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10. Juli 1491 - Martin Haffer wird von seinem Landesherrn in eine äußerst unkomfortable Situation befohlen. In herzoglichem Auftrag soll der eigenbrötlerische Kopist die Unschuld des Studenten Gernot von Eisenfels beweisen. Dieser wird in Greifswald des Mordes an einem Hafenmeister beschuldigt.Nicht genug damit, dass Martin den Tatverdächtigen bereits in einer fru¨heren Begegnung kennen und nicht eben lieben gelernt hat: Er muss bei den Ermittlungen auch noch mit dem Chirurgen Severo zusammenarbeiten, jenem bärbeißigen Italiener, der mit Martin vor allem eines gemein hat: gegenseitige, abgrundtiefe Abneigung. Doch im Wettlauf um die drohende Hinrichtung eines möglicherweise Unschuldigen bleibt beiden keine Wahl - während sich der Greifswalder Rat von einem Aufruhr der Armen zum Handeln gedrängt sieht, in den manch lichtscheues Gesindel verwickelt ist.Wittensteins zweiter mitreißender Kriminalfall aus dem mittelalterlichen Greifswald
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AUFRUHR AM RYCK
Die Hunnenstraße ist im Buch als Hundestraße bezeichnet.
Emma Wittenstein
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Die dunkle Ecke bot ihm Schutz, Schutz vor den Menschen, Schutz vor dem ungerechten Leben. Seit nunmehr fünf Wochen war sie sein Zuhause, wenn er sein Tagwerk in der herzoglichen Bibliothek beendet hatte. Hier ließ man ihn allein, allein mit seinem Hass, seiner Wut und seiner Trauer. Niemand stellte Fragen, niemand erwartete Antworten, niemand nahm ihn wahr: nicht die Fuhrleute, nicht die Tagelöhner, nicht die Huren.
Seine Aufmerksamkeit galt allein dem irdenen Becher vor sich, gefüllt mit Wein, dessen Geschmack ihn nicht interessierte, solange er den Schmerz in seiner Brust betäubte. Den Schmerz, der ihn seit über fünf Wochen quälte, seit jener Nacht, in der er alles verloren hatte, was ihm lieb und teuer gewesen war. Nie würde er Sarahs Schreie vergessen, nie das Blut, nie seine Hilflosigkeit. Noch immer brannte die Wut in ihm, die Wut, weil niemand ihr hatte helfen können. Noch immer zerfraß ihn der Hass, der Hass auf sich selbst, weil auch er ihrem Leid hilflos gegenübergestanden hatte. Der Wein betäubte den Schmerz, aber er löschte ihn nicht aus. Alles, alles würde er dafür geben, wenn er die Nacht seines Unglückes ungeschehen machen, wenn er morgens wieder neben Sarah erwachen, wenn er wieder das Leuchten in ihren Augen sehen könnte, während sie sich stolz über den Bauch strich, in dem ihr Kind heranwuchs. Wie unerbittlich hatte das Schicksal zugeschlagen! Warum nur, warum war ihm kein Glück im Leben vergönnt? Verzweifelt raufte er sich die Haare.
Eine Hand legte sich schwer auf seine Schulter, als er erneut nach dem Becher griff.
»Du hast genug für heute, Martin.«
Er schaute nur einen kurzen Augenblick zur Seite, zu gut kannte er die dunkle Stimme des Hauptmannes in der groben Uniform der herzoglichen Wache. Seit Martin im Dienste des Herzogs stand, begegneten sie sich nahezu täglich und mittlerweile verband sie eine Freundschaft.
»Hab ich was ausgefressen oder warum erscheinst du in diesem Aufzug? Und wieso hat man dich überhaupt hereingelassen?«
»Das liegt vermutlich an meinen beiden bewaffneten Begleitern, die neben der Tür warten.« Ohne Aufforderung setzte sich der andere an den Tisch. Mit einer abwertenden Geste deutete er auf den Wein. »Das Gesöff schmeckt doch gar nicht.«
»Darum geht es auch nicht, Marko«, erwiderte Martin mit schwerer Zunge und blickte seinem Gegenüber dabei fest in die Augen. »Aber du bist sicherlich nicht hergekommen, um mit mir über den Wein zu reden.«
»Ganz recht, deswegen bin ich nicht hier. Dein Lebenswandel erregt Aufmerksamkeit. Der Nachtwächter hat dich vor zwei Tagen aufgegriffen. Vielleicht erinnerst du dich noch daran? Es hat dem herzoglichen Sekretär große Freude bereitet, Bogislaw davon in Kenntnis zu setzen. Bei allem Verständnis, das der Herzog für deine Schicksalsschläge aufbringt, sieht er es dennoch nicht gern, wenn sich sein Bibliothekar nachts in üblen Schänken herumtreibt!«
»Es ist meine Sache, wo ich mich nachts herumtreibe! Mein Leben geht niemanden etwas an! Niemanden!« Nichts hasste Martin mehr, als wenn man sich in sein Leben einmischte.
Missbilligend runzelte Marko die Stirn. »Wahrscheinlich kannst du es dir nicht vorstellen, aber es gibt Menschen, die sich um dich sorgen. Der Herzog hält wirklich große Stücke auf dich und sieht nicht zu, wie du dich selbst zerstörst. Und ich werde das ebenfalls nicht.« Beruhigend legte er seine Hand auf Martins. »Ich weiß, wie sehr du Sarah vermisst. Doch der Wein macht weder sie noch euer Kind wieder lebendig. Eher befördert er dich bald auf den Friedhof. Und wenn du dich demnächst nicht totsäufst, wird dir irgendein Halunke auf dem Heimweg den Schädel für ein paar läppische Schillinge einschlagen. Sarah würde das nicht wollen. Nein, sie würde sich schämen, wenn sie dich so sähe!«
Zornig riss Martin seine Hand los. »Hör auf, mich zu belehren!«
»Ich belehre dich nicht, ich passe auf, so, wie ich es Sarah versprochen habe! Also steh auf. Ich begleite dich nach Hause«, forderte Marko in scharfem Ton.
»Ich will aber nicht. Lass mich in Frieden und verschwinde! Lasst mich alle in Frieden«, warf Martin ihm lauter entgegen, als er eigentlich beabsichtigt hatte.
Im Schankraum herrschte mit einem Mal gespenstische Stille. Die Augen der Anwesenden waren auf die beiden Männer gerichtet. Kraftlos sank Martin in sich zusammen und legte die Stirn auf den Tisch. Leise fügte er hinzu: »Ich will meine Ruhe, nur meine Ruhe. Verstehst du das nicht?«
Der Bewaffnete seufzte schwer. »Darauf kann ich leider keine Rücksicht nehmen. Der Herzog erwartet dich morgen früh. Er hat einen besonderen Auftrag für dich. Betrunken kannst du nicht vor ihm erscheinen.«
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