamen Schritten ging sie zum Fenster. Von der billigen Absteige aus konnte man den Raumhafen und das Schiff sehen, das sie besteigen würden.

Der Mann beobachtete sie aufmerksam. Sie kannten sich schon lange – schon sehr lange. In früheren Zeiten waren sie ein Paar gewesen. Das war allerdings schon eine gefühlte Ewigkeit her. Es war kurz, aber stürmisch gewesen, eine Zeit, in der sie sich besser kennengelernt hatten als während ihrer gemeinsamen Missionen. Daher musste er auch nicht raten, was für Gedanken sich in ihrem Kopf abspielten. Er wusste es sehr genau. Es war ein Spiegel der eigenen Überlegungen. Trotzdem wartete er, bis sie zu sprechen anfing.

»Ben? Hattest du je Zweifel, über unser Vorhaben?«

Der Mann erwog, es abzustreiten, entschied sich jedoch dagegen. Er respektierte seine Stellvertreterin zu sehr, um ihr irgendwelche Lügen aufzutischen, und seien es auch nur Halbwahrheiten.

»Ja«, gab er unumwunden zu.

Sie wandte sich ihm zu. »Wir könnten die Sache immer noch abblasen.«

Er zog eine Augenbraue noch. »Könnten wir das? Bist du dir da sicher? Könnten wir uns einfach abwenden und unser altes Leben aufnehmen? Die Toten in Frieden ruhen lassen?«

Sie wandte sich ab und sah erneut durchs Fenster. »Ich … ich weiß nicht.«

Der Mann legte Waffe und Magazin zurück auf den Tisch, stand auf und gesellte sich zu seiner langjährigen Kameradin. Mitfühlend legte er ihr die Hand auf die Schulter.

»Das könnten wir nicht«, beschied er. »Schon nach kurzer Zeit wären wir unzufrieden. Wir würden an die Menschen denken, die wir verloren haben. Wir haben ein Recht auf unsere Rache – und unsere Toten haben es auch.«

»Wir rächen uns aber nicht nur an den Schuldigen, sondern auch an den Unschuldigen.«

»Unsere Leute waren auch unschuldig.« Seine Stimme verkam zu einem leichten Knurren. Diese Diskussion hatten sie in den letzten drei Jahren immer wieder geführt. Mit demselben Ergebnis. Diese Mission war wichtig. Sie war wichtig, um das Konglomerat aufzurütteln. Krieg war kein Spiel. Viele schienen das vergessen zu haben, vor allem diejenigen, die am anderen Ende des Konglomerats in Sicherheit lebten und noch nie einen ruulanischen Angriff hatten miterleben müssen. Es wurde Zeit, eine Botschaft zu senden. Und seine Botschaft würden alle verstehen, dafür würde er sorgen.

Seine Begleiterin machte den Anschein, noch etwas sagen zu wollen, schloss dann jedoch den Mund und nickte niedergeschlagen.

»Sind alle auf ihren Plätzen?«

Sie nickte erneut wortlos.

»Wann startet das Schiff?«

»In fünf Stunden. Spätestens in drei müssen wir einchecken.«

Der Mann kehrte an den Tisch zurück. »Gut. Dann geht es also los – und diesmal wird uns niemand ignorieren, Diana. Das verspreche ich dir.«

Er führte das Magazin in seine Waffe ein und lud sie mit mechanischem Schnappen durch.

1

Kapitän Daniel Carmichael schreckte aus seiner Koje hoch. Er wischte sich über die Stirn. Sie war schweißnass und klamm. Mit einer knappen Handbewegung wies er den Schiffscomputer an, das Licht in seiner Kabine einzuschalten.

Der Computer gehorchte ohne Verzögerung. Mit einem Mal war es taghell. Das Licht vertrieb die Schatten und die darin lauernden Schrecken der vergangenen Nacht.

Er schlug die Decke beiseite, stand auf und ging ins Bad. Mit Ausnahme der Passagierkabinen und des Quartiers seines Ersten Offiziers war seine Kabine die einzige, die über ein Bad verfügte. Damit war sie beinahe schon verschwenderisch ausgestattet. Ein Luxus, an den er sich – wie er sich eingestehen musste – leider schon zu sehr gewöhnt hatte.

Er zog seinen Pyjama aus, stellte das Wasser an und trat in die Duschzelle. Er stützte sich mit beiden Händen gegen die kalten Fliesen, während er jeden Wassertropfen genoss, der über seine Haut lief.

Sein Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals. Sein Atem ging nur stoßweise. Das heiße Wasser kondensierte und bildete kleine, feine Tropfen an den Wänden der Zelle. Er konzentrierte sich darauf. Sein Atem kam langsam zur Ruhe.

Jede Nacht derselbe Albtraum. Jede Nacht dasselbe Prozedere. Daniel schluckte. Er stellte das Wasser ab, trat aus der Zelle, trocknete sich ab und zog seine Kapitänsuniform an.

Sein Blick flog zu seinem Nachttisch. Fast gegen seinen Willen setzten sich seine Füße in Bewegung. Ohne es zu wollen, kam er vor der obersten Schublade zum Stehen. Er öffnete sie und holte eine kleine Dose heraus. Er schüttelte sie leicht.

Die kleinen Pillen im Inneren klapperten, als sie wild umherflogen. Er schluckte erneut. Daniel öffnete die Dose und holte zwei von ihnen heraus. Er starrte sie einen Augenblick missmutig an, nicht wissend, was er tun sollte. Doch dann stopfte er sie sich in den Mund und warf den Kopf in den Nacken, um sie herunterzuschlucken. Sofort stellte sich ein zufriedenes, wohliges Gefühl ein, das von seinem Magen ausging – aber gleichzeitig auch ein schlechtes Gewissen.

Wüssten seine Schiffskameraden, wie es ihm ging und was er tat, um seinen Dienst überhaupt verrichten zu können, hätten sie keine Wahl. Sie würden ihn seines Kommandos entheben und in seinem Quartier unter Arrest stellen müssen. Anschließend müssten sie die Personalabteilung der Wagner-Reederei informieren, der der Luxusliner Sternentraum gehörte.

Daniel seufzte und erinnerte sich an vergangene Tage. Wie weit war es nur mit ihm gekommen?

Der Kapitän der Sternentraum verschloss die Dose wieder und stopfte sie zurück in die Schublade, die er anschließend verschloss.

Er verließ seine Kabine und begab sich auf direktem Weg auf die Brücke. Auf dem Korridor begegneten ihm bereits unzählige Besatzungsmitglieder. Zimmermädchen, die sich auf den Weg zu ihrem Dienst machten, um die letzten Vorbereitungen für die eintreffenden Gäste vorzunehmen, Stewards auf dem Weg zu den acht Speisesälen des Schiffs, um letzte Hand an das Begrüßungsbuffet zu legen, Techniker, die das ganze Schiff überhaupt am Laufen hielten, und, und, und.

Jeder Einzelne nahm sich ein paar Sekunden Zeit, den Kapitän freundlich zu grüßen. Daniel setzte ein nichtssagendes Lächeln auf, obwohl ihm gar nicht danach zumute war. Es wurde vom Kapitän erwartet, ständig gute Laune und immer alles im Griff zu haben. Wenn die wüssten …

Andreas Wagner, Erster Offizier des Kreuzfahrtschiffes Sternentraum, streckte sich genüsslich unter der Decke. Er kicherte verhalten, als ihn etwas unter der Decke neckte. Er schlug die Decke zurück und augenblicklich kam ein Rotschopf zum Vorschein.

Sarah Dumont war die Chefingenieurin der Sternentraum – und Andreas’ Gespielin. Sie war gut in ihrem Job, keine Frage. Die Versetzung auf das Flaggschiff der Wagner-Reederei hatte jedoch Andreas selbst veranlasst. Dies schien eine richtig langweilige Fahrt mit richtig langweiligen Personen an Bord zu sein, die alle viel mehr Geld als Persönlichkeit aufwiesen. Von einem griesgrämigen Kapitän, der keinerlei Sinn für Humor zu haben schien, ganz zu schweigen. Da war es gut, ein wenig Abwechslung an der Hand zu haben – und auch an anderen Körperteilen.

Sarah begann erneut, ihn an gewissen Stellen zu kneifen, was meistens der Auftakt zu einem schnellen Vorspiel, gefolgt von ausgiebigem und leidenschaftlichem Sex war. Doch diesmal schob er sie schweren Herzens von sich.

Sie warf ihm einen verführerischen Blick zu und zog einen Schmollmund. »Keine Lust?«

»Keine Zeit«, erwiderte er. »Meine Schicht beginnt bald und wir müssen uns auf die Ankunft der Passagiere vorbereiten.«

Er musste sich dazu zwingen, aufzustehen und Sarahs Nacktheit zu ignorieren. Gewisse Teile von ihm protestierten angesichts einer Selbstbeherrschung, die sie als völlig sinnlos erachteten.

»Er wird dir schon nicht den Kopf abreißen, mein kleiner Hoppelhase.«

Andreas seufzte. Er hasste den Spitznamen, den sie ihm verpasst hatte, da er genau wusste, worauf er abzielte: seinen furchtbaren Überbiss. Doch er hatte auch einen für sie, den sie ebenso abstoßend fand.

»Da wäre ich mir gar nicht so sicher, meine kleine Hexe.«

Der Spitzname zielte auf ihr rotes Haar ab. Er wusste, sie war als Kind deswegen gehänselt worden und litt zuweilen immer noch unter leichten Komplexen. Erneut zog sie einen Schmollmund, stieß dann jedoch ein prustendes Lachen aus. Andreas wusste genau, dass sie ihm nie lange böse sein konnte.

Er zog sich sein Uniformhemd über und warf ihr ihres zu. »Zieh dich an. Deine Schicht beginnt auch gleich.«

»Spielverderber«, gab sie zurück und stand auf, wobei Andreas noch mehr von ihrem Körper zu sehen bekam. Und ein weiteres Mal verfluchte er seine Selbstbeherrschung.

Daniel Carmichael erreichte mit leichtem Schritt die Brücke, wo er bereits von seinem Ersten Offizier Andreas Wagner erwartet wurde. Die Frisur des Mannes wirkte leicht zerzaust. Ein ungewohnter Anblick bei einem Offizier, der normalerweise höchste Ansprüche an sein eigenes Aussehen stellte.

Der Mann war der Sohn des Reedereieigners und sollte sich als XO eines seiner Luxusliner seine Sporen verdienen, um später sein eigenes Schiff und danach irgendwann die Reederei übernehmen zu können.

Daniel hatte keine besondere Meinung zu dem Mann – weder positiv noch negativ. Er tat seine Arbeit und erledigte, was von ihm erwartet wurde – und nichts darüber hinaus. Er zeichnete sich durch ein gewisses Maß an Fantasielosigkeit aus. Daniel hoffte, dass dessen alter Herr noch lange unter den Lebenden weilte. Ihm schwante Übles für die Zukunft der Reederei, sobald Andreas in die Führungsetage aufstieg.

Daniel sah aus dem Frontfenster auf die Stadt Derrenger, wo sie derzeit vor Anker lagen – wie es auch im Zeitalter interstellarer Reisen immer noch hieß. Derrenger war die Hauptstadt des Planeten Yukon. Ein passender Name, wenn man bedachte, dass diese Kolonie von den vierhundertdrei Tagen, die eine Umkreisung um die hiesige Sonne dauerte, dreihundertzweiundzwanzig Tage unter einer Schneedecke begraben lag.

Ironischerweise gelangte der Planet gerade deshalb zu Wohlstand, da er sich in den letzten fünfzig Jahren zu einem beliebten Skigebiet für die Schönen und Reichen entwickelt hatte.

Andreas Wagner nickte seinem Kapitän grüßend zu, trat näher und reichte ihm eine Tasse Kaffee. »Schwarz, ohne Zucker«, meldete sein Erster Offizier grinsend.

Daniel nahm sie dankend an und schlürfte daran. Der Kaffee war noch kochend heiß. Er setzte die Tasse ab. »Und? Was liegt als Nächstes an?«

Sein XO reichte ihm den neuen Flugplan. »Eine Abenteuerreise für die gelangweilte Oberschicht.«

Daniel verdrehte die Augen. »Nicht schon wieder.«

»Oh doch«, bestätigte Wagner.

Daniel seufzte. Für manche Menschen schien der Krieg derart weit weg zu sein, dass sie ihn für abenteuerlich und beinahe schon exotisch hielten. Die Wagner-Reederei hatte daraus ein Geschäft gemacht – und ein äußerst lukratives dazu.

Die Reederei verkaufte zu horrenden Preisen Tickets an Menschen, die sie sich leisten konnten, um diese privilegierte Oberschicht so nahe an die RIZ zu fliegen, wie es das Militär als gerade noch sicher einstufte. Anschließend wurden in einer Art Besichtigungstour Planeten angeflogen, die schon einmal von den Ruul besucht worden waren. Einige der Orte, die sie anfliegen würden, wie zum Beispiel die Maguire-Kolonie waren sogar einmal Schauplatz berühmter Schlachten gewesen.

Daniel schüttelte den Kopf. Wie gelangweilt musste man sein, um sich am Elend und dem Tod unzähliger Menschen aufzugeilen?

Natürlich flog man nur Welten an, in deren Umfeld schon lange nichts mehr passiert war und die das Militär regelmäßig kontrollierte. Zu diesem Zweck reichte man einen Flugplan ein, den das Militär abnicken musste, bevor man überhaupt daran denken konnte, die Fahrt anzutreten.

Der Vorsitzende der Wagner AG, der alte Wagner höchstselbst, wollte zwar eine Menge Kohle mit diesen Touren verdienen, aber seine Kundschaft tot sehen wollte er natürlich nicht. Aus diesem Grund hielt man sich von den Ruul so fern wie nur irgend möglich. Die Fortress-Linie selbst durfte man freilich ebenfalls nicht anfliegen. Von der Welt Fortress aus galt ein Flugverbot für den zivilen Schiffsverkehr in Form einer Sphäre mit einem Radius von fünfzig Lichtjahren. Somit erlebten die Herrschaften Geldsäcke den Nervenkitzel, ein Kriegsgebiet zu besichtigen, ohne jemals wirklich in Gefahr zu geraten. Natürlich sagte das denen niemand. Je größer der Nervenkitzel, desto lockerer saß das Geld der Fluggäste.

Daniel schnaubte, unterdrückte den Anflug an Trotz aber sofort wieder. Das war nicht sehr professionell.

»Zeigen Sie mal her, was sich Ihr alter Herr diesmal für eine Route ausgedacht hat«, sagte der Kapitän des Luxusliners und nahm den Flugplan entgegen. Bei der Erwähnung seines Vaters verzog sein Erster Offizier keine Miene.

Wagner kannte Daniels Meinung dazu und ertrug die bisweilen spitzfindigen Bemerkungen seines Vorgesetzten ohne Murren. Das war Daniel beinahe schon wieder sympathisch – wäre er nicht sicher gewesen, dass sein Erster Offizier seinen Unmut lediglich unter der gelassenen Oberfläche sammelte, um sie Daniel zurück in den Rachen zu stopfen, sobald er am längeren Hebel saß.

Er hätte sich darüber Sorgen machen müssen, wenn ihm nicht inzwischen alles mehr oder weniger egal gewesen wäre. Daniel studierte den Flugplan eingehend.

»Wann ist er reingekommen?«, fragte er, ohne aufzublicken.

»Gestern. Da ich wusste, dass Sie nicht gestört werden wollten …« Wagner ließ den Satz vielsagend ausklingen.

Daniel nickte lediglich. »Ist schon gut.« Er hob eine Augenbraue. »Wie ich sehe, geht es diesmal so dicht an die Fortress-Linie, wie es nur geht – und die Freigabe des Militärs ist auch schon da.« Daniel schnaubte belustigt. »Wagner hat mal wieder alle Register gezogen und sein Portemonnaie gezückt.« Der wenig subtile Hinweis, sein Vater hätte die richtigen Kanäle mal wieder geschmiert, rief bei seinem Sohn jetzt doch ein Stirnrunzeln hervor. Daniel nahm sich vor, seine Meinung zukünftig für sich zu behalten. Er war sich allerdings nicht sicher, ob er sich daran würde halten können.

Er klappte den Ordner mit dem Flugplan und den erforderlichen Unterlagen zu und reichte sie seinem Ersten Offizier zurück. »Wir starten so bald wie möglich«, wies er den Mann an. Dieser nickte. »Die letzten Passagiere steigen gerade ein. Ich denke, wir sind in einer Stunde so weit.«

Daniel nickte erneut und warf einen immer noch leicht verschlafenen Blick zum Fenster hinaus. Eigentlich hätte er unten sein müssen, um die gut betuchten Passagiere an Bord willkommen zu heißen. Sie zahlten nicht nur für den Flug an sich, sondern auch für das ganze Drumherum, das ihnen das Gefühl gab, etwas Besonderes zu sein. Doch für ihn waren das lediglich Parasiten da unten und er konnte nicht über seinen Schatten springen. Er befürchtete, er würde seiner Meinung Ausdruck verleihen, wenn er ihnen die Hand schüttelte. Also ließ er es.

Daniel zuckte die Achseln. Er würde es wiedergutmachen, indem er einige von ihnen während des Begrüßungsdinners am Tisch des Kapitäns sitzen ließ. Das würde ihnen sicherlich gefallen.

Er ging zur Bordsprechanlage und wählte die Nummer des diensttuenden Stewards. Der Mann meldete sich sofort. Es gab so viele von ihnen an Bord, dass sich Daniel gar nicht die Mühe machte, auf den Namen zu achten.

»Stellen Sie eine Liste infrage kommender Gäste für den Tisch des Kapitäns zusammen und schicken Sie sie auf die Brücke.«

Er wartete gar nicht auf die Bestätigung des Mannes und kappte die Verbindung. Yukon sah so friedlich aus unter seiner jungfräulichen Schneedecke. Daniel nahm die Tasse Kaffee auf und schlürfte erneut daran. Nun hatte sie die richtige Temperatur. Daniel lächelte zufrieden. Er konnte es gar nicht erwarten, diese Welt zu verlassen. Er hasste Schnee.

Chefingenieurin Sarah Dumont eilte in ihrem verdreckten Overall von einem Krisenherd zum anderen. In dieser Phase der Startvorbereitungen gab es immer etwas zu tun und immer brach irgendwo der Weltuntergang aus.

Die Sternentraum war ein altes Schiff, aber noch so gut in Schuss, dass sie jeden Penny, den die Passagiere zahlten, wert war. Und Sarah schrieb es ihrer Fürsorge zu, dass der Luxusliner noch so gut dastand.

»Boss?«, rief einer ihrer Leute auf der Galerie zwei Ebenen über ihr. Sie reckte den Kopf, um den Mann überhaupt sehen zu können.

»Was ’n los?«, nuschelte sie, ungehalten darüber, dass wohl schon wieder irgendeine Krise ausgebrochen war und ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erforderte.

Doch anstatt zu antworten, rannte der Mann über die Galerie und hinterließ bei jedem Schritt ein schepperndes Geräusch. Als er direkt über ihr war, streckte er seinen Kopf über das Geländer und blinzelte sie aus großen Augen an.

»Und?«, fragte sie erneut. »Erzählst du mir jetzt, was los ist, oder muss ich raten?«

Der Mann deutete nach oben. Sie folgte dem Wink. Dort standen zwei Techniker und wirkten etwas fehl am Platz. Sie schienen auf irgendetwas zu warten. »Wissen Sie etwas von zwei Neuzugängen?«

Sarah runzelte die Stirn. »Für uns? Nee, keine Ahnung.«

»Sie haben gültige Papiere«, meinte der Mann. »Von der Personalabteilung abgesegnet. Scheinen von einer Zeitarbeitsfirma zu kommen und nur für diese Fahrt angeheuert worden zu sein. Was soll ich mit denen machen, Chief?«

Sarah überlegte. Eigentlich hätte man sie über personelle Änderungen informieren müssen. Sie verfluchte die Sesselfurzer in der Personalstelle der Wagner-Reederei und überlegte angestrengt. Zwei zusätzliche Paar Hände waren eigentlich gar nicht so übel und immer zu gebrauchen.

»Setz einen bei den Zuleitungen des ISS-Antriebs ein. Er soll den Energiefluss überprüfen. Der andere soll bei der Vierundzwanzig-Stunden-Wartung helfen. Die brauchen immer Leute.«

Der Mann nickte und sein Kopf verschwand aus ihrem Sichtfeld. Sarah schüttelte leicht ihr Haupt und nahm sich vor, nach ihrer Rückkehr ein ernstes Wort mit den Typen vom Personalbüro zu reden. Über solche Neuerungen muss man doch informiert werden.

Ben und Diana schlenderten Hand in Hand über die schmale Zugangsschleuse, die den VIP-Bereich des Raumhafens mit dem Luxusliner verband.

Vom Altersunterschied her hätten sie leicht Vater und Tochter sein können. Sie gingen jedoch als Mann und Frau – offiziell. Die meisten, die sie sahen, würden jedoch annehmen, es handele sich um einen reichen Geschäftsmann und seine wunderschöne, sexuell äußerst aktive und im Unterhalt extrem teure Gespielin.

Anfangs hatte sich Ben Sorgen gemacht, ob sie mit dieser Tarngeschichte durchkamen. Doch nun, als er sah, wie viele ältere Herren in Begleitung junger Damen die Schleuse hinaufspazierten, entspannte er sich sichtlich.

Er beobachtete die Männer einen Moment eingehend. Ihre Schritte wirkten nicht, als würden sie sich für ihre Begleiterinnen schämen oder als wären sie ihnen peinlich. Im Gegenteil, sie vermittelten eher den Eindruck, als wären die jungen Frauen nichts anderes als schmückendes Beiwerk. Eine juwelenbesetzte Uhr, die andere gerne bestaunen durften, damit sie wussten, was man an Vermögen besaß. Und noch etwas fiel ihm auf: Die jungen Damen durften gesehen, aber keinesfalls gehört werden. Ihre Meinung war – Gott bewahre – ihren männlichen Begleitern herzlich egal. Ben passte seine Bewegungen an, imitierte die Männer in seiner Umgebung. Es war von größter Wichtigkeit, als einer von ihnen durchzugehen. Nach einigen Minuten war er mit dem Endeffekt zufrieden.

Er bemerkte, wie ihn Diana amüsiert musterte. »Bist du jetzt fertig?«, fragte sie.

»Wir müssen authentisch sein«, versetzte er ungerührt.

»Verstehe«, erwiderte sie immer noch schmunzelnd.

Das Ende des Tunnels kam immer näher. Beide konzentrierten sich nun darauf. Zu beiden Seiten warteten Offiziere des Schiffes in ihren weißen, makellosen Uniformen. Ben musterte sie mit fachmännischer Kompetenz.

Bei zweien von ihnen handelte es sich um Stewards, das war ganz offensichtlich. Doch vier andere gehörten der Sicherheitsmannschaft an Bord an. Allein schon ihre Statur schrie das förmlich hinaus. Die Muskelpakete wölbten die Uniformen nach außen und schienen beinahe die Nähte platzen lassen zu wollen. Ben verzog leicht die Mundwinkel nach oben. Die Reederei legte also von Anfang an viel Wert auf Sicherheit. Das war bei zivilen Gesellschaften nicht direkt Standard und enttäuschte ihn irgendwie. Es machte seine anstehende Aufgabe nicht wirklich einfacher.

»Ben?«, murmelte Diana warnend.

»Ich sehe sie«, erwiderte er. »Wir machen weiter wie geplant. Die Fleischberge können uns ohnehin nicht gefährlich werden.« Ihm war klar, dass er sich unverzeihlich arrogant anhörte. Ein Gegner war grundsätzlich gefährlich. Etwas anderes anzunehmen war sträflich nachlässig. Und Ben war kein nachlässiger Mann.

Sie kamen näher. Alle lächelten sie freundlich an. Der Steward, der das Sagen hatte, gab jedem von ihnen die Hand und sie mussten sich in ein Buch eintragen.

Ein Buch aus Papier und ein edler Kugelschreiber. Ben zog erneut eine Augenbraue hoch. In einem Zeitalter, das sich zu Recht damit rühmte, alles Mögliche zu digitalisieren, eine echte Rarität. Ben schätzte Raritäten und so genoss er es richtig, seinen falschen Namen mittels des Kugelschreibers in das Buch einzutragen.

Er erhob sich wieder und reichte Diana den Stift weiter. Dabei warf er den Sicherheitsleuten einen Blick zu, der aussagte: »Ganz recht, das ist meine. Ihr dürft sie ansehen, aber nicht anfassen.« Die Sicherheitsleute lächelten wissend zurück und warfen sich vielsagende Blicke zu. Derlei Anspielungen erlebten sie anscheinend nicht zum ersten Mal an diesem Tag. Ben war richtig stolz auf sich, hier in richtiger Form aufzutreten.

Diana bückte sich, um die Unterschrift zu tätigen, und ermöglichte damit sowohl Stewards als auch Sicherheitsleuten einen ungehinderten Blick auf ihr pralles und wohlgeformtes Dekolleté.

Während sich die Sicherheitsleute ganz auf Diana konzentrierten, nutzte Ben die Gelegenheit, sich umzusehen. Dabei entdeckte er ziemlich Interessantes. Die Zugangsschleuse zum Schiff, in der sie sich gerade befanden, war nichts anderes als ein sehr hoch entwickelter Scanner, der in der Lage war, Sprengstoffe, Waffen und auch die meisten Schmuggelgegenstände aufzuspüren. Er verkniff sich ein Lächeln. Zum Glück hatten sie es gar nicht nötig, Waffen an Bord zu schmuggeln. Alles, was sie benötigten, befand sich bereits vor Ort.

Des Weiteren waren die Sicherheitsleute zwar nicht bewaffnet, verfügten aber über eine große Bandbreite nicht tödlicher Hilfsmittel, um einen Gegner außer Gefecht zu setzen. Wenn Ben sich nicht irrte – was praktisch nie vorkam –, dann lugte bei jedem aus der Brusttasche der obere Teil einer Pfefferspraydose hervor und das Jackett wurde auf Höhe der Hüfte von einem Stunner ausgebeult. Die pistolenartige Waffe war in der Lage, einen Angreifer auf kurze bis mittlere Distanz ins Reich der Träume zu schicken – auf recht unsanfte Weise. Ben hatte schon erlebt, wie sich gestandene Männer nach Kontakt mit einem Stunner in die Hose gemacht hatten. Eine Demütigung, die er tunlichst vermeiden wollte.

Diana erhob sich wieder, sehr zur Enttäuschung aller Anwesenden. Nachdem die leidige Prozedur nun zu einem Ende gebracht worden war, erhielten beide einen Begrüßungscocktail und wurden freundlich, aber bestimmt in eine Lounge im oberen Teil des Schiffes weiterbugsiert.

Einer der Sicherheitsleute – ein Bulle von Mann mit kurz geschnittenen braunen Haaren und einem beeindruckenden Brustkorb – zwinkerte Diana zu, die die Geste erwiderte.

Ben lächelte insgeheim, während er den luxuriös ausgestatteten Gang entlangging.

»Das war es«, meinte er tief aufatmend. »Eine der schwersten Hürden ist geschafft. Wir sind an Bord.«

»Ich hoffe, es bleibt so einfach«, erwiderte Diana gepresst.

Ben konnte ihr da nur zustimmen.

»Alle Passagiere an Bord«, meldete sein Erster Offizier.

Daniel Carmichael nickte zufrieden. »Na endlich. Dann heben wir jetzt ab, Andreas.«

»Aye, Sir.«

Der Erste Offizier gab die erforderlichen Anweisungen und schon bald hob die Sternentraum auf ihren Schubdüsen ab Richtung Atmosphäre. Im Besucherbereich des Raumhafens warteten Hunderte von Angehörigen und verabschiedeten das Raumschiff durch enthusiastisches Winken. Die Passagiere befanden sich derzeit in einer der Lounges des Schiffes, um den Flug ins All aus der ersten Reihe mitzuerleben.

Ben lächelte. Der schwierigste Teil der Reise war geschafft. Von nun an wurde bis zu ihrer Rückkehr alles sehr viel einfacher.

2

Der Master Sergeant, der das Begräbniskommando anführte, stand stramm und schrie mit durchdringender Stimme: »Aaachtung!«

Augenblicklich fielen dreihundert Stiefel an ihren Platz, als alle Männer und Frauen, die in der Halle an Bord der Prince of Wales Platz fanden, in Habachtstellung verfielen.

Major Alan Foulder von den ROCKETS ließ die beiden Särge nicht aus den Augen, die mittels eines Fließbands in Position gebracht wurden, um ins All katapultiert zu werden. In einem der Särge befanden sich die sterblichen Überreste von Esteban Garzia, der andere war leer. Von Renée Jonois war nichts mehr übrig, was man hätte beisetzen können.

Alan ließ den Blick in die Runde schweifen. Natürlich waren alle Mitglieder des Panther-Trupps anwesend – sofern sie überlebt hatten natürlich. Alan schluckte schwer. Ein ROCKETS-Team bestand aus neun Mitgliedern, doch wenn er an die vergangenen Jahre dachte, so schien es, als würde das Team ständig unter Sollstärke bleiben. Sie hatten in den vergangenen Jahren so viele Opfer und Verluste erlitten. Manchmal fragte er sich, warum er überhaupt noch weitermachte.

Er konzentrierte sich wieder auf die Beisetzungszeremonie. Fast das vollständige Offizierskorps der Prince of Wales war anwesend – einschließlich Hoffer höchstselbst. Die Schlacht um Arvino war etwa zwei Monate her und die Verletzungen, die sich der Admiral während der Schlacht zugezogen hatte, waren fast vollständig verheilt. Alan wusste es zu schätzen, dass der alte Kauz persönlich teilnahm.

Estebans Leiche hatte die letzten acht Wochen in einer Kryokammer an Bord von Hoffers Flaggschiff zugebracht. Man war übereingekommen, den Gefallenen des Panther-Trupps ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren zukommen zu lassen, sobald Estebans und Renées Familien hatten anreisen können.

Die Prince of Wales umkreiste derzeit den Stützpunkt auf Fortress in einem hohen Orbit. Es war eine Sondererlaubnis notwendig gewesen, damit die Angehörigen hatten anreisen können, da Zivilisten zum Sperrgebiet der Fortress-Linie eigentlich keinen Zugang hatten.

Alan musterte sie eingehend. Alle rangen um Fassung. Die Eltern beider gefallenen Kameraden, Estebans Bruder, Renées Bruder und Schwester und sogar Estebans Exfrau. Alan schmunzelte kurz, besann sich dann jedoch, wie unpassend das hier war, und verkniff es sich. Er hoffte, niemand hatte seinen kleinen Fauxpas bemerkt. Es war nur so … er hatte gar nicht gewusst, dass Esteban einmal verheiratet gewesen war. Er zuckte innerlich die Achseln. Es hatte wohl jeder so seine Geheimnisse.

Hoffer trat nun ans Rednerpult und sprach ein paar Worte. Alan versuchte aufmerksam zu lauschen, doch es gelang ihm nicht wirklich.

Die Rede des Admirals blieb würdevoll und – erfreulicherweise – kurz. Der Admiral trat zurück. Der Master Sergeant in seiner schneidigen Ausgehuniform trat an die Särge und befahl mit einem Wink, sie in Position zu bringen. Aus den Lautsprechern der Halle drang blechern die Zapfenstreichmelodie. In früheren Zeiten hatte diese Aufgabe ein richtiger Trompeter mit einem richtigen Instrument ausgefüllt. Nun kam es vom Band. Es klang seltsam unnatürlich und unpassend.

Die beiden Särge kamen in die Abschusskammer und der Zugang wurde verschlossen. Dann – auf ein weiteres Zeichen des Master Sergeants – wurden die beiden Särge hinauskatapultiert in Richtung der Sonne von Fortress.

Die Entfernung war recht groß und sie würden vermutlich Tage oder Wochen für den Weg benötigen, bevor sie endlich in der Korona verglühten. Ehrlich gesagt hätte Alan ein Begräbnis auf der Erde vorgezogen. Doch sowohl Esteban als auch Renée hatten auf ebendiese Beisetzung bestanden. Beide hatten den Gedanken nicht ertragen können, auf einem der unzähligen Soldatenfriedhöfe der Erde verscharrt zu werden.

Je zwei Marines falteten eine Fahne des Konglomerats. Der Master Sergeant nahm erst eine und übergab sie Renées Eltern, bevor er die zweite Estebans Exfrau in die Hand drückte. Bei jeder Übergabe murmelte der Sergeant ein paar Worte, die Alan nicht verstand. Das war auch nicht nötig. Er kannte sie auswendig.

Von einer dankbaren Nation.

Alan schnaubte und konnte seine Verachtung kaum verhehlen. Wenn diese Nation so dankbar war, warum ließ sie dann Veteranen nach deren Entlassung mittellos zurück oder übergab sie dem Vergessen in irgendwelchen Sanatorien? Er schüttelte den Kopf und warf einen weiteren Blick auf Renées und Estebans Familien. Nein, das Konglomerat konnte ihm längst gestohlen bleiben nach allem, was er in den letzten Jahren erlebt hatte. Er kämpfte nur noch für Menschen wie diese.

Die Anwesenden stellten sich nun an, um den Angehörigen zu kondolieren. Das Team stand bereits in der Schlange. Alan beeilte sich, um nicht das Schlusslicht bilden zu müssen. Es dauerte fast eine dreiviertel Stunde, bis er an der Reihe war, und es war keine Übertreibung zu sagen, er war froh, als es vorbei war. Diesen Teil hasste er besonders: den Angehörigen gegenüberzutreten, die Anklage in ihren Blicken ertragen zu müssen. Der Blick eines Hinterbliebenen sagte vieles. Das Schlimmste war: Du hast überlebt, mein Liebster nicht. Warum?

Das Team versammelte sich, um sich noch etwas zu unterhalten. Alan wollte sich ihnen anschließen, doch dann bemerkte er eine schlanke Gestalt im hinteren Teil der Halle. Der Mann konnte noch nicht lange dort stehen. Als die Beisetzung begonnen hatte, war er nicht dort gewesen, da war sich Alan sicher.

Zielsicher schlenderte er auf den Offizier zu und salutierte vor ihm. Dieser Mann gehörte zu den wenigen innerhalb des Militärs, die er immer noch respektierte. Nicht zuletzt, weil er Alans Wertvorstellungen teilte und weniger für die Regierung in diesem Krieg kämpfte als vielmehr für die Menschen.

Brigadier General David Coltor erwiderte die Ehrenbezeugung. Er senkte die Hand, was Alan zum Anlass nahm, ebenfalls seine Hand herunterzunehmen. David Coltor nahm seine Kopfbedeckung ab und Alan konnte sich entspannen und dem Mann die Hand geben wie unter Gleichgestellten. David lächelte, als er sie nahm und fest drückte.

»Das mit Ihren Verlusten tut mir leid«, begann der General das Gespräch mit ernster Miene.

Alan zuckte die Achseln mit mehr Leichtigkeit, als er empfand. »Das ist der Krieg. Mehr kann man dazu nicht sagen. Aber was machen Sie hier? Ich dachte, Sie sind auf der Erde.«

»War ich auch. Ich hatte hier im Frontgebiet einiges zu regeln und verbinde das Ganze mit einer unangekündigten Inspektion einiger Stützpunkte. Einige Kommandeure neigen dazu, mit der Zeit etwas schludrig zu werden.«

»Dem kann ich leider nichts hinzufügen«, bemerkte eine neue Stimme. Alan wandte sich ihr zu – und stand instinktiv stramm.

Der Offizier winkte ab. »Stehen Sie bequem, Major.«

Alan verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Die Bewegung war ihm so in Fleisch und Blut übergegangen, dass er gar nicht darüber nachdachte.

»Major Alan Foulder«, stellte David den Neuankömmling vor, »das ist Major General Simon Archer. Die Stützpunkte, die wir besuchen, unterstehen ihm.«

General Archer lächelte bei der Erwähnung seines Befehlsbereichs etwas gequält. »Ich hoffe nur, wir finden nicht unangenehm viele Punkte, die in Ihrem Bericht negativ vermerkt werden.«

David neigte leicht den Kopf. »Das werden wir sehen, aber besser, wir stoßen auf etwaige Schwachstellen als die Ruul.«

»Natürlich«, erwiderte der General.

Alan betrachtete den Mann eingehend. Er war etwa gleich groß wie Coltor, also einen Meter siebzig. Er hatte volles dunkles Haar, war aber gut sechzig Jahre alt. Alan rümpfte leicht die Nase. Der Mann färbte sich also die Haare. Das ließ darauf schließen, dass er eitel war, und Alan konnte eitle Offiziere nicht leiden.

Auf seiner Brust prangten die Abzeichen einiger Feldzüge und Schlachten, was Alans Meinung von dem Offizier deutlich hob. Doch darunter hingen mehrere Orden – darunter auch die Tapferkeitsmedaille. Kein Offizier war verpflichtet, sie die ganze Zeit über zu tragen. Tatsächlich schmückten nur die wenigsten Offiziere ihre Uniform mit erhaltenen Auszeichnungen, schon gar nicht in Kriegszeiten. Das sagte Alan alles, was er wissen musste. Der Mann war ein Angeber und prahlte gern mit seinen Heldentaten. Dies sorgte dafür, dass seine Achtung vor dem Mann abermals ins Bodenlose absackte. Der Mann mochte vielleicht ein guter Offizier sein. Immerhin bekam man die Tapferkeitsmedaille nicht fürs Nichtstun. Doch er war auch eitel und ein Angeber – eine schlechte Kombination bei einem Offizier.

Alan wurde sich bewusst, dass er den General anstarrte, und senkte rasch den Blick. Ein kurzes Blinzeln in David Coltors Richtung zeigte ihm jedoch, dass dieser es bemerkt hatte. Der General nickte leicht, ließ jedoch ansonsten durch nichts erkennen, was er darüber dachte, wenn sein Untergebener offensichtlich gering von einem General dachte.

Stattdessen trat David beiseite und gab den Blick auf eine junge Frau in schwarzer MAD-Uniform frei. »Und das ist Lie… Captain Deborah Kirelsky. Sie begleitet uns als Sicherheitsexpertin und soll die Notfallsysteme der Stützpunkte auf Herz und Nieren prüfen.«

Alans Laune hob sich beträchtlich. Na das war ja mal ein Anblick. Die Kleine war richtig süß. Die Rangabzeichen auf ihrer Uniform wirkten noch recht neu und Coltor hatte sie zuerst auch als Lieutenant vorstellen wollen. Sie war also vor Kurzem befördert worden. Dann musste sie gut sein. Coltor war nicht der Typ Offizier, der Beförderungen aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Aussehen vergab. Bei dem Mann zählten nur Leistungen.

Kirelsky … Kirelsky … irgendetwas klingelte da. Etwas, das er vor etlichen Jahren mal gelesen hatte. Unvermittelt riss er die Augen auf. Natürlich, das war es.

»Sie gehörten zum Zweimannteam des MAD, das die Verschwörung auf Starlight aufgedeckt hat. Das war 2151, richtig?«

»2150«, half sie freundlich lächelnd aus. »Wie nett, dass sich daran noch jemand erinnert.«

»Sie sind zu bescheiden«, versetzte Alan. »Das war verdammt gute Arbeit.«

Sie zuckte lediglich mit den Achseln. Ihre Hand kam hoch und streichelte unbewusst die Haut neben ihrem linken Auge. »Ich habe auch einiges dafür geopfert«, erwiderte sie rätselhaft.

Alan sah genauer hin und bemerkte erst jetzt, dass ihr linkes Auge nicht natürlich war, sondern es sich um ein hochwertiges Implantat handelte. Er senkte beschämt den Blick.

»Tut mir leid, das wusste ich nicht.«

»Schon gut. Ist schon lange her und das neue Auge ist in vielerlei Hinsicht besser als das alte.«

Beinahe hätte er ihr das abgekauft, doch er vernahm ein leichtes Vibrieren in ihrer Stimme. Es war keine Unsicherheit oder gar Wut, eher so etwas wie Trauer um das verlorene Körperteil.

»Alan? Hätten sie vielleicht eine Minute für mich?«, wollte Coltor unvermittelt wissen.

»Natürlich«, erwiderte er und war froh, aus dieser misslichen Lage gerettet zu werden.

Die beiden schlenderten mehrere Sekunden lang Seite an Seite durch die Halle, bevor der MAD-General sich räusperte und das Gespräch begann.

»Wie geht es Ihnen, Alan?« Der General deutete auf die sich langsam auflösende Begräbnisgemeinde. »Ich meine, nach alldem hier.«

Alan zuckte unbestimmt mit den Achseln. Auf diese Frage hätte auch er gern eine Antwort. »Ich bin mir nicht sicher. Es …«

»Ja?«

»Es scheint nie voranzukommen.«

»Was meinen Sie?«

»Unsere Kriegsanstrengungen. Einfach alles. Immer wenn wir einen Schritt vorwärts machen, scheint es kurz darauf drei Schritte zurückzugehen.«

Coltor lächelte leicht. »Man könnte auch sagen, das wäre die Natur des Krieges.«

»Scheiß auf den Krieg!«, brach es aus Alan heraus. Doch schon eine Sekunde später bereute er seine Ausdrucksweise. Er wandte sich halb dem neben ihm gehenden General zu und murmelte: »Verzeihen Sie.«

»Oh, ist schon gut, Alan. In Bezug auf den Krieg habe ich schon deutlich schlimmere Ausdrucksweisen gehört.« Der General lächelte. Seine Augen blieben jedoch ernst. »Unter anderem von der Präsidentin.«

Alan verzog leicht die Miene. »Ist nicht wahr!«

»Oh doch.«

Sie erreichten gemeinsam das große Fenster am anderen Ende der Halle. Der Ausblick wäre atemberaubend gewesen, wenn nicht gerade Fortress unter ihnen seine Bahn gezogen hätte. Der Planet war ein karger Klumpen Fels im All. Und als wäre das nicht schlimm genug, war Fortress auch noch ein einziger Militärstützpunkt.

Selbst von hier oben waren die zahlreichen Raumabwehrwaffen, das Netz aus Schützengräben, Landeplattformen und Bunkern sowie die unzähligen Nachschubdepots und Kasernen für die Zigtausenden von Soldaten problemlos zu erkennen. Fortress war zweifelsohne eine Welt, deren Herz nur noch für den Krieg schlug.

Die beiden Soldaten betrachteten einen unendlich scheinenden Moment lang den Planeten unter sich. Plötzlich räusperte sich Coltor erneut. »Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen eröffnen würde, dass der Krieg in einem Jahr vorbei sein könnte?«

Alan sah ruckartig auf und sah seinen Vorgesetzten forschend an. Dieser nahm seinen Blick jedoch zu keinem Augenblick von Fortress. Alan suchte im Gesicht Coltors nach Anzeichen von Sarkasmus, fand jedoch keinen. Der General machte keineswegs Witze.

»Ich würde fragen, wie?«, erwiderte der ROCKETS-Truppführer.

»Es sind mehrere Dominosteine gefallen, die eine Kettenreaktion ausgelöst haben. Und wie es bei Dominosteinen üblich ist, kann man das Endergebnis nun nicht mehr aufhalten. Nicht, bevor nicht auch der letzte Stein gefallen ist.«

»Und der letzte Stein ist?«

David Coltor sah endlich auf und fixierte Alans Blick mit dem seinen. »Das Ende des Krieges.«

»Und erneut frage ich: Wie?«

Coltor lächelte. »Kann ich Ihnen nicht sagen – noch nicht. Aber ich brauche vielleicht ein zuverlässiges Team, das eine Spezialoperation durchführt. Schon sehr bald. Die Kettenreaktion nähert sich ihrem letzten Stein.«

Alan streckte seine Gestalt. »Sie können sich jederzeit auf Team Panther verlassen.«

Coltor streckte die Hand aus und legte sie Alan fast väterlich auf die Schulter. »Daran habe ich nie gezweifelt. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald es so weit ist.« Das Gesicht des Mannes zierte ein wehmütiges Lächeln. »Ich will ehrlich zu Ihnen sein, ich kann das Überleben Ihres Teams nicht garantieren.«

Alan zuckte die Achseln. »Ist doch immer so.«

»Sie verstehen nicht. Ich kann nicht dafür garantieren, dass auch nur einer von Team Panther mit dem Leben davonkommt.«

Alan hob leicht die Augenbrauen, sein Gesicht erstarrte zu einer Maske aus Eis. »Ich verstehe. Wir werden trotzdem unsere Pflicht erfüllen. Und wenn es hilft, diesen verdammten Krieg ein für alle Mal zu beenden, dann umso mehr.«

Der General nickte, offenbar mit der Antwort äußerst zufrieden. »Dann soll es so sein. Wie gesagt, ich melde mich.« Coltor drehte sich um und schlenderte davon.

Alan sah ihm nach und holte tief Luft für die alles entscheidende Frage. »Der letzte Dominostein? Bedeutet es, wir haben gewonnen, sobald er fällt?«

»Fragen Sie mich das in einem Jahr noch mal«, erwiderte Coltor, ohne sich umzudrehen.

3

Kapitän Daniel Carmichael erhob sich geschmeidig und verbarg geschickt seine Müdigkeit. Dabei handelte es sich weniger um eine Müdigkeit des Körpers als vielmehr um eine des Geistes.

Er hob sein Glas Champagner in die Höhe und setzte ein nichtssagendes Lächeln auf.

Im riesigen Hauptspeisesaal der Sternentraum, in dem wirklich nur die fünfhundert betuchtesten und einflussreichsten Gäste Platz fanden, war jedes Augenpaar auf ihn gerichtet. Damit ihn wirklich jeder – auch die in den hintersten Winkeln – ausnehmend gut sehen konnte, wurde seine Gestalt als Hologramm in Überlebensgröße in alle vier Ecken des Saals übertragen. Er hasste diese Art der Selbstdarstellung, doch wurde so was auf einem solchen Schiff vom Kapitän erwartet. Für seine Verhältnisse war das einfach lächerlich.

»Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend und eine abenteuerliche, ereignisreiche Fahrt«, sagte er laut und prostete seinen Gästen in alle Richtungen zu. Diese Worte wurden ihm von der Reederei vorgeschrieben. Gerüchten zufolge hatte der alte Wagner den Toast selbst entworfen. Es würde jedenfalls zu dem alten Fatzken passen.

Die Gäste klatschten eine gute Minute lang enthusiastisch auf eine Art, dass man fast glauben könnte, es interessiere sie wirklich, was der Kapitän sagte oder tat.

Daniel setzte sich und wandte sich seinen Gästen zu. Zu seiner Linken saß sein Erster Offizier Andreas Wagner. Dessen Anwesenheit bei den Abenddinners wurde erwartet und war – wie die des Kapitäns – unverzichtbar. Währenddessen versah der Zweite Offizier Kenjiro Nakamura auf der Brücke seinen Dienst. Die Sternentraum war inzwischen gut drei Wochen unterwegs und näherte sich bereits ihrem ersten Ziel.

Mit seinem leeren Lächeln auf dem Gesicht lauschte Daniel den ebenso leeren Gesprächen und Plattitüden seiner Tischgäste. Da war zum einen eine bildhübsche Schauspielerin von C-Movies und Pornofilmen sowie einem reichen Produzenten, der gleichzeitig ihr Gönner war. Daniel durchschaute sie innerhalb von Sekunden. Sie erhoffte sich durch ihre Liaison mit dem vierzig Jahre älteren Mann den sozialen Aufstieg in mindestens B-Movie-Kategorie und falls möglich den Ausstieg aus der Pornoindustrie. Und wenn Daniels Einschätzung nicht gänzlich danebenlag, würde diese Hoffnung vergeblich bleiben. Die Blicke des Produzenten ließen keinen Zweifel daran, was er von ihr wollte. Sobald er ihrer überdrüssig war, würde er sie fallen lassen und sich der nächsten hoffnungsvollen Schauspielerin zuwenden. Seiner Routine nach zu urteilen begab er sich nicht zum ersten Mal auf einen solchen Pfad.

Neben dem Pornosternchen saßen ein Waffenproduzent und seine Ehefrau. Die Frau schwieg größtenteils, der Mann plapperte im Gegenzug nur so drauflos. Daniel schmunzelte. Die Frau rollte mehrere Male genervt mit den Augen. Sie hielt nicht sonderlich viel von ihrem Mann und war nur mit ihm zusammen, um ihren Lebensstil beibehalten zu können. Sie warf dem Ersten Offizier immer wieder eindeutige Blicke zu, wenn sie sich von allen anderen unbeobachtet fühlte. Wagner ignorierte das, wofür ihm Daniel überaus dankbar war. Affären mit Passagieren brachten immer nur Ärger ein und wurden überdies von der Reederei strikt verboten. Ein fristloser Rausschmiss war im Normalfall die Folge, sollte so was an die Öffentlichkeit gelangen.

Daniel fragte sich, warum sich ausgerechnet ein Waffenproduzent auf eine Besichtigungstour durch ehemalige Kriegsgebiete machte? Wollte der Kerl mit eigenen Augen sehen, was seine Fabriken am Ende bewirkten? Vielleicht. Möglicherweise machte es ihn einfach nur an, das Endergebnis zu bewundern.

Neben dem Ehepaar saßen eine Frau in den Dreißigern und ihr deutlich älterer Begleiter. Die Frau war gute zehn Jahre älter als das Pornosternchen, hielt sich aber mit deutlich mehr Würde und Stolz aufrecht. Außerdem strahlte sie mehr Sexappeal aus, nicht diese plumpe Zurschaustellung von Haut, wie es bei dem Pornosternchen der Fall war. Daniel schätzte so etwas bei Frauen.

Obwohl sie die zwanzig schon hinter sich hatte, handelte es sich bei der Frau offenbar um die Geliebte des Mannes. Beide trugen keinen Ring, wie ihm auffiel, doch sie hielten Händchen, was Daniel eigentlich ganz süß fand. Die beiden beteiligten sich angeregt an den Gesprächen am Tisch, doch ohne wirklich etwas von sich preiszugeben. Das war ein wenig irritierend. Daniel hätte gern mehr über diese zwei gewusst, vor allem über die Frau.

Er schüttelte den Kopf. Nein. Stopp! Das war nicht professionell. Niemals etwas mit Gästen anfangen. Das war an Bord der Sternentraumdie eiserne Regel, die niemals gebrochen werden durfte.

In seinem Ohr knackte es, als sich die Brücke meldete. »Sir?«, drang die Stimme seines Zweiten Offiziers aus dem kleinen ComGerät, das in seiner Ohrmuschel steckte.

Daniel wandte sich leicht ab. Die Gäste durften von der Kommunikation und den regulären Schiffsabläufen so wenig wie möglich mitkriegen. »Ja, Mister Nakamura?«

»Wir fallen demnächst in der Nähe unseres ersten Ziels aus dem Hyperraum.«

»Ausgezeichnet. Öffnen Sie die Kuppel.«

»Aye, aye, Sir.«

Daniel erhob sich und klopfte leise mit einem Löffel gegen das Champagnerglas. Das sanfte Geräusch wurde mittels akustischer Sensoren in den ganzen Saal übertragen. »Wenn ich um Ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte. Wenden Sie Ihre Augen nach oben.«

Alle Anwesenden sahen hoch. Der große Bankettsaal befand sich auf dem Oberdeck der Sternentraum und im Prinzip handelte es sich um eine große Aussichtskuppel. Die Abdeckung schob sich langsam in beide Richtungen in die dafür vorgesehenen Halterungen und gab durch das bruchsichere Glas den Blick ins All frei.

In diesem Moment fiel der Luxusliner aus dem Hyperraum und die Gäste fanden sich inmitten des Sternenmeers wieder. Die Sternentraum flog gerade an einem Planeten mit einem breiten Ringsystem vorbei ins innere System. Voraus war bereits eine grün-braun gefleckte Welt zu erkennen.

Es waren eine Menge Ah und Oh zu hören, dabei war noch gar nichts von Wert zu erkennen. Die meisten der Anwesenden waren wohl noch nie im All gewesen, daher die Reaktionen. Für jemanden, der im All seinen Lebensunterhalt verdiente, war der Anblick noch nicht wirklich spektakulär. Wie er bemerkte, wirkten sowohl die Frau, die ihm aufgefallen war, als auch ihr Begleiter nicht wirklich beeindruckt.

»Meine Damen und Herren«, begann Daniel. »Willkommen im Nebula-Centauri-System. Das System wurde seit Kriegsbeginn mehrmals von den Ruul angegriffen. Einmal sogar so stark, dass die Bevölkerung evakuiert werden musste. Drei Monate später wurde der Planet jedoch von einem terranischen Kampfverband zurückerobert. Wir befinden uns derzeit neunzig Lichtjahre südlich der Fortress-Linie und damit vierzig Lichtjahre außerhalb der militärischen Sperrzone. Seit der Rückeroberung durch terranische Kräfte sind jedoch keine ruulanischen Einheiten mehr in der Nähe verzeichnet worden. Kurz darauf brach die Schlacht um Serena los und vermutlich wurden die ruulanischen Truppen andernorts gebraucht.«

Die Menge applaudierte, als hätte er gerade etwas Herausragendes gesagt. Seine Verachtung für diese Kriegsjunkies stieg. Trotzdem redete er unbeirrt weiter und spulte sein Sprüchlein ab, bar jeden wirklichen Interesses.

»Natürlich landen wir und unsere geschulten Reiseführer bieten Ihnen Touren an die Schauplätze der entscheidenden Schlachten an. In deren Verlauf können Sie natürlich auch Souvenirs jeglicher Art erwerben.«

Das Kreuzfahrtschiff durchquerte ein Trümmerfeld. Die Menge bestaunte die Überreste terranischer und ruulanischer Kriegsschiffe. Exotischerweise waren auch die Wracks mehrerer Til-Nara-Kreuzer dabei. Die Insektoiden hatten sich mit einem kleinen Kontingent an der Rückeroberung von Nebula Centauri beteiligt.

Daniel hätte eigentlich auch darauf explizit hinweisen müssen, doch er verzichtete darauf. Die Menge musterte mit offenem Mund bereits die zerschossenen Wracks. Außerdem bezweifelte er, dass ihm noch jemand zuhörte. Er setzte sich wieder und leerte das Champagnerglas in einem Zug.

Sein Erster Offizier war über den Tisch hinweg in ein Gespräch mit dem Pornosternchen vertieft und versuchte, nicht allzu offensichtlich in ihr tiefes Dekolleté zu starren. Diese wiederum schien das offensichtliche Interesse eines Mannes zu genießen, der nicht alt genug war, ihr Großvater zu sein.

Daniel dröhnte der Schädel. Manchmal war ihm das alles zu viel. Aber welche Wahl hätte er gehabt? In diesen Zeiten gab es nicht viel zivile Arbeit für ausgebildete Raumschiffskapitäne. Und vom Militär wollte er so weit weg bleiben wie irgend möglich.

Die Frau, die ihm vorhin aufgefallen war, schien mit einem Mal leichenblass zu werden. Ihr Begleiter beugte sich besorgt in ihre Richtung und sie tauschten mehrere geflüsterte Worte aus. Unvermittelt standen beide auf.

Daniel warf erst der Frau, dann dem Mann einen fragenden Blick zu. Dieser neigte entschuldigend das Haupt.

»Ich bitte um Verzeihung. Meiner Begleiterin scheint der Überlichtflug etwas auf den Magen geschlagen zu sein. Die Raumkrankheit hat wohl ein weiteres Opfer gefordert.« Der Mann lächelte entschuldigend. »Wir ziehen uns besser auf unsere Suite zurück.«

Daniel stand aus Höflichkeit auf. »Das tut mir sehr leid. Soll ich den Schiffsarzt zu Ihnen schicken?«

Erneut lächelte der Mann, doch Daniel fiel auf, dass sein Lächeln die Augen nicht berührten. »Das wird wohl nicht nötig sein. Das ist nichts, was etwas Ruhe nicht kurieren könnte.«

»Wie Sie wünschen.« Daniel verneigte sich leicht. »Gute Besserung.«

Die Frau lächelte ihm zu, sagte aber nichts. Stattdessen ließ sie sich von ihrem Begleiter langsam aus dem Saal führen.

»Ich kann mir schon denken, was die zwei jetzt vorhaben«, meinte der Filmproduzent anzüglich. Daniel musste an sich halten, um sich seine Verachtung nicht offen anmerken zu lassen.

»Ist ja nicht jeder so wie du«, entgegnete das Pornosternchen überraschend und widmete sich weiter dem Gespräch mit dem Ersten Offizier.

Daniel sah dem Paar hinterher und war in Gedanken versunken. Es war seltsam, doch er hätte nie gedacht, dass die Frau zu Raumkrankheit neigte. Möglicherweise irrte er sich, doch er hätte schwören können, die beiden wären nicht zum ersten Mal im Weltraum.

Ben ließ Dianas Arm los, kaum dass sich die Tür des Bankettsaals hinter ihnen schloss und sie vor den Blicken der High Society verbarg.

Ben grinste. »Du spielst die Kranke nicht übel.«

»Na vielen Dank, aber dieses heimliche Getue ist eigentlich nicht meine Art.«

»Meine auch nicht. Aber mach dir keine Sorgen, das ist bald vorbei.«

Sie sah auf. Ihre Augen leuchteten. »Wann?«

»Sobald wir aus dem Nebula-Centauri-System gesprungen sind.«

»Wir haben hier drei Tage Aufenthalt«, gab sie zu bedenken.

»Umso besser. Das hilft uns für unsere letzten Vorbereitungen.«

»Wir könnten jetzt schon losschlagen. Bevor wir landen. Wir sind bereit. Alle sind auf Position.«

Ben schüttelte den Kopf. »Das würde nur die Behörden auf dem Planeten auf uns aufmerksam machen und das wollen wir doch nicht. Es wäre für die ein Leichtes, uns eine Fregatte oder einen Leichten Kreuzer hinterherzuschicken.«

»Das hatte ich nicht bedacht.«

»Und?«

Sie sah ihn fragend an. »Und was?«

»Was ist dir im Speisesaal an Sicherheitsvorkehrungen aufgefallen?«

Sie schnaubte. »Für ein ziviles Schiff sind sie ungewöhnlich streng, aber trotzdem lächerlich. Hätte ich hier das Kommando …« Sie ließ den Satz vielsagend ausklingen.

Daniel zuckte die Achseln. »Vergiss nicht. Du hast es selbst gesagt, es ist ein ziviles Schiff. Man darf hier keine militärischen Standards anlegen. Also? Welche Sicherheitsvorkehrungen?«

»Es gibt zwei Männer der Sicherheitsmannschaft an jedem Ein- und Ausgang. Alle mit nicht tödlichen Waffen ausgerüstet. Außerdem gibt es noch unter den Gästen Sicherheitsleute in Zivil. Sie sehen aus wie die richtigen Gäste, beteiligen sich jedoch kaum an den Gesprächen und sind eher damit beschäftigt, die Umgebung im Auge zu behalten.«

»Bewaffnung?«

»Ebenfalls nicht tödlich. Pfefferspray, Stunner und Teleskopschlagstöcke.«

»Ausgezeichnet. Das deckt sich ziemlich gut mit meiner Beobachtung. Außerdem sind mir noch Sensoren in den Wänden aufgefallen. Sie scannen jeden Gast beim Betreten des Bankettsaals nach Waffen oder Sprengstoffen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ziemlich umfangreich.«

Diana zog leicht den Mundwinkel in einer sarkastischen Miene nach oben. »Ich denke nicht, dass die ein Problem sein werden.«

»Sicher nicht«, bestätigte Ben. »Aber die Waffenkammer, die die Sicherheitsmannschaft im Bauch des Schiffes, unterhält, schon.«

»Unsere Leute werden sie schon ausschalten. Die wissen, was sie zu tun haben.«

»Ich hoffe es. Wir haben nur einen Versuch und wir planen seit drei Jahren für diesen Tag.«

Diana nahm ihn am Arm, da ihnen mehrere Passagiere entgegenkamen. Sie stellte sich auf die Zehen, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Für jeden zufälligen Beobachter wirkte es, als ob sie lediglich ein turtelndes Liebespaar waren.

»Hab ein bisschen mehr Vertrauen, Ben. Er wird uns nicht entkommen. Wenn diese Sache vorbei ist, dann sind unsere Toten gerächt.«

4

Die Sternentraum beschleunigte mit Höchstgeschwindigkeit aus dem Nebula-Centauri-System und Daniel war sehr froh darüber.

Für ihn war der Krieg weit weg und das war gut so. Er wollte so wenig wie möglich damit zu tun haben – jetzt nicht mehr. Aus diesem Grund nahm er auch nicht die Möglichkeit in Anspruch, von Bord zu gehen und sich auf richtigem Boden etwas die Füße zu vertreten. Im Gegensatz zum Gros seiner Mannschaft, die sich in Schichten Landurlaub nahm.

»Das nächste Ziel, Andreas?«, fragte er, obwohl er die Antwort natürlich bereits kannte. Er wollte wissen, ob sein XO sie kannte.

»Tauri V«, antwortete dieser wie aus der Pistole geschossen. Daniel schmunzelte leicht und nahm einen Schluck Kaffee, um es zu verbergen. Die Schnelligkeit, mit der sein XO geantwortet hatte, legte den Schluss nahe, dass er bereits mit einer entsprechenden Frage seines Kommandanten gerechnet hatte. Daniel nickte.

Doch dann wurde er schlagartig ernst, als der Name Tauri V in sein Bewusstsein sickerte. Er hätte nie erwartet, je wieder diesen Boden betreten zu müssen. Zu viel war dort passiert. Zu viel, an das er nie wieder erinnert werden wollte. Es genügte völlig, wenn seine Träume von den Ereignissen damals heimgesucht wurden.

»Voraussichtliche Flugzeit?«, fragte er, als ihm bewusst wurde, wie lange er schon schwieg. Sein XO warf ihm bereits misstrauische Blicke zu.

»Drei Tage«, entgegnete Andreas Wagner und auch diese Antwort kam relativ flott.

»Ausgezeichnet. Schicken Sie mir das Abendprogramm der nächsten drei Tage auf meine Station.«

Der XO der Sternentraum nahm sein tragbares Datenterminal zur Hand und überspielte die gewünschten Informationen. Daniel überflog sie und nickte zufrieden. Ein Zauberer, ein paar Athleten, ein Karaokeabend kombiniert mit einem Talentwettbewerb … das versprachen ein paar ruhige Tage zu werden. Nun ja, vielleicht abgesehen vom Karaokeabend. So was war immer sehr aufreibend für die Nerven der Besatzung. Aber ansonsten alles ganz nett. Daniel schloss die Datei und bemerkte, wie sein XO unweit der Schadenskontrollstation stand und über sein Headset mit jemandem geflüsterte Worte austauschte. Wagner schien überaus besorgt.

»Probleme, Andreas?«

Erst jetzt wurde sich der XO bewusst, dass sein Kapitän ihn beobachtete. Der Mann setzte ein – wie er wohl hoffte – beruhigendes und selbstbewusstes Lächeln auf.

»Nichts, was ich nicht regeln könnte. Ich will Sie damit nicht belästigen.«

Daniel lächelte leicht. »Belästigen Sie mich, Andreas. Was ist los?«

Der XO trat näher und senkte die Stimme, sodass nur Daniel ihn zu hören vermochte. »Es gibt Schwankungen im Energienetz. Nichts Weltbewegendes, aber …« Er ließ den Satz vielsagend ausklingen.

Nun verstand Daniel. Energieschwankungen kamen hin und wieder vor und waren im Prinzip nichts Besorgniserregendes. Man konnte sie eigentlich an Bord eines Raumschiffes kaum vermeiden. Unmittelbar vor einem Sprung war das jedoch etwas ganz anderes. Eine Energieschwankung konnte den ISS-Antrieb destabilisieren und dies führte bestenfalls zu einem Fehlsprung. Daniel wusste jedoch auch von Vorfällen, bei denen ein Schiff durch so etwas über ein halbes Sonnensystem verstreut worden war.

Daniel zog seine Stirn in tiefe Runzeln. »Ursache?«

»Können wir noch nicht sagen. Chief Dumont ist an der Sache dran.«

Daniel überlegte kurz. »Wir gehen kein Risiko ein. Informieren Sie die Nebula-Centauri-Raumkontrolle. Wir beziehen in der Nähe der Nullgrenze Position, bis das Problem gelöst ist. Den Passagieren sagen wir nichts. Am besten, wir schieben irgendeine Ausrede für die Verzögerung vor. So was wie eine schiffsinterne Sicherheitsübung oder etwas Ähnliches.«

»Aye, Sir«, nickte der XO. Der Mann wollte sich entfernen, doch Daniel hielt ihn noch zurück.

»Und, Andreas, finden Sie das Problem. Schnell. Jede Stunde, die wir verlieren, kostet die Reederei bares Geld und die sehen das gar nicht gern.«

»Verstanden, Kapitän.«

Ben und Diana standen geduldig in ihrer Kabine und sahen einem unscheinbaren, etwas untersetzten Mann über die Schulter. Dieser hatte einen Taschencomputer in den Anschluss der Kabine eingestöpselt und musterte die Datenkolonnen, die über seinen Bildschirm liefen, mit wachsender Frustration. Endlich sah er auf. Dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn.

Ben nickte auffordernd. »Und?«

»Ich hab’s geschafft. Sie glauben, Sie hätten Energieschwankungen im Schiff. Sie halten Position in der Nähe der Nullgrenze, bis das geklärt ist.«

Ben lächelte erleichtert und Diana klopfte dem Mann anerkennend auf die Schulter. »Ich sagte doch, Mike ist der beste Hacker in der Branche.«

Michael Easton hielt seinen Rücken unter dem Lob deutlich durchgedrückter als noch Sekunden zuvor. Der Mann war tatsächlich sehr gut. Und Ben hegte den leisen Verdacht, der Hacker war ein wenig in Diana verknallt. Sei’s drum. Ihn für diese Sache zu gewinnen war ein echter Glücksfall gewesen.

Michael Easton wischte sich über die nasse Stirn und streifte den Schweiß anschließend am Hosenbein ab. »Das war gar nicht so einfach«, beschied er wenig bescheiden. »Die Firewalls sind kein Militärstandard, aber doch weit besser, als ich bei so einem Luxusliner erwartet hätte.«

»Werden sie etwas von deinen Manipulationen merken?«

Easton lächelte. »Erst wenn es zu spät ist. Und dann können sie nicht das Geringste mehr dagegen unternehmen.«

Ben lächelte kalt. »Gut.«

Es klopfte an der Tür. Bens Hand fiel wie automatisch an seine Hüfte, bevor ihm einfiel, dass er ja unbewaffnet war.