Der Schrecken im Nil - Johannes Graichen - E-Book

Der Schrecken im Nil E-Book

Johannes Graichen

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Beschreibung

Ein Dorf im alten Ägypten. Hier wohnt Sethos, der Fischer, mit seiner Familie. Als in der Nähe des Dorfes ein Ungeheuer gesichtet wird, beginnt nicht nur für Sethos eine unheimliche Zeit. Immer mehr furchtbare Ereignisse geschehen und Sethos entschließt sich, zusammen mit seinem Nachbarn und Freund Amosis, dem Schrecken ein Ende zu setzen.

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Inhaltsverzeichnis

EINE FURCHTBARE BEGEGNUNG

SETHOS DER FISCHER

DAS VERSTECKSPIEL

DER SPORT DER NEUGIERIGEN

EIN HEISERES KRÄCHZEN IN DER ABENDLUFT

EINE VERSAMMLUNG AM DORFRAND

DER ALTE ESEL

WARTEN AUF DEM DACH

EIN VIEL ZU SCHÖNER TAG

ES WAR KEIN TRAUM

YAMMUCH!

TETI II.

EIN UNGUTES VORZEICHEN?

DIE DROHENDE WAND

EINE MISSLICHE LAGE

AUF DER FLUSSINSEL

DER EINFALL

IM UNTERGRUND

DER FEUERZUG

UNTER SCHAFEN

DIE ANDERE RICHTUNG

EINE UNVERHOFFTE BEGEGNUNG

EIN LETZTER BLICK

FIGURENVERZEICHNIS

EINE FURCHTBARE BEGEGNUNG

Langsam, aber stetig bewegte sich das Papyrusboot auf dem Nil dahin. Die Fahrt ging Richtung Süden, also gegen die Strömung des Flusses. Daher mussten die vier Menschen auf dem Boot kraftvoll ihre Ruder ins Wasser stoßen. Zwei Frauen und zwei Männer waren es, die sich auf dem Rückweg ins Dorf befanden. Zur Mittagszeit schaute hier die Sonne gebieterisch auf die Menschen herab. Doch jetzt thronte sie nicht mehr erhaben am Himmel, sondern neigte sich zum westlichen Horizont hin, wo sich die weite, trostlose Wüste erstreckte. Und während langsam die Abenddämmerung einsetzte, näherte sich das Boot seinem Ziel. Da machten die vier plötzlich eine Entdeckung.

»Schaut mal dort!«, sagte eine der Frauen und zeigte auf das Ufer rechts von ihnen. Sie fuhren bereits die ganze Zeit ziemlich nah an dieser Uferseite entlang und konnten es deshalb gut sehen.

»Das war doch vorher noch nicht da«, bemerkte einer der Männer, während er auf den Punkt schaute, auf den die Frau gerade gezeigt hatte.

An dieser Stelle bildete das Nilufer einen steilen Hang mit Steinen und Felsen. Und unter einem großen, länglichen Stein klaffte ein Loch, als wäre dort der Boden weggebrochen, um eine Höhle zu offenbaren.

»Das will ich mir genauer ansehen«, sagte der zweite Mann und die anderen wollten sich seinem Vorhaben anschließen, da sie diese Entdeckung ebenso interessierte.

Sogleich erreichten sie das Dorf und legten an. Sie gingen dann in die Richtung der merkwürdigen Höhle. Es war nicht weit bis dahin, höchstens ein Kilometer. Als sie an der gesuchten Stelle ankamen, standen sie an der Oberseite der Böschung, die nach unten hin ins Wasser mündete. Von hier aus sah man Steine, doch das Loch blieb den Blicken der Gruppe gänzlich verborgen. Also stiegen sie vorsichtig nach unten, Schritt für Schritt. Und da war sie, die Höhle. Der Eingang musste etwa so hoch wie ein aufrecht stehender Mensch sein. In der Abenddämmerung erschien die Höhle wie ein total lichtloses Loch, in dem die Dunkelheit bedrohlich lauerte. Den Vieren war etwas mulmig zumute, besonders, als ihnen ein abscheulicher Gestank von Verwesung in die Nasen stieg. Da lag eine tote Ratte direkt am Eingang. Ihr lebloser Leib wurde von Fliegen umschwärmt. Wie viele Tage mochte sie wohl schon hier liegen? Der Gestank war widerlich, kaum zu ertragen. Eigentlich wollten sie alle lieber gehen, doch die Neugier hielt sie zurück. Was hatte es mit dieser Höhle auf sich? Verbarg sich etwas in ihr, und wie groß war sie überhaupt? Sie hatten kein gutes Gefühl bei dieser Sache. Auf einmal fragten sie sich, was sie hier eigentlich wollten, an diesem unheimlichen Ort. Die Sonne ging unter und sie standen hier vor einem dunklen Höhleneingang, in dem der Kadaver einer Ratte lag. Ihre Blicke waren ins Schwarze gerichtet. Doch hatte sich da nicht gerade oberhalb ihres Gesichtsfeldes etwas emporgehoben? Sie schauten alle im gleichen Moment hinauf und tatsächlich - oben am Hang stand ganz plötzlich etwas! Es war groß, nur die Umrisse waren klar zu erkennen. Eine Gestalt, die sie noch nie zuvor gesehen hatten. Die zwei Frauen und die zwei Männer standen vor Schreck ganz still, wie in einer Schockstarre und gaben keinen Laut von sich. Wie aus dem Nichts war dieses Etwas aufgetaucht. Es hatte an seinem Rücken lange, dünne Auswüchse und der Kopf sah beinahe wie der eines Krokodils aus. Eine schauerliche Sekunde verging. Dann ertönte plötzlich ein furchtbar anzuhörendes Fauchen, das wie ein unterdrückter Schrei klang! Dieser albtraumhafte Laut ließ die Angst ins Unermessliche steigen. Im selben Augenblick machte die Gestalt einen Schritt nach vorn. Sie wollte den Hang herunterkommen! Da dachten die vier nur noch an eines: Flucht! Sie rannten in Richtung Dorf, und zwar unten am Hang entlang, obwohl es dort sehr mühsam und schwierig war. Egal. Sie mussten weg, so schnell wie möglich! Ihre Beine trugen sie über den steinigen und sandigen Boden, durch das Gebüsch des Ufers, während sie die Präsenz des Grauens in ihren Nacken spürten. Keiner wagte es sich umzudrehen, um zu schauen, ob die Gestalt noch hinter ihnen her war. Dann erklommen sie den Hang und rannten oben an der Kante weiter.

Irgendwann kamen sie am Dorf an, wo sie auf einige Fischer trafen. Hier blieben sie zum ersten Mal stehen und blickten in die Richtung, aus der sie gerade gekommen waren. Sie waren völlig außer Puste und die Fischer konnten die Angst an ihren Gesichtern ablesen.

»Was ist passiert?«, wollte einer wissen.

»Bei Seth, was war das denn?«, war das Einzige, was eine der Vier schnaufend hervorbrachte.

»Was ist denn los?«, fragte nun ein anderer Fischer.

Dann fingen sie mit aufgebrachten Stimmen an zu erzählen: »Dort hinten, direkt am Nilufer …«, sie mussten zwischendurch immer wieder nach Luft schnappen oder vor Entsetzen stöhnen. »Dort hinten begegnete uns plötzlich ein großes … Wesen, oder irgendein Tier! Es hatte viele dünne Arme oder etwas Ähnliches auf dem Rücken. Die sahen so aus wie Insektenbeine. Und ich glaube, es hatte den Kopf eines Krokodils.«

Die Fischer machten große Augen. Sie versuchten sich ein Bild zu machen und irgendeine Erklärung dafür zu finden.

»Dann hat es so ein furchtbares Geräusch von sich gegeben und kam auf uns zu. Wir hatten solche Angst und sind nur noch gerannt und dieses Tier kam uns hinterher, ich weiß nicht wie weit.«

Als die Fischer anboten, noch einmal in der entsprechenden Richtung am Nil entlangzulaufen, rieten die Verängstigten dringend davon ab. Eine solche Suche nach dem besagten Wesen sollte am helllichten Tag durchgeführt werden, und somit erst morgen. Jetzt wollten die zwei Frauen und die zwei Männer nur noch nach Hause zu ihren Familien. Dort erzählten sie noch einmal von der schockierenden Begegnung, die keinen ruhig schlafen ließ, in dieser Nacht.

SETHOS DER FISCHER

Das Dorf setzte sich zusammen aus dutzenden Häusern, die praktischerweise alle aus Schlammziegeln erbaut worden waren. Es lag westlich des Nils, irgendwo in Unterägypten. In den letzten Monaten hatte der Nil die Felder mit kostbarem Wasser und seinem fruchtbaren Schlamm überzogen, doch jetzt war es Ende Oktober und die Nilfluten gingen stark zurück. Es begann dieser Tage Peret, die zweite Jahreszeit des ägyptischen Kalenders, bekannt als die Zeit der Aussaat.

So ziemlich in der Mitte des Dorfes trat gerade ein 30 Jahre alter Mann aus der Holztür seiner schlichten Behausung. Das war Sethos, ein Angehöriger des Volkes von Pharao Teti II. Er war Fischer - um genau zu sein, einer jener Fischer, die gestern Abend als Erste von dem Wesen erfahren hatten. So wie die meisten Dorfbewohner verließ er an diesem frühen Morgen sein Haus, um an den Nil zu gehen. Dort wurde sich für gewöhnlich gewaschen, was nach manchen warmen Nächten eine willkommene Erfrischung war. Doch vier Personen nahmen diese Erfrischung heute nicht wahr. Sie trauten dem Fluss und seinen Geheimnissen nicht. Sethos wusste warum. Er selbst hatte mit noch niemandem darüber gesprochen, auch nicht mit seiner Frau Mara oder seinen drei Kindern. Doch andere Fischer hatten es offenbar getan. Denn er hörte Bruchstücke eines Gesprächs mit, in dem vom gestrigen Abend und von einem großen Ungetüm die Rede war.

Doch als er später am Morgen frühstückte, hatte dieses Thema zum Glück noch nicht seine Familie erreicht, und er würde bestimmt nicht derjenige sein, von dem sie es zuerst zu hören bekämen. Sie saßen auf dem Dach ihres Hauses und aßen Datteln, Eier und das übliche Fladenbrot. Aber Sethos hatte nur mäßigen Appetit und war in Gedanken ganz bei dem, was er gestern Abend vernommen hatte. Sein schlankes Gesicht war finster, doch das fiel nicht weiter auf, denn er hatte von Natur aus einen ernsten Gesichtsausdruck. Der Gedanke an ein großes Wesen mit dem Kopf eines Krokodils bereitete ihm aus einem bestimmten Grund Unwohlsein. Erst vor wenigen Jahren war sein Vater von einem Krokodil getötet worden. Natürlich wusste jeder, dass die Tiere gefährlich waren, dennoch kam es hin und wieder zu Angriffen, die nur zu oft tödlich endeten.

Wenn Sethos mit einem Boot auf dem Nil fuhr und Krokodile sah, wurde er immer nervös, manchmal sogar richtig ängstlich. Dann fingen seine Hände, in denen er das Ruder hielt, an zu schwitzen und er wischte sie an seinem Schurz aus Leinen ab. Außerdem hatte er die Angewohnheit, sich bei Angst ständig umzuschauen und die Umgebung intensiv zu beobachten. Seit dem unglücklichen Vorfall seines Vaters, arbeitete er jedoch deutlich weniger auf dem Fluss und angelte stattdessen viel mehr. Das konnte er vom Ufer aus machen, an einer gut überschaubaren Angelstelle. Und während des Rückgangs der Nilfluten, konnte er auf den Überschwemmungsgebieten Fische in zurückbleibenden und langsam austrocknenden Tümpeln fangen. So hatte er eigentlich keine Krokodile zu fürchten. Doch sollte es jetzt etwa ein Krokodilwesen geben, das den Menschen sogar an Land hinterherjagte? Sethos fand keine richtige Antwort darauf, während er Löcher in die Luft starrte. Er war nicht nur heute so gedankenverloren. Tagträumereien waren bei ihm eine Eigenart, die schon früher seine Mutter immer kritisiert hatte.

Er schlürfte den Rest seiner Milch aus und griff noch nach einer Dattel. Der süße Geschmack war ihm gerade nicht sehr willkommen. An jedem einzelnen Morgen aß er die Früchte und jetzt wurden sie ihm einfach nur fade.

Indessen war die Mahlzeit ohnehin so gut wie beendet, so auch bei vielen anderen Familien des Dorfes. Sie alle starteten in ihren Tag, einige mit dem Wissen über den Vorfall von gestern Abend. Jene hatten das Bedürfnis, die vier betroffenen Personen aufzusuchen und ihnen Fragen zu stellen. Inwiefern solche Fragen beantwortet wurden, war unterschiedlich, doch letztendlich traten mehr und mehr Informationen zum Vorschein. So kam es, wie es kommen musste und es entstand ein Gerücht, das sich im ganzen Dorf verbreitete. Bald wussten alle davon und es bildeten sich die verschiedensten Meinungen. Manche glaubten, das wäre bloß ein verrücktes Märchen von irgendwelchen Spinnern. Andere wiederum hielten die Geschichte für wahr und trauten sich abends kaum noch an den Nil zu gehen. Und wieder andere wussten nicht, was sie davon halten sollten, so wie Sethos.

Aber was wurde nun aus der Suche nach dem Wesen? Eigentlich gab es gar keine gemeinsam geplante Suche. Aber manche taten sich zu kleinen, zwei- oder dreiköpfigen Gruppen zusammen und erkundeten das Nilufer. Und einige dieser Gruppen fanden tatsächlich den Höhleneingang, jedoch traute sich keiner hinein. Von dem schrecklichen Tier fehlte aber jede Spur. Es gab somit keinerlei neue Erkenntnisse, sondern nur weitere Spekulationen.

DAS VERSTECKSPIEL

Es war jener Tag. Sethos saß noch im Haus und frühstückte mit Mara und den Kindern. Diesmal befanden sie sich nicht auf dem Dach, sondern im Wohnraum, der auch genutzt wurde, um zu essen. Allerdings speisten sie nicht an einem Tisch mit Stühlen, denn Möbel gab es bei den einfachen Ägyptern nur wenige. Sie saßen auf dem Boden im Kreis um die Schüsseln herum.

Draußen, nicht weit vom Dorf, befanden sich Pyramidenbauer auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Unterwegs waren sie auf dem Nil mit mehreren Segel-und Ruderbooten. Auch Leute aus dem Dorf zählten dazu. Es muss erwähnt werden, dass es sich bei diesen Arbeitern keineswegs um Sklaven handelte. Sie waren allesamt gewöhnliche Ägypter, die für ihre Schufterei bezahlt wurden.

Schaute man von einem der umliegenden Hügel aus nach Süden, dann konnte man am Horizont zwei dieser mächtigen Bauwerke sehen. Und wenn die Sonne zur Mittagszeit ihren höchsten Stand erreichte, glänzte die oberste Stelle einer Pyramide strahlend hell, da die Spitze eines solchen Kolosses aus purem Gold bestand.

Die Pyramidenbauer waren bereits weitergefahren, da eilte ein Mann ins Dorf.

»Ich weiß, was in der Höhle ist!«, rief er. »Ich habe etwas entdeckt!« Seine aufgeregte Stimme tönte zwischen den Häusern entlang.

»Das klingt doch wie Onuris«, bemerkte Mara, als sie die Rufe von draußen hörte.

Sethos stand auf und ging an eines der wenigen kleinen Fenster, die es in ägyptischen Häusern gab. Tatsächlich sah er Onuris, der hin und her lief und sich umschaute. Sethos war keineswegs erfreut, ihn zu treffen, denn er konnte ihn wirklich nicht leiden. In seinen Augen war Onuris ein arroganter Hochstapler, der nicht davor zurückschreckte, zu lügen, um selbst besser dazustehen.

Schon sammelte sich eine kleine Schar um ihn herum, die neugierig war. Auch Mara ging hinaus und die Kinder ebenfalls. Da blieb Sethos nichts Anderes übrig, als ihnen nach draußen zu folgen.

Schon fing Onuris an zu berichten: »Ich sage euch, in dieser Höhle ist so manches Geheimnis verborgen. Vorhin war ich dort und ging hinein. Und ja, natürlich hatte ich Angst. Doch ich nahm meinen Mut zusammen.«

Die Leute schauten aufgeregt oder aber misstrauisch und zweifelnd drein.

»Also stand ich da in der Höhle, nur eine Fackel spendete mir Licht. Schritt um Schritt ging ich tiefer hinein. Und was ich da entdeckte, könnt ihr euch nicht vorstellen. Ich stieß auf einen unterirdischen Tempel! Wie groß er war, kann ich nicht sagen, denn weiter wagte ich mich nicht hinein. Aber wer weiß? Vielleicht wohnt ja in diesem Tempel das Wesen? Ihr wisst schon, welches ich meine.«

Die Leute schauten sich gegenseitig an und runzelten die Stirn.

»Ach Junge«, sagte ein älterer Mann. »Du kannst gerne mal deinen großen Mut zusammennehmen und die Ratten aus meinem Keller vertreiben.«

Onuris blickte gleichgültig drein.

»Besonders glaubwürdig ist dieser Unsinn nicht gerade«, sagte eine Frau.

Daraufhin erwiderte Onuris: »Aber du hast nicht den Mut, selbst in die Höhle zu gehen, um das Gegenteil zu beweisen.«

Da winkte die Frau ab und ging weg, um sich um eigene Angelegenheiten zu kümmern. Die anderen folgten ihrem Beispiel und so tat es schließlich auch Onuris. Er fand eine Genugtuung darin, dass er den anderen von seinem Erlebnis berichtet hatte, ob es nun wahr war oder nicht. Mara und die Kinder gingen wieder hinein und nur noch zwei Personen standen da: Sethos und neben ihm sein Nachbar und guter Freund Amosis. Dieser war ein glatzköpfiger Mann mit einer ziemlich großen Nase, der sich von Erzählungen wie der gerade gehörten, niemals einschüchtern ließ.

»Was der sich immer ausdenkt«, fing Amosis an.

»Und ich dachte, er gehört zu denen, die nicht an das Wesen glauben«, sagte Sethos.

»Wahrscheinlich ist das auch so, aber wenn er die Sache nutzen kann, um sich selbst als den mutigen Höhlenforscher dastehen zu lassen, macht er wohl gerne eine Ausnahme.«

»Da hast du recht, fürchte ich.«

Nach einer kurzen Pause sagte Amosis: »Ich habe für heute erst mal wieder genug von diesem Thema. Ständig hört man irgendwelche Vermutungen. Dann kommt Onuris ins Dorf und behauptet, die Höhle erkundet zu haben.« Er fasste sich an die Stirn. »Das ganze Gerede von diesem Wesen und von der Höhle reicht mir so langsam.«

»Du glaubst nicht an das Wesen, stimmt’s?«, wollte Sethos wissen.

»Nein. Du etwa?« Amosis schaute seinen Freund mit großen Augen an. Dieser überlegte.

»Ich weiß nicht. Du musst verstehen, ich war einer der Ersten, mit dem die vier gesprochen haben, nachdem sie dem Tier begegnet waren. Und sie sind wirklich total aufgebracht und ängstlich gewesen. Ich sage, das Ganze hat einen wahren Kern. Und welcher das ist, wird sich gewiss noch zeigen. Wir sollten also abwarten.«

Dann war es an der Zeit, sich der Arbeit zu widmen. Amosis war ein Bauer, wie die meisten Menschen. In der jetzigen Jahreszeit Peret galt es, die Samen des Getreides auf die Felder zu bringen, die der Nil wieder von seinen Fluten freigegeben hatte.

Doch heute war noch etwas Anderes ausgesät worden. Eine neue Geschichte, die Erzählung von Onuris. Obwohl sich schon viele ihre ablehnende Meinung dazu gebildet hatten, wurde es dennoch im dörflichen Geplauder thematisiert, bis jeder davon wusste. Auch die Kinder erfuhren es, und so kam es, dass Sethos’ Sohn Essam seinen Vater danach fragte, als sie gerade dabei waren, Fischernetze zu reparieren.

»Sag mal Vater, glaubst du, dass in der Höhle wirklich ein Tempel ist?«

Sethos verspürte eine leichte Verärgerung, als er diese Frage hörte. Es gefiel ihm gar nicht, dass sich die schwachsinnige Erzählung von Onuris auch unter den Kindern ausbreitete.

»Aber nein. Das ist bestimmt nicht wahr, was Onuris erzählt hat. Du darfst nicht alles glauben, was du hörst, Essam.«

Sein Sohn nickte.

Nach einer kurzen Pause sagte Sethos: »Weißt du, Onuris redet viel. Besonders über sich selbst. Aber manches davon ist einfach nur gelogen und falsch.«

Wieder nickte Essam, während sein Vater ihn etwas besorgt anschaute.

»Bitte versprich mir, dass du auf keinen Fall in die Höhle gehst! Aus Neugier zum Beispiel. Geh am besten gar nicht erst in ihre Nähe, ja?«

»Ist gut«, sagte Essam und nickte nochmals. Doch seine Neugier war natürlich groß. Und obwohl sein Vater sagte, dass es sicher keinen Tempel in der Höhle gab, ließ Essams kindliche Fantasie noch andere Geheimnisse zu, die sich im Dunkeln verbergen könnten.

Später, zum Nachmittag traf sich Essam mit anderen Kindern zum Spielen. Darunter war auch Pal, der Sohn des Nachbarn Amosis. Essam und Pal waren beste Freunde, eigentlich schon seit sie beide denken konnten.

Neben den üblichen Spielen der Kinder, ging es natürlich ständig um die Höhle und um einen unterirdischen Tempel. Es war Pal, der stolz anmerkte, dass er wusste, wo sich der Eingang befand.

»Warst du schon mal da?«, wollte ein Kind wissen.

»Nein, das ist gefährlich!«, betonte Pal. »Ich habe die Stelle aber von weiter weg gesehen.«

»Wovor hast du denn Angst?«, fragte ein anderes Kind leicht spöttisch. Und schon fingen sie an zu diskutieren oder gar zu streiten, ob es nun etwas gäbe, wovor man sich fürchten musste oder nicht.

Sie wechselten den Ort gerne mehrmals. So waren sie erst inmitten des Dorfes und standen später am Nilufer, an dem sie sich ebenfalls auf und ab bewegten. Sie gingen in die Richtung, von der Pal behauptete, dass dort der Höhleneingang sei. Als das nächste Spiel beginnen sollte, hielten sie inne. Sie einigten sich auf ein Versteckspiel, und schon ging es los. Ein Mädchen war mit suchen an der Reihe, also hielt sie sich die Augen zu und begann rückwärtszuzählen. Alle eilten in die verschiedensten Richtungen und suchten ein Versteck. Die Umgebung bot dazu gute Möglichkeiten, durch Palmen, die häufig mit Sträuchern oder Feigen und Akazien zusammenstanden, oder durch das Dickicht von Schilf und Papyrusstauden am Wasser. Wenn man noch weiter am Ufer weiterging, stieß man auf immer mehr Steine und Felsen, die ebenfalls gute Verstecke darstellten.

Essam und Pal versteckten sich zu zweit, nicht sehr weit von der Sucherin unter einer Palme im Gebüsch. Sie blieben still und warteten gespannt ab. Dann war es so weit, das Mädchen hatte bis zum Ende gezählt und begann mit der Suche. Nach und nach fand sie die Kinder, so auch die beiden Freunde Essam und Pal. Tatsächliche hatten sich alle in der näheren Umgebung versteckt. Nur noch ein Mädchen fehlte. Und auch als sie alle gemeinsam nach ihr suchten, konnten sie das Mädchen nicht finden, weshalb sie schnell den Suchradius vergrößerten. So liefen sie weiter voran, entlang des Ufers, dorthin, wo die Steine und Felsen lagen. Da ließ sich Pal plötzlich unauffällig zurückfallen, denn er war sich ziemlich sicher, dass die Höhle nicht weit sein konnte. Außerdem setzte die Abenddämmerung ein, und sie alle wollten zu Hause sein, bevor es dunkel würde. Jetzt riefen sie schon den Namen des Mädchens, doch erhielten keine Antwort.

Plötzlich sprang etwas zwischen zwei Felsen hervor!

»Buh!«, rief es.

Sie alle erschraken. Dann atmeten sie auf. Es war das Mädchen, das sich einen kleinen Spaß mit ihnen erlaubte. Sie hatte extra nicht auf die Rufe geantwortet und auf den richtigen Moment zum Erschrecken gewartet.

Manche Kinder lachten, andere machten dem Mädchen milde Vorwürfe.

Dann sagte Pal: »Lasst uns jetzt wieder nach Hause gehen!«

Dagegen hatte niemand etwas einzuwenden, und so war das Spiel für heute beendet. Während sich die Sonne tiefer zum Horizont neigte, trafen sie im Dorf ein, wo sie schon das Abendessen mit der Familie erwartete.

Pal wollte Essam noch etwas mitteilen, daher blieben sie vor Essams zu Hause stehen.

»Weißt du, wir waren eben sehr nah dran an der Höhle«, sagte Pal zu seinem besten Freund.

»Oh, wirklich?«

»Ja. Deswegen bin ich froh, dass wir dann gleich nach Hause gegangen sind und den Eingang nicht entdeckt haben.«

Essam dachte nach. Als Nächstes sagte er leise: »Ich finde das ja schon spannend.«

»Ich auch«, erwiderte Pal ebenfalls leise. »Willst du den Eingang mal aus der Nähe sehen?«

Essam nickte stark, doch ihm war nicht ganz wohl dabei, denn die mahnenden Worte seines Vaters schwebten ihm vor.

»Wir können ja nochmal an einem anderen Tag zu der Stelle gehen«, schlug Pal vor. »Alleine. Wenn du willst.«

Essam war sich unsicher.

»Ich überlege es mir«, war seine Antwort.

Danach gingen sie in ihr jeweiliges Haus. Essam erzählte unter seiner Familie von den Spielen mit den anderen Kindern, auch vom Versteckspiel. Doch das Detail, das ihm Pal eben offenbart hatte, erwähnte er natürlich nicht.

DER SPORT DER NEUGIERIGEN

Man konnte nicht sagen, dass der fragwürdige Bericht von Onuris ganz folgenlos an der Dorfgemeinschaft vorbeizog. Drei Tage danach hieß es, jemand habe sich eines Abends in der Nähe des Eingangs auf die Lauer gelegt und beobachtet, ob dort irgendetwas passieren würde. Nur wenig später stellte sich heraus, dass das kein Einzelfall bleiben sollte. Andere folgten diesem Beispiel, weil sie es schlichtweg spannend und aufregend fanden. Irgendwann wollte jeder derjenige sein, der etwas Neues entdeckt oder herausgefunden hatte. Allerdings wagte sich niemand in die Höhle hinein, weil das zu unheimlich war und es am Eingang immer noch so schlimm nach Verwesung stank. Darin fand Onuris wiederum Anlass mit seinem Mut und seiner Tapferkeit zu prahlen. Seine Frau Monifa hielt sich aus diesem Thema strikt raus, so wie sie es immer tat, wenn sich ihr Mann mal wieder für den Größten hielt.

Und wie dachten die Leute nun über das Wesen? Es war für sie jetzt wie ein extrem seltenes, exotisches Tier, das jeder einmal zu Gesicht bekommen wollte. Bei ihren Beobachtungen lauerten sie auf jedes Geräusch, auf jede kleine Bewegung in der Dunkelheit. Ihre Fantasie machte aus einem einfachen Krokodil, das im Fluss dahin