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In Greifswald wird 1490 der Medizinprofessor Heiden in seinem Haus ermordet. Mit seinen fortschrittlichen Gedanken hatte er sich im konservativen Universitätsmilieu viele Feinde gemacht. Der Kopist Martin, der sich in der Mordnacht ebenfalls im Haus befand, macht sich auf die Suche nach dem Mörder. Von Professor Heiden hatte Martin einen ebenso lukrativen wie mysteriösen Auftrag erhalten: In nächtlicher Arbeit soll er ein seltenes medizinisches Buch abschreiben. Niemandem darf er von seiner Tätigkeit erzählen, niemand darf ihn auf dem Weg zur Arbeit sehen. Die Vorsichtsmaßnahmen befremden Martin, aber er hält sie ein - bis schließlich eines Nachts sein Auftraggeber im eigenen Haus erwürgt und er selbst niedergeschlagen wird. Rasch ist ein Schuldiger gefunden, doch Martin ist von dessen Motiv nicht überzeugt und beginnt, selbst zu ermitteln. Auf Hilfe kann er dabei nicht hoffen, denn jeder in der kleinen Stadt versucht, seine eigenen Interessen zu wahren. Martin stößt auf Widerstände und gerät in Konflikte zwischen Professoren, Heilkundigen und Pfuschern, zwischen Tradition und Fortschritt. Dennoch sucht er weiter nach dem wahren Mörder und schwebt dabei selbst in ständiger Gefahr, durch den Teufel vom Ryck überrascht zu werden.
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Seitenzahl: 462
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Die Sommersonne stand im Zenit. In der heißen Luft hing der Geruch von salzigem Wasser, wie er an Julitagen typisch für Greifswald war. Am Rande des Ryck, der sich entlang der nördlichen Stadtmauer durch die Felder bis zur Dänischen Wiek schlängelte, lagen im Schatten der Bäume fünf Jungen und vier Mädchen. Keines der Kinder war älter als zehn Jahre. Die Hitze hatte sie aus den engen Gassen zum Flussufer getrieben, wo sie zunächst ausgiebig im Wasser getobt hatten, bis das Spiel sie ermüdet hatte. Neugierig beobachteten sie nun das Treiben im Hafen, wo Tagelöhner die Ladung einer Kogge löschten. Eichenfässer wurden mit lautem Rumpeln über eine Planke gerollt und auf einen Pferdewagen gehoben. Gerade füllte das letzte Fass die Ladefläche und das Fuhrwerk setzte sich ächzend in Bewegung. Die Rösser kämpften mit der Last, als sie durch das Büchtor in die Stadt stapften. Von der Werft drang gleichmäßiges Hämmern und Sägen herüber. Männer reparierten dort ein Schiff, das vor Kurzem aus Bergen gekommen war und so bald wie möglich dorthin zurückkehren sollte.
Des Beobachtens überdrüssig schlug der Sohn des Bäckers vor, in die Baumkrone zu klettern. Dort wollten sie nach Schiffen Ausschau halten, denn Kaufmann Meier wartete schon seit Tagen auf eine Ladung besten niederländischen Tuches. Die Jungen liebten dieses Spiel. Wer zuerst ein Schiff sah, kletterte herunter und lief zum Hafen, um die Ankunft zu melden.
Der Vorschlag stieß auf begeisterte Zustimmung. Unter den anfeuernden Zurufen der Mädchen begannen die Jungen, die Erle zu erklimmen. Nur ein Knabe zögerte: Martin Haffer, er hatte seiner Mutter gerade erst versichern müssen, nie mehr auf einen Baum zu klettern, nachdem er böse heruntergestürzt war. Gottlob hatte er nur einen gehörigen Schrecken und hässliche Flecken davongetragen. Martin schaute den anderen hinterher. Sein bester Freund, Heinrich Beck, war schon im Geäst verschwunden. Als der Bäckersohn aus dem dichten Blattwerk höhnende Worte rief, hielt ihn nichts mehr zurück. Seine Mutter würde es schon nicht erfahren. Um diese Zeit gab es im Hause des Ratsherrn Beck, bei dem sie als Magd diente, genug zu tun. Höher und höher stieg Martin in die Baumkrone. Keiner der anderen war so flink, so behände, so mutig wie er. Schon hatte er Heinrich überholt. Schließlich hielt er inne und sah über das Land zur Mündung des Flusses. Und ja, aus Richtung Stralsund segelte eine Kogge auf die Einfahrt in den Ryck zu. Die anderen hatten das Schiff noch nicht gesehen. Triumphierend reckte er einen Arm in die Luft. Wie immer hatte er gewonnen. Da ertönte ein Knacken unter ihm. Das Lächeln auf seinem Gesicht erstarb. Einen Augenblick verhielt der Junge mitten in der Luft, dann stürzte er verzweifelt nach Halt suchend in die Tiefe.
* * *
Mit schweißnassem Rücken fuhr Martin Haffer hoch. Kerzengerade saß er im Bett und rang nach Atem. Es dauerte einen Moment, bis er wusste, wo er sich befand – in der winzigen Kammer, die er seit Jahren bewohnte. Seit Wochen hatte ihn der Traum von dem Unglück, das ihn vor mehr als zwanzig Sommern zum Krüppel gemacht hatte, immer wieder verfolgt. Erleichtert über sein Erwachen ließ er sich zurücksinken und zog die Bettdecke bis über die Nasenspitze. Draußen läuteten Kirchenglocken die siebte Stunde des Tages ein.
Zaghaft streckte Martin einen Zeh unter der Bettdecke hervor, zog ihn jedoch gleich wieder zurück. Die Luft im Raum war eisig. Noch immer herrschte Kälte. Dabei schrieb man schon den 12. März des Jahres 1490. Nach einem kühlen, verregneten Sommer war die Ernte des vergangenen Jahres miserabel ausgefallen. Zu allem Übel hatte sich Anfang Dezember Schnee über das Land gelegt. See- und Landhandel, von denen die Hansestadt lebte, waren zum Erliegen gekommen. Sogar das Wasser der Ostsee war im Dezember erstarrt. Viele Menschen waren verhungert oder erfroren. Besonders schlimm traf es die Hafenarbeiter und anderen Bewohner des Armenviertels, die in einfachen Bretterhütten wohnten, durch die der eisige Wind pfiff. Die Bauern hatten im Herbst wenig Getreide auf den Markt gebracht. Sie brauchten die geringe Ernte selbst, um den Winter zu überstehen. Und die Bürger, die eigene Felder vor den Stadttoren besaßen, hatten das Einbringen ihres Korns eifersüchtig überwacht. So war anders als sonst keine Ähre für die Armen liegen geblieben.
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