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Nahe der Kleinstadt Burbanks im Nordwesten Kanadas ist es nicht so friedlich, wie es scheint. An der Green River Brücke wird eine Leiche im Gebüsch gefunden. Es sind keine Spuren eines Gewaltverbrechens erkennbar. Die zuständige Kriminalabteilung der Royal Canadian Mounted Police in Burbanks wird eingeschaltet. Detective Inspector Sandra Vane und Ronny Sunderland werden mit den Ermittlungen betraut. Sie können den Toten identifizieren. Es ist Dudley Strong, ein ehemaliger Klassenkamerad von Ronny Sunderland. Der Gerichtsmediziner stellt fest, dass der Tod am Vorabend eingetreten ist. Die Todesursache ist vor Ort nicht feststellbar. Eine Obduktion muss Klarheit bringen. Starb Strong eines natürlichen Todes, oder handelt es sich um einen heimtückischen Mord? Warum wurde der Tote im Gebüsch versteckt? Erste Nachforschungen ergeben, dass Strong als Fotomodell arbeitete und in Fort Banning lebte. Die Nachforschungen gestalten sich schwierig. Die Liste der Fragen wird im Laufe der Ermittlungen immer länger: Wie sah das Leben des Dudley Strong aus? Wann wurde er zuletzt lebend gesehen? Was hat er in seinen letzten Stunden gemacht? Wo hat er sich aufgehalten? Hat er jemanden getroffen? Wo starb Dudley Strong? Um die Rätsel zu lösen, ist das Team gezwungen im Nachbarbezirk zu ermitteln.
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Seitenzahl: 247
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In dieser Serie erschienen:
Keine Spur von Samuel Walthers
Die Handlung und deren Orte sowie die handelnden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen oder wahren Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Royal Canadian Mounted Police Polizeistation Burbanks
James Green, Superintendent
Leiter der Polizeistation Burbanks; ihm unterstehen die Abteilungen des Streifendienstes und der Kriminalpolizei (CID) sowie alle Polizeiposten im Bezirk Burbanks.
Sandra Vane, Detective Inspector
Kriminalbeamtin im Criminal Investigation Department (CID); Leiterin der Kriminalabteilung des Polizeibezirks Burbanks.
Ronny Sunderland, Detectiv Constable
Polizeibeamter der Polizeistation Burbanks, zur Zeit in Ausbildung zum Kriminalbeamten, der CID Burbanks zugeteilt; Assistent von Detective Inspector Vane.
Cindy Masterson
Angestellte der Polizeistation Burbanks, Mitarbeiterin des CID Burbanks.
Julian Crow Police Constable
Beamter im Streifendienst beim Polizeiposten Green Falls im Bezirk der Polizeistation Burbanks. Vorübergehend der CID Burbanks zugeteilt.
Kriminalabteilung Fort Banning
Stanford Burke, Detective Super- intendent
Leiter der Kriminalabteilung (CID) im Bezirk der Polizeistation Fort Banning. Die Abteilung ist dem Leiter der Polizeistation Fort Banning unterstellt.
John Brown, Detective Sergeant
Kriminalbeamter der CID Burbanks, zeitweise Detective Inspector Vane, CID Burbanks, unterstellt.
Kriminaltechnische Untersuchung
James Carter, Inspector
Leiter der eigenständigen Abteilung für Kriminaltechnik in Fort Banning; die Abteilung ist für kriminaltechnische Untersuchungen im Bezirk der Staatsanwaltschaft Fort Banning zuständig.
Gerichtsmedizin
Doktor Hanniball Ball
Gerichtsmediziner im Bezirk der Staatsanwaltschaft Fort Banning.
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Der 29. September versprach ein sonniger Spätsommertag zu werden. Police Constable Julian Crow stand am Fenster des Wachraums der Polizeistation Green Falls. Sein Blick war auf die östlichen Ausläufer der kanadischen Rocky Mountains gerichtet. Der Sommer, der in diesem Jahr den Nordwesten der Provinz Alberta verwöhnt hatte, neigte sich dem Ende zu. Tagsüber schien häufig die Sonne. Das Thermometer zeigte mittags noch 15 bis 20° Celsius an. Die kalten Nächte kündigten den Herbst bereits an. Die Laubbäume färbten ihre Blätter. Gelb, Orange und Rot mischte sich unter das Grün. Der farbenprächtige Indian Summer begann.
Um 7.43 Uhr klingelte das Telefon in der Station der Royal Canadian Mounted Police (RCMP). Julian Crow, der breitschultrige Beamte mit indianischen Wurzeln, ging zu seinem Schreibtisch.
Er griff zum Hörer.
„Polizeistation Green Falls, Constable Crow“, meldete er sich.
„Julian, hier ist Bill Monkton“, sagte eine zittrige Männerstimme, „du musst sofort kommen. Hier liegt ein Toter!“
„Langsam, Bill, bist du sicher?“, fragte Crow, der sich auf seine Worte konzentrierte. Routinemäßig aktivierte er die Gesprächsaufzeichnung für Notrufe. „Wo bist du, Bill? Was ist geschehen?“
„Ich bin kurz hinter Penbury auf der Straße nach Fort Banning. Hier liegt ein Mann, Julian, und dd-der ist tot.“
„Bist du diesseits vom Green River?“
„Ich hab mit dem Pick-up Holz in Fort Banning abgeholt. Ich bin hinter der Brücke auf dem Parkplatz.“
Da der Fluss die Grenze zwischen den RCMP Bereichen Fort Banning und Burbanks war, wusste Crow, dass es auf beiden Seiten der Brücke einen Parkplatz gab. Aus den Worten Bill Monktons schloss er, dass sich der Freund seiner Schwester Patricia auf dem Rückweg befand.
„Okay. Erzähl mir, was du gerade siehst. Ganz langsam“, forderte er Bill Monkton auf, „lass dir bitte Zeit.“
„Der Mann liegt vor mir im Gebüsch. Dahinter führt ein Pfad zum Fluss. Er liegt auf dem Rücken. Die Augen sind weit aufgerissen.“
„Okay. Atmet er?“
„N-n-nein.“
„Hast du seinen Puls gefühlt?“
„Ich hab´s versucht. Aber da war nichts! Der ist ganz kalt, Julian. Bitte komm schnell. Ich weiß nicht, was ich tun soll?“
„Siehst du an dem Mann Verletzungen? Auch wenn es dir schwer fällt, sieh bitte genau hin.“
„Warte“, bat Monkton.
„Lass dir Zeit, Bill.“ Crow hörte seine Schritte.
„Aber nichts anfassen! Hörst du? Bitte.“
„Keine Wunde. Blut ist hier auch keins zu sehen!
Aber tot ist er. Ganz bestimmt.“
Julian Crow schloss die Augen. „Steht auf dem Parkplatz noch ein Auto?“
„Nein, nur mein Pick-up von der Gemeindeverwaltung.“
„Okay, Bill, hör mir jetzt gut zu! Du bist also mit dem Pick-up unterwegs.“
„Ich habe mit ihm Holz aus dem Sägewerk in Fort Banning geholt.“
„Setz dich in den Wagen, schalte die gelbe Rundumleuchte auf dem Dach ein und warte auf mich“, fuhr Crow fort, „auf keinen Fall darf sich jemand dem Toten nähern. Ich beeile mich!“
„Tu das, Julian! Bitte! Ich gehe zum Pick-up.“
„Ich weiß, es fällt dir schwer, ruhig zu bleiben.
Ich bin unterwegs.“
Crow knallte den Hörer auf den Apparat. Während er in seine Dienstjacke schlüpfte, erklärte er seinem Kollegen der Frühschicht, Police Constable Leonhard Davis, was passiert war.
„Sag dem Chef, dass ich auf dem Weg zu Bill bin“, fügte er hinzu, „denn ich muss prüfen, ob er diesseits des Green River ist. Wenn ich bei ihm bin, melde ich mich per Funk.“
„Okay, soll ich in Fort Banning anrufen und nach einer Streife fragen, die näher dran ist?“
„Sie möchten bitte bei Bill auf mich warten“, antwortete Crow, „kommst du alleine klar?“
„Natürlich! Sieh zu, dass du loskommst“, bestätigte Davis, „und schalte dein Funkgerät ein. Ich trage die Fahrt als Notfall ein. Du darfst Gas geben!“
Crow nickte dem Kollegen zu und stürmte aus dem Gebäude.
Constable Julian Crow umklammerte das Lenkrad des schweren Streifenwagens und trat das Gaspedal durch. Das Asphaltband der Landstraße nach Fort Banning schlängelte sich durch die Wälder, in denen es wenige Ortschaften gab. Näherte er sich einer Ansiedlung oder einer Einmündung, schaltete Crow zum blinkenden Blaulicht auf dem Dach die Sirene ein. Das Einsatzsignal scheuchte die andere Fahrzeuge an den Straßenrand und ließ vereinzelte Fußgänger auf den Wegen stehenbleiben.
Endlich kam die Brücke über den Green River in Sicht. Crow bremste ab und hielt Ausschau nach dem Pick-up der Gemeindeverwaltung. Wenige Meter vor der alten Steinbrücke sah er ihn. Er stand mit eingeschalteter gelber Rundumleuchte auf dem Parkplatz der Gegenrichtung.
Crow lenkte den SUV auf den Platz, brachte ihn vor dem Kühler des grünen Wagens zum Stehen und stieg aus.
Dem 22 jährigen, mittelgroßen, blonden Bill Monkton war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen. Erleichterung und Dankbarkeit waren in den blauen Augen, die die gleiche Farbe wie die Arbeitskleidung hatten, zu erkennen.
„Alles okay, Bill?“ Crow legte seinem zukünftigen Schwager die Hand auf die Schulter.
„Julian, endlich“, schnaufte Monkton, „bin ich froh, dass du da bist!“
„Ich habe Patricia angerufen“, erklärte Crow, „sie wird inzwischen mit jemandem aus der Verwaltung auf dem Weg sein. Sie bringt dich nach Hause.“
„Ein Glück, meine Patricia kommt.“ Bill Monkton drehte sich um und zeigte auf das Gebüsch. „Er liegt dahinten. Muss ich ihn mir nochmals ansehen?“ Monkton verschränkte die Finger.
Er wippte vor und zurück.
„Nein. Zeig mir nur, wo er liegt.“
Bill Monkton brachte Crow zum Ende des Parkplatzes. Hinter der Grasfläche ragten hohe Büsche auf, deren dunkelgrünes Blattwerk die Sicht versperrte. Das Rauschen des Green River war zu hören, obwohl sich die Sirene der Polizeistreife aus dem Nachbarbezirk näherte.
Crow blieb zwischen den Büschen stehen. Er deutete Monkton an zu warten.
Ein cremeweißer Streifenwagen bog auf den Parkplatz ein. Die Sirene verstummte, als er zum Stehen kam. Zwei Polizisten stiegen aus und kamen auf die Wartenden zu.
„Hallo Julian“, begrüßte Constable Peter King seinen Kollegen, „du warst verdammt schnell hier.“
Peter King reichte beiden die Hand. Er stellte Amely Red, seine rothaarige, uniformierte Begleiterin vor.
„Sie ist uns zur praktischen Ausbildung zugeteilt worden“, erklärte King.
Der Constable reichte ihr die Hand und sagte: „Julian Crow. Ich bin aus Green Falls. Das ist Bill Monkton. Er ist bei der Gemeinde Green Falls angestellt und hat den Toten gefunden.“
Amely Reds Mundwinkel zuckten. Ihr Gesichtsausdruck verriet die Anspannung. Ihre Hand war kalt.
Crow ließ sie los und entschied: „Amely, während ich mir mit Peter die Leiche ansehe, bleib bitte bei Bill. Er ist sehr aufgeregt.“
„F-f-finde d-d-du mal eine Leiche“, stotterte Monkton, „u-u-und das am frühen Morgen.“
„Ich bleibe hier, Sir.“ Sie blickte ihm starr in die Augen.
„Kannst mich ruhig duzen.“ Crow grinste. „Ich bin ein normaler Constable, kein Sir.“
Die junge Polizistin nickte. Diesmal lächelte sie.
„Komm, Peter“, wandte sich Crow an den Kollegen, „sehen wir uns das mal an.“
Er bog Zweige zwischen den Büschen auseinander. Der schmale Pfad durch das Gestrüpp wies Schleifspuren auf. Vor jedem Schritt inspizierte er den Boden, um keine Spuren zu zerstören.
„Tritt rechts oder links, Peter“, gebot Crow dem Kollegen. Als das Blattwerk die Sicht freigab, blieb er stehen. „Verdammt!“
Der Tote lag auf dem Rücken. Seine Sportschuhe, die Jeans und das T-Shirt entsprachen der gängigen Mode. Auch seine braunen Haare top geschnitten. Sein verzerrtes Gesicht und die aufgerissenen Augen ließen Crow erschauern.
„Grausig“, murmelte Peter King hinter ihm, „meinst du, er ist umgebracht worden?“
„Ich sehe keine Verletzungen. Aber der Mann hatte Todesangst.“
„Rufen wir euren CID?“
„Unbedingt. Die sollen entscheiden, ob …“ Crow hielt inne. Oberhalb des Kopfes der Leiche sah er Schuhabdrücke auf dem Boden. „Da muss derjenige gestanden haben, der den armen Kerl hergeschafft hat.“
Er ging zum Kopf des Toten, wobei er auf jeden seiner Schritte achtete.
„Warum wollte der Täter den offensichtlichen Weg meiden?“, murmelte Crow und folgte den Abdrücken, die zur alten, grauen Natursteinbrücke führten und in Richtung Parkplatz abknickten. Weitere Hinweise fand er nicht. Nachdenklich kehrte er auf dem gleichen Weg zurück.
„Okay, gehen wir zu den Wagen. Das sollen sich lieber die Kollegen vom CID und die Spurensicherung ansehen.“
„Wohin führt die Spur?“, fragte King.
„Erst in Richtung Brücke, dann biegt sie zum Parkplatz ab. Mehr konnte ich nicht feststellen.
Aber das kriegen wir schon raus.“
Detective Inspector Sandra Vane stieg aus und blieb neben ihrem roten MG B auf dem Hof der Polizeistation in Burbanks stehen. Ihr Blick wanderte zu den bewaldeten Hügeln im Norden. Nebelschleier hatten sich in den dunkelgrünen Nadelbäumen verfangen. Vereinzelt lugten Tannenwipfel aus den Schwaden heraus.
Die 35 jährige, in Burbanks geborene Beamtin des Criminal Investigation Departments (CID) der Royal Canadian Mounted Police war mittelgroß und trug ihre blonden Haare kurzgeschnitten. Die weichen Linien ihres Gesichts und die blauen Augen verleiteten dazu, sie zu unterschätzen.
Sandra Vane hatte eine kräftige Statur, ohne übergewichtig zu sein. An den gewissen Stellen hatten sich Pölsterchen angesiedelt, die sie durch Jeans und Poloshirts, ihre bevorzugte Dienstkleidung, kaschierte. Dazu trug sie kurze Lederjacken.
Sandra war vor Monaten aus Toronto in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, als man bei ihrem Vater Demenz diagnostiziert hatte. Auf ihren Antrag hin, hatte die Personalabteilung ihr den verwaisten Posten der Leiterin der CID - Abteilung Burbanks zugewiesen. Das freute sie, und auch, dass die Demenzdiagnose inzwischen als falsch entlarvt worden war.
Sie lebte bei ihrem Vater Simon, dem ehemaligen Rechtsanwalt der Stadt. Vater und Tochter verstanden sich auf eine besondere Art. Sandras Mutter Elenor war vor über 20 Jahren in ihre Heimatstadt Québec zurückgegangen. Gleich nach der Scheidung hatte sie ihren Konzertagenten geheiratet. Von ihr gehört hatte Sandra seit Monaten nichts mehr.
Eine Zigarette rauchend beobachtete sie das sanfte Spiel der Nebelschleier, als ein älterer Ford neben ihrem MG einparkte. Ein großer, schlanker Mann mit kurzen, dunklen Haaren stieg aus. Sein glatt rasiertes Gesicht lächelte. Er schloss den Wagen ab.
„Morgen, Sandra“, begrüßte Detective Constable Ronny Sunderland seine Vorgesetzte. Sie kannte den 12 Jahre Jüngeren schon von früher. Seinen Eltern gehörte der Supermarkt im Zentrum der kleinen Stadt. Nach der Schule war er zur Royal Canadian Mounted Police gegangen. Im Anschluss an die Ausbildung setzte man ihn als Streifenpolizisten bei der Polizeistation Burbanks ein. Als Sandra ihn im Sommer zur Unterstützung in einem Mordfall angefordert hatte, zeigte sich schnell sein kriminalistisches Talent. Sandras Angebot, ihn zum CID versetzen zu lassen, hatte er sofort zugestimmt.
„Hi, Ronny“, sagte Sandra zu ihrem Assistenten. Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Es war 8.00 Uhr. „Sieht nach einem schönen Tag aus, heute. Lange hält das Wetter sicher nicht mehr.“
„Abwarten.“
Sandra prüfte, ob sie den MG abgeschlossen hatte. Gemeinsam überquerte sie den Hof. Am Zugang zum Gebäude drückte sie ihre Zigarette im Aschenbecher aus und folgte Ronny ins kahle Treppenhaus. Im ersten Stock traten sie in den Korridor, an dessen Ende ihre Büros lagen. Zu Sandras kleiner Abteilung gehörte neben Ronny auch Cindy Masterson, die Angestellte im Innendienst, die die beiden Detektive unterstützte.
In den restlichen Büros des ersten Stockwerks waren die Leitung der Station und die kleine Verwaltungsabteilung untergebracht.
Im gemeinsamen Büro von Ronny und Cindy brannte die Deckenbeleuchtung. Cindy saß hinter ihrem Schreibtisch, Aktendeckel lagen neben ihrem PC.
Cindy Masterson war 26 Jahre alt, knapp 1,60 Meter groß, hatte eine stämmige Figur und dunkelbraune Haare. Ihre Gesichtszüge verrieten ihre indianischen Vorfahren. Cindy, die immer eine helle Bluse zur Jeans trug, schaute auf ihren Monitor. Sie zupfte an ihrem Kurzhaarschnitt.
„Oh, hallo ihr beiden.“ Cindy hatte den Kopf gehoben, zeigte auf zwei gefüllte Becher auf Ronnys Schreibtisch. „Ich habe für euch schon mal Kaffee geholt. Das spart euch Zeit.“
„Was ist passiert?“
„Das steht noch nicht fest. Ein Kollege aus Green Falls hat angerufen. Constable Crow ist mit Blaulicht und Sirene auf dem Weg zur Brücke über den Green River bei Penbury. Ein Angestellter der Gemeindeverwaltung Green Falls hat dort einen Toten gefunden.“
„Auf unserer Seite?“, fragte Ronny. Er deutete auf die Landkarte an der Wand hinter seinem Schreibtisch. „Das ist die Bezirksgrenze zu Fort Banning.“
„Ist auch noch unklar“, erklärte Cindy, „darum ist Julian losgefahren. Er wird sich melden, sobald er da ist.“
„Moment, Moment“, schaltete sich Sandra ein, „dieser Constable Crow ist aus Green Falls. Penbury ist doch nicht sein Bezirk!“
„Der Notruf ging in Green Falls ein“, erläuterte Cindy, „weil der Anrufer Julian Crow gut kennt.“
„Okay, und Crow ist hingefahren? Ich kenne den Kollegen zwar nicht, aber er wird doch seinen Bezirk kennen.“
„Es liegt am Anrufer, Sandra“, beschwichtigte Cindy, „der Anrufer ist der Nachbar von Julians Eltern und mit seiner Schwester eng befreundet.“
„Woher weißt du das?“
„Julian ist mein Cousin. Er hatte mir geraten, mich um die Stelle in Burbanks zu bewerben.“
„Das ist ein dicker Pluspunkt für den Kollegen“, meinte Sandra. Sie trank einen Schluck. „Was weißt du noch über den Anrufer?“
„Den Rest muss dir Julian selbst erzählen“, sagte Cindy, „denn ich weiß leider zu wenig über Bill Monkton.“
„Bill Monkton?“ Ronny ließ sich auf den Stuhl fallen und zog seinen Kaffeebecher heran. „Der Name sagt mir was! Letztes Jahr gab es einen Selbstmord oder tödlichen Unfall in Green Falls.
Das Opfer hieß Monkton. Waren nicht zuvor die Frau und die Tochter des Mannes gestorben?“
„Das war Bills Vater“, sagte Cindy, „Genaueres müsst ihr ebenfalls Julian fragen.“
„Gibt es darüber keine Akte?“, fragte Sandra.
„Wir hatten zu der Zeit keinen eigenen CID - Beamten“, erklärte Cindy, „der Fall wird wohl von Fort Banning bearbeitet worden sein.“
Eine tiefe Männerstimme fragte: „Welcher Fall?“
Superintendent James Green, der Leiter der Station, lehnte am Türrahmen. „Miss Masterson, welchen Fall meinen Sie?“, wiederholte er.
„Der Selbstmord in Green Falls im vergangenen Jahr, Sir“, stellte Cindy klar, „es geht um den Selbstmord von Henry Monkton, Sir.“
„Tragisch“, murmelte der breitschultrige Green, verzog die Mundwinkel und senkte den Blick.
„Es gab eine kurze Untersuchung durch die Kriminalabteilung Fort Banning. Das Ergebnis war eindeutig: Selbstmord. Der Mann hat sich erschossen. Warum interessiert sich meine Kriminalabteilung dafür?“
„Bill Monkton, der Sohn, hat heute früh einen Toten an der Straße nach Fort Banning gefunden“, erläuterte Sandra, „sollte der Fundort auf unserer Seite des Green Rivers sein, müssen wir hin, Sir. Ein Kollege ist vor Ort. Wir warten auf seine Meldung.“
„Der arme Junge!“ Superintendent Green seufzte.
„Wenn Sie ihn vernehmen, Sandra, fassen Sie den Jungen bitte sanft an.“ Er schob die Hände in die Hosentaschen. „Wer ist draußen?“
„Constable Julian Crow aus Green Falls“, antwortete Sandra.
„Gut! Der junge Crow kann mit Menschen umgehen.“ Green blickte sie an. „Ich möchte mit Ihnen sprechen, Sandra. Gehen wir in Ihr Büro!“
Sandra Vane schloss die gläserne Tür hinter dem Superintendent und bat ihn, Platz zu nehmen. Sie hängte ihre Lederjacke über die Lehne ihres Stuhls, bevor sie sich hinter den Schreibtisch setzte.
„Was kann ich für Sie tun, Sir?“, fragte sie und schaute James Green offen an.
Der Stationsleiter war Anfang 50, mittelgroß und von stämmiger Statur. Durch seine ruhige Art war er ein „Fels in der Brandung des Alltags“, der seine Untergebenen zu führen wusste und schätzte. Sich Zeit für die Belange seiner Mitarbeiter zu nehmen, war für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Das alles machte ihn in Sandras Augen zu einem guten Vorgesetzten.
„Ich habe mit der heutigen Dienstpost ein Schreiben der Regionaldirektion erhalten“, begann er, „in dem es um Ronnys Versetzung zum CID geht.“
„Lehnen die etwa die Versetzung ab?“, regte sich Sandra auf.
„Nein, Ronny ist für die Aufnahme vorgesehen“, beruhigte er sie, „man hat mir seinen Ausbildungsplan übersandt. Sie werden in der kommenden Zeit öfter mit Cindy Masterson alleine sein.“
„Kein Problem, Sir.“
„Das habe ich erwartet. Miss Masterson hat sich, wie Ronny, sehr gut bei Ihnen bewährt, oder?“
„Das ist richtig, Sir.“
„Freut mich, dass Sie mir das bestätigen. Brauchen Sie in den Zeiten von Ronnys Abwesenheit Unterstützung?“
„Schwer zu sagen“, meinte Sandra nachdenklich, „es kommt auf die Fälle an, die wir übernehmen müssen.“
„Wenn Sie jemanden brauchen, lassen Sie es mich wissen.“ Green grinste breit. „Ich überlasse es Ihnen, Sandra, wen Sie ins Boot holen. Bei Ronny und Miss Masterson haben Sie ein sehr glückliches Händchen bewiesen. Einverstanden?“
„Ja, Sir, vielen Dank für Ihr Vertrauen.“
„Ach, wissen Sie, ich halte mich an die Empfehlung ihres ehemaligen Chefs. Chief Superintendent Harper weiß nur zu gut, wie Sie arbeiten, und riet mir, Ihnen freie Hand zu lassen. “ Green faltete die Hände vor seinem Bauch. „Hoffentlich ist es Ihnen hier nicht zu langweilig nach all den Jahren in den Großstädten?“
„Nein, Sir, ich fühle mich hier sehr wohl. Warum fragen Sie?“
„Ich soll Sie darüber informieren, dass in der Regionaldirektion ein Dankschreiben des Special Investigation Corps of Taxes eingegangen ist. Sie und Ronny Sunderland werden darin besonders für Ihr umsichtiges Vorgehen im Fall Walthers hervorgehoben.1 Miss Masterson wird für ihre Unterstützung besonders gedankt. Sie, Sandra, wurden außerdem als besonders erfahrene Ermittlerin sowie kompetente Teamleiterin bezeichnet.
Der Leiter der Kriminalabteilung in der Regionaldirektion hat daher seinen Besuch bei uns für den 7. Oktober, also nächste Woche Mittwoch, angekündigt.“
„Was will er von mir? Ich habe nur meinen Job gemacht“, wandte Sandra ein, „allerdings, wie ich ihn mir vorgestellt habe.“
„Deshalb waren Sie erfolgreich. Wer weiß, vielleicht wird eine Beförderung fällig?“
„Dafür ist die Abteilung hier zu klein, Sir“, entgegnete sie.
„Das ist richtig, aber ich weiß nicht, was in den Köpfen der Regionaldirektion vorgeht. Notieren Sie sich bitte den Termin. Chief Superintendent Sullivan will gegen 10.00 Uhr hier sein.“
„Danke, Sir, ich werde ihn sofort eintragen.“
„Halten Sie mich bitte über den Toten auf dem Laufenden, Sandra.“ Green erhob sich. Er nickte ihr zu, ehe er das Büro verließ.
Als Sandra wenige Minuten später ins Nachbarbüro trat, sahen Ronny und Cindy sie gespannt an. Kurz und knapp informierte sie ihre Mitarbeiter über die Inhalte des Gesprächs.
„Lass dir bloß keinen anderen Job von Sullivan andrehen“, kommentierte Ronny die Besuchsankündigung.
„Keine Angst“, bemerkte Sandra grinsend, „Ich habe nicht die Absicht zu gehen.“
„Ein Glück“, murmelte Cindy und strahlte dabei.
Das Telefon klingelte. Sie nahm das Gespräch entgegen.
„Moment, Sergeant, Detective Inspector Vane ist in meinem Büro. Ich reiche Sie rüber“, erklärte sie, „Sergeant Peacock, der Schichtleiter vom Streifendienst, für dich.“
„Was kann ich für Sie tun, Sergeant?“
„Ich habe Constable Crow am Funkgerät, Madam, er ist am Fundort der Leiche eingetroffen. Er möchte mit Ihnen sprechen?“
„Ich komme zu Ihnen herunter, Sergeant.“
„Nicht nötig, Madam, ich schalte die Funkverbindung auf das Telefon. Einen Moment bitte.“
Es knackte in der Leitung. Dann hörte Sandra Peacock sagen: „Wagen 6, bitte sprechen.“
„Hier Wagen 6, Constable Crow.“ Die Stimme des Anrufers klang verzerrt.
„Detective Vane“, meldete sich Sandra.
„Ich bin am Fundort der Leiche eingetroffen, Madam. Er liegt auf unserer Seite des Flusses.“
„Können Sie Verletzungen oder dergleichen feststellen?“
„Nein, aber der Mann ist nicht hier umgebracht worden“, berichtete Constable Crow, „die Leiche wurde hier abgelegt. Ich habe Spuren der Person gefunden, die ihn versteckt hat.“
„Okay, wir kommen sofort. Sichern Sie bitte den Fundort.“
„Zwei Kollegen aus Fort Banning, die in der Nähe waren, sind ebenfalls hier. Wir werden den Parkplatz sperren, bis Sie hier sind, Madam.“
1 Band 1 dieser Serie; „Keine Spur von Samuel Walthers"
Um 9.30 Uhr lenkte Detective Inspector Sandra Vane den zivilen Ford der CID auf die Zufahrt eines Parkplatzes an der Landstraße zwischen Burbanks und Fort Banning. Ein Streifenwagen der Royal Canadian Mounted Police mit eingeschaltetem Blaulicht versperrte den Weg. Sandra stoppte den Wagen neben der dort stehenden Polizistin und ließ die Scheibe herunter.
„Detective Inspector Vane, CID Burbanks“, stellte sie sich der jungen Frau vor.
„Polizeianwärterin Amely Red, Madam. Die Constable Crow und King erwarten Sie“, sagte sie und zeigte auf den SUV der RCMP, der vor einem grünen Pick-up stand.
„Danke. Die Spurensicherung sowie der Gerichtsmediziner werden auch demnächst eintreffen.“
„Ich werde auf die Kollegen achten, Madam.“
Sandra ließ den Ford zum Pick-up rollen. Sie stoppte dahinter, schaltete Motor und Blaulicht ab und stieg aus. Ein großgewachsener Constable der RCMP kam hinter dem SUV hervor. Seine glatten, schwarzen Haare und die Gesichtszüge verrieten, dass er den First Nations angehörte.
Seine dunklen Augen musterten Sandra.
„Detective Vane?“, fragte er mit tiefer Stimme, „ich bin Constable Julian Crow.“
Sandra ergriff die ausgestreckte Hand. Sie schätzte Crow auf Mitte Zwanzig. Spontan fand sie ihn sympathisch.
„Hallo Constable.“ Sie deutete auf Ronny, der sich aus dem Beifahrersitz schob. „Ich denke, Sie kennen Ronny Sunderland.“
„Er war zur Ausbildung mit mir auf Streife, Madam“, bestätigte Crow ihre Vermutung, „hallo, Ronny.“
Ein weiterer Constable kam hinter dem SUV hervor. Crow stellte ihn als Peter King aus Fort Banning vor.
„Danke, das Sie den Kollegen unterstützen, Constable“, sagte Sandra, nachdem sie ihn begrüßt hatte.
„Wir waren nicht allzu weit weg, Madam“, erklärte King.
„Bevor Sie mir über die Umstände des Fundes berichten, werde ich mir die Leiche ansehen müssen“, sagte Sandra, „Mr. Crow, Ronny, kommt bitte beide mit!“
Während Constable King beim Pick-up der Gemeinde Green Falls blieb, führte Crow Sandra und Ronny über den Asphaltstreifen zu einem ausladenden Gebüsch, das den Parkstreifen vom Green River trennte. Der Pfad führte hindurch.
Auf der anderen Seite senkte sich der Boden zum Fluss hin ab.
„Hier links liegt er“, sagte Crow. Er schob einige Zweige beiseite. „Die von mir erwähnten Spuren sind an der Kopfseite des Toten. Hier am Boden sehen Sie noch die Schleifspuren auf dem Pfad.“
Crow blieb neben zwei schmalen Furchen im Matsch stehen und zeigte auf Fußabdrücke links und rechts der Furchen. „Die sind vom Täter, Madam. Er musste den Toten mühsam herschleifen. Tragen konnte er ihn wohl nicht. Der Täter trug Schuhe der Größe 8 ½ oder 9. Dem Profil nach waren es sportliche Schuhe der Marke LIONS.“
„Constable, ich bin beeindruckt“, bemerkte Sandra, die sich die Spuren genau anschaute, „schwer beeindruckt. Was haben Sie noch gefunden?“
„Am Kopf des Toten sind die Abdrücke ebenfalls“, fuhr er fort, „aber dort sind sie nicht so tief. Er hatte keine Last mehr zu tragen. Sie verlieren sich dann im Gras, da der Täter in Richtung Brücke gegangen ist. Ich habe allerdings nach wenigen Metern seine Schuhabdrücke wiedergefunden. Er ist abgebogen und möglicherweise zum Parkplatz gegangen. Dort konnte ich keine eindeutigen Spuren mehr feststellen.“
„Was schließen Sie daraus, Mr. Crow?“, fragte Sandra, die ihn aufmerksam beobachtete.
„Ich habe keine Erfahrung mit Mordfällen“, antwortete Crow, „ich denke, dass er dort ein Fahrzeug abgestellt hatte, mit dem er die Leiche herbrachte.“
Sie waren einige Schritte gegangen. Sandra nickte und drehte sich um. Ronny, den sie hinter sich vermutet hatte, stand bei der Leiche. Er starrte auf den Toten, als wäre er ein Alien.
„Ronny, hast du was gefunden?“
Er hob den Kopf. Sein Gesicht war kalkweiß.
Ohne Spuren des Täters zu zerstören, kam er zu ihnen herüber.
„Scheiße, Sandra, ich weiß, wer der Tote ist“, murmelte er und schüttelte den Kopf, „es ist Dudley Strong!“
„Was? Du kennst den Toten?“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. „Woher?“
„Er war mit mir in der Abschlussklasse an der Schule“, erklärte er. Den Kopf in den Nacken gelegt seufzte er. „Dudley war mit June zusammen, bis ihre Mutter starb.“
„June?“ fragte Crow.
„June Malone ist meine Freundin, Julian“, erläuterte Ronny.
„Verflucht, auch das noch“, schnaufte Sandra, „wir werden mit ihr sprechen müssen.“
„Daran habe ich gerade gedacht.“ Ronny fuhr sich durch die Haare. „Erst bringt sich Anfang letzter Woche ihre Freundin Susan um, dann wird ihr ehemaliger Freund tot aufgefunden. Wie soll ich ihr das beibringen?“
„Das werde ich übernehmen“, entschied Sandra.
„Danke.“
„Kümmern wir uns um den Toten“. Sie wandte sich an Crow. „Die Kriminaltechnik und der Gerichtsmediziner sind bereits unterwegs. Ich möchte mir nochmals den Fundort ansehen, bevor hier die Hektik ausbricht. Begleiten Sie uns bitte, Mr. Crow.“
„Okay, wenn Sie es wünschen.“
Zurück am Leichnam streifte Sandra sich Latexhandschuhe über. Sie sank in die Hocke, um den Toten genau zu betrachten.
„Er scheint auf den ersten Blick keine Verletzungen zu haben“, sagte sie laut zu Ronny und Crow, „obwohl das unter diesen Umständen nichts zu sagen hat. Wer ihn hergebracht hat, muss es aus gutem Grund getan haben. Den werden wir schon herausfinden.
Ronny mach bitte Notizen für´s Protokoll: Der Tote macht einen gepflegten Eindruck, auch wenn ich Dreitagebärte furchtbar finde. Seine Fingernägel sind frisch manikürt. Er trägt die Uhr am linken Handgelenk und rechts ein Armband. Es könnte aus echtem Gold oder einem Imitat sein.
Jeans und T-Shirt stammen aus der gehobenen Preiskategorie. Die Schuhe sehen neu aus.“
„Ich frage mich, woher Dudley das Geld dafür hatte“, warf Ronny ein, der alles mitschrieb.
„Was hat er beruflich gemacht?“, fragte Crow, der über Sandras Schulter hinweg das Gesicht des Toten betrachtete.
„Ich vermute, Sie haben einen besonderen Grund für Ihre Frage.“ Sandra blickte ihn über die Schulter an. „Kennen Sie ihn?“
„Nicht persönlich, Madam.“ Crow richtete sich auf und trat einen Schritt zurück. „Das Gesicht, so verzerrt es auch ist, kommt mir bekannt vor.“
„Interessant.“ Sandra erhob sich aus der Hocke.
„Können Sie sagen, wo Sie ihn schon mal gesehen haben? War es beruflich?“
„Das glaube ich kaum“, wehrte Crow ab, „ich habe diesen Mann schon gesehen, Madam. Da bin ich sicher.“
Sandra tastete die Taschen des Toten ab.
„Leer!“ , erklärte sie, „den Rest überlassen wir der Spurensicherung.“ Sie streifte die Handschuhe ab.
„Glücklicherweise wissen wir, wer der Tote ist“, bemerkte Ronny. Er steckte sein Notizbuch in die Jacke. „Wo er gewohnt hat, kriegen wir raus.“
„Ruf´ mal bitte Cindy an, Ronny. Sie möchte bitte seine Adresse feststellen. Sollte sie Angehörige ausfindig machen, soll sie Kontakt zu den örtlichen Behörden aufnehmen. Er wird ein Auto besessen haben. Sowie sie die Daten ermitteln hat, geht die Fahndung nach dem Wagen an alle Dienststellen. Vielleicht ist der Täter damit unterwegs.“
Sandra drehte sich um. Über den Trampelpfad erreichte sie den Parkplatz. Sie überquerte den Asphaltstreifen. Die Polizisten aus Fort Banning machten ihr Platz.
Sandra Vane stellte sich Bill Monkton vor, der im Wagen saß. Ihr fiel seine Blässe auf, die der Ronnys in nichts nachstand. Bill Monkton schien kurz vor einem Zusammenbruch zu stehen.
„Bleiben Sie bitte sitzen“, forderte sie ihn auf, „ich habe nur einige Routinefragen an Sie.“
„Danke, Madam“, antwortete Monkton. Ein müdes Lächeln entstand auf seinen Lippen.
„Okay.“ Sandra nahm ihr Notizbuch heraus.
„Erzählen Sie mir bitte in aller Ruhe, wie Sie den Toten gefunden haben.“
„Ich war schon sehr früh in Fort Banning.“ Bill Monkton zupfte an der Knietasche. „Die Gemeinde hatte im Sägewerk ein paar Sachen bestellt.
Ich habe den Auftrag von unserem Verwaltungschef, Mr. Heron, die Sachen heute sehr früh abzuholen. Darum bin ich schon um fünf losgefahren.
Auf dem Rückweg hab ich hier gehalten, weil ich mal musste. Dabei habe ich den Toten dann gefunden.“
„Dabei? Können Sie das bitte etwas genauer beschreiben?“, bat Sandra.
„Na, ich war da hinter dem Baum.“ Er zeigte auf eine Birke. „Und als ich dann zurückging, sah ich die Spuren. Ich bin denen nachgegangen. Hinter dem Gebüsch hab´ ich d-d-den T-t-t-oten dann gefunden.“
„Auf dem Weg zum Baum sind Ihnen die Spuren nicht aufgefallen?“
„Nein, Madam, weil, ich bin schnell um das Gebüsch herumgelaufen, weil ich …“ „Verstehe, Mr. Monkton“, bemerkte Sandra grinsend, „Sie sind also durch das Gebüsch hindurch den Spuren gefolgt. Haben Sie erkannt, dass es sich um Schleifspuren handelte?“
„Ich bin öfter mit Julian im Wald unterwegs. Wir haben da ähnliche Spuren gefunden. Aber das waren Kadaver, die von Raubtieren in ein Versteck gezogen worden waren.“
„Okay. Sie fanden den Leichnam hinter dem Gebüsch. Haben Sie den Toten angerührt?“
„Ich habe gesehen, dass er die Augen aufgerissen hatte, und dann habe ich seinen Puls gesucht.
Aber der M-m-mann war schon ganz kalt.“
Sandra legte eine kurze Pause ein. „Ist es richtig: Sie haben dann Constable Crow angerufen?
Warum nicht den Notruf?“
„Ich kenne Julian und er hatte doch heute Dienst.“
„Das wussten Sie?“ Sandra schob sich eine Haarsträhne aus der Stirn. „Woher?“