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Das Leben sollte sich vom Tod nicht einschüchtern lassen
„Wie kommt man denn auf diese Idee?“ – „Darf man das überhaupt?“ – „Was sagt der Pfarrer dazu?“
Als Alfred Opiolka beschließt, Särge zu bemalen, ist der Zweifel in seiner Umgebung groß. Zu ungewöhnlich scheint es, einen toten Menschen in einen – wie er es nennt – Schrein zu bergen, auf dem Blumen, Schmetterlinge und prall blühende Wiesen vom Leben erzählen. Doch Opiolka sollte Recht behalten: Seine lebensfrohen Schreine und Schmuckurnen geben Menschen im Augenblick des Abschieds Trost, Halt und Zuversicht.
In diesem Buch erzählt er von seiner Arbeit, seinen Begegnungen und Erlebnissen als Sargmaler. Geschichten voller Wissen um das Leben und das Sterben, um das Beschließen und das Neu-Beginnen. Ein ungemein optimistisches Buch über das Ende, das allen Menschen sicher ist.
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Seitenzahl: 212
Die Schönheit des Lebens wird vom Tod nicht verneint!
Als Alfred Opiolka beschließt, Särge zu bemalen, ist der Zweifel in seiner Umgebung groß. Zu ungewöhnlich scheint es, einen toten Menschen in einen – wie er es nennt – Schrein zu bergen, auf dem Blumen, Schmetterlinge und prall blühende Wiesen vom Leben erzählen. Doch Opiolka sollte Recht behalten: Seine lebensfrohen Schreine und Schmuckurnen geben Menschen im Augenblick des Abschieds Trost, Halt und Zuversicht.
In diesem Buch erzählt er von seiner Arbeit, seinen Begegnungen und Erlebnissen als Sargmaler. Geschichten voller Wissen um das Leben und das Sterben, um das Beschließen und das Neu-Beginnen.
Ein ungemein optimistisches Buch über Leben, das sich vom Tod nicht einschüchtern lässt.
Alfred Josef Opiolka, geboren 1960 in Zabrze, Polen, kam mit 9 Jahren nach Deutschland. Er wuchs im Allgäu auf und machte eine Ausbildung zum Fassaden- und Dekorationsmaler. Seit 1982 ist er als freischaffender Künstler tätig. Durch die Wandmalerei mit dem Thema Tod konfrontiert, ist er seit mehr als 18 Jahren auch als Sargmaler tätig. Seine Arbeit ist beeinflusst von seiner Liebe zur Natur und den Erfahrungen, die er auf unterschiedlichen spirituellen Wegen machen durfte. »Ein Weg entsteht, wenn man ihn geht« ist sein Lebensmotto und »Dennoch« sein Lieblingswort. Heute lebt und arbeitet der Künstler auf Lindau im Bodensee.
Alfred Opiolka
DER TOD IST GRÜN
Erlebnisse und Erfahrungen des Sargmalers vom Bodensee
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Copyright © 2024 Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
Umschlag- und alle anderen Fotos: © Alfred Opiolka
ISBN 978-3-641-32207-6V002
www.gtvh.de
INHALT
BLAUE BLUMEN
WIE ES BEGANN
DER PUTZEIMER
ES GEHT AUCH ANDERS
KUNSTAUSSTELLUNG
DIE PRÄSENZ VON SEELEN
MEIN VATER
DAS ROTKEHLCHEN
MOSES
TIERSÄRGE
WOZU DER AUFWAND?
DAS LETZTE FEUER
DAS IST JA VIEL ZU SCHADE!
ABSCHIED
DARF MAN DAS?
NOCH IST ES NICHT SO WEIT!
MALEN NACH WUNSCH
DAS IST DOCH WAS FÜR JUNGE LEUTE!
DER TOD IST GRÜN
BESTATTER
WAS SAGT DA DER BESTATTER?
GESPRÄCH MIT DEN KINDERN
AUSSTELLUNGEN
DARF ICH PROBELIEGEN?
WIESENHEU
DER ERDBEERSARG
DER SCHRANKSARG
DIE NACHT
DER EISVERKÄUFER
ANGST VOR DEM TOD
DAS DOPPELHAUS
EIN GÄNSEBLÜMCHENSARG FÜR MUTTER
FRANKS BRIEFKASTEN
DAS ROTE KLEID
FRÜHCHENSCHREINE
SARG? BRAUCHE ICH NICHT. ICH WERDE VERBRANNT!
STERBEZIMMER
BEDEUTUNG DER BLUMEN UND FREUDLINGE
SARG IN DER KIRCHE
MEINE SCHREINE
MEIN ZIEL
SCHUTZENGEL
NACHWORT
BLAUE BLUMEN
Es war ein normaler Wochentag. Ich arbeitete an einer Urne, als ein junger Mann mein Geschäft betrat. Er kam ohne viel Umschweife zur Sache und berichtete mir von seiner Partnerin, die vis-à-vis in der Klinik im Sterben lag. Sie beide wünschten sich für sie einen Schrein, den sie schon des Öfteren in meinem Schaufenster gesehen hatten: das Modell mit der Bergblumenwiese. Sie waren beide begeisterte Wanderer und Naturfreunde und hatten gemeinsam sehr viel Zeit in den Bergen verbracht, so erzählte er mir. Wir unterhielten uns eine Weile und ich erfuhr mehr Details über seine Freundin. Details, die für mich oft sehr wichtig sein können, damit ich den Schrein so persönlich wie möglich und zu einem Unikat gestalten kann.
Sobald der junge Mann sich verabschiedet hatte, um zurück ins Krankenhaus zu gehen, begann ich mit der Vorarbeit am Sarg. Kaum eine Stunde später rief er mich an und fragte, ob ich wohl ins Krankenhaus hinüberkommen könnte. Seine Freundin würde gerne den Künstler kennenlernen, der die Gestaltung ihres Schreins übernommen hatte. Kein einfacher Weg für mich, aber natürlich sagte ich zu. Ich beendete die Grundierung und begab mich gleich ins Hospital. Zu dieser Zeit hatte ich noch nicht viel Erfahrung mit sterbenden Menschen und so traf mich der Anblick dieser deutlich vom Tod gezeichneten jungen Frau doch sehr. Das Sprechen fiel ihr schon schwer und ihre Worte waren für mich kaum verständlich. Für ein längeres Gespräch hatte sie schon keine Kraft mehr, deshalb unterhielten wir uns unterstützt von ihrem Freund nur kurze Zeit. Ich versprach, ihre Wünsche so gut und so schnell wie möglich umzusetzen. »Na, die werden schauen, wenn ich mit solch einem Sarg daherkomme!«, flüsterte sie mit einem fast spitzbübischen Lächeln und meinte damit die Menschen in ihrem Heimatort, die sie zu Grabe tragen würden. Bei diesem Gespräch entstand die Idee, alle Schritte der Gestaltung mit meiner Kamera zu dokumentieren und ihr die Aufnahmen per E-Mail ans Sterbebett zu senden. Ihr Partner würde sie ihr auf seinem Laptop zeigen. So hätte sie die Möglichkeit, die Gestaltung ihres Schreins mitzuverfolgen. Dieser Gedanke brachte die junge Frau zum Lächeln.
Gesagt, getan. Umgehend machte ich mich an die Arbeit und malte bis tief in die Nacht. Am folgenden Tag sandte ich, wie abgesprochen, alle paar Stunden neue Aufnahmen vom Schrein ins Spital. Am späten Abend des zweiten Tages hatte ich meine Arbeit fast beendet und schickte ein Foto von der gewünschten Sommerbergblumenwiese an das junge Paar.
Diesmal dauerte es sehr lange, bis die Antwortmail eintraf. Ein kurzer Satz:
»Bitte noch mehr von den blauen Blumen!«
Später erfuhr ich dann, warum ich so lange auf die Antwort hatte warten müssen. Die Sterbende war kaum noch in der Lage gewesen, die Aufnahmen anzuschauen. Es strengte sie sehr an.
Aber als sie sie schließlich betrachtet hatte, besaß sie gerade noch die Kraft, den Wunsch nach mehr blauen Blumen zu äußern. Sie bekam natürlich mehr Glockenblumen, doch konnte sie diese im irdischen Leben nicht mehr auf dem Schrein anschauen. Sie starb, während ich die letzten Blüten malte.
LIEBE LESERIN, LIEBER LESER,
solche und ähnliche Geschichten und Erlebnisse werden Sie in diesem Buch finden. Ich habe die Begegnungen, die mich in den letzten achtzehn Jahren mit Menschen ganz verschiedener Altersstufen am stärksten beeindruckt haben, hier zusammengetragen.
Denn ich möchte Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, die Verabschiedung eines geliebten Menschen ganz individuell zu gestalten. Selbstverständlich in dem gesetzlich vorgegebenen Rahmen, aber dieser Rahmen ist meiner Erfahrung nach relativ groß.
Ich möchte auch auf die Fragen eingehen, die mir seit Jahren von so vielen Menschen, die mich und meine bemalten Schreine zum ersten Mal sehen, immer und immer wieder gestellt werden:
»Wie kommen Sie denn auf diese Idee?«
»Darf man das?«
»Was sagt da der Pfarrer dazu?«
»Ist der Bestatter damit einverstanden?
Mein Name ist Alfred Opiolka. Ich bin nun seit 42 Jahren als freischaffender Künstler im Bereich Wand und Fassadenmalerei tätig, doch hat mich in all den Jahren noch kein Thema so sehr berührt und gefesselt wie die Arbeit mit Tod und Trauer.
Ich wünsche mir, dass ich diese Ergriffenheit Ihnen, meinen Leserinnen und Lesern, spürbar wiedergeben kann. Dieses Buch soll den Personen, die für das Thema zugänglich sind, eine Hilfe und Inspiration sein und ihnen Mut machen, neue Wege einzuschlagen.
Lindau, im August 2024
Ein Weg entsteht, wenn man ihn geht.
Konfuzius
WIE ES BEGANN
»Sargladen? Nein, das geht nicht! Damit erschrickst du die Menschen zu sehr!«
Es sollte ein gefälligerer Name sein. Vielleicht so etwas wie: »Luce – Abschied und Trauer« oder vielleicht »Kunst am Grab« oder auch »Heaven Art«.
Je mehr Freunde und auch unbeteiligte Menschen ich damals bat, mir doch bei der Namensfindung für mein neues Geschäft behilflich zu sein, desto schlimmer und verworrener wurde es. Keiner fand die passende Bezeichnung, aber fast alle meinten, dass SARGLADEN viel zu »platt« klänge. Zu eindeutig.
Da ich meine Särge als Schreine bezeichne, hätte mir auch »Schreinerei« gut gefallen. Waren es doch früher die Schreiner, die diese »Kisten« in allen Variationen anfertigten. In den Dörfern und Städten war der Schreiner derjenige, der Särge baute und gleichzeitig auch der Bestatter war. Aber unter »Schreinerei« würden die Menschen heute etwas anderes erwarten. Ganz sicher kein Geschäft, in dem es kunstvoll bemalte Särge zu kaufen gibt.
So entschied ich mich am Ende doch für meinen ursprünglichen, klaren und überaus deutlichen Favoriten: SARGLADEN. Ich finde ihn nach wie vor passend und selbsterklärend.
In einer Bäckerei gibt es Backwaren, in einer Fleischerei gibt es Fleisch, in einem Blumenladen gibt es Blumen und im Sargladen gibt es eben Särge. Wobei ich lieber das Wort Schreine verwende. Liest man im Duden nach, steht unter dem Wort »Schrein« als Erläuterung: »Ein Gefäß für einen wertvollen Inhalt«. Das ist doch einmal eine passende Formulierung!
Und so wurde im Sommer 2006 der wohl erste Sargladen Deutschlands eröffnet. Meine Vermieterin, eine großartige, weltoffene Frau, die bis dahin in diesen Räumlichkeiten ihre Apotheke betrieben hatte, war von meiner Idee sehr angetan.
Ich richtete ihn mit den ersten fünf bemalten Truhen, zwei oder drei Schmuckurnen und den dazu passenden Übergangskreuzen ein.
Hätte ich damals geahnt, was mich in den folgenden Jahren erwarten würde, bin ich mir heute nicht mehr sicher, ob ich die Idee und die Beschäftigung mit Tod und Trauer weiterverfolgt hätte.
Es fing damit an, dass der Eigentümer des Nachbarhauses, in dem sich auch eine Weinhandlung befand, meine Vermieterin ziemlich barsch anging, wie sie denn so etwas zulassen könnte, einen Sargladen neben seine Weinhandlung zu setzen! Er fürchtete, seine Mieter könnten ausziehen und die Kundschaft im Laden ausbleiben.
Nichts davon geschah, ganz im Gegenteil! Niemand zog aus und die Neugier der Menschen war so groß, dass sie scharenweise kamen, um die Schaufenster zu bestaunen.
Jetzt war ich stolzer Eigentümer eines schönen Sargladens!
Der Grund dafür, dass ich mich als Künstler so intensiv mit dem Tod und der Verabschiedung von Verstorbenen auseinandersetzte und einen Sargladen eröffnete, lag etwa fünf Jahre zurück.
Im Sommer 2001 erhielt ich eine Anfrage, in einem Bestattungsunternehmen in Wiesbaden eine Wandmalerei anzufertigen. Zu dieser Zeit verdiente ich mein Geld mit Werbegrafik und in meinem ursprünglichen Beruf, der Wand- und Fassadenmalerei. Ich bin ein Künstler, der fein und filigran und mit hellen, leuchtenden und freundlichen Farben arbeitet, umso mehr erstaunte mich damals die Anfrage des Bestatters. Er sagte, er hätte meine Arbeiten gesehen und könnte sich sehr gut vorstellen, einen von ihm geplanten Verabschiedungsraum von mir, voller Respekt für seinen Verwendungszweck, gestalten zu lassen. Wir vereinbarten einen Termin und trafen uns in Wiesbaden zum Gespräch. Mein erster Eindruck von dem Unternehmen war sehr positiv. In gepflegten, modernen, hellen Räumlichkeiten arbeitete sympathisches, freundliches Personal und es wurde ungezwungen gesprochen und auch viel gelacht.
Bis dahin hatte ich noch kaum Erfahrung mit Bestattern gemacht, aber das Wenige, das ich bisher erlebt habe, war definitiv ganz anders als bei diesem Institut in der hessischen Landeshauptstadt.
Doch immer noch war ich mir nicht sicher, ob ich für diese Aufgabe, die an mich herangetragen wurde, der richtige Mann war. Malte ich doch in einer Art, die mit Tod und Sterben sehr wenig zu tun hatte. Ganz im Gegenteil. Meine Bilder leuchteten meist in sehr lebendigen Farben und meine Motive waren ausnahmslos dem Leben und der Freude gewidmet! Doch da meine Auftraggeber meine Bedenken in den Wind schlugen und an ihrer Vision festhielten, begann ich, mich in dieses Thema einzuarbeiten. Ich besorgte mir Literatur über die verschiedenen Religionen, über Nahtoderfahrungen und die Erkenntnisse der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross, die mich mit ihrer Art zu schreiben und ihren Forschungsergebnissen absolut fesselte.
Und zunehmend spürte ich die in meinem Inneren schnell wachsende Faszination und die Neugier auf das Thema Tod.
Ein paar Wochen später waren die Entwürfe für den Verabschiedungsraum des Bestattungsunternehmens gezeichnet. Es sollte einer meiner allerschönsten Aufträge werden! Erst beim Malen wurde mir so richtig bewusst, welche Verantwortung ich als Künstler übernommen hatte, einen solchen sakralen Raum zu gestalten. Einen Raum, der auf die Menschen der verschiedenen Konfessionen gleichermaßen würdevoll wirken sollte; einen Raum, in dem die tiefsten Emotionen zutage treten konnten; einen Raum, der nicht vom Eigentlichen ablenken durfte und doch durch seine Farben und die gewählten Motive ein klein wenig Trost, Geborgenheit und Zuversicht schenken sollte.
Durch diesen Auftrag habe ich erkannt, dass meine Art zu malen sehr wohl auch zu Tod und Sterben und somit in ein Bestattungsunternehmen passt. Gibt es doch nicht auf der einen Seite das Leben und auf der anderen Seite den Tod. Es ist vielmehr ein Kreislauf, ähnlich der liegenden Acht, dem Zeichen der Unendlichkeit, der immerwährenden Bewegung, der Weiterentwicklung und des Ausgleichs. Da, wo der Tod aufhört, wartet das Leben, und da wo das Leben endet, beginnt der Tod.
Meine Auftraggeber hatten damals eine Vision und den Mut, an althergebrachten, seit Generationen bestehenden Traditionen zu rütteln, diese infrage zu stellen und ganz neue Wege zu gehen. Ihre Kundschaft nahm dieses Angebot dankbar an. Heute gibt es viele Bestatter, die ebenfalls umdenken und sich nach den Bedürfnissen einer neuen, bewusster denkenden Kundschaft richten.
Meiner Erfahrung nach sind die Menschen sensibler geworden, feinfühliger.
Vielleicht werden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, mir an dieser Stelle widersprechen und versuchen, mir das Gegenteil zu beweisen. Ich höre oft Aussagen wie: »Jeder schaut doch nur noch nach dem Preis.« Oder: »Die Leute sind nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht.« Wenn ich meine Schreine Bestattern vorstelle, kommt ganz häufig auch diese Reaktion: »Solche Kunden haben wir nicht!« Sehr viele Bestatter, mit denen ich ins Gespräch komme, meinen, dass es immer nur billig und schnell gehen muss.
Wie erklärt es sich dann aber, dass es bundesweit immer mehr Institute gibt, die neue Wege gehen und ganz bewusst noch Ungewohntes anbieten? Dass es mehr und mehr Menschen gibt, für die die Kosten zweitrangig sind, weil sie eine Verabschiedung zu einem Fest machen wollen? Oft wären die Kosten gar nicht so ausschlaggebend, würde man dem Kunden eine Alternative anbieten, etwas Besonderes.
Warum sollen die Hinterbliebenen denn auch mehr zahlen, wenn sie letztendlich doch nur die Auswahl zwischen Eiche hell, Eiche mittel und Eiche dunkel und das Gleiche in der Variation Fichte angeboten bekommen?
Es liegt mir fern, alle Bestatter und Bestatterinnen über einen Kamm zu scheren. Ich habe gerade in den letzten zwei bis drei Jahren junge Unternehmer mit frischen Gedanken und viel Herz kennenlernen dürfen.
Und diese Wegbereiter haben es sicherlich auch nicht ganz einfach auf dem Markt, werden sie doch oft von den eigenen, unbeweglicheren Kollegen angegangen.
Aber es gibt sie, und nicht nur in Großstädten, die »frischen« Bestatter, und ihre Anzahl steigt stetig.
Und das bedeutet, dass es auch die Kunden geben muss, die bereit sind, höhere Kosten zu akzeptieren, wenn die Bestattung individuell durchgeführt wird. Menschen, denen bewusst ist, dass eine Beerdigung mehr bedeutet, als einen nicht mehr funktionierenden Körper zu beseitigen.
Der Auftrag in Wiesbaden war für mich selbst auch ein großes Geschenk, hatte ich doch die Möglichkeit, mich mit der Endlichkeit im Allgemeinen und speziell mit meiner eigenen Vergänglichkeit auseinanderzusetzen. Jedoch mit dem großen Vorteil, mich – noch nicht – durch den Verlust eines geliebten Menschen persönlich betroffen fühlen zu müssen.
Wie erwähnt, machte ich mich im Vorfeld über die Literatur mit dem Tod »bekannt«. Dadurch wurde mir nach geraumer Zeit deutlich, warum meine Auftraggeber mich gewählt hatten, um ihre Räumlichkeiten zu gestalten.
Gerade weil ich farbenfroh, lebendig und fröhlich mit vielen Blumen und »Freudlingen« male, fühlte sich der Bestatter, der mich beauftragte, angesprochen. Für mich sind Schmetterlinge Freudlinge. Ich nenne diese sphärischen Wesen so, weil Schmetter für mich zu hart und aggressiv klingt.
Die Antwort auf meine anfängliche Frage, wie denn meine Kunst in eine Leichenhalle passen könnte, fand ich in einem der Bücher von Elisabeth Kübler-Ross.
In einem sehr bewegenden Abschnitt beschrieb sie Wandzeichnungen in einem KZ, die von Kindern gemalt wurden, bevor sie starben. Und unverhältnismäßig oft fanden sich neben Schnecken vor allem Schmetterlinge an den Wänden.
Von da an sah ich in meinen Freudlingen nicht nur das Zeichen für den Sommer, für Freude und Unbeschwertheit, sondern auch das Symbol für Metamorphose und Wiedergeburt, also für Leben und Tod, für das Kommen und Gehen, für den Kreislauf des Lebens. Und so entstand eine recht lebendige, freundlich anmutende Ausgestaltung des Verabschiedungsraumes, in dem bis heute Abschied gefeiert wird. Die Wirkung meiner Malerei wurde später noch von meiner Kundin, der Bestatterin, durch passende Musik, hochwertige ätherische Düfte und brennende Kerzen unterstützt. Und ganz entscheidend und wichtig: Die Trauernden hatten so viel Zeit, wie sie wünschten oder benötigten, um sich von der verstorbenen Person gebührend zu verabschieden. Ein absolut einmaliges und einzigartiges Konzept zur damaligen Zeit. Diese meine Kunden waren wirklich Vorreiter im Hinblick auf einen Wandel in der Bestattungskultur.
Nach dem Auftrag in Wiesbaden vergingen noch ein paar Jahre, bis ich meinen ersten Schrein bemalte. Doch ich war für dieses Thema durch das, was ich erfahren durfte, sensibilisiert worden. Auch kamen immer mehr Todesfälle in der eigenen Familie vor. So starben mein Vater und ein Jahr später die Mutter meiner beiden Kinder. Zu dieser Zeit rumorte zwar schon etwas in mir, wenn es um Beerdigungen ging, aber ich wusste nicht genau, was es war. Was mich störte, war noch nicht richtig greifbar, noch nicht reif.
Und dann passierte etwas Entscheidendes. Ich kann mich noch sehr gut an die Emotion, an den Ärger erinnern, der damals in mir hochkam.
DER PUTZEIMER
Ein kleines Dorf im Allgäu. Wir waren zur Beerdigung einer jungen Frau aus unserem Freundeskreis geladen. Viele Menschen standen in einer Reihe auf dem Friedhof vor der Kapelle, in welcher die Verstorbene aufgebahrt war. Jeder der Anwesenden hatte die Möglichkeit, kurz vor den geschlossenen Sarg zu treten, um sich zu verabschieden. Es war ein kleiner Raum von vielleicht zwanzig Quadratmetern, weiß getüncht, schmucklos. Ein großes, dunkles Kreuz hing an der Stirnwand und davor stand der einfache, helle Fichtensarg, geschmückt mit Blumen auf einem metallenen, fahrbaren Katafalk. Im Raum roch es muffig und schwer. Es war kühl und düster.
Das Gestänge des Katafalks, auf dem der Sarg ruhte, war etwa bis zur Hälfte mit einem schweren, samtigen, mit silbernen Stickereien verzierten Stoff verkleidet. Es war dunkelgrün angestrichen und deutlich sichtbar an mehreren Stellen verrostet. Links und rechts vom Sarg standen zwei ums Überleben ringende, immergrüne Stauden. Zwei oder drei große, weiße Kerze brannten auf beiden Seiten vor diesen armseligen Büschen.
Und in dieser muffigen Gruft sollten sich die Kinder, die Familie, die Freunde und die Nachbarn verabschieden? Dieses Bild sollten die meisten der Geladenen als letzte Erinnerung an einen geschätzten und geliebten Menschen mitnehmen?! Die Erinnerung an ein verrostetes Fahrgestell und an den muffigen Geruch einer lieblos gestalteten Kapelle!
Aber es kam noch schlimmer! Als meine Frau und ich an der Reihe waren und unsere mitgebrachten Blumen neben den Sarg legten, uns dann mit einer Verbeugung verabschiedeten und wieder hinaustreten wollten, fiel mein Blick auf die Wand links neben der Eingangstür.
An dieser Wand standen doch tatsächlich ein mit Schmutzwasser gefüllter, rechteckiger Putzeimer und daneben der noch feuchte Wischmopp!
Das sind Momente, die sich so sehr in mein Gedächtnis »eintätowiert« haben wie kaum etwas anderes. Heute kann ich mich an andere Details dieser Beerdigung fast nicht mehr erinnern, aber das Bild mit dem Putzeimer, das ist verankert!
ES GEHT AUCH ANDERS
Dass ich so sensibel bei der gerade beschriebenen Beisetzung reagiert habe, liegt wohl vor allem an der Tatsache, dass ich kurz zuvor in Wiesbaden erleben durfte, wie viel würdevoller eine Beerdigung sein kann, weil es Bestatter gibt, die einen Abschied mit großem Feingefühl und mit Rücksicht auf die Verstorbenen und die Hinterbliebenen gestalten.
Wer immer nur das macht,
was er schon immer gemacht hat,
bekommt auch das,
was er schon immer bekommen hat.
Albert Einstein
Wer war denn überhaupt verantwortlich für solch eine gravierende Unachtsamkeit, wie gerade geschildert? War es der Gemeindeangestellte, der den Auftrag erhielt, die Kapelle zu wischen? Oder war es der Bestatter, der den Zustand der Kapelle im Vorfeld nicht kontrolliert hatte?
Oder waren es die Auftraggeber, die Hinterbliebenen des Verstorbenen, weil sie alles in andere Hände legten im Vertrauen darauf: »Das wird schon richtig gemacht werden«?
Bei der Planung eines Firmenjubiläums oder einer Hochzeit würden die meisten nicht so vertrauensvoll alles Wesentliche anderen überlassen. Da wird doch sehr viel Zeit und Geld investiert, um einen reibungslosen und angemessenen Ablauf zu garantieren.
Wenn eine Beisetzung nicht so verläuft, wie erwartet, empört man sich eine Zeitlang, klagt vielleicht noch über die hohen Kosten und … geht bei der nächsten Bestattung mit den gleichen Erwartungen zum gleichen Bestatter und »bestellt« die gleiche Beerdigung.
Die man dann auch meist bekommt – inklusive Putzeimer.
Diesen Weg gehen Familien oft schon seit Generationen, ohne dass etwas hinterfragt wird. »Das macht man bei uns halt so. Das ist bei uns so Tradition«, heißt es dann, oder: »Nein, so einen Hokuspokus macht man bei uns nicht, es ist ja nur eine Beerdigung.«
Eine Beerdigung verbinden viele mit anscheinend unverrückbaren Traditionen, mit seit Langem vorgegebenen Handlungen und Abläufen, und in den Köpfen scheinen viele, nur sehr schwer austauschbare Bilder festzustecken. Es ist ein langwieriges und oft auch gefährliches Unterfangen, an diesen seit Generationen »bewährten« Überlieferungen zu rütteln und zu kratzen. Da bekommt man schnell den Stempel »Gotteslästerer« aufgedrückt oder den des Provokateurs. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, Neuem gegenüber erst einmal skeptisch zu sein, bedeutet es doch, Altes, Vertrautes loszulassen, es herzugeben. Wenn im Alltag etwas auch nicht zufriedenstellend ist, so hat man sich doch zumindest daran gewöhnt. Und lieber akzeptiert man etwas Bekanntes, das man zwar nicht will, als etwas Neues, von dem man nicht weiß, ob man es wollen könnte.
So ist es beispielsweise wissenschaftlich nachgewiesen, dass Menschen sich oft mit Schmerzen oder belastenden Situationen arrangieren, nur um nicht die gewohnte Lebensweise oder Anschauung verändern zu müssen.
Ich möchte hier nicht den Eindruck erwecken, dass ich der Meinung bin, bei Beisetzungen liefe immer alles falsch und pietätlos ab. Nein, so ist es natürlich nicht!
Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders
wird, aber ich weiß, dass es anders werden muss, damit es besser werden kann.
Georg Christoph Lichtenberg
Ich möchte aber Dinge weitergeben, die ich erlebt habe, und die mich besonders bewegt haben. Ich möchte darauf aufmerksam machen, darauf hinweisen, dass nicht alles so sein muss, wie es immer schon gehandhabt wurde, und dass es sich lohnt, manches zu hinterfragen.
Geht es doch bei der Verabschiedung eines nahestehenden Menschen um etwas Einmaliges, das wertvoll genug ist, so bewusst und schön zelebriert zu werden wie nur irgend möglich.
Ich möchte mit Freude darauf hinweisen, wie viel sich bereits in den letzten Jahren, seit ich begann, Schreine zu bemalen, zum Positiven gewandelt hat. Und auch darauf, dass sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Berufssparten ihre Arbeit und ihre Talente einbringen, um dem Thema Tod, Abschied und Trauer wieder einen angemessenen Platz in unserer Gesellschaft einzuräumen.
Es mag sein, dass es in den Augen von Dunkelgrau-Denkenden nicht viele sind, die neue Wege bereiten, aber es sind schon sehr viel mehr als noch vor ein paar Jahren. Da war ein Trauerredner anstelle eines Priesters am Grab kaum vorstellbar – heute ist dies ganz normal.
Noch vor einigen Jahren war es fast schon Sünde, in unserem katholischen Bayern eingeäschert, kremiert zu werden. Und heute? Heute ist die Kremierung in vielen Teilen unseres Landes fast häufiger als die traditionelle Erdbestattung.
Es ist noch gar nicht lange her, da war es absolut unmöglich, die Asche eines Verstorbenen mit nach Hause zu nehmen. Mittlerweile gibt es diese Möglichkeiten, auch wenn noch nicht überall offen darüber gesprochen wird, weil immer mehr mündige und couragierte Bürger sich gegen diese meines Erachtens unsinnige Gesetzgebung auflehnen. Warum bleibt es nicht den Hinterbliebenen überlassen, ob sie die Asche bei sich behalten oder sie dorthin bringen und ausstreuen wollen, wo es sich der Verstorbene vielleicht gewünscht hat? In Bremen zum Beispiel ist das Verstreuen unter bestimmten Bedingungen auf privaten bzw. extra dafür vorgesehenen Flächen möglich. Auch Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen ermöglichen diese Art der Bestattung inzwischen.
Mir berichtete ein Kunde, dass er selber die Urne mit der Asche seines Vaters vom Friedhof weg »gestohlen« habe. Damals, vor etwa acht Jahren, konnte er es nicht durchsetzen, die Urne ausgehändigt zu bekommen. So ging er mit frischen Blumen und einem Spaten zum Grab, in welchem zwei Tage zuvor die Urne beigesetzt worden war. Es hatte den Anschein, als würde er das Grab neu bepflanzen und herrichten. Derweil schaufelte er die frisch beigesetzte Urne aus und »schmuggelte« sie vom Friedhof.
So etwas darf doch nicht sein!
Nein, ich meine nicht das Ausgraben! Sondern, dass man Menschen durch Gesetze dazu nötigt, solch einen Weg zu gehen! Da werden Menschen zu einer Straftat verleitet. Das geht doch nicht!
Bis vor Kurzem musste man, wollte man die Asche des Verstorbenen bei sich behalten, den Leichnam zur Einäscherung nach Holland oder in die Schweiz transportieren. In diesen Ländern, wie auch in Frankreich, ist es üblich, die Urnenkapsel mit der Asche der Familie zu übergeben. Aber es ist nicht erlaubt, diese dann nach Deutschland einzuführen. Also schmuggelten die Angehörigen die für sie so wichtigen sterblichen Überreste in Plastiktüten oder in Schuhkartons über die Grenze. Man handelte gegen das Gesetz, wenn man dem Wunsch seines Herzens folgte.
Für viele Hinterbliebene wäre es ein sehr wichtiger und heilsamer Schritt zur Bewältigung der eigenen Trauer, wenn sie die Urnen mit der Asche ihrer Verstorbenen bei sich, in ihrer Nähe, aufbewahren und hüten könnten.
KUNSTAUSSTELLUNG
»Kunst am Bach« ist eine periodisch wiederkehrende Veranstaltung in einer Gemeinde in der Nähe von Kempten (Allgäu). Viele einheimische Künstler stellen in einem attraktiv gestalteten Rahmen ihre Arbeiten aus und bieten vielerlei interessante Kunstwerke an.