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Die Ruul sind auf der Flucht. Operation Atlas war fast zur Gänze erfolgreich. Die RIZ steht kurz vor dem Fall. Die ruulanische Armada wurde weitestgehend zerschlagen. Die ruulanischen Stämme sind in Auflösung begriffen und zerstritten. Die Koalition ist an allen Fronten auf dem Vormarsch und fügt den Invasoren bei jeder Gelegenheit verheerende Verluste zu. Der Krieg ist jedoch noch nicht vorüber. Ein Wermutstropfen trübt den Triumpf. Kerrelak, Kriegsmeister der Ruul und oberster militärischer Führer der Stämme, konnte dem Gemetzel unter seinem Volk entkommen. Getrieben von unstillbarem Rachedurst, sammelt er eine Flotte Überlebender um sich und nimmt Kurs auf die Heimatwelt seiner verhasstesten Todfeinde und der Architekten der ruulanischen Niederlage: der Erde. Doch aufgrund des hohen Personal- und Materialbedarfs von Operation Atlas stehen im Solsystem nur wenige Schiffe und Truppen zur Verteidigung bereit. Eine gnadenlose Abwehrschlacht bahnt sich an, die am Ende nur eine Seite überleben wird …
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Seitenzahl: 463
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Prolog
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Epilog
Nachwort des Autors
Weitere Atlantis-Titel
Stefan Burban
Verbrannte Erde
Kerrelak’estar-noro, Kriegsmeister der ruulanischen Stämme, sah den beiden Kriegern ausdruckslos hinterher, als sie den Kadaver des Menschen aus dem Raum schleppten.
Der nestral’avac war der Länge nach aufgeschlitzt worden. Seine heraushängenden Gedärme hinterließen einen roten Streifen auf dem ansonsten makellosen und blank polierten Boden.
Kerrelak wandte sich um und stapfte verdrossen zum großen Panoramafenster. Sein unsteter Blick wanderte zu der Welt, die unter ihm ihre Bahn zog.
Darius. Einer der wichtigsten feindlichen Nachschubplaneten in drei Sektoren. Kerrelak stieß ein kurzes Schnauben aus seinen Nüstern aus. Er hätte von Anfang an wissen müssen, dass hier etwas nicht stimmte.
Dabei hatte er eigentlich keinen Grund, sich zu beklagen. Diese Schlacht hätte sein Ende werden sollen. So lauteten jedenfalls Berinars ambitionierte Pläne. Kerrelak hatte keine andere Wahl gehabt, als sich zu fügen oder einen ehrlosen Tod durch Erel’kai zu erleiden, die Berinar Gefolgschaft geschworen hatten. Für jemanden wie Kerrelak war diese Wahl eigentlich gar keine.
Seine geradezu lächerlich unzureichende Flotte von dreihundert Schiffen war wie geplant im Darius-System materialisiert. Die Krieger unter Kerrelaks Kommando hatten sich mit Inbrunst in den Kampf gestürzt, in dem Glauben, sie würden die nächsten Stunden nicht überleben.
Doch Kerrelak und der Großteil seiner Krieger standen immer noch hier. Sehr zur Überraschung des Großmeisters. Die Basis der Koalition fiel praktisch im Handstreich. Gut, Kerrelak hatte bei der Einnahme ein Drittel seiner Schiffe verloren, doch die Basis befand sich nun in seiner Hand.
Die Schiffe und Truppen, die eigentlich das System hätten verteidigen sollen, waren fort. Darius wurde nur durch eine lächerlich geringe Anzahl feindlicher Einheiten gehalten.
Kerrelak hatte sein Glück kaum fassen können – bis er ins Grübeln geraten war. Warum sollte die Koalition eine wichtige Basis praktisch ungeschützt lassen?
Auf der Suche nach der Antwort hatte er gefangene Menschen foltern lassen. Sie wussten nicht viel zu berichten. Nur, dass das Gros der Verteidigungseinheiten mit unbekanntem Ziel abberufen worden war. Und kurz darauf hatten sie die ersten Katastrophenmeldungen erhalten.
Nachrichten über gewaltige Schlachten hatten sie erreicht. Von willkürlich auftretenden Systemfehlern, die einen beträchtlichen Teil der ruulanischen Flotte lahmlegten. Eine schnelle Überprüfung hatte ergeben, dass zumindest das zutraf. In den Systemen jedes dritten Schiffes Kerrelaks war ein seltsames Computervirus entdeckt worden. Die Techniker arbeiteten im Moment an seiner Entfernung oder zumindest Deaktivierung, doch sie schienen nicht sehr optimistisch. Ohne eine voll ausgerüstete Werft und die entsprechenden Geräte war dies wohl extrem schwierig zu bewerkstelligen.
Hinter ihm öffnete sich zischend die Tür und Teroi’karis-esarro betrat den Raum. Der hünenhafte Erel’kai wich behände der Blutspur aus, die der Mensch hinterlassen hatte. Die Miene des Kriegers sagte nicht viel, doch die Färbung seiner Schuppen dafür umso mehr.
Teroi blieb zwei Schritte entfernt stehen und salutierte mit einem Faustschlag auf die linke Brustseite. Kerrelak wandte sich wieder um und betrachtete weiter den Planeten.
»Es ist also wahr«, eröffnete er das Gespräch, indem er die Frage, die ihn und alle Ruul seiner Flotte beschäftigte, als Tatsache aussprach.
Teroi zögerte, antwortete dann jedoch. »Es ist wahr, Kriegsmeister. Die Zerstörer der Völker ist ein im All treibendes Wrack. Berinar und der Ältestenrat sind gefallen.«
Nun wandte sich Kerrelak doch kurz um. »Es gibt keine Überlebenden?«
Teroi neigte sein mächtiges Haupt. »Nein, keinen einzigen. Der Ältestenrat ist vernichtet.«
Kerrelak wandte sich wieder um, versuchte Teroi und das Gesagte zu ignorieren. Doch die Nachrichten waren so verheerend, dass man sie nicht ignorieren konnte.
»Wie hoch sind unsere Verluste?«
»Unklar, aber erheblich. Die nestral’avac und ihre Verbündeten wüten durch den Raum, den wir so mühsam eroberten. Sie schlachten jeden unserer Brüder ab, den sie finden können. Unsere gewaltige Armada wurde zerschlagen. Es erreichen uns jedoch vereinzelte Botschaften Überlebender.«
Kerrelak merkte auf. »Dann gibt es also wenigstens unter der Kriegerkaste Überlebende?«
»Ja. Ein Geschwader Schiffe hier, ein paar Truppentransporter dort. Sie sind jedoch in alle Richtungen versprengt, führerlos und demoralisiert.«
Kerrelaks Blick wanderte nach links, wo die Schiffe auf einer Parkposition lagen, die während der Schlacht um Darius beschädigt worden waren. Ruulanische Techniker krabbelten wie Insekten über den Rumpf eines jeden Schiffes, um die notdürftigsten Reparaturen durchzuführen. Kerrelaks Gedanken rasten. Er fieberte danach, sich den Menschen im Kampf zu stellen. Sie für die Schmach dieser furchtbarsten aller Niederlagen zur Rechenschaft zu ziehen. Doch dies hätte seinen Tod und den seiner Krieger bedeutet. Das konnte er nicht zulassen. Seine Flotte war die einzig zusammenhängende und straff geführte ruulanische Streitmacht, die es noch gab.
Teroi trat einen Schritt näher und riss Kerrelak damit aus seinen Gedanken. »Kriegsmeister? Was tun wir jetzt?«
Kerrelak merkte auf. »Kriegsmeister? Wovon denn? Unserem Volk wurde Schreckliches angetan. Nein, ich bin kein Kriegsmeister mehr.«
»Du wirst immer Kriegsmeister sein.« Die raue Stimme ließ Kerrelak herumfahren. Seinen getreuen Leibwächter Nestarr hätte er beinahe vergessen. Der Krieger hatte die ganze Zeit über in der dunklen Ecke gestanden. Still und regungslos, einer Statue gleich. Doch nun bewegte er sich vorsichtig ins Licht, beinahe als hätte er Angst, die düstere Stimmung ihrer Situation zunichtezumachen.
Über der Stelle, an der sich einst sein rechtes Auge befunden hatte, prangte nur eine rote Narbe über der nun leeren Augenhöhle. Sie stammte von einem fehlgeschlagenen Attentat auf sein Leben. Ein Erel’kai – ein Erel’kai, bei den Göttern! – hatte versucht, ihm mit dem Schwert den Kopf abzuschlagen. Nestarr war dazwischengegangen und hatte sein Leben gerettet, im Gegenzug jedoch das rechte Auge eingebüßt. Der Erel’kai war lebendig gefangen genommen und gefoltert worden. Doch egal wie groß die Schmerzen auch waren, er hatte seinen Auftraggeber nie preisgegeben. Kerrelak selbst hatte ihm anschließend die Kehle durchgeschnitten.
Er hatte nie herausfinden können, wer es geschafft hatte, einen Erel’kai gegen ihn aufzuhetzen. Eigentlich spielte es keine große Rolle mehr. Der Schuldige war mit Sicherheit inzwischen tot. Kerrelak vermutete, es handelte sich um eines der unlängst so unschön aus dem Leben geschiedenen Mitglieder des Ältestenrates.
»Du bist der Kriegsmeister«, sprach Nestarr weiter. »Ich diene dir jetzt schon so lange. Schon seit Beginn des Krieges. Nie hast du verzagt oder gezögert. Du hattest immer eine Vision für unser Volk und hast alles getan, um diese Vision zu erreichen. Kriegsmeister Kerrelak, dein Volk bedarf der Führung. Also führe uns.«
Kerrelak musterte seinen Leibwächter mit einer Mischung aus Erheiterung und Resignation.
»Und wie stellst du dir das vor, Nestarr? Mit den wenigen Schiffen und Kriegern, die ich noch mein Eigen nenne? Wie sollen wir kämpfen? Welches Ziel wäre schwach genug, um von uns erobert zu werden? Nein, wir sind …« Kerrelak zögerte. Teroi und Nestarr wechselten einen vorsichtigen Blick.
»Teroi? Wie viele Schiffe besitzen wir noch? Ich meine kampffähige?«
Teroi überlegte kurz. »Zweihundertunddrei. Wenn wir die schwer beschädigten und manövrierunfähigen ausschlachten, können wir vielleicht noch zehn oder zwanzig Schiffe mehr flottkriegen.«
»Dann tu das.« Kerrelaks Gedanken überschlugen sich. Wenn die Geschichten und Nachrichten stimmten, dann hatte die Koalition für den Sturm auf die ruulanisch besetzten Welten eine unfassbar große Streitmacht zusammengezogen. Diese Schiffe und Truppen mussten ja schließlich von irgendwo kommen. Es war durchaus denkbar, dass die Welten des feindlichen Hinterlandes nun praktisch ungeschützt vor ihm lagen.
Sein Blick fiel auf das Hologramm einer Sternkarte, die an der Stirnseite des Raumes projiziert wurde. Ein System stach ihm dabei ganz besonders ins Auge.
»Nestarr? Schick eine Botschaft hinaus ins All. Jedes Schiff und jeder Krieger, der noch dazu in der Lage ist, soll sich aufmachen, um sich mit uns zu treffen. Wir versammeln das, was von unseren Flotten und Truppen noch übrig ist. So viele wie nur möglich.«
Nestarr nickte. »Wie du wünschst, Kriegsmeister.« Unüberhörbarer Stolz schwang aus der Stimme des Kriegers.
Teroi schien weniger überzeugt von Kerrelaks Handeln. »Wenn ich fragen darf, Kriegsmeister. Was hast du vor?«
Kerrelak drehte sich um und musterte seinen Untergebenen mit festem Blick. »Wir bauen eine Streitmacht auf und dann rächen wir uns. Wir rächen uns auf eine Weise, wie es die Menschen nie für möglich gehalten hätten. Sie denken, sie hätten gewonnen. Wir halten ihnen vor Augen, wie falsch sie damit liegen. Dieser Sieg wird sich in ihrem Mund zu Asche verwandeln.« Er deutete auf die Sternkarte. Teroi stutzte, als er erkannte, auf welches System sein Kriegsmeister es abgesehen hatte. »Sie werden das Gefühl kennenlernen, heimatlos zu sein. Sie werden das Gefühl kennenlernen, ohne Wurzeln zu sein. Sie werden dieses Gefühl in all seinen Nuancen spüren – wenn wir die Erde zerstören.«
»Meine Damen und Herren«, verkündete Lieutenant General Corso Garret mit volltönender Stimme, »Palakina ist gefallen.«
Lieutenant Colonel Derek Carlyle sank in die Hocke nieder und dankte im Stillen seinem Schöpfer, als er die Nachricht über HelmCom vernahm.
Obwohl die RIZ praktisch nicht mehr existierte und sich die Überreste der Slugs auf der Flucht befanden, durfte man sie nicht unterschätzen. Die Kämpfe auf Palakina waren lang, aufreibend und blutig gewesen. Es hatte fast eine Woche gedauert, den ruulanischen Truppen auf der Oberfläche das Rückgrat zu brechen. Doch selbst danach hatten sie nicht aufgegeben.
Major Narim Sing trat zu ihm und reichte seinem Freund und Befehlshaber eine Wasserflasche. Der Inder, den sonst nichts aus der Ruhe zu bringen schien, wirkte ausnahmsweise ausgelaugt und nachdenklich.
Derek nahm die angebotene Flasche entgegen und gönnte sich einen tiefen Schluck. Das Wasser schmeckte unangenehm warm und schal, doch es erfüllte seinen Zweck. Dereks staubtrockene Kehle schmerzte mit einem Mal weit weniger als noch Augenblicke zuvor.
Der Kommandant des 171. Infanterieregiments sah sich durch halb zusammengekniffene Augen um. Die letzte Schlacht war noch nicht lange vorbei. Die Schützengräben von Palakina waren übersät mit Zigtausenden toten Ruul, Menschen, Til-Nara und Nerai.
Als die endgültige Niederlage abzusehen war, hatten die Ruul jegliche Zurückhaltung über Bord geworfen und sich in wilder Raserei in einem Selbstmordangriff über die Stellungen der Menschen ergossen, in einem Strom, der kein Ende zu nehmen schien. Das Ergebnis war ein Blutbad, das man nur äußerst wohlwollend als Schlacht bezeichnen konnte.
Bei Garrets Ankündigung hätte man eigentlich erwarten müssen, dass die Soldaten in spontanen Jubel ausbrächen, doch nichts dergleichen geschah. Die Männer und Frauen sanken zum Großteil an Ort und Stelle erschöpft nieder.
Palakina lag zwischen New Born und Ursus. Nach der Zerstörung jeglicher Kommandostruktur innerhalb der RIZ waren die Streitkräfte der Koalition derzeit mit Aufräumarbeiten beschäftigt. Nach der Schlacht um Penelope gab es immer noch eine Menge Welten der RIZ, die von Ruul gehalten wurden oder auf denen weiterhin ruulanische Einheiten umherstreiften. Sie alle mussten ausgeschaltet werden, damit der Krieg endlich enden konnte. Doch nach der Zerstörung der Tiamat und des Gros der ruulanischen Flotte bei Penelope zweifelte niemand mehr daran, dass die Ruul zu schlagen waren. Der Krieg würde enden. Schon bald. Die Frage war nur, welchen Preis die Soldaten der Koalition bis zu diesem Augenblick noch würden bezahlen müssen.
Derek wollte sich seinem Freund zuwenden, als es in seinen Ohren knackte. »Alle Regimentskommandeure der 159. Division zur Lagebesprechung im Kommandostand melden.«
Derek warf Narim einen vielsagenden Blick zu. Dieser hob eine Augenbraue. Er hatte die Anweisung ebenfalls vernommen. »Setz dich mit Jessica und Devon in Verbindung. Das Regiment soll sich sammeln. Und sorg dafür, dass unsere Verwundeten einen Platz an Bord eines der Lazarettschiffe erhalten. Sie haben es sich verdient, ein wenig auszuruhen.«
Narim nickte wortlos, griff nach der Wasserflasche und nahm ebenfalls einen tiefen Schluck, bevor er sich davonmachte. Der Inder bereitete ihm heute Sorgen. Er wirkte schweigsamer als sonst. Vielleicht hatte die Kriegsmüdigkeit letzten Endes auch diesen erreicht. Derek hätte nie erwartet, diesen Tag noch zu erleben. Narim hatte sich immer als Erster in den Kampf gestürzt.
Derek machte sich auf den Weg zu Garrets Kommandostand. Er kam an Dutzenden Aufräumkommandos vorbei, die dabei waren, das Schlachtfeld nach Verwundeten abzusuchen und die Gefallenen in Leichensäcke zu bugsieren und in die Schiffe zu schaffen. Dabei gingen sie äußerst sorgfältig zu Werke. Es war durchaus im Bereich des Möglichen, dass sich einige Ruul lediglich tot stellten, nur um im geeigneten Moment noch ein paar Menschen ins Jenseits zu schicken.
Til-Nara-Drohnen wachten still, aber nichtsdestoweniger voller Pflichteifer über die ganze Prozedur, ihre charakteristischen Lanzen fest in den insektenhaften Klauen.
Dereks Spaziergang endete in einem alten Truppentransporter der Gargoyle-Klasse, der als Kommandoposten der Expeditionsstreitkräfte diente. Kaum hatte er die Rampe erklommen, spürte er, wie die Anspannung in seinem Körper auf angenehme Art nachließ.
Die Lebenserhaltungssysteme des Transporters lösten die auf Palakina herrschenden tropischen Temperaturen ab. Gleichzeitig fröstelte er leicht in seinem von Schweiß durchtränkten Kampfanzug. Palakina war ein Dschungelplanet, überzogen von dichten Wäldern. Darüber hinaus herrschte im Moment auf weiten Teilen des Planeten Regenzeit. Glücklicherweise nicht hier, aber Derek hörte Geschichten anderer Kommandeure, die praktisch knietief durch Schlamm und brackiges Wasser wateten.
Nach dem Fall und der Befriedung des Planeten würden die Expeditionsverbände zum überwiegenden Teil zum nächsten Ziel weiterziehen. Eine kleine Streitmacht würde als Garnison zurückbleiben und dafür sorgen, dass sich die Ruul hier nicht mehr breitmachten.
Derek hoffte, dass sein Regiment nicht für diese Aufgabe auserkoren wurde. Gerüchteweise war ihm zu Ohren gekommen, dass ein Verband entsandt wurde, um den Asalti beizustehen. Ihr Heimatsystem war zwar offiziell befreit, doch das war nicht gleichbedeutend mit der Befriedung desselben. Es streunten immer noch vereinzelte ruulanische Truppenkontingente durch die Gegend.
Derek hätte nichts dagegen, dorthin zu fliegen. Er hatte gehört, das Klima auf Asalti sei in höchstem Maße angenehm. Außerdem wäre es für ihn erstrebenswert, einmal außerhalb des Konglomerats auf Slugjagd zu gehen.
Derek erklomm die letzten Stufen zur zweiten Ebene des Truppentransporters, wo er bereits vom überwiegenden Anteil der höheren Offiziere der 159. Division erwartet wurde. Soweit sie überlebt hatten, rief er sich düster in Erinnerung. Trotz des Erfolgs von Operation Atlas war der Preis, den sie hatten zahlen müssen, grauenvoll hoch. Er nickte den Offizieren – sofern sie ihn zur Kenntnis nahmen – freundlich zu. Einige von ihnen schnatterten miteinander. Sie diskutierten und gaben ihre Einschätzung zum Besten, wohin die Reise als Nächstes gehen würde. Die weitaus meisten jedoch zogen es wie Derek vor, für sich zu bleiben und die wenigen Minuten Ruhe und Erholung zu genießen.
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Dereks vor Müdigkeit umnebeltes Gehirn bemerkte, dass General Garret immer noch nicht eingetroffen war. Das Gerede war inzwischen fast völlig verstummt. Derek löste sich von der Wand, an der er gelehnt hatte, und sah sich um. Er registrierte auf vielen Gesichtern eine ähnliche Verwirrung, wie er sie verspürte. Es sah Garret gar nicht ähnlich, erst zu einer Besprechung zu laden und sich dann zu verspäten.
Es dauerte noch geschlagene fünfzehn Minuten, bevor Garret endlich zur Luke hereinstürmte. Derek sah auf den ersten Blick, dass etwas nicht stimmte. Der General wirkte gehetzt. Seinem Blick war zu entnehmen, dass der Divisionskommandeur mit den Gedanken weit entfernt weilte. Derek fragte sich unwillkürlich, was den Mann so aus der Fassung brachte.
Lieutenant General Corso Garret stellte sich an den Holotank, stützte sich mit beiden Händen auf dessen Rand und senkte kurz den Blick – offensichtlich, um sich zu sammeln. Schließlich sah er mit blitzenden Augen auf und räusperte sich.
»Meine Damen und Herren, ich muss mich bei Ihnen allen von ganzem Herzen entschuldigen. Meine Meldung über Palakinas Fall war wohl etwas verfrüht.«
Derek versteifte sich unwillkürlich. Das hörte sich nicht an, als würden als Nächstes gute Nachrichten verkündet.
General Garret räusperte sich verhalten. »Vor etwas mehr als einer halben Stunde erhielt ich vom Oberkommando der Streitkräfte auf Palakina die Meldung, dass eine größere ruulanische Truppe einen Gegenangriff gestartet und die ruulanische Siedlung auf der Südhalbkugel des Planeten zurückerobert hat. Die dort stationierten Einheiten der 201. Division waren nicht in der Lage, die Stellung zu halten, und musste sich unter schweren Verlusten aus der Stadt zurückziehen.«
Derek unterdrückte nur mit Mühe einen wüsten Fluch. Die Ruul hatten in der Zeit der Besetzung auf vielen Welten Ortschaften und regelrechte Städte errichtet. Die Architektur war erschreckend fremdartig und basierte auf pyramidenartigen Strukturen. Die ruulanische Stadt auf Palakina war bereits am ersten Tag der Invasion gefallen und zum überwiegenden Teil zerstört worden.
Wieder einmal bewiesen die Ruul ihre unbeugsame Haltung. Die Slugtruppen auf Palakina saßen fest. Ohne Nachschub, Luft- oder Raumunterstützung und ohne Hoffnung auf Verstärkung oder Evakuierung, hatten sie nicht die geringste Chance, den Kampf um den Planeten für sich zu entscheiden. Trotzdem kämpften sie weiter, über jedes vernünftige Maß an Logik hinaus. Die Slugs würden niemals aufgeben. So viel war sicher.
Einer der anderen Regimentskommandeure hob den Kopf und bat Garret damit wortlos um die Erlaubnis zu sprechen. »Ja, Daniel?«
Lieutenant Colonel Daniel Montgomery schürzte die Lippen. »Von wie vielen Slugs reden wir?«
Garret schüttelte leicht den Kopf. »Genaue Zahlen liegen nicht vor, doch der MAD geht von einer Größenordnung zwischen fünf- und achttausend aus.«
»Schwere Waffen?«
»Auch da bin ich überfragt, doch wir müssen auf jeden Fall davon ausgehen.«
Derek merkte auf. »Wir?«
Garrets Blick zuckte in seine Richtung. »Ganz recht, Derek. Das 159. wurde dorthin beordert, um den aufkeimenden feindlichen Widerstand niederzuschlagen, und zwar auf eine Weise, dass er sich nicht wieder erhebt. Diese Schlacht soll die letzte auf Palakina sein.«
»Wann geht’s los?«
»Unsere Transporter starten, sobald Sie alle Ihre Einheiten zusammentrommeln konnten. Der Plan sieht vor, dass wir die Ruul spätestens morgen Mittag angreifen und die Lage bis Einbruch der Nacht klären.«
Derek schnaubte. Garrets Worte in allen Ehren, doch es war zweifelhaft, ob sich die Slugs auch daran hielten. Es machte beinahe den Anschein, dass sie immer dann aus ihren Löchern krochen, wenn man sie als besiegt ansah. Ein Gefühl, als würde man gegen Mühlsteine kämpfen.
Das Schlimmste jedoch war, dass die ruulanische Stadt sich inmitten des derzeitigen Monsungebiets befand.
Garret zwang sich zu einem schmalen Lächeln. »Ich habe jedoch auch gute Neuigkeiten. Die kommende Schlacht wird auch unsere letzte sein. Im Zuge des Rotationsverfahrens werden wir abgelöst, sobald die ruulanische Bedrohung auf dem Planeten eliminiert wurde.« Garrets Lächeln wurde breiter. »Meine Damen und Herren, wir fliegen nach Hause. Die 159. Division begibt sich zur Erholung auf den Mars. Wenn alles nach Plan verläuft, ist der Krieg endgültig vorbei, bevor das Rotationsverfahren uns erneut trifft und wir an die Front ausrücken müssen.«
»Das wird ja ein enormer Trost sein für die armen Schweine, die morgen beim Sturm auf die Stadt draufgehen«, flüsterte ein Regimentskommandeur neben Derek. Er sprach so leise, dass Derek ihn kaum verstand. Trotzdem zuckte Garrets Blick ungehalten in dessen Richtung. Seine Augen sprühten Funken und der Offizier verstummte. Der Mann lief rot an und senkte betreten den Blick.
Garret ließ den Blick noch ein paar Sekunden auf ihm ruhen, bevor er sich entspannte und auffordernd in die Runde sah. »Noch Fragen?«
Eisiges Schweigen schlug ihm entgegen. Es war frustrierend, für eine Welt noch einmal in die Schlacht zu ziehen, die der General kaum eine Stunde zuvor noch großspurig als gefallen proklamiert hatte.
Garret zeigte mit keinem Muskelzucken, ob ihn die allgemeine ablehnende Stimmung in irgendeiner Form berührte. Vielleicht bekam er sie gar nicht mit, doch Derek bezweifelte dies.
Der General nickte langsam. »Gut. Dann sammeln Sie Ihre Leute. Ich möchte spätestens in fünf Stunden starten.«
Dies war Garrets Art, die Besprechung für beendet zu erklären und die Offiziere zu entlassen. Unter Gemurmel löste sich die Versammlung auf und alle strebten der nächsten Luke zu. Einige aktivierten bereits ihre ComGeräte, um ihre Unteroffiziere anzutreiben, die Soldaten einzusammeln.
Derek stieß einen kurzen Fluch aus. Also doch noch Monsun. Wäre dieser Kelch an ihm vorübergegangen, hätte ihm weiß Gott nichts gefehlt.
»Wie geht es ihr?«
Major Alan Foulder reagierte kaum, als Laura ihn ansprach. Der Flug von der Front zurück zur Erde dauerte gut vier Wochen und er war die ganze Zeit über kaum von Nancys Bett gewichen.
Er erhob sich von seinem Stuhl, nahm die Bettdecke und zog sie bis zu Nancys Brust hoch, obwohl dies nicht nötig war. Er nutzte den kurzen Augenblick, um seine Gedanken zu ordnen.
»Unverändert«, erwiderte er schließlich.
Nancys linkes Bein war von einer ruulanischen Mine während der Schlacht um New Born abgerissen worden. Der Stumpf endete knapp unterhalb des Oberschenkels. Den Flug zur Erde hatte das ganze Team an Bord der TKS Malaysia zugebracht, eines Lazarettschiffes, das auf dem Rumpf eines Sioux-Kreuzers basierte.
Der Kreuzer war nicht zum Transport von Passagieren ausgelegt, doch kein Mitglied des Teams hatte Nancy und Alan verlassen wollen. Es auch nur anzudeuten, hatte sie alle in Zorn versetzt. Alan hätte es nie zugegeben, doch er war froh über die Unterstützung und den moralischen Beistand, den ihm seine Teamgefährten durch ihre bloße Anwesenheit zukommen ließen.
Alan atmete tief ein – und zuckte augenblicklich zusammen. Seine Lunge war durch die Minenexplosion auf New Born kollabiert und beinahe hätte er es nicht geschafft. Doch die Ärzte hatten ihm das Leben gerettet. Er hatte den Fachjargon nicht gänzlich verstanden, aber er hörte heraus, dass man ihm wohl die Lunge hatte neu aufpumpen müssen.
Sie schmerzte immer noch bei jedem Atemzug und oftmals überkam ihn das Gefühl von Kurzatmigkeit. Die Ärzte waren sich nicht sicher, ob sich das wieder geben würde. Falls dem nicht so war, dann hieß das, er musste sich von seiner militärischen Karriere verabschieden.
Er hätte Wehmut über diese Neuigkeit fühlen müssen, doch insgeheim überkam ihn Erleichterung. Der Zeitpunkt hätte kaum besser gewählt sein können. Der Krieg war so gut wie vorbei. Eine ehrenhafte Entlassung und der anschließende Frühruhestand schienen eine angemessene Belohnung für die Jahre aufopferungsvollen Dienstes zu sein. Er sehnte sich nach etwas Ruhe, um die Tage, die noch vor ihm lagen, zu genießen. Doch etwas trübte die Vorfreude.
Sein Blick fiel auf Nancy. Das Restbein Nancys hatte sich bereits auf New Born während der Erstversorgung mit Keimen infiziert. Trotz aller Bemühungen der Ärzte auf der Malaysia hatte man die Infektion bislang nicht in den Griff bekommen können.
Die Schmerzen waren so groß gewesen, dass man Nancy in ein künstliches Koma versetzt hatte. Sie wurde nun über eine Infusion mit einem Breitbandantibiotikacocktail vollgepumpt. Doch es half nicht in dem erwarteten Ausmaß. Die in die Wunde eingedrungenen Krankheitserreger schienen in gewissem Umfang resistent zu sein. Der Antibiotikacocktail hemmte die Ausbreitung der Infektion ganz erheblich, war jedoch bisher nicht in der Lage, die Keime gänzlich auszurotten. Möglicherweise handelte es sich um etwas, das die Ruul auf New Born eingeschleppt hatten und mit dem sich menschliche Ärzte nicht auskannten. Man konnte nur gezielt bekämpfen, was man auch verstand. Nancy dämmerte nun in einem Zustand zwischen Leben und Tod dahin und ihr ganzes Team – allen voran Alan – hoffte, dass sie es schaffen würde. Wenn alle Stricke rissen, dann musste man noch mehr von ihrem Bein abnehmen. Die Ärzte kämpften jedoch darum, diese Möglichkeit nicht ausführen zu müssen.
Das Bein verströmte einen ekelhaften Gestank und erinnerte ihn ständig daran, wie es um Nancys Gesundheit bestellt war.
Alan fühlte, wie Laura neben ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte. »Du solltest dich ausruhen. Wann hast du das letzte Mal geschlafen?«
Die Frage zwang Alan, ernsthaft darüber nachzudenken. Die Antwort war ernüchternd. Er konnte sich nicht erinnern. »Vor einigen Tagen, denke ich. Zwei oder so?!«
»Vor zwei Tagen? Du mutest dir zu viel zu. Wenn du über sie wachst, wird sie trotzdem nicht früher gesund.«
»Aber ich denke, sie spürt meine Gegenwart. Ich hoffe, sie bietet ihr etwas Trost.«
»Das tut sie sicher.«
Alan wandte sich halb um und musterte seine Stellvertreterin mit einem Blick über die Schulter verdrossen. »Wie geht es den anderen?«
»Machen sich Sorgen.«
»Über Nancy«, nickte Alan.
»Und dich.«
Alan runzelte die Stirn. »Dazu besteht kein Grund. Ich bin aus dem Gröbsten raus.«
Laura schnaubte. »Dein Verhalten ist nicht gerade förderlich für den Heilungsprozess.«
Alan presste die Kiefer so fest aufeinander, dass die Wangenmuskeln hervortraten. »Ich kann hier nicht weg«, presste er schließlich hervor. Bevor Laura die Gelegenheit erhielt, etwas zu sagen, sprach er weiter. »Der Krieg ist so gut wie gelaufen. Ich kann nicht noch jemanden verlieren. Nicht jetzt, so kurz vor der Ziellinie. Das lasse ich nicht zu.«
Lauras Stimme verlor deutlich an Schärfe. Sie stellte sich an seine Seite und blickte auf ihre bewusstlose Kameradin hinab. »Wenn mich Scotts Tod etwas gelehrt hat, dann, dass solche Dinge außerhalb unserer Entscheidungsfreiheit liegen. Ob sie überlebt oder stirbt, hängt zu einem großen Teil von Nancys Konstitution und ihrem eigenen Willen ab.« Laura lächelte. »Ich kenne Nancy schon lange. Schon sehr lange. Ich glaube fest daran, dass sie durchkommt. Etwas anderes zu denken, erlaube ich mir gar nicht.«
Alan sah auf. »Für dich ist immer alles schwarz oder weiß, nicht wahr?!«
»Ganz im Gegenteil. Aber diesmal ist es tatsächlich so einfach. Du kannst schlichtweg nichts tun, um ihr bei der Genesung zu helfen. Sie wäre die Erste, die dich zurechtweisen würde.«
Alan schnaubte. »Ja, allerdings.«
Laura legte ihm erneut die Hand auf die Schulter und musterte ihn eindringlich. »Sobald wir das Solsystem erreichen, kommt sie als eine der ersten Verwundeten nach Wiesbaden. Dort befindet sich eines der besten Militärkrankenhäuser. Wenn sie dort nicht überlebt, dann schafft sie es nirgendwo.« Sie lachte leise. »Ich war in dieser Einrichtung selbst schon mehrmals zu Gast. Die Ärzte sind erstklassig.«
Alan wollte noch etwas sagen, doch in diesem Moment gellte die Sprungwarnung durch die Malaysia. Laura und Alan merkten gleichzeitig auf. »Wenn man vom Teufel spricht«, sagte die Kommandosoldatin. »Wir sind da.«
»Treten in den Normalraum im Solsystem ein«, meldete der Erste Offizier der TKS Lydia, Commander Pjotr Karpov.
Commodore Vincent DiCarlo konnte sich nicht erinnern, wann er sich zum letzten Mal so gerädert gefühlt hatte. Dabei handelte es sich weniger um eine Erschöpfung des Körpers als vielmehr um eine des Geistes.
Er widerstand dem Drang, sich zu strecken. Eine solche Disziplinlosigkeit hätte er einem seiner Untergebenen niemals gestattet und würde sie dementsprechend auch nicht sich selbst durchgehen lassen.
Die Lydia führte ein Geschwader von zweihundertvierundzwanzig Schiffen an, die allesamt in der Schlacht bei Penelope schwer beschädigt worden waren. Das Geschwader humpelte regelrecht zurück ins Solsystem. Natürlich hätte es Werften gegeben, die näher lagen als Sol, doch nur hier gab es ausreichend Kapazitäten, um sich auch nur um einen annehmbaren Prozentsatz dieser zweihundert Schiffe kümmern zu können.
Durch Operation Atlas waren im Moment sämtliche Werften des Konglomerats bis ans Limit mit Arbeit zugedeckt. Nur die schwersten Fälle waren ausgewählt worden, zurück nach Sol geschickt zu werden. Es lag am weitesten von der Front entfernt.
»Home, sweet home«, murmelte Vincent verdrossen. Er hatte die Erde seit dem fehlgeschlagenen Putschversuch nicht mehr gesehen. Der Kommandant der Lydia hatte angenommen, es würde sich ein besseres Gefühl einstellen, sobald er diese weiß-blau-grüne Kugel wiedersah. Dem war nicht so. Er fühlte sich lediglich ausgelaugt.
Commander Pjotr Karpov trat näher. »Sir?«, fragte er und schenkte seinem Befehlshaber einen schrägen Seitenblick.
Vincent winkte ab. »Ach nichts. Ich hab nur laut gedacht.«
Karpov nickte und widmete sich wieder den Daten auf seinem tragbaren Terminal. Vincent sah sich aufmerksam auf seiner Brücke um. Erst jetzt bemerkte er auf den Gesichtern und bei der Körpersprache seiner Brückencrew dieselbe Niedergeschlagenheit, wie sie auch in ihm selbst vorherrschte. In gewissem Sinne war das tröstlich. Es bedeutete, dass es nicht nur ihm so erging.
Die vergangenen Schlachten – vor allem bei Penelope – hatte ihnen alles abverlangt. Vincent fragte sich nicht zum ersten Mal, ob das Konglomerat oder die Menschheit je wieder dieselbe sein würde. Der Krieg neigte dazu, die Menschen zu verändern. Vor allem, wenn er so lang und mit solch unnachgiebiger Härte geführt wurde. Selbst wenn Vincent nie wieder eine Schlacht erlebte, war dies immer noch zu früh.
Sein XO wandte sich ihm zu. »Schiffe nähern sich auf Abfangkurs auf zwei unterschiedlichen Annäherungsvektoren. Zwei Geschwader der Heimatflotte. Sie rufen uns.«
Victor nickte. »Durchstellen.«
Auf seinem taktischen Hologramm baute sich das Abbild eines älteren, grau melierten Offiziers mit stechend und intelligent blickenden Augen.
»Hier spricht Konteradmiral Jakob Staudmann von der TKS Berlin. Schlachtschiffgeschwader der Heimatflotte 3.1. Bitte identifizieren Sie sich.«
»Commodore Vincent DiCarlo, Einsatzgeschwader 5.2 der 5. Flotte unter Vizeadmiral Dennis Hoffer. Derzeit abkommandiert zum Werftaufenthalt. Erbitten Zugang zum Solsystem.«
»Übermitteln Sie den derzeit gültigen Zugangscode.«
Vincent wandte sich kurz vom Hologramm des Admirals ab und nickte Pjotr auffordernd zu. Dieser tippte etwas auf sein Datenterminal ein.
Vincent lächelte den Admiral müde an. »Code wird übermittelt.«
Konteradmiral Jakob Staudmann erwiderte das Nicken freundlich. »Code erhalten und verifiziert. Ihren Schiffen werden Parkpositionen rund um Erde und Mars zugeteilt. Sobald wie möglich wird man Ihnen mitteilen, welche Docks für Ihre beschädigten Schiffen bestimmt sind.« Staudmann verzog die Lippen zu einem schmalen Lächeln. »Willkommen zu Hause!«
Das Hologramm verblasste. Vincent starrte noch eine Weile auf die Stelle, von der ihm vor wenigen Sekunden noch Staudmanns Augen entgegengestarrt hatten. Zu Hause. Warum fühlte es sich nicht wie Heimkehr an?
Hinter ihm öffnete sich zischend die Brückenluke. Jemand trat hinter seinen Kommandosessel. Vincent spürte die Präsenz seines Gastes eher, als dass er sie bewusst wahrnahm. Er drehte sich halb um.
»General«, grüßte er den Neuankömmling.
»Commodore«, grüßte Brigadier General David Coltor zurück. Der MAD-General wandte sich dem zentralen Brückenfenster zu. Die Erde war noch gar nicht zu erkennen, trotzdem stieß Coltor einen erleichterten Stoßseufzer aus. »Wir haben es geschafft.«
Vincent nickte. »Ja, allerdings. Uns wurde bereits Zugang gewährt. Wir fliegen mit Höchstgeschwindigkeit ins innere System.«
»Ausgezeichnet. Sobald wir in den Orbit der Erde einschwenken, benötige ich ein Shuttle. Ich muss dringend nach San Francisco.«
»Und dann?«
Coltor schnaubte. »Von dort aus werde ich die Suche nach Kerrelak koordinieren, damit dieser verdammte Krieg bald endet.«
Halleluja!, pflichtete Vincent ihm bei.
Bereits der Anflug auf die ruulanische Stadt gestaltete sich äußerst schwierig. Die Ruul rechneten mit einem Gegenschlag und hatten einen vollen Tag Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten.
Der Dschungel rings um die Stadt war so dicht, dass die terranischen Truppen auf eine Kampflandung aus der Luft angewiesen waren. Beim Anmarsch durch den Dschungel bestand die reale Gefahr, bei jedem Schritt, den man ging, in einen ruulanischen Hinterhalt zu laufen.
Wie sich herausstellte, war die Entscheidung eines Anflugs mittels Truppentransporter auch nicht besser. Der MAD vermutete vorsichtig geschätzt etwa sechs- bis achttausend feindliche Kämpfer innerhalb der Stadt. Wenn Derek die Trefferquote bei den Analysen des MAD zugrunde legte, dann lag die tatsächliche feindliche Stärke eher darüber als darunter.
Die terranischen Kräfte rückten mit Elementen aus fünf verschiedenen Divisionen gegen die Ruul in einer Gesamtstärke von fast dreißigtausend Mann vor. Darüber hinaus kreisten im Orbit über der ruulanischen Stadt vier Schlachtträger und acht Kreuzer verschiedener Klassen, die identifizierte feindliche Stellungen innerhalb der Stadt mit allem eindeckten, was ihnen zur Verfügung stand.
Die Schlachtträger entsandten im Minutentakt Jäger und Bomber, die die ruulanischen Stellungen ohne Unterlass beharkten. Die Ruul hatten keinerlei Chance, die kommende Schlacht zu gewinnen, geschweige denn zu überleben. Das hielt sie jedoch nicht davon ab, ihre Haut teuer zu verkaufen.
Derek und Narim klinkten sich beide in die Helmkamera ihres Piloten ein, um den Anflug zu verfolgen. Nun waren sie in der Lage, alles zu sehen und zu hören, was auch der Pilot hörte und sah.
Bei dem Anblick, der sich ihnen bot, stieß Narim einen lang gezogenen Pfiff durch die Vorderzähne aus. Mehrere der Kreuzer legten seit nunmehr fünf Stunden die Stadt durch ein orbitales Bombardement in Schutt und Asche. Die Ruul hätten eigentlich längst ausgelöscht sein müssen. Es gab aus Dereks Sicht keine Möglichkeit, so etwas zu überleben. Doch sie taten es nicht nur, sie schleuderten den anfliegenden Transportern auch noch eine Menge Feuerkraft entgegen.
Dereks Regiment war dabei gewesen, als die Stadt vor vier Wochen erobert und von den Ruul gesäubert worden war. Damals war bereits der Großteil zerstört worden. Nun jedoch stand kaum noch ein Stein auf dem anderen.
Zerberus- und Arrow-Jäger stießen immer wieder in halsbrecherischen Manövern zur Oberfläche hinab und entließen einen furchterregenden Feuersturm gegen die ruulanischen Verteidiger. Noch während Derek zusah, zerfetzte das Abwehrfeuer drei terranische Jäger. Ihre brennenden Überreste trudelten zur Oberfläche hinab. Trotzdem zeigten die anhaltenden Luftangriffe langsam Wirkung. Es öffneten sich immer mehr Korridore in der feindlichen Luftabwehr.
Derek war nur froh, dass die Ruul auf Palakina keine Raumabwehrlaser mehr besaßen. Diese waren in der Lage, Großkampfschiffe aus dem Orbit zu schießen. Der Pilot sah nach links. In der Ferne konnte man einen immer noch qualmenden Sioux-Kreuzer erkennen. Der gewaltige Rumpf erhob sich majestätisch über die Dschungelkrone. Doch selbst auf diese Entfernung waren deutlich die drei großen Löcher im Rumpf zu erkennen.
Die Ruul hatten das Schiff bereits in den ersten Tagen der Schlacht um Palakina abgeschossen und es qualmte immer noch. Der Kreuzer hatte beim Absturz eine dreißig Kilometer lange und fünf Kilometer breite schwarz verkohlte Schneise in den Dschungel gerodet.
Der Pilot lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf den Anflug, was Dexter ebenso dazu zwang. Sie hatten die Stadt beinahe erreicht. Die ersten Transporter befanden sich bereits im Landeanflug. Der Plan sah vor, in verschiedenen Teilen der Stadt zu landen, was verhindern sollte, dass sich die Ruul in einem bestimmten Viertel festsetzen konnten. Die verschiedenen terranischen Einheiten würden dann aus Richtung Stadtgrenzen in die Innenstadt vorstoßen und die Ruul auf ihrem Weg entweder vernichten oder vor sich hertreiben. Im Stadtkern würden die Slugs schließlich ihr letztes Gefecht kämpfen. Es würde hart werden, doch das Ende war unausweichlich.
Narim klinkte sich mit einem verächtlichen Laut aus der Übertragung. »Warum warten wir nicht einfach, bis die Flotte alles von der Oberfläche gebrannt hat? Sie könnten mit ihren Geschützen einfach ein schwarzes Loch im Boden hinterlassen. Auch ohne, dass wir da reinmüssten.«
Derek schüttelte langsam den Kopf. »Schöner Gedanke, aber funktioniert nicht. Wir müssen sichergehen, dass kein Slug übersehen wird. Das geht nur mit einem Bodenangriff. Bei einem groß angelegten orbitalen Bombardement bestünde immer die Gefahr, etwas zu übersehen. Falls es einigen Slugs gelingt, sich in die Wildnis zu zerstreuen, droht uns auf Palakina zwanzig Jahre Guerillakrieg. Eine Menge guter Leute sind bereits gestorben, um uns an diesen Punkt zu bringen. Ich werde das nicht zulassen.«
Derek klinkte sich ebenfalls aus und lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er versuchte, sich zu entspannen, doch in diesem Moment ging ein heftiger Ruck durch den Transporter und erinnerte ihn schmerzhaft daran, was draußen vor sich ging.
Narim warf ihm einen undeutbaren Blick zu. »Kann es sein, dass du die ganze Sache persönlich nimmst?«
Derek zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen schrägen Seitenblick zu. »Du nicht?«
Narim schürzte die Lippen. »Nein, eigentlich nicht. Wir sind Soldaten. Wir gehen dorthin, wohin man uns schickt, um zu sterben. Dafür sind wir da.«
Derek rümpfte die Nase. »Eine ziemlich fatalistische Sicht auf das Universum.«
Narim zuckte die Achseln. »Ich bin Realist.«
»Wohl eher Zyniker«, hielt Derek grinsend dagegen.
Bevor Narim etwas darauf erwidern konnte, knackte es in seinen Ohren und der Pilot ihres Transporters meldete sich. »Colonel? Das sollten Sie sich besser ansehen.«
Die Stimme des Piloten klang gepresst und vermittelte Nervosität. Derek bedeutete Narim mit einem Wink, sich ebenfalls wieder einzuklinken, und etablierte schließlich eine Verbindung zwischen seinem Helm und dem des Piloten.
Bereits nach den ersten fünf Sekunden schluckte Derek schwer. Ein Transporter direkt voraus hatte eine merkliche Schieflage. Von allen Seiten prasselte feindliches Abwehrfeuer auf das Schiff ein. Aus mehreren Brüchen in der Hülle quoll ölig schwarzer Rauch. Die meisten Geschütze des Schiffes waren bereits verstummt.
Explosionen überzogen das Schiff vom Bug bis zum Heck. Der Transporter sank tiefer. Es handelte sich jedoch nicht um einen kontrollierten Landeanflug, sondern eher um etwas, das Derek als kontrollierten Absturz bezeichnen würde.
Der Pilot schaffte es noch, das Schiff in der Luft halbwegs zu stabilisieren und etwa hundert Meter über der Stadt zu halten. Doch etwas schlug mittschiffs ein und das Heck brach schlingernd aus. Noch während Derek aus schreckgeweiteten Augen zusah, trudelte der Transporter um die eigene Achse und bohrte sich in die Oberfläche irgendwo im westlichen Teil der Stadt.
»So eine verfluchte Scheiße!«, murmelte Derek.
»Sag mir bitte, dass das nicht Garrets Schiff war.«
Derek fluchte erneut. »Kann ich leider nicht. Das war es.«
Narim warf ihm einen kurzen Blick zu. »Wer hat jetzt das Kommando?«
»Gute Frage.« Derek überlegte. »Wenham, glaube ich. Er ist der ranghöchste Divisionskommandeur im Abschnitt nach Garret.«
»Oh nein, ausgerechnet dieses Arschloch! Der hat doch keine Eier in der Hose.«
Derek schmunzelte. Er sah die Sache nicht ganz so schwarz. Wenham war im Prinzip ein guter Offizier und Derek hatte persönlich nichts gegen den Mann. Das Problem war jedoch, dieser war viel zu zögerlich. Dessen erster Impuls bestand grundsätzlich im Stellunghalten, selbst wenn es besser war vorzurücken. Wenn man zögerlich vorging, verlor man oftmals mehr Leute als bei einem Sturmangriff. Damit war Wenham jetzt genau die Art Offizier, die sie am wenigsten gebrauchen konnten. Hinter vorgehaltener Hand nannte man ihn Stellungskrieg-Wenham. Derek hatte nicht vor, die nächsten zwei Monate im Kampf um diese vermaledeite Stadt zuzubringen.
»Wie weit ist Garrets Absturzort von unserer eigenen Landezone entfernt?«, wandte sich Derek an den Piloten.
»Vielleicht fünf Klicks. Wieso?«
Derek ignorierte die Frage. »Bringen Sie uns so nah an Garrets Absturzort runter wie möglich.«
»In Ordnung. Das wird aber trotzdem ein höllisch langer Marsch durch feindliches Territorium.«
»Tun Sie es einfach«, ordnete Derek an und kappte die Verbindung.
Narim warf ihm einen halb amüsierten, halb beeindruckten Blick zu. »Wir haben keinen Befehl, eine Rettungsaktion durchzuführen.«
»Wir haben auch keine Befehle, die Gegenteiliges sagen.«
Narim lachte leise. »Auch wieder richtig.« Der Inder wurde schnell wieder ernst. »Dir ist aber hoffentlich klar, dass wir keine Ahnung haben, ob Garret noch lebt. Wir riskieren unsere Haut vielleicht für einen Toten.«
»Mag schon sein, aber die Kommandostruktur muss wiederhergestellt werden. Wenn Wenham das Kommando erhält, sitzen wir noch in sechs Wochen in diesem Dreckloch fest. Damit das nicht passiert, bin ich bereit, ein paar Risiken einzugehen.«
Narim schnaubte. »Ganz wie du meinst. Wir haben uns ja nicht für diesen Job entschieden, weil die Altersversorgung so gut wäre.«
Lieutenant General Corso Garret hustete würgend angesichts des Qualms, der durch den Innenraum des abgestürzten Transporters zog. Unter Mühen und Ächzen befreite er seine Beine von einer verbogenen und zerschmolzenen Strebe, unter der sie eingekeilt waren. Sie schmerzten fürchterlich. Das war gut. Es bedeutete, dass sie noch dort waren, wo sie hingehörten.
Mit einer schnellen Handbewegung schnallte er sich ab – und fiel einen Meter tief. Das Wrack des Truppentransporters lag auf dem Dach. Wrackteil und Sicherheitsgurt waren das Einzige, was ihn an Ort und Stelle gehalten hatte. In seinem Dämmerzustand hatte er dies nur nicht sofort erkannt.
Er tastete sich mit seinen Händen langsam vorwärts und griff unvermittelt in etwas Warmes, Klebriges. Sein Blick zuckte nach unten. Er schleppte sich durch eine Blutlache, die sich durch den halben Transporter zog. Erst jetzt klärte sich sein Blick langsam. Die Blutlache wurde gespeist von Dutzenden Leichen. Seine Männer.
Der General hustete erneut. Irgendwo in der Nähe schwelte ein Brand. Er schleppte sich weiter und starrte mit einem Mal in die starr blickenden, leblosen Augen von Major Mathis Leclerc, seinem Adjutanten. Ein Trümmerstück hatte dem Mann praktisch den Kopf vom Rumpf getrennt. Nur noch ein dünner Hautfaden verband dessen Kopf mit seinem Hals. Garret nahm sich die Zeit, die toten Augen des Mannes zu schließen.
Mit einem Mal griffen aus dem Nebelvorhang hilfreiche Hände nach ihm und richteten ihn mit einem Ruck auf. »General? Alles in Ordnung?«
Vor ihm stand ein bulliger Staff Sergeant, der ihn nur aufgrund seiner enormen Körperkraft aufrecht hielt. Garret nickte mühsam.
»Es … es geht mir gut, Sergeant …«
»Benoire, Sir«, versetzte der Unteroffizier hilfreich.
Garret nickte erneut. »Natürlich. Staff Sergeant Benoire. Wie ist die Lage?«
Der Mann straffte sich und entließ Garret aus seinem Griff, jedoch erst, als er sicher sein konnte, dass der General nicht gleich wieder umkippte.
»Unsere Lage ist, wir sind am Arsch, Sir. Kein Kontakt zu anderen Truppenteilen. Unser Transporter ist nur noch ein Wrack und ich befürchte, wir sind von feindlichen Truppen umzingelt. Die meisten unserer Leute sind tot oder verwundet.«
Garret ordnete seine Gedanken. »Führen Sie jeden Überlebenden nach draußen. Lassen Sie alles an Waffen mitnehmen, was wir noch besitzen. Versuchen Sie weiterhin, Kontakt zu anderen Einheiten aufzunehmen. Wir brauchen dringend Unterstützung. Und stellen Sie fest, wo wir runtergegangen sind beziehungsweise wo sich die nächsten verbündeten Landezonen befinden. Vielleicht ist eine nah genug, damit wir uns dorthin durchschlagen können.«
Der Staff Sergeant salutierte und wollte sich davonmachen, doch Garrets nächste Worte hielten ihn noch einmal zurück. »Und Sarge? Noch sind wir nicht tot. Verstanden?«
Der Mann zögerte, nickte jedoch schließlich. Garret sah ihm hinterher, während er die Überlebenden einsammelte.
»Noch nicht«, murmelte Garret leise, als er sicher war, dass ihn niemand hörte.
Der Truppentransporter des 171. Infanterieregiments setzte rund vier Klicks südlich der Absturzstelle Garrets auf. Näher heranzufliegen, wagte der Pilot aufgrund heftiger Feindaktivität nicht.
»Bewegung! Bewegung!«, trieb Narim die Soldaten des 1. Bataillons an. Das Absetzen von Truppen unter Gefechtsbedingungen gehörte zu den riskantesten militärischen Manövern. Eigene Einheiten waren zu kaum einem anderen Zeitpunkt derart gefährdet, als wenn sie ihre Transporter verließen.
Rings um die improvisierte LZ schlugen ruulanische Granaten und Raketen ein. Menschen besaßen den Kampf- oder Fluchtinstinkt. Es lag jedoch ebenfalls in der menschlichen Natur, bei so etwas zu erstarren, in der irrigen Hoffnung, die Gefahr möge vorübergehen, ohne die eigene Person zu verletzen. Soldaten lernten jedoch früh während ihrer Ausbildung, gegen solche Instinkte anzukämpfen.
Derek rannte über die Schutthalden ehemaliger ruulanischer Gebäude. Die Soldaten sammelten sich im Schatten eines feindlichen Pyramidenbaus. Das Gebilde gehörte zu den wenigen Bauwerken, die sowohl Kämpfe als auch orbitale Bombardements irgendwie überstanden hatten. Rings um ihre Position spritzten Dreckfontänen in die Luft.
Schwer atmend erreichte Derek das Gebäude zeitgleich mit Narim. Die Pyramide ragte gut fünfzig Meter über ihnen auf und bot dadurch einigen Schutz vor den umherfliegenden feindlichen Artilleriegeschossen. Eines musste man den Slugs lassen, sie bauten für die Ewigkeit.
Das 171. Regiment zählte unter Sollstärke etwa eintausendfünfhundert Mann. Nach den schweren Kämpfen auf New Born und später auf Palakina war die tatsächliche Stärke jedoch auf unter tausend Kämpfer gefallen. Derek knirschte mit den Zähnen. Bevor das hier vorbei war, würden es noch weniger sein.
»Welche Richtung?«, fragte Derek seinen Stellvertreter über das Pfeifen feindlicher anfliegender Geschosse hinweg. Narim konsultierte seinen Armbandcomp, auf dem er eine schematische Darstellung der Umgebung aufrief. Schließlich deutete er grob nach Norden und hob erst drei, dann vier Finger. Derek schürzte die Lippen. Garrets Absturzstelle befand sich zwischen drei und vier Klicks nördlich von ihnen. Das würde nicht schön werden, war aber machbar.
Die Truppentransporter des Regiments begannen unterdessen, mit ihren eigenen Abwehrgeschützen und der schweren Artillerie eine Sicherheitszone zu schaffen, indem sie den Ausgangsort feindlicher Geschosse anpeilten und sie punktgenau ausschalteten. Der feindliche Beschuss ließ nach einigen Minuten bereits merklich nach.
Derek nickte zufrieden. »Narim! Wir rücken aus.«
Der ehemalige Kommandosoldat nickte und deutete nach Norden. »52er! Ausschwärmen! Alle anderen in gestaffelten Linien dahinter. Und dass ihr mir ja die Flanken im Auge behaltet.«
Die Unteroffiziere und Kompaniekommandeure beeilten sich, ihre Leute entsprechend einzuteilen, und schon bald rückte das komplette Regiment vor. Derek wunderte sich einen Augenblick, warum sie noch nichts von Wenham gehört hatten. Streng genommen verstießen sie gegen den Angriffsplan, indem sie an anderer Stelle gelandet waren. Es sah dem Mann gar nicht ähnlich, das so einfach durchgehen zu lassen.
Doch als sich weitere gewaltige Schuttberge vor ihm auftürmten und sich die TKA-Soldaten daranmachten, sie zu erklimmen, schob er derlei Überlegungen beiseite. Es gab dringendere Angelegenheiten, die seiner Aufmerksamkeit bedurften. Der Beschuss hatte nachgelassen, allerdings überkam ihn so eine Ahnung, als ob die Slugs nur auf sie warteten.
Im Schatten des havarierten Truppentransporters hatte Benoire eine Verwundetensammelstelle eingerichtet.
Als Lieutenant General Garret ins Freie trat, kniff er reflexartig die Augen zusammen. Ein Sanitäter eilte sogleich herbei und wollte sich um die böse Platzwunde des Generals kümmern. Garret scheuchte ihn weg. Es gab Soldaten, die dringender Hilfe benötigten als er.
Ein steter Strom von Soldaten ergoss sich aus dem Inneren des Transporters. Ihre Arme waren voll beladen mit Waffen, medizinischer Ausrüstung, Munition und allem, was sonst noch zu gebrauchen war.
Sie stapelten es in der Nähe eines Zelts auf, das der Unteroffizier als provisorischen Kommandoposten eingerichtet hatte. Garret griff sich eine Kompresse aus einem Erste-Hilfe-Kasten und presste sie sich auf die immer noch blutende Wunde. Diese brannte wie die Hölle, war jedoch ansonsten nicht ernsthafterer Natur.
Auf dem Weg zum Zelt ließ er den Blick schweifen. Die Überlebenden zählten gut zweihundert Mann, davon war ungefähr die Hälfte verwundet. Garret schluckte. Sein Transporter hatte fast fünfmal so viele Soldaten transportiert.
Als er das Zelt erreichte, wurde er bereits von Benoire sowie zwei Captains – Nakamura und Martinez – erwartet. Alle drei salutierten erschöpft. Garret bedeutete ihnen, bequem zu stehen.
Der General schürzte die Lippen. »Machen wir’s kurz. Wie schlimm sieht es aus?«
Die drei Männer wechselten verhaltene Blicke. »Wir richten derzeit einen Verteidigungsperimeter rund um die Absturzstelle ein«, begann Benoire schließlich. »Unsere Linie ist jedoch stark überdehnt. Wir haben nicht einmal genügend Leute, um alle Positionen des Bereichs zu besetzen. Nicht, wenn auch noch Ausrüstung geborgen und Verwundete versorgt werden sollen.«
»Kontakt zu anderen Einheiten?«
Benoire schüttelte den Kopf. »Die Anlage des Transporters ist nicht mehr zu gebrauchen und über HelmCom erreichen wir niemanden. Entweder ist es zu schwach oder – was wahrscheinlicher ist – die Slugs stören unseren Funk.«
»Das bedeutet, sie dürften schon wissen, dass wir hier sind.«
»Unwahrscheinlich, dass ihnen das entgangen ist«, warf Nakamura ein.
»Meine Herren, dann müssen wir uns auf ungebetenen Besuch einstellen. Können wir die Verwundeten ins Innere des Transporters bringen?«
Wiederum schüttelte Benoire den Kopf. »Zu gefährlich. Giftige Gase treten aus ein paar geplatzten Leitungen aus. Die riskanten Bereiche beschränken sich derzeit noch auf die Eingeweide des Schiffes, sodass wir hier draußen relativ sicher sein dürften, doch die Verwundeten würde ich dieser Gefahr nicht aussetzen, solange es sich vermeiden lässt.«
»Wäre auch zu schön gewesen.« Er schnalzte mit der Zunge. »Wie dem auch sei, wir müssen uns auf den schlimmsten Fall vorbereiten.«
In diesem Moment durchdrang ein spitzer, schriller Schrei die Luft. Er war so laut, dass er kurzzeitig sogar den Geschützdonner in der Ferne übertönte.
Alle vier Männer im Zelt erstarrten. »Zu spät«, hauchte Benoire.
Garret nickte. »Jagdschreie der Ruul. Sie koordinieren bereits einen Angriff gegen unsere Stellung.« Der General sah aufmerksam in die Runde. Die Berufsoffiziere bewahrten bemerkenswert Haltung, doch trotzdem entging ihm nicht die Resignation in ihrem Blick. Sie gingen davon aus, in den nächsten Stunden zu sterben.
Garret straffte seine Gestalt. »Drücken Sie jedem Verwundeten, der dazu in der Lage ist, eine Waffe in die Hand. Wir werden hier aushalten, solange es nötig ist. Haben Sie das verstanden?«
Seine fest vorgebrachte Anweisung zeigte Wirkung. Die Männer richteten sich mit einem Mal auf. Garret lächelte. »Vergessen Sie nicht: Man ist erst tot, wenn man tot ist.«
Die eigentlich unsinnige Bemerkung zauberte ein Lächeln auf das Gesicht der Männer und sie machten sich davon, um die Verteidigung aufzubauen.
Sobald sie ihm den Rücken zuwandten, verblasste sein Lächeln jedoch. Sie hatten gerade mal einhundert kampffähige Männer. Vielleicht einhundertfünfzig, wenn sie einige der Verwundeten bewaffneten. Wie lange konnten sie durchhalten gegen das, was auf sie zurollte?
Die zwei Raketen schlugen in die Frontpanzerung des Feuersalamanders ein, durchschlugen sie und das Gefährt flog in einer spektakulären Explosion auseinander.
Das 171. Regiment rückte durch mehrere parallel verlaufende Straßenzüge vor. Auf jedem Fußbreit schlug ihnen heftiger Widerstand entgegen. Die Slugs nutzten selbst geringste Möglichkeiten, um sich zu verschanzen und den Vormarsch der Menschen zu behindern.
Derek und Narim führten die Soldaten des 1. Bataillons vorbei am Wrack des Feuersalamanders, der ölig schwarzen Qualm verströmte. Das Regiment hatte bereits vieles erlebt, doch nur selten derart brutale Straßenkämpfe. Die Ruul waren geschlagen und sie wussten es. Doch wie ein Tier, das im Todeskampf noch einmal um sich schlug, um seinen Peiniger mit sich ins Jenseits zu reißen, kämpften die Slugs mit Zähnen und Klauen gegen die sichere Niederlage an.
Derek ließ sich im Schutz eines fast gänzlich zerstörten Gebäudes nieder. Nur noch die Ostmauer stand halbwegs aufrecht.
Narim und ein Dutzend Kommandosoldaten der 52er nahmen Positionen an seiner Seite ein und erwiderten den unablässig auf sie niedergehenden Beschuss.
Der Kommandant des 171. Regiments zog den Kopf ein, als ruulanische Artilleriegranaten auf die Straße niedergingen. Zwei TKA-Soldaten wurden vor seinen Augen zerrissen. Ein weiterer blieb blutüberströmt mitten auf der Straße liegen. Sein rechtes Bein endete nur noch in einem blutigen Stumpf.
Narim sprang, ohne zu zögern, aus der Deckung, packte den Kragen des Kampfanzugs des Soldaten und zog ihn eilig in die nächste Deckung. Geschosse aus Blitzschleudern tasteten nach ihm, waren jedoch immer eine Sekunde zu langsam und warfen lediglich Steine hinter ihm auf.
Ein Scharfschütze der 52er brachte sein Präzisionsgewehr in Anschlag, hielt einen Augenblick inne, während er zielte, und betätigte schließlich den Abzug. Seine Lippen verzogen sich zu einem vielsagenden Grinsen. Er hatte getroffen.
»Da kommen weitere Feuersalamander die Straße hoch«, meldete sich Jessica unvermittelt über HelmCom. »Etwa zweihundert Meter.« Sie und ihr Bataillon mussten sich etwas zwei Straßen weiter befinden.
Derek aktivierte sein eigenes HelmCom und stellte die Frequenz der Unterstützungseinheiten ein. »Hier König sechs-sechs. Benötigen dringend Luftunterstützung auf folgenden Koordinaten: zwei-acht-drei zu fünf-neun-sieben. Prioritätsanforderung.«
In seinen Ohren knackte es. »König sechs-sechs, hier Dragon eins-sechs. Negativ für Prioritätsanforderung. General Wenham benötigt gerade sämtliche Luftunterstützung an seiner Position. Außerdem sind Sie gemäß unseren Unterlagen gute vier Klicks vom Standort entfernt, an dem Sie eigentlich sein sollten. Bewegen Sie gefälligst Ihren Arsch zurück auf Position!«
Derek fluchte. Dieses Arschloch Wenham belegte die komplette Luftunterstützung für sich und ließ Dereks Leute quasi am ausgestreckten Arm verhungern.
»Negativ, Dragon eins-sechs. Wir sind ungefähr einen halben Klick von General Garrets Absturzort entfernt. Ist das vielleicht wichtig genug für Ihre Aufmerksamkeit?«
Schweigen antwortete ihm. Als sich der Offizier am anderen Ende wieder meldete, klang seine Stimme deutlich gehetzter. »König sechs-sechs, wir haben eine Staffel Zerberusse zu Ihnen umgeleitet. ETA in weniger als zwei Minuten.«
Derek atmete hörbar auf. »Verstanden. Danke, Dragon eins-sechs.« Er kappte die Verbindung.
Die Soldaten des Regiments verschanzten sich zwischen den Trümmern und wehrten die Ruul im Rahmen ihrer Möglichkeiten ab. Dreimal versuchten die Slugs, ihre Stellungen zu stürmen, und dreimal wurden sie zurückgeworfen, wobei sie jedes Mal Hunderte Leichen und unzählige Ausrüstung beziehungsweise brennende Panzerwracks zurückließen.
Dereks ganze Welt bestand nur noch aus dem Knattern automatischer Waffen, dem Fauchen von Blitzschleudern und dem Gestank der blutigen Schlacht.
Derek feuerte ein ganzes Magazin in die angreifende Reihe einer ruulanischen Einheit. Der Körperpanzer von mindestens drei ruulanischen Kriegern gab nach und die Slugs brachen blutüberströmt zusammen. Ihre Kameraden kümmerten sich nicht darum. Im Gegenteil nutzten sie ihre gefallenen Artgenossen sogar noch als Deckung.
Narim feuerte mit deutlich höherer Disziplin als sein Befehlshaber. Er gab nur kurze, kontrollierte Feuerstöße ab, die mit bemerkenswerter Präzision saßen. Innerhalb weniger Minuten brachte er ein halbes Dutzend feindlicher Kämpfer zu Fall.
Derek kam es vor, als dauerte das Gefecht ewig, doch nach einem Blick auf seinen Armbandcomp erkannte er, es waren nur sechs Minuten, seit er den Luftschlag angefordert hatte. Doch dieser war bereits deutlich überfällig. Der Offizier am anderen Ende hatte etwas von zwei Minuten gesagt.
Derek schob ein neues Magazin in sein Sturmgewehr, ließ es einrasten und lud die Waffe durch. Er hätte im Moment viel für ein paar Cherokees oder zumindest ein wenig Artillerieunterstützung gegeben. Doch wie er Wenham kannte, nahm dieser das meiste der Ausrüstung für sich in Anspruch. Derek fluchte. »Wo zum Teufel bleibt nur der verdammte Luftschlag?«
Narim antwortete nicht, sondern feuerte stattdessen eine weitere Salve ab, die einen ruulanischen Kriegertrupp in Deckung scheuchte.
Der Inder warf Derek einen verschmitzten Blick zu und deutete auf sein linkes Ohr. Er folgte der Aufforderung und lauschte. Zunächst hörte er nichts, doch dann vernahm er es: ein hohes, spitzes Pfeifen, das rasch lauter wurde.
Derek hob beide Augenbrauen. Bevor er etwas sagen konnte, rauschte eine Staffel Zerberusse über ihre Köpfe hinweg. Der Bereich vor ihnen ging unter in einer Reihe verheerender Explosionen, als die Kampfflieger ihre Bomben- und Raketenlast auf den wehrlosen Gegner entluden. Die Slugs besaßen nichts mehr, um sich gegen den Luftangriff zu verteidigen. Ihnen blieb nur noch Kampf oder Flucht.
Sie entschieden sich für Kampf.
Die Ruul stürmten durch den angegriffenen Bereich auf die Stellungen des 171. Regiments zu. Derek sah sie durch den Rauch und das tosende Feuer nicht, doch er hörte sie. Die TKA-Soldaten bereiteten sich darauf vor, den Angriff zurückzuschlagen. Es war nicht nötig. Keinem der ruulanischen Krieger gelang es, die Todeszone zu durchbrechen.
Als sich Feuer und Rauch legten, wurde das ganze Ausmaß der Verheerung offenbar. Die Todeszone, die die Zerberusse gelegt hatten, begann keine hundert Meter von den Stellungen der TKA-Soldaten entfernt und sie reichte gut fünfhundert Meter weit. Der ganze Bereich war übersät mit verbrannten ruulanischen Leichen sowie zerstörten Panzern und Ausrüstung. Selbst das feindliche Artilleriebombardement hatte aufgehört. Die Piloten hatten ganze Arbeit geleistet.
In Dereks Ohren knackte es. »Hier Storm Chaser eins an König sechs-sechs.« Der Staffelführer der Zerberusse meldete sich. Derek bestätigte die Verbindung.
»Hier König sechs-sechs«, erwiderte Derek. »Danke für die prompte Hilfe.«
»Gern geschehen«, erwiderte der Staffelführer. »Der Bereich vor Ihnen ist sauber. Wir erhalten kaum noch Anzeigen über Feindaktivität. Benötigen Sie weitere Hilfe? Wenham hat uns angefordert. Er hat wohl an seiner Position große Probleme.«
Derek schnaubte. Das überraschte ihn nicht wirklich. »Kein Problem Storm Chaser eins. Ich denke, ab jetzt kommen wir alleine klar. Danke noch mal.«
»Jederzeit wieder«, entgegnete der Pilot heiter.
Derek fragte sich, wie das wohl sein musste. Den Krieg von dort oben erleben. Weit ab der Auswirkungen der eigenen Waffen. Aus dem Cockpit eines Jägers mussten die Kämpfe wie etwas Sauberes, beinahe etwas Steriles erscheinen. Derek ließ den Blick über das Schlachtfeld schweifen. Der Gestank verbrannten Fleisches drang ihm unangenehm in die Nase. Für die Soldaten, die bis zu den Knien in Dreck und Blut wateten, sah das Ganze anders aus.
»Narim? Die Einheit sammeln«, befahl Derek mürrisch. »Wir müssen einen General retten.«
»Zurückziehen!«, schrie Lieutenant General Garret, während er auf die anrückenden Slugs schoss. Entgegen seiner eigenen Anweisung, hielt Garret gemeinsam mit Benoire und einem halben Dutzend TKA-Soldaten die Stellung, während sich die übrigen tiefer in die Schatten des abgestürzten Truppentransporters zurückzogen.
Die Slugs rückten aus drei Richtungen gegen die Absturzstelle vor, die vierte wurde vom Wrack und immer noch schwelenden Trümmerteilen eingenommen. Garret schätzte die Stärke der feindlichen Einheiten auf das Äquivalent von mindestens drei Kompanien, also irgendetwas zwischen drei- und vierhundert Mann. Das war nicht viel. Im Prinzip führten sie derzeit keine Schlacht, sondern lediglich ein größeres Gefecht. Im derzeitigen Zustand von Garrets Truppe jedoch überstieg die ruulanische Kampfkraft ihre eigene bei Weitem. Er vermutete, man würde sie innerhalb der nächsten Stunde überwältigen.
Garret sah kurz über die Schulter. Der General nahm aus dem Augenwinkel erleichtert wahr, dass der Rückzug beinahe abgeschlossen schien und seine Leute eine letzte Verteidigungsstellung aufbauten. Er verfügte kaum noch über fünfzig kampffähige Männer.
Garrets Sturmgewehr hustete in kurzen, präzisen Salven und blies einem angreifenden ruulanischen Krieger glatt den Kopf von den Schultern. Der Raum zwischen den kämpfenden Parteien war erfüllt von hin und her fauchenden Geschossen sowie den Leichen gefallener Kämpfer beider Seiten.
»Benoire! Jetzt Sie!«, brüllte Garret über den Kampflärm hinweg. Der Unteroffizier schüttelte energisch den Kopf.
»Ich gehe als Letzter!«
»Seien Sie kein Narr, Sergeant.«
»Privileg meines Ranges. Ich haue nicht ab, bevor mein General in Sicherheit ist. Jetzt machen Sie schon!«