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Mirjam Munter

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Beschreibung

Ist der Mörder noch ganz sauber? Ein Fall für Pamela Schlonski! Ermittlungsalarm in der Biobäckerei Schnarrenbeck am Rande des Ruhrgebiets! Im Brotofen liegt ein riesiger Weckmann. Darin eingebacken – eine Leiche. Gut, dass Pamela Schlonski sofort zur Stelle ist, um Bäckereibesitzer Onkel Horst und Tante Christa beizustehen. Denn Hauptkommissar Lennard Vogt nimmt die beiden gleich ins Visier. Doch Pamela wäre nicht die gründlichste Reinigungskraft und scharfsinnigste Hobbyermittlerin des ganzen Ruhrpotts, hätte sie nicht schon eine andere Spur. Wie immer sehr zum Leidwesen von Kommissar Vogt. Doch der kann eigentlich einmal mehr froh sein, dass Pamela hinter ihm aufwischt … 

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Der tote Weckmann

Die Autorin

MIRIAM MUNTER ist das Pseudonym von Mirjam Müntefering. Obwohl sie Filmwissenschaftlerin ist und einige Jahre als Fernsehredakteurin arbeitete, wandte sie sich ihren beiden Leidenschaften zu: dem Schreiben und den Tieren. Mehr als zwanzig Jahre betrieb sie ihre eigene Hundeschule, konzentriert sich inzwischen jedoch ganz aufs Schreiben – vielseitig, genrepolygam und für alle Altersklassen. Sie lebt mit ihrer Ehefrau, Hunden, Pferden, Katzen, Meerschweinchen und Hühnern am grünen Rand des Ruhrgebiets und treibt sich täglich in Hattingen, Sprockhövel und Witten herum – in direkter Nachbarschaft zu den Figuren ihres Krimis.

Mirjam Munter

Der tote Weckmann

Pamela Schlonski ermittelt

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage März 2023© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2023 Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © FinePic®, MünchenAutorenfoto: © www.sandragrafie.deE-Book-Konvertierung powered by pepyrusISBN 978-3-8437-2887-4

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

PROLOG

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

Danke schön und so weiter

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

PROLOG

Widmung

Für BineDanke für unsere überbordenden Brainstorming-Abende

PROLOG

2. Juli, Freitag, morgens

Dieser frühe Julimorgen versprach alles, was ein Sommertag bieten konnte. Soeben krochen die ersten Sonnenstrahlen über die Dächer an der Hauptstraße, die sich schnurgerade durch das ehemalige Dorf zog und von vielen kleinen Geschäften gesäumt wurde.

Harald Lichtenhain beachtete die Schaufenster zu seiner Rechten nicht, während er mit ausholenden Schritten auf dem Bürgersteig lief. Die Krimskrams- und Klamottenläden, die Drogerie und der Buchladen lagen noch alle in tiefem Schlummer und träumten von konsumfreudigen Kleinstädtern, die in wenigen Stunden über ihre Schwellen treten würden.

Gegenüber der Kirche, deren oberstes Geschoss des Glockenturms aussah, als habe ein fähiger Konditor mit einer gewaltigen Tülle übereinander zwei kleine Metallspritzer auf das Bruchsteinmauerwerk gesetzt, bog Harald ab und schlüpfte in die Gasse dahinter.

Eine Amsel, die auf einer Regenrinne gesessen und dem Morgen ihr Lied entgegengeschmettert hatte, flog mit einem empörten Alarmschrei auf und flatterte über den Dachfirst davon.

War die gestern nicht auch schon hier gewesen? Und am Morgen davor? So langsam müsste dieser Amselrich doch wissen, dass der Mann, der jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe hier lang kam, in keiner Weise eine Gefahr darstellte.

Harald steuerte auf den Hintereingang der Biobäckerei Schnarrenbeck zu, so wie immer in den letzten sechs Wochen. So lange war er bereits angestellt, um diese Filiale der Schnarrenbecks zu betreuen, nachdem sein Vorgänger berentet worden war.

An der Tür angekommen, kramte er nach seinem Schlüsselbund, um die beiden Sicherheitsschlösser zu entriegeln. Doch als er den ersten ins Schloss steckte, spürte er nicht den gewohnten Widerstand. Verwundert betätigte er die Klinke, und die Tür sprang auf.

Hoppla. Das hatte es noch nie gegeben, und sofort schoss Harald der Gedanke an einen Einbruch durch den Kopf. Vorsichtig betrat er den Flur und spähte in Richtung Backstube und Verkaufsraum, die beide am Ende lagen.

Nichts Ungewöhnliches zu sehen. Allerdings roch es ein wenig seltsam. Kein Parfüm oder so etwas, nichts, was nicht hierhergehören würde. Und dennoch nicht wie an den vorangegangenen Morgen. Hm.

Er widerstand der Versuchung, ein »Hallo? Jemand da?« zu rufen. Stattdessen schlich er leise den Gang entlang, ließ die Angestelltenumkleide und das Lager mit dem Lieferanteneingang links liegen und öffnete behutsam die Tür des Büros. Falls es in der Bäckerei etwas zu holen gab, dann hier, wo die Kassen und das Wechselgeld im großen Safe gelagert wurden.

Selbstverständlich schaute er nicht oft hier vorbei, aber auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein. Nichts deutete darauf hin, dass jemand Unbefugtes im Raum gewesen war, Schubladen und Schränke durchsucht hatte. Der Safe, ein Stahlklotz im Meterquadrat, stand harmlos an der rückwärtigen Wand neben dem dagegen zierlich wirkenden Schreibtisch.

Harald entspannte sich wieder.

Wahrscheinlich hatte gestern Abend jemand vergessen abzuschließen. Wer machte das eigentlich? Seine eigene Arbeitszeit endete lange vor Verkaufsschluss, und so wusste er nicht, wer für diese Aufgabe zuständig war. Eine der Verkäuferinnen? Oder kam der Chef, Horst Schnarrenbeck, persönlich vorbei und überzeugte sich, dass alles gesichert war?

Harald zuckte mit den Schultern und ging zurück zur Umkleide.

Während er aus Jeans und T-Shirt schlüpfte, in die klein karierte Hose stieg und die gestärkte weiße Jacke mit dem Stehkragen überzog, überlegte er, ob er den Vorfall dem Chef melden sollte. Aber womöglich würde dann irgendjemand mächtig Ärger bekommen. Und wenn Harald eins nicht war, dann ein Kollegenschwein. Nein, er würde sich unauffällig umhören und rausfinden, wer gestern Abend seine Aufgabe vernachlässigt hatte. Wenn es eine der Verkäuferinnen gewesen war, würde er sie zur Seite nehmen und sie auf den Fehler aufmerksam machen. Nur, damit so etwas nicht noch einmal passierte. Denn gleichzeitig würde er erklären, dass von ihm niemand etwas erfahren würde. Ja, das war gut, so würde er es machen. Das würde ihm bei mindestens einer Person im Team einen fetten Stein im Brett bescheren – und als Neuer in den Schnarrenbeckschen Reihen konnte er nie wissen, wann so etwas mal hilfreich sein könnte.

Zufrieden mit dieser Entscheidung, schloss er den letzten Knopf der Jacke und ging wieder auf den Gang hinaus in Richtung Backstube, an die sich der große Verkaufsraum inklusive eines Cafébereichs anschloss. Als er die Feuerschutztür öffnete, schlug ihm der Geruch entgegen, der ihm hinten schon aufgefallen war.

Irritiert blinzelte er. Das roch verdammt so, als sei heute früh der Steinofen in Betrieb gewesen. Das war in der Tat höchst seltsam. Die beiden größten Filialen der Schnarrenbecks, eine im benachbarten Hattingen und diese hier in Sprockhövel, wechselten sich bei den Brotbacktagen ab. Harald war montags, mittwochs und samstags zuständig. Heute war aber Freitag. Also war die Bäckermeisterin in Hattingen dran, da war Harald ganz sicher. Und selbst wenn es anders gewesen wäre und heute hier das Brot hätte gebacken werden müssen, wäre Harald doch derjenige gewesen, der das als Erster hätte erfahren müssen.

Er schnupperte.

Das war nicht das gewohnte Aroma vom typischen Schnarrenbeck-Brot. Die Würze von Kräutern, Nüssen und Körnern, die Besonderheit der im Umkreis beliebtesten Brotsorten dieser Biobäckerei, fehlte. Stattdessen roch es süßlich, wie Gebäck. Mit einer Spur von etwas anderem. Wovon?

Harald sah sich erneut in der Backstube um und entdeckte Wasserflecke auf der riesigen Spüle. Zwei der großen Metallschalen lehnten zum Abtropfen über dem Gitter. Er griff nach einer und betrachtete sie genau. Auch hier hingen noch ein paar Wassertropfen. Von gestern Abend konnten die nicht sein, sie wären längst eingetrocknet. Jemand war also vor nicht allzu langer Zeit hier gewesen, hatte in der Backstube etwas zubereitet. Was genau, konnte Harald nicht erraten, denn er sah keinerlei Spuren von Gebäck. Also hatte die Person wohl mitgenommen, was sie gebacken hatte. Und sie hatte hinter sich aufgeräumt. Allerdings nicht so ordentlich, dass auch die benutzten Schüsseln abgetrocknet und an ihren Platz zurückgestellt worden wären.

Harald ging durch den breiten, offenen Durchgang von der Backstube in den kleinen Saal, der sowohl als Verkaufsraum für Brot, Brötchen und Kuchen diente wie auch als kleines Café. Hier sah er sich kurz um. Erhaschte einen flüchtigen Eindruck davon, wie die Leute diesen Raum wahrnehmen mochten. Das war nämlich das Besondere an dieser Bäckerei: Die Kundschaft konnte bei der Herstellung der Backwaren quasi zuschauen.

Harald hatte durch die olfaktorische Irritation beim Hereinkommen nicht so wie immer automatisch den Lichtschalter betätigt. So ganz ohne elektrische Beleuchtung schien die Backstube seltsam fremd. Die im Cafébereich auf die Tische gestapelten Stühle wirkten gegen das frühe rötliche Sonnenlicht, das durch die großen Scheiben von draußen hereinfiel, wie eine Armee aus angriffsbereiten überdimensionalen Krabbeltieren. Sie warteten auf die erste Verkäuferin, die in einer halben Stunde ihre Schicht beginnen und alle Tische einladend bereitstellen würde. Jetzt war das Café natürlich menschenleer. Ebenso wie der Bereich hinter der langen Verkaufstheke mit den noch leeren Ablagen vorn und den sauber gefegten Brotregalen dahinter.

Bei der ungewöhnlichen Beleuchtung fiel Harald nun etwas auf, das höchst suspekt war: Eines der Lichter am großen Ofen, in dem sonst die steingebackenen Brote ihre knusprige Kruste erhielten, blinkte rot. Er konnte es bis hierher sehen.

Dieser gewaltige Ofen hatte Harald am meisten beeindruckt, als Horst Schnarrenbeck ihn nach dem Vorstellungsgespräch herumgeführt hatte. Fünfzig Laibe Brot konnten gleichzeitig auf einer der Ebenen gebacken werden, von denen es insgesamt drei gab. Die beiden oberen für die Brötchen und Kleingebäckteile. Die untere für das Brot.

Die rote Lampe leuchtete neben der Brotebene. Das bedeutete, dass die eingestellte Backzeit überschritten worden war. Der Ofen hätte längst geöffnet werden müssen.

Harald war schon auf dem Weg zum Ofen, als eine Ahnung ihn im Durchgang zwischen Verkaufsraum und Backstube innehalten ließ. Dieses unangenehme Gefühl beschlich ihn, das jeder von uns im Leben wohl schon einmal empfunden hat, wenn eine Situation, eine einzige Sekunde nur, alles Bisherige zu verändern droht.

Der absurde Gedanke schoss ihm durch den Kopf, einfach auf dem Absatz umzudrehen und zu gehen. Er könnte aus der Umkleide noch seine Straßensachen holen und dann nichts wie hinten raus. Aber das war natürlich Unsinn. Bestimmt gab es eine einfache logische Erklärung dafür, dass der Ofen offenbar in der Nacht in Betrieb gewesen war. Vielleicht hatte der Chef selbst hier Hand angelegt? Und was würde der sagen, wenn er erführe, dass Harald einfach Fersengeld gegeben hatte?

Diese Frage gab den Ausschlag. Harald gab sich einen Ruck und ging auf den großen Ofen zu.

Er löschte den roten Alarm und konnte dabei spüren, dass das Gusseisen noch Wärme abgab. Dann griff er nach den bereitliegenden Handschuhen und entriegelte die Klappe.

Heißer Dampf entstieg der Luke, und Harald trat kurz einen Schritt zurück, wie er es auch tun würde, wenn dort drinnen Dutzende Brote lägen. Was diesmal jedoch nicht der Fall war. Es war nur ein einziges Backstück, das dort auf der Steinplatte lag. Allerdings ein ziemlich großes.

Harald spähte angestrengt hinein. Seine Augen rundeten sich vor Erstaunen.

Das war ein Weckmann, ein Stutenkerl, wie man hier im Ruhrgebiet sagte. In der Vorweihnachtszeit eines der beliebtesten Hefegebäcke in Form eines Männchens mit Augen und Jackenknöpfen aus Rosinen. Allerdings waren die üblichen Stutenkerle nur zwischen zwanzig und dreißig Zentimeter hoch. Dieser hier war jedoch wesentlich größer. Mannsgroß, um genau zu sein. Von seinen Ausmaßen abgesehen, sah er aus wie seine kleinen Vorbilder: Seine Beine und der eine Arm waren leicht abgespreizt, der andere Arm umschlang eine große tönerne Pfeife. Die Oberfläche des gigantischen Gebäckstücks glänzte mit Eigelb bestrichen.

Was sollte das denn?

War das ein Witz? Zu welchem Zweck? Und warum konnte er dieses höchst ungute Gefühl einfach nicht abstreifen, das sich nun noch zu verstärken schien?

Mit gerunzelter Stirn trat Harald zur Seite, denn diese andere Geruchskomponente neben der des süßen Teigs drang ihm unangenehm in die Nase.

Was sollte er tun? Eigentlich musste er jetzt schon den Brötchenteig aufteilen, wenn die Ersten zur Öffnung des Ladens in einer Stunde für die Berufspendler und Ferienausflügler bereitliegen sollten.

Aber wie hatte Horst Schnarrenbeck bei seiner Einstellung gesagt? Sollte mal irgendetwas sein, Herr Lichtenhain, scheuen Sie sich nicht, mich anzurufen. Ich habe mein Handy immer bei mir. Wer einen so großen Betrieb führt wie ich, mit fünf Filialen, der muss immer auf Zack sein, zu jeder Tageszeit! Und damit hatte er ihm eine Visitenkarte gereicht, auf der fett eine Handynummer markiert war.

Ja, am besten würde er den Chef anrufen und ihm diese seltsame Sache mit dem Weckmann überlassen. Dann konnte er sich um den Teig kümmern und … Haralds Gedanke stockte abrupt. Denn sein Blick war zur Seite geglitten, wo mehrere Stapel peinlich sauberer Brötchenkörbe auf ihren Dienst warteten. Alle, bis auf einen. Im obersten Korb des hinteren Stapels lag etwas.

Harald trat näher.

Das war Kleidung. Sorgsam zusammengefaltet lagen da eine beigefarbene Cordhose, ein Paar Socken, ein grünes Hemd.

Weit hinten in Haralds Kopf klopfte etwas an und wollte in sein Bewusstsein dringen. Doch er schob es mit aller Macht fort, als wolle er etwas nicht begreifen, das doch so vollkommen auf der Hand lag. Es war, als würde er fest die Augen zusammenpressen, während sich vor ihm etwas befand, das er um keinen Preis sehen wollte. Als könne er durch seine Weigerung die Tatsache einfach wegleugnen.

Eine unsichtbare Faust schloss sich um seine Kehle und drückte zu, während er nur für eine Sekunde noch einmal zur offen stehenden Ofenklappe hinüberblickte.

Auf der Kleidung lag ein abgegriffenes Männerportemonnaie, und schon streckte Harald wie unter einem inneren Zwang die Hand danach aus und öffnete es. Ein paar Münzen klimperten. Das Fach für die Scheine war mit drei Fünfzigern und ein paar Zehnern gut gefüllt. Auch die Fächer für die Kreditkarten waren in Benutzung. Harald zog jedoch wie ferngesteuert die Karte des Personalausweises heraus.

Er starrte darauf.

Das biometrische Passfoto zeigte ein Männergesicht in den frühen Fünfzigern. Bewundernswert dichtes braunes Haar. Braune Augen. Obwohl der Mann ernst dreinblickte, wie es auf diesen Fotos verlangt wurde, waren neben seinen Schläfen Lachfältchen auszumachen.

Harald stand dort, ein paar Sekunden, vielleicht auch Minuten, Aug in Aug mit diesem Mann. Es war die gnädige kurze Zeitspanne, ehe sein Verstand erneut einsetzte. Dann kehrte mit einem Schlag alles zurück: sein Bewusstsein und all seine Sinne. Der Geruch, den er bisher nicht recht einzuordnen gewusst hatte.

Harald ließ das Portemonnaie fallen und rannte aus dem Verkaufsraum. Er schaffte es gerade noch in den Toilettenbereich und übergab sich in die Kloschüssel, bis sein Magen nur noch hellgrüne Galle hochwürgte.

1. Kapitel

2. Juli, Freitag, morgens

»Aber ich muss doch nicht wirklich so eine Schwimmweste anziehen, ne?«, fragte Leia neben ihr.

Hinter dem Steuer des kleinen Fiats warf Pamela Schlonski ihrer Tochter einen entschiedenen Blick zu. »Entweder Schwimmweste, oder wir blasen die Kanutour ab. Es gibt Stromschnellen. Also keine Diskussion!«

»Stromschnellen? Das ist die Ruhr, Mama, nicht der Mississippi«, maulte Leia, die genau wusste, dass sie diese Schlacht nicht gewinnen würde. Pamela ließ sich von der Vierzehnjährigen durchaus zu der einen oder anderen Verrücktheit breitschlagen – aber Sicherheit ging vor, da gab es nix.

»Du hast den Vorschlag zu dem Ausflug gemacht. Ich bestimme die Bedingungen«, klärte Pamela noch einmal. »Deine Freundinnen auf Instagram werden es bestimmt genauso sehen, wenn du die Fotos postest.«

»Mit so einem gelben Rettungsring um den Hals? Das ist doch wie Schwimmflügel im Freibad, voll uncool«, jammerte Leia. »Ich dachte, ich hätte das Ding nur tragen müssen, weil Kaya und Abdi dabei wärn. Aber die sind doch jetzt krank. Da muss ich kein gutes Vorbild mehr geben und so.«

Pamela seufzte. Die achtjährige Kaya und der sechsjährige Abdi, die Kinder ihrer besten Freundin Ahsen Özdil, waren in der Tat ein gutes Argument gewesen, um Leia die Schwimmweste schmackhaft zu machen.

Dass die Kleinen sich eine Sommergrippe eingefangen hatten, hatte fast einen Strich durch Pamelas Ferienpläne gemacht. Immerhin hatte sie sich für diesen gemeinsamen Ausflug bei ihrer Kundschaft diesen Tag freigenommen. Ahsen, nicht nur ihre beste Freundin, sondern auch Geschäftspartnerin in ihrer gemeinsamen Reinigungsfirma Sauberzauber, hatte sich gefreut, ihre beiden Kinder für einen Ferientag in so wunderbarer Betreuung zu wissen.

Als sie gestern Abend anrief, um die Teilnahme der Kinder abzusagen, hatte der Kanutrip plötzlich auf wackligen Füßen gestanden – auch wenn das Bild von einem Kanu auf Füßen irgendwie hakte. Leia weigerte sich nämlich, ohne die Kinder zu fahren, die sie vergötterten. Doch es hatte Rettung gegeben. Die Rettung in Form eines attraktiven Bayerns.

»Bernd hat schon gesagt, dass er definitiv auch eine Schwimmweste tragen wird«, holte Pamela jetzt das Totschlagargument hervor. »Er ist groß, stark und ein super Schwimmer. Und trotzdem wird er sich und Xaverl sichern.«

Leia bekam runde Augen.

»Xaverl kriegt auch ’ne Schwimmweste?«

»Natürlich«, behauptete Pamela, die sich noch gar keine Gedanken darüber gemacht hatte, ob es so was in der Größe eines kleinen einjährigen Hundemischlings überhaupt gab.

»Dann will ich auch eine!«, jubelte Leia und riss die Arme hoch. »Krass! Meinst du, Xaverl will auf meinem Schoß sitzen? Das werden meganice Selfies: Leia und Hundefreund beim Kanufahren! Natürlich voll safe, damit dem Hundi nix passiert!«

Pamela öffnete kurz den Mund, schloss ihn dann aber wieder. Sie hatte es mittlerweile aufgegeben, sich über den Wankelmut einer Vierzehnjährigen zu beschweren. Vielleicht ein bisschen auch deswegen, weil ihre Mutter Marlies immer behauptete, Pamela sei in diesem schwierigen Alter ganz genauso gewesen: hin- und hergerissen zwischen himmelhoch jauchzend und von der Welt im Allgemeinen betrogen.

Deswegen hatte sie es auch nicht weiter kommentiert, als das Teenagerschlafmonster, mit dem sie die Wohnung teilte, vor einer halben Stunde klaglos aus dem Bett gerutscht war – obwohl der Wecker erst kurz nach fünf zeigte. Wunder gab es also doch. Und für ein gemeinsames Ferienevent war also auch Leia bereit, Naturgesetze außer Kraft zu setzen, die da üblicherweise lauteten: In den Ferien stehen Halbwüchsige niemals vor zehn auf.

Während Leia also weiter über ihre Wunschvorstellung von traumhaften Jugendliche-Liebenswürdigkeit-trifft-niedlichen-Vierbeiner-Instagram-Fotos monologisierte, ließ Pamela ihre eigenen Gedanken eher in Richtung Xaverls Herrchen schweifen.

Sie hatte Bernd Stangl vor zwei Monaten zufällig in ihrer Stammkneipe kennengelernt und war seitdem ein paarmal mit ihm aus gewesen.

Er war ein wirklich netter Typ, humorvoll, gut aussehend, und er respektierte ihren Job, was nicht immer selbstverständlich war. Nicht jeder Mann fand die Berufsbezeichnung Putzfrau für seine Begleitung sexy. Bernd aber hatte gleich seine Bewunderung darüber geäußert, dass Pamela und Ahsen ihre eigene Firma aufgebaut hatten, die jetzt sehr erfolgreich lief. Außerdem mochte er Kinder – auch Teenager – und war begeistert gewesen, als Pamela ihn gestern Abend anrief und darum bat, als Ausgleich für den Ausfall der beiden Ahsenzwerge ein- beziehungsweise ins Boot zu springen.

»Dann kann ich endlich deine Leia kennenlernen!«, hatte er erfreut gesagt. Und Pamela war froh gewesen, dass ihre Tochter inzwischen aus dem Alter heraus war, in dem sie jeden fremden Mann mit ihrem teuflisch gut aussehenden Vater verglich und durch entsprechende, kindlich naive Kommentare in die Flucht zu schlagen verstand. Was vor allem deswegen nervig gewesen war, weil Mike Schlonski als echter Hallodri schon vor zehn Jahren zu Pamelas Ex geworden war. Aber inzwischen gab Leia sich betont erwachsen und beteuerte, dass Bernd ihr jetzt schon sympathisch sei. Wobei wahrscheinlich dessen vierbeiniges springlebendiges Anhängsel Xaverl eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. Tiere, ganz gleich welcher Art und Größe, hatten auf Leia schon immer einen magischen Reiz ausgeübt. Im Falle von Xaverl sah Pamela für ihre Tochter bereits eine ganz große Lovestory am Horizont aufziehen. Der kleine wuschelige Kerl war einfach zu niedlich und so herzig in seinen stürmischen Sympathiebekundungen. So offen und entgegenkommend wie sein Herrchen. Beispielsweise der erste gemeinsame Abend zusammen mit Bernd in der Eckigen Kneipe: wie sie gleich ins Gespräch gekommen waren und miteinander gelacht hatten. Und wie er sie angesehen hatte, als sei sie nicht eine einundvierzigjährige alleinerziehende Geschäftsfrau, auf deren Schultern jede Menge Verantwortung lastete, sondern irgendwie eine Wonderwoman, der alle Möglichkeiten im Leben noch offenstanden. Abenteuer, ganz gleich welcher Art …

»Mama?«

Pamela zuckte zusammen. »Hm?«

»Du hast mir gar nicht zugehört!«, stellte Leia schmollend fest.

»Doch, natürlich«, log Pamela.

Ihre Tochter warf ihr einen kurzen Blick zu und sagte dann mit der teenagertypischen List: »Dann fährst du mich später hin?«

Innerlich seufzte Pamela tief, denn sie war mal wieder in die Falle getappt. »Wieso nicht? Bis auf eine einzige Stelle am Abend hab ich heute doch frei, mein Schatz.«

»Supi! Die Busverbindung ist nämlich echt sch … nicht so gut«, bog Leia gerade noch rechtzeitig ab. »Und du musst die Pferde ja nicht streicheln, oder so.«

»Pferde?«, wiederholte Pamela alarmiert.

Leia nickte eifrig. »Die Juliane wohnt doch auf dem Reithof, wo sie arbeitet. Und da gibt’s bestimmt jede Menge Pferde. Niedliche kleine Ponys und so, aber auch richtig große – wie die, die sie gerettet hat.«

Pamela verstand nur Bahnhof. Wer war Juliane?

Leia rollte mit den Augen. »Weißt du nicht mehr? Omma hat das doch erzählt. Stand fett in der Zeitung und kam auch im Fernsehen. Dass die Juliane ganz zufällig auf der Autobahn unterwegs war, wo grad ein schwerer Unfall war, mit einem Pferdeanhänger, in dem zwei Turnierpferde waren. Das Auto und der Hänger sind umgekippt, weil da ein Lkw reingeschleudert ist. Voll gefährlich. Und die Leute, denen die Pferde gehören, waren bewusstlos. Juliane kam da einfach so vorbei. Aber die ist aus ihrem Auto gesprungen und hat ganz allein die Pferde aus dem Hänger gerettet. Da hätten die sich sonst die Beine gebrochen und wären erschossen worden, oder so. Totale Heldin!« Jetzt erinnerte Pamela sich. Ihr hatte diese Heldentat auch Respekt eingeflößt. Die Bilder des umgestürzten zerbeulten Autos und Hängers und die Vorstellung, allein zwei gewaltige Springpferde daraus zu retten, hatten ihr imponiert. »Ich dachte, so ein Interview mit der Juliane wäre doch cool für mein Repost von Ostwind. Und weil du immer sagst, ich soll mich einfach trauen, interessante Leute anzusprechen, hab ich beim Reithof angerufen. Die Juliane ist voll nett und meinte, sie erzählt mir gern was, und wir können auch ein Selfie machen und so.«

»Warum weiß ich da denn noch nichts von?«, wollte Pamela wissen. »Du plapperst doch sonst immer sofort alles raus, was dein Instagedöns angeht.« Leias Instagram-Buchaccount war ihr über alles geliebtes und auch zeitintensives Hobby. Sie verschlang Bücher, wie andere Teenager sich Make-up-Tutorials auf YouTube anschauten, und liebte es, darüber mit den Bookies aus ihrer Community, wie sie ihre fünfhundert Follower nannte, zu plaudern.

Leia seufzte geplagt. »Weil ich sie gestern Abend erst angerufen habe? Und weil du gestern Abend mit Totti im Kino warst? Und weil du erst so spät zurück warst, dass ich schon brav geschlafen habe?« Warum klang es immer so verdammt logisch, wenn eine Vierzehnjährige argumentierte?

»Und der Reithof, zu dem ich dich fahren soll, ist jetzt noch mal wo?«, forschte Pamela nach.

»Obersprocki«, lautete die knappe Antwort, und dann winkte Leia rechts rüber. »Hey, Abbiegen nicht vergessen! Ich will auf keinen Fall ohne Marzipancroissant in dieses Kanu steigen!«

Pamela schlug das Lenkrad ein, ohne vorher den Blinker gesetzt zu haben. Aber bei dem wenigen Verkehr, der in der Ferienzeit morgens um halb sechs im beschaulichen Sprockhövel herrschte, war das kein Problem.

Die Biobäckerei Schnarrenbeck war nicht nur deshalb Pamelas und Leias erklärte Lieblingsbäckerei, weil sie beide Onkel Horst so mochten oder weil sie von ihrer Wohnung in Hattingen-Holthausen aus schnell dort waren, nein, die Rosinenschnecken, Schokowecken, Zitronenrollen und Erdbeersahneteilchen aus dieser Herstellung waren einfach so gigantisch lecker. Sie hatten beide ihre Lieblingsteilchen und schworen auf die frischen Brötchen am Wochenende. Pamela war sicher, dass sie damit auch Bernds Geschmack treffen würde, den sie zu einem Frühstückspicknick an der Ruhr eingeladen hatte – eine halbe Stunde, bevor die Kanutour um sieben beginnen würde. Dabei konnten er und Leia sich schon mal etwas beschnuppern.

Als sie auf den noch fast leeren Parkplatz einbog, stand da bereits ein ihr bekannter Wagen neben dem Eingang.

»Ach, guck ma, da ist Onkel Horsts Auto. Was macht der denn schon hier?« Pamela hielt direkt daneben und schnallte sich ab. »Willst du nicht mit rein?«

Leia kuschelte sich in den Sitz. »Nö, wenn sie den BMW nehmen, ist Tante Christa bestimmt auch da. Die quetscht mich immer so an sich, dass ich den ganzen Tag nach ihrem ekligen Parfüm rieche.«

Pamela lag bereits eine Rüge auf den Lippen, aber dann schluckte sie sie herunter. Tante Christas Parfüm war wirklich eklig.

»Na gut, ich bin gleich zurück.« Sie stieg aus und marschierte auf die Eingangstür zu.

Ihr Spiegelbild in der Glasscheibe gefiel ihr: Die neuen Jeans wirkten durch die weißen Sneaker mit den dicken Sohlen besonders sportlich, und die über der Hüfte geknotete knallrote Bluse schrie nur so vor guter Laune. Wer fand, dass sie damit ihren Bauch betone, brauchte ja nicht hinzusehen. Für die Zeit auf dem Wasser hatte sie eine leichte Jacke im Auto, damit sie sich nicht die Arme verbrannte. Das passierte ihr mit ihrem hellen Teint, den blonden Haaren und graublauen Augen leider leicht. Kurz lächelte sie der Pamela in der Scheibe zu. Das würde ein fantastischer Tag. Sie hatte es im Gefühl, dass etwas sensationell Außergewöhnliches auf sie wartete.

Dann öffnete sich die Schiebetür vor ihr, und im gleichen Moment wurde Pamela klar, dass jenes Außergewöhnliche bereits in greifbare Nähe gerückt war – nur vielleicht nicht ganz so, wie sie es sich erträumt hatte: In den sonst so verlockend gefüllten Auslagen herrschte nämlich gähnende Leere. Keine der gewohnten Verkäuferinnen wartete darauf, der frühen Kundin ein paar ofenwarme Brötchen aus den überquellenden Körben zu pflücken. Stattdessen standen im Cafébereich ein paar Personen zusammen und wandten bei ihrem Eintreten angespannt die Köpfe.

Pamela machte sogleich Onkel Horst an seiner beeindruckenden Statur aus, groß und breit in alle Richtungen. Neben ihm standen ein wesentlich kleinerer Mann um die Mitte fünfzig mit kahlem Kopf und modisch gestyltem Bart im typischen Bäckerdress und eine der Frauen, die Pamela sonst nur in den rot-weißen T-Shirts kannte, die hier alle Angestellten trugen. Jemand hatte einen Stuhl vom Tisch heruntergenommen, auf dem zusammengesunken Tante Christa saß und sich ein Taschentuch an ihren Mund presste.

Es roch seltsam. Nach zu lange gebackenem süßem Teig und nach etwas anderem.

»Onkel Horst?« Pamela ging zu der Gruppe hinüber.

»Pamela?«, erwiderte er verwirrt mit seiner sonoren Stimme.

Zu ihrer Verblüffung schluchzte Tante Christa leise auf und wimmerte: »Pamchen! Dass du hier bist!«

»Ist was passiert?«, wollte Pamela daraufhin beunruhigt wissen, denn Tante Christa hielt sich bei ihrem Anblick selten lange mit gefühlsduseligen Begrüßungen auf. Meist nutzte sie schon die erste Minute, um ihrer Nichte von den beruflichen Erfolgen und dem privaten Familienglück ihrer beiden Kinder zu berichten.

»Ist die Polizei schon draußen?«, wollte Onkel Horst wissen.

Pamela sah irritiert zur Tür. »Ähm … nein. Niemanden gesehen. Was ist denn los?«

»Es sieht so aus, als hätten wir …«, begann Onkel Horst, und mit einem Mal zitterte sein breites Kinn. »Wir haben eine …« Er deutete zu dem großen Ofen, der am Durchgang zur Backstube seinen angestammten Platz hatte. Eine der Klappen stand offen. Lag da etwas drin? Es war zu weit weg, um etwas deutlich erkennen zu können, aber es sah nach etwas Großem aus. Pamela sah verwirrt zwischen ihrem Onkel und dem Ofen hin und her.

»Eine was?«

Tante Christa schluchzte auf und vergrub ihr Gesicht im Taschentuch.

»Kerstin«, wandte sich Onkel Horst an seine Mitarbeiterin, »wären Sie so lieb und würden …? Vielleicht wäre es besser, wenn meine Frau im Pausenraum wartet?«

»Natürlich.« Die Frau um die fünfzig nickte mit fest zusammengepressten Lippen. Behutsam, aber dennoch unnachgiebig griff sie Tante Christa vorsichtig unter den einen Arm und murmelte ihr beruhigend zu. »Kommen Sie, Frau Schnarrenbeck, ich bring Sie nach hinten.«

Zu Pamelas Verblüffung erhob sich ihre Tante ohne Widerspruch langsam und ließ sich von der Verkäuferin fortführen.

»Wir haben eine Leiche«, flüsterte Onkel Horst dann Pamela zu.

»Was?«, entfuhr es ihr eine Spur zu laut.

Ihr Onkel schluckte. »Unser Bäckermeister hier hat es entdeckt, als er gerade aufschloss.«

»Genauer gesagt musste ich nicht aufschließen«, wandte der Mann im Bäckerdress ein. »Die Tür war offen. Ich hab mich gleich gewundert. Das war ja noch nie vorgekommen.«

Kurz sah Pamela noch einmal zum Ofen hinüber und musste ein Schaudern unterdrücken.

»Sie sind also der Neue?«, fragte sie dann den Bäcker. Den alten Meister Paul kannte sie bestens noch aus Kindertagen. Aber der war vor Kurzem in Rente gegangen.

»Arbeite seit sechs Wochen hier«, antwortete dessen Nachfolger und neigte kurz den Kopf. »Harald Lichtenhain.«

»Pamela Schlonski«, stellte sie sich ebenfalls vor. »Die Nichte.« Sie nickten sich zu.

Harald Lichtenhain war ein eher kleiner, aber gut aussehender Mann, nur ein bisschen blass um die Nase. Was natürlich unter den Umständen nicht verwunderlich war. Er wirkte nervös und spielte unentwegt mit einem Schlüsselanhänger, der an einem schlichten Karabiner an einer Gürtelschlaufe hing. Pamela erkannte eine vergoldete Brezel, die dort baumelte.

»Wie kommt ihr denn auf die Idee, dass da eine Leiche drinliegt?«, wollte Pamela wissen und blinzelte Richtung Ofen. »Sieht für mich eher aus wie ein riesengroßes Brot.«

Die beiden Männer sahen sich an.

»Ich habe Kleidung gefunden«, antwortete Lichtenhain und schnippte nervös den Talisman. »Und dabei war auch ein Personalausweis.«

»Ein Perso? Von wem?«, hakte Pamela rasch nach.

Von der Straße blitzte das bläuliche Licht von Einsatzwagen durch den Cafébereich. Draußen auf dem Parkplatz fuhren ein paar Autos vor.

»Klaus Steiner«, antwortete Onkel Horst tonlos.

Pamela legte den Kopf schief. »Klaus Steiner? Etwa der von der großen Gärtnerei, Steiner macht’s bunt? Oh nee, ne?! Das ist ein Kunde von uns. Ahsen putzt bei ihm das Büro. Ich glaube, der ist ganz nett und …« Wieder sah sie rasch zur offen stehenden Ofenklappe. »Sach ma, das ist doch hoffentlich kein guter Bekannter von dir?«

Ihr Onkel sah sie an, und in seinen Augen schimmerte etwas, das Pamela mit einem Mal ganz fremd und ein wenig beunruhigend erschien.

»Ich kannte ihn, ja. Aber nicht … gut.« Gegen Ende klang seine Stimme eher nach einem rauen Krächzen.

In diesem Moment öffneten sich erneut die Türen, und eine ganze Gruppe von Menschen schwärmte herein. Allen vorweg eine große, schlanke Gestalt in Chinos und hellblauem Hemd. Der Mann in den Vierzigern trug eine ernste Miene zur Schau. Im Gegensatz zu diesem betont seriösen Gesichtsausdruck glänzten die strubbeligen dunklen Haare noch ein wenig feucht, als sei er vor nicht allzu langer Zeit unter der Dusche hervorgestürzt. Die ungewöhnlich hellen seegrünen Augen waren auf Pamela gerichtet, während er Kurs auf ihre kleine Gruppe nahm und schließlich vor ihnen stehen blieb.

»Frau Schlonski, was um Himmels willen tun Sie denn hier?«, fragte Kriminalhauptkommissar Lennard Vogt.

2. Kapitel

2. Juli, Freitag, morgens

Es war nicht zu fassen. Im ersten Moment glaubte Lennard, seinen Augen nicht zu trauen. Aber sie war es tatsächlich: Pamela Schlonski, energiegeladene Raumpflegerin mit eigener Firma und sehr speziellen Ansichten, was die Einmischung von Privatpersonen in laufende Polizeiarbeit anging.

»Guten Morgen, Herr Kommissar«, begrüßte Pamela Schlonski ihn mit leicht gespitzten Lippen, als habe sie an seinen Manieren etwas auszusetzen. Dann setzte sie hinzu: »Ich bin die Nichte.« Dabei legte sie die Hand an den Arm des bärengroßen, dicken Mannes neben ihr.

Seit Lennards letztem Mordfall, der sich im örtlichen Fotoklub zugetragen und bei dem Frau Schlonski zugegebenermaßen an der Aufklärung einen gehörigen Anteil getragen hatte, waren sie sich öfter begegnet. Weil Lennard einem kopflosen Impuls gefolgt war und sie fürs Klarschiffmachen in seinem Häuschen an der Hattinger Stadtmauer engagiert hatte. Dort trafen sie sich regelmäßig, wenn Lennard aus dem Kommissariat oder vom Fußballtraining mit den Kollegen nach Hause kam und Frau Schlonski gerade beim Zusammenpacken ihres Putzequipments war.

Ganz nach typischer Ruhrpöttlerart, an die Lennard sich als echtes Bremerhavener Nordlicht auch nach drei Jahren immer noch nicht gewöhnt hatte, hielt Pamela dann gerne noch einen kleinen Schnack. Wie konnte es nur sein, dass diese Frau immer etwas zu erzählen oder zu fragen hatte? Besonders schien sie stets zu interessieren, ob es wieder einen spannenden Fall gab. Manchmal hatte Lennard sie in Verdacht, aus diesen Fragen ein kleines Spielchen zu machen. Denn sie wusste doch ganz genau, dass er ihr über seine Arbeit keine Auskunft geben durfte.

Aber jetzt war sie hier. Stand beim Besitzer der Bäckerei, die nun zum Tatort geworden war, als sei ihre Anwesenheit die größte Selbstverständlichkeit der Welt.

»Sie sind der Inhaber und haben uns angerufen?«, wandte Lennard sich an Pamelas Onkel. »Kriminalhauptkommissar Vogt, Kripo Hattingen.«

»Horst Schnarrenbeck.« Ihm wurde eine Hand gereicht, die nicht nur groß und fleischig, sondern trotz der Wärme im Gebäude auch erstaunlich kühl und feucht war. Nervosität, diagnostizierte Lennard sofort mit professionellem Interesse.

»Und Bäckermeister Harald Lichtenhain hat die Leiche entdeckt«, stellte Pamela Schlonski den anderen Mann vor. Der nickte Lennard zu. Seine Augenlider schlugen dabei unkontrolliert rasch. Offenbar steckte ihm der Fund noch in den Knochen. Der gleich eintreffende Notarzt sollte besser mal einen Blick auf den Mann werfen. So ein Schock konnte schlimme Auswirkungen haben.

Lennard sah zu dem Ofen herüber, der bereits von den Frauen und Männern der Spusi in Augenschein genommen wurde. Vorsichtig bewegten sie sich in ihren weißen Anzügen samt Schuhüberziehern und fest zugezogenen Kapuzen um den makabren Tatort herum.

»Tina?«, rief Lennard der jungen Kommissaranwärterin zu, die abwartend an der Tür stehen geblieben war. »Bitte sorg dafür, dass draußen alles gesichert wird. Parkplatz, Hintereingang. Keine Schaulustigen, ja?«

»Wird gemacht.« Schon war sie wieder hinaus. Leider nicht, ohne kurz Pamela Schlonski mit deutlicher Wiedersehensfreude zuzuwinken.

Und nun wandte Lennard sich wieder Horst Schnarrenbeck zu, der immer wieder zu den weißen Menschen am Ofen schielte. »Können wir uns irgendwo in Ruhe unterhalten? Nur Sie und Ihre Angestellten, bitte.« Bei den letzten Worten vermied er den Blick in Richtung Pamela Schlonski.

»Im Pausenraum.« Schnarrenbeck deutete auf die Feuerschutztür am hinteren Ende der Backstube.

In diesem Moment erschien dort eine kräftige Frau um die fünfzig und schritt weit ausholend auf Pamela zu. »Ihre Tante möchte gern, dass Sie bei ihr sind. Ich glaube, sie braucht eine vertraute Person an ihrer Seite«, murmelte sie ihr zu, allerdings so laut, dass sie alle es hören konnten.

Die Angesprochene sah Lennard fragend mit hochgezogenen Brauen an.

Er seufzte. »Also gut, kommen Sie auch mit.«

Der Pausenraum war schlicht, aber gemütlich eingerichtet und erinnerte Lennard an die Wohnküche einer Studenten-WG. Auf einem alten Küchenbüfett standen Wasserkocher und eine Auswahl Tees sowie eine moderne Kaffeemaschine bereit. Um den blank geschrubbten runden Tisch gruppierten sich sechs unterschiedliche Stühle. Auf einem saß eine kleine, kompakt wirkende Frau mit blassem Gesicht und geröteten Augen.

Als Lennard sich ihr vorstellte, blitzte in ihrer Miene kurz so etwas wie spontanes Interesse auf, und ihr Blick huschte zu Pamela hinüber.

»Ach, bitte setzen Sie sich doch alle«, sagte sie, deutete auf die Stühle am Tisch und zog ihren Mann und ihre Nichte links und rechts neben sich.

Als Lennard ihr gegenüber Platz genommen hatte, war ihre Aufgeräumtheit jedoch wieder in sich zusammengefallen und machte Angst und Ratlosigkeit Platz.

»Was für eine Tragödie!«, stöhnte sie. »Wer kann uns so was nur antun? Und warum?«

»Nun, das frage ich mich natürlich auch, Frau Schnarrenbeck«, erwiderte Lennard. »Noch können wir ja nicht sicher sein, ob es sich bei dem Toten tatsächlich um …«, er blickte auf seinen Notizblock, auf dem er sich daheim während des Anrufs den Namen notiert hatte, » … um Klaus Steiner handelt. Mein Kollege, Oberkommissar Schmidt, hat bereits versucht, ihn zu Hause zu erreichen. Aber dort geht niemand ans Telefon.«

»Der wohnt auf dem Heumannhof«, warf Pamela Schlonski ein. »Da kann man fix hinfahren.«

Lennard drehte den Kopf leicht in ihre Richtung. »Offenbar sind Sie diesmal falsch informiert, Frau Schlonski. Eine Streife ist bereits auf dem Weg zu seiner Gärtnerei, wo er auch wohnhaft ist.«

»Ist das Gleiche. Aber klar, dass Sie das als Zugezogener nicht wissen«, hörte er sie brummeln. »Alle Leute von hier sagen immer noch Heumannhof.«

Er versuchte, ihre leise Stimme auszublenden und sich auf die Befragung zu konzentrieren.

Als Erstes wandte er sich an den Hausherrn: »Herr Schnarrenbeck, wie kamen Sie darauf, dass es sich bei dem Toten um Herrn Steiner handeln könnte?« Der Bäckereiinhaber hatte den Notruf abgesetzt, dabei von Mord gesprochen und den Namen des mutmaßlichen Opfers genannt.

»Na ja, da war vor einer halben Stunde der Anruf von meinem Angestellten«, antwortete Schnarrenbeck mit Blick auf Lichtenhain, der auf der einen Seite neben Lennard saß und nervös mit dem Anhänger an seiner Gürtelschnalle spielte. »Harald ist der Erste morgens. Und heute hat er diese grauenvolle Entdeckung gemacht.«

»Da waren die Klamotten«, murmelte Lichtenhain. »Und das Portemonnaie. Ich hab es geöffnet und den Perso gesehen und …« Er zuckte mit den Achseln.

Beim Blick in den Ofen eine logische Schlussfolgerung, fand Lennard.

»Wir müssen das Ergebnis der Rechtsmedizin abwarten«, sagte er und sah sich im Kreis der Anwesenden um. Dann wandte er sich an das Ehepaar Schnarrenbeck: »Trotzdem die Frage: Kennen Sie Klaus Steiner persönlich?«

»Natürlich. Steiner macht’s bunt kennt jeder hier«, entfuhr es Pamela Schlonski leise. Lennard versuchte, sie zu ignorieren.

»Ganz recht«, bestätigte Horst Schnarrenbeck mit einem Nicken zu seiner Nichte. »Die Gärtnerei kennt wirklich jeder. Ein Monopol hier in der Gegend.«

»Die Frage war, ob Sie Herrn Steiner persönlich kennen«, hakte Lennard nach, dem nicht entgangen war, dass der Bäckereichef auswich.

Jetzt hob Frau Schnarrenbeck den Kopf und sah zu ihrem Mann auf. In ihrem Blick lag neben dem Schock über den Fund noch etwas anderes. Eine leise Furcht?

»Nur vage«, antwortete ihr Mann mit rauer Stimme.

»Er war kein regelmäßiger Kunde hier?«

Horst Schnarrenbeck räusperte sich. »Bei fünf Filialen und der ganzen Logistik in Sachen Einkauf weiß ich natürlich nicht, wer hier regelmäßig sein Brot holt. Aber vielleicht können Sie etwas dazu sagen, Kerstin?« Er sah zu der Angestellten, die zuvor seine Frau betreut hatte und nun mit betroffener Miene auf dem Stuhl neben Lennard saß. Die schüttelte den Kopf. Dann wandte sie sich mit einem kurzen höflichen Lächeln an Lennard: »Kerstin Balhorn, ich arbeite hier als Verkäuferin. Soweit ich weiß, kaufte Herr Steiner hier nicht ein. Auch in einer der anderen Filialen, in denen ich manchmal einspringe, habe ich ihn noch nie gesehen.«

»Ist er Ihnen denn persönlich bekannt? Wäre es Ihnen aufgefallen, wenn er an der Theke gestanden und Brötchen gekauft hätte?«

Sie zuckte mit den Schultern. »Sicher wäre er mir aufgefallen, weil ich ihn natürlich kenne. Wer in der Gärtnerei neue Pflanzen für Garten oder Balkon kauft, trifft ihn da ganz automatisch. Ich bin sowieso oft dort. Gewundert hätte es mich auch nicht, ihn hier zu sehen. Bei uns kauft fast die gesamte Lokalprominenz ein. Wir haben einen ausgezeichneten Ruf.«

Lennard nickte nachdenklich. »Haben Sie eine Ahnung, warum Herr Steiner hier nicht einkauft? Wenn sich doch in der Kundschaft fast die gesamte Lokalprominenz findet, wieso dann er nicht?«

Kerstin Balhorn runzelte die Stirn und sah zu ihrem Chef.

Da meldete sich wieder Pamela Schlonski zu Wort: »Vielleicht hat er ’ne Glutenunverträglichkeit? Das kommt mittlerweile oft vor.«

Ihre Tante hob den Kopf. »Ja, das hört man ständig. Horst, ich sag schon länger, dass wir glutenfreies Brot in den Bestand nehmen sollen. Sag ich doch immer, oder? Aber es ist schwierig, weil das Brot dann noch nicht mal neben einem Weizenbrot liegen darf. Wenn da auch nur kleinste Spuren dran sind, kann es für jemand mit ’ner Allergie ganz böse enden. Und diese Verantwortung muss man erst mal schultern wollen, bei all dem, was wir sowieso schon zu tragen haben.« Offenbar lag Redseligkeit in dieser Familie. Aber vielleicht fiel Frau Schnarrenbeck selbst auf, dass diese Überlegungen jetzt und hier nicht von Belang waren, denn sie verstummte.

»Sie können sich also keinen sonstigen Grund vorstellen, aus dem Herr Steiner in Ihrer Bäckerei kein Kunde war?«, hakte Lennard nach.

»Es gibt im Dorf noch eine andere Bäckerei. Und die Abteilungen mit Backwaren im Rewe und Aldi«, antwortete Horst Schnarrenbeck ausweichend. »Verpackt kriegt man auch glutenfreies Brot.«

Kurz war es still im Raum.

Pamela Schlonski verschränkte die Arme vor der Brust, und ihre graublauen Augen blitzten Lennard über den Tisch hinweg beinahe provozierend an. Er wandte den Blick ab und sich dem Mann in weißer Bäckerjacke neben sich zu.

»Und Sie, Herr Lichtenhain? Ist Herr Steiner Ihnen bekannt?«

Der Angesprochene starrte ihn an und schien nicht antworten zu können. Waren seine Pupillen nicht ungewöhnlich erweitert? Ganz sicher der Schock. Verflixt, wo blieb der Arzt?

»Herr Lichtenhain ist erst seit sechs Wochen in der Gegend. Er kommt aus Frankfurt«, antwortete Frau Schnarrenbeck für ihren Angestellten.

Der Bäcker nickte langsam. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, viele Bekanntschaften zu schließen.«

Lennard empfand einen spontanen Anflug von Sympathie. Genauso war es ihm vor drei Jahren auch gegangen, als er wegen seiner Frau ins Ruhrgebiet gezogen war. Der überraschende Gedanke an Sandra bracht ihn kurz aus dem Tritt, doch dann übernahm der Profikommissar in ihm.

»Herr Lichtenhain, ist Ihnen beim Hereinkommen irgendetwas aufgefallen? Haben Sie jemanden gesehen? Irgendetwas Ungewöhnliches?«

»Na ja, die Tür war nicht abgeschlossen. Zuerst dachte ich an Einbrecher und hab schnell einen Blick ins Büro geworfen. Ich meine, da steht der Safe mit den Kassen und so.« Er nickte zur Tür hinüber.

Lennard sah zu den Schnarrenbecks. »Haben Sie überprüft, ob etwas gestohlen wurde?«

»Alles an Ort und Stelle«, teilte Horst Schnarrenbeck sofort mit.

»Und wer verfügt hier über Schlüssel zur hinteren Tür?«