Der Schüler, der aus dem Dunkeln kam - Pelzie Panda - E-Book

Der Schüler, der aus dem Dunkeln kam E-Book

Pelzie Panda

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Beschreibung

Kann ein Lebewesen, das nicht einmal ein Jahr alt ist, lesen und schreiben, und nicht viel später eine solide Allgemeinbildung vorweisen und Ein Buch schreiben? Ja, es geht! Pelzie Panda beweist es mit diesem Buch, in welchem er uns auf eine wundersame Reise durch sein Leben mitnimmt. Dafür fordert das Leben ihm jedoch einen hohen Preis ab. Er kann sich wegen seines außergewöhnlichen Erscheinungsbildes nirgendwo offen zeigen, da er sofort in jeder Beziehung vereinnahmt oder sogar gefangen genommen würde. Öffentliche Auftritte oder gar Lesungen sind undenkbar, auch wenn das für manche nur schwer zu verstehen sein wird. Nur einer Person hat sich Pelzie Panda in seinem Leben gezeigt, seiner Freundin Elfie. Elfie ist es auch, die die Veröffentlichung dieses Buches ermöglicht hat. Ihr gilt unser aller Dank!

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Inhalt

Vorwort

Bei uns zu Haus

Vier Kinder, eines tanzt aus der Reihe

Erste Schritte in ein aufregendes Leben

Großmutter

Die Welt der Langbeine

Übung macht den Meister

Langbeine werden nur langsam stubenrein

Bei den Feldhuschern

Langbeingucken

Fette Beute

Im kleinen Häuschen mit blauen Fenstern

Lieferdienst Goldi

Die Flimmerkiste weiß alles

Lieferdienst mit voller Backe

Was bin ich?

Der erste Schultag

Schreiben lernen geht doch einfach

Im blauen Häuschen

So nennen uns die Langbeine

Oma Käthe hat Großvater gesehen

In den Krallen des Nachtfliegers

Pelzie Panda

Ein Handy ist zum Schreiben da

Abflug zum Tierheim

Freund und Feind hinter Gittern

Klein-Erna

Schöne neue Welt

Eine verdiente Abreibung

Das Pandakind ist da!

Das Bimmelding wacht auf

Mit Mutter im Klassenzimmer

Der Schwindel fliegt auf

Zeit zum Schreiben

Zorasta

Eine Spur zu Großvater

Mit den Störchen um die Wette

Auf frischer Tat ertappt!

Elfies Geständnis

Klein-Erna hat eine Idee

Brief an Elfie

Ein Ausnahmetalent muss ran

Ein Guckerraum vom Feinsten

Ein großer Schauspieler

Eine letzte Gefahr

Eine traumhaft schöne Begegnung

Nachwort

Vorwort

Menschen unterscheiden sich von Tieren dadurch, dass sie lesen und schreiben können. So können sie Erlerntes weitergeben und gewinnen dadurch immer mehr an Wissen. Und jeder weiß: Wissen ist Macht! Die haben die Menschen daher auch über die Tiere – selbst, wenn diese viel größer und stärker sind.

Lesen und Schreiben lernen die Kinder in der Schule. Ich bin dankbar, dass ich es in der Grundschule Stadtfeld bei meiner Lehrerin mit dem schönen Namen Klopp lernen durfte.

Ich widme Frau Klopp daher in Gedanken voller Dankbarkeit dieses Buch, auch wenn sie mich nie zu Gesicht bekommen hat und daher gar nicht kennt. Sie wird dieses Buch deshalb nicht lesen dürfen, weil dann auch andere Menschen erfahren würden, wie und wo ich zu finden wäre. Sie könnten mich dazu bringen, ihnen zu verraten, dass alle Tiere, ob groß oder winzig klein, auf der ganzen Welt eine gemeinsame Sprache sprechen. Darin heißen etwa die Menschen »Langbeine«, ihre Häuser »Steinhöhlen«, Hunde und Katzen werden als »Beller« und »Krallefüße« bezeichnet und die Nachteule wird »Nachtflieger« genannt.

Die Sprache der Tiere dürfen die Menschen niemals ergründen. Sie würden so den Tieren auch noch ihr letztes Geheimnis entreißen, vollends Macht über sie gewinnen und ihnen auch noch die Seele rauben können.

Ich muss daher für alle Menschen unsichtbar bleiben, auch wenn ich mich einigen unter ihnen, die ich lieb gewonnen habe, gern mitteilen würde.

So wird dieses Buch allein mein Erinnerungsbuch bleiben, das nur meine Mitschülerin Elfie kennt. Dies wird sich erst ändern, wenn ich in Sicherheit leben kann. Das lasse ich dann Elfie wissen. Dann sollen es alle lesen dürfen, um daraus zu lernen.

irgendwo, der 20.12.2023

Pelzie Panda

Bei uns zu Haus

Frau Klopp war meine Lehrerin in der Grundschule Stadtfeld. Sie hat aber nie den Schüler Pelzie in ihrem Klassenzimmer sitzen sehen.

Ich jedoch habe Frau Klopp in jeder Unterrichtsstunde gesehen und bei ihr vieles gelernt.

Man hätte mich wohl auch gar nicht in die Schule aufgenommen, da ich, als die erste Schulklasse begann, noch viel zu jung war. Deshalb – und auch aus anderen Gründen – blieb mir nichts anderes übrig, als zu Hause zu lernen.

Da es mir in der ersten Klasse etwas zu langsam voranging, habe ich bald auch den Unterricht in den anderen Klassen mitgenommen. Nach nur einem Jahr konnte ich lesen, schreiben, rechnen und hatte auch sonst so manches gelernt.

Als der Unterricht in der ersten Klasse begann, muss ich wohl erst einige Wochen alt gewesen sein. Wann genau ich geboren worden bin, kann ich leider nicht wissen, da meine Eltern mir dies nicht sagen können. Sie können nämlich weder lesen noch schreiben und wissen nicht einmal, welcher Tag gerade ist. Solche Dinge, die Menschen wichtig finden, sind für meine Eltern ohne Bedeutung, da ihnen die Sprache und das Denken der Menschen fremd sind.

Wenn ich die Sprache der Menschen gelernt habe, so liegt das vor allem an dem Glück, dass unsere Wohnung unter der Schule liegt. Von dort belauschte ich den Unterricht. »Mäuschen spielen«, wie die Menschen das nennen würden. Dabei war ich, um mich nicht zu verraten, sozusagen mucksmäuschenstill.

Es ist unschwer zu erraten: Ich gehöre zur großen Familie der Hausmäuse. Davon gibt es sicherlich mehr als Menschen auf der Erde.

Jeder Mensch würde sich jetzt an den Kopf fassen und rufen: »Das kann doch nicht wahr sein, dass eine Maus mit gerade einem Jahr lesen und schreiben kann. Das schafft doch nicht mal der schlaueste Mensch!« Darüber kann ich nur lachen: Eine Maus ist nun einmal viel fixer als jeder Mensch. So kann sie schon mit nicht einmal drei Wochen nicht nur laufen, sondern sogar rennen. In dem Alter kann ein kleines Kind noch nicht einmal krabbeln. Es macht noch voll in die Windeln, wo ein Mäusebaby längst stubenrein ist.

Allerdings werden – wenn überhaupt – nur wenige Mäuse lesen und schreiben können. Das liegt aber vor allem daran, dass es keine Schulen für sie gibt und sie einfach keine Zeit zum Lernen haben. Sie müssen Tag und Nacht bis zum Gehtnichtmehr rackern, Nahrung für sich und die Familie heranzuschaffen und sich dabei auch noch versteckt halten. Denn sie haben viele Feinde. Ich nenne hier nur die Katzen und Eulen. Auch vor den Menschen müssen sie sich hüten, da die freiwillig keine Nahrung abgeben, obwohl die meisten genug davon haben, sie sogar wegwerfen.

Beim Verstecken hilft den Mäusen ihre mausgraue Farbe, die sie sehr gut tarnt. Leider ist mein Fell alles andere als unauffällig. Ich falle vielmehr auf wie ein »bunter Hund«. Meine Eltern ließen mich daher von Anbeginn nicht draußen bei der Nahrungssuche helfen, um den Menschen nicht unsere Wohnung unter der Schule zu verraten. So hatte ich sehr viel Zeit zum Lernen.

Die Wohnung unserer Familie liegt unter dem dicken Holzboden der Stadtfelder Schule. Durch einzelne Ritzen zwischen den alten Bodendielen dringt etwas Licht herein.

Unsere Zimmer sind in den hellen Bausand gegraben und durch schmale Gänge miteinander verbunden. Jeder in unserer Familie hat sein eigenes kleines Zimmer. Gelebt und geschlafen wird in einem großen Raum. Dort verläuft auch das Warmwasserrohr der Schule. So ist es immer schön mollig warm.

Aus dem Rohr rinnt an einer entfernteren Stelle warmes Wasser.

Hier ist das Badezimmer eingerichtet. Mäuse sind sehr reinlich und duschen gern nach anstrengender Arbeit.

Zum Austreten geht es zu einer abgelegenen Stelle, wo das Rohr richtig viel Wasser verliert. Für Dauerspülung ist also gesorgt.

Die Vorräte werden in vielen kleinen Kammern verteilt.

Breite Gänge verbinden uns mit den Wohnungen unserer Verwandten, den Kornblums, Sägezahns und Backes.

Alle Gänge, die nach draußen führen, sind so angelegt, dass Fremde sich hier verirren müssen. Sie sind mal eng, mal schmal, verlaufen unter oder übereinander, manche enden ganz plötzlich. Mäuse haben viele Feinde und noch mehr Futterneider, die sie um die in ehrlicher Arbeit gesammelten Vorräte bringen wollen.

Aber wie finden sich die Mäuse selbst in solch verwirrenden Gängen zurecht? Da kann ich etwas verraten, was bestimmt kein Mensch kennt. Ich schäme mich ein wenig, es zu offenbaren. Es geht dabei nämlich nicht gerade stubenrein zu. Mäuse pinkeln nämlich – allerdings nur ganz leicht – in die Gänge, um diese zu markieren. In Mäusepipi ist nämlich ein Stoff enthalten, der leuchtet. So wissen die Mäuse selbst immer, wo sie gerade sind.

Hier unter den Schulräumen wurden auch schon meine Eltern geboren. Man kann sagen, dass unsere Familie hier schon so lange heimisch ist, wie es die Schule gibt.

Meine Mutter Zan ist flink und fleißig und wuselt Tag und Nacht herum. Sie schafft unentwegt neue Vorräte heran und hält alles pieksauber. Dabei hilft ihr Tante Kornblum. Ihr Name kommt daher, weil sie Blumen sehr liebt und ihre Höhle über und über mit getrockneten Kornblumen geschmückt hat.

Mein Vater Zon kümmert sich darum, dass unsere Vorräte gut verborgen und gesichert sind. In den Gängen hat Vater Dornenzweige versteckt, um unerwünschte Gäste fernzuhalten.

Mein Vater hat sich über unseren Hauptausgängen einen Ausguck in die Wand gearbeitet, um Eindringlinge zu erspähen und um beobachten zu können, ob draußen die Luft rein ist für einen kleinen Beutezug.

Wenn mein Vater Hilfe braucht, ist Onkel Backe stets zur Stelle. Er ist sehr kräftig und nimmt es gern auch mit mehreren Eindringlingen auf.

Die Dornenzweige sammelt Onkel Sägezahn draußen, und Tante Sägezahn bearbeitet sie mit ihren flinken Zähnen, die viele kleine Zacken haben, und kürzt sie auf die richtige Länge.

Bei unseren Eltern lebt noch unsere Großmutter Esa Weiß. Wie wir zu dem Namen Weiß gekommen sind, wird die Großmutter noch erzählen.

Vier Kinder, eines tanzt aus der Reihe

In dieses schöne Zuhause wurde ich hineingeboren. Und nicht nur ich allein, sondern zusammen mit drei Geschwistern.

Unsere Geburt ging so schnell vonstatten, dass unser Vater später immer sagte, Mutter hätte uns »im Galopp verloren«. Das kann schon sein, denn wenn Mutter am Schaffen war, hatte sie Augen und Ohren für nichts anderes. Als wir dann aber da waren, hatte sie eben diese Augen und Ohren nur noch für uns, denn sie hatte sich mit meinem Vater sehr auf ihre ersten Kinder gefreut und war überhaupt die liebste Mutter, die man sich denken kann.

Die Geschichte unserer Geburt hat unsere Mutter – wie Mütter das so an sich haben – unzählige Male erzählt:

Zusammen mit Tante Kornblum hat sie einen wunderschönen Weidenkorb geflochten, der ganz weich mit Wollfäden gefüttert war. Darin waren duftende Kräuter verteilt, damit die kleinen Wesen gleich was Feines zu schnuppern hätten. Alle Verwandten standen um den Korb herum, um die Neuankömmlinge zu bewundern.

In diesem Korb bekam Schluff als Erster seinen Platz – ein richtig süßes, knuffiges Pummelchen mit schöner rosa Haut. Er lag bequem auf dem Rücken und hatte ganz lässig ein Beinchen über das andere gelegt. Onkel Backe hielt ihm aus Spaß einen Streifen Speck unter die Nase. Alle mussten lachen, als er sich sofort die Lippen leckte, als wollte er sagen: »Nun mal her mit den leckeren Sachen.« Er lag da so bequem und ruhig, dass Onkel Sägezahn sagte: »Der ist pfiffig und wird meist wissen, wie man ohne viel Arbeit an die guten Sachen kommt. So einer wird immer jemanden finden, der sich darum reißt, sie für ihn holen zu dürfen. Dabei wird er selbst keinen Schritt zu viel tun. Nennen wir ihn doch Schluff.«

Mutter und Vater waren sofort einverstanden, weil der Name wirklich genau zu ihm passte.

Das Kind, das Mutter neben Schluff legte, war auch ein Junge, aber von ganz anderer Art. Mutter musste ihn richtig festhalten, dass er sich ihr nicht aus den Armen wand. Er stieß und strampelte nach allen Seiten, weil er sich nicht festhalten lassen wollte. Als er schließlich hingelegt war, spielten seine Muskeln in Armen und Beinen, das Kinn war zornig hochgereckt. Er wollte mit aller Kraft auf die Beine kommen und versuchte dies immer wieder bis zur völligen Erschöpfung. »So einen Kraftbolzen habe ich noch nie gesehen«, meinte Onkel Backe, der, wie alle wussten, auch nicht von schlechten Eltern war und gern seine Muskeln bewundern ließ. »Den werde ich mir vornehmen und ihn stark und schnell machen. Besser als ich kann er natürlich nicht werden, weil das gar nicht geht«, lachte er und schlug vor, ihn Bolzo zu nennen. Die stolzen Eltern stimmten sofort zu.

Das nächste Kind, das Mutter in den Korb legte, war ein Mädchen. Darüber freute sie sich sehr, denn sie hatte sich immer auch ein Mädchen gewünscht, das ihr im Haushalt zur Hand gehen konnte. Das kleine Wesen piepste, quiekte und zischte so laut und schrill, dass sich alle lachend die Ohren zuhielten. Es bewegte die Lippen so schnell, als wolle es gleich erzählen, was es im Leben noch so alles vorhätte. Dazu ließ es die Händchen hin und her flitzen, gleichsam um alles noch mal besonders zu betonen. »Wir sollten sie Plapperchen nennen«, meinte Onkel Kornblum. Im gleichen Moment stieß das kleine Mädchen einen schrillen Piepser aus und wurde knallrot im Gesicht. »Ihr seht, den Namen mag sie nicht«, entgegnete Mutter, »wir sollten sie Piepsie nennen, das passt genau.« Der Name schien ihr zu gefallen, denn sie wurde sofort still und schlief ruhig im Körbchen ein.

Der letzte, auf den ein Platz im Körbchen wartete, sollte ich sein, aber ich erregte das meiste Aufsehen.

Ich kann meinen ersten Auftritt im Leben nur mit den Worten meiner Mutter wiedergeben: »Als ich seine Geschwister in das Körbchen gelegt hatte, hatte ich glatte warme Haut gespürt. Mein viertes Kind dagegen fühlte sich weich und kuschelig an. Beim Hinlegen in das vom Licht beschienene Körbchen sah ich, dass er von oben bis unten mit einem weichen Flaum bedeckt war. Er schimmerte weiß, und um den Hals glänzte es schwarz, auch um die Augen herum. Ich war ganz durcheinander und konnte nur stockend sagen: ›Das kann doch nicht wahr sein!‹«

Auch die anderen wussten erst nicht, was sie sagen sollten. Dann aber redeten alle durcheinander. »Das wird sich schon verlieren«, meinte Tante Kornblum. Onkel Backe rief: »Das will ich hoffen, mit einem schwarz-weißen Fell kann er sich draußen nicht blicken lassen. Da kann er gleich schreien: ›Hier bin ich, fresst mich!‹«

Dann meldete sich Großmutter Weiß zu Wort. »Er wird das Fell wohl so behalten. Mein Mann, also sein Großvater, ist mit zwei weißen Ohren und einer weißen Nasenspitze geboren worden, und das hat sich nicht mehr geändert. Wenn man so auffällig ist, muss man schon ganz schön klug sein, wenn man durchs Leben kommen will. Ich glaube, der Kleine hier wird einmal besonders schlau.«

Nun musste Mutter das letzte Wort haben und rief in die Runde: »Ich finde die Farben wunderschön. Unser Grau ist doch nun wirklich ein wenig langweilig. Was ich aber am schönsten finde, ist, dass mein kleiner Süßer hier sich so kuschelig weich anfühlt. Ich bin dafür, dass wir ihn Pelzie nennen.«

Mein Vater sofort einverstanden. So bin ich zu dem Namen Pelzie gekommen.

Erste Schritte in ein aufregendes Leben

Ich erinnere mich noch dumpf daran, dass es in dem Körbchen warm und mollig war, es aber dort nach und nach immer unruhiger wurde. Neben mir brabbelte es ununterbrochen – Piepsie konnte schon da ihren Mund nicht halten. Auch rumpelte es hin und her. Das war Bolzo, der nicht abwarten konnte, endlich auf die Beine zu kommen.

Ich weiß noch, wie ich die Augen öffnete und mein Blick einem hellen Lichtstrahl folgte, der von oben aus einer kleinen Öffnung kam. Meine Augen hatten sich gerade an das Licht gewöhnt, als ich ein kräftiges rosiges Mäusekind aus dem Korb springen sah. Es sah sich noch einmal kurz um und verschwand. Das war Bolzo, der als Erster auf eigenen Füßen stehen konnte.

Neben mir wurde es bald darauf unruhig. Nach vielen vergeblichen Schwüngen schaffte es auch Piepsie, sich auf die Beine zu drehen. Sie ließ sich mit einem freudigen Quieken aus dem Körbchen plumpsen, wobei sie allerdings auf dem Rücken landete und wütend kreischend mit den Beinen strampelte. Das aber war schnell vorbei, denn Mutter, die ich mit ihrem grauen Fell zum ersten Mal sah, stupste das rosige Persönchen auf die Beine.

Ich selbst hatte es nicht so eilig, aus dem Körbchen zu kommen, und ließ mir noch einige Tage Zeit. Mutter schaute mir zu, wie ich dort ruhig lag. Sie meinte zu Vater: »Ich glaube, er könnte auch schon heraus aus dem Korb. Er scheint aber nicht einfach drauflos springen zu wollen wie Bolzo und Piepsie und überlegt irgendwie noch. Er brabbelt immer so vor sich hin, als wollte er etwas sagen. So etwas habe ich bei Kindern noch nicht erlebt.« Und sie bemerkte: »Guck, der weiße Flaum ist nicht verschwunden, genau wie ich gedacht habe. Das Gesichtchen wächst mit weißem Fell zu, nur um die Augen ist es dunkel, die Ohren sind es auch. Und vom Hals an ist auch der Rücken weiß. Ob Tante Kornblum doch recht hat, dass er besonders klug werden wird?«

»Mach dir darüber keine Gedanken«, brummte mein Vater. »Das wird alles seinen Gang gehen.«

Wie meine Mutter dann weitererzählte, bin ich kurz darauf ganz sicher aus dem Körbchen gesprungen und habe nach Bolzo und Piepsie gesucht.

Nur Schluff hatte es gar nicht eilig. Er hatte jetzt den ganzen Korb für sich allein und rekelte sich dort auf dem Rücken liegend hin und her. Er hatte sich vom vielen Essen schon ein kleines Bäuchlein zugelegt. Immer bekam er immer schöne Sachen zum Essen zugesteckt, streichelte dann genüsslich sein Bäuchlein und schmatzte laut, was alle zum Lachen brachte, um ihn dann noch mehr zu füttern.

Schließlich wurde das meiner Mutter aber zu viel, sie packte ihn und setzte ihn aus dem Korb. Dort machte er ohne Mühe seine ersten Schritte, um sich dann erst mal hinzusetzen – man soll sich ja nicht gleich überanstrengen.

Jeder von uns bekam ein eigenes Zimmer. In der Mitte war eine Kuhle im Sand, in der viele weiße Flocken lagen. Das war unser Bettchen; legte man sich darauf, wurde einem schön warm. Wie uns Vater erzählte, gab es dort oben in der Steinhöhle riesengroße weiße Platten. Davon riss Mutter Brocken ab und Tante Sägezahn zerteilte sie mit ihren flinken Beißerchen in viele Flöckchen. Jetzt weiß ich auch, wie die Langbeine diesen Stoff nennen, nämlich Styropor.

Auch kleine Huscher spielen gern. Jeder hatte seine Spielecke mit bunten Styroporkügelchen und Holzstöckchen.

Nach einigen weiteren Wochen konnten wir sicher laufen, wie das bei Huschern so üblich ist. Es gab vieles zu erkunden. Die dunklen Gänge zogen uns magisch an. Trotzdem waren wir vorsichtig, denn Vater hatte uns gewarnt, damit wir uns nicht verirrten. Wir gingen zuerst nur in die Gänge, in die Vater Wollfäden gelegt hatte, an denen wir zurückfinden könnten. Ich fragte ihn, wo denn die langen Fäden herkämen.

»Ganz einfach«, schmunzelte er. »Mutter hat oben in der Steinhöhle Wollknäuel gefunden, die zieht sie nach und nach zu uns nach unten. Die Langbeine scheinen sie nicht zu vermissen. Mutter meint, sie lägen in einer ganz vergessenen Ecke.«

Wir schnupperten an all den schönen Dingen, die Vater in den Vorratskammern gelagert hatte. Es gab dort alle möglichen Körner, getrocknete Früchte, frische Beeren, Blätter, Gemüse, Käse, wohlriechende Fleischstücke und vor allem wunderschön glänzenden, feinen Speck. Die Gerüche brachten uns ganz schön durcheinander. Vater aber passte auf, dass wir nicht zu viel verschlangen, und schärfte uns ein: »Ihr dürft nur das essen, was euch eure Mutter gibt. Sie hat es mühsam von draußen unter Gefahr für Leib und Leben herangeschafft, da könnt ihr die schönen Sachen nicht so einfach wegputzen. Wir brauchen nämlich auch Vorräte, wenn es draußen nicht so viel zu holen gibt.«

»Ich will Mutter gern bei der Futtersuche helfen. Wie ihr seht, bin ich schon ganz stark«, meinte Bolzo, und Piepsie rief aufgeregt: »Wenn Bolzo geht, dann helfe ich ihm natürlich. Wir holen so viel, dass wir essen können, bis wir platzen.«

»Das lasst ihr ganz gewiss«, sagte Vater. »Ich habe euch doch gesagt, dass draußen Gefahren lauern. Es gibt nämlich noch andere Lebewesen, die uns fangen wollen. Die gefährlichsten sind die Krallefüße. Die sind viel größer als wir und haben an den Pfoten ganz scharfe Sicheln, mit denen sie uns packen können. Sie können uns auch im Dunkeln sehen, wenn wir selbst nichts mehr erkennen können. Dabei können sie sich auf ihren Pfoten so leise anschleichen, dass man nichts hört. Ich denke, dass da draußen gerade ein Krallefuß lauern wird.«

Wir waren sehr erschrocken. »Aber dann dürfen wir Mutter doch gar nicht nach draußen lassen«, rief ich aufgeregt.

»Da hast du recht«, meinte Vater. »Aber dann kann Mutter auch keine Nahrung holen und es gibt nichts mehr zu essen. Seht mal, wie Schluff schon traurig guckt, wenn er nur daran denkt. Mutter ist vorsichtig und noch mal vorsichtig und dazu schlau und schnell. Das müsst ihr alles erst noch lernen. Man darf niemals einfach nach draußen laufen, sondern muss erst den Ausgang so lange beobachten, bis die Luft rein ist. Dazu muss die Nase nach fremden Gerüchen schnuppern, die Barthaare müssen spüren, ob sich etwas bewegt. Man muss sich Zeit lassen und nie ungeduldig werden. Bist du nicht sicher, dass die Luft rein ist, kannst du auch ganz langsam einen Halm aus dem Ausgang schieben. Ist ein Krallefuß in der Nähe, wird er denken, es sei ein Huscher. Haut der Krallefuß drauf, war die Vorsicht richtig. Tut er es nicht, kannst du dich zum Ausgang vorwagen. Aber auch dann darf man nicht gleich loslaufen. Du musst dann erst mal sehen, in welches Loch du verschwinden kannst, falls doch ein Krallefuß in der Nähe ist. Dahin musst du dann aber sehr schnell flitzen können. Ich kann euch daher nur dringend raten, das schnelle Laufen zu üben, am besten im Zickzack hin und her, damit die Krallefüße gar nicht mehr wissen, wohin sie zuerst springen sollen. Und dann nichts wie ab ins nächste Loch, um die Lage neu zu peilen.«

»Da freue ich mich jetzt schon drauf, wie ich den Krallefüßen ganz einfach im Zickzack weglaufe«, lachte Bolzo.

Vater guckte ihn besorgt an. »Ich glaube schon, dass du sehr, sehr schnell werden wirst. Ich hoffe jedoch, ebenso vorsichtig und schlau, sonst nützt dir das schnelle Rennen auch nichts. Es gibt nämlich nicht nur die Krallefüße, sondern auch die Langbeine, die Beller, die Nachtflieger und die Klapperflieger.«

Da waren wir alle still und hatten es gar nicht mehr so eilig, nach draußen zu kommen.

Als Mutter danach zurückkam, sind wir sofort auf sie zugelaufen.

»Konntest du den Krallefüßen weglaufen?«, fragte Piepsie aufgeregt.

»Hast du auch Beller oder Langbeine gesehen?«, rief Bolzo.

»Hast du süße Sachen mitgebracht wie letztes Mal?«, wollte Schluff wissen.

»Nun mal langsam«, sagte Mutter, »ich muss mich erst mal hinsetzen und ein wenig zurechtmachen. Wenn ihr mich fragt, ob es gefährlich war, kann ich sagen, dass es ganz gut lief. Ich bin ja schon frühmorgens losgelaufen, als es draußen noch nicht so hell war. Diese Zeit ist die beste, um Besorgungen zu machen. Krallefüße sind nach der Jagd im Dunkeln noch müde und schlafen meist. Auch die Beller legen noch eine Runde Schlaf ein. Die Langbeine stehen zu dieser Zeit erst langsam auf, sie sind dann aber auch nicht sehr gefährlich, weil sie bei dem Licht nicht besonders gut sehen können. Wir können selbst merken, wann die Langbeine aufstehen, das hört ihr, wenn über unseren Balken hier deren große Pfoten hin und her trampeln, sodass man nur schwer zu seinem wohlverdienten Schlaf kommt.«

»Wie groß sind denn die Pfoten der Langbeine?«, wollte ich wissen.

»Wie soll ich das sagen, ich habe noch nie darüber nachgedacht«, meinte Mutter. »Jedenfalls größer, als ich lang bin. Und das sind nur die Pfoten«, fuhr sie fort. »Auf ihnen stehen die Langbeine aufrecht und laufen auch so damit. Die Vorderpfoten benutzen sie nicht zum Laufen, damit bauen sie ihre Steinhöhlen und machen alle möglichen Sachen, die wir nicht verstehen.«

Das wollte ich gar nicht einsehen und nahm mir vor, hinter all ihre Geheimnisse zu kommen.

Aber nun rief Mutter: »Wir wollen mal sehen, was ich euch alles mitgebracht habe, damit ihr groß und stark werdet. Ich mach für jeden von euch einen kleinen Haufen, auf dem ich alles zusammenlege. Hier sind Körner, kleine Fleischstücke und Salatblätter. Damit alles schön aussieht, leg ich auch noch auf jeden Haufen eine Kornblume, die mir die liebe Tante Kornblum gerade für euch zugesteckt hat.«

Wir knabberten zufrieden vor uns hin, bis Schluff rief: »Und wo sind die schönen süßen Sachen, von denen noch welche da sein müssten?«

»Das möchtest du wohl«, lachte Mutter, »die süßen Sachen zweige ich manchmal bei den Langbeinen ab, davon darf man aber nicht zu viel knabbern, sonst bekommt man schlechte Zähne. Das wollt ihr doch nicht, ihr möchtet sicher noch lange schöne Sachen knabbern. Die Kinder von Tante Kornblum, die etwas älter als ihr sind, haben zu viel davon gegessen und sie haben schon wackelige Zähne. Also seid nicht so gierig.«

Das hat dann auch Schluff für den Moment eingesehen.

Nach dem Essen machten wir alle unser Nickerchen, bis Vater uns weckte. »Ihr solltet jetzt Großmutter Weiß besuchen, meine liebe Mutter. Sie wartet schon sehnsüchtig auf euch. Ich hab ihr gerade ihr Essen gebracht, sie ist ja schon alt und kann ja nicht mehr so gut laufen.«

Großmutter

Vater führte uns durch verschlungene Gänge zur Wohnung der Großmutter, die auf einer wollenen Liege lag und uns freundlich anlächelte. »Da freue ich mich aber, dass ich euch endlich begrüßen kann. Mein lieber Sohn, der sich so lieb um mich kümmert, hat mir schon viel von euch erzählt. Du mit dem kleinen Bäuchlein bist gewiss der Schluff.«

»Mein liebes Bäuchlein könnte gewiss auch ein paar Süßigkeiten vertragen. Hast du nicht welche?«, meinte Schluff sofort und verdrehte schon voller Vorfreude die Augen.

»Du bist mir einer«, lachte die Großmutter, »ich hab noch nicht alle begrüßt, und du willst schon von meinen Honigstücken haben. Bestimmt hat dir dein Vater davon erzählt. Warte erst einmal ab, bis ich alle in den Arm genommen habe.« Und sie wandte sich Bolzo zu. »Wie dein Vater gesagt hat, sieht man dir wirklich schon an, dass du einmal groß und stark wirst. Es ist wichtig, dass man in der Familie einen starken Mann hat, der alle beschützt.«

»Ich werde auch dich immer beschützen, Großmutter«, sagte Bolzo und reckte und streckte sich zu seiner vollen Größe.

Jetzt konnte Piepsie nicht mehr länger an sich halten und redete los. »Ich weiß gar nicht, was ich zuerst sagen soll, es ist alles so aufregend mit den Krallefüßen, den Bellern, den Langbeinen und dass es ganz gefährlich ist, wenn man Vorräte holt und …«

»Jetzt halt erst mal die Luft an«, meinte Großmutter, »du redest ja noch schneller als ich früher. Du kannst mich immer besuchen, dann kannst du mir alles erzählen, was du willst. Ich muss aber jetzt doch auch noch den Pelzie begrüßen, der so geduldig wartet.« Sie nahm mich in ihre Arme. »Du siehst wirklich so aus, wie deine Mutter erzählt hat. Dieses weiße Gesichtchen mit dem Schwarzen um die Augen und die dunklen Ohren, und auch der Rücken ist weiß. So ähnlich ist mein lieber Mann auch draußen herumgelaufen, bis ihn beinahe zwei Krallefüße geschnappt hätten. Mit dem vielen Weiß konnten sie ihn nun wirklich zu gut sehen. Das war ganz gefährlich und wäre beinahe böse ausgegangen.«

»Das musst du erzählen«, riefen wir aufgeregt durcheinander.

Und Großmutter erzählte: »Das ist eine lange Geschichte und hängt auch damit zusammen, dass wir nach meinem Mann, eurem Großvater, Weiß heißen. Großvater hatte irgendwo bei den Langbeinen weiße Steine entdeckt. Zunächst konnten wir mit denen nichts anfangen. Aber Großvater stellte fest, dass man sie zu weißem Mehl zerknabbern konnte. Nach einiger Zeit sah ich, dass er von dem Knabbern wunderschöne weiße Zähne bekam. Solche schönen Zähne wollte ich natürlich auch haben. So knabberte auch ich und hatte bald auch so weiße Zähne, die sich schön glatt und sauber anfühlten und auf die ich sehr stolz war. Von unserem vielen Knabbern lag da bald ein kleiner Haufen weißes Mehl. Ich muss euch dazu noch sagen, dass Großvater weiße Stellen hatte wie Pelzie, er hatte nämlich zwei weiße Ohren und eine weiße Nasenspitze.

Und da Großvater für jeden Spaß zu haben war, rief er: ›So, jetzt will ich überall ganz weiß werden, mal sehen, wie die anderen sich erschrecken!‹ Und er warf sich das ganze weiße Mehl über Kopf und Rücken, stürmte hier drinnen von einem Verwandten zum anderen und freute sich, dass sie erschraken. Er wurde dann so übermütig, dass er auch nach draußen rannte, weil er sich seinen zwei Brüdern, die dort zu tun hatten, auch so zeigen wollte. Da er mit dem ganzen weißen Mehl über sich so gut zu sehen war, sprangen sofort zwei Krallefüße herbei, um ihn zu schnappen. Das Ganze wäre übel ausgegangen, wenn nicht seine Brüder mutig die Krallefüße abgelenkt hätten. Sie rannten den Krallefüßen kreuz und quer über die Pfoten. Die Krallefüße wussten nicht mehr, wen sie zuerst schnappen sollten, und liefen am Ende mit den Köpfen gegeneinander. Das gab dem Großvater Zeit zu verschwinden, und seine Brüder schafften es auch gerade noch davonzukommen. Ihr könnt euch denken, dass Großvater, der sonst ein sehr kluger Mann war, so etwas Dummes nie wieder getan hat. Durch diese Geschichte mit den weißen Steinen, die so gut zu der weißen Nase und den weißen Ohren von Großvater passten, sind wir zu dem Namen Weiß gekommen. Und – wie mir scheint, ist dieser Name jedenfalls genau richtig für Pelzie mit seinem Fell, auch wenn er dazu diesen schwarzen Kragen hat.«

»Ich werde mich bestimmt nicht wie Großvater weiß machen«, erklärte Bolzo, »da erkennen die Krallefüße einen sofort, das war wirklich dumm von Großvater.«

»Dann wird es aber für mich dumm laufen mit meinem weißen Fell«, sagte ich. »So werde ich ja nie nach draußen können.«

»Sprich mit deinem Vater darüber, dem ist noch immer etwas eingefallen«, sagte Großmutter.

Zum Abschied gab Großmutter jedem ein Honigstück. Ich blieb aber trotzdem traurig.

Mein Vater wusste schon Bescheid, als ich ihm von meinem Kummer erzählte.

»Das wirst du schon schaffen«, tröstete er mich. »Leicht wird das aber nicht, du musst lernen, besonders schlau und vorsichtig zu sein. Ich habe einen sicheren Ausguck, von dem aus alles zu sehen ist, wo aber niemand hereinkommen kann. Dort wollen wir mal mit dem Üben anfangen.«

Er lief einige Gänge voran, es ging etwas nach oben, und zwischen zwei Steinen war ein schmales Loch, durch das sie aber gut nach draußen gucken konnten.

Die Welt der Langbeine

Dies war also mein erster Blick in eine Welt, in der alles groß war. Auf der anderen Seite waren zwei riesige Steinhöhlen mit Löchern darin.

»In solchen Höhlen leben die Langbeine«, sagte Vater, »da kommt gerade einer heraus.«

Ich konnte vor Aufregung kaum atmen. »Sind die Langbeine immer so groß?«, fragte ich. »Das ist ja schrecklich.«

»So und noch größer. Nur die Kinder sind kleiner. Dass sie so groß sind, ist für uns gar nicht so schlecht. Bevor sie uns von oben gesehen haben, sind wir längst weg.«

»Laufen die immer nur auf ihren Hinterbeinen? Das sieht ja ulkig aus.«

»Die Vorderbeine benutzen sie nicht zum Laufen. Darum sind sie auch so langsam.«

»Dann brauche ich also vor den Langbeinen keine Angst zu haben.«

»Denke so etwas nicht. Die Langbeine müssen nicht selbst hinter uns herlaufen. Sie brauchen uns nur zu sehen, dann holen sie die Krallefüße und die Beller, um uns zu jagen. Deshalb dürfen sie keinen von uns entdecken, dann ist es um uns geschehen und wir werden aus unserem schönen Zuhause gejagt.«

Mich schauderte. »Warum tun die Langbeine so etwas?«

Vater guckte traurig. »Das verstehe ich auch nicht. Wir tun ihnen ja auch nichts.«

Die Langbeine waren nicht mehr zu sehen. Vater zeigte dahin, wo sie gerade noch gestanden hatten. »Siehst du dort den grünen Busch neben dem großen Loch, wo die Langbeine herausgekommen sind? Siehst du dort unten bei dem Ast etwas?«

Ich konnte nichts entdecken.

»Dann hast du nicht gesehen, dass da gerade deine Mutter aus einem unserer Ausgänge geflitzt ist. Gut so, dass du nichts gesehen hast. Du weißt also, wie schnell sie ist. Hast du jetzt gerade etwas bemerkt?«

»Ich glaube, ein Blatt hat sich etwas bewegt.«

»Gut beobachtet. Mehr sollte man auch nicht sehen können. Dort ist Mutter nämlich gerade wieder hineingeflitzt.«

Ich hätte noch lange nach draußen schauen können, aber Vater meinte: »Das reicht für jetzt. Mutter wird schon das Essen aufteilen, und dann muss ich auch mein wohlverdientes Nickerchen machen.«

Ich hatte nun zum ersten Mal die Langbeine gesehen. Und solche Lebewesen sollten so nah auf dem Holzboden über unseren Köpfen laufen? Mutter beruhigte mich. »Solange die Langbeine nicht wissen, dass wir hier sind, sind wir sicher. Der Holzboden ist dick genug. An einigen Stellen, wo das Licht hindurchscheint, kann man die Langbeine auch sehen. Wenn du sie genauer beobachten willst, musst du dir von Tante Sägezahn einen guten Strohhalm machen lassen, den schiebst du in die Ritze und guckst durch.«

Ich machte mich mit Piepsie, die gerade zugehört hatte, auf den Weg zu Tante Sägezahn. Ihre Wohnung war nicht leicht zu finden. Wir entdeckten sie dann nach einigem Suchen hinter einem großen Haufen von Stöcken und Halmen, die sie vor ihren Wohnungseingang gekippt hatte.

»Kommt nur herein«, rief sie fröhlich. »Ich bin gerade dabei, mit meinen Beißerchen Halme zurechtzusägen. Die schieben wir vorsichtig aus den Ausgängen. Haut der Krallefuß drauf, müssen wir warten, bis die Luft rein ist. Auch kann man gut durch die Halme gucken, wenn man sich etwas genauer ansehen will.«

»Darum sind wir hier«, sagte Piepsie. »Wir wollen uns nämlich die Langbeine durch die Ritzen ansehen.«

»Das habe ich auch gemacht, als ich noch klein war. Aber meistens hat man nur die Füße der Langbeine gesehen, und dann gab es ja auch noch anderes zu erleben. Ich mach euch jetzt einen Haufen kleine Strohhalme, durch die ihr gut werdet sehen können.«

Dann ließ sie blitzschnell die Halme zwischen ihren Zähnen, die viele kleine Zacken hatten, hin und her laufen und schnitt sie in praktische kleine Stücke.

Sie gab uns die Halme und zeigte auf einen Haufen mit vielen kleinen Stöcken. »Diese schönen Stöcke schenke ich euch. Die könnt ihr übereinanderlegen und sehen, wer den größten Stapel aufbauen kann.«

Ich nahm einen der Stöcke und kratzte damit ein bisschen im Staub herum. Dann sah ich hoch auf Piepsies Ohren und zeichnete ein Bild davon in den Staub. »Das sind deine Ohren«, sagte ich zu Piepsie.

»Nein, so sehen deine Ohren aus«, antwortete sie, »ich weiß doch gar nicht, wie meine Ohren aussehen.«

»Du kannst mir glauben, meine Ohren sehen genauso aus wie deine.«

»Dann haben wir ja die gleichen Ohren.«

Tante Sägezahn, die zugehört hatte, sah mich nachdenklich an. »Was du so für Sachen machst. Es scheint doch etwas davon dran zu sein, wenn gesagt wird, dass du schlauer wirst als wir alle.«

Zum Abschied gab uns Tante Sägezahn noch eine Bitte mit auf den Weg. »Sagt bitte eurer Mutter, dass ich die Dornenzweige fertig gesägt habe. Sie wollte damit einen Fluchtweg absichern. Krallefüße und Beller piksen sich nicht gern«, lachte sie laut vor sich hin.

Übung macht den Meister

Wir holten Bolzo und Schluff, damit sie uns halfen, die ganzen Stöcke zu tragen. Oft mussten wir hin und her laufen, und bald war Schluff nicht mehr zu sehen. »Ihm wird das wohl zu viel geworden sein«, meinte Bolzo, der fleißig schleppte und am meisten schaffte.

»Er ist einfach zu faul«, zischte Piepsie, »so muss ich jetzt für ihn mitarbeiten.«

Als wir alles bei uns aufgehäuft hatten, tauchte auch Schluff wieder auf und meinte, er hätte uns verloren und überall gesucht, da müsse er erst einmal ausruhen.

Zuerst wollten wir das Stapelspiel versuchen. Bolzo fing an, legte die kleinen Stöcke vorsichtig übereinander und hatte bald einen hohen Turm aufgestellt. Piepsie wollte alles ganz schnell machen und redete dabei eifrig vor sich hin. Leider fiel ihr Stapel sofort zusammen.

Ich hatte zugesehen und dabei mit einem Stock in den Sand gezeichnet, wie mein Turm aussehen sollte. Dann nahm ich einige Stöcke und drückte sie in den Boden. Dazwischen legte ich dann viele Stöcke, die nicht mehr wegrollen konnten. So konnte ich die meisten übereinander packen.

»Das ist gemein«, piepste meine Schwester, »du machst Sachen, die hat bei uns noch keiner gemacht, das sagt Mutter auch.«

»Halt die Luft an, Piepsie«, lachte Bolzo, »dafür hast du das größte Mundwerk. Pelzie ist klug, darüber freue ich mich. Schlaue Geschwister kann man immer gebrauchen. Mir reicht es, dass ich der schnellste und stärkste werde, so einer ist auch wichtig.«

Ich freute mich, dass Bolzo so sprach, und hatte schon wieder einen Einfall. »Mutter hat doch gesagt, dass es ganz wichtig ist, im Zickzack rennen zu können. Ich stecke jetzt die Stöcke so in den Sand, dass wir daran hin und her laufen können, so schnell es geht.«

Als die Stöcke im Sand steckten, lief Bolzo los und Piepsie und ich hinterher. Wir konnten Bolzo nicht einholen, aber ich wurde immer schneller, und auch Piepsie hielt gut mit.

Dann liefen wir so lange, bis wir nicht mehr konnten, und legten uns auf den Boden, um uns zu erholen. Dort schliefen wir erschöpft ein.

Mutter weckte uns. »Ich hab euch euer Essen hingestellt, Schluff ist schon fertig.«

Schluff streichelte zufrieden sein Bäuchlein. »Ich war schon aufgestanden, als ihr noch tief und fest geschlafen habt. Da kam Tante Kornblum vorbei und hat mir schöne Honigstücke geschenkt. Ihr seht, zu viel Anstrengung ist gar nicht gut.«

Wir gingen wieder zu unserem Platz, um dort Zickzack-Laufen zu üben. Sogar Schluff machte mit. Dafür mussten ihm Piepsie und ich aber Honigstücke versprechen, die wir uns aufgespart hatten. Wenn er wollte, lief Schluff sogar überhaupt nicht langsam und mit überraschenden Täuschungen so um die Stöcke herum, dass Piepsie ihm nicht folgen konnte.

»Meint ihr, ich bin dumm?«, lachte Schluff. »Ich will mich doch wohl nicht von einem Krallefuß erwischen lassen. Da wird der schon vorher nicht mehr japsen können. Und so einen dummen Beller, dem lauf ich so schnell über die Pfoten, dass er es nicht einmal merkt.«

Wenn er draußen nichts mehr zu besorgen hatte, kam auch Onkel Backe vorbei und fragte, ob er mitlaufen könne. Er war sehr schnell, aber wir konnten immer besser mithalten.

Vater guckte nur zu. Er meinte, er müsse seine Kräfte für anderes aufsparen. Von unserer fleißigen Mutter konnten wir nicht erwarten, dass sie mitmachte. Sie fand es aber gut, dass wir immer besser huschten, und sagte mir das auch. »Für dich freue ich mich besonders, dass du schon so schnell rennen kannst, du weißt, dass vor allem du es brauchen wirst. An der notwendigen Pfiffigkeit wird es dir dabei bestimmt nicht fehlen.«

Langbeine werden nur langsam stubenrein

Und dann war es endlich so weit. Wir durften nach draußen! Vater kam zu uns. »Wir haben draußen lange beobachtet. Die Luft ist rein. Kommt mit zu meinem Ausguck. Ich zeig euch alles und laufe schon mal voran.«

Beim Ausguck angekommen, sagte Vater: »Beobachtet erst mal genau. Dann schaut zu unserem versteckten Eingang neben dem Baum.«

»Aber da liegt ja ein riesiger Pelz. Das wird bestimmt ein Krallefuß sein«, rief Piepsie aufgeregt.

»Ja, aber ihr wolltet doch mal einen Krallefuß sehen«, meinte Vater.

»Und zu dem sollen wir jetzt nach draußen?«, fragte ich vorsichtig.

»Ja, und ihr sollt durch den Eingang neben dem Krallefuß wieder zu uns zurück.«

Uns wurde ganz kalt vor Schreck. Was hatte Vater mit uns vor?

Er beruhigte uns. »Dieser Krallefuß da bekommt von seinem Langbein so viel Futter, dass er sonst keinen Hunger mehr hat. Er ist schon so mollig, dass alle ihn Molli nennen. Er tut euch nichts, er will nur seine Ruhe haben. Trotzdem soll er euch nicht bemerken. Jeder bekommt danach zur Belohnung einen Speckstreifen. Den holt ihr dort, wo wir draußen die Kornblumenblüten hingelegt haben, und dann nichts wie ab in den Eingang neben Molli und den Speckstreifen zu mir bringen. Und noch etwas: Ich will keinen Pieps hören. Sonst gibt es keinen Speck zu essen. Lauft nacheinander, Schluff als Erster.«

Schluff kam schnell aus dem Ausgang, schnappte sich seinen Speck, lief ruhig an dem dicken Krallefuß vorbei und verschwand im Loch neben ihm. »Gut gemacht«, lobte Vater ihn, als er zurückkam.

Dann war Bolzo dran. Er war noch nicht richtig weg, da war er auch schon wieder da, so schnell war er gehuscht.

Piepsie war so aufgeregt, dass sie durch ein anderes Loch wieder zurückwollte. Sie hastete dort aber sofort wieder heraus und in den richtigen Eingang. »Das hat ganz schön wehgetan«, rief sie nach ihrer Rückkehr. »Ich hab die Löcher verwechselt. Im falschen Eingang waren Dornenzweige, da hab ich mich ganz schlimm gepikst.«

»Aber du hast trotzdem keinen Laut von dir gegeben«, sagte Vater, »daher sollst du deinen Speck behalten.«

Und nun musste ich los. Ich lief, so schnell ich konnte, zu den Blüten, wo noch ein Speckstreifen lag. Den schnappte ich mir und huschte auf das Loch zu. Doch plötzlich stand Molli auf und verdeckte es nun. Dann gähnte er und legte sich wieder hin. Jetzt lag noch seine Vorderpfote vor dem Eingang. Ich war starr vor Schreck, wusste aber nur eins: nämlich, dass ich da durchmusste. Ich dachte an nichts mehr und jagte über die Pfote hinweg in den dunklen Gang. Dann musste ich mich erst mal hinsetzen, um mich von dem Schrecken zu erholen. Als ich zu den anderen zurückkam, sagte Vater erleichtert: »Gut, dass es nur Molli war. Hoffentlich kommst du einem Krallefuß nie wieder so nahe. Deinen Speck hast du dir jetzt ganz besonders verdient, weil du nach dem Schrecken noch so mutig warst.«

Das also war meine erste Begegnung mit einem Krallefuß.

Es zog mich jetzt immer wieder zu den Ritzen, um die Langbeine einmal aus der Nähe sehen zu können. Ich schob einen Strohhalm durch eine Ritze und guckte angestrengt hindurch, konnte aber nichts richtig erkennen. Ich probierte neue Stellen, aber es ging einfach nicht. Die Ritzen waren zu eng und drückten den Strohhalm zusammen. Da holte ich einen der Stöcke, stellte mich wie ein Langbein auf die Hinterbeine und drückte ihn in die Ritze. Etwas Sand und Dreck fielen herunter, und als ich den Stock herauszog, sah ich ein schönes rundes Loch, durch das ein kleiner Lichtstrahl fiel.

Ich hörte ganz nah Stimmen, schob den Strohhalm vorsichtig in das Loch und sah das Gesicht eines Langbeins: vorn ganz glatt und hinten mit langen Haaren. Seine Lippen bewegten sich und er sagte etwas. Vor ihm saßen viele kleine Langbeine und sprachen auch. Aber ich konnte nichts verstehen. Ich steckte mir den Strohhalm in ein Ohr und konnte jetzt besser hören, trotzdem konnte ich nichts verstehen. Dann hörte ich auf, weil es zu anstrengend geworden war, immer nur auf den Hinterbeinen zu stehen. Warum konnte ich die Langbeine nicht verstehen? Ich bekam doch auch mit, was Tante Kornblum, Onkel Backe und Tante Sägezahn oder andere Huscher sprachen.

Ich ging zu Großmutter und fragte sie danach.

»Du hast also wie dein Großvater herausgefunden, dass wir die Sprache der Langbeine nicht verstehen können«, sagte Großmutter.

»Dein Großvater hat sie oft belauscht. Er hat gemeint, sie sind deshalb so mächtig, weil sie ihre eigene Sprache geheim halten. So könnten wir Tiere nicht wissen, was die Langbeine mit uns vorhaben – und das ist leider oft nichts Gutes.

Bei den Tieren ist das anders. Sie haben alle ein und dieselbe Sprache. Alle möglichen Tiere können sich daher untereinander verständigen. Das kann sehr wichtig sein. So kannst du Krallefüße belauschen und etwa hören, wann sie sie Jagd auf uns machen wollen.«

»Dann könnte ich auch mit einem Krallefuß sprechen?«, wollte ich wissen.

»Könntest du natürlich«, antwortete Großmutter, »solltest du aber nicht tun, sonst würde es schnell mit dir vorbei sein. Es reicht ja aus, wenn du sie belauschst. Dein Großvater hat immer gern davon erzählt, wie er Bellern zugehört hat. Meistens haben die Beller über die Langbeine gemeckert, bei denen sie wohnen mussten. Dass sie immer das tun müssten, was den Langbeinen gerade passt: Warten, wenn sie laufen wollen – laufen, wenn sie schlafen wollen. Auch das Essen fanden sie gar nicht gut: immer dasselbe trockene Futter.

Wenn du erst nach draußen darfst, Pelzie, kannst du auch mal die Beller belauschen, da wirst du viel Spaß haben.«

»Ich möchte aber vor allem lernen, was die Langbeine sprechen.

Dann wüssten wir immer, was sie vorhaben«, beharrte ich.

»Großvater hat immer gesagt, dass man den Langbeinen genau auf die Lippen gucken soll, dann würde man ihre Sprache irgendwann verstehen. Er hätte sich sehr gefreut, dabei zu sein, wenn du die Sprache der Langbeine lernen möchtest.«

Da nahm ich mir vor, dass mich nichts daran hindern sollte, die Sprache der Langbeine zu lernen und hinter ihre Geheimnisse zu kommen.

Ich guckte jetzt nach anderen Ritzen, durch die ich besser sehen könnte. An einer Stelle, wo oft Geraschel zu hören war, drückte ich mit einem Stock nach oben und musste mich dafür wieder wie ein Langbein aufstellen. Nach einiger Mühe hatte ich ein schönes Loch gebohrt. Mit dem Strohhalm blickte ich hindurch und sah dort in einem großen weißen Korb ein ganz kleines Langbein liegen. Es lag auf dem Rücken und schlief. Einen Finger hatte es in den Mund gesteckt. So sahen also die Kinder der Langbeine aus. Es hatte ein glattes Gesicht und nur ein paar Haare auf den Kopf. Dann kam ein Langbein herein und beugte sich über das Kind. Das öffnete die Augen, guckte hoch und sagte: »Mama.«

Mir war sofort klar, dass Kinder in der Sprache der Langbeine so ihre Mutter nennen. Ich hatte mein erstes Wort gelernt und sprach es sofort nach. Jetzt kam ein anderes Langbein herein. Das Kind freute sich und sagte: »Oma.« Das musste das Wort für Großmutter sein. Auch dieses Wort sagte ich sofort nach und dachte: Wenn das in dem Tempo weitergeht, hast du bald die Sprache der Langbeine gelernt. Aber sie sprachen dann nicht mehr viel und ich musste zurück, um mit den anderen Zickzack-Laufen zu üben.

Das Laufen machte uns schnell und geschmeidig. Mutter freute sich darüber sehr. »Ich habe noch nie solch schnelle Huscher gesehen«, meinte sie.

Das hörte Onkel Backe und wollte es nicht glauben. »Ich lauf nacheinander gegen jeden von euch. Wenn nicht ich, sondern ihr gewinnt, dann gebe ich euch einen schönen dicken Speck – da habt ihr lange dran zu beißen. Aber ich gewinne ja doch.«

Dann rannte Onkel Backe los. Bolzo lief er noch weg. Mir auch, aber nicht mehr so weit, denn seine Kräfte ließen schon nach. Mit Piepsie konnte er gerade noch mithalten. Gegen Schluff, der es eigentlich gar nicht mochte, so schnell zu laufen, ging gar nichts mehr – Onkel Backe fiel lang hin und japste nur noch: »Der Speck gehört euch. Ihr seid zu gut geworden.«

Und Schluff meinte: »Nun mal her mit dem Speck. Ihr seht, ich bin der Schnellste.« Und mit dem Speck war er ganz schnell verschwunden. Uns blieb nur das Staunen über so viel Dreistigkeit.

Als ich das nächste Mal zu meinem »Langbein-Ausguck« kam, hörte und sah dann auch, dass das Kind fürchterlich schrie. Es hatte vor Anstrengung einen ganz roten Kopf. Seine Mama sagte immer: »Aa.« Und dann wusste ich auch, was das bedeutete. Das Kind hatte ein Häufchen in seinen schönen Korb gemacht und die arme Mama musste alles wieder säubern. So etwas konnte ich nun gar nicht verstehen. Das Kind lag da immer nur im Körbchen herum, war zu faul aufzustehen und machte einfach dorthin, wo es gerade war. So bequem war ja nicht einmal Schluff.

Dann wurde das Kind von seiner Mama wieder in sein sauberes Körbchen gelegt und ich hörte, wie die Mutter Anton zu dem Kind sagte. Das Kind antwortete: »Mama, Mama.« Es hieß also Anton. So hatte ich auch noch einen Langbein-Namen gelernt.

Darauf gab die Mutter Anton sein Happi, einen glibberigen Brei, den sie ihm in den Mund schob. Essen hieß also Happi. Der Brei sah ziemlich eklig aus. Es schmeckte auch wohl so, denn Anton wollte nicht mehr weiteressen und machte den Mund fest zu. Da rief die Mutter »Bäuerchen« und noch mal »Bäuerchen« und klopfte dem armen Kind auf dem Rücken herum. Plötzlich riss es den Mund auf, und es kam ein so lauter Rülpser aus seinem Rachen, dass ich dachte, dabei müssten ihm doch die Zähne herausfliegen. Konnte gar nicht geschehen, denn dann sah ich, dass im Mund noch nicht einmal Zähne waren.

Ich verstand gar nichts mehr. Die Langbeine sollten doch so viel besser als alle anderen Lebewesen sein. Tatsächlich ging bei ihnen so einiges ziemlich langsam voran. Da waren wir Huscher wirklich schneller.

Später kam noch die Großmutter herein. Anton freute sich und sagte immer wieder »Oma«. Mama und Oma sprachen jetzt über alles Mögliche. Die Großmutter sprach immer wieder von Klasse, Schule, Schüler, Lehrerin. Damit konnte ich aber nichts anfangen. Ich nahm mir aber vor, auch das noch herauszubekommen.

Ich erzählte Schluff und Piepsie von dem kleinen Langbein mit Namen Anton. »Wenn er wirklich den ganzen Tag im Bett liegt, schläft und so viel isst, müsste er doch Schluff heißen«, lachte Piepsie.

»Wenn ich das so höre, möchte ich schon Anton sein, der hat es ganz schön gut. Ich möchte gern auch mal sehen, wie der Bäuerchen macht, er lässt es ja ganz schön krachen«, grinste Schluff.

Ich zeigte Schluff und Piepsie meinen Ausguck, wo auch die Strohhalme lagen. Schluff meinte, das Loch sei zu hoch und es sei zu anstrengend, darunter zu stehen und sich nach oben zu strecken.

»Wir müssen da einen kleinen Hügel aufscharren. Darauf können wir bequem sitzen und die Langbeine belauschen. Fang schon mal an zu arbeiten, Piepsie. Ich hol ein wenig zu essen.« Weg war er und kam so schnell nicht wieder.

Mutter und Bolzo hatten uns schon gesucht. Bolzo war ganz aufgeregt. »Wir kommen gerade zurück von den Feldhuschern und haben Frau Hafermehl besucht. Die Feldhuscher haben es sehr schön. Sie leben mitten zwischen vielen, vielen Halmen und oben sind überall Körner drauf. Das ganze Feld gehört ihnen. Da hast du immer zu knabbern. Und zwischen den Halmen stehen viele Kräuter, damit schmecken die Körner noch besser.«

»Warum heißen sie denn Feldhuscher?«, fragte ich Mutter.