Der sterbende Sherlock Holmes und andere Detektivgeschichten - Arthur Conan Doyle - E-Book

Der sterbende Sherlock Holmes und andere Detektivgeschichten E-Book

Arthur Conan Doyle

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Beschreibung

Sherlock Holmes ist eine vom britischen Schriftsteller Sir Arthur Conan Doyle geschaffene Kunstfigur, die in seinen zur Zeit des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts spielenden Romanen als Detektiv tätig ist.Besondere Bedeutung für die Kriminalliteratur erlangte Holmes durch seine neuartige forensische Arbeitsmethode, die ausschließlich auf detailgenauer Beobachtung und nüchterner Schlussfolgerung beruht. Er gilt bis heute weithin als Symbol des erfolgreichen analytisch-rationalen Denkens und als Stereotyp des Privatdetektivs.

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Arthur Conan Doyle

Der sterbende Sherlock Holmes und andere Detektivgeschichten

Ein für allemal

Wer ist eigentlich Doktor Watson, der dies alles berichtet? Sherlock Holmes' getreuer Schatten – und weiter nichts? Nein – vielmehr sein lebendiger Spiegel, sein erster Zuschauer – und damit zugleich schon sein erster Teilnehmer und Bewunderer, sein getreuer Chronist, Stellvertreter des Autors und Sprecher seines Leserchors ... Und Holmes selbst – was ist mit ihm?

Zunächst einmal, was er nicht ist: Er ist kein kriminalistischer Geheimzauberer, der niemand einen Einblick in die Werkstatt seines Geistes gibt, kein selbstgefälliger Meisterdetektiv, der von der Höhe seiner Kunst verächtlich und verschlossen auf die unwissenden Laien herabsieht – nein, er ist – wenigstens im allgemeinen – eine durchaus gesellige Natur, offenherzig und gern geneigt, von seinem Wissen abzugeben, Lehrer und Vorbild wahrer Beobachtungskunst, Vorkämpfer des gesunden Menschenverstandes. So betrachtet ist Sherlock Holmes geradezu ein Erzieher zur Wachsamkeit, und Doktor Watson sein erster Schüler.

Ein Zufall hat die beiden zur Wohn- und Lebensgemeinschaft zusammengeführt. Doktor Watsons eigene Gesundheit ist durch seine Tätigkeit als Militärarzt im afghanischen Feldzug angegriffen. Er bekommt einen dauernden Heimaturlaub und sucht eine Wohnung, die er auf Empfehlung eines Freundes hin mit Sherlock Holmes gemeinsam bezieht. Damit wird ein Freundschaftsbund geschlossen, der nach Watsons Verheiratung auch die frühere Hausgemeinschaft überdauert. Der wissenschaftliche und ethische Ernst, mit dem Sherlock Holmes, der Geheimdetektiv aus echter Neigung, das freiwillig erkorene Handwerk im Dienste der menschlichen Gesellschaft betreibt, sein fester Wille, das Verbrechen rückhaltlos zu bekämpfen, und sein gleichwohl unvermindertes Verständnis für alle menschlichen Fehler und Gebrechen – das alles bindet Watson immer stärker an den Freund. Er gewöhnt sich rasch an die Eigentümlichkeiten des andern, freut sich über seine Musikliebe, die ihn schöpferisch anregt, das Spiel seiner eigenen Gedanken auslöst, ihn zugleich von aller Schwere und allem Ernst seines Handwerks ablenkt. Sherlock Holmes erweist sich als ein stiller Gefährte, mit dem es sich leicht und gut hausen läßt. Er lebt regelmäßig, arbeitet in seinem chemischen Laboratorium oder macht Ausflüge in die Welt der Menschen – und des Verbrechens. Zuweilen scheint seine Tatkraft zu erlöschen, seine sonstige Arbeit weicht einem Hang der Träumerei, der ihn völlig abwesend erscheinen läßt, unfähig, sich aus seiner wohligen Trägheit aufzuraffen. Aber sobald der Ruf des Lebens, die freiwillig übernommene Pflicht an ihn herantritt, ist er wieder ebenso entschlossen und aufgeweckt, wie er vorher träge und verschlafen schien.

So ist auch sein Wissen begrenzt; es gibt viele Dinge, von denen er keine Ahnung zu besitzen scheint, obgleich sie zur Allgemeinbildung gehören. Aber innerhalb seiner Grenzen ist er gut bewandert und weiß von allen seinen Erkenntnissen einen erstaunlich praktischen Gebrauch zu machen, die richtigen Schlüsse aus scheinbar zufälligen Beobachtungen zu ziehen. Er verbindet mit seinem natürlichen Scharfsinn ein systematisches Studium aller Hilfswissenschaften der Kriminalistik.

Nach seiner Ansicht gleicht das menschliche Gehirn von Haus aus einer leeren Dachkammer, die man nach eigener Wahl mit Möbeln und Gerät ausstatten sollte, nicht mit allerlei Gerümpel, das nur den Weg versperrt und zu nichts nützt: »Ein Verständiger gibt wohl acht, was er in seine Hirnkammer einschachtelt. Er beschränkt sich auf die Werkzeuge, deren er bei der Arbeit bedarf, aber von diesen schafft er sich eine große Auswahl an und hält sie in bester Ordnung. Es ist ein Irrtum, wenn man denkt, die kleine Kammer habe dehnbare Wände und könne sich nach Belieben ausweiten. Glauben Sie mir, es kommt eine Zeit, da wir für alles Neuhinzugelernte etwas von dem vergessen, was wir früher gewußt haben. Daher ist es von höchster Wichtigkeit, daß unsere nützlichen Kenntnisse nicht durch unnützen Ballast verdrängt werden.«

So machte sich Doktor Watson denn eines Tages ein Verzeichnis, in dem er die widersprechenden Eigenschaften des rätselhaften Freundes aufführt, um sie zum psychologischen Gesamtbilde zusammenzufügen: Er nennt es:

Geistiger Horizont und Kenntnisse von Sherlock Holmes

Literatur – Mit Unterschied.

Philosophie – Null.

Astronomie – Null.

Politik – Schwach.

Botanik – Mit Unterschied. Wohl bewandert in allen vegetabilischen Giften, Belladonna, Opium und dgl. Eigentliche Pflanzenkunde – Null.

Geologie – Viel praktische Erfahrung, aber nur auf beschränktem Gebiet. Er unterscheidet sämtliche Erdarten auf den ersten Blick. Von Ausgängen zurückgekehrt, weiß er nach Stoff und Farbe der Schmutzflecke auf seinen bespritzten Beinkleidern die Stadtgegend von London anzugeben, aus welcher die Flecke stammen.

Chemie – Sehr gründlich.

Anatomie – Genau, aber unmethodisch.

Kriminalistik – Erstaunlich umfassend. Er scheint alle Einzelheiten jeder Greueltat, die in unserem Jahrhundert verübt worden ist, zu kennen.

Ein guter Violinspieler.

Ein gewandter Boxer und Fechter.

Ein gründlicher Kenner der britischen Gesetze.

Das also ist es, was in einem Lande, das die Bekämpfung des Verbrechens zur Vollendung ausgebildet hat, mit dazu gehört, wenn man es bis zur Meisterschaft bringen will, – auf einem Gebiete, das gewiß ein so guter Sport ist, wie ein anderer – und mehr als ein guter Sport, nämlich eine rechte Lebensaufgabe, die auch der Allgemeinheit nützt.

Und im übrigen – was schreiben Sie da, Herr Doktor Watson: Philosophie – Null? Da sind Sie doch wohl etwas zu streng gegen Ihren Freund und Meister! Gibt es das überhaupt: Ein guter Lehrer, der nicht zugleich ein wahrer Meister ist? Und Sherlock Holmes ist sogar ein rechter Philosoph, ein wahrer Weltweiser. Gewiß – er ist keiner von den Philosophen, die durch die Kraft ihres Geistes ins Übersinnliche emporsteigen, er verliert sich aber auch nicht in Abstraktionen und Spekulationen, sondern findet von seinen allgemeinen Erkenntnissen aus immer rasch zu den Tatsachen und Zusammenhängen des Lebens zurück. Denn er ist ja in Wahrheit ein Mann der praktischen Wissenschaft, der seine Erkenntnis in den Dienst der Erfahrung stellt:

»Das Leben ist eine große, gegliederte Kette von Ursachen und Wirkungen, an einem einzigen Gliede läßt sich das Wesen des Ganzen erkennen. Wie jede andere Wissenschaft, so fordert auch das Studium der richtigen Ableitung und Ausdeutung von Tatorten viel Ausdauer und Geduld; ein kurzes Menschendasein genügt nicht, um es darin zur höchsten Vollkommenheit zu bringen. Der Anfänger wird immer gut tun, ehe er sich an die Lösung hoher geistiger und sittlicher Probleme wagt, welche die größten Schwierigkeiten bieten, sich auf einfachere Aufgaben zu beschränken. Zur Übung möge er zum Beispiel bei der flüchtigen Begegnung mit einem Unbekannten den Versuch machen, auf den ersten Blick die Lebensgeschichte und Berufsart des Menschen zu bestimmen. Das schärft die Beobachtungsgabe, und man lernt dabei richtig sehen und unterscheiden. An den Fingernägeln, dem Rockärmel, den Manschetten, den Stiefeln, den Hosenknien, der Hornhaut an Daumen und Zeigefinger, dem Gesichtsausdruck und vielem andern, läßt sich die tägliche Beschäftigung eines Menschen deutlich erkennen. Daß ein urteilsfähiger Forscher, der die verschiedenen Anzeichen zu vereinigen weiß, nicht zu einem richtigen Schluß gelangen sollte, ist einfach undenkbar.«

Das ist sein Geheimnis – das ganze Geheimnis, das seine Meisterschaft begründet. So wird er zum Lehrmeister, nicht nur für den Freund – nein, auch für uns, die wir seine dankbaren Freunde werden und bleiben. Wir lieben ihn heute noch, wie wir ihn einst geliebt haben – er ist noch immer unverbraucht, noch immer gleich fähig, uns zu sich zu ziehen und festzuhalten. Und das ist der beste Beweis dafür, daß es gut und richtig mit ihm ist, daß er kein Scharlatan ist, wie die vielen, die es ihm gleichtun wollen, er ist ein ehrlicher Bursche, ein anständiger Kerl, mit dem es sich gut hausen läßt und der alle Spiegelfechtereien verabscheut.

Ist es eigentlich ein Wunder, wenn es sehr gescheite und recht gebildete Leute gibt, die freimütig bekennen, daß ihnen die Lektüre eines guten Kriminalromans eine rechte Entspannung und Anregung bedeutet? Und daß ihnen Sherlock Holmes lieber ist als mancher schmachtende Romanheld, den die Mitwelt verhimmelt und die Nachwelt verlacht?

So bleibt auch sein Schöpfer der Meister unter den Kriminalromanschreibern – weil er wirklich ein Dichter ist, weil er mit den einfachsten Mitteln die größten Wirkungen erreicht – ohne allen faulen Zauber, ohne ein Massenaufgebot von Schauerlichkeiten und ohne falsche Verherrlichung des Verbrechens. Sie haben alle von ihm gelernt, seine fingerfertigen Nachahmer und Nachfolger – aber keiner hat ihn erreicht.

Und darum: Zurück zu Sherlock Holmes!

Der sterbende Sherlock Holmes

Frau Hudson, unsere Hauswirtin in der Bakerstraße, war eine geduldige Frau und von großer Langmut. Nicht nur wurde ihr erstes Stockwerk zu allen Stunden des Tages und der Nacht von den zahlreichsten und oft auch zweifelhaftesten Menschen überflutet, sondern ihr Mieter Sherlock Holmes zeigte in seiner Lebensführung eine Unregelmäßigkeit und Absonderlichkeit, die ihre Geduld oft hart auf die Probe gestellt haben muß. Seine unglaubliche Unordentlichkeit, seine Vorliebe, zu den ungewöhnlichsten Stunden »Musik« zu machen, sein gelegentliches Pistolenschießen im Flur, seine qualmigen und oft recht übelriechenden wissenschaftlichen Versuche und schließlich die ganze Atmosphäre von Gefahr und Verbrechen, die ihn umgab, machten ihn sicher zu einem der unbequemsten Mieter in ganz London. Andererseits bezahlte er wie ein Fürst. Ich bezweifle kaum, daß das ganze Haus um den Preis hätte gekauft werden können, den Holmes für seine Zimmer während der Jahre bezahlte, die ich mit ihm zusammen wohnte.

Die Hauswirtin hatte den denkbar größten Respekt vor ihm und wagte nie, Einwendungen zu erheben, mochte das Benehmen meines Freundes auch mehr als nur ungewöhnlich sein. Auf ihre Art liebte sie ihn sogar, denn er war im Verkehr mit Frauen von einer merkwürdigen Höflichkeit und Liebenswürdigkeit. Er verachtete das ganze Geschlecht und mißtraute ihm, aber er war stets ein ritterlicher Gegner.

Da ich wußte, wie sehr mein Freund bei Frau Hudson in Ansehen und Achtung stand, so folgte ich sehr ernsthaft ihrer Erzählung, als sie im zweiten Jahre nach meiner Verheiratung zu mir kam und mir den traurigen Zustand Holmes' offenbarte, in dem er sich seit kurzem befand.

»Er stirbt, Doktor Watson«, sagte sie. »Seit drei Tagen sieht man ihn dahinsiechen, und es scheint mir fraglich, ob er den heutigen Tag überleben wird. Er wollte nicht, daß ich einen Doktor hole, aber heute morgen, als ich sah, wie ihm die Knochen aus dem Gesicht stehen, und er mich mit fiebrigen Augen anstierte, konnte ich es nicht länger aushalten. ›Mit Ihrer Einwilligung oder gegen Ihren Willen, Herr Holmes, geh ich jetzt augenblicklich, einen Arzt rufen‹, sagte ich. ›Dann holen Sie mir wenigstens Watson‹, sagte er. An Ihrer Stelle würde ich keinen Augenblick verweilen, Herr Doktor, wenn Sie ihn noch lebend antreffen wollen.«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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