Der Ruul-Konflikt Prequel 1: Tödliches Kreuzfeuer - Stefan Burban - E-Book

Der Ruul-Konflikt Prequel 1: Tödliches Kreuzfeuer E-Book

Stefan Burban

5,0

Beschreibung

38 Jahre nach dem Ende des blutigen Bürgerkriegs zwischen Erde und Mars erschüttert im Jahr 2135 eine Serie rätselhafter Anschläge die Marskolonie Neu-Johannesburg. Major David Coltor vom Militärischen Aufklärungsdienst wird entsandt, um die Vorfälle aufzuklären. Ihm zur Seite steht Major Rachel Kepshaw von der Abteilung für Innere Sicherheit.

Bereits kurz nach ihrer Ankunft wird beiden klar, dass auf dem Mars nichts so ist, wie sie es erwartet hatten. Warum lebt der gesamte Mars in einer Atmosphäre der Angst? Was haben der Marsgouverneur und sein zwielichtiger Sicherheitschef zu verbergen? Und warum ist die Miliz des Mars plötzlich bis an die Zähne bewaffnet? Als Coltor knapp einem Attentat entgeht und kurz darauf entführt wird, steht endgültig fest, dass die Situation dabei ist, aus dem Ruder zu laufen.

Als ein weiterer Anschlag erfolgreich verübt wird, setzt die Erde Truppen zur Aufrechterhaltung der Ordnung in Marsch. Eine Eskalation scheint unausweichlich.


Die Ereignisse in diesem Band spielen vor denen aus Stefan Burbans Auftaktband der Reihe DER RUUL-KONFLIKT (DÜSTERE VORZEICHEN).
Die Romane der Reihe:

Prequel 1: Tödliches Kreuzfeuer
Prequel 2: Invasion auf Ursus

1: Düstere Vorzeichen
2: Nahende Finsternis
3: In dunkelster Stunde
4: Verschwörung auf Serena
5: Bedrohlicher Pakt
6: Im Angesicht der Niederlage 7: Brüder im Geiste
8: Zwischen Ehre und Pflicht
9: Sturm auf Serena
10: Die Spitze des Speers
11: Gefährliches Wagnis

Weitere Bände sind in Vorbereitung.

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Inhalt

Prolog

1

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Epilog

Stefan Burban

Tödliches Kreuzfeuer

Eine Veröffentlichung des Atlantis-Verlages, Stolberg Juli 2017 Druck: Schaltungsdienst Lange, Berlin Titelbild: Allan J. Stark Umschlaggestaltung: Timo Kümmel Lektorat und Satz: André Piotrowski ISBN der Paperback-Ausgabe: 978-3-86402-167-1 ISBN der E-Book-Ausgabe (EPUB): 978-3-86402-182-4 Dieses E-Book ist auch als Paperback überall im Handel erhältlich und als Hardcover direkt beim Verlag. Besuchen Sie uns im Internet:www.atlantis-verlag.de

Prolog

Auf den ersten Blick war der Mann nicht wirklich auffällig. Er trug einen modernen Anzug mit Krawatte, wie er derzeit Mode unter den erfolgreichen Geschäftsleuten auf dem Mars war, war durchschnittlich groß, hatte einen ordentlich getrimmten Schnurrbart und trug eine schwarze Aktentasche in der rechten Hand. Ein Geschäftsmann unter vielen auf der Promenade, wie das Geschäfts- und Bankenviertel von Neu-Johannesburg, der größten Stadt auf dem Mars, genannt wurde.

Hätte ihm aber jemand in die Augen gesehen, hätte diese Person sofort bemerkt, dass mit dem Mann irgendetwas nicht stimmte. Der Ausdruck seiner Augen war zu kalt, zu zielstrebig.

Doch niemand schenkte ihm große Aufmerksamkeit. Wieso auch? Jeder hatte mit sich selbst zu tun. Es war kurz vor neun Uhr morgens und der Planet erwachte langsam. Und das galt vor allem für die Promenade. So bemerkte auch niemand, wie er die Aktentasche geschickt und unauffällig neben dem Eingang der größten Bank des Mars auf den Boden absetzte und sich dann schnellen Schrittes entfernte.

Der Mann hatte es so eilig, dass er versehentlich eine Passantin anrempelte. Die Frau wollte sich schon lautstark beschweren, als ihr Blick den seinen kreuzte. Die Kälte in seinen Augen, bar jedes Gefühls, sandte ihr einen Schauder über den Rücken. Sie löste sich hektisch von ihm und ging in die entgegengesetzte Richtung, so schnell sie konnte. Warum sie es auf einmal so eilig hatte, vermochte nicht einmal sie selbst zu sagen. Der Mann hatte den Vorfall bereits wieder vergessen, als er sich erneut in Bewegung setzte. Er stieg in einen wartenden Wagen und brauste davon.

Exakt sieben Minuten später erschütterte eine Explosion die Promenade. Der gesamte Häuserblock, der sich an die Bank anschloss, wurde praktisch dem Erdboden gleichgemacht. Trümmer und Splitter von der Größe eines Kleinwagens spritzten wie tödliche Projektile in alle Richtungen davon.

Jeder Mensch, der das Pech hatte, sich in einem Radius von 300 Metern um den Standort der Bombe aufzuhalten, lebte nicht lange genug, um überhaupt zu begreifen, was geschehen war. Außerhalb des Explosionsradius wurden die Opfer von der Druckwelle wie Spielzeug durch die Luft geschleudert, verbrannt oder von umherfliegenden Trümmern buchstäblich zerfetzt.

Noch bevor der Lärm der Detonation ganz verklungen war, hallte eine andere Geräuschkulisse durch die rauchgeschwängerte Luft des Trümmerfelds, das wenige Augenblicke zuvor noch ein Hort voller Leben und Geschäftigkeit gewesen war.

Die Rufe der Sterbenden und Verwundeten, die Sirenen der Krankenwagen und Sicherheitsdienste, die panikerfüllten Schreie von Menschen, die Bekannte, Freunde oder ihre Liebsten suchten, gellten durch die Straßen.

In diesem Augenblick explodierten in anderen Teilen der wehrlosen Stadt zwei weitere Sprengsätze.

1

Major David Coltor überprüfte zum vierten Mal innerhalb von zwei Minuten die Energiezelle seiner Waffe. Es war eine nervöse Angewohnheit und völlig unnötig, da er genau wusste, wie voll beziehungsweise leer sie inzwischen war. Es waren noch sechs Schuss übrig.

Rein rechnerisch könnte er damit sogar auskommen. Es waren höchstens zwei Gegner übrig, mit denen er sich befassen musste. Wenn er ruhig blieb und nicht die Nerven verlor, konnte er noch mit heiler Haut davonkommen. Falls die ganze Sache allerdings genauso katastrophal weiterging, wie sie angefangen hatte, dann war er so gut wie erledigt.

Das kleine Restaurant war inzwischen menschenleer. Nur einige Brandlöcher in den Wänden und die Körper der drei Gegner, die er erwischt hatte, zeugten von dem kurzen Feuergefecht, das erst einige Augenblicke zuvor stattgefunden hatte.

Er überprüfte die Zelle seiner Waffe ein fünftes Mal, atmete tief durch und beugte sich nach links, um sich aus der Deckung des umgestürzten Tisches, hinter den er sich eilig gehechtet hatte, nach seinem Gegner umzusehen.

Nichts.

Das war insofern beruhigend, als niemand auf ihn schoss. Aber andererseits bedeutete das auch, dass nicht allzu weit entfernt zwei Typen in aller Seelenruhe darauf warteten, dass er einen Fehler beging. Er sah sich vorsichtig um, bevor er sich etwas weiter aus seiner Deckung wagte.

Konzentrier dich, ermahnte er sich selbst. Wenn du an deren Stelle wärst, was würdest du als Nächstes tun?

Nun ja, da gab es mehrere Möglichkeiten. Die offensichtlichste Antwort wäre, dass einer der beiden die Position, an der sie ihn festgenagelt hatten, beobachtete, während der andere versuchte, in seinen Rücken zu kommen, um das Werk zu vollenden.

Ja, diese Theorie klang haltbar.

Er wusste, dass sich mindestens einer seiner Angreifer in der Nähe des Eingangsbereichs aufhalten musste, und der zweite versuchte vermutlich, sich ihm über die Küche zu nähern. In dem darauf folgenden Kreuzfeuer hätte er nicht den Hauch einer Chance.

Aber so einfach würde er es ihnen nicht machen. Er musste den Kerl am Eingangsbereich irgendwie aus der Reserve locken.

Nur wie?

Er trug noch eine Rauchgranate am Gürtel. Seinen letzten Trumpf ausspielen zu müssen, war ärgerlich, so jedoch, wie es aussah, blieben ihm nicht viele Alternativen.

Er nahm die Granate, zog den Stift, zählte bis drei und warf die Granate in Richtung des wahrscheinlichsten Standortes seines Gegners.

Dann passierten auf einmal mehrere Dinge gleichzeitig. Die Granate explodierte mit einem unspektakulären Plopp und füllte das halbe Restaurant mit Qualm. Und tatsächlich taumelte kurz darauf ein von Hustenanfällen geschüttelter Mann aus der Deckung … aber praktisch zeitgleich kam ein zweiter durch die Tür der Küche gestürmt. David musste sich entscheiden, und zwar schnell, welchem der beiden er sich zuerst zuwenden wollte.

Der am Eingangsbereich hatte noch mit seinem Husten zu kämpfen und war deshalb die geringere Bedrohung, deshalb drehte er sich zu dem Neuankömmling um, ging in die Hocke und riss die Waffe hoch. Dort, wo sich noch kurz zuvor sein Kopf befunden hatte, fauchte der Blitz einer Energiewaffe durch die Luft. David zog den Abzug seiner eigenen Waffe durch und jagte zwei Blitze auf seinen Gegner zu, die beide in dessen Brust einschlugen.

Der Getroffene sackte in sich zusammen und blieb reglos auf dem Boden liegen.

Danach drehte David sich zu seinem ersten Gegenüber um, zielte und schoss auch diesen nieder.

Der Unglückliche bemühte sich zwar noch, seine eigene Waffe in Anschlag zu bringen, aber seine Augen tränten so stark, dass es vergebens war.

David stand auf und steckte seine Waffe zurück in sein Schulterhalfter. Er war rundum zufrieden mit sich. Zugegeben, es war anders abgelaufen als geplant, doch trotz aller Widrigkeiten hatte er es geschafft.

Da hörte er hinter sich ein Geräusch.

Er fuhr herum und sah in der Tür der Küche einen Mann stehen.

Noch einer?!

Der Schock dauerte nur einen Augenblick; das genügte seinem Gegner.

Der legte seine Waffe an und feuerte, bevor David seine Pistole wieder aus dem Halfter befreien konnte.

Der Schuss traf ihn mitten auf der Brust und warf ihn rücklings zu Boden, wo er benommen liegen blieb. Ihm wurde schwarz vor Augen.

Verdammter Mist!, dachte er.

»Simulation abgeschlossen«, ertönte eine Computerstimme. »Vergangene Zeit: 11 Minuten, 32 Sekunden.«

Das Licht in der Halle ging wieder an. David erhob sich schwerfällig auf die Beine, genau wie die anderen Toten, die auf wundersame Weise wieder zum Leben erwachten und sich gegenseitig kameradschaftlich auf die Schulter klopften.

Er zog den Reißverschluss seines Kampfanzugs bis knapp oberhalb des Bauchnabels herunter und betastete die Stelle, an der ihn der Blitz getroffen hatte. Die Intensität der Waffen war zwar auf eine niedrige Stufe gestellt, aber sie sorgte trotzdem dafür, dass man einen Treffer nicht so schnell vergaß. In jeden Anzug waren mehrere Elektroden eingearbeitet, die mit dem Zentralcomputer vernetzt waren, der das Training steuerte und überwachte. Registrierten die Elektroden Treffer, leiteten sie die Information in Echtzeit an den Computer weiter, der den angerichteten Schaden kalkulierte und daraufhin die Energiezufuhr zum betroffenen Körperteil abschaltete. Dadurch wurde ein Höchstmaß an Realismus gewährleistet. Für Davids Geschmack ein wenig zu realistisch.

Deswegen war er auch wie ein nasser Sack zu Boden gestürzt, als der Schuss ihn getroffen hatte. Der Computer hatte seinen Tod registriert und kurzerhand den kompletten Anzug abgeschaltet.

Er betrachtete nachdenklich die Laserpistole in seiner Hand. Er trainierte jetzt schon fast zwei Monate mit dem Ding und konnte sich immer noch nicht so richtig damit anfreunden. Die Technik war auch relativ neu, wenigstens das sprach zu dessen Gunsten, zumindest die Art von Technik, die er nun in der Hand hielt.

Seit fast achtzig Jahren wurden Energiewaffen auf den Raumschiffen der Marine und den Panzern der Bodenstreitkräfte eingesetzt, aber die Technik so weit zu verkleinern, dass man eine kompakte Handfeuerwaffe oder ein Infanteriegewehr erhielt, das steckte noch gehörig in den Kinderschuhen. Vor etwa einem Jahr war erst damit begonnen worden, Laser-Sturmgewehre ans Militär auszuliefern. Der Großteil der bodengestützten Streitkräfte benutzte immer noch gute alte verlässliche Projektilwaffen. Allein sich vorzustellen, was für ein Aufwand die logistische Transaktion war, eine Organisation, die so groß war wie die Konglomeratsstreitkräfte, mit einer neuen Art von Waffentechnik auszurüsten, verschaffte ihm üble Kopfschmerzen. Mal ganz davon abgesehen, was es an Zeit und Geld kosten würde, die ganzen Kinderkrankheiten auszumerzen.

Einen sentimentalen Moment lang wünschte er sich seine alte 8-mm-Automatik zurück, verdrängte den Gedanken aber sofort wieder. Was sollte man machen, das war eben Fortschritt und der wartete bekanntlich auf niemanden. Es würde fünf oder sechs Jahre dauern, bis das Militär vollständig umgerüstet war. Mindestens. Wenigstens hatte der MAD eine der ersten Lieferungen bekommen. Es hatte ganz gewiss seine Vorteile, Außendienstagent zu sein – er betrachtete noch mal seine Blessuren –, manchmal jedenfalls.

»Das gibt bestimmt einen blauen Fleck.«

»Den hast du auch redlich verdient«, hörte er hinter sich eine spöttische Stimme.

»Hallo, John«, frotzelte David, ohne sich umzudrehen. »Schön, dass sich wenigstens einer freut.«

Captain John Mainsfield zeigte, wie fast immer, ein schelmisches Grinsen auf dem Gesicht. Der Australier trat näher und schüttelte in gespielter Bekümmerung den Kopf.

»Heute war irgendwie nicht dein Tag, oder?!«

»Ich weiß gar nicht, was du hast. Immerhin hab ich fünf erledigt. Es gibt Agenten, die schaffen weniger.«

Ein breiter Schatten verdeckte einen der Scheinwerfer und David verdrehte innerlich die Augen. Was nun folgte, konnte er sich lebhaft vorstellen. Ihm stand eine Standpauke von Master Chief Anthony Scott bevor.

Der Schotte war mit Herz und Seele Vollblutsoldat und nicht zuletzt auch noch der Ausbildungsleiter des Militärischen Aufklärungsdienstes des Terranischen Konglomerats. Immer wenn er wütend war, drang sein schottischer Akzent mit den rollenden R besonders deutlich in den Vordergrund. Die Frage war nur, wie wütend er heute war.

»Und es gibt Agenten, die schaffen mehr, die schaffen sogar wesentlich mehr«, sagte Scott. Sein Akzent stach deutlich hervor. Er war sehr wütend.

Die beiden Freunde wechselten einen vielsagenden Blick.

»Was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht? Stecken Ihre verdammte Waffe in Ihr verdammtes Halfter, ohne die verdammte Umgebung zu überprüfen. Ein verdammter Anfängerfehler!«

»Ich war mir sicher, dass es nur noch zwei Angreifer sind. Ich habe mich eben geirrt.«

»Im Ernstfall wären Sie jetzt allerdings tot, Mister! In drei Wochen ist Ihre Leistungsbeurteilung fällig, und wenn Sie dann nicht wesentlich besser abschneiden als heute, dann können Sie sich schon mal auf einen gemütlichen Bürojob freuen und Adieu sagen zum Außendienst!«

»Alles, nur das nicht. Ich werde mich bessern, Master Chief. Versprochen!«

»Na, da bin ich aber mal gespannt! Ich rechne bei Ihnen beim besten Willen nicht mit einem Wunder. Meine Großmutter, Gott hab sie selig, hätte das heute besser gemacht.«

Mit diesen Worten stapfte er davon und murmelte irgendetwas Unverständliches auf Gälisch. Zweifellos auf der Suche nach einem neuen Opfer, das er zurechtstauchen konnte. David dachte einen Moment darüber nach, ihm hinterherzurufen, ob seine werte Großmutter sich je eine Schießerei in einem Restaurant geliefert hatte, entschied sich aber dagegen, nicht zuletzt aus Angst vor der Antwort.

David schaute dem Master Chief frustriert hinterher, als er hinter sich ein kaum verhohlenes schadenfrohes Kichern hörte.

»Gibt es eigentlich einen besonderen Grund, weshalb du hier bist, oder willst du mich nur mit dem Privileg deiner Gesellschaft beglücken?«

»Du wirst es kaum glauben, aber es gibt tatsächlich einen Grund, Kumpel. Der Alte will dich schnellstens sprechen.«

»Der Alte! Und das sagst du mir erst jetzt? Hab ich noch Zeit, mich umzuziehen?«

Er schaute an sich herunter und betrachtete den inzwischen rötlich angelaufenen Brandfleck auf seiner Brust und seinen unbequemen und verschwitzten Kampfanzug.

»Ich fürchte nein, mein Freund. Es hörte sich ganz so an, als wäre es dringend. Zudem kann er nicht warten. Du weißt ja, wie er ist«, antwortete er und wirkte überhaupt nicht, als würde es ihm leidtun, seinem Kollegen diese Hiobsbotschaft zu bringen.

»Ja, allerdings.« Mit diesen Worten zog er den Reißverschluss hoch, um wenigstens den Fleck zu verbergen, und lief los.

Die Trainingseinrichtungen des Militärischen Aufklärungsdienstes befanden sich fünf Stockwerke unter dem Gebäude des Hauptquartiers der Streitkräfte des Terranischen Konglomerats, weshalb David den nächsten Aufzug ansteuerte. Auf seinem Weg kam er an zwei Technikern vorbei, die gerade das neue Logo des Geheimdienstes an der Wand anbrachten: die wehende Flagge des Konglomerats – ein Abbild der Milchstraße auf schwarzem Grund, die von 62 roten Sternen umgeben war, wobei jeder Stern für ein dem Konglomerat angehörendes Sternensystem stand –, in deren Mitte ein Raumjäger der Arrow-Klasse flog. Bei dem Anblick schüttelte er nur lachend den Kopf.

Lächerlich. Das alte Logo war viel ansprechender.

Der Militärische Aufklärungsdienst, kurz MAD, existierte in seiner jetzigen Form erst wenige Wochen. Die derzeitige Regierung in Oslo, erst vor Kurzem gewählt, war der Meinung gewesen, es wäre effizienter, nur einen Geheimdienst für alle Belange der Streitkräfte zu unterhalten. Daher waren kurzerhand mehrere Dienste – nicht nur der Marine, sondern aller Waffengattungen – zusammengelegt worden, wodurch der MAD nun nicht mehr nur für Spionageabwehr und Gegenspionage sowie für verdeckte Operationen zuständig war, sondern auch für kriminalistische Untersuchungen.

Der Effekt war, dass sich auf einmal ein Haufen unterschiedlicher Offiziere, die durch ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Waffengattungen schon von Natur aus eine Abneigung, um nicht zu sagen: einen Groll, gegeneinander hegten, von nun an gezwungen waren, miteinander zu arbeiten. Lang lebe die Politik …

Als sich die Türen des Aufzugs schlossen, kehrten seine Gedanken wieder zum Zweck seines plötzlichen Aufbruchs zurück. Er hatte eine ziemlich klare Vorstellung davon, was der Alte von ihm wollte. Da gab es nur zwei Möglichkeiten. Entweder er hatte irgendeinen Mist gebaut und bekam nun die Quittung dafür oder es ging um einen neuen Auftrag.

Hoffentlich Letzteres, dachte er.

Der Alte, wie er liebevoll genannt wurde, war Konteradmiral Okuchi Nogujama, Kommandant des MAD und somit Davids und Johns Chef. Der 62-jährige Asiate hatte bis vor etwa 10 Jahren mit großem Erfolg die Marineakademie auf dem Mond geleitet.

Aber als man ihm die Leitung des damaligen Marinegeheimdienstes anbot, hatte er nicht widerstehen können. Dieser Mann konnte auf eine glänzende, fast 40-jährige Karriere zurückblicken, was man ihm kaum zutraute, wenn man ihn das erste Mal sah. Aber diejenigen, die ihn unterschätzten, belehrte er recht schnell eines Besseren. Nach Bekanntgabe der Pläne des Präsidenten für die Geheimdienste hatte er eigentlich seinen Abschied nehmen wollen. Nur ein Geheimdienst bedeutete nur einen Geheimdienstleiter, und warum sollte man ausgerechnet ihn dafür aussuchen? Dachte er sich jedenfalls. Dieser Mann war allerdings so gut, dass man ihm schließlich die Leitung des MAD tatsächlich antrug, sie ihm sogar regelrecht aufdrängte.

Der Aufzug hielt im 2. Stock und David stieg aus. Er durchquerte die große Halle mit dem Panoramafenster, von dem man einen fantastischen Blick auf die Golden Gate Bridge hatte. Normalerweise nahm er sich ein paar Minuten Zeit, um den Ausblick zu genießen, aber nicht heute. Nicht, wenn der Alte wartete.

Endlich. Nogujamas Büro. Er blieb vor der Tür stehen und versuchte, so gut es ging, seinen Kampfanzug zu glätten, um keinen allzu schlampigen Anblick zu bieten, dann atmete er noch einmal durch und trat durch die Tür in das Vorzimmer des Admirals.

»Hallo, Sarah, ist der Alte in seinem Büro?«, begrüßte er im Vorbeigehen Nogujamas hübsche Sekretärin. Die Blondine verzog kurz das Gesicht und wollte gerade antworten, als jemand ihr zuvorkam.

»Nein, ist er nicht, Major, und ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie so viel Respekt aufbringen könnten, um diesen Spitznamen wenigstens nicht in meinem Vorzimmer zu benutzen.«

Coltor nahm augenblicklich Haltung an und salutierte. Diese Stellung behielt er bei, bis Nogujama die Ehrenbezeugung erwiderte.

»Entschuldigung, Sir. Wird nicht wieder vorkommen.«

»Das bezweifle ich, Major.« Der kleine drahtige Asiate erhob sich hinter dem Aktenschrank, in dem er gerade etwas gesucht hatte, und musterte den Major scharf mit dem gleichen Blick, der bereits Generationen von jungen Marinekadetten das Fürchten gelehrt hatte.

»Nun gut. Da Sie nun endlich da sind, können wir ja zur Sache kommen. Folgen Sie mir.« Mit diesen Worten wandte er sich um und betrat sein Büro. David warf Sarah noch einen verzweifelten Blick zu, die diesen amüsiert erwiderte.

Heute ist wirklich nicht mein Tag, dachte er, folgte seinem Vorgesetzten in dessen Büro und schloss die Tür hinter sich.

»Setzen Sie sich, Major.«

»Danke, Sir«, erwiderte David und folgte der Aufforderung.

»Sie wissen, was auf dem Mars vor zwei Tagen passiert ist«, begann Nogujama, indem er die Frage als Feststellung formulierte.

»Selbstverständlich, Sir. Es ist schwer, nichts davon zu wissen. Weiß man denn schon Näheres?«

»Die Untersuchung läuft noch, aber es deutet anscheinend alles daraufhin, dass eine dieser Pro-Mars-Gruppen, die für eine unabhängige Marskolonie kämpfen, dafür verantwortlich war. Man verdächtigt die Freiheitsliga. Vor allem der Gouverneur der Kolonie belastet diese Gruppe schwer. Er hat der Regierung Beweise vorgelegt.«

»Welche Art Beweise?«, hakte David interessiert nach.

»In der Nähe eines der Tatorte wurden zwei der mutmaßlichen Bombenleger gestellt und von den örtlichen Sicherheitskräften erschossen. Sie wurden eindeutig als Mitglieder der Freiheitsliga identifiziert. Die Öffentlichkeit ist ganz schön aufgebracht. Wenn die Situation nicht entschärft wird, und zwar sehr bald, hat der Präsident keine andere Wahl, als einzuschreiten, um die Sicherheit der Konglomeratsbürger zu gewährleisten.

Heute Morgen wurden die 15. und 19. Marinebrigade in Alarmbereitschaft versetzt und ein Schlachtschiff, die TKS Berlin, ist an der Terra-II-Station angedockt, bereit, Richtung Mars auszulaufen. Die Lage ist, gelinde gesagt, angespannt und es braucht nur noch einen Funken, der das Pulverfass zur Explosion bringt.«

»Warum erzählen Sie mir das überhaupt alles?«, wunderte er sich. »Terrorismus ist Angelegenheit der zivilen Geheimdienste, nicht unsere.«

»Normalerweise würde ich Ihnen zustimmen, aber diesmal ist die Sache anders gelagert«, antwortete Nogujama. »Unserem Büro in Neu-Johannesburg wurde durch eine bislang unbekannte Quelle etwas zugespielt: eine Akte mit der Analyse der Sprengsätze, die verwendet wurden. Eine sehr detaillierte Analyse, wie ich hinzufügen möchte. Das könnten nur eine Handvoll Labors im Sonnensystem zustande bringen.«

Nogujama zog eine Schublade seines Schreibtisches auf, holte eine Akte heraus und reichte sie David. Der nahm sie entgegen, öffnete den Deckel und begann zu lesen. Nogujama beobachtete ihn dabei schweigend. Nach einigen Minuten schloss David die Akte wieder und hob eine Augenbraue.

»C25«, sagte er. »Das ist Sprengstoff, den ausschließlich das Militär verwendet. Und das nicht mal in vollem Umfang. Dieses Zeug wird nur von einigen Sondereinheiten der Armee, der Marine und natürlich des MAD eingesetzt. Wie sollen abgetakelte Freiheitskämpfer vom Mars an so hochwertige Ausrüstung kommen?«

»Das ist eine hervorragende Frage, Major. Die Antwort erwarte ich von Ihnen. Außerdem sollen Sie herausfinden, wem wir diese Akte zu verdanken haben. Ich will wissen, was an dieser Sache dran ist. Ob überhaupt was dran ist. Ein Flug zum Mars wurde bereits gebucht, Ihr Flug startet um 0100 morgen früh von San Francisco.«

»Verstanden, Sir«, antwortete David zackig und machte Anstalten aufzustehen.

»Einen Augenblick noch, Major. Da gibt es noch eine Sache zu bereden.« Nogujama betätigte die Gegensprechanlage zu seinem Vorzimmer.

»Sarah, schicken Sie sie jetzt bitte rein.« Fast augenblicklich ging die Tür auf und eine schlanke Frau Mitte 20 mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren betrat den Raum und salutierte vor Nogujama, bevor sie David beiläufig zunickte.

»Major Coltor, das ist Major Rachel Kepshaw von der Abteilung für Innere Sicherheit. Sie ist Ihnen für die Dauer des Einsatzes als Mitarbeiterin zugewiesen.«

David konnte seine Überraschung und seinen Ärger kaum verbergen.

»Innere Sicherheit?! Sie halsen mir einen Wachhund auf?«, brauste er auf. »Bei allem gebührenden Respekt, aber habe ich etwas getan, das die Teilnahme einer Offizierin von der Inneren rechtfertigt, Sir? Bin ich jetzt nicht mehr vertrauenswürdig?«

»Warum stört Sie das?«, fragte Major Kepshaw gehässig, bevor Nogujama etwas erwidern konnte. »Sie haben doch nicht etwa etwas zu verbergen?«

Nogujama warf ihr einen durchdringenden Blick zu, der ihr zeigte, was er von derlei Bemerkungen hielt. Sie verstand den Wink und hatte wohl weder die Absicht noch die Nerven, sich mit einem Admiral anzulegen. Also schwieg sie.

»Ich kann Ihre Gefühle verstehen, Major«, antwortete Nogujama an David gewandt. »Ich versichere Ihnen, dass es dabei keineswegs um Sie geht. Aber Major Kepshaws Teilnahme an dieser Untersuchung ist unumgänglich. Sollte an den uns zugespielten Informationen irgendetwas dran sein, bedeutet das zwangsläufig, dass Militärpersonal in die Anschläge involviert ist. Aus diesem Grund war ich gezwungen, die Innere zu informieren.«

Die Abteilung für Innere Sicherheit, hinter deren Rücken auch Wachhunde beziehungsweise Bluthunde genannt, war nie gern gesehen. Ihr einziger Daseinszweck war es, die Loyalität und Rechtschaffenheit des Militärpersonals sicherzustellen. Insofern waren sie eine eigenständige Behörde und nicht dem MAD unterstellt, was ja auch Sinn ergab. Man unterstellte eine Abteilung ja nicht den Leuten, auf die sie eigentlich aufpassen sollte.

Aber in der Nähe eines Schnüfflers der Inneren fühlte niemand sich wohl, da sie immer und überall mit Verrat rechneten. Das war jedenfalls das Klischee. Ob es stimmte, wollte niemand herausfinden, deshalb hielt man sich so weit wie möglich von ihnen fern.

Der weibliche Major war über Davids Ausbruch nicht erfreut. Das war offensichtlich. Sie warf ihm noch einen giftigen Blick zu, bevor sie sich wieder im Griff hatte und in Habachtstellung einen imaginären Punkt über Nogujamas Schulter hinweg anstarrte.

»Wie Sie meinen, Sir. Aber etwas anderes beschäftigt mich noch«, lenkte David ein.

»Und was wäre das, Major?«, fragte der Admiral.

»Wir sind beide Major, und wenn die Bestimmungen nicht ohne mein Wissen geändert worden sind, dann sind Offiziere der Inneren gleichrangigen Offizieren anderer Abteilungen übergeordnet, ungeachtet der geleisteten Dienstzeit. Wer von uns leitet diesen Einsatz?«

»Sie, Major. Ich habe mit Major Kepshaws Vorgesetzten eine Vereinbarung getroffen und die Bestimmung wurde für diesen einen Fall außer Kraft gesetzt. Sonst noch Fragen?« Der Tonfall allein sagte schon aus, dass er voraussetzte, dass keine Fragen mehr im Raum standen.

»Nein, Sir«, antwortete David, stand auf, salutierte und machte sich auf, den Raum zu verlassen. Major Kepshaw folgte ihm. Die beiden Offiziere funkelten sich dabei noch eine Sekunde böse an.

»Ach, noch etwas, Majors.« Beim Klang von Nogujamas Stimme, drehten sich beide noch einmal um. »Denken Sie daran, dass Sie eine Aufgabe haben. Ich habe schon so genug Probleme, auch ohne dass sich meine Ermittler gegenseitig die Köpfe einschlagen. Verstanden?«

»Jawohl, Sir!«, antworteten sie im Chor.

Was ist das heute nur für ein beschissener Tag, dachte David.

Nach der Besprechung mit Nogujama war David mit seinem Hovercar geradewegs nach Hause gefahren. Morgen früh ging sein Flug Richtung Mars, er hatte vorher noch allerhand zu erledigen und musste obendrein noch irgendwie nach San Francisco kommen. Er hielt vor seinem Haus und ließ die Antigravgeneratoren des Wagens langsam herunterfahren, damit sich das Fahrzeug sanft auf den Asphalt senken konnte. Schon wieder ein Kratzer war das Letzte, was er im Augenblick gebrauchen konnte.

Er hatte keine Ahnung, wie lange dieser Auftrag dauern würde, aber es war besser, er stellte sich auf eine längere Reise ein.

Vielleicht lang genug, dass sich meine Leistungsbeurteilung verschiebt, dachte er mit einem zufriedenen Grinsen.

Aber so viel Glück würde er bestimmt nicht haben. Nachdem er geduscht und sich etwas Brandsalbe auf seine Trainingsverletzung aufgetragen hatte, machte er sich ans Packen.

Im Nebenzimmer liefen im Radio die Nachrichten. Der Sprecher berichtete gerade, dass man vergangene Nacht schon wieder einen Drogentoten in der Innenstadt gefunden habe. Vermutlich ein Opfer von Destiny, einer Designerdroge, die seit einigen Jahren auf den Straßen kursierte. Man sagte, das Glücksgefühl, das man durch das Zeug bekäme, wäre mit nichts anderem zu vergleichen.

Bedauerlicherweise reichte bereits ein winziges Tröpfchen zu viel, um aus dem Gehirn der betreffenden Person Schweizer Käse zu machen. Es folgte dann ein langsamer, qualvoller Tod … wenn man Glück hatte. Es gab auch weniger Glückliche, deren Verstand sich dann einfach verabschiedete. Sie lebten zwar noch, jedenfalls körperlich, doch der Verstand war vollkommen ausgebrannt. Es waren nur noch lebende Tote.

Der Körper atmete weiter, aber es war keine Persönlichkeit mehr vorhanden. Wenn man sie nicht fand und sich um sie kümmerte, dann verdursteten diese armen Teufel. Trotz intensivster Bemühungen konnte bisher keine Polizeidienststelle der Welt herausfinden, wo Destiny herkam, oder einen nennenswerten Erfolg bei deren Eindämmung verbuchen. Das war mal ein Fall, an dem er gern gearbeitet hätte, aber so was fiel nun mal nicht in die Zuständigkeit des Militärs.

Er war ganz in Gedanken versunken, als das Telefon plötzlich klingelte.

»Coltor«, meldete er sich.

»Oh – hallo, Mum!«

Das war jetzt ein Anruf, auf den er überhaupt keine Lust hatte. Seine Mutter hatte ein Talent dafür anzurufen, wenn er gerade keine Zeit hatte. Mal ganz davon abgesehen, dass sie keine Ahnung hatte, was er eigentlich beruflich machte.

Sie wusste natürlich, dass er beim Militär diente, aber was sie betraf, so hatte er einen ruhigen, gut bezahlten und vor allem ungefährlichen Job in der Logistik angenommen, nachdem er seine Pilotenkarriere aufgegeben hatte. Wenn sie je herausfand, womit er tatsächlich seine Brötchen verdiente, würde sie wahrscheinlich einen Herzanfall bekommen.

David hatte zwar noch Geschwister, zwei Brüder und eine Schwester, aber er war mit seinen 29 Jahren der Jüngste, sozusagen das Nesthäkchen, und gemäß ungeschriebener Gesetze des täglichen Familienlebens, die nur Mütter wirklich verstanden, war sie damit um ihn immer irgendwie besonders in Sorge.

»Sorry, Mum, sei mir nicht böse, aber ich habe gerade leider keine Zeit. Bin gerade am Packen. Ich muss verreisen.

Ich fliege nur für einige Tage zu einem unserer Depots, es gibt einige Unstimmigkeiten in dem Bestandsverzeichnis und ich muss mich darum kümmern«, log er.

»Ja, natürlich passe ich auf mich auf, Mum. Was soll denn dabei schon groß passieren? Ich melde mich, sobald ich wieder zurück bin. Bye.«

Puhhh. Geschafft.

Er hatte bei dem ganzen Gespräch natürlich ein klein wenig ein schlechtes Gewissen, aber er stellte sich vor, was passieren würde, wenn er die Wahrheit sagte. Tut mir leid, Mum, aber ich muss zum Mars und eine Serie von Bombenattentaten aufklären. Ja, es könnte gefährlich werden, aber was soll’s? Das ist schließlich mein Job und den mache ich ja nicht erst seit gestern. Ich wollte dir nur nichts sagen, damit du dich nicht um mich sorgst.

Bei dieser Vorstellung beruhigte sich sein Gewissen recht schnell und es stahl sich ein breites Grinsen auf sein Gesicht.

Er kehrte zu seinem Koffer zurück, als es an der Tür klingelte.

David öffnete und blickte in das grinsende Gesicht seines Freundes John.

»Hi, komm doch rein«, begrüßte er ihn.

John folgte der Aufforderung und sah sich dann die überall in der Wohnung herrschende Unordnung an. »Danke. Oh, ich störe dich wohl bei Reisevorbereitungen?«

»Keine Sorge, ich kann reden und gleichzeitig packen.«

John warf einen Blick auf das Regal im Wohnzimmer, das auffallend leer war. »Kelly hat wohl inzwischen ihre Sachen abgeholt. Wurde auch langsam Zeit, wenn du mich fragst. Das hat sowieso viel zu lange gedauert.«

David lief ein eiskalter Schauder über den Rücken, als er an seine Exfreundin erinnert wurde. Drei Jahre waren sie zusammen gewesen. Kaum zu glauben, dass es beide so lange ausgehalten hatten. Er war ständig unterwegs und nie länger als maximal zwei oder drei Monate zu Hause. Ihr war dabei so langweilig geworden, dass sie sich anderweitig nach Abwechslung umgesehen hatte. Geahnt hatte er es schon länger, aber als er es dann definitiv erfuhr, hatte er sie kurzerhand vor die Tür gesetzt. »Ja, hat sie. Vorgestern«, antwortete er kurz angebunden.

»Glaub mir, es ist besser so.«

»Könntest du bitte diese Standardsprüche lassen. Davon hab ich in den letzten Tagen schon genug gehört.«

»Entschuldige.« John zögerte. »Hast du es eigentlich schon deiner Mum erzählt?«, fragte er mit deutlicher Schadenfreude.

Seine Mum. Kalter Schauder Nummer zwei. Sie hatte Kelly von Anfang an gehasst. Er konnte schon ihr »Ich hab’s dir ja gleich gesagt!« hören.

»Nein, hab ich nicht, und wenn’s nach mir geht, hat das auch noch eine Weile Zeit. Können wir nicht das Thema wechseln?«

»Klar können wir«, erwiderte sein Freund, aber nicht, ohne sich noch ein verschmitztes Grinsen zu verkneifen. »Wie ist es eigentlich mit Nogujama gelaufen?«

»Er hatte einen neuen Auftrag für mich.«

»Diese Explosionsgeschichte auf dem Mars, nicht wahr?«

Bei dieser ungewohnt direkten Frage blickte David überrascht von seinem Koffer auf und musterte seinen langjährigen Freund. Solche Fragen zu stellen, sah ihm gar nicht ähnlich. Auch wirkte er irgendwie besorgt. Er hatte bereits miterlebt, wie John Bomben entschärfte, ohne nervös zu werden, aber diesmal schien ihm wirklich etwas an die Nieren zu gehen.

»Du weißt, dass ich dir diese Frage nicht beantworten darf. Vorschriften«, antwortete er wahrheitsgemäß.

»Ja, du hast recht. Vergiss einfach, dass ich gefragt habe.«

Die beiden Männer sahen sich einen Augenblick an. Sie hätten äußerlich nicht verschiedener sein können: John Mainsfield, der 1,85 m große, schlanke Australier, und David Coltor, der 1,70 m große, etwas untersetzte Nordamerikaner.

Wenn man David ansah, mochte man nicht glauben, dass er einem der effizientesten Geheimdienste des Konglomerats angehörte. Er war einer jener Menschen, die in einer Menschenmenge untergingen und deren Gesicht man nach kurzer Zeit schon wieder vergessen hatte.

Wenn man ihn fragte, war das der Grund, weshalb er ein so guter Ermittler war. Unauffälligkeit war in seinem Beruf das A und O. Er sah nicht aus, als wäre er gerade eben einem Rekrutierungsposter entstiegen. Im Gegensatz zu Captain John Mainsfield, der, egal wo er auch auftauchte, sofort die Aufmerksamkeit auf sich zog. Vor allem die weibliche.

Ein Witz unter den beiden besagte, dass sie ein tolles Ermittlerteam wären, da John die Verdächtigen durch seine bloße Gegenwart ablenkte, während David sich anschleichen und sie hinterrücks niederschlagen konnte.

Aber im Augenblick war beiden nicht nach Scherzen zumute. Die Situation war ungewöhnlich. Der sonst immer für einen Witz aufgelegte Australier wirkte sehr ernst. Das unbehagliche Schweigen dauerte an, bis John es endlich brach.

»Egal was du tust, Kumpel, halt bitte den Kopf schön in Deckung. Erledige einfach den Auftrag und mach, dass du deinen Arsch wieder zur Erde bewegst.«

»Du kannst einem ja richtig Angst machen. So kennt man dich ja gar nicht. Aber mach dir keine Sorgen, ich kann schon auf mich aufpassen.«

Sein Kollege quittierte diese Erwiderung mit einem Lächeln, das nur ein klein wenig gequält wirkte.

»Ich nehme dich beim Wort.«

»Hast du denn schon wieder einen neuen Auftrag?«, versuchte David, das Thema zu wechseln.

»Nein, Gott sei Dank nicht. Ich hab etwas Urlaub und werde wohl meine Familie in Melbourne besuchen. Ich habe sie schon eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

»Hört sich toll an.«

»Wird es bestimmt auch, aber ich muss jetzt leider gehen, David«, brach John das Gespräch abrupt ab. »Ich wünsche dir einen erfolgreichen Auftrag. Halt die Ohren steif.« Mit diesen Worten verabschiedete er sich und verschwand so schnell durch die Wohnungstür, wie er gekommen war.

David stand noch eine Weile im Wohnzimmer, starrte nachdenklich auf die geschlossene Tür und versuchte, sich darüber klar zu werden, was hier eigentlich gerade abgelaufen war.

2

Der restliche Tag vor seiner Abreise war erfreulich unspektakulär vorübergegangen. Obwohl er zugeben musste, dass ihm das Gespräch den ganzen Tag nicht mehr aus dem Kopf gegangen war.

Wahrscheinlich gab es jedoch für Johns Verhalten eine ganz einfache Erklärung. Er würde ihn noch einmal auf die ganze Sache ansprechen, wenn er wieder zurück war.

Am Raumhafen von San Francisco hatte er sich dann heute Morgen mit Major Kepshaw getroffen. Sie gab sich kühl und distanziert, was zugegebenermaßen auch verständlich war nach seinem Ausbruch in Nogujamas Büro gestern.

Einen Augenblick lang hatte er erwogen, sich zu entschuldigen, sich dann aber dagegen entschieden. Besser die Sache erst mal auf sich beruhen lassen. Sie war ihm praktisch aufs Auge gedrückt worden. Was erwartete sie denn? Dass er sie freudestrahlend als neue Kollegin in die Arme schloss?

Wenigstens hatte der Alte dafür gesorgt, dass er das Sagen hatte, was ungewöhnlich genug war.

Als sie in die Halle des Raumhafens kamen, wartete schon eine, wie es schien, kilometerlange Schlange an dem für ihren Flug zuständigen Abfertigungsschalter.

Ein kurzes Vorzeigen ihrer Ausweise, der Proteste der anderen Fluggäste zum Trotz, hatte die Prozedur aber erheblich verkürzt.

Was nützte eine Beschäftigung beim MAD, wenn man die Vorteile, die das mit sich brachte, nicht ab und zu ausspielte? Seine Kollegin hatte, seit sie sich heute Morgen begrüßt hatten, noch keine drei Sätze mit ihm gewechselt. Sie saß auf dem Sitz neben ihm und beschäftigte sich vermutlich gerade mit ihren Instruktionen. Das war ihm eigentlich ganz recht.

Das gab ihm Gelegenheit, sich mit seinen zu befassen. Nogujama hatte seinen Befehlen ein komplettes Dossier des derzeitigen Marsgouverneurs, Pierre Luca, und seiner höchsten Beamten und Mitarbeiter sowie eine Zusammenfassung der Geschichte des Sonnensystems und insbesondere des Mars beigefügt.

Die Lektüre war hochinteressant. Der Mars wurde 2044 kolonisiert. Ursprünglich war eine Nutzung des Roten Planeten nur als Minenkolonie zur Gewinnung und zum Raffinieren der dortigen Rohstoffe geplant. Das Terranische Konglomerat hatte zu diesem Zeitpunkt gerade mal 5 Jahre Bestand, nachdem die Vereinten Nationen gegen Ende 2025 aufgelöst worden waren, um die Bildung der neuen Regierungsform zu ermöglichen. Jahrhundertelang hatten Kriegsherren und Diktatoren versucht, die Menschheit durch Waffengewalt zu vereinigen. Aber es war nicht die Atombombe, die das letztendlich schaffte, oder die Militärmaschinerie irgendeiner Großmacht. Es war der Wille zum Frieden, der die Menschheit unter einem Banner versammelte. Der Wille zum Frieden und die Einsicht, dass die Probleme, vor denen sie alle standen, nur vereint zu lösen wären.

Als dann auf der Erde Überbevölkerung und Arbeitslosigkeit zu einem immer größeren, schier unüberwindlichen Problem wurden, verfasste man Pläne zur Kolonisierung zuerst des Mondes und danach des Mars. Es folgte eine wahre Massenauswanderung auf den Roten Planeten. Da somit auf dem Mars nicht mehr nur Wirtschaftsunternehmen tätig waren, sondern sich eine funktionierende und florierende Gesellschaft entwickelte, war es nötig, ein Oberhaupt einzusetzen. Einen Gouverneur, der sowohl die Interessen der Marsbevölkerung als auch der Konglomeratsregierung verstand und versuchte, beides in Einklang zu bringen.

Der Mars führte Wahlen durch und der erste Marsgouverneur wurde 2058 gewählt: Yuri Patenkow.

Dieser verfolgte allerdings eigene Pläne – und die friedliche Eingliederung des Mars in das Terranische Konglomerat gehörte leider nicht dazu. Während die Regierung des Sonnensystems die Kolonisierung der restlichen Planeten und Monde vorantrieb und auch auf einige Welten jenseits des heimatlichen Systems expandierte, vergaß sie, vor der eigenen Haustür nach dem Rechten zu sehen. Patenkow baute sich nach und nach im Stillen eine Machtbasis auf und scharte Gleichgesinnte um sich.

2067 veröffentlichte er schließlich eine Proklamation, in der er den Mars von der Erde lossagte und für unabhängig erklärte. Aus Angst, andere Kolonien könnten dem Beispiel folgen, und weil man weder auf die Rohstoffe im Speziellen noch auf den Planeten im Allgemeinen verzichten wollte, setzte die Regierung Truppen und Schiffe ein, um den Aufstand niederzuschlagen und den Mars sozusagen in die Familie zurückzuholen.

Man rechnete mit einem schnellen Sieg. Ein fataler Irrtum.

Der Mars war ein recht lebensfeindliches Gebiet. So hatte er während der Kolonisierungsphase einen zähen Menschenschlag angezogen, der nur noch härter geworden war, je länger er auf dem Roten Planeten lebte.

Die Städte waren unter riesigen Kuppeln erbaut. Außerhalb der Kuppeln konnte man sich nur mit Raumanzügen wagen und ein kleiner Riss im Material war der sichere Tod. Wer sich entschied, auf so einem Planeten zu leben, war nicht leicht unterzukriegen.

Was folgte, war ein vier Jahre andauernder blutiger Bürgerkrieg, in dem beide Seiten hohe Opfer erlitten. Die Raumschiffe, die man zum Mars entsandt hatte, nutzen praktisch nicht viel. Man wollte ja schließlich nicht über einen Friedhof herrschen. Das schloss ein orbitales Bombardement der Rebellenhochburgen aus.

Also blieb ihnen keine andere Wahl, als jeden Schiffsverkehr um den Mars zu blockieren, um Waffenlieferungen an die Patenkow-Truppen zu unterbinden, und ansonsten ihre Bahnen zu ziehen und hilflos mit anzusehen, wie regierungstreue Truppen den Planeten Haus für Haus, Straße für Straße und Stadt für Stadt langsam zurückeroberten.

Als 2071 schließlich die letzte von Rebellen gehaltene Stadt zurück ans Konglomerat fiel, hatten mehr als 39 000 Regierungssoldaten und 63 000 Marskolonisten ihr Leben gelassen.

Um zu verhindern, dass sich eine derartige Tragödie wiederholte, wurde beschlossen, dass der Gouverneur in Zukunft vom Präsidenten ernannt werden und von der Erde stammen sollte. Auf keinen Fall durfte er irgendeine persönliche Bindung zum Mars haben.

Aber wie das nun mal bei Bürgerkriegen so ist, blieben Fanatiker übrig, Hardliner, die sich mit der Niederlage nicht abfanden. So entstanden die Pro-Mars-Gruppen. Sie wuchsen langsam, waren zuerst fast unbedeutend, entwickelten sich aber recht schnell zu einer ernsten Bedrohung.

Zeitweise gab es fast täglich Anschläge und nicht wenige von der Erde eingesetzte Gouverneure starben eines unnatürlichen und häufig auch sehr hässlichen Todes.

Also wurden wieder Truppen entsandt und das Kriegsrecht ausgerufen. Es folgten Beschränkung der Bürgerrechte, Verhaftungen bekannter Sympathisanten und Massenrazzien.

Dieser Zustand, wenn man dieses Chaos denn so nennen konnte, hielt 26 Jahre an.

2097 signalisierten verschiedene Terroristengruppen erstmals Gesprächsbereitschaft. Kriegsmüdigkeit hatte sich in ihren Reihen ausgebreitet und man vereinbarte einen Waffenstillstand mit der Regierung.

Vertreter der Regierung, der Marsverwaltung und der Freiheitskämpfer, wie sie sich selbst bezeichneten, setzten sich an einen Tisch und verhandelten über ein Ende der Kämpfe. Die Wortführer der Terroristen wurden von der Freiheitsliga gestellt, der größten, gefährlichsten und für die meisten Anschläge verantwortlichen Gruppe. Würde sie den Vereinbarungen zustimmen, würden die anderen folgen.

Die Verhandlungen dauerten fast eine Woche. Aber sie kamen überein. Alle Gruppen würden ihre Waffen abgeben und sofort alle Operationen einstellen. Dafür erhielten sie Amnestie und das Recht, ihre Netzwerke in parteiähnliche Gruppierungen umzuwandeln, um den Traum vom unabhängigen Mars auf friedlichem und politischem Weg weiterzuverfolgen. Ein weiterer Punkt der Vereinbarung war, dass alle regulären Konglomeratstruppen, bis auf eine kleine Einheit von maximal fünfzig Mann, die eher als symbolische Geste zu sehen war, abgezogen wurden und der zuständige Gouverneur eine eigene Miliz für Polizeiaufgaben und zur Friedenssicherung einsetzen musste. Diese konnte sich aus Bürgern des Mars, der Erde oder einem anderen Teil des von Menschen besiedelten Raums zusammensetzen, aber es durften eben keine Regierungstruppen sein.

Dafür hatte es während des Krieges zu viele Gräueltaten und zu viel böses Blut gegeben – auf beiden Seiten.

Ein Arrangement, mit dem jeder leben konnte. Und so gingen die Terroristen in die Politik und kämpften friedlich für ihre Sache. Die meisten der politischen Vereinigungen erwiesen sich als wahre Eintagsfliegen und verschwanden schon nach kurzer Zeit in der Versenkung. Doch die Freiheitsliga gab es noch immer. Und sie besaß sogar beträchtlichen Einfluss auf dem Mars.

Eine Bewegung vor seinem Fenster ließ ihn von seinen Unterlagen aufblicken. Das Passagierschiff passierte in einigen Hundert Kilometern Abstand die Terra-II-Raumstation, einen Versorgungs- und Wartungsstützpunkt der Flotte. Die Station schwebte im niedrigen Orbit der Erde und war ein Geflecht miteinander durch Andockschleusen und Gänge verbundener Module. Was aussah wie eine pockennarbige Oberfläche, waren in Wirklichkeit Geschützbatterien, die in erster Hinsicht zur Abwehr von umherfliegenden Asteroiden dienten. In ihrer ganzen Geschichte hatte sich die Terra II nie gegen einen Angriff wehren müssen. Gegen wen auch? Die Menschheit hatte im Weltall keine ernsten Feinde. Und schon gar keinen, der es bis auf Feuerentfernung zur Erde geschafft hätte.

Die Schleusen erregten seine besondere Aufmerksamkeit. Die meisten waren leer, aber auf der dem Schiff abgewandten Seite der Station erkannte er die Heckpartie mit den Antriebsaggregaten einer eleganten, stromlinienförmigen Silhouette. Solche Schiffe sah man hier im System nicht allzu oft. Die meisten Großkampfschiffe waren an den äußeren Kolonien, um sie gegen Angriffe marodierender Piraten zu schützen.

Die Berlin!

Achtunddreißig Jahre Frieden und nun diese Scheiße. Sollte tatsächlich die Freiheitsliga dahinterstecken, würde sich die Geschichte wiederholen und nur Gott allein wusste, wie viel Opfer es diesmal geben würde.

Er schwor sich, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um genau das zu verhindern.

Major Rachel Kepshaw hielt sich eigentlich für einen ziemlich umgänglichen Menschen. Wenn man sie näher kannte, konnte man durchaus hervorragend mit ihr auskommen, aber dieser arrogante Kerl da neben ihr brachte sie einfach zur Weißglut.

Nicht nur, dass er sie in Nogujamas Büro mit seiner Bemerkung über Wachhunde aufs Tiefste gedemütigt hatte. Nein, er hatte sich noch nicht einmal entschuldigt, und was dem Fass den Boden ausschlug: Er ignorierte sie weitgehendst und unternahm nicht den geringsten Versuch, eine Konversation zu beginnen.

Sie war über seine Reaktion nicht mal besonders überrascht, nur verärgert. Sie war sich darüber im Klaren, was man von Mitarbeitern der Inneren hielt. Man konnte nicht in dieser Abteilung arbeiten und nicht wissen, wie man von anderen gemieden, gefürchtet oder sogar gehasst wurde. Das war eben Berufsrisiko, wenn man eine solche Laufbahn einschlug.

Das versprach eine sehr lange Reise und ein noch viel längerer Auftrag zu werden.

Sie nutzte die Zeit, um die Unterlagen durchzugehen, die sie von ihrer Dienststelle bekommen hatte. Dazu gehörte auch ein Dossier über Major Coltor und seine Militärakte.

Es war vielleicht nicht besonders nett, einen Offizier zu durchleuchten und alle Informationen über ihn zusammenzutragen, mit dem man an einem Fall arbeiten sollte, aber das lag nun mal in der Natur der Inneren.

Und im Augenblick war sie verstimmt genug, um etwas in David Coltors Leben, sprich in seiner Akte herumzustochern.

Er war mit achtzehn in die Marine eingetreten, war somit ein Jahr jünger gewesen als sie selbst.

Hatte sich freiwillig zu den Fliegern gemeldet und war zum Kampfpilot ausgebildet worden.

Nach der Ausbildung, kurz nach seinem zwanzigsten Geburtstag, wurde er auf das Trägerschiff TKS Rio de Janeiro versetzt, auf dem er die folgenden drei Jahre diente.

In dieser Zeit hatte er im Kampfeinsatz neunzehn bestätigte Abschüsse zu verzeichnen, hauptsächlich gegen ruulanische Plünderer, die von jenseits des Pferdekopfnebels im Sternbild Orion kamen und immer wieder menschliche Siedlungen und Schiffe überfielen.

Der Menschheit waren nach ihrem Aufbruch ins All nur wenige nichtmenschliche Rassen begegnet und die meisten waren auch durchaus bereit, mit den Menschen in friedlicher Koexistenz zu leben, doch die Ruul bildeten da die Ausnahme. Sie hatte noch nie einen gesehen, das hatten die wenigsten, die nicht bei den Marines dienten. Aber sie wusste, sie waren größer als die meisten Menschen und von entfernt humanoider Gestalt. Im Schnitt maßen sie etwa zwei Meter zehn. Man nahm an, dass es sich um Amphibien handelte, die sich aus Meeresbewohnern entwickelt hatten. Außerdem hatten sie einen vollkommen unbehaarten Körper und waren von einer hauchdünnen Schleimschicht bedeckt, die den Körper wohl feucht halten sollte, solange sie sich nicht im Wasser aufhielten. Aus diesem Grund wurden sie von den Piloten und Soldaten, die gegen sie kämpften, meistens einfach nur Slugs genannt.

Eine, bislang allerdings unbewiesene, Theorie besagte, dass sie durch diese Eigenart sogar begrenzte Zeit im Vakuum des Raums überleben konnten.

Sie waren eine äußerst aggressive Rasse, die in komplizierten Familien- und Stammesstrukturen lebte. Die Menschen hatten seit etwa vierzig Jahren Kontakt zu ihnen. Sie waren Nomaden, das hatte man von anderen Spezies gehört, die bereits länger mit den Ruul zu tun hatten. Ihr Heimatplanet war wohl vor mehreren Tausend Jahren zerstört worden. Ob durch eine Naturkatastrophe oder durch eigenes Verschulden war unbekannt, wie so vieles andere, was diese rätselhafte Rasse betraf. Zum Glück waren sie technologisch weit hinter den Menschen zurück. Sie besaßen weder Schild- noch Torpedotechnologie. Es waren ihre Zahl und ihre Wildheit, die sie so gefährlich machten.

Es hatte lediglich eine größere Schlacht zwischen ruulanischen und terranischen Großkampfschiffen gegeben. Das war 2097 gewesen, als ein kleiner Trägerverband, bestehend aus zwei Trägern, einem Schlachtschiff und acht Kreuzern, der Ursus-Kolonie zu Hilfe gekommen war. Als der Verband aus der Lichtgeschwindigkeit kam, hatte eine Flotte aus fünfzehn ruulanischen Großkampfschiffen ihn erwartet. In weniger als einer Stunde hatte der terranische Verband die ruulanischen Schiffe vollständig vernichtet und dabei nur zwei Leichte Kreuzer und eine kleine Anzahl Jäger verloren. Das war allerdings erst der Anfang gewesen. Sowohl Ruul als auch Menschen schickten Verstärkung und eine tagelange Abwehrschlacht um die Kolonie begann, die die Menschen im Endeffekt für sich entscheiden konnten.

Seit diesem Zwischenfall beschleunigten die Ruul auf Lichtgeschwindigkeit und waren weg, sobald ein Schlacht- oder Trägerschiff des Konglomerats am Horizont auftauchte. Nicht selten ließen sie dabei Jäger, die bereits im Raum operierten, oder Truppen, die sie abgesetzt hatten, zurück. Diese kämpften dann wie besessen bis zum letzten Mann. Kein Ruul konnte jemals lebend gefangen genommen werden.

Aber zurück zu Major Coltor, damals Lieutenant.

Während eines Gefechts gegen ein ruulanisches Überfallkommando gelang es ihm, ein Kurierschiff zu retten, in dem sich ein hohes Tier befand.

Dadurch wurde ein gewisser Konteradmiral Nogujama, ebenjenes hohe Tier, auf den damaligen Lieutenant aufmerksam und bot ihm eine Stelle beim Geheimdienst an, die dieser auch, ohne zu zögern, annahm.

Seither galt er als hervorragender Ermittler, der noch nie einen Fall ungelöst zu den Akten gelegt hatte.

Eine beeindruckende Laufbahn.

Aber ein guter Offizier zu sein, schließt wohl nicht ein, auch ein sympathischer Mensch zu sein, dachte sie mit einem resignierten Seufzen.

Sie warf ihm aus dem Augenwinkel einen Blick zu und bemerkte, wie er in Gedanken versunken die Terra II musterte.

Die beiden Ermittler traten fünfzehn unbequeme Stunden später aus dem Raumhafengebäude ins künstliche Licht von Neu-Johannesburg und sahen sich erstmals um. Keiner der beiden hatte jemals zuvor den Mars besucht. Die Städte hier bestanden aus mehreren Kuppelbauten, die durch Röhren miteinander verbunden waren. In den Röhren waren die Straßen und Magnetbahnen untergebracht, die den Verkehr zwischen den einzelnen Kuppeln ermöglichten. Die Kuppeln selbst bestanden aus Tirium 108, einem seltenen, äußerst widerstandsfähigem Metall, das auf den Uranusmonden Titania, Oberon und Umbriel geschürft wurde.

Der Stadtkomplex Neu-Johannesburg bestand aus fünf solcher Bauten. Eine große zentrale Kuppel in der Mitte und vier kleinere, die strahlenförmig von der zentralen wegführten. Die Grundfläche der vier kleineren maß jeweils etwa vierzig km2, die große etwa hundertfünfzig km2.

Der Komplex war natürlich nicht immer so groß gewesen, aber die Kuppeln waren im Lauf der Zeit mehrmals erweitert worden, um die Masse an Menschen unterzubringen, die sich hier angesiedelt hatten.

Im Augenblick befanden sie sich in Außenkuppel drei, die gut zur Hälfte vom Raumhafen eingenommen wurde. Sämtliche Verwaltungsgebäude sowie die Schauplätze der Anschläge, bis auf einen, befanden sich in der Zentralkuppel.

»Willkommen auf dem Mars, wo der nächste Schritt Sie töten kann«, sagte David ironisch.

Rachel war sich nicht sicher, ob er sich damit einen Scherz erlauben wollte, auf ihren Auftrag anspielte oder ob er den Mars einfach nicht mochte.

Neu-Johannesburg, die planetare Hauptstadt, lag in der Nähe eines der Pole des Planeten, die, ähnlich wie auf der Erde, gefroren waren. Im Unterschied zum Blauen Planeten jedoch, bestand das Eis auf dem Mars hauptsächlich aus gefrorenem Kohlendioxid. Die Achse des Mars war, ebenfalls wie auf der Erde, zu seiner Sonnenumlaufbahn geneigt, was dafür sorgte, dass es auch auf dem Roten Planeten wechselnde Jahreszeiten gab.

Im Augenblick herrschte auf der Nordhalbkugel planetarer Winter. Deshalb schwankte die Temperatur um die Hauptstadt zwischen -90 und -125 °C. Das war verflucht kalt. Selbst in einem Raumanzug. Sie beneidete die Techniker und Wartungsmannschaften, die sich um die Bergbauanlagen oder die Instandhaltung der Kuppeln kümmerten nicht besonders. Wärmeaggregate in den Kuppeln, die die marsianischen Städte schützten, sorgten dafür, dass sie nicht von einer Eisschicht überzogen wurden und somit auf lange Sicht gesehen die Kuppelbauten schädigen konnten. So dick das Tirium und so streng die Vorsichtsmaßnahmen auch waren, Eis hatte die unangenehme Tendenz, selbst das härteste Material brüchig zu machen, und das wäre in dieser feindlichen Umgebung einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes gleichgekommen.

Sie hätten eigentlich Anrecht auf ein Fahrzeug und einen Fahrer des örtlichen MAD-Büros gehabt, aber während des Fluges hatten sie sich dagegen entschieden. David wollte sich ein Bild von der Stadt und der allgemeinen Stimmung machen, und das konnte er nicht aus der Abgeschiedenheit eines offiziellen Wagens.

Es war früher Morgen. Beide waren erschöpft und einigten sich darauf, erst mal ins Hotel zu fahren und in einigen Stunden, wenn sie ausgeruht waren, mit ihrer Arbeit zu beginnen. Also nahmen sie ein Taxi und ließen sich zu ihrem Hotel bringen, das nur drei Straßen von ihrem ersten Ziel, dem marsianischen MAD-Hauptquartier, entfernt war.

Sie wurden von einem sehr gelangweilt aussehenden Portier empfangen, der ihnen den Schlüssel aushändigte und den Weg zu ihrem Zimmer wies. Dem Prospekt nach sollte das ein Dreisternehotel sein. Wenn das stimmte, dann wollte David sich nicht vorstellen, wie der Service in den weniger guten Hotels aussah. Das Zimmer war sehr spartanisch: ein Doppelbett, ein Tisch, zwei Stühle, ein Fernseher und ein Kleiderschrank.

»Ein Doppelzimmer. Wieder mal typisch. Ich hätte gedacht, dass wenigstens ein Zimmer für jeden drin ist«, beschwerte sich Rachel.

»Falls es Sie beruhigt, ich glaube nicht, dass wir allzu oft auf unserem Zimmer sein werden. Wir sind ja schließlich zum Arbeiten hier.« David konnte sich schon sehr gut vorstellen, auf wessen Mist das hier gewachsen war. Sarah. Ihr waren die Spannungen zwischen ihm und Major Kepshaw sicherlich nicht verborgen geblieben und das war ihre Art von Humor.

Na warte, das kriegst du zurück. Ich werde diesem ekligen Typ aus der Buchhaltung einfach sagen, dass du auf ihn stehst, dachte er und kicherte in sich hinein. Sie hasste den Kerl, weil er, egal wo sie auf ihn traf, ihr immer gierig und sabbernd hinterhergaffte.

Als sie etwas geschlafen, gefrühstückt und sich erfrischt hatten, verließen sie das Hotel in Richtung MAD-Büro. David sah sich auf ihrem Weg aufmerksam um und es gefiel ihm überhaupt nicht. Dabei ging es gar nicht so sehr darum, was er sah, sondern eher, was er fühlte. Angst war allgegenwärtig und fast körperlich greifbar. Die Menschen gingen gebeugt und schneller, als es wahrscheinlich notwendig gewesen wäre. Fast, als könnten sie es nicht erwarten, nach Hause zu kommen, was der Wahrheit vermutlich recht nahekam.

Die Läden, an denen sie vorbeikamen, waren überwiegend menschenleer. Die wenigen, die trotzdem ihre Besorgungen erledigten, taten dies schnell und ohne sich mit so etwas Unnötigem wie Konversation aufzuhalten. Und noch etwas fiel ihm auf. Nirgends sah er spielende Kinder. Nicht ein einziges. Dafür sah er etwas anderes. Waffen! Und zwar eine ganze Menge davon. In den Händen der Miliz, deren Mitglieder wegen ihrer grauen Uniformen der Einfachheit halber meistens nur abwertend Grauhemden genannt wurden. Sie waren überall. An den Kreuzungen, vor den Schulen, vor den Supermärkten. Sie standen in Gruppen herum und behielten die Umgebung im Auge, die Sturmgewehre immer im Anschlag.

Zu einem hohen Prozentsatz sogar Laser-Sturmgewehre, wie er verwundert registrierte. Er hatte keine Ahnung, dass schon mit der Auslieferung an planetare Milizen begonnen wurde, obwohl die regulären Truppen noch nicht mal komplett ausgerüstet waren.

Keine Gruppe war kleiner als zehn Mann. David fing an zu zählen, um sich einen kurzen Überblick über die aufmarschierte Feuerkraft zu verschaffen.

Bei siebenundneunzig gab er auf und dabei waren sie noch keine zwei Straßen weit gelaufen, seit er zu zählen begonnen hatte. Der Gouverneur ging wohl auf Nummer sicher und hatte nicht die Absicht, die Freiheitsliga noch einmal zum Zug kommen zu lassen. Dabei wirkte das Ganze aber mehr wie eine Besatzungsmacht denn wie eine Schutztruppe.

Wenn es in der ganzen Stadt genauso aussah wie in diesem Viertel, dann war die Lage noch weit ernster, als er bisher gedacht hatte. Seine Kollegin, die schweigend neben ihm gelaufen war, seit sie das Hotel verlassen hatten, berührte ihn an der Schulter und deutete die Straße hinab. Er folgte ihrem Blick und sah zwei Argus-II-Schützenpanzer, die gerade um die Ecke außer Sichtweite verschwanden. Das wurde ja immer besser. Zeit, dass er mit dem für den Mars zuständigen MAD-Offizier sprach. Sie hatten endlich die Niederlassung ihrer Behörde erreicht.

Eine Gruppe von fünf Marines, die zu einer Einheit von dreißig Mann gehörten, die dem Geheimdienstbüro unterstellt war, stand am Fuß der langen Treppe Wache und musterte die beiden Offiziere wachsam. Sie hielten gefährlich aussehende Sturmgewehre vom Typ M8A6 in der Hand, die Standardwaffe des Marine Corps. Außerdem trug jeder von ihnen zusätzlich je zwei Rauch- und Blendgranaten am Gürtel. Die Marines rechneten wohl jederzeit mit weiteren Anschlägen und hoben drohend ihre Waffen, als sie näher kamen.

Erst nachdem sie dem verantwortlichen Unteroffizier ihre Ausweise gezeigt und den Zweck ihrer Anwesenheit genannt hatten, ließen diese ihre Waffen beruhigt etwas sinken. Der Unteroffizier überprüfte ihre Angaben und ließ sie schließlich passieren. Sie machten sich daran, die breiten Stufen zum Eingang hinaufzuschlendern.

Als sie die Tür öffneten und in die Eingangshalle traten, hatten sie das Gefühl, in einen Bienenstaat geraten zu sein. Offiziere, Beamte und zivile Angestellte eilten, mit ihren jeweiligen Aufgaben beschäftigt, durch die Gänge. Die Halle selbst war mit einem, von der Erde importierten, Marmormosaik bedeckt und wurde durch mehrere Säulen gesäumt, was dem Gebäude einen gewissen Hauch von Luxus verlieh. David war auf den Colonel, der in so einer Einrichtung das Kommando führte, sehr gespannt.

Colonel Ahmed ben Kadi konnte seine arabische Herkunft nicht verleugnen. Seine Haut hatte einen dunklen Teint, er hatte schwarze lockige Haare und dunkle Augen. Kurz gesagt, unter den hellhäutigen Kolonisten stach er deutlich heraus.

Beim MAD diente er bereits fast neunzehn seiner einundvierzig Jahre und hatte in dieser Zeit viel erlebt. Tatsächlich hatte man bereits öfter auf ihn geschossen, als das bei manch anderem mit der doppelten Dienstzeit der Fall war. Das war auch eigentlich der Grund, weshalb er nun das Büro auf dem Mars leitete. Dieser Posten war aufgrund seiner Ruhe sehr beliebt. Hier passierte so gut wie gar nichts. Vor ein paar Jahrzehnten war das noch anders gewesen, aber das war Vergangenheit. So dachte er jedenfalls. Nach der ganzen Action, in die er, aufgrund seiner Berufswahl, immer wieder schlitterte, war das eine sehr erholsame Vorstellung gewesen.

Seine Vorgesetzten waren wohl derselben Ansicht, nämlich der, dass er sich etwas Ruhe verdient hatte; so genehmigten sie sein Versetzungsgesuch und er fand sich auf dem nächsten Flug Richtung Mars wieder. Das war vor etwa drei Monaten gewesen. Drei wundervolle Monate, in denen er nicht viel mehr getan hatte, als monatliche Berichte zur Erde zu schicken.

Dann waren die Anschläge wie aus heiterem Himmel über die Stadt hereingebrochen und nichts war mehr so wie früher. Jetzt schrieb er täglich Lageberichte und auf dem Planeten herrschte Ausnahmezustand. Eine der Bomben war gar nicht weit von seinem Büro entfernt detoniert. Seine Mitarbeiter und er hatten großes Glück gehabt. Sie waren knapp außerhalb des tödlichen Radius gewesen, aber die Druckwelle hatte sämtliche Fenster zersplittert und beträchtliche Schäden angerichtet. Einiges davon war noch immer nicht repariert.

Man hatte ihm zwei Kollegen von der Erde angekündigt. Er konnte es kaum erwarten, dass sie endlich eintrafen und zumindest einen Teil der Verantwortung von seinen Schultern nahmen. Die Situation war fast wie ein Albtraum. So was hatte er in seiner ganzen Karriere noch nicht erlebt. Überall kochten die Gefühle über. Es hatte Übergriffe gegen Sympathisanten der Pro-Mars-Gruppen gegeben. Man hatte einige Mitglieder der Freiheitsliga auf offener Straße angegriffen und zusammengeschlagen. In zwei Fällen waren die Opfer an den Folgen ihrer Verletzungen gestorben. Bei mehreren dokumentierten Gelegenheiten waren bei diesen Angriffen Einheiten der Miliz in Sichtweite gewesen, hatten aber nicht eingegriffen. Das sprach Bände über die Befehle, die sie erhalten hatten.

Sein Blick streifte das Foto, das auf seinem Schreibtisch stand. Auf dem Bild war er selbst zu sehen, wie er eine Frau in den Armen hielt. Seine wunderschöne Alea. Verdammte Anschläge! Er wünschte, sie hätte seinem Drängen nachgegeben und wäre zurück zur Erde geflogen, aber sie hatte darauf bestanden, bei ihm zu bleiben. Als ob er nicht genug hatte, worüber er sich Sorgen machen musste.

Warum können Frauen nicht wenigstens ein einziges Mal das machen, was man ihnen sagt?

Ahmed blickte auf und sah zwei Offiziere, einen Mann und eine Frau, die er nicht kannte, durch den breiten Gang auf sein Büro zumarschieren. Beide trugen die Insignien eines Majors am Revers.

Na endlich, dachte er, da sind sie ja!

Er kam hinter seinem Schreibtisch hervor, um sie zu begrüßen.

»Major Coltor, Major Kepshaw«, sagte er und wartete, bis seine Gegenüber ihm bei der Erwähnung ihres Namens zunickten und ihm die Hand gaben.

»Lieutenant Colonel Ahmed ben Kadi«, stellte er sich vor. »Schön, Sie beide hier auf dem Mars begrüßen zu können. Nur schade, dass es nicht unter erfreulicheren Umständen ist. Nehmen Sie doch bitte Platz.« Er wies auf die beiden Stühle auf der anderen Seite seines Tisches und nahm wieder hinter seinem Schreibtisch Platz.

»Wie war Ihre Reise?«, fragte er, um das Eis zu brechen.

»Lang, aber anstrengend«, antwortete Major Coltor knapp, aber mit einem schiefen Grinsen. Bei diesem Anblick grinste auch Ahmed und selbst in Major Kepshaws Mundwinkeln zuckte es verdächtig. Er entschied im Stillen, dass er die beiden mochte.

»Ich habe einige Fragen, Colonel«, wechselte Coltor schlagartig das Thema und wurde wieder ernst.

»Selbstverständlich, Major, ich wurde angewiesen, auf jede mir mögliche Art mit Ihnen beiden zusammenzuarbeiten. Schießen Sie los.«

»Zuerst einmal: Wurden Sie über die Zuständigkeiten aufgeklärt?«

»Allerdings, Major. Sie führen die Untersuchung und in dieser Eigenschaft sind Sie auch mir gegenüber weisungsbefugt in allen Belangen, die damit zusammenhängen.«

»Sehr gut. Als Nächstes: Wie sind Sie an diese Laboranalyse über die bei den Anschlägen verwendete Sprengstoffe gekommen?«

»Ich weiß, was Sie denken, aber auf dem Weg kommen wir nicht weiter. Die Spur verläuft im Sand. Ein Kurierdienst wurde beauftragt, das Paket bei uns abzugeben. Natürlich kein Absender. In dem Haus, in dem der Kurierdienst die Sendung in Empfang genommen hat, ist kein Mann bekannt, auf den die Beschreibung des Auftraggebers passt. Die Beschreibung selbst ist ebenso wenig hilfreich. Der Mann ist ungefähr zwischen 1,75 m und 1,80 m groß, blass, schlank, hat blonde Haare, die Augenfarbe ist unbekannt. Das könnte hier auf dem Mars fast jeder sein, eine Stecknadel im Heuhaufen.«

»Schade, auf dem Weg kommen wir wohl wirklich nicht weiter. Besitzen die örtlichen Kräfte denn Bestände an C25 und wenn ja, gibt es Berichte, dass ein Teil davon gestohlen wurde?«

»Nein, die haben so etwas nicht«, wehrte er ab. »Ich erhalte regelmäßige Berichte, was für Waffenlieferungen der Mars erhält, und C25 gehört eindeutig nicht dazu. Was natürlich die Frage in den Raum stellt, wie die Terroristen darangekommen sein sollen.«

»Ja, darüber macht man sich auf der Erde auch große Sorgen«, bestätigte David. »Wie steht die Freiheitsliga der ganzen Sache gegenüber? Gab es ein Bekennerschreiben? Streiten sie es ab? Wie verhalten sie sich?«

»Wenn ich das nur wüsste«, antwortete ben Kadi. Zeitgleich mit dem Anschlag ist die komplette Führungsriege der Liga verschwunden. Ritter und alle Lieutenants seiner Organisation. Man sagt, sie seien in den Untergrund gegangen. Sie sind wie vom Erdboden verschwunden. Keiner meiner Informanten konnte mir sagen, wo sie hin sind.« Der Colonel war mehr als nur ein wenig frustriert.

»Das spricht nicht gerade für ihre Unschuld«, gab David zu.

»Sieht es eigentlich in der ganzen Stadt so aus wie dort draußen«, fragte Major Kepshaw, indem sie sich in dem Gespräch zum ersten Mal zu Wort meldete. Sie deutete mit dem Kopf in Richtung Tür.

»In der Stadt?! Es sieht auf dem ganzen Planeten so aus. Es ist echt schlimm da draußen. Man könnte meinen, wir hätten wieder Krieg.« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Kaum zu glauben, dass ich herwollte, weil hier nie was los ist.«

David sah ihn mitfühlend an. Sein Gegenüber musste wirklich eine harte Zeit hinter sich haben. Er sah seine Kollegin fragend an.

»Wenn Sie keine Fragen mehr haben, würde ich sagen, wir brechen jetzt in Richtung Governeursresidenz auf und stellen Seiner Exzellenz ein paar Fragen.«

»Hatten Sie nicht gesagt, wir würden uns zuerst die Tatorte ansehen?«, entgegnete sie.

»Schon, aber ich habe mich umentschieden. Dieses rigorose Vorgehen, dieser Truppenaufmarsch, die allgegenwärtige Gewalt: Das alles macht mich sehr auf den Mann neugierig, der hier das Sagen hat.«