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Die unausweichliche Logik des Todes: Der Psychothriller „Der Schmetterlingsmörder“ von Guido M. Breuer jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Mädchen liegt im Walde, ganz still und stumm. Die Augen weit aufgerissen, der Körper eiskalt. Die Würgemale am Hals sind die einzigen Spuren von Gewalt. Nur Profiler Tim Schuster erkennt einen Zusammenhang: Bereits vor einigen Monaten wurde ein Mädchen stranguliert aufgefunden, ebenfalls ohne Missbrauchsspuren. Handelt es sich um denselben Täter? Was ist sein Motiv? Schuster ermittelt mit Hochdruck und ahnt nicht, wie nah er dem Mörder dabei kommt. Da wird das nächste Mädchen entdeckt ¬– erhängt an ihrer eigenen Strumpfhose. Sie ist viel jünger als die anderen Toten – sie ist genauso alt wie Schusters Tochter … Blicken Sie in die Abgründe eines Menschen: Guido M. Breuer lässt Sie in seinem Psychothriller von der ersten Seite an in den Kopf des Täters blicken! Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Der Schmetterlingsmörder“ von Guido M. Breuer. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Seitenzahl: 296
Über dieses Buch:
Ein Mädchen liegt im Walde, ganz still und stumm. Die Augen weit aufgerissen, der Körper eiskalt. Die Würgemale am Hals sind die einzigen Spuren von Gewalt. Nur Profiler Tim Schuster erkennt einen Zusammenhang: Bereits vor einigen Monaten wurde ein Mädchen stranguliert aufgefunden, ebenfalls ohne Missbrauchsspuren. Handelt es sich um denselben Täter? Was ist sein Motiv? Schuster ermittelt mit Hochdruck und ahnt nicht, wie nah er dem Mörder dabei kommt. Da wird das nächste Mädchen entdeckt – erhängt an ihrer eigenen Strumpfhose. Sie ist viel jünger als die anderen Toten – sie ist genauso alt wie Schusters Tochter …
Blicken Sie in die Abgründe eines Menschen: Guido M. Breuer lässt Sie in seinem Psychothriller von der ersten Seite an in den Kopf des Täters blicken!
Über den Autor:
Guido M. Breuer, geboren 1967 in Düren, machte zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufmann, bevor er Wirtschaftswissenschaften studierte. Anschließend war er viele Jahre als Unternehmensberater tätig. Seit 2009 schreibt er Kriminalromane und Thriller. Er lebt und arbeitet in Bonn.
Die Website des Autors: www.guido-m-breuer.de
Der Autor im Internet: https://www.facebook.com/pages/Guido-M-Breuer-Schriftsteller/132950286736662
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Originalausgabe November 2015
Copyright © 2015 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ralf Reiter
Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock/Ari N. (Skalpell) und shutterstock/Butterfly Hunter (Schmetterling)
E-Book-Herstellung: Open Publishing GmbH
ISBN 978-3-95824-306-4
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Guido M. Breuer
Der Schmetterlingsmörder
Psychothriller
dotbooks.
Der unebene Boden hatte ihr keine Schwierigkeiten bereitet. Beinahe geschwebt war sie. Er hatte ihre anmutigen Bewegungen bewundert. Leichtfüßig und doch kraftvoll. Schnell.
Aber nicht schnell genug, um ihm zu entkommen. Er hatte ihren Widerstand vorausgesehen und nahm es ihr nicht übel. Sie konnte ja nicht wissen, welch schreckliches Schicksal er ihr ersparte.
Er spürte das rasende Trommeln ihres Herzens, als sich seine Hände um den schlanken Hals legten. Sie wollte es nicht akzeptieren, wehrte sich mit der ganzen Energie ihres jungen, unverbrauchten Körpers. Am Ende des Kampfes, als ein letztes Zucken durch ihre Glieder ging und ihr Puls sich dann beruhigte, war es ihm, als halte die Natur für einen Moment den Atem an. Alles stand still.
Die Dunkelheit war schneller hereingebrochen als vermutet. Eben war er noch in den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne gelaufen, nun lag die Straße im Zwielicht vor ihm. Sein Jaguar schaltete automatisch die Scheinwerfer ein. Er war froh, dass die Dämmerung ihn nicht im Wald erwischt hatte. Dann wäre es vielleicht nicht so glatt abgelaufen.
Sachte ließ er den Wagen vor dem Haus ausrollen, stieg aus und erschauerte, als die kühle Abendluft seine verschwitzte Haut traf. Im Gehen betätigte er die Fernbedienung. Der Verschluss der Zentralverriegelung klackte laut.
Die Nachbarin nutzte den Freitagabend für das Treppenputzen. Alles war wie immer.
»Guten Abend, Herr Jeschke, mal wieder sportlich gewesen?«
Er erwiderte den Gruß mit einem Lächeln und trat zum Eingang. Nadine öffnete die Tür, als habe sie dort schon länger gelauert, in der Hand ein Telefon. Sicher hatte sie gerade stundenlang mit einer Freundin telefoniert und ihn abgepasst, damit er sie nicht dabei überraschen konnte. Manfred Jeschke vermutete, dass dies alle Mädchen in diesem Alter taten.
»Hi, Papa!«
»Hallo, mein Schatz«, sagte er und schob seine Tochter beiseite.
Er hatte das dringende Bedürfnis, lange und ausgiebig zu duschen. Es war nicht der Schweiß oder Reste des Waldbodens. Auch nicht die Furcht, es könnten an ihm Spuren eines anderen Körpers haften – ein fremder Geruch, Hautschuppen, Haare. Es war eher so, wie würde er ein Werkzeug nach der Benutzung säubern. Am Schluss drehte er wie immer das warme Wasser ab. Die Kälte empfand er als reinigend, sie verhinderte das dampfig matte Gefühl, das eine heiße Dusche hinterließ. Klares kaltes Wasser.
»Papa, liest du mir noch was vor?«
Jeden Abend, wenn er Max zu Bett brachte, stellte der Junge diese Frage. Manfred Jeschke sah sich im Bücherregal um. Da stand nichts, was er nicht schon mindestens zwei- oder dreimal vorgelesen hätte.
»Wir müssen unbedingt demnächst neue Bücher kaufen. Ich weiß wirklich nicht, was ich dir noch vorlesen soll.«
Max strampelte mit den Beinen die Bettdecke fort und drückte so seinen Protest aus. »Du hast doch gesagt, du willst mir mal eine eigene Geschichte erzählen!«
»Die ist aber noch nicht fertig.«
»Dann den Anfang!«
Max war acht Jahre alt und glaubte, dass sein Papa alles konnte, beispielsweise aus dem Stehgreif eine Geschichte zu erzählen.
Manfred holte tief Luft.
»Okay, aber es ist noch nicht viel, und danach wird ohne Protest sofort geschlafen!«
»Juchhu!«, rief Max, aber er beruhigte sich schnell und legte sich in Schlafposition, bevor der Vater es sich anders überlegen konnte.
»Das Märchen vom lieben Gott«, begann Manfred.
»Hä?«
»Unterbrich mich nicht, sonst kann ich mich nicht konzentrieren!«
Max nickte ernsthaft und schloss die Augen als Zeichen, dass er sich von nun an nicht mehr regen würde. Er wusste, dass sein Vater sich schnell aufregte, wenn man ihn in einem Plan störte.
»Wie der liebe Gott die Welt erschaffen hat«, fuhr Manfred fort. »Es war einmal vor langer, langer Zeit, da gab es die Welt, in der wir heute leben, noch gar nicht. Es gab noch keinen Himmel, keine Erde, keine Tiere oder Pflanzen und auch keine Menschen. Noch nicht einmal Luftballons oder Tennisbälle gab es. Da war nur der liebe Gott. Willst du wissen, wie der liebe Gott damals aussah?«
»Wie denn?«
»Nun, das weiß niemand so genau, denn es war ja niemand da, der ihn hätte sehen können! Aber vielleicht sah er ja aus wie ich, vielleicht auch wie Mama, es kann aber auch sein, dass er wie ein Eumel oder wie ein Schuschlik aussah oder wie ein Vrumfondel.«
»Was ist ein Vrumfondel?«
»Keine Ahnung. Stell dir irgendwas vor.«
»Ach so, ein Phantasietier!«
»Genau. Jedenfalls, wenn du den lieben Gott einmal triffst, musst du mir nachher erzählen, wie er aussieht, damit ich es allen Kindern weitererzählen kann. Der liebe Gott war also damals ganz allein, und wie er so dasaß und ganz allein war, dachte er sich, wie schön es doch wäre, wenn es einen Himmel gäbe mit Sonne, Mond und vielen glitzernden Sternen und eine Erde mit vielen Bergen, Wäldern und Wiesen. Und wie der liebe Gott sich diese Dinge so ausdachte, ging es Flatsch! Pardautz! und Rubbeldidupp! – und alles war so, wie der liebe Gott es sich vorgestellt hatte. Und als er sich den Himmel ansah und in einem wunderschönen Wald spazieren ging, dachte er weiter: Wie schön wäre es doch, wenn Rehe im Wald leben würden, auf den Bäumen Vöglein sitzen könnten und kleine Mäuschen im Laub rascheln würden! Und als er sich einen Augenblick später umsah, zwitscherten kleine Vöglein muntere Lieder, eine Eule blinzelte ihm zu und machte freundlich Hu-hu, und plötzlich war alles voller Leben. Es gab auch Wölfe und Löwen, Schmetterlinge und Käfer, Elefanten und Kängurus, und überhaupt alle Tiere, die du kennst. Kannst du dir vorstellen, wie der liebe Gott sich gefreut hat, als er all das Schöne sah, was er geschaffen hatte?«
Max nickte eifrig und sah den Vater erwartungsvoll an.
»Er ging noch eine Weile herum und besuchte die Fische im Fluss, die Pinguine am Südpol und die Wale im Meer. Und als es langsam dunkel wurde und zum ersten Mal der Mond aufging, legte sich der liebe Gott zufrieden und müde unter einen Apfelbaum und schlief ein. Und als er so schlief, träumte er von all den schönen Dingen, die er am nächsten Morgen erschaffen wollte.« Manfred beugte sich über den Jungen und küsste ihn auf die Stirn.
»Das ist eine schöne Geschichte. Geht sie noch weiter?«
Max richtete sich halb auf und umschlang seinen Vater mit seinen kleinen Armen. Manfred drückte ihn fest an sich.
»Klar geht es bald weiter. Aber für heute ist erst mal Schluss. Ich wünsch dir eine gute Nacht. Schlaf gut und träum was Schönes.«
»Du auch, Papa. Genau wie das Vrumfondel!«
Manfred löschte das Licht und schloss die Tür. Bevor er hinunterging ins Wohnzimmer, schaute er noch bei Nadine vorbei, die sich gerade die Zähne putzte und mit Schaum vor dem Mund ein »Gute Nacht« murmelte. Sie konnte allein zu Bett gehen und brauchte keine Geschichte.
Tim Schuster liebte seine Arbeit. Die Recherchen vor Ort, das Grübeln am Schreibtisch. Das Zusammensetzen von Details zu einer Art von Wirklichkeit, die er für die Leser erschuf. Das Puzzeln mit Fotos und Texten. Er mochte die Diskussionen mit Kollegen und Polizisten, das Gegeneinanderstellen von Theorien, Schlussfolgerungen und Vermutungen. Auch das Schreiben selbst, die zahllosen Telefonate mit diversen an Ermittlungen beteiligten Behörden und sogar Pressekonferenzen mochte er.
Es war ein sonniger Samstagnachmittag, den er eigentlich auf der Geburtstagsparty seiner Tochter hatte verbringen wollen. Aber er stand in einem Waldstück bei Köln, um sich ein totes Mädchen anzuschauen.
Tim war nicht oft am Fundort eines Mordopfers. Zumindest nicht, wenn es noch dort war. Meist hatte er nicht die Gelegenheit dazu, denn er war in der Regel zu weit entfernt, als dass er es schaffen könnte, dort zu sein, bevor die Spurensicherung beendet und die Leiche fortgeschafft war.
Dieser Ort war jedoch nicht sehr weit von seiner Wohnung gelegen. Sein Kontakt bei der Kripo hatte schnell geschaltet. So bot sich ihm an diesem Tag eine seltene Gelegenheit.
»Hallo, Tim! Da bist du ja verdammt flott gewesen!«
Die Stimme gehörte zu der angenehmen Erscheinung der Kölner Kriminalhauptkommissarin Helena Berger. Sie löste sich aus einer Gruppe von uniformierten Beamten und kam auf ihn zu. Ihr Gang war energisch wie immer. Sie machte so lange Schritte, wie ihr enger Rock und das unwegsame Gelände es gerade erlaubten, und holte Tim am Rand des Waldwegs ab, an dem er stand. Weiter hatten ihn ihre Kollegen nicht an die Leiche herangelassen. Da nützte auch sein Presseausweis nichts.
Helena war eine Frau von klassischer Schönheit und ebenso klassischem Wuchs. Sie reichte ihm mit einem angedeuteten Lächeln die Hand.
»Hallo, Lena. Nett von dir, mir Bescheid zu geben.«
»So bin ich zu dir.«
Ihr Gesichtsausdruck wurde sofort wieder ernst. Tim schaute hoch in ihre auffallend blauen Augen, die sie jetzt leicht zusammenkniff. Die Sonne blitzte zwischen den Bäumen hervor und blendete sie. Die Kommissarin wandte sich ab und deutete auf den Körper, der vor ihnen im Unterholz lag. Die Spezialisten der Kriminaltechnik hatten die Arbeit bereits beendet. Eine Bahre nebst Leichensack lag bereit.
»Sie ist transportfertig, Frau Berger.«
»Warten sie bitte noch etwas«, mischte Tim sich ein.
Lena Berger nickte den Männern zu, die einen zweifelnden Blick auf den Journalisten warfen. »Schon in Ordnung. Herr Schuster ist mit meinem Einverständnis hier.«
Die Tote lag zusammengekrümmt und mit weit aufgerissenen Augen da. Sie trug Funktionsbekleidung, wie sie beim Sport üblich war, ein hauchdünnes Synthetikshirt, dazu eine enganliegende, kurze Jogginghose und Laufschuhe. Die bunten Sachen waren verschmutzt, aber unbeschädigt.
»Schau dir bitte diese Würgemale an.« Lena wies auf den Hals des Mädchens.
»Die gleichen Spuren wie die Tote letztes Frühjahr?«
»Ganz genau. Ich hab nur einen kurzen Blick drauf geworfen und sofort an diesen Fall gedacht. Was weißt du denn schon wieder davon?« Sie klang leicht irritiert.
»Du kennst mich doch«, antwortete Tim kurz, während er das die Leiche umgebende Unterholz musterte. Lena kannte ihn in der Tat und wusste, mehr würde er nicht dazu sagen. »Was wisst ihr über Todesursache und -zeitpunkt?«
»Sie wurde offenbar gestern erwürgt. Mit Sicherheit hat sie die Nacht hier gelegen. Einzelheiten gibt’s später nach der Obduktion.«
Tim packte seine kleine Nikon aus, die er immer mitführte, und schoss ein Foto vom Gesicht des Opfers.
Dann hockte er sich neben die Leiche und betrachtete den Ausdruck ihrer weit geöffneten Augen. Neben Panik und Anstrengung konnte er auch sein Spiegelbild in ihren glänzenden Augäpfeln erkennen. Dies rührte wohl von den Augentropfen her, die die Kriminaltechniker benutzten, um eine Pupillenreaktion hervorzurufen und so Informationen über den Zeitpunkt des Todes zu gewinnen. Diese Augen waren jedoch sicherlich zu nichts mehr zu bewegen gewesen. Tim hätte dem Mädchen gern die Lider geschlossen, doch er hielt sich zurück. Er fand, dass ihm das nicht zustand. Dann erhob er sich und schoss noch ein Foto. Nun, nachdem er sie durch den Sucher der Kamera verarbeitet hatte, wirkte ihr blasses Gesicht weniger schrecklich.
»Die Fotos bleiben erst mal bei dir, Tim«, sagte Helena Berger in bestimmtem Ton, ganz Kriminalbeamtin.
Er sah die schöne Frau an, die ihm in ihrem schicken Kleid plötzlich ziemlich deplatziert vorkam. »Ist doch logisch, Lena.«
Die Kommissarin führte weiter aus: »Die Tote letztes Jahr hatte die gleichen Merkmale: Fundort im Wald, die Würgemale am Hals, keine Vergewaltigung, ungefähr gleiches Alter. Deshalb wollte ich, dass du den Tatort siehst. Du bist der beste Profiler, den ich kenne. Das ist dasselbe Schwein, Tim.«
»Du legst dich also schon darauf fest, dass es sich um einen männlichen Einzeltäter handelt?«
Sie ignorierte die Kritik in seiner Frage und zeigte in die Richtung des Waldwegs, der wenige Meter neben ihnen verlief.
»Die Spurensicherung sagt, dass das Opfer von einer anderen Person vom Weg hierher gezerrt und zu Boden gerissen wurde. Es gibt deutliche Kampfspuren.«
Ein Mann im weißen Polyethylen-Anzug, der gerade die letzten Utensilien in seine Koffersammlung packte, fügte hinzu: »Die beiden sind mit großer Wucht durch das Unterholz gekracht, vermutlich in vollem Lauf. Viele Äste wurden dabei zerbrochen, der Boden hier vorne aufgewühlt. Wir untersuchen die Proben auf Gewebe-, Textil- und Sekretspuren. Ich wette, das Material unter den Fingernägeln des Opfers gibt auch etwas her. Das war ein Pas de deux der besonderen Art.«
»Danke sehr«, sagte Lena. »Morgen sprechen wir weiter, was das angeht. Sie können sie jetzt fortschaffen lassen.«
Sie überließen das tote Mädchen Lenas Kollegen für den Abtransport und gingen zum Weg zurück. Dort schaute Tim sich in allen Richtungen um. Er versuchte, die Autos und die anderen Menschen aus seiner Wahrnehmung zu verdrängen, und atmete tief die Waldluft ein. Die Nachmittagssonne flutete durch das Blätterwerk. Er befand sich in einem idyllischen Stück Natur, das so gar nicht zu der Toten mit den aufgerissenen Augen passen wollte. Ein leichtes Frösteln durchschauerte ihn.
»Welch ein schöner Ort zum Sterben.«
»Wie meinst du das?« Lena sah ihn verständnislos an.
Tim dachte an die laute, graue Stadt, die ganz in der Nähe lag. »Ich meine, der Täter hat sich ein schönes Fleckchen ausgesucht. Vielleicht nicht nur der Einsamkeit wegen.«
»Die Rheinpromenade ist auch schön, aber wenn er’s da gemacht hätte, bräuchte ich dich nicht mehr«, rief sie aufgebracht.
»Ich finde dich heiß, wenn du wütend bist.«
Lena entgegnete nichts, sondern schaute ihn nur einen Moment neugierig an. Dann kam ein junger Mann in Zivil, in dem Tim Lenas Mitarbeiter vermutete, auf sie zu.
»Lena, wir haben die Tote wahrscheinlich identifiziert. Ein dreizehnjähriges Mädchen mit passender Beschreibung wurde erst vor zwei Stunden als vermisst gemeldet. Die Eltern haben Aussehen und Bekleidung in genauer Übereinstimmung angegeben. Sie wohnen hier ganz in der Nähe in Forsbach. Ihre Tochter ist gestern Nachmittag zu Fuß los zum Joggen und nicht zurückgekommen.«
»Danke dir.« Lena nahm den Zettel entgegen, den der Mann ihr reichte.
»Ich befürchte, der Tag wird für dich noch viel unangenehmer werden, als er ohnehin schon ist.« Tim versuchte dem Klang seiner Stimme ein wenig Mitgefühl beizugeben. »So wie es aussieht, wirst du jetzt gleich einen schweren Termin wahrnehmen.«
Lena Berger nickte. »Ich denke, es reicht, um mit den Eltern zu sprechen. Zwar muss ich mit ihnen noch die eindeutige Identifizierung vornehmen, aber es gibt hier wohl keine ernsthaften Zweifel.«
»Hast du ein vorzeigbares Foto?«
»Klar doch. Ich kenne meinen Job, Tim.«
»Das war wirklich nett von dir, mich anzurufen. Du hast was gut bei mir. Ich werde jetzt versuchen, den Geburtstag meiner Tochter ein wenig mitzufeiern. Nicht so schwierig wie dein Job, aber auch nicht gerade einfach nach dem hier.«
Er zeigte mit dem Kinn in Richtung des Plastiksacks, der über dem angstverzerrten Gesicht eines Kindes geschlossen wurde.
Lena reichte ihm die Hand. »Ich denke, wir sprechen uns nächste Woche wieder. Ich bin sicher, du wirst dich revanchieren können.«
Sie nickte ihm noch einmal zu, drehte sich um und ging zu dem Dienstwagen, in dem ihr Kollege wartete. Tim schaute ihr nach und betrachtete den straffen Po, der sich in dem engen Rock abzeichnete. Er nahm sich vor, sie bald in angenehmerem Ambiente wiederzusehen. Dann ging er ebenfalls zu seinem Wagen zurück. Er kam an dem Parkplatz vorbei, auf dem immer noch Beamte mit der Befragung von Spaziergängern befasst waren. Wahrscheinlich brachte das einen Tag nach der Tat nichts mehr. Aber man weiß ja nie, dachte Tim. Er erkannte den Polizisten, der ihn eben von dort aus weitergewiesen hatte, und winkte ihm kurz zu.
Er fuhr los und passierte bald das Ortsschild von Forsbach. Hier würde die Kriminalpolizei gleich zwei unglücklichen Menschen ein schlimmes Foto ihrer Tochter zeigen. Tim hoffte, Lena Berger würde trotzdem den Mut aufbringen, die Eltern zu fragen, weshalb sie erst vor zwei Stunden die Vermisstenmeldung aufgegeben hatten, wenn ihre Tochter am Vorabend nicht vom Joggen zurückgekehrt war. In seinem Blickfeld stieg ein Flugzeug steil in den Himmel über der Wahner Heide. Er fuhr in Richtung Bergisch Gladbach zum Autobahnkreuz Köln-Ost weiter, von wo aus er am schnellsten nach Hause kam. Die Sonne stand schon tief. Der Kindergeburtstag würde wahrscheinlich schon vorbei sein. Damit hatte Veronika wieder die ganze Arbeit allein gehabt – keine guten Vorzeichen für einen netten Samstagabend. Tim dachte an seinen Vater, der ihm eine angenehmere Gesellschaft gewesen wäre, weniger anstrengend. Aber er war an diesem Wochenende in England bei einem Treffen mit ehemaligen Studienkollegen.
Seine rechte Hand tastete aus Gewohnheit nach dem Einschaltknopf des Radios, doch er zog sie zurück. Eigentlich wollte er nichts hören, sich nicht ablenken lassen. Plötzlich fühlte er sich sehr allein. Er wünschte sich weit fort, vielleicht in die Stille eines hohen Gebirges, wo er Ruhe finden könnte und Frieden.
Manfred kaute genüsslich an einem Stück Tafelspitz, den Claudia wie immer hervorragend zubereitet hatte. Das zarte Fleisch zerging im Munde allein durch sanfte Kaubewegungen, wie man sie bei den rosigen Knospen der aufblühenden Brust eines jungen Mädchens anwenden würde. Es schmiegte sich an Manfreds Gaumen, als er es langsam hinunterschluckte.
»Mama, die Mutter von Tobias nennt alle Menschen, die Fleisch essen, Mörder!«
Manfred lachte. »Mäxchen, willst du deinen Papa auch einen Mörder nennen?«
»Gestern hat man im Königsforst ein ermordetes Mädchen gefunden!« Nadine blickt triumphierend in die Tischrunde, als hoffe sie darauf, den anderen eine spektakuläre Neuigkeit vorauszuhaben.
Claudia schüttelte betroffen den Kopf. »Die Ärmste. Gerade mal dreizehn Jahre alt. Sie haben gemeldet, sie sei ein Lauftalent gewesen und habe beim ASV schon für internationale Wettkämpfe trainiert.«
»Ich hab gehört, dass sie erwürgt wurde.«
Manfred genoss weiter den vorzüglichen Tafelspitz an Apfelkren mit Petersilienkartoffeln und Lauchgemüse. Dabei versuchte er, von allem etwas in den Mund zu schieben, um die Harmonie der Speisen voll und ganz auszukosten. Nebenher amüsierte er sich über Max. Der ging mit Messer und Gabel um, als gelte es, ein Rind zu schlachten und nicht etwa ein zartes Stück Fleisch zu schneiden. Dann wieder Nadine, die sich wortlos, dafür mit umso drastischerer Mimik über den Apfelmeerrettich beschwerte, den sie nicht mochte. Nach Claudias Dafürhalten gehörte er aber unbedingt zum Tafelspitz dazu. Normalerweise wäre dieses Mittagessen der Auftakt für einen beschaulichen Nachmittag im Kreise der Familie, dachte Manfred. Vielleicht ein Kurzausflug ins Bergische Land bei dem herrlichen Frühlingswetter. Doch heute musste er noch arbeiten. Schon am nächsten Samstag erwartete ihn sein Schweizer Kollege Beat Ruedi im Wallis zu einer Klettertour. Bis dahin wollte er ein gehöriges Arbeitspensum vorlegen, um ein dringendes Projekt abzuschließen. Mit den letzten Bissen murmelte er etwas dahingehend. Claudia zeigte sich enttäuscht. Manfred hörte ihr nicht wirklich zu, als sie von seinen ständigen Extratouren ins Gebirge redete, dass man noch weniger von ihm hätte wegen der Arbeit und so weiter. Er ließ sich seine gute Laune nicht verderben, dankte ihr für das hervorragende Essen und zog sich in sein Arbeitszimmer zurück. Aus Höflichkeit verlor er im Aufstehen noch ein paar Worte zu dem Projekt: Komplexe Workflow-Analyse bei einem in Aachen ansässigen Versicherungshaus sei ohne seine Mitarbeit nicht zu machen. Claudia redete immer weiter, auch Nadine gab etwas von sich, aber Manfreds Bedarf an Kommunikation war gedeckt. Sein Kopf schmerzte etwas.
Veronika zog sich die Decke bis ans Kinn und drehte sich von Tim weg, um im Schein ihrer Nachttischlampe zu lesen.
Es schien ihm eine ihrer typischen Gesten zu sein. Sie wollte ihm vermutlich bedeuten, dass ihr kalt war. Und dass es zu früh gewesen war, das Winterplumeau schon gegen die Sommerdecke zu tauschen. Dabei hatte er in den letzten Tagen nur ein- oder zweimal beiläufig angemerkt, dass es immerhin Mai und damit die Heizperiode wohl endgültig vorbei sei. Er hatte unter der dicken Wintergarnitur geschwitzt.
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