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Turbulente Fortsetzung von "Der Teufel ist blond"!In Lisa Teufels Leben geht es schon wieder drunter und drüber. Gerade hat sie ihre Tochter Isabelle auf die Welt gebracht, doch bald darauf will Tom schon wieder für seinen Beruf ein paar Monate in die USA reisen. Doch nicht nur das, er lädt auch noch seine Mutter, die ein Albtraum für jede Schwiegertochter ist, ein. Sie soll gemeinsam mit Lisa auf das Baby aufpassen. Doch das lässt sich die junge Frau nicht gefallen. Ihr erster Schritt ist es, sich die Haare rot zu färben, doch das ist noch lange nicht das Ende ihres Widerstands! Denn Lisa ist mehr als bereit, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.-
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Seitenzahl: 291
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Susann Teoman
Saga
Der Teufel sieht rotCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2008, 2019 Susann Teoman und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726255812
1. Ebook-Auflage, 2019
Format: EPUB 2.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk
– a part of Egmont www.egmont.com
Rot.
Da sitze ich nun und lasse die vergangenen drei Monate Revue passieren.
Rot.
Mehr fällt mir dazu nicht ein.
Er hat sein Versprechen gebrochen, der Schweinehund! Und das ist nun das Ergebnis: Rot.
Es ist ja nicht so, dass ich mich darauf eingestellt hätte, dass er mir bei Isabelles Betreuung hilft, vielmehr war ich darauf gefasst gewesen, mein Dasein von jetzt an als alleinerziehende Mutter zu fristen, ganz wie seinerzeit meine Mama, Jessica Teufel. Wir Teufelinnen sind starke Frauen, wir brauchen die Schweinehunde dieser Welt nicht! Wir kommen auch so klar! Jawohl! Und ich war ja auch schon bei Benny und Karl eingezogen, die mich und meine Tochter bestimmt nach Strich und Faden verwöhnt hätten. Und da kommt er in letzter Minute daher und sagt, dass er mich liebt. Und ich lasse alle Deckung fallen und werfe mich ihm erneut an den Hals, obwohl ich doch genau weiß, dass er ein Workaholic ist und sich eben nicht wirklich ändern kann, der Schweinehund.
Tom ist wie Rauchen oder Diätpillen oder Fastfood oder Schokolade oder Alkohol. Wenn man ihn zu oft genießt, wird man süchtig nach ihm, und ich vermute, dass er das ganz genau weiß. Warum nur habe ich mich wieder auf ihn eingelassen? Warumwarumwarum?
»Sieht schon ein wenig ungewohnt aus.« Mia betrachtet mich prüfend im Spiegel.
Ja, genau so, wie ein Atompilz im Küchenfenster bestimmt ungewohnt wirkt.
»Das ist der letzte Schrei, Mailänder Starfriseure haben damit auf der Internationalen Friseurmesse den ersten Platz belegt.« Begeistert turnt Mark, Mias unheimlich teurer Starfriseur, um mich herum und schnippelt hier und da noch ein wenig von meiner Löwenmähne ab.
»Ich finde, du siehst fabelhaft aus«, lobt Mia und sieht tatsächlich begeistert aus. Ich könnte ihr den Hals umdrehen, obwohl ich genau weiß, dass das alles meine Schuld ist. Wenn ich in Extremsituationen eine Entscheidung fälle, dann kommt sie mir in diesem Moment immer total rational und richtig vor. Leider verraucht meine Wut meistens schnell, und dann bin ich mit Ergebnissen wie diesem konfrontiert.
Rot. Und so verdammt kurz!
Ich betrachte mich kritisch im Spiegel.
Ich hatte dereinst wunderschöne güldene Locken, die in sanften Wellen den Rücken hinabflossen. Ich möchte weinen. Kann aber nicht. Denn in Wahrheit war es senffarbene Stahlwolle gewesen, die sich irrtümlicherweise an meiner Kopfhaut festgefressen hatte. Es ist sehr betrüblich, aber wahr: Ich habe in den vergangenen dreißig Jahren so ausgesehen wie eine verspätete Ausgabe von Tina Turner.
Nun habe ich weiche Löckchen, die sich sanft um mein bleiches Gesicht kringeln. Sie glänzen sogar! Ich würde mich beinahe freuen, wenn sie nicht so entsetzlich rot wären.
Als ich zu Beginn meiner Schwangerschaft, von der Tom übrigens nichts wusste, seinen Heiratsantrag erwartete und er mir stattdessen den Laufpass gab, war ich am Boden zerstört. Ich hätte ewig von Merlot und Häagen Dazs leben können, wenn ich nicht mit Isabelle schwanger gewesen wäre. Als ich auch noch meinen Job verlor, war ich an einem Tiefpunkt angelangt, aus dem mir vor allem Benny und Mia herausgeholfen haben. Benny, weil er mich ständig zum Lachen brachte, und Mia, weil sie mich bat, ihre Hochzeit zu planen, die mir unverhofft Zugang zu einem neuen Job verschaffte: Hochzeitsplanerin. Und ich bin sogar unheimlich gefragt! Wer hätte das je gedacht! Ich selbst sicher am allerwenigsten. Ich wollte bei Benny und Karl, seinem Lover, einziehen, als Tom erfuhr, dass ich von ihm schwanger war. Scheinbar wurde ihm dann klar, dass es wichtigere Dinge im Leben gibt, als Karriere zu machen. Aber nur scheinbar.
Denn wenn ihm seine verdammte Karriere nicht so wichtig gewesen wäre, dann säße ich nun nicht hier und würde mein feuerrotes Antlitz anstarren, das mich mit blassen Wangen und dunklen Ringen unter den Augen aus dem Spiegel heraus anglotzt.
Weil er Karriere machen will, muss ich mich nicht nur um meine kleine Isabelle kümmern, sondern auch um eine völlig durchgedrehte Gertrud, die mich verstehen lässt, warum Hannibal Lecter damit begann, brutale Morde zu begehen. Ich habe mich in den vergangenen drei Monaten schon oft genug gefragt, wie es wohl wäre, Gertrud mit einer Pinzette langsam zu ermorden und ihr Stück für Stück alle Haare einzeln auszureißen. Nicht, dass ich mich von dieser Vorstellung schon verabschiedet habe. Dazu ist sie viel zu schön.
Ich bin ganz einfach zu müde für solche Attentate.
Im Grunde erinnere ich mich kaum daran, wann ich das letzte Mal durchgeschlafen habe. Die letzten Nächte meiner Schwangerschaft waren von ständigen Klobesuchen gezeichnet, weil Klein-Isabelle nachts auf meiner Blase Polka tanzte.
Und als sie dann geboren war, war an Schlaf ohnehin nicht mehr zu denken. Zu Beginn hatte ich auf Toms Unterstützung gehofft, aber er hatte einen entscheidenden Nachteil: keine Brüste!
Isa hing zu Beginn nur allzu gerne nuckelnd an meiner Brust, das war die einzige Möglichkeit, sie vom Schreien abzubringen.
Tom hatte sich zwar in den ersten beiden Wochen nach der Geburt frei genommen, aber wirklich helfen konnte er mir dann doch nicht. Er hat sich davor gefürchtet, sie an- oder auszuziehen, weil alles an ihr so winzig war und er Angst hatte, mit seinen großen Pranken etwas zu zerquetschen oder versehentlich zu verdrehen. Aber zumindest hat er sie gebadet und hat sie Bäuerchen machen lassen.
Ich bin so müde!
Und immer noch viel zu dick. Mein einstmals so wunderschöner, strammer Po, der immer schon ein wenig zu groß geraten war, sieht aus, als wären es in Wirklichkeit zwei Hintern. Dafür ist meine eher zu klein geratene Brust durch die Milch enorm angeschwollen. Stolz betrachte ich meine Oberweite. Da zeichnet sich mit einem Mal ein dunkler Fleck auf meiner Bluse ab. Meine Milch quillt über, mal wieder.
Das passiert häufig, wenn ich mehr als eine Stunde von Isa getrennt bin. Ich muss nur an sie denken oder Babygeschrei hören, und schon macht sich der Milcheinschuss mit einem leichten Ziehen bemerkbar, und die Milch fließt für ein paar Momente ganz von allein.
Ich fühle mich wie Wackelpudding. Alles schwabbelt, wenn ich gehe. Mia sagt, dass ich übertreibe. »In neun Monaten kommt das Gewicht, und in neun Monaten erst wird es wieder verschwunden sein. Du musst eben noch ein wenig Geduld haben«, belehrte sie mich.
An eine Diät ist natürlich nicht zu denken.
Zum einen habe ich dafür viel zu wenig Selbstdisziplin, und zum anderen stille ich noch und bin daher stets hungrig wie ein Wolf. Aber da Stillen angeblich auch schlank macht, hoffe ich einfach das Beste und warte ab.
Der Haarschnitt gefällt mir auf jeden Fall, und auch die Haarglättung scheint erfolgreich gewesen zu sein. Die Stahlwolle ist einer sanften, matt schimmernden Masse von Wellen gewichen. Und weil die Haare mir nun nicht mehr senkrecht vom Kopf abstehen, konnte man sie auch kürzen. Sie sind adrett, aber unauffällig gestuft und bedecken gerade einmal meinen Nacken. Aber ich hatte noch nie zuvor im Leben so rote Haare.
»Sie sind wirklich sehr rot, nicht wahr?«, wage ich einen dezenten Einspruch.
Mark lehnt ab. »Du hast das richtige Gesicht und die richtigen Augen dafür. Glaub mir, du siehst fabelhaft aus!«
Lügner.
Ich sehe aus wie eine russische Nutte.
Mia beugt sich zu mir herab. »Lisa, ich weiß, dass das eine drastische Veränderung ist, aber du siehst wirklich großartig damit aus!«
»Wirklich?« Zweifelnd zupfe ich an meinen seidenweichen Haaren.
»Ja!«, rufen beide.
Ich werfe einen Blick auf das Schlachtfeld um mich herum. Meine ehemals blonden Locken liegen wie tote Goldfische unter meinem Stuhl. Ich sehe wieder auf, und ich kann mir nicht helfen: Meine neue Frisur hatte ich mir wirklich anders vorgestellt.
Als Mia und ich vor einer Stunde herkamen, war ich fest zu einer Typveränderung entschlossen gewesen. Ich bin eine neue, verbesserte Version von Lisa Teufel, und alle sollten das auch wissen. Und welche Farbe passt wohl besser zu einem Teufel als rot?
Das habe ich auch Mark mitgeteilt. Der war begeistert und versicherte mir ständig: »Eine ausgezeichnete Wahl, wirklich! Ich selbst hätte dir auch zu dieser Farbe geraten. Sie betont deinen Typ hervorragend!«
Nur hatte ich mehr an ein romantisches Sonnenuntergangsrot gedacht, während Mark da wohl mehr die Vorstellung von einer roten Ampel oder einem Sonnenbrand hatte.
Und das ist nun das Ergebnis: Rot! Feuerwehrauto-, Tomatenketchup-, Erdbeerrot. Rot! Tom hasst rothaarige Menschen, das hat er mir neulich selbst gesagt. Wenn er Boris Becker sieht, muss er würgen.
Tom, der dafür verantwortlich ist, dass meine Augen wieder in Tränen schwimmen, weil ich ihn vermisse und er mich verletzt hat, schon wieder. Nur dass ich ihm diesmal nicht für seine Sünden vergeben werde. Diesmal nicht, nicht mit mir!
»Ist das denn nicht zu... ähem, rot?«, frage ich schüchtern.
Mark und Mia verneinen.
»Lisa, du wolltest doch eine radikale Veränderung, das hast du selbst gesagt.«
»Ich weiß.«
»Und diese Veränderung ist wirklich so positiv, dass ich mich frage, warum wir nicht schon früher daran gedacht haben«, fährt Mia fort.
Sie ist toll, meine allerbeste Freundin.
Okay, dann eben rot.
»Und es ist nicht zu kurz?«
Mia schüttelt strahlend den Kopf und drückt mir aufmunternd die Schultern.
Ich greife in meine neue Haarpracht hinein, und sie fühlt sich überraschend weich und seidig an. Ein wirklich schönes Gefühl. Das ist jetzt ein Haar, das man sogar kämmen kann, etwas, das früher nur mithilfe einer Intensivkur möglich gewesen ist.
»Wie wäre es mit einer Maniküre?«, erkundigt sich Mark.
Wusste gar nicht, dass es das hier auch gibt. Aber warum nicht?
»Die spendiere ich dir«, erklärt Mia. »Und eine komplette Gesichtsbehandlung auch.«
Ich lehne mich dankbar zurück und schließe entspannt die Augen. Wer kein Baby hat, wird nie wissen, wie sich dieser Luxus anfühlt, sich einfach verwöhnen zu lassen und einmal nicht an sein Kind denken zu müssen.
Meine Gedanken driften in weite Ferne.
Es hatte alles so vielversprechend begonnen mit einer Hochzeit aus 1001 Nacht ...
Simple Dinge, die dir vollkommen normal vorkommen, wenn du einen flachen Bauch hast, gewinnen einen neuen Wert, wenn du im neunten Monat schwanger bist.
Dinge wie Schnürsenkel zubinden oder gehen, ohne zu watscheln, sexy Dessous im Allgemeinen und Tangahöschen im Besonderen erscheinen einer hochschwangeren Frau so absurd wie eine Sechzig-Zentimeter-Taille. Aber immerhin konnte ich es noch genießen, ein Bad zu nehmen. Und ich aß, was ich wollte und worauf ich Lust hatte. Man muss die Dinge immer eher positiv sehen, finde ich. Sex zum Beispiel ist viel besser, wenn man schwanger ist.
Tom und ich hatten meinen Auszug aus Bennys und Karls Wohnung am vergangenen Wochenende endlich hinter uns gebracht.
In seiner Wohnung angekommen, küsste er mich ausgiebig, vor allem meinen Hals.
»Ich habe dich vermisst«, flüsterte er.
»Ich dich auch.«
»Glaubst du, das Baby stört es, wenn wir ...«
Ich lachte. »Nein, ich denke nicht.«
Durch meine enorme Körperfülle waren wir relativ eingeschränkt, was den Ort des Geschehens anging.
Tom zog mich küssend in die Küche.
»Was sollen wir hier?« Irritiert sah ich mich um.
»Du mochtest es doch immer auf dem Tisch ...«
»Ja, aber da habe ich noch nicht so viel wie ein Kleinwagen gewogen.«
Das Sofa im Wohnzimmer war zu schmal und außerdem weiß, also zu empfindlich, der Teppich juckte, wenn man auf ihm lag, und die Badewanne hatte nur noch Platz für einen von uns.
Wir seufzten und sahen einander an.
»Dann also klassisch im Schlafzimmer«, meinte Tom bedauernd.
Und hier habe ich mich erst einmal auf den Rücken geworfen und mir meine Füße massieren lassen, eine volle Stunde lang. So ein Umzug kann mörderisch sein! Ich war vollkommen erledigt. Tom hatte seine Sache gut gemacht, er hat mich mit der Präzision einer chinesischen Masseuse versorgt. Binnen weniger Minuten lag ich entspannt schnarchend da.
»Hallo? Liebling? Lisa?«, sagte er laut.
Ein Grunzen antwortete ihm nur.
»Mist!«
Er hat sich nicht getraut, mich zu wecken, was klug von ihm war, denn ich hätte in diesem Moment bestimmt nicht freundlich auf seine Annäherungsversuche reagiert. Also hat er sich seufzend neben mir zusammengerollt, was weitaus problematischer war, als es sich nun anhört, denn ich lag quer über dem Bett und wog mittlerweile stolze ... nun ja, ich hatte das Wiegen vor zwei Wochen aufgegeben, aber zuletzt hatte ich zwanzig Kilo zugenommen. Und so haben wir dann einträchtig miteinander geschnarcht. Irgendwann nach Mitternacht musste ich aufs Klo. Als ich wieder zurückkam, saß Tom im Bett und rieb sich die Augen. Er sah aus wie ein kleiner verschlafener Junge, und ich fragte mich, ob unsere Tochter ihm wohl ähnlich sein würde. Mit einem Mal hatte ich Tom so lieb, dass ich auf ihn zurannte und ihn heftig küsste.
»Hm ... das ist aber nett«, murmelte er verschlafen.
»Sei ruhig!« Ich warf mich auf ihn, wie ein Verdurstender sich auf ein eiskaltes Glas Mineralwasser stürzt.
Danach konnte ich nicht mehr einschlafen, also ließ ich mir ein Bad ein.
Ein Bad muss bei mir immer so heiß sein, dass das Wasser noch dampft, sonst friere ich. Ich schloss für einen Moment die Augen und lauschte dem Pochen meines Herzens und den lebhaften, kräftigen Tritten unserer Tochter.
»Schatz?« Tom stand in der Tür zum Bad.
»Wie geht es ihr denn?« Tom setzte sich auf den Wannenrand.
»Prima, sie tritt um sich wie ein Weltmeister!«
Er lächelte, ein wenig traurig, wie ich fand. Dann fiel mir ein, warum. Er hatte ja kaum Gelegenheit gehabt, an meiner Schwangerschaft teilzuhaben. Er hatte so viel verpasst!
Ich nahm seine Hand und zog sie auf meinen Bauch. Unser Baby verharrte in völliger Stille.
»Sprich mit ihr.«
»Was soll ich ihr denn sagen?«
»Das ist egal.«
»Hallo! Ich freue mich schon auf dich!«
Nichts geschah. Tom wollte seine Hand gerade enttäuscht wieder fortziehen, als unsere Tochter mit einem mächtigen Tritt gegen seine Handfläche antwortete.
»Da! Hast du das gesehen? Sie spricht mit mir, mein kleiner Engel.« Er war unglaublich stolz.
Er streichelte meinen Bauch, dann erhob er sich und wollte gehen. Da fiel ihm noch etwas ein, und er drehte sich um und meinte: »Lisa, ich habe gelesen, dass man Schwangere nicht mehr allein baden lassen sollte, sie könnten womöglich in Ohnmacht fallen und ertrinken.«
»Stimmt. Alles ist möglich. Ich könnte auch von einem Grizzlybären in der Wanne ersäuft werden. Aber ich möchte trotzdem baden.«
»Gut. Aber ruf mich, wenn dir schlecht wird, ja?«
»Wie süß von dir!«
Tom grinste frech. »Ich rufe dann Greenpeace, damit sie dich retten.«
»Du Schuft!« Ich warf mit meinem Unterhöschen nach ihm, das er mühelos auffing.
Seine Grübchen bohrten sich noch tiefer in die Wangen, als er mein Höschen betrachtete.
»Was in Gottes Namen ist das?«
»Das ist mein Slip. Er ist sehr bequem«, verteidigte ich mich.
»Ja, und siehst du, er ist auch überaus praktisch. Wenn Tom Hanks ihn in ›Cast Away‹ dabei gehabt hätte, hätte er kein Segel für sein Floß beschaffen müssen.«
»Du!!!«
Bevor unser Baby geboren werden konnte, galt es noch eine Hochzeit zu planen. In meinem Zustand war die bloße Anwesenheit auf einer so pompösen Hochzeit wie der von Angela und Abdul eine echte Herausforderung. Stellt euch ein uraltes Segelschiff vor, das in einen Sturm gerät. Lauscht dem Ächzen und Knarren der alten Balken und Planken, und ihr wisst, wie ich mich nach zehn Schritten anhörte. Genau so. Ich geriet sehr schnell außer Atem und ließ mich dann irgendwo niedersinken. Egal wo, Hauptsache sitzen! Doch ich war fest entschlossen, diese Feier so glanzvoll wie möglich zu meistern. Ich würde alles tun, damit Angela, die Tochter eines Botschafters, und Abdul, ein libyscher Prinz, es nicht bereuten, mir diesen Auftrag trotz all ihrer Zweifel zugesprochen zu haben.
Mittlerweile war es fünf Uhr, und ich stand im Kaminzimmer, in dem die Gäste mit Champagner begrüßt werden sollten. Ich öffnete das Fenster und blickte hinaus, während die Kellner um mich herum alles vorbereiteten. Das Kaminzimmer war rot, was sehr gut in mein Konzept passte. Aber mir war warm, und ich fühlte mich unwohl, ich war erschöpft, hatte viel zu lange gestanden und war zu viel hin und her gerannt, obwohl meine Gynäkologin mir für die letzten Wochen meiner Schwangerschaft doch Ruhe verordnet hatte.
Ich öffnete das Fenster, um ein wenig frische Luft zu tanken, und schloss dabei die Augen. Mann, tat das gut!
Etwas Nasses, Kaltes berührte meine Nasenspitze. Erschrocken öffnete ich die Augen wieder.
Himmel, es schneite! Wir hatten März, und der Schnee fiel in dichten weißen Flocken vom Himmel.
»Schnell, rufen Sie bitte den Bankettkoordinator«, bat ich einen der Kellner.
»Sofort.« Er eilte davon. Ein distinguierter Herr in einem eisengrauen Anzug kam nach wenigen Minuten.
»Sie wollten mich sprechen, Frau Teufel?«
»Es schneit, und der Eingang sollte mit Rosenblättern geschmückt werden, bitte sorgen Sie dafür, dass zuerst gestreut wird. Und auf der Einfahrt werden in kurzen Abständen kostümierte Pagen stehen, die eine Laterne halten. Würden Sie bitte veranlassen, dass sie Regenschirme und Tee oder Kaffee bekommen, damit sie dort nicht allzu sehr frieren. Unsere Gäste werden vielleicht auch durchgefroren hier ankommen. Bitte kümmern Sie sich darum, dass Feuer in den Kaminen brennt und heiße Getränke bereitstehen.«
Er machte sich Notizen, nickte zustimmend und ging wieder.
Innerhalb der nächsten Stunde war die Kölner Innenstadt völlig zugeschneit. Das hatte ich noch nie erlebt.
Das Hotel sah aus, als wäre es mit einer weißen Haube aus Sahne garniert, und Feuer prasselte in den Kaminen. Das passte eher zu Weihnachten als zum Frühling. Die ersten Gäste trafen bereits ein und waren von den Pagen in den libyschen Trachten begeistert. Man unterhielt sich bei hausgemachtem Glühwein, Champagner, Kaffee oder Tee meist in englischer Sprache und äußerte sich begeistert über die weihnachtliche Stimmung.
Um acht Uhr waren beinahe alle Gäste eingetroffen. Trotz des unerwartet kalten Wetters schienen sie gut gelaunt zu sein, und als einer der kostümierten Pagen dann das Buffet für eröffnet erklärte, ertönten Begeisterungsrufe.
Glücklicherweise ließen sich die Bauchtänzerinnen gegen einen kleinen Aufschlag gerne dazu überreden, die Gäste auch an ihre Tische zu führen. Die dunkelhäutigen orientalischen Schönheiten trugen tiefrote Pluderhosen, weiße Blusen und blaue, sehr eng anliegende Westen, die sich wie Mieder um ihre schlanken Taillen schmiegten, und ihre zierlichen Füße steckten in blauen Samtpantöffelchen.
Der Salon war sehr reich geschmückt mit weißen Damasttischdecken, goldenem Besteck, goldenen Platztellern und dunkelroten Kerzen, die aus tiefroten Blumengestecken wie zufällig auftauchten. Kleine goldene Sonnen, Monde und Sterne waren über das Gesamtarrangement verstreut und leuchteten im Schein der Kerzen. Die Stühle waren mit Bezügen versehen, die aus einem komplizierten Geflecht blauer, goldener und roter Ornamente bestanden. Alles passte. Die Gäste waren hingerissen, vor allem, als das Licht erlosch.
Zunächst vermutete jemand, das Licht sei ausgefallen, und machte eine ironische Bemerkung, vereinzelt ertönte übermütiges Lachen. Doch als der einsame Klang einer Flöte durch den vom riesigen Kamin mit flackerndem Licht erhellten Raum schwebte, schwieg auch er.
Die Bauchtänzerinnen traten auf. Sie trugen Kerzen in beiden Händen und drehten sich in anmutigem Tanz. Da war auch schon die Solistin, völlig in Gold gekleidet, und die Gäste hielten bei ihrem Anblick wie gebannt den Atem an.
Die Tänzerinnen bildeten einen Halbkreis, und zu einer eigens für diesen Zweck komponierten Melodie öffneten sich die beiden Türen zum Festsaal. Zwei Frauen hielten Fackeln in den Händen und standen vor dem Eingang. Und da erschien das Brautpaar. Huldvoll betraten sie den Saal. Angelas weißes, weites Kleid flackerte im Schein des Feuers.
Ich hörte ein unterdrücktes Schluchzen und vermutete, dass es von ihrer Mutter kam. Abdul trug einen mitternachtsblauen Anzug. Seine schwarzen Samtaugen schimmerten leicht. Ob sie nur das Licht der Fackeln spiegelten oder ob es Tränen waren, war schwer zu sagen.
Langsam wurde es heller im Saal. Die Musik glitt in einen Walzer hinüber, und die barfüßigen Tänzerinnen verschwanden mit fließenden, lautlosen Bewegungen. Das Paar tanzte nun seinen ersten Tanz, angefeuert vom Applaus der Gäste.
Ich hatte schon eine Weile am Eingang gestanden und merkte erst jetzt, wie müde ich war. Ich suchte mir einen Platz, an dem ich meine Füße weit von mir strecken konnte, und stöhnte leise. Ich hatte heute wirklich schlimme Rückenschmerzen. Sobald ich könnte, würde ich mich auf den Heimweg machen.
Nach einer Weile sah ich die Braut auf mich zukommen. Meine Güte, sie würde sich doch nicht etwa beschweren?
»Hallo, Lisa«, begrüßte sie mich freundlich. Hinter ihr tauchte ein bekanntes Gesicht auf, das sich allerdings etwas zurückhielt.
»Hallo! Meine Glückwünsche, Angela.«
»Danke. Ich habe es nicht glauben wollen, aber Sie haben sich wahrhaftig selbst übertroffen. Ich bereue es nicht im Geringsten, Ihnen den Auftrag gegeben zu haben. Im Gegenteil, ich bin davon überzeugt, dass unsere Hochzeit niemand besser hätte arrangieren können als Sie.«
Mir fiel ein Stein vom Herzen.
»Vielen Dank.«
»Und weil ich denke, dass Sie wirklich gut sind, werde ich dafür sorgen, dass man Ihren Namen bis spätestens morgen früh überall kennt«, fuhr Angela mit glänzenden Augen fort.
»Wie bitte?«
»Sie kennen Tatjana Tastenko?«
»Von Spot?«Wer kannte das Klatschmagazin aus dem Fernsehen denn nicht.
»Richtig! Sie würde Sie gerne interviewen. Tatjana!«
Ich war völlig perplex und setzte mich kerzengerade auf.
Tatjana sah aus wie ein Model und fuchtelte mit einem Mikro unter meiner Nase herum, während ich von einem blendenden Kamerascheinwerfer angestrahlt wurde. Schon beschoss sie mich mit Fragen.
»Lisa Teufel ist die Inhaberin der aufstrebenden Eventagentur Teufelswerk. Wie kommtes, dass ein so junges Unternehmen schon so viel Erfolg hat? Was ist Ihr Geheimnis? Welche Hochzeiten haben Sie bisher organisiert? Sind Sie ausschließlich auf Hochzeiten spezialisiert?«
Ich rang einen Moment um Fassung, vor allem, weil mir der krasse Unterschied zwischen der überirdisch schönen Tastenko und meiner schwerwiegenden Person deutlich bewusst war. Maaann! Ich sah wirklich enorm fett aus, und ist es nicht so, dass man vor der Kamera noch mal so dick ausschaut, wie man eigentlich ist?
Herrschaftszeiten, Lisa, komm zu dir! Wir Teufel lassen uns doch nicht von solchen Banalitäten wie dicken Bäuchen ins Bockshorn jagen! Ich bin dick, weil schwanger, ich kann stolz auf mich sein!
»Hochzeiten sind so individuell wie die Menschen selbst. Und jeder Mensch ist etwas ganz Besonderes, wie jede Hochzeit etwas Besonderes und Einzigartiges ist. Ich versuche im Grunde nur, meine Klienten glücklich zu machen. Und was meine bisherige Arbeit angeht: Vertrauen ist die wichtigste Basis meines Jobs. Ich kann Ihnen daher ohne vorheriges Einverständnis leider keine Namen nennen.« Ich lächelte freundlich, während Tatjana wortgewandt in die Kamera schaute und sagte: »Das war Lisa Teufel, und wir sind uns sicher, dass wir von ihr und Teufelswerk noch eine Menge hören werden.«
Als die Kameraleute sich in die Menge mischten, drehte sie sich noch einmal zu mir herum.
»Frau Teufel, ich möchte Ihnen zu Ihrem Erfolg hier gratulieren.«
»Danke«, akzeptierte ich überrascht.
»Ich weiß nicht, wie Ihr Terminplan aussieht, aber wie es der Zufall so will, habe ich gestern einen Heiratsantrag bekommen.«
»Meinen Glückwunsch!«
»Danke. Nun, wir möchten nicht mehr allzu lange warten, und ich bin ja ständig unterwegs, wie Sie sehen. Um es kurz zu machen: Ich möchte, dass Sie unsere Hochzeit ausrichten.«
Es war kaum zu glauben! Noch vor kurzem war ich nichts weiter als Lisa, die Tippse, und nun war ich eine Eventmanagerin, die die Hochzeiten prominenter Menschen plante.
»Frau Tastenko, ich würde mich freuen, wenn wir uns in der nächsten Woche einmal treffen könnten.«
»Ja, das ist eine gute ...«
In diesem Moment erloschen die Lampen.
Tatjana Tastenko schien auch verwirrt und sah mich fragend an, aber ich zuckte ratlos die Schultern. Ich hatte das jedenfalls nicht geplant.
Ein verwirrtes Gemurmel machte sich im Saal breit. Ein Stromausfall? Keine gute Werbung für mich.
»Entschuldigen Sie mich bitte, Frau Tastenko.« Entschlossen wandte ich mich dem Ausgang zu.
Angela warf mir aus der Entfernung einen Blick zu, den ich nicht recht deuten konnte. Ich hielt abrupt inne. Hatte sie womöglich eine Überraschung für ihren Mann vorbereitet, von der sie mich nicht unterrichtet hatte? Noch bevor ich etwas sagen konnte, erscholl ein Trommeln. Einer, zwei, drei, vier Männer in blauen Pluderhosen und ohne Oberteile dafür aber mit muskulösen Oberkörpern, kamen herein. Sie schlugen Trommeln, die sie sich umgeschnallt hatten, und mit einem Mal war es so laut, dass ich das Gefühl hatte, der Boden vibriere unter meinen Füßen. Der Rhythmus war absolut mitreißend und endete abrupt, als die Männer gemeinsam »Hey!« riefen.
Die dunkle Silhouette einer Person war auf der Tanzfläche zu sehen. Ganz allein stand sie dort, abwartend. »Was ...?«, hauchte ich überrascht, als das Licht wieder anging. Es war Tom!
Er kam langsam auf mich zu. Seine grünen Augen funkelten, und er sah in dem Smoking wirklich unverschämt gut aus. Mir war nur überhaupt nicht klar, was das alles hier zu bedeuten hatte.
Die Band spielte unser Lied, »More than words«. Das Lied, zu dem wir uns zum ersten Mal geküsst haben. Plötzlich verstand ich, was er vorhatte, hatte aber gleichzeitig auch Angst, dass alles nur eine Halluzination sei, die durch zu viele Schwangerschaftshormone ausgelöst wurde.
Ich stand auf und setzte mich wieder. Ich wusste nicht, wohin mit meinen dicken, verschwitzten Händen.
Ich wünschte mir in diesem Moment, ich wäre schlank und schön, dann aber auch wieder nicht.
Als er vor mir stand und meine Hände in seine nahm, spürte ich, wie die Menschen um uns herum den Atem anhielten.
Tom war ruhig, seine Stimme schallte klar und deutlich durch den Raum.
»Lisa, ich weiß, dass die vergangenen Monate schwer für dich waren. Ob du es nun glaubst oder nicht: Auch für mich war es eine schwere Zeit. Ich musste erfahren, was es bedeutet, ohne dich zu leben, zu wissen, dass es keine Überraschungen mehr in meinem Leben gibt. Und das Schlimmste war die Gewissheit, dass alles meine Schuld ist. Als ich dann erfahren habe, dass du schwanger bist, habe ich gedacht, ein anderer wäre der Vater ...«
»Hört, hört!«, rief eine Stimme. Ich erkannte Benny im Hintergrund, der Karl lachend zuzwinkerte.
»Ich hatte das Gefühl, alles verloren zu haben, was mir je wichtig war. Erst als es schon beinahe zu spät war, habe ich es begriffen: Du bist meine Seele, mein Lachen und meine Freude. Und ohne dich möchte ich nicht leben.«
Tom sah mir tief in die Augen und kniete nieder.
Hinter ihm klatschten und jubelten die Menschen. Er blieb ernst.
»Lisa Teufel, willst du mich heiraten ?«
Ich war ein einziger Cocktail aus Hormonen und Gefühlen und konnte Toms Gesicht kaum noch erkennen, weil mir die Tränen in Sturzbächen aus den Augen flossen. Jemand reichte mir ein Taschentuch, Tatjana Tastenko war es, und ich erkannte Mama im Hintergrund.
Tom hielt noch immer meine Hand.
In diesem Augenblick durchzuckte mich ein unglaublich heftiger Schmerz. Ich schrie auf.
Tom sah mich verwirrt an, und ein Raunen ging durch den Saal.
Ein zweiter gleißender Schmerz durchzuckte mich, und ich schrie erneut, diesmal lauter.
»Mein Gott, das Baby kommt!«, rief Mia in das ratlose Gemurmel hinein.
Und nun war die Hölle los.
Alles rannte wild durcheinander, zumindest die Leute, die ich noch sehen konnte. Ich stand hilflos auf dem Parkett und beobachtete alles mit großen Augen.
Tom nahm meine Hand und war unheimlich blass, Mia und Benny sorgten dafür, dass ich mich setzte und die Füße hochlegte. Mama und ihr Freund rannten in unkoordiniertem Chaos mal nach rechts und mal nach links.
»Das Taxi ist da!«, rief Bräutigam Abdul und sorgte mit Angela dafür, dass die Menschenmenge Platz machte.
Tom beugte sich zu mir herab und wollte mich tragen, doch ich war inzwischen zu schwer, also bestand ich darauf, allein zu gehen, während Tom mich weiterhin tragen wollte.
»Lisa, du kannst doch in deinem Zustand nicht gehen ...«
»Doch, klar kann ich das!«
»Lisa, nun sei doch vernünftig!«
Ich schrie erneut auf, und Tom gab ungewohnt schnell nach: »Ist ja gut, ist ja gut! Okay, du darfst laufen, ich stütze dich.«
»Platz da, bitte gehen Sie aus dem Weg!« Benny und Karl bahnten sich den Weg durch die besorgte Menschenmenge.
»Orchester! Spielen Sie Musik! Herrschaften, tanzen Sie bitte. Hier ist alles in Ordnung«, rief das Spanferkel und gab der Band ein Zeichen.
»Lisa, keine Angst, ich habe deine Handtasche.« Benny fuchtelte mit dem schwarzen Diortäschchen vor meiner Nase herum.
»Die ist mir doch egal«, schimpfte ich.
»Aber sie ist wirklich schön, du willst sie bestimmt nicht verlieren...«
»Benny, halt endlich die Klappe!« Mama verpasste ihm einen Klaps auf die Schulter.
»Lisa, wir holen deinen Klinikkoffer und kommen damit ins Krankenhaus.« Mia drückte kurz meine Hand.
»GOOOOOOTTTTT!!«
»Wie lange dauert so eine Geburt eigentlich?«, fragte Tom besorgt.
»Woher soll ich denn das wissen?«, antwortete Alex nervös.
»Ich dachte ja nur ...«
Ich kreischte erneut.
»Hilfe!!! Meine Frau bekommt ein Baby! Platz da!«, schrie Tom jetzt seinerseits. Kein Zweifel, mein frisch gebackener Verlobter war in eine hysterische Panik verfallen. Mama und das Spanferkel waren wie zwei Hühner, mit hektischen Gesten flatterten sie um mich herum.
»Wo ist das verdammte Auto?«
Vor der Tür standen zwei Taxis.
»Zum Krankenhaus der Augustinerinnen!«, bellte Tom die Fahrer kurzerhand an.
Mit einem Mal schwappte die Panik über. Zuerst stürmten alle auf den ersten Wagen zu und versuchten sich halb schnaufend, halb kämpfend hineinzuquetschen. In heller Aufregung rannten die anderen, die keinen Platz im vorderen Auto ergattern konnten, auf das zweite Taxi zu und quetschten sich unter großem Gerangel und Fluchen hinein.
Mit quietschenden Reifen fuhren die Wagen los.
Ich schrie wieder.
Es war kaum zu fassen! Die waren alle ohne mich abgefahren!
»Hilfe! Ich bekomme ein Baby!«, rief ich entsetzt.
Da eilte Abdul auch schon zu Hilfe. In einem weißen Rolls Royce kam er angerauscht.
»Schnell, Angie, schnell, rein mit ihr!«, rief Abdul.
»Du musst hier bleiben, deine Hochzeit...«, widersprach ich gepresst. Eine neue Wehe überkam mich, und ich stöhnte laut auf.
»Wir haben keine Zeit zu diskutieren, also schnell!«
Und so fuhr ich in einem Rolls Royce ins Krankenhaus, wo mich Benny, Karl, Mama, das Spanferkel und Tom total hysterisch erwarteten.
»Lisa! Gott sei Dank!«, rief Tom erleichtert, als er mich sah.
»Ich dachte, du wärst mit deiner Mutter ins andere Taxi gestiegen, und deine Mutter hat natürlich angenommen, dass du bei mir bist. Stell dir vor, wir kamen hier an, und du warst verschwunden!«
»Tom...«
»Schatz, was sollte denn dieser Unsinn? Du hast mir wirklich eine Höllenangst eingejagt...«
Eine heftige Wehe schien meinen Unterleib zu zerreißen. Der Schmerz war lang und intensiv, er raubte mir den Atem und machte mich unheimlich wütend.
»Das ist alles deine Schuld!«, brüllte ich Tom an.
»Was?« Tom sah aus wie ein paralysiertes Kaninchen.
»Du verdammter Scheißkerl!«, schrie ich gepresst.
»Das sind nur die Wehen, sie meint das nicht so. Alle Frauen drehen während der Geburt durch, das ist völlig normal«, beruhigte ihn das Spanferkel.
»Mama, sag dem Spanferkel, er soll still sein, sonst wird er das noch bereuen!«, drohte ich schwitzend.
»Sie sollten ihre Hand nehmen, dann fühlt sie sich besser«, fuhr er seelenruhig fort.
Ich hätte ihm auf der Stelle seinen fetten, kleinen Hals umdrehen können.
Eingeschüchtert nahm Tom meine Hand, während ein Sanitäter mich in einen Rollstuhl verfrachtete.
Unter der Wucht der nächsten Wehe drückte ich seine Hand so stark zusammen, dass Tom in die Knie ging.
Ich schrie, er auch.
Nun machte sich unser Tross auf den Weg ins Innere der Klinik.
Während meine Mannen vor dem Untersuchungsraum der Entbindungsstation warteten, untersuchte mich der zuständige Gynäkologe und befahl dann: »Der Muttermund ist so weit. Bringen Sie sie sofort auf die Entbindungsstation. Sie da.« Er wandte sich an Tom.
»Sind Sie der Vater?«
»Ja«, erwiderte er atemlos.
»Dann dürfen Sie mitkommen. Alle anderen möchte ich bitten, im Warteraum Platz zu nehmen. Schwester Ariane wird Sie sicher gerne dorthin begleiten.«
Ich atmete gepresst.
»Ich will eine Narkose.«
»Schatz, bist du sicher, dass das gut fürs Baby ist? Ich meine...«
»Wenn ich nicht auf der Stelle eine PDA bekomme, breche ich dir deine verdammte Hand!«, schrie ich mit mörderischer Wut und drückte seine Hand so fest, dass seine Finger leicht knackten, sodass Tom aufschrie.
»Um Gottes willen, Herr Doktor! Sehen Sie denn nicht, die Frau leidet, geben Sie ihr bitte Ihre Drogen!«
Man rollte mich auf die Entbindungsstation, wo eine Hebamme schon warmes Wasser in die Wanne fließen ließ, in der ich mein Baby bekommen wollte.
Ich hatte mich für eine Wassergeburt entschieden, weil mir dies am meisten zusagte. Wie gesagt, ich bade wirklich für mein Leben gern.
Doch der Doktor schüttelte nur den Kopf, während ich noch einmal aus vollem Hals brüllte, was das Zeug hielt.
»Wir haben weder Zeit für eine PDA noch dazu, sie ins Wasser zu bringen. Das Köpfchen ist schon fast zu sehen«, erklärte er gelassen, während die Pfleger mich auf ein Bett verfrachteten.
»Ich will nicht!«, stöhnte ich heftig. Mit einem Mal wollte ich gar kein Baby mehr, sondern nur noch, dass diese verdammten Schmerzen nachließen und ich endlich heimfahren und mich ausruhen durfte.
»Ist schon gut, Schätzchen!« Die rundliche Hebamme tätschelte mir freundschaftlich die Wange.
»Sie werden Mutter, das ist nicht leicht. Sie müssen tapfer sein!«
»Ich will aber nicht tapfer sein!«, brüllte ich.
Tom stand hilflos neben mir. Man sah ihm an, dass er einerseits gerne die Flucht ergriffen hätte, es aber andererseits nicht übers Herz brachte, mich allein zu lassen. Er strich mir meine verschwitzten und zerzausten Locken aus dem Gesicht und küsste meine Stirn. Seine Lippen fühlten sich angenehm kühl an. Dankbar lächelte ich ihm zu, aber nur, bis die nächste Wehe kam.
»Lisa, Sie müssen jetzt pressen!«, rief die Hebamme mit autoritärer Stimme.
Ich hatte mir das Kinderkriegen vollkommen anders vorgestellt. Ich dachte, das würde irgendwie romantisch werden. Mir war klar, dass es Wehen geben würde, aber wie schlimm konnten die schon sein?
Jedenfalls nicht SO schlimm! Wehen, so musste ich jetzt erfahren, fühlten sich wie ein sehr starker Regelschmerz an. Wenn man das nun mit hundert multipliziert, hat man ungefähr eine Ahnung, wie sich eine mittelstarke Wehe anfühlt.
Ich presste, schrie und quetschte Toms Hand. Er schrie nun auch, er hatte Tränen in den Augen und sah abwechselnd von seiner Hand, die in meinem Schraubstockgriff blau angelaufen war, zur Hebamme hinüber.
»So ist’s gut! Weiterweiterweiter!«, ermunterte sie mich.
Ich war erschöpft.
»Nicht aufgeben! Los, pressen, pressen, pressen!«
Und ich presste wieder.
Die Hebamme nervte mich.
»Haben Sie eigentlich Kinder? Dann sollten Sie wissen, wie es sich anfühlt, etwas von der Größe einer Wassermelone durch eine Öffnung so groß wie eine Zitrone zu quetschen. Arrrrrghhh!«
Schwester Ariane beachtete meinen Einwand nicht weiter. Gelassen lächelte sie mir zu und sagte leichthin: »Ich habe drei Kinder.«
»Arrrgh!« Die musste ja wohl wahnsinnig sein! Welche Frau bei klarem Verstand konnte nach diesen höllischen Schmerzen noch weitere Kinder wollen? Waren Frauen mit mehreren Kindern etwa masochistisch veranlagt?
»Da kommt das Köpfchen! Weiter, Lisa! Sie müssen zum After einatmen und dabei drücken, dann klappt es schon«, feuerte die Hebamme mich an.
»Das geht nicht, da kann ich nur ausatmen!«, brüllte ich.
»Versuchen Sie es zumindest!«
Ich schrie und drückte weiter, bis ich keine Luft mehr bekam und merkte, wie der Schmerz sich derart steigerte, dass ich ihn nicht mehr aushalten konnte.
»Jetzt hecheln!«, befahl sie.
Ich hechelte wie ein Hund.