Der Tandler und der Tod - Eva Reichmann - E-Book

Der Tandler und der Tod E-Book

Eva Reichmann

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  • Herausgeber: Emons Verlag
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Humorvoller Cosy Crime aus der oberösterreichischen Landeshauptstadt. Ein Kriminalroman mit aberwitzigen Wendungen und originellen Figuren. Briefe mit seltsamem Inhalt, schwere Waffen und viel Geld in einer Garage – als Entrümpler Sebastian Tandler bei einem Auftrag in einem Linzer Privatschloss auf die Spuren eines Verbrechens stößt, ist seine Neugier geweckt, und er beginnt Nachforschungen anzustellen. Doch dann gibt es Tote, und der Tandler gerät tiefer in die Sache hinein, als ihm lieb ist. Es hilft nur eins: Er muss den Fall aufklären, um sein eigenes Leben zu retten.

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Seitenzahl: 493

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Eva Reichmann wurde in den 60er Jahren in Salzburg geboren und hat schon als Kind gern Geschichten erzählt und auch viel gelesen. Deshalb studierte sie Literatur und Geschichte in Bielefeld – das hat wahrscheinlich dazu geführt, dass sie Österreich nun mit anderen Augen sieht. Seit 2003 schreibt sie Romane, und in allen spielt Österreich eine Rolle.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig. Ein Glossar findet sich im Kapitel Österreichisch für Nichtösterreicher.

© 2023 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: mauritius images/Pitopia/Erwo

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Julia Lorenzer

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-98707-121-8

Originalausgabe

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Für die echten Stupsers … bleibts so wunderbar, wie ihr seids!

Personen, die eine mehr oder weniger große Rolle spielen:

Otto Sebastian Tandler: neugieriger Entrümpler und Hausratsauflöser mit kriminalistischem Talent. Schon als Kind haben ihm verschlossene Türen oder Geheimnisse arg zugesetzt. Er liebt alte Möbel, Gegenstände und Geschichten. Außerdem geht er gern essen. Er wird auch »Sebo« oder »der Tandler« genannt.

Ierotheos Ropas, Theo: griechischer Immobilienbesitzer mit Import-Export-Erfahrung und zugehörigem großem Möbelwagen. Unterstützt den Tandler tatkräftig beim Hausratauflösen mit seinem Lkw und seinen beiden Söhnen Stefanos (Stef) und Petros. Stammt aus Perdika in Epirus, weshalb er im Urlaub natürlich nach Griechenland fährt.

Verheiratet mit Kalliopi (Popi), die auf der Insel Chios geboren wurde, was die Urlaubsmöglichkeiten in Griechenland gleich noch einmal um eine attraktive Örtlichkeit erweitert.

Popis Kochkünste sind eine Gefahr für die schlanke Linie des Tandlers.

Dorian Berati: stammt nicht aus Berat in Albanien, was der Familienname nahelegen würde, sondern aus Elbasan. Hat mit seiner gesamten weitverzweigten Familie in den späten neunziger Jahren Albanien verlassen. Eigentlich arbeitet er als Dolmetscher und Tourguide, unterstützt den Tandler aber, wenn Theo nicht kann.

Sali, sein Obelix ähnelnder Cousin, hilft tatkräftig mit, auch wenn er sich dazu von seinem Hauptjob (Aushilfe in einem Grill) freinehmen muss – weil: Der Tandler zahlt gut!

Johanna Ramböck: verkauft den Tand und Trödel im Stadl bei Riedl, ist beim Tandler angestellt. Hat mal ein paar Semester Möbeldesign und Innenarchitektur studiert, konnte aber nicht gut genug zeichnen, um das Studium abzuschließen.

Alois Mittermeier: akademisch aussehender Schwager von Frau Ramböck, Züchter und Trainer von gefährlichen Hunden und Besitzer einer größeren Garage hinter Hellmonsödt.

Isis Bruckner: Gesellschafterin von Adriana Zamberk-Tachov. Friert leicht und spricht sehr gut Griechisch.

Antonia Bruckner: Mutter von Isis. Hat seltsame Freunde und eine geheimnisvolle Vergangenheit.

Die Stupsers: wohnen in der Nähe vom Schloss. Flora bäckt und gartelt gern, Bernhard war früher Arzt. Haben auch ein Ferienhaus im Mühlviertel, am Oberen Rosenhofer Teich.

Mariano Zamberk-Tachov: der »Hochgschissene«, auch »Giftzwerg« oder »Lord Voldemort« genannt. Halawachl mit schlechtem Geschmack in Bezug auf Kleidung und Autos, hauptberuflich Schnösel. Trägt gern Statussymbole zur Schau.

Adriana Zamberk-Tachov: ehemalige Besitzerin des Ansitzes Vormberg. In ihren wilden Jahren Kommunistin und Sannyasin, später nur Schlossbewohnerin. Will »Frau Zamberk« genannt werden, alles andere sei zu kompliziert. Tante von Mariano.

Andrej und Sophie Zamberk-Tachov: Großeltern von Mariano, zur Zeit unserer Geschichte längst tot.

Marjan und Elisabeth Zamberk-Tachov: Eltern von Adriana, zur Zeit der Geschichte längst tot.

Lovrenc und Doroteja Zamberk-Tachov: Eltern von Mariano, auch schon tot.

Josip und Julia Zamberk-Tachov: Großeltern von Adriana, ebenfalls längst tot.

Frau Wewerka: würdige Nachfahrin einer legendären Wiener Hausmeisterfamilie aus der Adamsgasse (wer Doderer kennt …). War früher Volksschullehrerin. Wohnt in der Wohnung neben dem Tandler.

Frau Dr. Mühringer: wohnt unterm Tandler, Ärztin.

Familie Fandler: wohnt überm Tandler.

Herr und Frau Wimmer: Nachbarn im Erdgeschoss im Haus in der Schmiedegasse; Frau Wimmer ist Krankenschwester.

Herr (Dr.?) Viehhofer: Notar von Mariano Zamberk-Tachov. Hat der wirklich studiert?

Irran und Inkofer: Kanzlei in Innsbruck. Betrieben von Frau Dr. Weberl und Frau Dr. Raspotnig.

Dr. Liliana Bernhardt: betreibt eine Kanzlei in Linz und ist Fußballfan. Teilt sich die Arbeit mit Frau Dr. Kretz, die Filme mag.

Gerlinde Suchanek: etwas füllige Mitarbeiterin der Kripo Linz. Wird dabei von Erol Koyun und zahlreichen namenlosen Polizisten unterstützt.

Viele Männer aus Bulgarien: kaufen alte Autos und machen Dinge, die man nicht tun sollte. Agieren oft unter verschiedenen falschen Namen.

Sparkassenbeamte: Frau Fuxberger, die den Tandler persönlich betreut, und Herr Zankl, der eine scheußliche Krawatte trägt.

Mirka: fährt einen Leichenwagen.

Jonas: Bub, der Fußball spielt.

EINS

»Können Sie auch Schlösser?«

Der Anrufer kam gleich zur Sache, sparte sich Gruß und Nennung seines Namens. Am Sonntag um acht Uhr früh.

»Ich bin Entrümpler, kein Schlüsseldienst.«

»Entrümpeln sollen Sie – nicht aufsperren!«

Der Tandler setzte sich im Bett auf. Der Anruf hatte ihn aus einem leichten Vor-sich-hin-Büseln geschreckt, diesem angenehmen halb wachen und halb träumenden Zustand, dem er sich an Sonntagen nach dem ersten Aufwachen gern lang hingab.

»Ein Schloss entrümpeln?«

»Na no na ned! Auf Ihren Internetseiten steht, dass Sie ›Gebäude aller Art‹ machen – so ein Schloss ist doch auch ein allerartiges Gebäude. Hehe!«

Das keckernde Lachen und der seltsame Humor des Anrufers erinnerten den Tandler an einen früheren ihm unangenehmen Mitschüler. Der hatte auch immer so gelachmeckert, wenn der Tandler vom Geschichtslehrer nach vorn zitiert worden war und ihm die geforderten Jahreszahlen nicht einfielen. Als ob es wichtig wäre, die Geburtsdaten historischer Persönlichkeiten auswendig aufsagen zu können – für ihn genügte es zu wissen, wo man solche Details nachschlagen konnte.

»Wo ist denn das Schloss?«, fragte er und schaltete den Lautsprecher am Telefon ein, um die Hände für das Schreiben von Notizen frei zu haben. In der Schublade von seinem Nachtkastl mussten irgendwo Papier und Stift sein, die Suche danach verlief leider nicht geräuschlos.

»Was machen Sie für einen Lärm?«, beschwerte sich der Anrufer. »Mitten in Linz ist es.«

Ja eh, Schlösser mitten in Linz. Schon wieder so ein Scherzanrufer, das kam in letzter Zeit öfter vor. »Sie verzeihen, aber das Linzer Schlossmuseum werd ich nicht entrümpeln.«

»Sie sind mir aber ein Schmähtandler, Herr Tandler. Hehe! Hehe!«

Der lacht selbst am meisten über seine Witze, dachte der Tandler und wollte grußlos das Telefongespräch beenden, als der Anrufer weitersprach: »Es geht um den Ansitz Vormberg, unten am Römerberg. Hinten am Margarethenweg, beim Freinberg.«

Der Tandler sortierte in Gedanken unten, hinten, Straßennamen und Topografiehinweis und versuchte, sich zu erinnern. Ja, das war tatsächlich in der Stadt. Nicht »mitten in der Stadt«, eher so gerade noch. Er kam selten in diese Gegend. Dort gab es zahlreiche Villen, dort wurde nur selten entrümpelt. Es handelte sich um eine der begehrtesten und teuersten Wohngegenden von Linz, wo prinzipiell alles mit »Berg« teuer war, egal, ob Pöstlingberg oder Freinberg. Ansitz Vormberg sagte ihm jedoch nichts.

»Gut, ich brauche Ihren Namen, die genaue Adresse, und dann muss ich vorbeikommen, mir das Ganze anschauen.« Papier und Stift waren gefunden.

»Mariano Zamberk-Tachov, Zamberk mit großem Z am Anfang und k am Ende, Tachov mit Vogel-Vau. Da waren früher ein paar vons und zus dabei, aber die dürfen wir ja seit 1919 nicht mehr laut sagen, hehe – Sie können sie sich aber gern dazudenken. Hehe!«

Was für ein unsympathischer Mensch. Der Tandler hätte am liebsten aufgelegt, doch er brauchte den Auftrag. Seine finanzielle Situation war zwar nicht besorgniserregend, aber auch nicht besonders rosig.

»Gut, Herr … Zamberk-Tachov. Ihre Telefonnummer hab ich ja auf dem Display, da brauch ich nur noch die genaue Adresse.«

Zamberk-Tachov nannte die Hausnummer im Margarethenweg. »Geht’s gleich?«, fragte er.

»Wie? Jetzt gleich?« Der Tandler dachte an sein Sonntagsritual, das langsame Aufstehen, das ausgiebige Frühstücken, darauf wollte er ungern verzichten.

»Auf Ihrer Internetseite steht, dass Sie auch Notfälle machen.«

»Ja, aber ist es denn ein Notfall? Ich mein, ein ganzes Schloss …«

»Der Tandler ist ein Brodler, hehe, hehe! Nur langsam, Herr Tandler. Vertandeln S’ mir ruhig meine Zeit. Hehe! Es pressiert nicht, jetzt ist es kurz nach acht – wenn Sie um zehn da sind …« Ohne sich zu verabschieden oder eine Bestätigung des Termins abzuwarten, beendete der Anrufer das Gespräch.

Der Tandler fuhr mit seinem Roller zum Margarethenweg. Den Kastenwagen benutzte er, wenn er etwas transportieren musste, jetzt aber ging es ja nur um eine Ortsbesichtigung und wahrscheinlich einen Kostenvoranschlag. Für den Fall, dass er sich entscheiden würde, den Auftrag anzunehmen. »OST Hausratsauflösung und Entrümpelung – O. Sebastian Tandler« stand in schnörkeliger schwarzer Schrift auf der Hinterradverkleidung der knallroten Vespa Rally 200, eines Schätzchens, das der Tandler aus einer Verlassenschaft für sich selbst behalten hatte.

Der Tandler war nicht immer Entrümpler gewesen und auch nicht immer Linzer. Erst kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag war er aus Salzburg weggegangen und zu seiner Tante nach Linz gezogen. Nachdem er in Salzburg die Matura nur mit der schlechtesten aller möglichen Noten und nach zweimal Sitzenbleiben geschafft hatte, riet ihm der Antiquitätenhändler, bei dem er als Aushilfe nebenbei arbeitete, einen Handelsschulabschluss zu machen. Die Handelsakademie in Linz galt als die beste, und der Tandler hatte ohnehin keine Lust mehr auf Salzburg. Da traf es sich gut, dass seine Tante Brigitte nicht mehr allein leben wollte und konnte und ihm anbot, bei ihr einzuziehen. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Handelsakademie stellte ihn das Möbelhaus Manzenreither fest an, und er hätte zwar keine aufregende, aber eine solide Karriere im Verkauf beginnen können. Aber Ende der Neunziger glaubte der Tandler, unbedingt »etwas Eigenes« machen zu müssen, und dachte, Linz sei reif für ein Geschäft mit sündteuren japanischen Möbeln. Seine Selbstständigkeit mit der eigenen Nippon-Möbelwelt »kagu no sekei« endete nach sieben frustrierenden Jahren in einer Insolvenz.

Kurz vor seinem fünfundvierzigsten Geburtstag passierten dann drei Dinge an einem Tag: Der Tandler wurde offiziell vom Gericht für schuldenfrei erklärt, seine Eltern verstarben bei einem Autounfall, und er erbte den alten Stadl bei Kirchschlag. Laut Testament hatten sie »nach Wert und sozialem Stand« entschieden, wer was erben sollte: seine beiden beruflich erfolgreichen Brüder die große Wohnung der Eltern in bester Lage in Salzburg-Aigen, die gut verheiratete Schwester das Ferienhaus am Fuschlsee – und er den Stadl im Oberen Mühlviertel. Der lag auf einer Wiese, die einmal vor langer Zeit zum Hauergütl, einem alten Bauernhof, gehört hatte, als Bauland ausgewiesen war und nach Schätzung eines betrügerischen Grundstücksmaklers angeblich so viel wert war wie die jeweiligen Erbanteile der Geschwister. Seine Großmutter und die Mutter des alten Hauerbauern waren Cousinen gewesen, so war dieser Stadl an die Großmutter vererbt und von dieser auf des Tandlers Mutter übertragen worden. Oft hatte der alte Bauer versucht, ihn zurückzukaufen, doch irgendeine alte Gschicht hatte dazu geführt, dass die Eltern des Tandlers den Stadl stur behalten und sich über den verärgerten Bauern lustig gemacht hatten. Nun gehörte der Stadl dem Tandler, er nutzte ihn, und der alte Bauer schien sich damit abgefunden zu haben.

»Warum reißt du den Stadl nicht ab und baust Häuser hin?«, hatten seine Brüder gefragt, die es eilig gehabt hatten, ihre Erbteile zu verkaufen und die Wohnung leer zu räumen, denn: »Das alte Graffel muss weg!«

»Weil die Sachen von Mama und Papa ja irgendwo gelagert werden müssen«, hatte der Tandler erwidert und alle Habseligkeiten aus den früheren Räumlichkeiten der Eltern in den Stadl geschafft. Nur wenige Monate später hatte er die Firma »OST Hausratsauflösungen und Entrümpelungen« gegründet. OST stand für Otto Sebastian Tandler.

Er kam eine Viertelstunde zu früh am schmiedeeisernen Tor zum Ansitz Vormberg an. Eine Kamera beobachtete den Platz direkt vor der Einfahrt, doch der Tandler konnte keine Klingel entdecken. Er winkte in die Kamera, aber nichts geschah. Hinter dem Gitter war nicht viel zu erkennen: Große, alte Bäume versperrten die Sicht auf das Hauptgebäude, der Weg dorthin bog schon nach wenigen Metern nach rechts ab. Das Grundstück musste weitläufig sein.

Leicht ruckelnd setzte sich das Tor plötzlich in Bewegung, der Motor surrte leise.

»Der Herr Tandler, wie bestellt und nicht abgeholt, hehe!«

Der Tandler sah sich um, irgendwo musste ein Lautsprecher sein, aus dem die Stimme seines Auftraggebers tönte. Der blecherne Klang passte zum meckernden Lachen.

»Fahren Sie rein, ich will wieder zumachen!«, befahl Zamberk-Tachov. »Ihre Zwölf-PS-Wespe können Sie am Schloss abstellen, einfach bis zum Ende auf dem Weg bleiben. Nicht falsch abbiegen, das Grundstück ist zu groß, da find ich Sie dann nicht mehr, hehe.«

Der Tandler startete die Vespa wieder, es ging leicht bergauf. Nach ungefähr fünfzig Metern ging linker Hand eine Abzweigung vom Hauptweg ab, die anscheinend zu einem Nebengebäude führte. Nach weiteren fünfzig Metern krümmte sich der Weg leicht, und er konnte zum ersten Mal in etwa hundert Metern Entfernung das Schloss und einen großen Vorplatz sehen. Ein bepflanztes Rondell zierte die Mitte des Platzes. Klein und verloren kam sich der Tandler vor, als er mit seiner Vespa diese hochherrschaftliche Auffahrt entlangtuckerte, die früher auch pompösen Kutschen ausreichend Raum zum Manövrieren geboten hatte.

An das dreistöckige Schloss in klassischem Schönbrunner Gelb fügte sich links im rechten Winkel ein zweistöckiges Gebäude an. Über dem Eingangstor des Haupthauses befand sich ein großer Balkon. Auf dem stand Zamberk-Tachov und winkte gönnerhaft nach unten.

»Stellen Sie sich vor, ich bin das Burgfräulein und Sie sind der Ritter in glänzender Rüstung, der das Fräulein vor dem Feuer speienden Drachen retten wird«, sagte er und lachte über seinen Witz.

Der Tandler verzog den Mund zu einer Grimasse, die man mit viel gutem Willen als Lächeln interpretieren konnte. Eher hol ich noch ein paar Drachen, als dass ich dich retten würde, dachte er und stellte die Vespa ab.

Zweifelnd sah er sich um. Hauptgebäude und Nebengebäude erschienen ihm riesig, sie mussten mindestens fünfundzwanzig, vielleicht sogar dreißig Räume beherbergen. »Tandler, das könnt zu viel für dich sein«, sagte er leise.

Zamberk-Tachov trat aus dem Eingangstor. An dem Mann war alles künstlich: Die Gesichtsbräune stammte entweder von Tiroler Nussöl oder einem Übermaß an Sonnenstudionutzung, die Gesichtshaut war straff und ein wenig zu glatt, genauso wie die Haare zu schwarz glänzten. Schwer zu schätzen, wie alt der Mann war. Von vierzig bis fünfundsechzig Jahren war alles möglich. Er hatte eine hellbeige Jogginghose von Gucci an, was der Tandler am hundertfach aufgedruckten GG-Logo erkannte. Es schüttelte ihn ob so viel schlechten Geschmacks. Er war der Ansicht, dass jemand, der solche Hosen in der Öffentlichkeit trug – und ein Geschäftstermin wie dieser war für ihn öffentlich –, die Kontrolle über sein Leben verloren hatte. Da hielt er es mit Karl Lagerfeld, auch wenn diese Jogginghose sicherlich siebenhundert Euro oder mehr gekostet hatte. Zur Hose trug Zamberk-Tachov eine Jacke im gleichen Stoff mit Schalkragen; Revers und Ärmelstulpen waren mit dunkelbraunem Samt besetzt. Eine gedrehte Polster- oder Vorhangschnur aus zwei verschiedenfarbigen Satinbändern fasste das gesamte Jackett ein und verzierte zusätzlich die Tascheneingriffe und Ärmelstulpen. Das Ganze erinnerte den Tandler an die Hausjacke im edwardianischen Stil, die sein Großvater früher ab und zu zum Rauchen einer dicken Zigarre angezogen hatte, um die übrige Kleidung vorm Zigarrengeruch zu schützen.

»Ja, da schauen Sie neidisch – können Sie sich sicher auch leisten, wenn Sie den Auftrag hier erledigt haben.«

Da hatte er Zamberk-Tachov wohl etwas zu entsetzt angestarrt, was der aber komplett anders gedeutet hatte.

»Schlossführung gefällig?«

»Äh … ja, gleich. Ich muss erst mein Schreibzeug …« Der Tandler klappte die Sitzbank der Vespa hoch und fischte sein Klemmbrett heraus.

»Voll analog, hehe. Na ja, passt eh. Wer sich mit altem Krempel abgibt … Folgen Sie mir in gebührendem Abstand!« Zamberk-Tachov ging auf einen Torbogen zu, der in der Ecke den Übergang zwischen Haupt- und Nebengebäude bildete.

Irritiert blieb der Tandler stehen.

»Das war ein Witz, das mit dem gebührenden Abstand. Was stehen Sie denn da rum?«, herrschte der Schlossbesitzer ihn an.

»Ich hab gedacht …«

»Ach so, Sie sind ja zum ersten Mal da. Die Schlossführung beginnt immer im entlegensten Winkel, damit man die weiten Wege dann schon hinter sich hat, wenn man zum Gustostückerl kommt. Wir gehen zuerst zum Badehaus, dann zur Kapelle.«

»Kapelle? Die darf ich aber nicht –«

»Brauchen Sie auch nicht«, unterbrach ihn Zamberk-Tachov. »Die bleibt, wie sie ist. Jetzt schlagen Sie keine Wurzeln und kommen Sie endlich! Wir haben nicht ewig Zeit.«

Der Torbogen entpuppte sich als überdachte Durchfahrt. Hinter dem Haus erstreckte sich eine große Garage, einige Tore waren geöffnet und gaben den Blick auf fünf oder sechs Oldtimer frei. Der Tandler meinte, auch einen Bugatti zu erkennen. Vor der Garage parkte ein tiefergelegter BMW in einer undefinierbaren Farbe.

»M5 F90Competition«, erklärte Zamberk-Tachov stolz. »Sechshundertfünfundzwanzig PS.« Das Auto schillerte wie ein Mistkäfer. »Speziallackierung«, fügte der Schlossherr hinzu und sah den Wagen verliebt an.

Jetzt weiß ich, was ein Auto-Poser ist, dachte der Tandler. Er verstand nicht, was man an einem solchen Gefährt schön finden konnte, wenn man einen alten Bugatti in der Garage stehen hatte.

Ein kurzer Fußweg führte zu einem kleinen zweistöckigen Gebäude mit vergitterten Fenstern.

»Voilà – das Badehaus! Sechzehnhundertirgendwas erbaut, ist eigentlich wurscht, wann. Meine Tante hat es vor ein paar Jahren renovieren lassen, seither kann man sogar drin wohnen. Als Kind hab ich mich geweigert, die Rumpelkammer zu betreten. Warum die sich früher nicht im Schloss gewaschen haben, sondern ein Extrahaus dafür haben bauen müssen, hab ich nie kapiert.«

Der Tandler blickte sich um: »Alle … Gebäude gehören zum Auftrag?«

Zamberk-Tachov nickte ungeduldig. »Hab ich doch schon gesagt! Bis auf die Kapelle – weil die bleibt, was sie ist: eine Kapelle.«

»Sind Sie sicher, dass Sie … entrümpeln wollen? Also, dass ich alles mitnehmen soll?«

Zamberk-Tachov lachte. »Sie haben doch noch gar nicht gesehen, wie es drinnen ausschaut! Wahrscheinlich gehen Sie davon aus, dass alles dadrin, weil es ein historisches Gebäude ist, schwer antik ist. Ist es aber nicht. Nicht alles zumindest. Man darf sich vom Äußeren nicht täuschen lassen.«

Zweifelnd betrachtete der Tandler das Äußere des Herrn Zamberk-Tachov. Er war sich sicher, dass er sich bei diesem künstlich gefärbten Gucci-BMW-Liebhaber nicht täuschte mit seinem Vorurteil. Der Schlossherr hatte mittlerweile die Tür zum Gebäude aufgesperrt.

»Sie haben da eine gotische Tür?« Fasziniert strich der Tandler mit den Händen vorsichtig über die kostbare Schnitzarbeit.

»Kann schon sein.«

»Und … das Gebäude ist nicht sechzehnhundertirgendwas – schauen Sie, der Türrahmen, also das Portal, das ist von 1548!«

»Möglich.«

»Das steht da.« Der Tandler deutete auf die römischen Ziffern, die links und rechts von einem Wappenrelief im Marmor kunstvoll eingearbeitet waren. »Und das Wappen ist –«

»Nicht von Ihrem Interesse!«, herrschte Zamberk-Tachov ihn an. »Sie sind mir ja ein Gscheidhaferl. Ich brauch einen Entrümpler, keinen Universitätsprofessor.«

So ein ignoranter Mensch. Widerwillig folgte der Tandler ihm ins Gebäude. Das Erdgeschoss verfügte über eine Art Flur, an den eine Küche, ein Bad und ein Essbereich grenzten. In diesen Räumen war Parkett auf den alten Marmorboden gelegt worden, der im Eingangsbereich noch zur Gänze sichtbar und in gepflegtem Zustand war. Das Mobiliar hier war modern, stammte aus diesem Jahrtausend.

»Das kommt alles weg«, sagte Zamberk-Tachov und deutete auf Möbel und Küche.

Der Tandler machte sich Notizen. Wenn alles so spärlich möbliert war wie hier, war der Auftrag vielleicht doch zu schaffen. Er schätzte die Fläche im Erdgeschoss auf fünfzig Quadratmeter.

Hinter der Küchenzeile führte eine alte, mit kostbarer Wandtäfelung verkleidete Holztreppe nach oben. Zamberk-Tachov ging voran, was dem Tandler einen Blick auf die sockenartigen neongrünen Schuhe des Mannes ermöglichte, die ebenfalls mit einem Gucci-Logo verziert waren. Was für ein Kontrast: die edle Umgebung und der stillose Mensch.

Das Obergeschoss bestand aus zwei Räumen, die offensichtlich als Wohn- und Schlafzimmer genutzt worden waren. Holzvertäfelung, Fußboden und Türen schienen noch aus dem 16. Jahrhundert zu sein, waren fachmännisch renoviert und gut gepflegt; modernes Thermoglas füllte die Originalfensterrahmen. Der Tandler war überwältigt. So konnte man also auch wohnen. Nur die Möbel passten nicht. Bis auf eine Ausnahme, einen Biedermeiersekretär, waren sie modern, maximal zehn oder fünfzehn Jahre alt. Der Bewohner – nichts deutete auf eine Frau hin – hatte sich sogar die Mühe gemacht, eines dieser unförmigen, aber angesagten Boxspringbetten die Holztreppe hinaufzuschleppen und in den Renaissance-Alkoven zu quetschen.

»Sind das Ihre Sachen?«, fragte er.

Zamberk-Tachov lachte. »Schau ich so aus, als ob ich da wohnen würd? Hehe!«

»Aber wer …?«

»Da gewohnt hat? Der Gärtner. Wir haben ein paar seltene, pflegebedürftige Bäume im Park. Die brauchen sozusagen eine Vierundzwanzig-Stunden-Betreuung.«

»Nein, ich mein … Wem gehört das eigentlich alles?«

»Mir. Haben Sie alles gesehen, was Sie brauchen, damit Sie arbeiten können?«

Der Tandler machte sich Notizen und nickte.

»Sehr gut, dann auf zum Haupthaus!«

Das Hauptgebäude hatte einen fast quadratischen Grundriss. Es war mehrfach renoviert worden, zuletzt 1955, nachdem ein kleines Privatflugzeug in den Dachstuhl gestürzt war. Erst kurz zuvor waren die Bombenschäden aus dem Krieg behoben worden, wie Zamberk-Tachov nebenbei erläuterte. Der Tandler war enttäuscht, er hatte nach dem Badehaus ein noch wertvolleres Schmuckstück erwartet. Das Erdgeschoss bestand aus einem kleinen Festsaal, einer Küche und zwei weiteren Räumen, die wohl früher eher einen repräsentativen Zweck erfüllt hatten, heute aber mit Sitzmöbeln aus verschiedenen Epochen vollgestellt waren. An einigen Möbeln klebten auffällige rote Zettel.

»Ist es denn eine Verlassenschaft?«, fragte der Tandler.

»Hehe, verlassen ist es … ja, ja. Nein, meine Tante lebt noch. Das alles gehört mir schon seit zehn Jahren. Nix als Kosten hab ich bis jetzt gehabt.«

»Also keine Entrümpelung wegen Verlassenschaft?«

»Nein, meine Tante hat mir alles überschrieben. Sie hat lebenslanges Wohnrecht, und solang sie hier gelebt hat, hab ich nix verändern dürfen. Aber jetzt …«

»Ist die Frau Tante denn –«, begann der Tandler, doch Zamberk-Tachov unterbrach ihn ungeduldig.

»Umgezogen ins Heim ist sie. Da oben in ihren Zimmern werden Sie ein halbes Krankenhaus vorfinden – so was machen Sie doch auch? Medizinische Geräte?« Zamberk-Tachov ging auf der linken Seite der zweiläufigen Bogentreppe, die vom Vestibül in den ersten Stock führte, zügig voran. Der hölzerne Handlauf ruhte auf schmiedeeisernen Balustern, die zusätzlich mit Messing verziert worden waren.

»Jugendstil«, sagte der Tandler anerkennend, blieb am Treppenabsatz stehen und blickte auf das Vestibül hinunter, das weitere Jugendstilelemente aufwies.

»Ja, Gscheidhaferl, ich weiß. Nicht wieder Wurzeln schlagen, ich hab in einer halben Stunde einen Termin. Wenn wir in dem Tempo weitermachen …«

»Sind Sie sicher, dass Sie das alles entrümpeln wollen? Also alles weg …?«

»Na klar! Ich krieg für den alten Kasten ja nicht mehr Geld, wenn ich die Möbel drinlass. Ich bin schon mit dem Antiquitätenhändler meines Vertrauens durchgegangen. Überall dort, wo ein roter Zettel dranpickt, heißt das für Sie: ›Finger weg!‹ Alles andere kann verramscht werden.«

»Sie verkaufen das Schloss?«

»Na, verschenken werd ich’s, hehe! Keine Sorge, ich hab einen Investor. Der baut alles um in ein Hotel. Luxushotel. Linz fehlt ein wirklich schönes und edles Luxushotel. Die echten Antiquitäten behalten wir, also alles so ab hundertfünfzig Jahre aufwärts.«

Der Tandler blickte Zamberk-Tachov entsetzt an. »Ein Investor?«

»Ja sicher! Die gestalten das Ganze sauber um, betreiben das Hotel für die nächsten fünfzehn Jahre, ich krieg regelmäßig meine Pacht – und danach schauen wir weiter.«

»Aber die schönen –«

»Jetzt haben Sie nicht schon wieder Angst um das alte Zeug – genau deswegen wird das hier ja ein Luxushotel! Aus dem Badehaus wird ein individuelles Antik-Appartement. Das können die für neunhundert Euro die Nacht an Gäste vermieten. Das hier … Jugendstil, sagen Sie? Das bleibt natürlich auch alles. Das macht doch den Charme aus, deswegen werden die Gäste kommen. Aus den beiden oberen Stockwerken machen wir insgesamt zehn moderne Zimmer, also mit moderner Ausstattung. Im Nebengebäude können noch einmal fünf kleinere Zimmer entstehen, alles Historische bleibt erhalten – und das Gärtnerhaus wird fürs Personal umgebaut.«

»Gärtnerhaus?«

»Ja, Sie sind beim Reinfahren dran vorbeigekommen – aber jetzt müssen wir wirklich.« Zamberk-Tachov zog den Tandler am Ärmel in ein Zimmer, das vollgestopft war mit Möbeln aus den fünfziger und sechziger Jahren. Kein Stück davon hatte einen roten Aufkleber. »Alles Ihres!«, erklärte der Hausherr mit großer Geste.

Dahinter schloss sich der Bereich an, den die Tante wohl bis vor Kurzem bewohnt hatte. Ein Pflegebett, jede Menge medizinische Geräte, Hygieneartikel und verschiedene Gehhilfen füllten den Raum. Auf der ersten Etage befanden sich insgesamt zehn Zimmer, die ehemaligen Wohnräume der Tante, die jetzt zu fünf Luxuszimmern umgebaut werden sollten. Nur wenige rot markierte Antiquitäten standen zwischen den Möbeln, da würde es einiges zu tun geben. So wie es aussah, hatten in den Zimmern wohl Pflegekräfte oder Bedienstete gewohnt.

Die dritte Etage wirkte verwahrlost.

»Gästezimmer«, erklärte Zamberk-Tachov, »aus einer besseren Zeit, als hier noch viel Gesellschaft war. Das ist ewig her, das war noch im letzten Jahrtausend.«

Der Tandler machte sich Notizen. Das Mobiliar war bunt zusammengewürfelt und stammte aus den sechziger und siebziger Jahren.

Zamberk-Tachov führte ihn auf der zweiten Etage über einen schmalen Verbindungsgang ins Nebengebäude. Hier waren die Decken niedriger. Zuerst zeigte er ihm eine kleine, in sich abgeschlossene Wohnung. »Die Gesellschafterin meiner Tante wohnt hier noch. Die muss nächsten Monat ausziehen. Die Möbel gehören ihr nicht. Fragen Sie sie einfach, was davon Sie entrümpeln sollen und was sie behalten will. Sie muss sich ja eine neue Wohnung suchen, vielleicht braucht sie was.«

So viel Großzügigkeit hatte der Tandler gar nicht von Zamberk-Tachov erwartet.

Die übrigen Räume schienen seit Jahrzehnten leer zu stehen und waren nur spärlich möbliert. »Aus der Zeit, als wir hier noch Dienstboten hatten, aber die Sklaverei ist ja abgeschafft, hehe!«, erläuterte der Schlossherr. »Meine Tante hat das gesamte Personal bis auf den Gärtner 1975 entlassen. Damals waren kurz hintereinander meine Großeltern gestorben, und sie hat alles geerbt. Meine Tante hat oft so spinnerte Ideen gehabt, ist in der ersten Reihe bei den Studentenprotesten 1968 mitgelaufen, Ende der Siebziger war sie beim Guru in Indien, hat nur noch orange Fetzen angezogen. Ich hab ein Glück, dass sie nicht den ganzen Besitz diesem Bhagwan da geschenkt hat.«

Da war der Tandler ausnahmsweise einer Meinung mit dem Gucci-Träger. Das Schloss als Ashram – das hätte für den historischen Bau eine Katastrophe bedeutet. Zwar hielt er wenig von Investoren, aber ein Hotel würde das Gebäude wenigstens wieder mit Leben füllen.

»Dachböden?«, fragte er, als er sich alles Nötige notiert hatte.

»Vorhanden – und auch teilweise Keller. Aber Sie haben Glück, auf dem Dachboden im Haupthaus steht fast nichts, der ist seit dem Flugzeugabsturz wohl nicht mehr benutzt worden. Meine Großeltern haben immer gejammert, was sie dort alles an Schätzen verloren hätten, und seither nichts mehr auf Dachböden aufbewahrt.«

»Und die Keller?«

»Nur hier unterm Nebengebäude, ist aber auch nichts drin, weil manchmal irgendwo Wasser reindrückt.«

Der Tandler warf einen kurzen Blick in das muffig und feucht riechende Gewölbe, die Räume waren leer.

»Und das Gärtnerhaus?«

»Das zeig ich Ihnen gleich – liegt ja auf Ihrem Weg nach draußen. Darf ich auf der Vespa mitfahren?«

»Ich hab gedacht, wir nehmen Ihren BMW.«

Zamberk-Tachov schüttelte sich vor Lachen. »Sie sind ja ein ganz Lustiger! G’fallt mir, Tandler, g’fallt mir. Ich freu mich, dass wir im Geschäft sind.«

Sind wir doch noch gar nicht, dachte der Tandler. »Ich muss doch erst den Kostenvoranschlag –«

»Brauch ich keinen – ich vertrau Ihnen. Geld spielt keine Rollex, hehe! Im Ernst: Ein Spezi von mir war mit Ihnen in der HAK, der hat mir gesagt, dass Sie im Gymnasium so gründlich waren, dass Sie ein paar Klassen zweimal besucht haben, und deswegen sicherlich gute und korrekte Arbeit leisten. Gemma!«, sagte Zamberk-Tachov und schwang sich auf die Vespa.

Während der kurzen Fahrt überlegte der Tandler, wer ihn da wohl empfohlen haben könnte. Wer von seinen Handelsschulkollegen kam in Frage, mit diesem Schnösel hier befreundet zu sein?

Das Gärtnerhaus bestand aus einem gemauerten Erdgeschoss, das gewölbeartig ausgebaut war, und einem mit Holz verkleideten ersten Stockwerk. Jede Menge Gartenwerkzeug, ein Aufsitzrasenmäher und ähnliche Utensilien lagen im Gewölbe herum.

»Soll das alles weg?«

Zamberk-Tachov nickte und führte ihn über eine schmale Treppe ins Obergeschoss, das großzügig renoviert und ausgebaut worden war. Mitten im Raum standen ein ramponierter Tisch und vier ebensolche Sessel.

»Hinterlassenschaften von den Handwerkern«, sagte Zamberk-Tachov. »Brauchen Sie noch was von mir?«

»Also, ich nehm alles mit, was verwendbar ist, und verkauf das dann. Den Erlös verrechnen wir mit den Kosten und –«

»Müssen Sie mir nicht sagen, steht alles auf Ihrer Internetseite«, unterbrach ihn Zamberk-Tachov ungeduldig. »Ich würd sagen, Sie nehmen einfach alles mit, stellen mir die Rechnung, und wenn Sie Geld für den alten Krempel kriegen, kaufen Sie sich dafür ein Eis oder was Schönes.«

»Ja, wollen Sie denn nicht –«

»Nein. Ich will nur, dass es schnell geht. Können Sie morgen anfangen?«

»Morgen? Bis wann muss denn alles raus sein?«

»Aus dem Haupthaus und dem Nebenhaus so schnell wie möglich. In einer Woche kommt der Architekt mit den ersten Handwerkern. Im Badehaus und hier im Gärtnerhaus können Sie sich ein bisserl mehr Zeit lassen.«

Der Tandler überlegte: Wenn er für die nächste Woche keine anderen Aufträge annehmen würde, wenn seine Helfer Zeit hätten, wenn er andere bereits angenommene Aufträge um eine Woche verschieben könnte, dann sollte das alles zu schaffen sein. »Gut«, sagte er. »Wir fangen gleich morgen an. Wie komm ich rein? Gibt es Schlüssel?«

Zamberk-Tachov lachte. »Den Schlüssel fürs Schlössel will er haben! Kriegt er nicht. Sie rufen die Frau Bruckner an, das ist die Gesellschafterin meiner Tante. Die lässt Sie rein, die ist morgen den ganzen Tag da, schließlich bezahl ich sie ja auch noch bis zum Monatsende. Mit der machen Sie eine Uhrzeit aus.« Er gab dem Tandler eine Karte, auf der mehrere Telefonnummern aufgedruckt waren, eine davon war mit Kugelschreiber unterstrichen. »Ich muss jetzt weg, Sie finden sicherlich raus.«

»Und das Tor?«

»Ist wie ein Notausgang. Raus kommen Sie immer, nur rein kommen Sie nicht.« Damit ließ er den Tandler stehen und ging zügig auf einem schmalen Fußweg, der hinterm Gärtnerhaus begann, zum eigentlichen Schloss zurück.

Der Tandler startete die Vespa und fuhr Richtung Tor. Als er etwa zehn Meter davon entfernt war, öffnete es sich wie von Geisterhand. Irgendwo musste ein Sensor oder eine Kamera montiert sein.

Der Tandler begab sich in die Schmiedegasse, in sein Büro. Es handelte sich dabei um die ehemalige Wohnung seiner Großmutter mütterlicherseits, die sich im ersten Stock eines Siebenparteienhauses aus den dreißiger Jahren befand. Im oberen Teil, zur Hauptstraße hin, bestand die Schmiedegasse noch aus einigen alten Häusern, die Anfang des 20. Jahrhunderts errichtet worden waren, in Richtung Wildbergstraße aber hatte man in den sechziger und siebziger Jahren die ursprünglich stilvollen Häuser gnadenlos abgerissen und durch Neubauten ersetzt. Die Wohnung der Oma lag in einem denkmalgeschützten Haus, das 1970 nur knapp einer Katastrophe entgangen war: Schräg gegenüber war auf dem riesigen Gelände der Tischlerei Schaffer ein Feuer ausgebrochen. Sägespäne, Holzabfälle und hölzerne Gebäude waren so schnell in Brand geraten, dass die Feuerwehr Mühe gehabt hatte, die angrenzenden Wohnhäuser zu bewahren. Der Tandler war damals noch sehr klein, aber gerade bei der Oma zu Besuch gewesen. Lebhaft konnte er sich noch an den Feuersturm in der Schmiedegasse erinnern und hatte seither großen Respekt vor Flammen.

Anstatt im Stil der verbliebenen Häuser zu bauen, entschied die Stadt damals, einen immensen Gebäudekomplex auf das plötzlich freie Areal in bester Wohnlage zu setzen. »Lentia 2000« nannte man das Projekt in Anlehnung an den Namen des römischen Kastells, auf dessen Resten Linz angelegt worden war. Einundzwanzig Etagen für fast fünfhundert Wohnungen, errichtet auf einer weitläufigen Geschäftspassage und mehrgeschossigen Tiefgaragen – der Tandler war sich sicher, dass kein Römer damit einverstanden gewesen wäre, diese Scheußlichkeit nach einer ihrer alten Siedlungen zu benennen. Aber Linz befand sich im Aufschwung, und so entstand in den sechziger und siebziger Jahren etwas, das es so in Österreich kein zweites Mal gab: eine enorm große Anzahl an modernen Bauten im geschlossenen Stadtbereich. Der Tandler jedenfalls vermisste den Blick auf die alte Tischlerei. Auch wenn sie laut und staubig gewesen war, hatte er sie doch im Vergleich mit dem multifunktionalen Stahlbetonklotz als schön empfunden. 1979 war der Bau der beiden Sparkassentürme am unteren Ende der Schmiedegasse gefolgt. Die Spiegelglasfassaden der Bürowürfel gefielen dem Tandler genauso wenig wie das »Lentia 2000«.

Ursprünglich hatten alle Tandler-Geschwister Anfang des Jahrtausends gemeinsam die Wohnung der mit sechsundneunzig Jahren verstorbenen Oma geerbt. Aufgrund der Lage und des unpraktischen Zuschnitts war es aber nicht gelungen, sie für einen Preis zu verkaufen, der ihnen angemessen erschienen wäre. Dem Tandler war das ganz recht gewesen. Er liebte diese sechzig Quadratmeter »Zimmer, Kuchl, Kabinett«, wie die Oma die Wohnung immer genannt hatte. Fälschlicherweise, denn für »Zimmer, Kuchl, Kabinett« hatte sie entweder ein Zimmer zu viel oder eine Küche zu wenig.

Das Kabinett, der kleinste Raum, maß maximal sechs Quadratmeter. Das schmale Bad forderte dem Benutzer bei jedem Toilettengang eine akrobatische Leistung ab: Auf eineinhalb Metern Breite und zwei Metern Länge war neben Toilette und Waschbecken eine Badewanne eingebaut worden, die Toilette deshalb nur erreichbar, wenn man sich über die Badewanne gebeugt am Waschbecken vorbeiquetschte. »Meine tägliche Gymnastik, das hält mich beweglich«, hatte die Oma immer gesagt. Vom geräumigen Wohnzimmer, dessen Wand zur Straße hin leicht gebogen war, da sich die Gebäudefassade der Straßenkrümmung anpasste, war mit einem Vorhang eine schmale Kochnische abgetrennt. Ein weiteres Zimmer lag ruhig nach hinten zum Garten hin. Wenn man dort über eine Mauer kletterte, gelangte man über das alte Hörschingergut in die Freistädter Straße.

Im Vergleich zu den Hauptzimmern war das Vorzimmer mit über zehn Quadratmetern absurd groß und dazu noch unförmig geschnitten. Eine schmale Nische, ein Wandvorsprung und neun Winkel und Ecken hatten dem Tandler bei der Quadratmeterberechnung viel Mühe bereitet. In der Nische hatte die Oma auf einem großen Tisch ihr kleines Museum eingerichtet: Gegenstände, die sie im Krieg nach einem Bombenangriff aus dem völlig zerstörten Wohnhaus ihrer Familie hatte retten können und die an sich wertlos, für die Oma aber mit Erinnerungen verbunden gewesen waren. Immer wieder hatte der Tandler sie als Kind aufgefordert, ihre Geschichten zum verbeulten kupfernen Bettwärmer, zur Handkaffeemühle (die noch nach Kaffee roch), zur Pfeifensammlung ihres Vaters und zu den anderen Alltagsgegenständen zu erzählen. Der Tisch stand noch im Vorzimmer, das Museum war nun um ein paar persönliche Erinnerungsstücke des Tandlers erweitert.

Wahrscheinlich war er deshalb Entrümpler geworden. Hausrat, Möbel, Kleidung – alles war doch mit Geschichten und Erinnerungen der früheren Besitzer verknüpft. Wer so etwas einfach im Sperrmüll entsorgte, zerstörte in seinen Augen mehr als nur einen Gegenstand. Er war sich sicher, dass etwas von den einstigen Besitzern weiterlebte, wenn er die Verlassenschaften verkaufte und nicht vernichtete. Das Geschäft mit diesem Hausrat, den er im Stadl sortierte, lagerte und veräußerte, lief gut, nur selten blieb etwas länger als zwei Monate liegen. Für den Verkauf betrieb er zusätzlich eine Internetseite, auf der er regelmäßig Bilder der neuen Objekte einstellte. Für die Arbeit vor Ort beschäftigte er eine Mitarbeiterin, Johanna Ramböck, die an fünf Tagen in der Woche nachmittags die Käufer bediente und ihn auch beim Sortieren und Bewerten der Ware unterstützte.

Der Tandler setzte sich an seinen Schreibtisch und ging seine Notizen durch. Da kam ganz schön viel zusammen in Schloss und Nebengebäuden. Die meisten Möbel waren in einem sehr gepflegten Zustand, für die würde er schnell Abnehmer zu einem guten Preis finden. Den übrigen Hausrat – Geschirr, Wäsche, Bücher, Kleidung und derlei – müsste er erst sorgfältig begutachten. Da der »Hochgschissene«, wie er Zamberk-Tachov nun nannte, ihm zusätzlich zu den Räumungskosten den Erlös aus dem Verkauf überlassen wollte, könnte sich in diesem Jahr endlich ein Urlaub finanziell ausgehen. Vielleicht mit Theo und seiner Familie nach Griechenland? Davon sprachen sie schon seit Langem. Er musste Theo ohnehin anrufen. Doch zuerst telefonierte er mit Frau Bruckner, die kurz angebunden und unfreundlich wirkte, und verabredete sich mit ihr für den nächsten Tag um neun Uhr am Schloss.

Ierotheos Ropas, kurz Theo, war mit seinen Eltern als Gastarbeiter für die Chemiebetriebe in den achtziger Jahren aus einem Dorf in Epirus nach Linz gekommen. Gemeinsam mit den Eltern hatte er aber schon nach kurzer Zeit in der Fabrik gekündigt und ein Import-Export-Unternehmen für griechische Feinkost und Lebensmittel gegründet. Sein Vater war jede Woche nach Griechenland gefahren, um die Waren zu holen und bei dieser Gelegenheit auch Sachen aus Österreich in den Süden zu bringen. Aus dieser Zeit stammte Theos Möbelwagen, den immer noch die Aufschrift »Ropas Import-Export Hellas-Austria« zierte, obwohl er das Unternehmen vor einigen Jahren aufgegeben hatte. Er lebte jetzt von der Vermietung von Wohnungen in Linz und Umgebung, die er Anfang der neunziger Jahre billig gekauft und mit der Familie renoviert hatte. Bei Theo hatte sich der Tandler früher mit Oliven, Feta und Öl eingedeckt, die beiden hatten sich angefreundet, und da sich Theo langweilte, half er ihm gern.

Für die Entrümpelung des Schlosses würde er nicht nur Theo und den Möbelwagen brauchen, sondern zusätzlich Theos Söhne Stefanos und Petros. Stefanos war sechsundzwanzig Jahre alt, lebte aber wie sein nur ein Jahr jüngerer Bruder immer noch bei den Eltern. Die zwei studierten abwechselnd dies und das, entschieden sich dann um, fanden immer wieder neue Gründe, Studium oder Ausbildung abzubrechen und zu wechseln, und der Tandler wunderte sich insgeheim, dass Theo sie nicht längst vor die Tür gesetzt hatte, sondern weiterhin auch finanziell unterstützte. Dieses Nesthockerdasein der beiden bedeutete für ihn jedoch einen Vorteil, denn Theo brachte sie fast immer zum Schleppen mit. Und zu schleppen würde es einiges im Ansitz Vormberg geben.

Theo meldete sich leicht verschlafen, wahrscheinlich hatte der Tandler ihn bei seiner Mittagsruhe gestört. Immer wieder vergaß er, dass Theo diese Angewohnheit aus heißen griechischen Sommern auch in Linz pflegte. Er beschrieb ihm den Hochgschissenen und seinen schlechten Geschmack, erzählte dann vom Schloss und wollte vorsichtig fragen, ob Theo Zeit habe, als dieser schon fragte: »Wann soll ich wo sein? Ich bring die Kinder mit.«

Der Tandler nannte ihm Ort und Zeit. »Der Margarethenweg ist an manchen Stellen sehr eng, du kommst sicherlich mit dem Lkw durch, aber ich wollte dich trotzdem vorwarnen.«

Theo klang fast beleidigt. »Wie oft, glaubst du, habe ich mit meinem Vater den Lkw durch griechische Bergdörfer gefahren? Enger als dort kann es in Linz gar nicht sein«, sagte er. »Wenn da so viel zu tun ist, willst du sicherheitshalber auch die Albaner anrufen?«

Gemeint waren Dorian Berati und sein Cousin. Wenn Theo verhindert war oder es viel zu tun gab, halfen Dorian und Sali aus. Die beiden hatten wechselnde Jobs, ihr Möbelwagen stammte aus der Zeit, als sie versucht hatten, mit einem Umzugsunternehmen reich zu werden. Doch anscheinend trauten die Linzer den Albanern nicht genug, um ihr Umzugsgut in deren Hände zu geben. Dorian hatte ein schmales Einkommen als Übersetzer und Tourguide für albanische Touristen, Sali war als Aushilfe in einem Grill oder anderen Geschäften der weitläufigen Verwandtschaft tätig. »Asterix und Obelix« nannte der Tandler die beiden, denn Dorian war klein und schlank, während Sali knapp zwei Meter groß und nicht nur muskulös, sondern auch leicht übergewichtig war.

»Gute Idee, ich ruf sie an«, sagte der Tandler und beendete das Gespräch.

Wenig später plauderte er kurz mit Dorian, der auch Zeit hatte und versprach, Sali mitzubringen. »Hoffentlich ist der Hochgschissene auch da – jetzt hast du so viel erzählt, den würde ich wirklich gern sehen.«

ZWEI

Der Tandler traf schon ein paar Minuten früher als verabredet am schmiedeeisernen Tor ein. Er war diesmal nicht mit der Vespa gefahren, sondern mit seinem Transporter, einem zwanzig Jahre alten, zum Kastenwagen ausgebauten Renault Mascott, den er aus der Insolvenzmasse seines japanischen Möbelgeschäfts gerettet hatte. Hoffentlich würde Frau Bruckner das Tor gleich öffnen, denn er blockierte mit dem Wagen den Fahrweg. Der Margarethenweg war eine Sackgasse und stellenweise so eng, dass ein Lkw nur mit Mühe und Not durchpasste. Wenn Theo mit seinem Transporter erst hinter ihm stehen würde, könnte niemand mehr an ihnen vorbei, weder in Richtung Stadt noch zur Wendeschleife. Doch das Tor schwang erst zur Seite, als Theo mit wenigen Minuten Verspätung auftauchte. Der Tandler fuhr durch bis zum Hauptgebäude, Theo folgte ihm.

Eine zierlich wirkende dunkelhaarige Frau – der Tandler schätzte sie auf Anfang oder Mitte vierzig – stand mit verschränkten Armen vorm Eingang zum Vestibül. Trotz der sommerlichen Temperaturen trug sie eine lange Strickjacke und gefütterte Stiefeletten aus Veloursleder, die den Tandler von der Form her an Hausschuhe erinnerten. Sie sah müde aus. Oder war sie traurig?

»Isis Bruckner«, sagte sie und streckte ihm ihre Hand hin, die eiskalt war.

»Geht es Ihnen gut? Ihre Hand …«, fragte der Tandler und vergaß, sich vorzustellen.

»Ja, ich frier nur. Der Geiz… – der Herr Zamberk-Tachov hat an dem Tag, an dem seine Tante ins Pflegeheim gekommen ist, die Heizung abgestellt. Und wenn der alte Kasten einmal ausgekühlt ist, kriegt die Sonne allein den nicht mehr warm. Sie sind …?«

»Sebastian Tandler, wir haben telefoniert. Das sind meine Mitarbeiter, Herr Ropas und Söhne.« Er deutete auf die drei Männer.

Stefanos und Petros redeten ungeniert in griechischer Sprache miteinander.

Frau Bruckner ging resolut auf Petros zu, der am lautesten gewesen war, schüttelte ihm kräftig die Hand und sagte etwas auf Griechisch, woraufhin die Brüder erstarrten und Frau Bruckner entsetzt ansahen – Theo hingegen begann, herzlich zu lachen.

»Warum geht ihr immer davon aus, dass niemand Griechisch versteht? Und jetzt entschuldigt euch!«

»Haben sie was Blödes über das Schloss gesagt?«, fragte der Tandler leise.

»Dann würde ich nicht darauf bestehen, dass sie sich entschuldigen«, brummte Theo. »Wird Zeit, dass jeder von den beiden eine Frau findet …« Zu seinen Söhnen gewandt sagte er: »Und ab jetzt wird ausschließlich Deutsch gesprochen, ist das klar?«

Die beiden nickten betroffen und baten Frau Bruckner um Verzeihung.

»Was haben sie denn –«

»Willst du nicht wissen«, unterbrach Theo den Tandler. »Denen ist das jetzt so peinlich, da können wir uns einen schönen Tag machen, die schleppen alles allein, das garantier ich dir.«

»Wo wollen Sie denn anfangen?«, fragte Frau Bruckner.

»Hier im Hauptgebäude, von oben nach unten. In zwei Stunden kommt noch ein Mitarbeiter mit einem Lieferwagen. Wenn alles vollgeladen ist, sind wir für drei Stunden weg, wir müssen die Sachen in mein Lager in Riedl bringen, das ist bei Kirchschlag.«

Frau Bruckner nickte. Sie sah nicht sehr glücklich aus. »Dann brauchen Sie jetzt also etwa drei Stunden zum Einladen, dann noch einmal drei, bis Sie wiederkommen. Wie wollen Sie denn alles in einer Woche schaffen?«

»Wir kommen zweimal am Tag«, sagte der Tandler, »um drei Uhr ungefähr holen wir die zweite Fuhre.«

Frau Bruckner seufzte. »Ich muss Sie auf Schritt und Tritt begleiten. Befehl von Herrn Zamberk-Tachov.« Sie bemerkte den irritierten Blick des Tandlers. »Hat nichts mit Ihnen zu tun. Das ist eher eine Schik… eine Chef-Mitarbeiterin-Angelegenheit. Kommen Sie, auf zum Dachboden!«

Für Hausratsauflösungen hatte der Tandler ein System entwickelt. Er begann grundsätzlich mit dem Mobiliar, fotografierte jedes Stück mit dem Handy und trug dann auf seinem Tablet in einer Liste ein, worum es sich bei dem jeweiligen Gegenstand handelte. Nicht mehr brauchbare Möbel, die direkt entsorgt werden mussten, versah er mit einem großen orangefarbenen Aufkleber. Die Inhalte von Schränken und Kommoden wurden ebenfalls fotografiert und in verschiedenfarbig markierten Umzugskartons verstaut: Grün für Geschirr aller Art, Rot für Kunst- und Wertgegenstände, Blau für Kleidung, Gelb für Wäsche und Stoffe, Schwarz für Bücher, Schallplatten und Papiere und Weiß für alles Übrige.

Als Nächstes wurde dann zuerst das verkaufbare Mobiliar verladen, Ladelücken wurden mit Umzugskisten gefüllt. Der Stadl in Riedl verfügte über ein ähnliches System. Im Verkaufsraum gab es an den Wänden farbig markierte Zonen mit großen Regalen, in denen der Inhalt aus den Kisten entsprechend deponiert wurde. Die Möbel standen in der Mitte und waren zeitlich geordnet: vor dem 19. Jahrhundert, nuller bis zwanziger Jahre, dreißiger bis vierziger Jahre, fünfziger bis sechziger Jahre im Erdgeschoss, siebziger Jahre und aufwärts im ersten Stock.

In die jeweiligen Verkaufszonen gelangten die Sachen aber erst, wenn der Tandler sich einen Preis dafür überlegt hatte. Dazu lagerte er die neu eingegangene Ware – denn das war der Hausrat ja ab jetzt – so lange im Anbau des Stadls, bis er eine Entscheidung über den Verkaufswert getroffen hatte. Das ging manchmal schnell. Bei Kleidung, Geschirr oder Möbeln aus einer Marktkette legte Johanna Ramböck diesen allein fest, schließlich hatte sie ja jeden Tag im Verkauf mit den Kunden zu tun. Bei älteren Möbeln, Büchern oder Kunstgegenständen jedoch brauchte der Tandler Zeit. Das lag nicht nur daran, dass es manchmal schwierig war, den tatsächlichen Geldwert zu ermitteln, sondern vor allem an den Tagträumen, die diese Gegenstände bei ihm auslösten. Er stellte sich vor, welche Geschichten das Vierziger-Jahre-Sofa oder der Fünfziger-Jahre-Fernsehschrank erzählen könnten, was Porzellan und seltene Bücher vielleicht erlebt hatten oder welche fernen Länder der echte Panamahut auf dem Kopf seines früheren Besitzers bereist hatte. Dann dauerte es lange, bis die Ware mit einem Preisschild versehen im Verkaufsraum landete.

Am liebsten aber beschäftigte sich der Tandler mit Fotoalben und alten Papieren. Urkunden, Briefe, Bilder – alles erzählte die Geschichte von Menschen, Schicksalen.

»Warum bist du mit deinem Interesse an alten Gschichten nicht Historiker geworden?«, hatte ihn Dorian einmal gefragt.

»Weil ein Historiker sich mit wissenschaftlich relevanten Dingen beschäftigen muss, ich aber bin einfach nur neugierig, ganz unwissenschaftlich und auf unwichtige Leute. Außerdem hätte ich mit meinen Maturanoten nicht studieren können.«

Der Anbau würde nach dieser Entrümpelung bis auf den letzten Zentimeter voll sein. Falls überhaupt alles hineinpasste.

Lautes Durcheinanderrufen schreckte den Tandler aus seiner Konzentration. Er arbeitete gerade in einem der Gästezimmer, das komplett im Fünfziger-Jahre-Stil möbliert war, und hatte weder bemerkt, dass Frau Bruckner nicht mehr an seiner Seite war, noch, dass schon seit Längerem niemand mehr zum Schleppen vorbeigekommen war. Dieses Gästezimmer ging nach hinten hinaus, Richtung Badehaus, und der Tandler warf einen Blick aus dem Fenster. Dorian und sein Cousin waren eingetroffen, und einer von ihnen hatte die Oldtimer in der Garage entdeckt. Laut diskutierend und gestikulierend standen die Männer um die Autos herum, während Frau Bruckner versuchte, sie davon abzuhalten, die Autotüren zu öffnen oder gar in die Cabrios hineinzuklettern.

Der Tandler öffnete das Fenster, pfiff und rief seine Mannschaft zur Ordnung. »Ihr seids schlimmer als kleine Kinder!«, schimpfte er. »Die Autos gehören nicht zum Auftrag – die ganze Garage nicht. Also raus!«

»Nur ein paar Selfies – bitte!«, flehte Petros Frau Bruckner an.

»Nichts da!«, rief der Tandler, als Frau Bruckner heftig den Kopf schüttelte und ihn dabei verzweifelt ansah. »Oldtimer könnts ihr euch auch anderswo anschauen. Ich seh euch alle gleich hier bei mir im Zimmer, in dreißig Sekunden!«

Widerwillig verließen die drei Griechen und zwei Albaner die Garage, Frau Bruckner zerrte an der Schiebetür, doch anscheinend ließ sich das Tor nicht schließen.

»Ich helf Ihnen nachher, Frau Bruckner!«, rief der Tandler und widmete sich wieder seiner Arbeit. Wenig später erschien seine Mannschaft.

»Tyrann«, sagte Stefanos.

»Diktatori«, brummelte Sali, grinste dabei aber.

Natürlich vergaß der Tandler vor der Abfahrt, Frau Bruckner beim Schließen des Garagentors zu helfen. Als sie für die zweite Fuhre zum Schloss zurückkehrten, er sich wieder erinnerte und Frau Bruckner darauf ansprach, reagierte sie einsilbig. »Erledigt.« Mehr sagte sie nicht dazu. Als er später aus einem der rückwärtigen Fenster schaute, um sich zu vergewissern, dass auch wirklich alles in Ordnung war, parkte der schillernde Mistkäfer, der BMW von Zamberk-Tachov, vor den Garagen. Die drei Tore waren zu und mit jeweils einem Vorhängeschloss versehen. Der Hochgschissene selbst war nirgends zu sehen.

Während die Gästezimmer im zweiten Stock des Schlosses schnell ausgeräumt waren, da Schränke und Kommoden größtenteils leer waren, zog sich die Arbeit in der ersten Etage am nächsten Tag hin. Jede Schublade einer Anrichte oder eines Nachtkästchens war vollgestopft mit Kleinkram, Kleiderschränke und Kommoden quollen über vor Kleidung und Wäsche, und in Büromöbeln stapelten sich Akten und Papiere.

»Soll ich die alle entsorgen?«, fragte der Tandler Frau Bruckner, die auch am zweiten Tag nicht von seiner Seite wich, und deutete auf die alten Aktenordner.

»Der Besitzer hat sich alles angeschaut, er sagt, es kann alles weg.«

Dem Tandler war gestern schon aufgefallen, dass Frau Bruckner es vermied, den Namen Zamberk-Tachov auszusprechen, und den Hochgschissenen immer nur den »Besitzer« nannte. Da schien das Verhältnis wohl kein gutes zu sein. »Weg ja. Aber müssen wir damit zur Aktenvernichtung, oder genügt es, die Sachen im Recyclinghof zum Altpapier zu werfen?«

Frau Bruckner zuckte mit den Achseln. »Aktenvernichtung ist teurer?«

Der Tandler nickte. »Ja, aber sicherer.«

»Dann nehmen wir Aktenvernichtung. Geld spielt ja keine Rollex.« Zum ersten Mal wirkte Frau Bruckner zufrieden. Sie schien den Hochgschissenen nicht zu mögen.

»Gut. Dann lagere ich die erst bei mir. Bei der Aktenvernichtung muss man einen Termin vereinbaren, das würde jetzt nur alles durcheinanderbringen. Und vielleicht kommt ja noch mehr zusammen.«

»Sie sind der Profi«, meinte Frau Bruckner gleichgültig. Das zufriedene Lächeln war verschwunden.

»Sollen wir ihn sicherheitshalber fragen? Sein Auto ist da, er muss doch irgendwo sein.«

Frau Bruckner seufzte. »Vielleicht ist es wirklich besser. Ich geh ihn suchen. Machen Sie doch so lange mit den Möbeln weiter.«

Der Tandler widmete sich der Sitzmöbelgarnitur aus den fünfziger Jahren, die mitten im Raum stand. Eine Couch, die zu einem Bett aufgeklappt werden konnte. Genau so eine hatte auch seine Oma gehabt, aber Anfang der achtziger Jahre gegen ein Sofa mit billigem Acrylbezug ausgetauscht. Diese Couch hier war noch mit dem Originalstoff bespannt, einem beige-grünen Velours mit dunkelbraunem Atomic-Muster. Auch die beiden Sessel schienen gut erhalten zu sein. Er klappte die Couch auf, um zu prüfen, ob die Mechanik funktionierte, als ihm zwei Briefe, die zwischen Armlehne und Sitzfläche eingeklemmt gewesen waren, vor die Füße fielen. Da im selben Moment der Hochgschissene, gefolgt von Frau Bruckner, laut schimpfend ins Zimmer stürmte, steckte der Tandler die Briefe in die Seitentasche seines Arbeitsoveralls.

»Ich hab Sie nicht beauftragt, damit Sie mich bei jedem Fliegenschiss fragen kommen!«

Da braucht man ihn ein Mal in achtundvierzig Stunden, dachte der Tandler, sagte aber höflich: »Akten sind ein heikles Thema, da müssen wir sichergehen, dass die Inhalte nicht in falsche Hände fallen. Wenn da irgendwas drinsteht, was nicht jeder wissen soll, dann sollten wir –«

»Die Aktenvernichtung nehmen, ich weiß, hat mir Frau Bruckner schon gesagt.« Sichtlich unwillig nahm er wahllos ein paar Ordner zur Hand, blätterte sie oberflächlich durch und sagte dann: »Irgendwelche alten Rechnungen, was weiß ich. Aber muss ja nicht jeder wissen, wann meine Großeltern Klopapier gekauft haben, hehe, nachher entsorgen Sie es halt bei der Aktenvernichtung, Geld –«

»Spielt keine Rollex, ich weiß«, unterbrach ihn der Tandler.

»Schau, schau, haben Sie was gelernt«, entgegnete Zamberk-Tachov und verließ das Zimmer so eilig, wie er es betreten hatte. Frau Bruckner blickte verlegen zu Boden.

»So ein … unangenehmer Mensch«, sagte der Tandler leise.

»Gott sei Dank ist es bald vorbei. Ende des Monats …«

»Ich hab gedacht, Sie haben für die Tante gearbeitet, nicht für ihn?«

»Ja, aber leider bezahlt er mich seit zwei Jahren. Die alte Frau Zamberk, die ist … Sie hat sich halt manchmal nicht mehr an alles erinnern können und manche Sachen nicht mehr so schnell verstanden. Das ist immer schlimmer geworden, da hat sie alles, was mit Verträgen und so weiter zu tun hatte, auf ihn übertragen. Wenn es nicht wegen der Frau Zamberk gewesen wär, hätte ich schon lange gekündigt.« Frau Bruckner bekam feuchte Augen, versuchte, unauffällig eine Träne wegzuwischen.

Der Tandler kämpfte mit sich, weinende Frauen verunsicherten ihn. Sollte er sie trösten? Oder einfach weiter der Entrümpler sein? Ihm fielen keine passenden Worte ein, er kannte ja weder Frau Zamberk noch Frau Bruckner, auch nicht das Verhältnis zwischen der Pflegerin und der früheren Schlossherrin. Verlegen begann er einen Satz mit Ähs und Hms, da gab sich Frau Bruckner einen Ruck, wickelte sich tiefer in ihre Strickjacke und sagte: »Lassen Sie uns weitermachen!«

Müde war der Tandler, als er gegen neun Uhr abends endlich in seine Wohnung heimkehrte. So müde, dass er beim Ausziehen der Arbeitssachen die beiden Briefe gar nicht mehr bemerkte, die er gefunden hatte.

Erst am nächsten Tag, als er sich für die Arbeit fertig machte, fiel ihm das Papier in der Seitentasche seines Overalls auf. Immer schon war er neugierig gewesen. Sicherlich war es spannender, zum Frühstück anstatt der Tageszeitung diese beiden Briefe zu lesen.

Das Frühstück für körperlich anstrengende Tage bestand beim Tandler aus einer Eierspeis mit aufgebackenem Brot, einem großen Teller Müsli mit viel Obst und einem halben Liter grünem Tee. Er machte es sich am Tisch gemütlich und nahm die Briefe zur Hand.

Die Eierspeis war mittlerweile kalt geworden. Der Tandler aß sie trotzdem, sonst würde er nicht ohne Hunger über den Vormittag kommen. Die Briefe verwirrten ihn. Einer war auf den 6. August 2006 datiert, der andere ohne Datum. Beide begannen mit »Meine Liebe«, wiesen aber weder Absender noch Adressaten auf und waren unterschrieben mit »Deine eh-scho-wissen«.

Im Brief vom August 2006 stand:

Meine Liebe,

neulich ist er endlich einmal für einen Tag weggefahren und hat vergessen, den Schlüssel zum Glashaus mitzunehmen. Ich bin rein, und jetzt hab ich noch mehr Angst! Er züchtet Rizinus, drei Stauden sind da, fast schon zwei Meter hoch. Blauer Eisenhut, Goldregen, Tränendes Herz, Aronstab … auch Tollkirschen sind dabei, Engelstrompete. Ich hab im ganzen Glashaus keine einzige Pflanze gefunden, die nicht giftig ist.

Glaubst Du mir jetzt?

Deine eh-scho-wissen

Der undatierte Brief war ähnlich kurz. Der Tandler hatte die Handschrift verglichen, sie schien ihm die gleiche zu sein. Er hatte das Gefühl, dass die Schrift in diesem Dokument etwas zittrig war, nicht so klar wie im anderen.

Meine Liebe,

er hat geglaubt, dass ich schlafe. Ich hab ihn getäuscht. Ich trink den Tee nicht mehr, den er mir jeden Abend gibt, ich leere ihn in die Blumenvasen. Er stierlt nachts in meinen Sachen, besonders in den Papieren. Gut, dass ich Dir alles geschickt hab, bei Dir sind die Sachen sicher, das weiß ich. Was soll ich nur tun?

Deine eh-scho-wissen

Wer hatte hier wann an wen geschrieben?

»Tandler, das geht dich nichts an«, sagte der Tandler laut zu sich selbst. Dann seufzte er. Es würde ihm eh keine Ruhe lassen. Er musste unbedingt herausfinden, wer die Briefe verfasst hatte und an wen sie gerichtet waren. Denn: »Dem wahrhaft Neugierigen erschließt sich alles, was das Leben zu bieten hat.« Das stand nicht nur als Motto eingerahmt in einem verschnörkelten Bilderrahmen auf der Küchenanrichte, sondern entsprach tatsächlich dem Naturell des Tandlers.

Er fuhr etwas früher als verabredet zum Schloss. »Gibt es hier ein Glashaus?«, fragte er Frau Bruckner, die immer noch in Strickjacke und Pelzstiefeletten herumlief, obwohl es mittlerweile fast zwanzig Grad hatte.

»Hat der Besitzer Ihnen das nicht gezeigt?«

Der Tandler schüttelte den Kopf.

»Das ist hinter dem Badehaus, wenn Sie den Weg weiter bergauf gehen. Soll das auch entrümpelt werden? Da ist doch nichts mehr drin.«

»Anscheinend hat Herr Zamberk-Tachov es vergessen. Ist er da? Nein? Ja dann. Sollen wir es uns kurz anschauen? Nicht dass dort doch noch Sachen sind, die wegmüssen«, meinte der Tandler beiläufig.

Frau Bruckner fischte einen dicken Schlüsselbund aus ihrer Jackentasche und ging die Schlüssel durch. »Ich hoffe, dass der richtige dabei ist. Kommen Sie mit! Ich muss ja in zehn Minuten wieder hier sein, um Ihre Mitarbeiter reinzulassen.«

Frau Bruckner schritt zügig voran, an den Garagen vorbei – sie waren immer noch mit Vorhängeschlössern abgesperrt – und bog hinterm Badehaus auf einen schmalen Fußweg ein, der bergauf führte und hinter einer hohen, dicht gewachsenen Hecke abzweigte. Ab dort war der Blick frei auf eine große Wiese, am oberen Ende stand ein Glashaus.

»Südhang«, erklärte Frau Bruckner. »Wenn das Wetter gut ist, hat man dort von morgens bis spätabends Sonne. Wenn Sie sich alte Fotos anschauen – das war ein Blumenmeer vor dem Schloss. Alles war bepflanzt. Ein Gärtnerehepaar war hier beschäftigt und hat sich um den Park gekümmert. Wir haben seltene, sehr alte Bäume und viele andere wertvolle Pflanzen. Jetzt ist alles heruntergekommen. Hoffentlich kümmert sich die Hotelgesellschaft besser drum.«

Das Dach des Glashauses wies einige Schäden auf, Scheiben waren zerbrochen, ein paar Stahlstreben eingeknickt. Schon von außen konnte man erkennen, dass hier seit Langem niemand mehr gegärtnert hatte. Nach ein paar Versuchen ließ sich das Schloss öffnen. Drei Reihen von Pflanztischen, deren Zustand noch gut war, standen neben Stapeln von Tontöpfen verschiedener Größe. Vertrocknetes Unkraut überwucherte eine Fläche, die einmal für Beete genutzt worden war.

»Da werden wir ihn wohl fragen müssen, ob das auch alles wegsoll«, murmelte Frau Bruckner wenig begeistert.

»Besser ist es. Wenn ja, wird das nämlich eine ganz schöne Schlepperei, da können wir mit dem Lkw ja nicht einfach heranfahren.«

»Im Gärtnerhaus ist so ein Rasenmäher zum Draufsitzen, der hat auch eine kleine Ladefläche, ich weiß aber nicht, ob der noch funktioniert. Kommen Sie, wir müssen gehen.« Frau Bruckner schloss das Gewächshaus wieder ab.

Eigentlich überflüssig, dachte der Tandler, wer soll schon in ein leeres Glashaus einbrechen? Noch dazu, wenn man dafür erst aufs gut eingezäunte Schlossgelände gelangen musste.

Das Glashaus existierte also, aber etwas passte nicht zum Inhalt des Briefes: Hier war doch alles von außen einsehbar. Warum also hatte »eh-scho-wissen« in das Gewächshaus hineingehen müssen, um zu sehen, was dort wuchs?

»Hat das Glashaus früher einen Sichtschutz gehabt?«

Frau Bruckner sah ihn verständnislos an. »Warum sollte es? Es ist ein Glashaus, da muss die Sonne hineinscheinen können. Beeilen Sie sich, ich muss das Tor aufmachen.«

Gegen Mittag tauchte Zamberk-Tachov auf. »Das Glashaus? Das hab ich völlig vergessen. Räumen Sie es aus, Tandler, aber werfen Sie nicht mit Steinen!« Laut lachend ließ er Frau Bruckner und den Tandler stehen.

»Wo geht der eigentlich immer hin?«

»Hinter der Kapelle ist eine größere Terrasse, da hat er sündteure Gartenmöbel, einen überdachten Grillplatz und einen Kühlschrank hingestellt. Da liegt er den ganzen Tag herum und spielt auf dem Handy.« Man konnte Frau Bruckner anhören, was sie davon hielt.

»Das Glashaus machen wir zum Schluss«, schlug der Tandler vor. »Das muss eh alles auf den Recyclinghof, die Sachen krieg ich nicht verkauft.«

Am Abend hatten sie es geschafft, alle brauchbaren Gegenstände aus der ersten Etage des Hauptgebäudes in den Stadl nach Riedl zu transportieren. Dorian hatte die Männer eingeladen, bei seinem Onkel im Grill zu essen. »Das haben wir uns verdient, ein schönes Bier und Qofte, Sarma und Turli!«

»Du meinst Keftedes, Dolmades und Briam«, lästerte Theo.

Sali erläuterte ausführlich, warum die albanischen Speisen erstens anders und zweitens viel besser als die griechischen schmeckten, während Theo darauf bestand, dass es ohne die Griechen diese Gerichte gar nicht gäbe, weil die Hellenen alles erfunden hätten. Das konnte jetzt stundenlang so weitergehen.

Nach dem Essen steckten Theos Söhne und Sali die Köpfe zusammen und kommentierten in ihren Muttersprachen Fotos auf ihren Handys.

Der Tandler wusste, dass die Griechen Albanisch verstanden und die Albaner Griechisch, er wurde neugierig. »Darf ich auch mitschauen?«

Erschrocken steckten Petros, Stefanos und Sali ihre Handys weg.

Nun wurde Theo hellhörig. »Handys her, sofort!«, befahl er. Es erstaunte den Tandler immer wieder, dass die beiden, obwohl längst volljährig, ihrem Vater gehorchten. Theo drückte auf dem Display herum, dann begann er, auf Griechisch zu schimpfen.

»Was ist denn los?«, fragte der Tandler.

»Sie haben natürlich Fotos von den Autos gemacht, obwohl Frau Bruckner das verboten hat. Ihr seid doch …! Ich hoffe, ihr habt das noch nicht irgendwo gepostet. Was, glaubt ihr Dummköpfe, wird passieren, wenn jemand diese Fotos sieht? Dann ist Sebo seine Kundschaft los. Und ihr euer Taschengeld!« Er reichte dem Tandler Stefanos’ Smartphone. »Schau selbst.«

Auf dem Handy befanden sich ungefähr dreißig Bilder, die die Männer – einzeln oder zu mehreren – in lässigen und angeberischen Posen neben den Oldtimern zeigten. »Wann habt ihr die denn gemacht? Die Garagen sind doch jetzt abgeschlossen.«

»Die Tore ja, aber an der Rückwand gibt es ein Fenster, das lässt sich nicht von innen abschließen. Du kannst es ganz leicht aufdrücken, und wenn du wieder rauskletterst, ziehst du es halt zu«, gestand Petros.

»Was ist das denn?« Der Tandler deutete auf ein Foto von Sali, der ein Gewehr in den Händen hielt und in die Kamera zielte.

Theo entriss dem Tandler das Handy und herrschte Stefanos an: »Was für einen Mist habts ihr da wieder angestellt?«

»Da kann ich doch nix dafür, dass da ein Schrank mit Puffen steht!«