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Eine humoristische Novelle Conrad Ferdinand Meyers über eine unerhörte Begebenheit in der Kirche: Der leichtgläubige und schwächliche Pfannenstiel, ein Kandidat der Theologie, ist überzeugt, dass seine Liebe zu Rahel, der Tochter eines Pfarrers, wegen zu großer Standesunterschiede keine Zukunft habe. Als der General, ein Vetter des Pfarrers, davon erfährt, wittert er eine Chance, mit einer vertauschten Waffe während der Predigt die Liebenden zusammenzubringen und die Kirche zu verspotten...-
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Seitenzahl: 73
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Conrad Ferdinand Meyer
Saga
Der Schuß von der KanzelCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1878, 2020 Conrad Ferdinand Meyer und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642742
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Zween geistliche Männer stiegen in der zweiten Abendstunde eines Oktobertages von dem hochgelegenen Ütikon nach dem Landungsplätze Obermeilen hinunter. Der kürzeste Weg vom Pfarrhause, das bequem neben der Kirche auf der ersten mit Wiesen und Fruchtbäumen bedeckten Stufe des Höhenzuges lag, nach der durch ein langes Gemäuer, einen sogenannten Hacken, geschützten Seebucht, führte sie durch leere Weinberge. Die Lese war beendigt. Zur Rechten und Linken zeigte der Weinstock nur gelbe oder zerrissene Blätter, und auf den das Rebgelände durchziehenden dunkelgrünen Rasenstreifen blühte die Zeitlose. Nur aus der Ferne, wo vielleicht ein erfahrener Mann seinen Wein außergewöhnlich lange hatte ausreifen lassen, damit der Tropfen um so kräftiger werde, scholl zuweilen ein vereinzeltes Winzerjauchzen herüber.
Die beiden schritten, wie von einem Herbstgefühle gedrückt, ohne Worte einer hinter dem andern. Auch bot ihnen der mit ungleichen Steinplatten und Blöcken belegte steile Abstieg eine unbequeme Treppe und wurden sie vom Winde, der aus Westen her in rauhen Stößen über den See fuhr, zuweilen hart gezaust.
Die ersten Tage der Lese waren die schönsten des Jahres gewesen. Eine warme Föhnluft hatte die Schneeberge und den Schweizersee auf ihre Weise idealisiert, die Reihe der einen zu einem einzigen stillen, großen Leuchten verbunden, den andern mit dem tiefen und kräftigen Farbenglanze einer südlichen Meerbucht übergossen, als gelüste sie eine bacchische Landschaft, ein Stück Italien, über die Alpen zu versetzen.
Heute aber blies ein heftiger Querwind und die durch grelle Lichter und harte Schatten entstellten Hochgebirge traten in schroffer, fast barocker Erscheinung dem Auge viel zu nahe.
«Pfannenstiel, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft!» sagte nun plötzlich der Vorangehende, ein kurzer, stämmiger, trotz seiner Jugend fast etwas beleibter Mann, stand still und kehrte sein blühendes Gesicht rasch nach dem schmalen und hagern Gefährten um.
Dieser stolperte zur Antwort über einen Stein; denn er hatte den Blick bis jetzt unverwandt auf die Turmspitze von Mythikon geheftet, die am jenseitigen Ufer über einer dunkel bewaldeten Halbinsel als schlanke Nadel in den Himmel aufstach. Nachdem er seine langen Beine wieder in richtigen Gang gebracht hatte, erwiderte er in angenehmem Brusttone:
«Ich bilde mir ein, Rosenstock, der General werde mich nicht wie ein Lästrygone empfangen. Er ist mein Verwandter, wenn auch in entferntem Grade, und gestern noch habe ich ihm meine Dissertation über die Symbolik der Odyssee mit einer artigen Widmung zugesendet.»
«Heilige Einfalt!» brummte Rosenstock, der sein kräftiges Kolorit dem Gewerbe seiner Väter verdankte, die seit Menschengedenken eine in Zürich namhafte Fleischer- und Wursterfamilie gewesen, «du kennst ihn schlecht, den da drüben!» und er deutete mit einer kurzen Bewegung seines runden Kinns über den See nach einem Landhause von italienischer Bauart, das an der nördlichen Einbuchtung der eichenbestandenen Halbinsel lag. «Er ist für seine Verwandten nicht zärtlich, und deine schwärmerische Dissertation, die übrigens alle Verständigen befremdet hat, spottet er dir zuschanden.» Der Pfarrer von Ütikon blies in die Luft, als formte er eine schillernde Seifenblase, dann fuhr er nach einer Weile fort:
«Glaube mir, Pfannenstielchen, du hast besser mit den beiden Narren dort drüben, den Wertmüllern, nichts zu schaffen. Der General ist eine Brennessel, die keiner ungestochen berührt, und sein Vetter, der Pfarrer von Mythikon, das alte Kind, bringt unsern Stand in Verruf mit seiner Meute, seinem Gewehrkasten und seinem unaufhörlichen Puffen und Knallen. Du hast ja selbst im Frühjahre als Vikar genug darunter zu leiden gehabt. Freilich die Rahel mit ihrem feingebogenen Näschen und ihrem roten Kirschenmunde! Aber sie liebt dich nicht! Die Junkerin wird schließlich bei einem Junker anlangen. Es heißt, sie sei mit dem Leo Kilchsperger verlobt. Doch laß dich’s, hörst du, nicht anfechten. Ein Korb ist noch lange kein Consilium abeundi. Um dich zu trösten: Auch ich habe deren einige erhalten, und siehe, ich lebe und gedeihe, bin auch vor kurzem in den Stand der Ehe getreten.»
Der lange Kandidat warf unter seinen blonden, vom Winde verwehten Haaren hervor einen Blick der Verzweiflung auf den Kollegen und seufzte erbärmlich. Ihm mangelte die dessen Herzmuskel bekleidende Fettschicht.
«Weg! fort von hier!» rief er dann schmerzvoll aufgeregt. «Ich gehe hier zugrunde! Der General wird mir die erledigte Feldkaplanei seiner venezianischen Kompanie nicht verweigern.»
«Pfannenstiel, ich wiederhole dir, dein Vorhaben entbehrt der Vernunft! Bleibe im Lande und nähre dich redlich.»
«Du nimmst mir allen. Lebensatem», klagte der Blonde. «Ich soll nicht fort, und kann nicht bleiben. Wohin soll ich denn? Ins Grab?»
«Schäme dich! Deine Knabenschuhe vertreten sollst du! Der Gedanke mit der venezianischen Feldkaplanei wäre an sich so übel nicht. Das heißt, wenn du ein resoluter Mensch wärest und nicht so blaue unschuldige Kinderaugen hättest. Der General hat sie neulich mir angetragen. Ein so geräumig entwickelter Brustkasten würde seinen Leuten imponieren, meinte er. Natürlich Affenpossen! Denn er weiß, daß ich ein befestigter Mensch bin und meinen Weinberg nicht verlasse.»
«Warst du drüben?»
«Vorgestern.» – Dem Ütikoner stieg ein Zorn in den Kopf. – «Seit er wieder hier ist – nicht länger als eine –, Woche hat der alte Störefried richtig Stadt und See in Aufruhr gebracht. Er komme, vor dem nächsten Feldzuge sein Haus zu bestellen, schrieb er von Wien. Nun er kam, und es begann ein Rollen von Karossen am linken Seeufer nach der Au zu. Die Landenberge, die Schmidte, die Reinharte, alle seine Verwandten, die den ergrauten Freigeist und Spötter sonst mieden wie einen Verpesteten, alle kamen und wollten ihn beerben. Er aber ist nie zu Hause, sondern fährt wie ein Satan auf dem See herum, blitzschnell in einer zwölfrudrigen Galeere, die er mit seinen Leuten bemannt. Meine Pfarrkinder reißen die Augen auf, werden unruhig und munkeln von Hexerei. Nicht genug! Vom Eindunkeln an bis gegen Morgen steigen feurige Drachen und Scheine aus den Schlöten des Auhauses auf. Der General, statt wie ein Christenmensch zu schlafen, schmiedet und schlossert zuweilen die ganze Nacht hindurch. Kunstreiche Schlösser, wahre Prachtstücke, habʼ ich von seiner Arbeit gesehn, die kein Dietrich öffnet, für Leute, sagte er mit einem boshaften Seitenblicke auf meine apostolische Armut, die Schätze sammeln, welche von Dieben gestohlen und von Motten gefressen werden. Nun du begreifst, die Funkengarbe spielt ihre Rolle und wird als Straße des Höllenfürsten durch den Schornstein viel betrachtet und reichlich besprochen. So wuchs die Gärung. Die Leute aufklären ist von eitel bösen Folgen. Ich wählte den kürzeren Weg und ging hinüber, den General als Freund zu warnen. Kreuzsapperlot, an den Abend werdʼ ich mein Lebtag denken. Meine Warnung beseitigte er mit einem Hohnlächeln, dann faßte er mich am Rockknopfe und ein Diskurs bricht los, wie Sturm und Wirbelwind, sagʼ ich dir, Pfannenstiel. Mit abgerissenen Knöpfen und gerädert kam ich nach Hause. Mosler hat er mir vorgesetzt, aber mit den größten Bosheiten vergällt. Natürlich sprach er von seinem Testamente, denn das ist jetzt sein Steckenpferd. ,Ihr steht auch darin, Ehrwürden!ʻ Ich erschrecke. ,Nun, ich will Euch den Paragraphen weisen.ʻ Er öffnet das Konvolut. ,Leset.ʻ Ich lese, und was lese ich, Pfannenstiel?
. . . Item, meinem schätzbaren Freunde, dem Pfarrer Rosenstock, zwei hohle Hemdknöpfe von Messing mit einer Glasscheibe versehen, worunter auf grünem Grunde je drei winzige Würfelchen liegen. Gestikuliert der Herr auf der Kanzel nun mit der Rechten, nun mit der Linken, und schüttelt besagte Würfelchen auf eine ungezwungene Weise, so kann er vermittelst wiederholter schräger Blicke bei währendem Sermone mit sich selbst ein kurzweiliges Spielchen machen. Vorgenannte Knöpfe sind in Algier, Tunis und Tripolis bei den Andächtigen beliebt und finden ihre Anwendung in den Moscheen während der Vorlesung des Koransʻ . . .
Nun denke dir, Pfannenstiel, das Ärgernis bei Eröffnung des Testamentes! – Der Bösewicht ließ sich dann erbitten, mir die Gabe gleich auszuhändigen und den Paragraphen zu streichen. Hier!» Und Rosenstock hob das niedliche Spielzeug aus seiner Brusttasche.
«Das ist eine ganz ruchlose Erfindung», sagte Pfannenstiel mit einem Anfluge von Lächeln, denn er kannte die Neigung des Ütikoners zum Würfelspiele,»und du meinst, der General ist allen geistlichen Leuten aufsässig?»
«Allen ohne Ausnahme, seit er puncto gottloser Reden prozessiert und um eine schwere Summe gebüßt wurde!»
«Ist ihm nicht zu viel geschehen?» fragte Pfannenstiel, der sich den helvetisch reformierten Glaubensbegriff mit etwas bescheidener Mystik versüßte und in dem keine Ader eines kirchlichen Verfolgers war.