Der Sirenengesang hungriger Geister - Joe Fisher - E-Book

Der Sirenengesang hungriger Geister E-Book

Joe Fisher

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Beschreibung

Was, wenn Geistführer lügen? Eine packende Reise in die Welt des Übersinnlichen.

Medialität gibt es seit den griechischen Orakeln, aber auch Jahrtausende später weiß niemand mit Sicherheit, was passiert, wenn ein Medium in eine tiefe Trance fällt. Heute wird die Praxis des Channelns von Geistführern durch Medien heftig diskutiert. Dieses Phänomen wird entweder als fragwürdiger Hokuspokus abgetan oder als eine Form der Kommunikation zwischen dem Diesseits und dem Jenseits angesehen. Viele sehen in den Geistführern eine Quelle der Liebe und Weisheit ... aber sind sie das wirklich?

5 Jahre lang hat Joe Fisher die Behauptungen von Channelmedien und die geheimnisvollen Stimmen, die durch sie sprechen, akribisch untersucht. Der Sirenengesang hungriger Geister ist seine fesselnde Reise in ein Reich der Dunkelheit und Täuschung.

In einer wahren Geschichte schildert er, wie er in eine faszinierende und zugleich erschütternde Welt hineingezogen wird, in der Geistführer behaupten, unsichtbare Begleiter aus anderen Dimensionen zu sein. Aber sind diese wirklich vertrauenswürdig? Fisher hinterfragt die Motive und Identitäten der »hungrigen Geister« und deckt dabei beunruhigende Wahrheiten auf. Seine Nachforschungen zeigen, dass das Übernatürliche nicht nur geheimnisvoll, sondern auch gefährlich sein kann.

Dieses Buch ist keine einfache Sammlung paranormaler Geschichten, sondern die tiefgründige Untersuchung eines Phänomens, das seit Jahrhunderten Menschen fasziniert. Mit der Präzision eines Enthüllungsjournalisten und der Neugier eines Forschers beschreibt Fisher, wie er in Kontakt mit einer Welt tritt, die gleichzeitig verlockend und abgründig ist.

»Makellos - liest sich weg wie ein Krimi. Ich halte dieses Buch für einen Klassiker!« Daniel Wagner, Chefredakteur NEXUS-Magazin

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1. Auflage Januar 2025

Copyright © 2001 by Joe Fisher Originally published in the USA by Paraview Press, New York

Titel der amerikanischen Originalausgabe:The Siren Call of Hungry Ghosts

Copyright © 2025 für die deutschsprachige Ausgabe bei Kopp Verlag, Bertha-Benz-Straße 10, D-72108 Rottenburg

Alle Rechte vorbehalten

Übersetzung aus dem Amerikanischen: Peter Geiger Covergestaltung: Martina Kimmerle Satz und Layout: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh

ISBN E-Book 978-3-98992-072-9 eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

Gerne senden wir Ihnen unser Verlagsverzeichnis Kopp Verlag Bertha-Benz-Straße 10 D-72108 Rottenburg E-Mail: [email protected] Tel.: (07472) 98 06-10 Fax: (07472) 98 06-11

Unser Buchprogramm finden Sie auch im Internet unter:www.kopp-verlag.de

Widmung

Dieses Buch ist meiner lieben Mutter Monica gewidmet, die immer darauf bestanden hat, dass Dämonen tatsächlich existieren.

Vorwort

Ich hatte das Buch Der SirenengesanghungrigerGeister noch nicht einmal bis zur Hälfte gelesen, als ich erkannte, dass es sich um einen jener Klassiker zum Thema des Übernatürlichen handelt wie Tyrrells Buch Apparitions1 (»Erscheinungen«) und Myers Buch Human Personality and Its Survival of Bodily Death2 (»Die menschliche Persönlichkeit und ihr Überleben des körperlichen Todes«). Und noch ehe ich es ausgelesen hatte, wurde mir bewusst, dass es sich auch um eines der beunruhigendsten Bücher handelte, die je über Geister geschrieben wurden.

Um zu verstehen, warum Der Sirenengesang hungriger Geister ein so wichtiges Buch ist, ist es nötig, kurz über die Geschichte der parapsychologischen Forschung zu sprechen.

Bis um die Mitte des 19. Jahrhunderts hielt man das gesamte Geisterthema für höchst dubios. Die meisten gebildeten Menschen waren überzeugt davon, dass es sich bei Geistern um abergläubischen Unsinn handelte, der von der großen naturwissenschaftlichen Revolution Galileos und Newtons entlarvt worden war. England hatte im 17. und 18. Jahrhundert zwei berühmte Geistererscheinungen vorzuweisen: den »Phantomtrommler von Tedworth« – einen Poltergeist, der laute Trommelgeräusche produzierte und mit Gegenständen um sich warf – und den »Geist der Clock Lane«, der sich auf Klopfzeichen beschränkte. Obwohl Berichte aus erster Hand heute nahelegen, dass sie echt waren, wurden sie damals als Betrügereien demaskiert und die unglückseligen Bewohner des Hauses in der Clock Lane sogar zu Gefängnisstrafen verurteilt. Für das Zeitalter der Vernunft stand fest, dass Geister nicht existierten.

Das änderte sich nach der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, oder genauer gesagt am 31. März 1848 im Haus eines Landwirtes namens Fox in Hydesville im US-Bundesstaat New York. Die Foxes wurden mehrere Nächte lang durch ein lautes Pochen wach gehalten, das sie auf Fensterläden zurückführten, die im Wind klapperten. Doch als James Fox an den Fensterläden rüttelte, um sicherzustellen, dass sie fest geschlossen waren, beobachteten seine Töchter, dass klopfende Geräusche wie ein Echo darauf zu antworten schienen. Als die Geräusche mitten in der Nacht von Neuem einsetzten, sagte die 12-jährige Kate frech: »Herr Splittfuß (das heißt Herr Teufel), mach es wie ich.« Sie schnippte mit den Fingern, und die pochenden Geräusche ahmten sie nach.

Mrs. Fox fragte den unsichtbaren Klopfer, ob er, wenn er ein Geist sei, zweimal klopfen könne; als Antwort vernahm man ein zweimaliges Knallen.

Daraufhin riefen die Foxes als Zeugen die Nachbarn herbei, und einer von ihnen, der mutiger war als die anderen, schaffte es, den »Geist« dazu zu bringen, Fragen verschlüsselt mit Klopfzeichen zu beantworten. Er sei, erklärte der Geist, ein Händler gewesen, der vom vorherigen Mieter dieses Hauses ermordet und im Keller begraben worden sei. Als man daraufhin im Keller nach der Leiche grub, wurde man nicht fündig. Doch über ein halbes Jahrhundert später, im Jahre 1902, stürzte eine Wand im Kellergeschoss ein und legte eine weitere Wand frei. Man grub zwischen diesen beiden Wänden und förderte ein Skelett und die Blechbüchse eines Händlers zutage.

Im Sommer 1849 verwandelten sich die Klopfzeichen im Hause Fox in typische Poltergeistphänomene: Objekte wurden durch die Luft geworfen und Menschen von unsichtbaren Händen berührt und gezwickt. Als man die beiden Töchter der Familie an einen anderen Ort schickte, folgten ihnen die Erscheinungen, während Mrs. Fox zu Hause von einer Haarbürste am Kopf getroffen wurde. Das Haar von Mr. Fox wurde weiß.

Schließlich diktierten die »Geister« eine Nachricht, in der sie denjenigen, die an sie glaubten, befahlen, eine spiritistische Kirche zu gründen. »Ihr müsst der Welt diese Wahrheit verkünden.« Am 14. November 1849 fand der erste spiritistische Gottesdienst in Rochester im Bundesstaat New York statt, und die neue Religion verbreitete sich in ganz Amerika. Bei diesen Treffen war für gewöhnlich ein »Medium« anwesend, das sich in einen Trancezustand begab und in Verbindung mit »der anderen Welt« trat. Phantomhände spielten manchmal Musikinstrumente, und gelegentlich erschienen auch »Tote«, die sich materialisierten, damit man sie sehen und berühren konnte.

Zwar waren die Wissenschaftler zwangsläufig verärgert über diesen offensichtlichen Rückfall in mittelalterlichen Aberglauben, der ihnen nicht weniger absurd als Hexenwahn erschien, doch am Ende gelangten viele von ihnen, die sich zu Nachforschungen hatten überreden lassen, zu der Überzeugung, dass die Phänomene im Hause Fox echt waren. 1882 wurde in London von bedeutenden Intellektuellen, Wissenschaftlern, Schriftstellern und Politikern eine Gesellschaft für parapsychologische Forschung gegründet. Sie wollten ein für alle Mal herauszufinden versuchen, ob das ganze Gerede über ein Leben nach dem Tod Unsinn wäre – und, falls nicht, womit sie es dann zu tun hatten. Sie waren überzeugt, dass sie dieses Problem vor dem Ende des Jahrhunderts lösen würden, schließlich befand man sich in einer Zeit, in der der Naturwissenschaft auf atomarem und astronomischem Gebiet außerordentliche Entdeckungen gelangen. Doch der Beweis, den sie suchten, blieb ihnen verwehrt. Zweifellos handelte es sich bei all diesen Phänomenen nicht um Fälschungen, doch sie weigerten sich, ihr Geheimnis preiszugeben. Dafür, die Gläubigen in ihrer Überzeugung zu bestätigen, fanden sich genug Beweismittel, doch nicht, um die Skeptiker zu überzeugen.

G. K. Chesterton begann als junger Mann mit einer Gruppe von Freunden mit einer »Planchette« zu experimentieren, einem Stift auf Rädern, der »automatisch schreiben« kann. Als die Frage nach dem Namen eines entfernten Verwandten gestellt wurde, buchstabierte das Gerät »Manning« . Sie ließen den Geist wissen, dass dies nicht stimme. »Zweimal verheiratet«, antwortete dieser unverzüglich. Mit wem? »Kardinal Manning«, sagte der Geist. Chesterton sagte, er habe keinen Zweifel, dass irgendeine mysteriöse, unbekannte Kraft involviert war. Nur gab es einen großen Haken: Der Geist log.

Seither ist dies für die Forscher eines der Hauptprobleme geblieben. Die Tatsache, dass etwas Seltsames im Gange ist, ist nicht von der Hand zu weisen, es ergibt aber nie wirklich Sinn.

Eigentlich sollte ich an diesem Punkt sagen: »Lesen Sie weiter.« Doch das wäre ein wenig zu abrupt. Lassen Sie mich darauf hinweisen, dass Joe Fishers Erfahrung zwar genauso verblüffend war wie die von vielen anderen Forschern, doch eine weitaus bessere Geschichte darstellt als die meisten dieser Art (so gut, dass ich sie in drei meiner eigenen Bücher wiedererzählt habe). Außerdem wirft sie einige besorgniserregende Fragen auf.

Joe Fisher ist ein in Großbritannien geborener Autor und Journalist, der heute in Kanada lebt und 1984 ein ausgezeichnetes Buch mit dem Titel The Case For Reincarnation (»Argumente für die Reinkarnation«) geschrieben hat, das gewiss zu den besten gehört, die je über dieses Thema verfasst wurden. 3 Der Dalai Lama selbst hat die Seriosität des Werkes anerkannt, indem er zustimmte, das Vorwort dazu zu schreiben. Als mich ein Redakteur fragte, ob ich das vorliegende Buch, das ursprünglich Hungrige Geister hieß, rezensieren wolle, sagte ich unverzüglich zu, denn ich hatte lange davor das Vorgängerbuch gelesen.

Nicht nur war das Buch so gut, wie ich es erwartet hatte; es war so erstaunlich und fesselnd, dass ich es in 3 Stunden durchgelesen hatte. Als Mr. Fisher und seine Mutter mich ein paar Jahre später zu Hause in Cornwall besuchten, ertappte ich mich dabei, wie ich diesen charmanten und gut aussehenden Mann mit einer gewissen Ungläubigkeit betrachtete, denn ich konnte mir kaum vorstellen, dass er derart außergewöhnliche Erlebnisse hinter sich hatte. Doch unser langes Gespräch hinterließ keinerlei Zweifel bei mir, dass sich hinter seiner jugendlich-offenen Ausstrahlung der Kopf eines brillanten Enthüllungsjournalisten verbarg.

Lassen Sie mich das Thema des Buches in ein paar Sätzen skizzieren. Während einer Séance, der Mr. Fisher in Toronto beiwohnte, erfuhr er, dass er die Gelegenheit bekommen würde, »geistige Kommunikation« in Aktion zu erleben. Was er tatsächlich bekam, war um einiges mehr, als er erwartet hatte, denn ihm wurde gesagt, bei seinem »Geistführer« handle es sich um eine junge Griechin, die in einer vergangenen Inkarnation seine Geliebte gewesen sei. Die Einzelheiten, die sie von sich gab, waren präzise und zutiefst überzeugend. Dasselbe galt für die von Geistern, die behaupteten, ein Pilot der Royal Air Force, also der englischen Luftwaffe, namens Ernest Scott und ein amüsanter Cockney-Veteran 4 aus dem Ersten Weltkrieg namens Harry Maddox gewesen zu sein. Zugegebenermaßen hätte man mich unter diesen Umständen genauso überzeugt, doch hätte ich wohl nicht die Hartnäckigkeit von Mr. Fisher besessen, nach Beweismaterial dafür zu suchen.

Seine Enttäuschung begann, als er nach England zurückkehrte und sich dazu entschloss, die Kriegsgeschichten von Ernest Scott zu verifizieren. Der zur Diskussion stehende Flugplatz stellte sich als tatsächlich existent heraus, und viele der von Scott angegebenen geografischen und historischen Informationen entsprachen ebenfalls der Wahrheit. Allerdings schienen die Dokumente darauf hinzuweisen, dass Scott nie existiert hatte. Als Mr. Fisher den Versuch unternahm, einem Bauernhof bei Harrogate in Yorkshire auf den Grund zu gehen, wo ein weiterer Geist namens Russell im 19. Jahrhundert gelebt haben wollte, erwies sich auch Russell als schwer fassbar. Und dasselbe galt für den charmanten Harry Maddox.

Es wäre schade, diese hervorragende und spannende Geschichte dadurch zu verderben, dass ich noch mehr verrate. Lassen Sie mich nur so viel sagen, dass die Fragen, die sie aufwirft, aus Sicht der parapsychologischen Forschung nichts Gutes ahnen lassen. Noch nie haben sich die Fallstricke dieses Themas so eindeutig gezeigt. Wenn Wissenschaftler sich daranmachen, ein Geheimnis zu ergründen – etwa die große Explosion über dem Tunguska-Gebiet Sibiriens 1908 –, so können sie zumindest dort hinfahren, sich den Ort des Geschehens ansehen und aus den nach wie vor sichtbaren Zeichen ihre Schlüsse ziehen. Diese Methode verfolgte Mr. Fisher in seinem Buch The Case for Reincarnation. Wenn sich jedoch herausstellt, dass die Hälfte der Informationen gefälscht wurde – nicht von vorgeblichen Medien, sondern offensichtlich von den »Geistern« selbst –, dann muss auch der hartnäckigste Ermittler zugeben, dass er nicht recht weiß, wohin er sich noch wenden soll.

Die von Joe Fisher angebotene Lösung in diesem Buch, dass viele »Geister« kaum mehr als Hochstapler sind, die Spaß daran haben, Lügen um ihrer selbst willen zu erzählen, erscheint mir höchst plausibel. Ich muss jedoch gestehen, dass ich auf bestürzte Mienen gestoßen bin, als ich auf Treffen der Society for Psychical Research und dem College of Psychic Studies über das Buch Der Sirenengesanghungriger Geister sprach. Es ist eindeutig, dass die Ansichten von Mr. Fisher manch einem einen gewaltigen Strich durch die Rechnung machen und eine ganze Reihe neuer Fragen für jene Gläubigen aufwerfen, die annehmen, Medien würden eine einfache und direkte Verbindung zur Welt der Toten herstellen.

In anderer Hinsicht allerdings liefert der Autor sowohl für die Gläubigen als auch für die Skeptiker Munition. Denn offensichtlich waren die Geister insofern Fakes, als sie nicht das waren, was sie behauptet hatten. Zugleich schien es aber auch keine Zweifel daran zu geben, dass sie tatsächlich Geister waren – oder aber irgendein mysteriöser faktischer Scherzkeks, der sich in dem unbewussten Geist des Mediums verbarg, was genauso viele Fragen aufwirft.

Wie auch immer die Lösung zu diesem merkwürdigen Problem aussehen mag, Joe Fisher hat der parapsychologischen Forschung zweifelsohne einen großen Dienst erwiesen, indem er das Rätsel derart klar und eindeutig präsentierte. Er hat sich einen Platz in der Geschichte erobert – einen Platz, der genauso wichtig ist wie der eines Daniel Dunglas Horne 5 , Conan Doyle 6 oder Oliver Lodge 7 . Dies hat er außerdem mit einem Buch getan, das im Unterschied zu anderen großen Klassikern des Paranormalen den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt.

Colin Wilson

Cornwall, England

Einleitung

Schlafwandler sind für die Folgen ihrer Taten verantwortlich.

Als sich die Gelegenheit bot, meine Geistführerin kennenzulernen, war ich in metaphysischen Angelegenheiten ein Novize. Ich hatte zahlreiche führende Praktizierende der okkulten Wissenschaft interviewt und viel über das Thema Prophezeiungen und Reinkarnation geschrieben. Ferner hatte ich seit Jahren als Enthüllungsjournalist gearbeitet und war geübt darin, die Wahrheit von der Unwahrheit zu unterscheiden. Als ich dann aber mit dem Channeling und insbesondere meiner Geistführerin konfrontiert wurde, ließ ich mich zugegebenermaßen hinreißen, sodass es mir an Feingefühl mangelte und ich auf eine Odyssee, wie sie sich im Laufe dieses Buches entfaltet, nicht vorbereitet war. Genauso wie jedes Medium, das sich freiwillig in einen Zustand der Bewusstlosigkeit begibt, war ich gewissermaßen schlafwandelnd unterwegs.

Am 20. Juli 1984 wurde ich zum ersten Mal Zeuge einer Channeling-Sitzung. Damals hatte ich noch sehr viel über Mediumismus zu lernen, denn ich hatte nur ein paar Lehrbücher von dem Geistführer Seth, der durch die inzwischen verstorbene Jane Roberts bekannt geworden ist, und eine lückenhafte Geschichte über Channeling gelesen. Ich kann mich gut daran erinnern, mit welch naiver Begeisterung ich auf die geheimnisvollen Stimmen reagierte. Wie viele spirituelle Anwärter, die eine nicht-physische Existenz akzeptieren, sehnte auch ich mich nach einem persönlichen Kontakt mit einer außerkörperlichen Quelle der Liebe, Weisheit und Intelligenz. Ich hatte ein Verlangen danach, die verschleierte Herrlichkeit der nächsten Dimension jenseits der Leere zu ergründen, die die irdische Realität von den Ätherreichen trennt.

Mir war nicht bewusst, dass ich mich auf eine Reise begab, die meine Wahrnehmungen auf den Kopf stellen und mich an den Rand eines emotionalen Kollapses bringen sollte. Ich schlenderte in Regionen umher, in die sich nicht einmal Engel hinwagen, und verstrickte mich in mediumistische Phänomene, ehe es mir dämmerte, dass mir meine gediegenen Erfahrungen als Enthüllungsjournalist nicht mehr nützten als ein Badeanzug auf dem Mond.

Doch ich konnte nicht mehr zurück. Während die Channeling-Faszination in Nordamerika eine fieberhafte Intensität erreichte, sah ich mich dazu aufgerufen, meine Bekanntschaft mit den Geistern fortzusetzen. Ich wollte vor allem wissen, wer sie waren und was sie vorhatten, und so gelangte ich auf ein psychologisches Minenfeld.

Was folgt, ist also eine wahre Geschichte, eine Geschichte über Abenteuer und Unterwerfung im New-Age-Milieu, die allen eine Warnung sein soll.

Joe Fisher

Adolphus Reach,

25. April 1989

Die in diesem Buch verwendeten Namen Aviva Neumann und Louise Oleson sind Pseudonyme. Sie werden zum Identitätsschutz dieser beiden Channels verwendet, die ausnahmslos auf privater Basis agieren. Vor demselben Hintergrund wurden die bürgerlichen Namen von Avivas Gruppenmitgliedern sowie die Namen der Familie Graham in Kapitel 10 geändert. Alle anderen Channels in diesem Buch tragen ihre bürgerlichen Namen. Alle gechannelten Dialoge werden wortwörtlich aus Aufnahmen und Transkriptionen zitiert, die sich in meinem Besitz befinden.

Dieses Buch erschien ursprünglich in Kanada und dem Vereinigten Königreich unter dem Titel Hungry Ghosts (»Hungrige Geister«). Was Sie jetzt in den Händen halten, ist die erste deutsche Ausgabe. Sie enthält ein neues Vorwort von Colin Wilson sowie einen Epilog, der die Ereignisse seit der Erstveröffentlichung meines Buches vor einem Jahrzehnt auf den aktuellen Stand bringt.

J. F.

am 29. August 2000

»Aber seltsam: Oft, uns in eignes Elend zu verlocken, Erzählen Wahrheit und des Dunkels Schergen, Verlocken und durch schuldlos Spielwerk, uns Dem tiefsten Abgrund zu verrathen.«

William Shakespeare, Macbeth, erster Akt, dritte Szene 8

»Ihr Lieben, glaubt nicht einem jeden Geist, sondern prüft die Geister; denn viele falsche Propheten sind hinausgegangen in die Welt.«

Lutherbibel, 1 Johannes 4,1-3

Teil 1: Geheimnisvolle Stimmen

Teil I

Geheimnisvolle Stimmen

Kapitel 1: Eine erregbare junge Dame aus Griechenland

Kapitel 1

Eine erregbare junge Dame aus Griechenland

Aviva Neumann drückte ihre Zigarette aus, nahm ihre Brille ab und warf ein Kopfkissen auf die Armlehne des Sofas in ihrem Stadthaus in Toronto. Dann räkelte sie sich und fuchtelte so lange mit den Armen, Schultern und Beinen herum, bis sie es sich bequem gemacht hatte.

Roger Belancourt – groß, kahlköpfig und zurückhaltend – saß mir auf einem Stuhl gegenüber, seine Hände lagen gefaltet auf der Sofalehne. In freundlicher und onkelhafter Manier wartete er darauf, dass Aviras zappelnde dürre Gestalt zur Ruhe kam.

Die Verzögerung machte mich nervös. Mir schien, als hätten wir seit Stunden über die Stimmen – diese geheimnisvollen Stimmen – geredet, und nun war ich ungeduldig und wollte sie mit meinen eigenen Ohren hören. Ich lehnte mich nach vorne, um Avivas Antlitz genau zu betrachten. Es herrschte völlige Stille. Ihre Füße, die in Pantoffeln steckten, wiesen anmutig zur Decke. Ihre Stirn glänzte in der erdrückend feuchten Luft dieses Juliabends. Sie wirkte zart, verletzlich und völlig friedlich. Im Ruhezustand waren ihre scharfen Züge merklich weicher geworden.

Während ich Aviva in ihrer passiven Verfassung studierte, begann Roger ihre in Rückenlage befindliche Gestalt mit einer nüchternen monotonen Stimme anzusprechen, die in meinen Ohren wie ein Segen klang:

»Der Schlüssel für dich ist, dass du dich auf die Entspannungsebene begibst, auf der du am meisten beeinflussbar bist, und wenn du diese meine Worte hörst, befindest du dich bereits auf der am besten beeinflussbaren Entspannungsstufe und kannst von dort aus noch tiefer gehen.«

Sie lag weiterhin still und bewegungslos da.

»Der Schlüssel für dich ist …«, Roger wiederholte seine suggestiven Worte immer wieder.

Die Spannung war unerträglich. Um mich abzulenken, betrachtete ich das Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Es handelte sich um ein außergewöhnliches Werk, das einen Kontrast zu den häuslichen Stahlrohrmöbeln und den blauen Vorhängen bildete, die die Glasschiebetüren einrahmten, welche zu einem engen Hinterhof führten. Das Gemälde zeigte sechs hagere und kaum bekleidete Menschen, die in einer dunklen Höhle dahinschmachteten. Ihre erbärmlich dünnen Arme waren flehend nach einem Spalt ausgestreckt, durch das fernes Licht eindrang. Ich war von der Darstellung dieser Qual noch völlig absorbiert, als eine Änderung in Rogers Worten und ihrer Intonation meinen Blick plötzlich auf Avivas Gesicht zurücklenkten.

»Befinden wir uns auf einer Ebene, auf der wir mit den Geistführern sprechen können?«

Zum ersten Mal bewegten sich ihre Lippen.

»Wenn … du … möchtest«, antwortete sie schläfrig.

Roger blickte mich lächelnd an, als ob er andeuten wollte, dass bald ein Dialog beginnen würde. Er beugte sich über einen Kassettenrekorder, der auf einem Tisch hinter dem Sofa stand, und drückte die Aufnahmetaste. Dann wandte er sich wieder Aviva zu und sagte, er wolle mit Russell sprechen. Die beiden hatten mir von Russell erzählt.

»Russell«, fragte Roger höflich, »könntest du uns ein paar Informationen über den Geistführer unseres Besuchers geben?«

Ich starrte Aviva unverwandt an und wartete. Mein Magen zog sich zusammen, als ob er die lange Pause zwischen Frage und Antwort überbrücken wolle. Als ihre Lippen sich wieder bewegten, war ihre Stimme kaum wiederzuerkennen. Ihre heitere hohe Stimme mit dem ausgesprochen australischen Tonfall war verschwunden, und ihre Artikulierung war jetzt unmissverständlich männlich, und sie sprach mit einem unverkennbaren englischen Akzent. Diese Aviva war eine völlig andere – merkwürdig selbstbewusst und kompromisslos. Die Stimme, die wir hörten, behauptete, jene von Avivas Geistführer zu sein, eines nicht inkarnierten Individuums, das im letzten Jahrhundert als Schafzüchter in Yorkshire gelebt hatte. »Er« sprach mit der Überzeugung eines eigenständigen Wesens und war dabei, die Identität jener nicht-physischen Persönlichkeit preiszugeben, die direkt für mein Wohlergehen zuständig war. Mein Geistführer!

»Es ist ein weiblicher Geistführer.«

»Wie heißt sie?«, fragte Roger.

»In ihrem früheren Leben Filipa. Unter diesem Namen ist sie bekannt, und diesen benutzt sie.«

»Und wäre sie bereit, ihrem Schützling ein paar Informationen zu der Person zu geben, die sie in ihrem früheren Leben gewesen ist, und darüber, welche Staatsangehörigkeit sie hatte?«

»Sie sagt, sie habe viele Leben mit ihm verbracht und er mit ihr. Sie hätten die Rollen gewechselt. Ihr letztes Leben verbrachte sie in dem Land, das heute als Griechenland bekannt ist, und zwar in den Jahren von 1718 bis 1771 nach dem griechischen Kalender, der sich von eurem um 5 Tage unterscheidet.«

Ich war baff. Avivas Augen blieben geschlossen, und nur ihre Gesichtsmuskeln und ihr Zwerchfell bewegten sich. Ein Teil von mir wollte die Hand ausstrecken, ihren schlaffen Arm schütteln und nachhaken: »Was sagst du da?« Doch in einem vernünftigeren, solideren Winkel meines Inneren wusste ich, dass Aviva nicht bei Bewusstsein und in unserer Mitte war. Wer also war dieses strenge Wesen namens Russell? Hatte ich wirklich im Griechenland des 18. Jahrhunderts mit einer Frau namens Filipa zusammengelebt, die ich über viele Leben hinweg kannte und vielleicht sogar liebte? Das alles kam so plötzlich und war so überwältigend. Doch ich hatte keine Zeit, in Sprachlosigkeit zu verharren, denn Russell wandte sich bereits weiteren Themen zu und wollte, dass ich ihm antwortete.

»Bist du nicht neugierig«, erkundigte er sich, »ob du eine Seele oder eine Wesenheit bist?«

Das hatte ich erwartet. Roger hatte zuvor erklärt, die »Geistführer«, die durch Aviva sprachen, hätten darauf bestanden, dass es zwei Arten von Menschen auf der Erde gab: Seelen und Wesenheiten beziehungsweise Entitäten. Seelen würden aus dem Verlangen heraus erschaffen, Wesenheiten hingegen aus dem Wissen heraus geboren. Beide Arten sollten sich grundlegend unterscheiden.

»Ja, ich bin neugierig«, erwiderte ich ängstlich. »Sagst du mir bitte, was von beiden ich bin?«

»Ich möchte dich fragen«, antwortete Russell, »was glaubst du denn, was du bist?«

Ich war ein wenig eingeschüchtert und wollte mich nicht dazu hinreißen lassen, eine Entscheidung zu treffen. Aviva, die ich erst eine Woche zuvor kennengelernt hatte, hatte mich dazu eingeladen, Geistführer zu »beobachten«, weil sie dachte, ich könnte ihr helfen, den Zustand der redseligen Bewusstlosigkeit zu verstehen, in der sie sich gerade befand. Ich wollte ein Beobachter bleiben. Im Übrigen wusste ich sehr wenig über Seelen und Entitäten und tat mich mit dem Gedanken schwer, dass die menschliche Rasse in zwei Strömungen einzuteilen sei. Und dies teilte ich Russell mit.

»Ja, ich weiß«, sagte er verständnisvoll. »Das ist dir nicht richtig erklärt worden. Du bist in der Tat eine Wesenheit … und als Wesenheit hast du ziemlich viel Macht. Du hast mit einer Weiterentwicklung teilweise schon begonnen, allerdings nicht auf einer bewussten Ebene, sondern großteils auf dem, was du als unterbewusste Ebene bezeichnen würdest. Eine Seele bist du nie gewesen. Du warst immer eine Entität, die aus dem Wissen – dem Pool des Wissens – heraus geschaffen worden ist, von dem in vielen Sitzungen die Rede war.«

Meine Verwirrung kannte keine Grenzen. Doch ich war bereit, dem, was ich gehört hatte, Glauben zu schenken. Mein Vater war ein pensionierter Baptistenprediger und meine Mutter eine überzeugte Christin, deren parapsychologische Fähigkeit sie in solche Sorge versetzte, Gott könne mit ihren unfreiwilligen Visionen unzufrieden sein, dass sie jüngst eine Zeugin Jehovas geworden war. So war meine Kindheit natürlich von Fundamentalismus beherrscht. Doch ich folgte meinem eigenen spirituellen Weg und hatte Reinkarnation als integralen Bestandteil des Lebensprozesses akzeptiert, denn sie schien mir für die menschliche Evolution erforderlich zu sein.

Zunächst faszinierte mich lediglich die These, dass wir auf die Erde zurückkehren, um andere Körper zu bewohnen. Mit der Zeit schloss ich mich aber jener Reinkarnationstheorie an, der gemäß man beide Geschlechterrollen, verschiedenste Rassen sowie unterschiedliche Rollen und Beziehungen oftmals über mehrere Leben hinweg erlebt, um die Lektionen daraus zu lernen. Je mehr ich alte Überzeugungen und die Arbeit der modernen Reinkarnationserforscher und Therapeuten zu früheren Leben studierte, desto begeisternder erschien mir eine überaus vernünftige Aussage von Voltaire: »Es ist nicht verwunderlicher, zweimal als nur einmal geboren zu werden.«

Später faszinierten mich die unzähligen Hinweise auf unsichtbare Präsenzen, die man in Bibel, Mythologie, metaphysischer Literatur und seit Neuestem auch in der Medizinforschung findet und mit denen man in Kontakt treten kann. Russells unsichtbare, aber spürbare Präsenz bestätigte in der Praxis, was ich theoretisch zur Kenntnis genommen hatte: dass wir tatsächlich von nicht inkarnierten Intelligenzen begleitet werden, die ein nicht-materielles Universum bewohnen. Und was die Frage Seele oder Entität betraf, wer konnte schon sagen, ob Russell recht hatte oder nicht? Allerdings war ich froh, ja geradezu erleichtert, die Ehre zu haben, eine Entität zu sein, wenn auch nur deshalb, weil ich lieber aus Wissen als aus Verlangen heraus erschaffen worden sein wollte.

Die Auswirkungen dieser Begegnung waren schwindelerregend. Zwar gab es noch viel zu erforschen, doch ich schien auf eine Fundgrube metaphysischen Wissens gestoßen zu sein – eine Quelle, die ungeahnte Informationen über das nachtodliche Leben liefern konnte.

Ich hatte über Geistführer wie Seth gelesen und war perplex, dass Medien die Lehren dieser unheimlichen Wesen in einem Trancezustand vermitteln sollten. Nun war ich Zeuge dieses verlockenden Phänomens geworden und tat mich schwer damit, emotional distanziert zu bleiben. Wie eindrucksvoll Avivas Selbsthingabe auch sein mochte, ich durfte dem, was meine Augen und Ohren bezeugten, nicht trauen, sondern musste dafür kämpfen, einen klaren Kopf zu bewahren und objektiv zu bleiben, und hoffen, dass dieses vielversprechende Eldorado sich nicht als Katzengold erweisen würde.

Roger platzte in meine Grübeleien herein und fragte, ob ich irgendwelche Fragen an meine Geistführerin hätte. Obgleich er spürte, dass Filipa bei dieser Gelegenheit nicht direkt durch Aviva würde sprechen können, versicherte er mir, dass sie bald dazu in der Lage sein würde. In der Zwischenzeit bot sich Russell freiwillig als Vermittler an und erläuterte, dass die Geistführer zunächst »die Energien kennenlernen« mussten, wenn sie durch ein menschliches »Vehikel« kommunizieren wollten.

»Filipa sagt«, bot Russell an, »dass sie sich am meisten darüber freuen würde, wenn ein persönlicher Kontakt zu ihr hergestellt werden könnte. Sie sagt, dein Wissen, deine Selbstdisziplin und deine Denkweise machen dich zu einem guten Kandidaten für eine Kommunikation auf direkter Ebene. Du könntest dann Anweisungen von ihr erhalten.«

»Wie soll ich diesen direkten Kontakt herstellen?«

»Sie meint, es wäre ein guter Anfang, wenn du dir jeden Tag auf der erdverhafteten Ebene einen bestimmten Moment Zeit nehmen würdest, um dir kontrollierte Gedankenmuster zurechtzulegen und diese auf sie auszurichten. Jemand, der mit einem Geistführer in Kontakt stehe, verfüge über eine offenere Quelle, die er/sie anzapfen könne, um die eigene Bestimmung zu lenken. Dies würde auch neue Möglichkeiten für eine Gefährtin schaffen, und sie sagt, diesbezüglich gebe es in deinem Leben viel Instabilität.«

Diese Worte trafen mich wie ein Stich, da ich seit Langem Schwierigkeiten hatte, romantische Beziehungen aufrechtzuerhalten. Ich hatte gerade erst die Existenz meiner Geistführerin zur Kenntnis genommen, und schon deckte diese meinen höchstpersönliche Sorgenquell auf. (Untergrub dieser Schwachpunkt bereits mein gemeinsames Leben mit meiner Lebensgefährtin Rachel?!) Ich spekulierte im Stillen darüber, ob Filipa intimes Wissen über meine mitmenschlichen Beziehungen hatte. Zwar glaubte ich, ein paar sehr gute Freunde zu haben, doch vielleicht waren einige meiner Freundschaften brüchiger, als es mir bewusst war. Was auch immer Filipas Worte suggerieren sollten, ihr unmittelbares Erkennen meines Schwachpunktes war gelinde gesagt beunruhigend.

»Sie hat das ungute Gefühl«, fügte Russell hinzu, »sie könnte zu einer Trost spendenden alten Socke werden.«

Mir gefiel diese Bemerkung, und ich bat um Informationen über unsere letzte irdische Beziehung.

»Sie sagt, für sie habe diese in ihrem letzten Vorleben in Griechenland stattgefunden. Du warst ein Mann, sie eine Frau, und du solltest ihr Freier sein. In den Augen der Dorfgemeinschaft habt ihr jedoch beide gegen die Norm verstoßen. So wurdest du aus dem Dorf geschickt und kamst nie mehr zurück. Sie habe das nicht gewollt, die Dorfgemeinschaft sei aber mächtiger als der Einzelne.«

Die Dorfgemeinschaft ist mächtiger als der Einzelne. Dieser Satz war voller Klang und Poesie und beschwor Bilder von Griechenland herauf. Vor 10 Jahren hatte ich den Hauptteil meines ersten Romans über die griechische Insel Siphnos geschrieben. Ich liebte Griechenland, seine Kultur und seine Menschen, und konnte mir leicht vorstellen, in diesem atmosphärisch dichten Land einst inkarniert zu haben. Auf dem Boden in Avivas Wohnzimmer sitzend sog ich die Luft einer vergangenen Ära ein, zog durch trockene Täler und alte Krypten und stellte mir Filipas dunkle Augen und lange schwarze Locken vor.

So wunderbar verführerisch war der Moment, dass ich mit dem Traum eins werden wollte, doch bevor dem Träumer Nachsicht gewährt werden konnte, meldete der Skeptiker in mir lauten Protest an und verlangte nach Beweisen für Filipas Glaubwürdigkeit.

Ob mir Filipa sagen könnte, fragte ich, wann ich in Kanada ankam und woher ich kam?

»Sie sagt, deine Konzeption der Zeit weiche von der ihren ziemlich ab und sie habe, seitdem sie die erdgebundene Ebene verlassen habe, nicht mehr mit der irdischen Zeitdimension gearbeitet. Das sei auch deshalb schwierig, weil es praktisch keinen spontanen Kontakt zwischen ihr und ihrem Schützling gegeben habe. Sie versteht nicht, was du mit ›nach Kanada kommen‹ meinst, und sagt, du wärst auf der erdgebundenen Ebene geboren und habest diese in diesem Leben nicht verlassen. Was meinst du mit ›Kanada‹?«

Ich fand Filipas Mangel an geografischem Wissen charmant. Schließlich hatte sie seit über 200 Jahren nicht mehr auf der Erde gelebt, und da war ihre Unkenntnis von Kanada durchaus verständlich.

»Sie fragt«, erkundigte sich Russell, »ob dieser Ort bekannt war, als sie sich das letzte Mal auf der erdgebundenen Ebene befand.«

»Nein«, gab ich zu. »Das ist ein interessanter Punkt, denn Kanada wurde erst 1867 zu einer Nation.«

»Sie sagt, sie habe die erdgebundene Ebene viele Jahre vor diesem Zeitpunkt verlassen. Außerdem sei es an kleinen Orten wie Theros, wo du und sie lebten, schwierig gewesen, von der Außenwelt zu erfahren. Informationen bekam man nur von Menschen, die durch das Dorf reisten, und das war normalerweise der Fall, wenn sie auf dem Weg vom Schwarzen Meer zu größeren Zentren waren.«

»Theros? Dort haben wir eine Weile zusammen verbracht?«

»Theros.«

»Ist das eine Insel? Oder der Name einer Gemeinde?«

»Das ist ein Dorf. Es ist, sagt sie, nur 5 Tage zu Fuß vom Schwarzen Meer entfernt.«

Natürlich, überlegte ich, maßen Bauern im 18. Jahrhundert Reisen immer in Gehzeit. Wieder war ich drauf und dran, den Bildern zu folgen, die mir in den Kopf kamen. Doch der Skeptiker in mir hatte für solche ungestümen romantischen Streifzüge in die alte Welt keine Geduld. Zunächst musste ich sicherstellen, ob Russell und Filipa tatsächlich die Personen waren, die zu sein sie vorgaben. Ohne zu wissen, wie ich es anstellen sollte, drängte ich Russell zu einer derartigen Versicherung. Seine Antwort war herzlich und rücksichtsvoll.

»Wenn du dir eine erdgebundene Bestätigung deiner Führer wünschst, dann ist die Art und Weise, wie du Filipa befragst, meiner Meinung nach der richtige Weg. Ich fürchte nur, dass das arme Mädchen in diesem Stadium ein wenig nervös ist. Sie ist eine erregbare junge Dame, und du hast bei ihr tiefes Interesse geweckt. Ich glaube aber nicht, dass sie ganz verstanden hat, was du sie heute Abend gefragt hast … Ich habe das Gefühl – und ich werde es ihr erklären –, dass du sie darum bittest, einen physischen Beweis für ihre Beziehung zu dir zu liefern … Sie sagt, sie sei immer noch nicht über das hinweg, was man jugendliche Faszination nennen könnte.«

Da ist sie nicht die Einzige, dachte ich, als ich mich in meiner Fantasie im Staub eines abgelegenen griechischen Dorfes tummelte. Ich war so verzaubert, dass ich kaum hörte, wie Roger den gewohnten Vers aufsagte, der Aviva aus dem Trancezustand zurückbrachte. Ich stellte mir geheime Liebschaften mit einer schwarzhaarigen Schönheit vor, durchlebte erneut unseren Verrat und schließlich meine Verzweiflung, als die Dorfältesten mit ihren faltigen Gesichtern und schwarzen Kitteln meine Verbannung anordneten. Die Dorfgemeinschaft ist mächtiger als der Einzelne.

Das wollte ich gerne glauben. Doch meine Jahre als Journalist hatten mich vorsichtig gemacht, und so bekam der leidenschaftslose Beobachter alsbald wieder die Oberhand. Ich wusste, ich durfte nicht zulassen, dass emotionale Schwäche und spirituelles Streben mein Urteil beeinflussten. Nichtanhaftung wurde von spirituellen Meistern als eine Perle von großem Wert betrachtet. Und Nichtanhaftung war genau der Geisteszustand, den ich anstrebte.

Ich rang immer noch mit mir, als Aviva mit den Augen blinzelte und sich mit Rogers Hilfe mühsam in eine aufrechte Position brachte. Sie war eindeutig desorientiert, griff ungeschickt nach ihrer Brille und sank dann mit geschlossenen Augen wieder aufs Sofa. Nachdem sie einige Minuten lang so verharrt hatte, öffnete sie abermals ihre Augen, seufzte und streckte ihre Arme aus. Ich sagte, sie sehe aus wie jemand, der mitten im Tiefschlaf geweckt worden sei.

»In etwa so fühlt es sich an«, erwiderte sie müde. Von Russells englischem Akzent und seiner außerordentlichen Selbstsicherheit keine Spur. Alles, was von ihrem Aufenthalt in einem anderen Bewusstseinszustand übrig blieb, war eine spröde und krächzende Stimme. Als Roger ihr ein großes Glas Wasser brachte, trank sie es in einem Zug aus.

»Man wird sehr durstig«, fuhr sie fort. »Das Zurückkommen ist nicht gerade lustig. Es fühlt sich so an, als würde man sehr schnell aus einem Minenschacht hochgezogen oder als würde ein Alarm losgehen, während ich für die Welt tot bin. Und ich bin für die Welt tot, glaube mir. Wenn mich Roger in einen anderen Zustand versetzt, ist mir das, was ich sage, nicht bewusst. Und auch danach erinnere ich mich an nichts.«

Ein paar stille Minuten vergingen, in denen Aviva sich erholte, bevor sie weitersprach.

»Nun«, fragte sie, »hast du deine Geistführerin getroffen?« Roger und ich lächelten wissend.

»Nun?« Ihre Augen wurden weit vor lauter Neugierde.

»Offensichtlich«, sagte ich, »ist meine Geistführerin eine Griechin, die zuletzt im 18. Jahrhundert auf der Erde war.«

»Griechisch!«, rief Aviva und zündete sich eine Zigarette an. »Und weiter? Es geht hier zu wie bei den Vereinten Nationen, Roger.«

Kapitel 2: Ernsthafte Warnungen

Kapitel 2

Ernsthafte Warnungen

Als ich in dieser heißen Julinacht das Haus von Aviva verließ, fühlte ich mich wie ein Apostel, der sein erstes Wunder erlebt hatte. Ungeachtet der Hitze zitterte ich vor Aufregung. Während ich durch die Wohnsiedlung lief, die sich wie eine Schlange aus roten Ziegeln um sich selbst windet und ihren eigenen Schwanz frisst, kam ich an Menschen vorbei, die in den Hauseingängen herumlungerten und hingebungsvoll an ihren Bierflaschen nuckelten. Wenn sie nur wüssten, dachte ich, wenn sie wüssten, dass nur ein paar Schritte von dem Ort entfernt, an dem sie schnaufend und schwitzend niedergesunken waren, ein Schafzüchter aus der Zeit von Königin Viktoria aufgetaucht war. Von der Ewigkeit berauscht war ich drauf und dran, sie am Unterhemd zu packen und anzuschreien: »Seht ihr denn nicht, dass diese traurige alte Welt nur eine Seite der Medaille darstellt, die wir Leben nennen?«

Vernünftigerweise sparte ich meine Ermahnungen für Rachel auf. Angesichts ihrer Vorliebe für den tibetischen Buddhismus musste sie von Russell und allem, was er zu sagen hatte, fasziniert sein. Und das war sie auch. Auf meine Beschreibung von Filipa reagierte sie allerdings nicht mit Begeisterung, sondern mit finsteren Blicken, die stets Ärger verhießen.

Ich beherzigte die implizite Warnung und zog mich in mein Arbeitszimmer zurück, um über die außergewöhnlichen Ereignisse an diesem Abend nachzudenken. In meinen Gedanken kehrte ich immer wieder zu Filipa zurück und hoffte, das, was Russell gesagt hatte, glauben zu können. Sollten wir tatsächlich ein Liebespaar in Griechenland gewesen sein, dann fragte ich mich, welche anderen Beziehungen wir über die Jahrhunderte hinweg gehabt hatten. Ich fragte mich auch, was sie über mein Leben und Verhalten wissen mochte.

Am nächsten Morgen begann ich mit einem Programm, das ich die nächsten 3 Jahre mehr oder weniger gewissenhaft befolgen sollte. Ich stieg vor dem Frühstück die Treppen zu dem Drehstuhl in meinem Arbeitszimmer hinauf, legte meine Füße auf den Eichenschreibtisch, schloss meine Augen und wünschte mir zutiefst, Filipa würde mit mir kommunizieren. Der Lohn für meine Anstrengungen war eine 15-minütige Geistesabwesenheit, die von Erinnerungsfetzen unterbrochen wurde und von Gedanken über den bevorstehenden Arbeitstag nur so wimmelte. Kurzum, es geschah nichts. Doch die Aussicht, in den Genuss eines Kontaktes mit meiner Geistführerin zu kommen, löste eine erwartungsvolle Unruhe in mir aus. Und so versuchte ich es jeden Morgen von Neuem und sehnte mich nach einem Durchbruch.

Ich hatte keine Zweifel daran, dass eine derartige Kommunikation möglich war. Bei meinen Forschungen zu meinem Buch The Case for Reincarnation stieß ich auf Hinweise zu Geistführern und zu einer nicht-materiellen Existenzebene zwischen den Leben. Die alten Tibeter hatten diesen zeit- und raumlosen Bereich bardo genannt, was wörtlich »zwischen« (bar) und »Insel« (do) heißt. Doch auch andere Kulturen, von den alttestamentarischen Hebräern bis hin zu den Bewohnern der Okinawa-Inseln im Südpazifik, identifizierten und beschrieben eine Dimension, die die Seele zwischen ihren irdischen Existenzen in Empfang nahm und für sie sorgte. Ich stellte sie mir als Himmel vor: als Ozean des Lebens, aus dem wir kamen und in den wir zurückkehrten.

Die metaphysische und biblische Literatur strotzt nur so vor geistigen Führern, Schutzengeln, unsichtbaren Helfern und ähnlichen Wesen, die bestimmten Individuen auf der Erde Wohlwollen entgegenbringen und sich um sie kümmern. Geht man die Geschichtsschreibung durch, so stößt man oft auf Menschen, die eine sie begleitende Präsenz in ihrem täglichen Leben wahrgenommen haben. In jüngerer Zeit erwähnen Leute, die über Nahtod- beziehungsweise außerkörperliche Erlebnisse berichten, häufig über Begegnungen mit einem Geistführer. Dann gibt es noch eine Reihe von Medien, die durch die Zeitalter hinweg direkte Kommunikation mit menschlichen Intelligenzen auf »der anderen Seite« hergestellt haben. Eine von George Gallup Jr. 9 im Jahre 1982 durchgeführte Studie ergab, dass 24 Prozent der US-Amerikaner glauben, es sei möglich, mit den Toten in Kontakt zu treten.

Zwar war ich von den vielen Zeugnissen transdimensionaler Kommunikation fasziniert, war aber einem geistigen Wesen noch nie persönlich begegnet. Ich hatte einen Motorradunfall knapp überlebt, obwohl mein Sturzhelm in zwei Stücke zerbrochen war, und ich wäre fast ertrunken, als mein Segelboot in den haiverseuchten Gewässern vor den Bahamas kenterte. Doch ein Nahtod- beziehungsweise außerkörperliches Erlebnis stand noch aus. Ferner hatte ich noch nie mit Gewissheit eine unsichtbare Präsenz verspürt, die mich auf meinem Lebensweg begleitete. Und auch ein Versuch, meine Reinkarnationsgeschichte zu erkunden, war zum Scheitern verurteilt, da vorbereitende Tests ergaben, dass ich ein schlechter Kandidat für die hypnotische Regression war. Der bisherige Mangel an persönlichem Involviertsein hatte meine naturgegebene Begeisterung gedämpft, als Aviva Neumann mich an diesem schwülen Juliabend zu sich nach Hause einlud, um mit einer Gruppe von Wesenheiten in Kontakt zu treten, die behaupteten, sich im Jenseits zu befinden.

Die Einladung kam unerwartet, kurz nachdem ich von Torontos Radiosender CFRB zur Frage von Beweisen für die Reinkarnation interviewt worden war. Meine kanadische Verlegerin hatte mir einen Hörerbrief von Aviva weitergeleitet, in dem diese beschreibt, wie sie ungewollt zum Sprachrohr für angeblich körperlose Entitäten wurde, die sich selbst als Geistführer bezeichneten. Diese Wesenheiten, so betonte sie, sprachen auch laut und deutlich über Reinkarnation. Ja, sie behaupteten, sich in einem körperlosen Zustand zwischen ihren Leben zu befinden.

Der Ton von Avivas Brief versicherte mir, dass sie kein New-Age-Groupie mit metaphysischen Sternchen in den Augen war. Sie glaubte nur an Wissenschaften, die sich mit der physischen Realität befassten, arbeitete als Labortechnikerin und hatte sich über parapsychologische Phänomene stets lustig gemacht. Es machte ihr ziemlich zu schaffen, ein Kanal für andere Wesen zu sein, und sie hatte mir geschrieben, weil sie nach einer rationalen Erklärung für diese irrationale Wende in ihrem Leben suchte. »Ich bin ein normaler Mensch mit normalen Interessen«, erklärte sie mir, »und ich möchte nicht als Kandidatin für eine psychiatrische Abteilung betrachtet werden.«

Aviva schloss ihren Brief mit einer formellen Einladung. »Wenn Sie das nächste Mal in Kanada sind«, schrieb sie, »könnten Sie an einer Sitzung in meinem Haus teilnehmen und dieses Phänomen selbst erleben«. Sie wusste nicht, dass ich, obwohl ich einen englischen Akzent habe, nur ein paar Kilometer von ihrem Haus in Parkdale entfernt wohnte. Als ich sie anrief, um ihr Angebot anzunehmen, und ihr dies offenbarte, war sie überrascht und atmete auf.

Im Laufe meines ersten Besuches erfuhr ich, dass Aviva an einer lebensbedrohlichen Krankheit, chronischer myeloischer Leukämie, litt. Als Roger Belancourt, ein Nachbar, Freund und Teilzeithypnotiseur, 2 Jahre zuvor Kenntnis von ihrer Krankheit erhielt, bot er sofort an, Aviva beziehungsweise ihrem Unterbewusstsein unter Hypnose medizinische Alternativen zu suggerieren. Aviva hatte von Hypnose keine Ahnung und dachte, sie könne es ja einmal versuchen. Also bereitete sie, begleitet von Roger und ihrem Arzt, neun sorgfältig formulierte Anweisungen vor, die ihr während eines Trancezustands erteilt werden würden. Sie reichten von »Dein Knochenmark wird sofort damit beginnen, die zusätzlichen von deinem Körper benötigten roten Blutkörperchen zu produzieren« bis hin zu »Die Überproduktion meiner myeloischen Leukozyten wird jetzt eingestellt«.

Glücklicherweise erwies sich Aviva von Anbeginn an als vorzügliches Hypnosesubjekt. Die vorbereitenden Eignungstests bestand sie ohne Schwierigkeit, und bald wurde sie wiederholt in Trance versetzt. Sobald dies beliebig oft gelang, trafen sie und Roger sich zweimal in der Woche, damit Roger seiner schlummernden Patientin jede medizinische Suggestion sechsmal vorsagen konnte.

Innerhalb einiger Monate wurde deutlich, dass die »Hexensprüche«, wie Aviva die Suggestionen nannte, die Leukämie unter Kontrolle zu bringen halfen. Dass Aviva phasenweise unter Müdigkeit und plötzlichen Anfällen unerträglicher Schmerzen litt, konnten sie nicht verhindern, ebenso wenig die Tendenz ihres ohnehin schon leichten Körperbaus, noch leichter zu werden. Doch die eindringlichen Anweisungen an ihr Unterbewusstsein waren offensichtlich in der Lage, stundenlange Übelkeit und Schmerzen zu beseitigen, die Gelenkentzündung zu reduzieren und eine schwerwiegende Verschlechterung ihres Zustands abzuwenden. Zufrieden, die primären Ziele erreicht zu haben, begann Roger damit, hypnotische Experimente zu der Frage durchzuführen, wie das lästige Rezitieren umgangen werden könnte. Obwohl Aviva nur wenig Interesse an diesen Experimenten hatte, erklärte sie sich bereit, mitzumachen. Sie gaben ihr eine Möglichkeit, Roger für seine Fürsorge und seinen Einsatz zu belohnen.

Mit der Sorgfalt und Nüchternheit eines Schulmeisters, der die Gesetze der Physik erläutert, erzählte mir Roger, wie die Entwicklung seiner Hypnosetechnik schließlich in der Kommunikation mit »Geistführern« mündete. Aviva saß indessen auf dem Sofa, rauchte eine Zigarette nach der anderen und grinste immer wieder, als ob sie sagen wolle: »Frag mich nicht, worum es hier geht!«

Aviva lehnte jedwede Verantwortung für die geheimnisvollen Stimmen ab. »Ich wollte nur hypnotische medizinische Suggestionen, um meinem Geist bei der Bekämpfung der Leukämie zu helfen«, sagte sie, »das war alles! Doch eins führte zum anderen, und nun sprechen diese Entitäten durch mich. Ich weiß nicht, wer oder was sie sind. Und das ist mir auch egal. Aber nach dem zu schließen, was Roger mir erzählt hat, scheinen sie zu wissen, was in meinem Körper vor sich geht und tun ihr Bestes für mich. Dennoch habe ich nie an die sogenannte parapsychologische Welt geglaubt und nie eine parapsychologische Botschaft erhalten, die sich bewahrheitet hätte. Ich glaube, Astrologie ist absoluter Schwachsinn, und ich habe keine Zeit für übernatürliche Sachen. Du brauchst dir nur meine Bibliothek anzusehen …«

Ich drehte mich zu dem Bücherregal hinter mir um und sah, dass es voller Werke von Karl Marx und Wladimir Iljitsch Lenin war.

»Ich glaube, das zeigt dir, wo ich stehe«, sagte Aviva, »jedenfalls nicht in einer Larifariwelt zwischen irgendwelchen Inkarnationen!«

Aviva mag nicht an den bardo geglaubt haben, doch kulturell und klinisch gab es keinen Zweifel an seiner Existenz. Tatsächlich nährte Avivas Skepsis bei mir die Tendenz, das erstaunliche Phänomen, an welchem sie einen zentralen Anteil hatte, zu akzeptieren. Sie schien sich nicht bewusst zu sein, welche Tragweite ihre »Schläfchen«, wie sie sie nannte, für die Menschheit hatten. Während Wissenschaftler in der ganzen Welt Millionen von Dollar für eine ergebnislose Suche nach Außerirdischen ausgaben, lieh hier – in einem gewöhnlichen städtischen Wohnzimmer, für das man kein Eintrittsgeld zu bezahlen hatte – eine zynische 42-jährige Mutter dreier Kinder desinkarnierten Menschen ihre Stimme, die beteuerten, dass wir nicht wirklich sterben, wenn wir durch die Tür des Todes gehen. Und dass wir nie wirklich allein sind.

Je mehr ich über die Geistführer nachdachte, desto mehr kam der Gedanke in mir auf, ein Buch über desinkarnierte Wesen zu schreiben. Ich sah mich schon Interviews mit vielen verschiedenen spirituellen Mentoren führen, die via Hypnose mit Medien sprachen, und so neues Wissen über das Leben in der nächsten Dimension sammeln. Ich könnte mit Russell beginnen. Er müsste am besten wissen, wie man vorgeht.

* * *

Ich beugte mich über Avivas leichenhafte Gestalt. Roger saß in seiner gewohnten Position, seine Hände lagen gefaltet auf der Rückenlehne des Sofas. Avivas Tagesbewusstsein war wie ausgelöscht, während Russell alles unter Kontrolle hatte und voller Selbstvertrauen Silbe für Silbe in seinem makellosen Englisch rezitierte. Seine Selbstsicherheit machte mich nervös.

»Glaubst du«, erkundigte ich mich, »es wäre eine gute Idee, wenn ich ein Buch über Geistführer schriebe?«

»Im Augenblick nicht«, antwortete Russell abrupt, »es fehlt dir noch an Wissen.«

»Ich meinte, mit den Recherchen zu einem Buch zu beginnen.«

»Wenn du Recherchen – also gründliche Recherchen – anstellst, ohne irgendetwas als selbstverständlich hinzunehmen, und wenn du, sobald du mit deinen Recherchen zufrieden bist, deine eigenen Recherchen infrage stellst, dann ja. Angesichts der Art von Arbeit, in die du involviert bist, könnte das für dich eine gute Idee sein. Allerdings würde ich sagen, dass du damit wahrscheinlich gefährlichen Boden betrittst … Solange du nicht aufhörst, dir Fragen zu stellen, solange du selbst weiterkommst und das Fortkommen der Geistführer nicht beeinträchtigst, könnte das tatsächlich sinnvoll sein. Doch …«

Ich erkannte an Russells Stimme, dass eine Warnung bevorstand. »… ich möchte dich darauf hinweisen, nichts für bare Münze zu nehmen. Wenn man etwas gutgläubig hinnimmt oder für das hält, was man bare Münze nennen könnte, dann ist es vielleicht ein bisschen, na ja, wertlos.«

»Meinst du, ich sollte an verschiedene Menschen herantreten, die behaupten, in Kontakt mit ihren Geistführern zu stehen, um klarzustellen, was genau die Rolle eines Geistführers ist?«

»Vielleicht musst du zuallererst klären, ob ein Geistführer wirklich ein Geistführer ist oder nur einer, der so tut als ob und folglich gar keiner ist.«

Natürlich wollte ich wissen, wie man den einen von dem anderen unterscheidet. »Du wirst feststellen, dass du dort, wo Geister nur ihren Schabernack mit dir treiben beziehungsweise Fakes sind, mehr Seelen, mehr Überzeugung und mehr Akzeptanz findest, die nicht hinterfragt werden. Wenn du beide nicht schnell und deutlich voneinander unterscheiden kannst, könntest du in eine Situation geraten, die eine Art Seelenfalle ist. Du bist ein sehr intelligenter Mensch und hast eine gute Wahl getroffen, aber ich muss dich warnen … Selbst die Intelligentesten unter uns haben sich schon in Seelenfallen verfangen und werden es wieder tun.«

Ich fragte Russell nach Ratschlägen, wie man ein solches Schicksal vermeiden könne, denn das klang ganz schön übel. Er antwortete mir, indem er mich noch strenger als zuvor ermahnte, meine Nachforschungen mit einer äußerst kritischen Haltung und Unmengen scharfsinniger Fragen durchzuführen.

»Wenn du vorhast, dich weiterhin auf dieses Arbeitsfeld einzulassen, musst du eine wohlbedachte Portion Skepsis mitbringen, eine Menge Wissen und eine Riesenmenge präziser Fragen, die das, was reell ist, von dem trennen, was im Wesentlichen nur Glauben und Mystizismus zuzuschreiben und definitiv falsch ist. Nimm nichts für bare Münze. Frage! Frage ständig weiter! Und wenn du keine befriedigenden Antworten erhältst, frage erneut.«

Russell hielt inne. Als er dann weitersprach, war seine Stimme weicher und verständnisvoller.

»Du kannst und wirst bei dieser Arbeit einige Federn lassen. Aber Filipa sagt, dies sei bereits zuvor der Fall gewesen und werde sich wiederholen. Du hast mit deiner Arbeit schon früher Wahrnehmungen verändert. Schreiben hat eine große Macht.«

»Hast du eine Ahnung«, fragte ich, »wie lange ich für eine gründliche Arbeit an einem Buch über Geistführer brauchen würde?«

»Ich würde sagen, fünfzehn bis zwanzig Leben …«

Diese Worte machten mich fassungslos. Doch zum Glück hatte Russell noch mehr zu sagen.

»Ich verstehe natürlich, dass du den Wunsch hast, dieses Vorhaben in einem einzigen Leben zu Ende zu bringen, und dass du den Wunsch hast, es so zu tun, dass du danach noch weiteren Möglichkeiten nachgehen kannst … Da hättest du ganz schön viel vor. Es ist aber nicht unmöglich. Wenn du Material zu Geistführern recherchieren möchtest, musst du professionell und gründlich vorgehen. Wenn du nämlich selbst die erdgebundene Ebene verlässt und zum Geistführer wirst, wirst du dieses Wissen mit dir nehmen, aber ebenso erkennen, auf welchen Gebieten du vielleicht Fehler gemacht hast …«

Mit der ausgesprochenen Strenge, die ihm zu eigen war, fügte Russell hinzu, dass er meine Idee gut finde. Ich ging davon aus, dass Filipa und er bereit waren, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um mir zu helfen. Ich mochte Russell, denn mein Instinkt sagte mir, dass sich ein Herz aus Gold hinter all der Wortgewalt verbarg. Eigentlich wollte ich ja mit Filipa, meiner Geistführerin, ins Gespräch kommen, doch ich konnte nur abwarten. Russell hatte sich nach eigenen Angaben ein ganzes Jahr lang darauf vorbereitet, über Avivas Stimmorgane zu sprechen, und seine Anstrengungen offensichtlich in irdischer Zeit gemessen. Andererseits hatte Rogers Geistführerin – eine Niederländerin namens Hanni – innerhalb von ein paar Wochen gesprochen. Ich hoffte ernsthaft, dass Filipa in der Lage sein würde, an Hannis stimmliche Geschicklichkeit heranzukommen.

Als Aviva aus ihrer Trance erwachte, rieb sie sich die Augen, griff nach ihrer Brille, leerte zwei Becher Wasser und stimmte widerwillig zu, sich eine Bandaufnahme der Sitzung anzuhören. Als sie hörte, dass Russell das Wort »Schnelligkeit« verwendete, konnte sie sich nicht mehr halten.

»Schnelligkeit?«, äffte Aviva den englischen Akzent ihres Geistführers mehr schlecht als recht nach. »Schnelligkeit? Ich verwende dieses Wort nie. Was soll das heißen?«

Kapitel 3: Der erste Kontakt

Kapitel 3

Der erste Kontakt

Als wir uns im Juli 1984 kennenlernten, war Roger Belancourt 52 Jahre alt und beschäftigte sich seit Langem mit okkulten Alternativen zu den etablierten Religionen. Neben seinen beruflichen Tätigkeiten, die von der Herstellung von Werkzeug bis zum Verkauf von Kfz-Chemikalien reichten, hatte er dem autodidaktischen Studium der geistigen Welt viel Zeit gewidmet. Dieses Studium hatte ihn zu parapsychologischen Texten geführt, von diesen zu Bewusstseinsentwicklungskursen, zur spiritualistischen Kirche und weiter zu Gruppen, die sich der Selbstverwirklichung und Erleuchtung widmeten. Daneben hatte er mehr als 16 Jahre lang Hypnose praktiziert und mit Ärzten, Zahnärzten, Psychiatern und Psychologen zusammengearbeitet, um Menschen zu helfen, sich von Problemen wie Depression, Obesität und Nikotinsucht zu befreien.

In den frühen 1970er-Jahren kam Roger zu der Überzeugung, dass ihn eine nicht-materielle menschliche Präsenz begleitete. Dieses Bewusstsein dämmerte herauf, als er sich im automatischen Schreiben versuchte und folgende Botschaft herauskam: »Ich heiße Jai-Lin. Ich bin dein Geistführer. Ich war ein tibetischer Lama und bin stets bei dir.« Da Roger glaubte, diese Worte seien eine Erfindung seines eigenen Geistes, verzichtete er unverzüglich auf das automatische Schreiben. Doch ein paar Wochen später kamen ihm während einer Aura-Balance-Sitzung Zweifel an seiner Entscheidung, denn der Behandler fragte ihn: »Wissen Sie, dass ein großer orientalischer Mann in Mönchskleidung bei Ihnen ist?«

Nach einem kurzen Flirt mit dem Glauben, dies könne wahr sein, kehrte die Skepsis zurück. Doch nicht für lange. Roger hatte sich gerade bei einem Bewusstseinsentwicklungskurs angemeldet und meditierte mit anderen in einem Unterrichtsraum, als er zu seiner Überraschung spürte, wie ihn jemand grob an der linken Schulter packte und schüttelte. »Das hat natürlich meine Konzentration gestört«, erzählte er. »Ich sah mich also um, doch da war niemand. Als der Kurs zu Ende war, kam der Leiter zu mir rüber und fragte, ob ich wüsste, was geschehen war. Er habe gesehen, wie eine große Hand, die offensichtlich einem Mann in einem langen orientalischen Gewand gehörte, mich an der Schulter packte und mich schüttelte. Von diesem Zeitpunkt an akzeptierte ich, dass ich einen Geistführer hatte und dass dieser irgendein Mönch beziehungsweise Lama war.«

Lange bevor der Kontakt mit den Geistführern zustande kam, stellte Roger beim Erforschen des Zustands von Avivas Unbewusstem fest, dass er die Suggestivkraft hypnotischer Sätze auf ihren Gesundheitszustand so regulieren konnte, dass diese langsame, schlafwandlerische, einsilbige Antworten hervorriefen. Er fand auch heraus, dass Avivas Unterbewusstsein – in der dritten Person – Informationen lieferte, die auf ihre Erfahrungen in früheren Leben zurückzugehen schienen. So erzählte sie Einzelheiten aus ihrem letzten Leben als tschechischer Jugendlicher namens Stanislaw, der während der deutschen Okkupation der Tschechoslowakei im Zweiten Weltkrieg gelebt hatte, von der Schule genommen und in Arbeitslagern eingesetzt worden war. Am Ende des Krieges wurde Stanislav hingerichtet und mit zwanzig anderen in eine Grube geworfen.

Dieselbe ausdruckslose Stimme, die Stanislaws Geschichte erzählt hatte, schilderte ein Leben als Bäuerin namens Svetlana, die zur Zeit der russischen Revolution lebte, eine kurze Existenz als Säugling im Punjab, das vor seinem ersten Geburtstag 1802 an Unterernährung starb, und eine Inkarnation als Sybil Handley, einer englischen Schneiderin, die 1741 in London geboren wurde, dreizehn Kinder zur Welt brachte und 1796 an Tuberkulose starb.

Mit der Zeit war Roger in der Lage, seiner Testperson gezielt Erinnerungen an vergangene Leben zu entlocken. So brachte Aviva als Stanislaw auf entsprechende Anfrage überprüfbare tschechische Wörter und Sätze hervor. Derartige hypnotische Leistungen, die heute üblicher sind als je zuvor, haben eine lange und bewegte Geschichte.

Die Hypnose wurde im alten Ägypten und Griechenland praktiziert und im späten 18. Jahrhundert von dem österreichischen Arzt Franz Anton Mesmer 10 wiederentdeckt, der seinen Namen der Kunst des Mesmerismus verlieh, die auch als animalischer Magnetismus bekannt ist. Mesmer, der nicht den Versuch unternahm, seine Patienten in vorgeburtliche Gefilde zu versetzen, rief den Trancezustand dadurch hervor, dass er mit seinen Händen Quer- und Längsbewegungen durchführte. Eine ähnliche Technik wandte auch der Franzose Oberst Albert de Rochas 11 an, der gegen Ende des letzten Jahrhunderts der erste moderne Praktiker der Rückführung in frühere Leben war. In seinen radikalen Experimenten versuchte Rochas vergebens, das zu erreichen, was viele Therapeuten heute zu ihrer Routine zählen: bei hypnotisierten Subjekten präzise Informationen aus früheren Leben abzurufen, die durch historische Fakten gestützt werden können.

Trotz zahlreicher Forschungsarbeiten über den Trancezustand gibt es keine einheitliche klinische Meinung über das Wesen der Hypnose. Zu diesem kaum verstandenen Bereich des Unbewussten scheint es unendlich viele Zugänge beziehungsweise Zugriffe zu geben, und die Tiefe der Trance kann von Subjekt zu Subjekt stark variieren. An einem bewusstlosen Subjekt in tiefer Trance ist es möglich, ohne Hilfe von Anästhesie Operationen durchzuführen, was die Realität dieses veränderten Zustands bestätigt.

Roger machte sich selbst ein Bild, indem er Woche um Woche beobachtete, wie Aviva progressiv in den Schlummerzustand abdriftete und aus der Ferne auf seine Fragen antwortete. In dem Bestreben, das langwierige Gerede abzuschaffen, das Aviva in Hypnose versetzte, und den Prozess zu beschleunigen, setzte er das Schlüsselwort »entspann dich« ein. Zwar versetzte sie dieses eine Wort wie ein Wunder in einen Zustand der Bewusstlosigkeit, doch es barg auch Gefahren. Zweimal hatte Roger dieses Wort versehentlich verwendet und alsbald bemerkt, dass es dringenden Handlungsbedarf gab und er sein in Ohnmacht fallendes Subjekt rasch wieder wachrütteln musste. Einer dieser beiden schwerwiegenden Fehler passierte während eines Telefongesprächs, als Roger aus Verwirrung über das Schweigen seiner Freundin korrigierende Anweisungen in den Telefonhörer zu schreien begann! Als sie wieder bei Bewusstsein war, sagte Aviva wütend, man habe sie versehentlich in Trance versetzt, und wenn sie geraucht hätte, hätte ein verheerendes Feuer ausbrechen können. Aus Protest ließ sie die Sitzungen einstellen.

Ein paar Wochen später schlug Roger vor, das Schlüsselwort zu einem Schlüsselsatz zu erweitern, und die Sitzungen wurden wieder aufgenommen. Diese Entwicklung diente nicht nur als Schutz vor einer unerwünschten Lähmung durch die Hypnose, sondern auch dazu, die Trancehorizonte zu erweitern. Roger fand heraus, dass er durch das Wiederholen des Schlüsselsatzes eine tiefere Bewusstseinsschicht von Aviva erreichen konnte, die kenntnisreicher und auf eine kreativere Weise lebendig war als das Unterbewusstsein. Er horchte ehrfurchtsvoll auf, als Aviva in Trance intonierte:

Wenn du den Schlüsselsatz immer wieder aufsagst, verändert dies den Bewusstseinszustand und erlaubt es dem bewussten Anteil des Geistes, zu gehen. Doch das andere Bewusstsein, das du dadurch induziert hat, gehört derselben Person an, mit der du bisher zu tun hattest. Nur ist der bewusste Anteil des Geistes eine Zeit lang fort, und dies setzt Informationen aus anderen Quellen frei.

Offenbar hatte sich Roger mit einer anderen Bewusstseinsebene – einem Alter-Bewusstsein 12  – verkabelt. Zuerst verwirrte ihn diese Entwicklung, doch dann entdeckte er, dass es eine Vielzahl weiterer Bewusstseinszustände gab, von denen jeder eine eigene Stimme hatte. Er konnte nach Belieben mit dem separaten Bewusstsein eines jeden Körperorgans und eines jeden Aspektes von Aviva kommunizieren – von den Lungen bis zur Leber, von ihrem Gesundheitszustand bis zu ihrem Humor. Er musste lediglich den körperlichen oder abstrakten Aspekt auswählen, mit dem er sprechen wollte – in etwa so, wie man eine Computerdatei aufruft. War Roger unsicher, wo er das Gesuchte finden konnte, wurde die Verbindung durch eine Zwei-Schritt-Verifizierung hergestellt. Nach einer ersten Erkundigung fragte Aviva nach: »Mit wem möchtest du sprechen?« Und Roger erwiderte: »Mit demjenigen, der die Frage beantworten kann.«

Die Antworten waren objektiv, explizit und überaus hilfreich, um die Entwicklung von Avivas Gesundheitszustand zu überwachen. So informierte das Alter-Bewusstsein ihres Blutes Roger darüber, dass auf den medizinischen Rat hin, für mehr rote Blutkörperchen zu sorgen, deren Anzahl erheblich gestiegen war, was die Laborberichte beim nächsten Krankenhausbesuch von Aviva bestätigten.

Die Reichweite des Alter-Bewusstseins erwies sich als äußerst umfassend. Es konnte sowohl im Geist als auch im Körper lesen und faszinierende Ausführungen über eine große Spannbreite an Themen machen, die mit dieser Welt und der nächsten zu tun hatten. Außerdem redete es auch gerne über sich selbst. So ließ Aviva in Trance grundsätzlich verlauten:

… das alternative Bewusstsein ist sich nicht nur der physischen Ebene der Erde bewusst, sondern auch weiterer Ebenen. … Es unterliegt nicht den Zeit- und Raummaßstäben eurer erdgebundenen Ebene, sondern nur den Maßgaben, die innerhalb des Geistes selbst gelten. Sie sind für immer gültig. Wenn der Körper verschwunden ist, hört der Geist nicht auf … der bewusste Geist wird heruntergedimmt und dann abgeschaltet, bis er in einer neuen Entität wiederbelebt werden kann.

Das vernetzte Alter-Bewusstsein stellte sich bald als unendlich reichhaltige Wissensquelle heraus. Sowohl Roger als auch Helen Fields, eine neue Freundin von Aviva, die die Verantwortung für die Transkription der in jeder Sitzung aufgenommenen Bänder übernahm, sehnten sich immer mehr nach Gelegenheiten, mit »der anderen Aviva« zu sprechen, die das aktuelle menschliche Dasein in eine außergewöhnliche Perspektive rückte. Denn die in Trance versetzte Aviva machte Autorität heischende Ausführungen über »die wirkliche Welt« der nicht-materiellen Ebenen, das Wesen des erdgebundenen Daseins, die Reinkarnation, die Struktur des Geistes und die Funktionen des Ichs und der Persönlichkeit, um nur ein paar Themen zu nennen.

Das Ziel der Reinkarnation, so wurde Roger und Helen bedeutet, war die »Weiterentwicklung« – diese Aussage sollte in den nächsten Jahren unzählige Male wiederholt werden. Als sie um eine Definition von Weiterentwicklung baten, wurde ihnen gesagt: »Sich weiterentwickeln heißt, sich selbst zu verstehen.«

Am spannendsten waren wohl die Unterscheidungskriterien zwischen Seele und Entität. Roger und Helen wurde versichert, sie seien Entitäten und als solche von dem breiten Strom der Menschheit zu unterscheiden, der aus Seelen bestünde. Neue Seelen und Entitäten, so hieß es, würden unwissentlich durch die Gedanken und das Verhalten inkarnierter Entitäten ins Dasein gerufen. Folglich seien ausschließlich Entitäten in der Lage, unbewusst jene nicht-materielle Essenz zu generieren, die eine notwendige Vorbereitung für die Inkarnation zukünftiger Menschen sei. Entitäten würden aus dem Wissen heraus geschaffen, Seelen aus Verlangen geboren.

Ich muss gestehen, dass ich die Vorstellung zweier Menschheitsströme zwiespältig und schwer verständlich fand. Aus der Metaphysik ist die esoterische Auffassung, dass Gedanken Energie sind, jedoch geläufig. Offenbar entlädt jeder Gedanke, den man hat, Energie in den kosmischen Fluss, wobei das Wesen der Gedanken das Wesen der weitergegebenen Energie bestimmt. Das Seele-Entität-Konzept konsolidierte diese Sicht auf die Wirkkraft von Gedanken und entwickelte sie weiter. Überdies schürte sie unter den in Avivas Wohnzimmer versammelten »Entitäten« ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber den Massen von Seelen innerhalb der Gesellschaft.

Doch zunächst waren Roger und Helen irritiert darüber, dass das Alter-Bewusstsein standfest behauptete, sie seien in der Lage, sich ohne jedwedes Bewusstsein fortzupflanzen. Ich habe meine Aversion gegen diese merkwürdige Art des Gebärens nie überwunden, denn allein schon zu erfahren, dass man eine Seele erschafft, fand ich außerordentlich beunruhigend. Dies bedeutete ja, dass ein bestimmtes Verlangen – angefangen von dem Wunsch, anderen zu helfen, bis hin zur Sex- oder Alkoholsucht – nur weit genug Fuß zu fassen brauchte, um ein oftmals unerwünschtes embryonales »Geist-Kind« zu bilden, eine körperlose Präsenz, die sich nach einem irdischen Körper sehnte. Während die Erschaffung von Seelen relativ häufig vorkam, sollte nur selten jemand in die Erschaffung einer Entität involviert sein, weil Verlangen und Begierde weitaus stärker verbreitet waren als Wissen.

Roger und Helen erfuhren zuerst vom Alter-Bewusstsein und später von den Geistführern, wie unterschiedlich Seelen und Entitäten dachten und sich verhielten, da sie aus anderem Holz geschnitzt und ihre geistigen Strukturen völlig verschieden waren. Dieser Unterschied konnte zu Konflikten führen und war mitverantwortlich für das Entstehen von Kriegen sowie für Unzufriedenheit und Disharmonie in Ehen und Partnerschaften. Nach dem Tod, hieß es, begäben sich die Seelen auf eine immaterielle Existenzebene, die von der Welt der desinkarnierten Entitäten getrennt sei. Wenn sie es wünschten, konnten sich Seelen jedoch in einer Übergangszeit von mehreren Lebenszeiten, die der Weiterentwicklung gewidmet waren, in Entitäten verwandeln.

Entitäten neigten dazu, Einzelgänger und Individualisten zu sein, wohingegen Seelen – die zielstrebiger, doch weniger einflussreich als Entitäten waren – sich lieber in Kollektiven wie Kirchengemeinden und Sportgruppen zusammenschlossen. Obwohl die Entitäten die überlegene Spezies zu sein schienen, konnten weder sie noch die Seelen dies für sich beanspruchen. Sie unterschieden sich einfach nur so voneinander, wie es Männer und Frauen tun.

Während Aviva keine bewusste Erinnerung daran hatte, wo sie während des Trancezustands gewesen war beziehungsweise was sie getan hatte, bestand ihr Alter-Bewusstsein darauf, dass sie die Pause von der physischen Existenz sehr genoss. In der Tat würde Aviva viel lieber außerhalb ihres Körpers bleiben dürfen …