Mord und Wischmopp - Mirjam Munter - E-Book

Mord und Wischmopp E-Book

Mirjam Munter

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Beschreibung

Der erste Fall für Putzfrau Pamela Schlonski, die neue Ermittlerin im Ruhrpott Pamela Schlonski betreibt am grünen Rand des Ruhrgebiets die Putzfirma Sauberzauber. Sie hat eine große Klappe, aber auch ein scharfes Auge. Bei ihrer wöchentlichen Arbeit in den Vereinsräumen eines Fotoklubs entdeckt sie eines Tages den toten Vorsitzenden. Die Leiche liegt zwischen Blitzlichtern und neben einem romantisch gedeckten Tisch. In dem Durcheinander findet Pamela einen verdächtigen Papierschnipsel. Die Ermittlungen übernimmt der schweigsame Kommissar Lennard Vogt, der Pamelas Hinweisen nur widerwillig Aufmerksamkeit schenkt. Allerdings merkt er bald, dass die gewitzte Reinigungskraft über einen untrüglichen Instinkt verfügt. Und so schliddert Pamela tief in ihren ersten Mordfall hinein. Ein charmanter cosy Krimi für alle Ruhpottfans, Nordlichter und Hobbyermittler:innen. 

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Mord und Wischmopp

Die Autorin

Mirjam Munter ist das Pseudonym von Mirjam Müntefering. Obwohl sie Filmwissenschaftlerin ist und einige Jahre als Fernsehredakteurin arbeitete, wandte sie sich ihren beiden Leidenschaften zu: Dem Schreiben und den Tieren. Mehr als zwanzig Jahre betrieb sie ihre eigene Hundeschule, konzentriert sich inzwischen jedoch ganz aufs Schreiben - vielseitig, genrepolygam und für alle Altersklassen. Sie lebt mit ihrer Ehefrau, Hunden, Pferden, Katzen, Meerschweinchen und Hühnern am grünen Rand des Ruhrgebiets und treibt sich täglich in Hattingen, Sprockhövel und Witten herum - in direkter Nachbarschaft zu den Figuren ihres Krimis.

Mirjam Munter

Mord und Wischmopp

Pamela Schlonskis erster Fall

Ullstein

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Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch © Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022Umschlaggestaltung: zero-media.net, München Titelabbildung: © Michael Flippo / alamy images (Wischmopp in der Hand); FinePic®, München (Hintergrund)Autorenfoto: © www.sandragrafie.deE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comISBN 978-3-8437-2697-9

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

PROLOG

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

Ich sach mal danke schön und so weiter

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

PROLOG

PROLOG

4. Mai, Dienstag, abends

Im Rotlicht der Dunkelkammer tippte er mit der Fotozange das letzte Bild noch einmal in die Fixierflüssigkeit und hängte es dann zu den anderen an die Schnur, die zwischen den Wänden gespannt war. Dieses letzte war besonders gut getroffen. Ihre nackten Beine. Der volle Busen unter dem engen T-Shirt. Wie ihre roten Lippen sich in Erwartung des Kusses gierig öffneten. Auf dem Rechner war die Szene so unwirklich. Auch wenn die digitale Version für seine Zwecke vollkommen ausgereicht hatte, wollte er sie auf Papier bannen. Für sich selbst. Und das Resultat war mehr als überzeugend. So wirkte es echter. Real. Beinahe greifbar. Langsam, Schritt für Schritt ging er an den Abzügen entlang, betrachtete jeden einzelnen mit geschultem Auge. Bei einem hatte er den oberen Teil offenbar nicht richtig belichtet. Er nahm das Bild ab, zerriss es und ließ es auf dem Tisch liegen. Aber die anderen waren alle überaus gelungen. Beinahe … magisch. Da kam ihm eine Idee. Wenn sie gleich käme, würde er sie hier hineinführen. Dieses Wort, hineinführen, löste eine feine Gänsehaut auf seinen Unterarmen aus. Er schmunzelte.

Ja, nach einem ersten gemeinsamen Glas Wein würde er ihren Arm nehmen. Ihren Arm. Jetzt schauderte es ihn. Und sie hier hineinführen. Er war auf ihr Gesicht gespannt. Die großen blauen Augen, die sich weit öffnen würden. Ihr Atem, der rascher gehen würde. Würde sie ihn ansehen? Würden ihre zarten Wangen erröten? Er musste schlucken. Neben der Tür legte er den Lichtschalter um. Das Rotlicht schwand, weißes Deckenlicht strahlte auf die Szenerie des unpersönlichen Labors. Reihen weißer Tische an den Wänden. Die Regale mit den Chemikalien. Der Papierabfalleimer. Nein, das war nicht schön. Lieber wieder das rote Licht. Ja, das war besser. So … passend. Er öffnete die Tür und hielt augenblicklich inne. Waren da Schritte? Er lauschte. Das konnte nicht sein. Dienstagabend war nie jemand hier. Es war der Wochentag, an dem sämtliche der achtzig Klubmitglieder anderes zu tun hatten. Noch nie war dienstags jemand hier aufgetaucht. Deswegen hatte er diesen Abend ausgesucht. Er musste sich getäuscht haben. Die Uhr an der Wand verriet, dass er noch eine Viertelstunde Zeit hatte. Andererseits. Sie war immer sehr pünktlich. Eher zu früh als zu spät. Vielleicht war sie der Einladung der entriegelten Tür unten im Hof einfach gefolgt?

Leise ging er hinaus in den großen Eingangsbereich der Altbauwohnung. Er warf einen kurzen Blick in die kleine Teeküche und ging in den großen Besprechungsraum, an den sein Büro grenzte. Auch hier war niemand zu sehen. Die Tür zum Studio war nur angelehnt. Hatte er sie nicht geschlossen, als er hinausgegangen war? Langsam öffnete er die Tür und erwartete halb, nein, erhoffte, sie dort stehen zu sehen. Ob sie die rote Bluse trug? Und die knallenge Lederhose? Doch sein Blick fiel lediglich auf den kleinen Tisch, der von den Klubmitgliedern häufig für Requisiten genutzt wurde. Dort stand der teuerste Rotwein aus seinem Sortiment, bereits geöffnet, damit er atmen konnte, neben den beiden wertvollen Kristallgläsern von zu Hause. In dem wunderschön gedrechselten Kerzenleuchter steckte als einzige Lichtquelle in dem verwinkelten Raum eine cremeweiße Kerze, die ein warmes Licht auf den kleinen Tisch, die tiefrote Rose und einen Teil des Bodens warf. Die Ecken des Studios lagen im Dunkeln. Er liebte dieses Licht. Nicht nur, weil es im Gegensatz zum künstlichen seinem ganz besonderen Gehirn guttat. Es verbreitete auch diesen gewissen Touch an Romantik, den Frauen doch so liebten. Sie würde es bestimmt registrieren, dass er sich darum Gedanken gemacht hatte. So feinfühlig und sensibel, wie sie war. Versonnen stand er da und blickte auf das kleine Stillleben auf dem mit schwarzem Samt bezogenen Tisch.

Er stellte sich vor, wie sie hier mit ihm stehen würde. Nervös, natürlich. Aufgeregt. Vielleicht würden ihre Hände ein wenig zittern. Das war nur verständlich. Deswegen würde er es ganz langsam angehen lassen. Erst ein Schluck Wein, ein wenig plaudern, bis das erste Glas geleert war. Das machte locker. Er würde allmählich näher an sie herantreten, ihren Duft einatmen, seinen Blick über die feine Linie ihres Halses wandern lassen wie eine erste sanfte Berührung. Sie hatten schließlich Zeit. Er lächelte.

Ein leises Geräusch hinter ihm ließ ihn aus seinen Gedanken aufschrecken. Er drehte sich um. Nein, er wollte sich umdrehen. Doch er spürte nur Schmerz, heftig und unerwartet. Ihm wurde schlagartig übel. Nach einem festen Halt tastend, erwischte er das Samttuch auf dem Tisch. Lautes Klirren. Die Weinflasche. Die Kristallgläser, verdammt, die waren noch von seiner Mutter. Ihm wurde schwarz vor Augen.

Als er wieder zu sich kam, blinzelte er zunächst nur mühsam. Er saß in dem Lehnstuhl, der gern für Porträts benutzt wurde. Sein Schädel brummte. Als er den Kopf hob, fuhr ein scharfer Schmerz durch seine Schläfen. Er stöhnte, wollte die Hand an die pochende Stelle legen. Doch es ging nicht. Verwirrt sah er hinunter. Seine Unterarme waren mit Gaffaband an die Armlehnen des Stuhls fixiert.

»Was …?«, brachte er heraus. Wollte aller Vernunft zum Trotz aufstehen. Merkte, dass auch seine Fußgelenke gefesselt waren.

Da. Eine Gestalt huschte im dämmrigen Licht der Kerze an ihm vorbei. Es roch säuerlich. Der Wein, fiel ihm ein. Die Gläser.

»Hilfe«, sagte er mit seltsam rauer Stimme. Ehe ihm die Erkenntnis kam, dass von dieser Person wahrscheinlich kein Beistand zu erwarten war. Was sollte das? War das ein schlechter Scherz? Ein danebengegangener Streich, den ihm jemand spielen wollte? Sie fiel ihm ein. Wie viel Zeit war vergangen?

»Was soll das?«, krächzte er. Er wollte ärgerlich klingen, nicht ängstlich, so wie er sich fühlte. Er versuchte, den Kopf zu drehen, zu sehen, wer ihn derart überfallen hatte. Doch die Gestalt stand hinter ihm. Er konnte ihre Gegenwart spüren. Er hörte jemanden atmen, ruhig und besonnen. Nicht hektisch und … nein, er durfte nicht panisch werden. Keine Panik. Niemals. Das hatte man ihm von Kindheit an eingeschärft. Panik wäre das Schlimmste. Fast so schlimm wie … Ein hohes Piepen ertönte. Einmal. Zweimal. Er kannte das Geräusch, wenn auch nur durch die schalldämpfende Tür. Dreimal. Immer schneller. Intuitiv wusste er, was es war, ehe er tatsächlich begriff, was geschah. Das Piepen wurde zu einem Dauergeräusch und gipfelte in einem schrillen Ton. Licht. Licht. Und Licht. So hell. Es stach ihm in die Augen. Fuhr in seinen Kopf. Seinen ungeschützten zerbrechlichen Kopf. Licht von allen Seiten. Grell. Erbarmungslos.

Er spürte es heraufziehen. Nein, nur das nicht. Da flog sein Kopf schon nach hinten. Unkontrolliertes Zucken. Krämpfe in den Beinen. Mit einem Schlag sehnte er sich nach nichts mehr als nach Dunkelheit. Und er bekam sie.

1. Kapitel

5. Mai, Mittwoch, morgens

»Boah, Leia, wie oft soll ich das noch sagen? Nicht beim Essen! Weg mit dem Ding!« Pamela Schlonski knallte zwei Müslischalen, Löffel und Hafermilch auf den kleinen Tisch neben der Küchenzeile, und ihre Tochter beeilte sich, ihr Smartphone in Sicherheit zu bringen.

»Menno. Ich wollte nur schnell meine Rezi zum neuen Buch aus der Stachelkronen-Reihe posten, bevor Sandy sich da wieder draufsetzt«, maulte sie. Wie grundsätzlich alle Vierzehnjährigen ordnete sie die Prioritäten im Leben anders an als ihre Erziehungsberechtigte.

»Es gibt Wichtigeres, als die Erste vor Sandy-ich-kenne-alle-neuen-Bücher zu sein«, kommentierte Pamela das. »Ein ordentliches Frühstück gehört dazu. Hier, schäl schon mal den Apfel. Aber die Kitsche nicht wieder in mein Müsli, klar? Ich mach den Kaffee.«

Während Leia nach dem Obst und dem Küchenmesser griff, erklärte sie: »Bei Sandy ist das was anderes, Mama. Prettysandy_buchkritik ist schon siebzehn, wohnt in München und hat über elftausend Follower. Aktuell sind es elftausendzweihundertunddrei!« Leia seufzte tief, was Pamela wohl die bewundernswerte Unglaublichkeit einer solchen Zahl vor Augen führen sollte. »Wenn sie das Buch vor mir bespricht, sieht das so aus, als hätte ich das abgeguckt.«

»Beachte ihre Seite doch einfach nicht mehr«, schlug Pamela vor.

»Ich soll Pretty Sandy nicht mehr folgen? Aber dann krieg ich doch gar nicht mit, was die postet!«, empörte Leia sich und holte bereits Luft für weitere Argumente.

»Das wäre der Sinn der Sache«, brummte Pamela, während sie mit Filtertüte und Kaffeedose hantierte. Doch ihre Worte verhallten ungehört im Schwall der hohen Teenagerstimme. Im Kopf ging Pamela bereits die Jobs des heutigen Tages durch. Blick zur Küchenuhr. Wie jeden Wochentag würde sie sich in einer halben Stunde mit Ahsen in der Basis treffen. So nannten sie den von ihnen angemieteten Abstellraum unten im Garagenhof, in dem sie alles lagerten, was die kleine Firma Sauberzauber für ihre Arbeit so benötigte. Sauberzauber bestand nur aus ihrer Kollegin und besten Freundin Ahsen und Pamela selbst. Die Bezeichnung Basis stammte natürlich von Ahsen, die als leidenschaftlicher Fernsehkrimifan gern so tat, als gehöre sie selbst zu einem Ermittlerteam. Auch wenn sie bei Tatort und Co. nie erriet, wer der Mörder wirklich war. Pamela liebte ihre morgendlichen Zusammenkünfte. Ohne die Runde Klatsch und Tratsch wäre der Arbeitsalltag nur halb so schön. Meist besprachen sie, was bei ihnen am jeweiligen Tag anlag.

Für Pamela stand heute der Fotoklub ganz oben auf der Liste. Der machte in der Regel nicht viel Arbeit. Nur nach diesen Vernissagen alle paar Wochen war immer mal wieder mehr zu tun, vor allem in der Teeküche und auf den Toiletten. Aber heute war nur die übliche wöchentliche Grundreinigung dran. Danach Ehepaar Kerstin und Olga in Bredenscheid. Und nach der Mittagspause noch Opa Klöke. Für den würde sie auf dem Hinweg schnell in den Rewe springen und ein bisschen frisches Gemüse einkaufen. Natürlich gehörte das nicht zu ihrem eigentlichen Job, aber der zerknitterte Alte war Pamela in den letzten Jahren ans Herz gewachsen. Und bis Opa Klöke mit seinem Rollator mal in Gang käme, wäre er schon an Vitaminmangel dahingesiecht.

» … deswegen ist es total wichtig, dass ich schon gleich morgens meinen Post absetze. Das musst du doch verstehen«, schloss Leia gerade ihre Argumentationskette und schnipste das letzte Apfelstückchen in Pamelas Müslischale.

»Dann stellst du dir morgen den Wecker zehn Minuten früher. So hast du auf jeden Fall Zeit, um das vor dem Frühstück zu erledigen, okay?«, schlug Pamela vor. Verfügten eigentlich alle Alleinerziehenden über die Fähigkeit, das Frühstück vorzubereiten, über die anstehende Arbeit nachzu­denken und im richtigen Augenblick in die selbst­reflektierenden Monologe ihrer pubertierenden Nachkommen hineinzugrätschen?

Leia überlegte kurz. Der Kampf des Teenagerschlafmonsters in ihr gegen den Bloggerinnenehrgeiz war ihrem stupsnasigen Gesicht deutlich anzusehen. Doch schließlich siegte der Eifer, die weltbeste Buchbesprecherin auf Instagram zu werden. »Gut. Mach ich«, entschied sie nickend. »Aber heute darf ich noch mal ganz schnell …?« Sie zog ihr Handy unter dem Tisch hervor, und ihre Finger flogen über das Display.

Pamela seufzte und goss sich Hafermilch über ihr Müsli. Manchmal kam ihr das Leben der heutigen Halbwüchsigen um Meilen entfernt vor von dem, was sie damals am Rand des Ruhrgebiets erlebt hatte. Sie war hier in Hattingen aufgewachsen, nahe Bochum und Essen, hatte immer im Stadtteil Holthausen gewohnt und kannte die Umgebung wie ihre Westentasche. In ihrer Kindheit und Teeniezeit hatte es Abenteuerspiele auf dem Hüttengelände gegeben. Osterfeuer bei der Landjugend. Kino und Eisdiele und Freibad. Paddeln auf der Ruhr. Rollschuhlaufen am Kemnader Stausee. Die Vergnügungen damals kamen ihr im Gegensatz zu diesem ganzen Social-Media-Gedöns von Leia und ihren Freundinnen reichlich naiv und kindlich vor. Aber es hatte seinen ganz eigenen Reiz gehabt. Kindheit am Rande des Potts, wo der Himmel abends rot aufglühte, wenn die Hochöfen abgestochen wurden.

Zwanzig Minuten später verabschiedete Pamela sich vor der Haustür mit einem »Vergiss nicht, nach der Schule bei Papa vorbeizugehen!« von ihrer Tochter.

Leia schwenkte die Handyhand und rief: »Kann ich nicht vergessen. Mike schickt mir bestimmt noch zwanzig Messages als Erinnerung.« Damit war sie verschwunden.

»Mike?«, ertönte hinter Pamela die vertraute tiefe Stimme ihrer liebsten Freundin.

Sie wandte sich um; Ahsen stand bereits an der Tür zur Basis. Ihre Kollegin war einen Kopf kleiner als sie, mit strahlenden Augen im schönen Gesicht und anziehenden Rundungen.

»Morgen, Süße«, begrüßte Pamela sie, während Ahsen die Tür aufschloss.

»Was soll denn dieses Ge-Mike deiner Kleinen?«, erkundigte Ahsen sich, während sie drinnen routiniert Eimer, Putzmittel, Mikrofasertücher und Baumwolllappen in ihre Putzboxen packten, die sie heute für ihre Jobs benötigten.

»Das ist jetzt ganz neu«, erklärte Pamela. »Leia findet es erwachsener, wenn sie ihren Vater beim Vornamen nennt.«

Die sieben Jahre jüngere Ahsen, deren Kinder Abdi und Kaya noch im Grundschulalter waren, rollte mit den dunkelbraunen Augen. »Und wie nennt sie dich?«

»Mama«, erwiderte Pamela. Sie mussten lachen.

»Meine Mutter würde mir was tuten, wenn ich sie plötzlich Aisha nennen würde«, erklärte Ahsen. Durch das schmale Fenster der Basis sah Pamela kurz zu dem fünfstöckigen Wohnhaus hinüber, in dem sie mit Leia in der dritten Etage wohnte. Oft erschien ihre eigene Mutter um diese Uhrzeit hinter dem Küchenfenster der Erdgeschosswohnung und winkte ihnen zu, mit dem ersten starken Kaffee in der anderen Hand. Doch heute ließ sie sich nicht blicken. Vielleicht war sie auch schon mit den Mädels von der AWO zum Frühstück unterwegs.

»Ja, ich werd auch immer Mama zu meiner Mama sagen und nicht Marlies«, stimmte Pamela ihrer Freundin zu. Und ihr Vater, setzte sie still für sich in Gedanken hinzu, würde für sie niemals etwas anderes sein als Papa – wenn er doch noch da wäre.

»Ich wette, du errätst nicht, wie viel Trinkgeld ich gestern von der Doktor Hahnenfuß-Weipeler bekommen habe«, flötete Ahsen und läutete damit die tägliche, von beiden heiß geliebte Runde Klatsch und Tratsch ein. Frau Dr. Hahnenfuß-Weipeler und ihr Mann Prof. Dr. Hahnenfuß waren beide Dozenten an der Bochumer Uni und stets darauf bedacht, auch für Sonderleistungen wie Fensterputzen einen möglichst geringen Aufpreis auszuhandeln. Pamela legte den Kopf schief. »Wenn du das so sagst, mit diesem …«, sie warf ihrer Freundin einen Seitenblick zu, »triumphierenden Grinsen, tippe ich mal auf … einen Zehner?«

»Es war ein Hunni!« Ahsen freute sich.

Pamela klappte der Unterkiefer runter. »Darf ich fragen …?« Ahsen hob in theatralischer Geste die Hände. »Es war mal wieder Bettenbeziehen dran. Dr. Hahnenfuß, also sie, war im Arbeitszimmer mit ihrem Diktiergerät zugange. Das konnte ich hören, weil sie die ganze Zeit vor sich hin näselte. Jedenfalls, wie ich so die Decke vom Ehebett zurückschlage, liegt da so ein Ding. Wie heißt das noch?« Ahsen wandte sich zu ihr um und machte mit der Hand vorm Schritt eine eindeutige Geste.

»Ein Dildo?«, riet Pamela und musste sich jetzt schon ein Grinsen verkneifen.

»Genau. Mit so einem Gürtel dran.« Wieder die Geste rund um ihren Unterleib. »Du weißt schon.«

»Ein Harness?«

Ahsen sah sie für einen Moment mit großen Augen an. »Woher weißt du, wie die Dinger alle heißen – so als geschiedene Singlefrau?« Pamela hob die Brauen. Ahsen winkte ab. »Ist ja egal. Jedenfalls, ich denk so: Was mach ich jetzt damit? Stört doch beim Bettenmachen. Hab es dann auf die Kommode gelegt. Mit der war ich schon fertig. Bett beziehen, Bad machen, gesaugt, gewischt. Alles wie immer. Ehrlich, ich hab an das Ding gar nicht mehr gedacht. Kann mir doch egal sein, was die Doktorin und der Professor so machen. Als ich mit meinem ganzen Kram dann runtergehe, ruf ich zu Dr. Hahnenfuß rein: ›Hier oben bin ich fertig. Das Bett ist auch bezogen. Ich mach dann unten weiter.‹ Sie so: ›Ja, danke.‹ Aber dann. Dann ist da plötzlich so ’ne Stille. Und ich meine Totenstille, verstehst du? Nix mehr Näseln oder Telefonieren oder Tastaturgeklapper. Und als ich dann zwei Stunden später unten auch fertig bin, liegt da neben meiner Tasche im Flur ein Hunni. Ich ruf so zu ihr hoch, die haben oben ja die Galerie, ›Ähm … Frau Dr. Hahnenfuß-Weipeler, hier liegt Geld‹, ruf ich so. Sie so aus dem Arbeitszimmer: ›Ein bisschen Trinkgeld für Sie, Ahsen.‹ Sie sagt Ahsen immer so, als wollte sie eigentlich Arsch sagen, aber gerade noch die Kurve kriegen, zum Piepen, oder? Ich wieder: ›Haben Sie sich da vielleicht beim Schein vergriffen? Das ist ziemlich viel.‹ Da kommt sie ans Geländer von der Galerie und lächelt mich ganz freundlich an – obwohl man doch sonst immer denkt, die kann gar nicht lächeln. ›Ein kleiner Bonus, weil Sie immer so diskret sind‹«, ahmte Ahsen ein von klimpernden Wimpern begleitetes Säuseln nach. Sie prusteten beide los und mussten so sehr lachen, dass für ein paar Minuten nichts mehr ging.

»Das bleibt unter uns, klar?!«, mahnte Ahsen, als sie sich schließlich die Tränen aus den Augen wischten und ihre Boxen noch einmal überprüften. »Nicht Marlies erzählen!« Pamela würde einen Teufel tun und Ahsens betuchte Kunden ihrer klatschsüchtigen Mutter zum Fraß vorzuwerfen und hob die Hand zum Schwur. »Versprochen! Aber danke für den Lachflash des Morgens.«

»Gern. Dann haben wir das auch schon erledigt«, sagte Ahsen, und sie wieherten wieder los.

2. Kapitel

5. Mai, Mittwoch, morgens

Der Fotoklub in der Südstadt lag in einem schick renovierten Altbau. Pamela stellte ihren kleinen Fiat auf dem ansonsten leeren Parkplatz ab, winkte der neugierigen Sekretärin hinter dem Fenster des Immobilienbüros im Erdgeschoss fröhlich zu und marschierte, mit der Putzbox auf der Hüfte, die Treppe hinauf. Sie schloss die Tür der geräumigen Wohnung auf und stellte die Box gleich daneben unter der Garderobe ab.

Aha, neue Ausstellung an den Wänden des riesigen, fast quadratischen Eingangsbereiches. Alle paar Wochen hängten die Klubmitglieder neue Kunstwerke auf – jeweils thematisch zusammenpassend. Pamela betrachtete ein paar der Bilder eingehend. Da gab es welche in Schwarz-Weiß, die qualmende Schlote, kohlschwarzgesichtige Bergleute, Fördertürme und Hochöfen zeigten – genau das, was auch heutzutage noch viele Menschen außerhalb der Region vor sich sahen, wenn sie ans Ruhrgebiet dachten. In Farbe dann: Das alte Hüttengelände, auf dem schon seit 1987 kein Stahl mehr hergestellt wurde, sondern Museumsführungen und Großveranstaltungen stattfanden. Brautpaare posierten. Kinder tobten. Ein Hund schnappte eine Frisbeescheibe aus der Luft. Es gab auch Bilder der grün bewaldeten Hügel, die die Stadt umgaben. Frühlingshaft leuchtendes Laub, durch das Sonnenlicht brach. Geheimnisvoller Morgennebel stieg über den Ruhrauen mit ihren Vögeln auf und am Ufer des Flusses, der heute als einer der saubersten Deutschlands galt. Jo, das hatten sie wirklich gut hingekriegt, die Fotoleute. Pamela verspürte dieses Heimatgefühl, zusammen mit der Lust zum Wandern in den Hügeln, Paddeln auf der Ruhr oder Ausreiten in der sogenannten Elfringhauser Schweiz. In Gedanken strich sie das Ausreiten wieder. Sie konnte nicht reiten, und obwohl sie keine kleine Frau war, schüchterten Pferde sie mit ihrer Größe und Kraft irgendwie ein.

Gut, dass sie nichts musste. Noch nicht mal die großen aufgehängten Fotorahmen abstauben. Die fielen nämlich nicht in ihren Zuständigkeitsbereich, hatte ihr der damals frisch in seine Position gewählte Vorsitzende des Klubs erklärt, als er sie vor drei Jahren in ihre Aufgaben hier einwies. Peter Neumann hatte dabei sanft über einen Rahmen gestrichen.

»Die Pflege ihrer Werke übernehmen die Künstler selbst. So können sie die notwendige Vorsicht walten lassen.«

Pamela hatte sich eine Bemerkung darüber verkniffen, dass sie in den zehn Jahren ihrer Selbstständigkeit als Reinigungskraft nicht ein einziges Glas, keine Vase oder Sonstiges auf dem Gewissen hatte. Schon von Haus aus war sie kein Tollpatsch, aber besondere Vorsicht im Umgang mit den Besitztümern anderer Menschen gehörte zu ihrer Arbeit automatisch dazu und war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Doch die Entscheidung des Klubs konnte ihr nur recht sein. All diese Rahmen der wechselnden Ausstellungen in der Eingangshalle und im großen Besprechungssaal gründlich zu säubern würde bestimmt viel Zeit kosten. So erwartete Pamela jeden Mittwoch der gleiche Ablauf: Zuerst nach links in die Teeküche abbiegen, um dort nach dem Rechten zu sehen. Wie immer standen dreckige Tassen, Teller und Limoflaschen direkt unter dem Computerausdruck BITTE DAS BENUTZTE GESCHIRR IN DIE SPÜLMASCHINE RÄUMEN!. Pamela füllte die Maschine, stellte sie an und putzte dann die Oberflächen. Anschließend reinigte sie die Tische und Ablagen in dem großen Besprechungsraum am Ende der Eingangshalle und dem kleinen angrenzenden Büro des Vorsitzenden. Auf dem Weg zurück öffnete sie routinemäßig die Tür der Dunkelkammer, die zwischen Teeküche und den Toiletten lag. Na ja, Kammer traf es nicht ganz. Es war ein durchaus großer, wenn auch fensterloser Raum, in dem es immer nach Chemikalien roch. Üblicherweise gab es hier außer der Bodenreinigung nichts zu tun, da die Mitglieder für die Ordnung der Schalen und Behälter auf den Tischen selbst zuständig waren. Üblicherweise herrschte hier drinnen aber auch Dunkelheit. Heute jedoch brannte das Rotlicht an der Wand. In diesem unwirklichen Schein sah Pamela ein paar Wannen auf dem hinteren Tisch nahe dem breiten Spülbecken stehen.

Sie ging hinüber und blickte hinein. Bei dem stechenden Geruch rümpfte sie die Nase. Hm, hier hatte offenbar jemand gearbeitet und nicht hinter sich aufgeräumt. Sie zögerte, beschloss dann aber, die Plastikschalen zu ignorieren. Sie gehörten nicht zu ihren Aufgaben, selbst dann nicht, wenn sie gewusst hätte, in welche der auf dem Regal stehenden Kanister sie die Flüssigkeiten hätte schütten sollen. Im Hinausgehen fiel Pamela ein Papierschnipsel auf, der neben der Tür unter ein Stuhlbein gerutscht war und sich dort verklemmt hatte. Er war in diesem roten Licht kaum zu sehen, doch Pamelas geschultes Sauberzauber-Auge hatte ihn dennoch erspäht. Sie hob ihn auf und warf einen kurzen Blick darauf. Es war der Rest eines Fotos, das offenbar zerrissen worden war. Zwei Paar Beine. Frauenbeine, die schlank und nackt in einen Cordrock mündeten. Das andere Beinpaar steckte in langen Hosen. Mehr war nicht zu sehen. Aber das Bild sah irgendwie schlierig aus. Wahrscheinlich hatte es den Ansprüchen des Fotografen nicht genügt. Tz, aber musste man das dann so in die Gegend pfeffern? Für so was stand doch der Papierkorb da, oder? Pamela steckte den Fetzen in die Tasche ihrer Jeans, um ihn gleich ordnungsgemäß zu entsorgen, und knipste das Licht in der Dunkelkammer aus. Mit dem Wischen würde sie in der Küche anfangen. Dann war der Boden trocken, wenn die Spülmaschine fertig zum Ausräumen sein würde. Die Toilettenräume kamen immer ganz zum Schluss dran. Jetzt musste sie nur noch im Fotostudio die Oberflächen abwischen.

Pamela griff den kleinen Eimer, steckte sich ein frisches Tuch in den Bund ihrer Hose und marschierte durch die Eingangshalle zur Studiotür. Die war schwer und von innen mit schalldämpfendem Material gepolstert.

»Damit die Künstler bei ihrer Arbeit nicht gestört werden, wenn hier im Klub Betrieb ist«, hatte Neumann ihr damals erklärt.

Pamela drückte die Klinke herunter und stemmte die Tür auf. Und augenblicklich war ihr klar, dass hier etwas nicht stimmte. Die Rollläden vor den beiden großen Fenstern waren ohne den geringsten Schlitz heruntergelassen. Obwohl draußen die Sonne schien, war es stockdunkel im Raum und roch … Wonach genau? Pamela schnüffelte. Doch ehe sie noch weiterdenken konnte, hatte sie bereits das Licht eingeschaltet.

Pamela Schlonski war keines von den schreckhaften Weibchen, die bei herumschwirrenden Wespen in schrilles Kreischen ausbrachen oder im Wald hinter jedem Baum einen Überfall witterten. Doch der Anblick, der sich ihr bot, ließ auch sie erstarren. Der kleine Tisch, auf dem oft Requisiten für die Fotos drapiert waren, lag in einer Pfütze aus eingetrockneter Flüssigkeit. Der Hals einer Weinflasche ragte aus den Scherben auf dem Boden, direkt neben einem Kerzenhalter samt abgebrochener Kerze. Eine kleine Vase war heil geblieben, doch die einzelne Rose darin war hinüber. In einem weiten Bogen waren auf der Kopfseite des Zimmers Stative aufgestellt. Das waren Blitzlichter, oder? Einfach nur Blitzlichter, die durch Kabel miteinander verbunden waren. Sie alle waren ausgerichtet auf einen Lehnstuhl, der beinahe mittig im Raum stand. Und in diesem Stuhl saß mit weit aufgerissenen Augen: Peter Neumann.

Pamela hatte keine Ahnung, wie lange sie dort stand. Vielleicht ein paar Sekunden. Oder eine Minute. Schließlich schluckte sie und ging näher an den Stuhl heran.

»Herr Neumann?!«, sprach sie den Mann an. Aber seine starren Augen verrieten, dass er sie nicht mehr hören konnte. Seine Unterarme und Fußgelenke waren mit silbernem Klebeband an den Stuhl fixiert. Seine blau schimmernden Hände waren um die Lehnen gekrampft. Aus seinem leicht geöffneten Mund war ein Rinnsal Blut gelaufen und hinunter auf seine Brust im unangebracht schick wirkenden Hemd und auf die helle Hose getropft. Doch die Spur war eingetrocknet und begann bereits zu bröckeln.

Pamela wandte sich ab und ging hinaus in den Flur, jede Bewegung seltsam eckig, jeder Schritt sonderbar surreal. Ihr Handy? In der Tasche an der Garderobe. War es 112 oder 110? Verdammt, sie hatte sich das noch nie merken können, weil sie bisher weder das eine noch das andere hatte wählen müssen.

Da fiel ihr ein, dass ihr Smartphone die Notrufnummer gespeichert hatte, und sie lauschte auf das Freizeichen. Fast unmittelbar meldete sich jemand.

»Ja, hallo? Hier ist Pamela Schlonski«, hörte sie sich mit ungewohnt hölzerner Stimme sagen. »Ich glaube, ich muss einen Mord melden.«

3. Kapitel

5. Mai, Mittwoch, morgens

Die Polizei hatte nur ein paar Minuten gebraucht. Schon hatten die Uniformierten den Treppenaufgang mit Flatterband abgesperrt, die glotzende Sekretärin des Immobilienmaklers unten in ihre Schranken gewiesen und mehrmals auf diese gewisse routinierte, wichtige Art von Sicherung des Tatorts gesprochen. Der Notarzt war hereingerauscht, hatte einige Minuten im Studio verbracht und war dann wieder verschwunden.

Eine junge Beamtin mit knallkurzer peppiger Frisur und Regenbogenbändchen am Handgelenk stellte sich vor, Kommissaranwärterin Tina Bruns, und bot ihr im großen Besprechungssaal einen Platz an. Sie holte ihr sogar ein Glas Wasser aus der Küche. Vielleicht dachte sie, Pamela stehe unter einer Art Schock oder so was. Aber war Schock nicht immer so ein Nebel, in dem alles unterzugehen schien? Nein, dann hatte sie sicher keinen Schock, denn es fühlte sich eher wie das Gegenteil an. Pamela hatte den Eindruck, alles noch sehr viel deutlicher wahrzunehmen als üblich. Die Stimmen der Polizisten, ein entferntes Martinshorn, eine schwere Autotür auf dem Parkplatz.

»Sie machen das großartig«, sagte Tina Bruns mit einem mitfühlenden Lächeln. »So ein Fund ist nicht einfach zu verdauen.«

Pamela verzog das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. »Ich bin nur froh, dass heute nicht Montag ist. Montags geht so was gar nicht, oder? Die Woche könnte man dann in die Tonne kloppen.« Die Beamtin lachte kurz, riss sich aber sofort wieder zusammen.

In diesem Moment tauchte im Flur ein großer, schlaksiger Kerl auf, der aus dem Bild der Uniformierten herausstach. Seine gebügelten Chinos und das ordentlich in den Bund gesteckte Hemd standen in seltsamem Kontrast zu dem zerknittert wirkenden Blouson, der seine besten Tage hinter sich hatte. Der Fremde warf kurz einen Blick ins Studio und kam dann durch die weit offen stehende Schiebetür in den Besprechungsraum. Bei seinem Eintreten sprang die Polizistin auf.

»Das ist der Erste Kriminalhauptkommissar«, raunte sie Pamela zu und rief dann: »Guten Morgen, Lennard.«

Er kam auf sie zu und blieb vor ihnen stehen, während hinter ihm in der Eingangshalle mehrere Personen in weißen Anzügen, deren Kapuzen bis weit in die Stirn reichten und die Pamela deswegen an Teletubbies erinnerten, Kurs auf das Studio nahmen.

»Moin, Tina! Tötungsdelikt, wie es scheint?«, begrüßte der Hauptkommissar die junge Frau.

Die nickte eifrig. »Der Notarzt hat eindeutig unnatürlichen Tod bestätigt. Ich habe bereits die Staatsanwältin benachrichtigt. Sie wird gleich hier sein.«

»Sehr gut gemacht!«

Tina Bruns errötete leicht vor Freude über das Lob.

»Diese Bürgerin hier hat das Opfer gefunden«, teilte sie dem Kommissar mit.

»Moin, Frau …?!«

»Schlonski. Pamela Schlonski.« Sie hielt ihm die Hand hin, die er ruhig ergriff.

»Kriminalhauptkommissar Vogt, Kripo Hattingen.« Warme Handfläche, geschmeidige Finger, angenehmer Druck von nicht zu kurzer, nicht zu langer Dauer. Sein Handschlag wollte irgendwie nicht zu dem reservierten Gesicht passen. Er nickte ihr von dort oben zu. Schien zu zögern.

In dem Augenblick, in dem Pamela aufstand, weil sie sich neben dem großen Mann so unangenehm winzig vorkam, zog er sich einen Stuhl heran, um sich zu setzen.

»Wunderbar«, sagte sie und ließ sich wieder auf ihrem Platz nieder. »Auf Augenhöhe redet es sich doch irgendwie leichter, oder?« Er setzte sich und sah sie fragend an. »Na, Sie werden mir doch bestimmt jede Menge Fragen stellen wollen, oder? Ach so, ich bin übrigens die Reinigungskraft«, setzte sie hinzu. Vielleicht war ihm das nicht klar, denn sie trug natürlich keinen Kittel oder so was, sondern ihre bequeme verwaschene Jeans und ein rotes T-Shirt.

Er nickte kurz. »Na, dann erzählen Sie mal. Was hat sich hier abgespielt, bevor Sie uns gerufen haben?« In seiner dunklen Stimme schwang eine ungewohnte Melodie. Norddeutsch, entschied Pamela.

»Abgespielt kann man das echt nicht nennen. Ich meine, ich war schließlich allein hier, zum Putzen, und der einzige andere im Klub konnte auch nicht mehr viel abspielen lassen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Am Anfang wusste ich gar nicht, dass heute was anders war als sonst. Sah schließlich alles wie immer aus. Ich bin wie immer um halb neun hier aufgeschlagen, hab in der Teeküche und dem Besprechungsraum Ordnung gemacht …«

»Ist Ihnen beim Hereinkommen etwas aufgefallen? Stand vielleicht die Tür offen?«

Pamela sah ihn mit exakt dem Augenaufschlag an, der ihrer Tochter signalisiert hätte, dass höfliche Menschen einander ausreden lassen. »Nein. Wie ich schon sagte: Es war alles wie immer. Ich hab aufgeschlossen wie jeden Mittwoch. Etwas Besonderes aufgefallen ist mir erst, als ich nach den Oberflächen in Küche, Besprechungsraum und Büro in die Dunkelkammer kam. Da war nämlich das Rotlicht an. Und diese Plastikwannen mit den Chemikalien zur Entwicklung standen da. Das ist sonst nie. Die Klubmitglieder räumen selbst auf, wenn sie das Labor benutzt haben.« Sie hielt kurz inne, um ihm die Gelegenheit zu geben nachzuhaken.

»Das Rotlicht war eingeschaltet, und die Wannen standen dort«, wiederholte Vogt mit Blick auf seine Kollegin Tina Bruns, die sich Notizen machte.

»Wie ich sage«, bestätigte Pamela. War er schwer von Kapee? Oder dachte er, sie sei es? Er wäre nicht der Erste, der dachte, eine Putzfrau könne ja nicht viel auf dem Kasten haben. »Sonst war aber nichts ungewöhnlich. Ich dachte noch, da war jemand aber flott unterwegs, hat es wohl eilig gehabt gestern und ist raus, ohne sauber zu machen. Na ja, und dann bin ich rüber ins Studio …« Der Stift der Polizistin kratzte über das Papier.

»Sie haben beim Anruf in unserer Zentrale angegeben, Sie hätten einen Mord zu melden«, sagte Vogt. »Wieso haben Sie dieses Wort verwendet?«

Pamela starrte ihn einen Moment lang an. »Was? Mord? Wieso ich gesagt hab, dass ich einen Mord melden muss? Ich sach ma so: Der Neumann war an den Stuhl gefesselt und, jetzt mal ehrlich, Herr Kommissar, sieht das Ganze für Sie nach einem Unfall aus?«, erwiderte sie dann. Wenn die Kripo sich mit solchen Fragen aufhielt, war es kein Wunder, dass ein hoher Prozentsatz der Mörder erst gar nicht vor Gericht kam, weil ihre Tat schlicht und ergreifend nicht als solche entdeckt wurde. Vogt antwortete nicht, doch seine Brauen konnte er nicht kontrollieren. Eine wanderte ein Stückchen nach oben. »Sie kannten Herrn Peter Neumann?«, erkundigte er sich dann und betonte das Herrn besonders.

»Klar. Er war der Vorsitzende vom Klub. Hat mich vor drei Jahren eingestellt. Früher hat die Frau vom ehemaligen Vorsitzenden geputzt, ohne Bezahlung, zumindest wurde mir das so gesagt.« Sie hob ebenfalls die Brauen. »Aber als dann der Vorsitz wechselte … tja, da kam ich ins Spiel.«

»Sind Ihnen sonst noch Mitglieder des Fotoklubs bekannt?« Pamela überlegte kurz. »Ein paar, ja. Manchmal ist hier mittwochmorgens jemand im Studio, oder die Ausstellung wird von mehreren Leuten ab- und eine neue aufgehängt. Also, so eine Handvoll kenn ich vom Sehen. Aber mit Namen? Doch! Den Thomas Ruh, mit dem quatsch ich hin und wieder ein bisschen. Der ist Frührentner und kommt öfter nach dem Zeitungsaustragen gleich rein, um im Labor zu arbeiten. Manchmal ist er dann noch da, wenn ich hier aufschlage. Oder dieses junge Studentenpärchen, Dina und Max, die verschanzen sich im Studio, wenn ich da fertig bin. Ich glaub, die machen so Kostümbilder mit Elfenohren und so. Aber sonst …« Pamela legte den Kopf schief. »Nein, sonst wüsste ich keinen. Aber vorn in der Eingangshalle hängt ein großes Plakat, da sind alle Mitglieder drauf, mit Namen.«

Vogt deutete mit dem Finger auf den Notizblock seiner Kollegin, die sogleich eifrig kritzelte.

»Sorgst du dafür, dass der Fotograf auch eine Aufnahme vom Plakat macht?«, bat er sie und wandte sich dann an Pamela: »Wissen Sie, ob sich beispielsweise im Büro größere Mengen Geld befanden? Mitgliederbeiträge? Spenden? Etwas in der Art?«

»Wenn, dann im Schreibtisch, in den guck ich nicht rein. Mein Job sind der Boden und die Oberflächen, und das ist schon schwer genug bei dem ganzen Papierkram, der da immer rumliegt. Da muss ich immer um die Ordner rumfuckeln. Ach so, und in der Teeküche steht die Getränkekasse«, antwortete Pamela zögerlich, doch dann konnte sie einfach nicht anders und setzte hinzu: »Aber das war doch kein Raubüberfall. Ich meine, so wie das Studio aussieht? Ein schlichter Räuber hätte dem Neumann … ähm, Herrn Neumann, doch einfach eine übergebraten und dann nichts wie weg mit den Moneten, oder?«

Wieder sah der Kommissar sie so seltsam an. Seine Augen, die im Kontrast zu dem ultrakorrekt geschnittenen dunklen Haar irritierend hell waren, richtig grün waren die, wirkten irgendwie … müde und tatsächlich ein wenig ratlos.

»Dann frage ich anders: Wissen Sie von irgendwelchen Befindlichkeiten hier im Klub? Gab es Auseinandersetzungen zwischen den Mitgliedern? Neid? Missgunst? Eifersucht?« Aha, jetzt kam er auf den Punkt.

»An so was hab ich auch gleich gedacht«, sagte Pamela. »Ich mein, das sieht man doch, dass da einer so richtigen Brast auf Herrn Neumann hatte. Aber ganz ehrlich? Um da eine Idee zu haben, dazu kannte ich die Leute hier nicht gut genug. Also: Leider nein.«

Vogt nickte, als habe er nichts anderes erwartet. »Ist Ihnen denn sonst noch etwas aufgefallen, als Sie den Toten gefunden haben? Als Reinigungskraft kennen Sie die Räume doch gut.«

Pamela schloss kurz die Augen, um sich an die Szene im Zimmer gegenüber zu erinnern. Der Lehnstuhl, das silberne Klebeband, Neumanns weit aufgerissene Augen.

»Die Rollläden waren unten«, sagte sie. »Das ist sonst nie, wenn ich morgens komme. Manchmal macht die jemand zum Fotografieren runter. Wenn sie kein Tageslicht wollen, verstehen Sie? Aber danach ziehen sie die immer wieder hoch.« Die Polizistin machte sich eine Notiz. »Und der Wein. Mit Rotweinflecken kenn ich mich aus, wissen Sie. Das war bestimmt was Teures. Die Gläser wohl auch. Vielleicht hatte Herr Neumann jemanden … zu Besuch?«, mutmaßte Pamela.

Die Beamtin warf dem Kommissar einen fragenden Blick zu. »Wie kommen Sie darauf?«

»Bei der Menge an Scherben?! Das müssen mindestens zwei Gläser gewesen sein. Kristall oder so was Edles. Und dann war da ja noch die rote Rose.«

Vogt schwieg. Vielleicht wartete er, ob sie noch etwas hinzufügen wollte? Wieder senkte sie kurz die Lider. Der Raum, der umgekippte Tisch. Der Lehnstuhl inmitten etlicher Stative. Sie schlug die Augen wieder auf, runzelte die Stirn.

»Noch etwas? Irgendwas, was Sie irritiert hat?«, fragte der Kommissar, ihr Zögern richtig deutend.

»Da war keine Kamera«, erklärte Pamela entschlossen.

»Die Kamera wurde gestohlen?«

»Nein, nein. Ich meine nicht gestohlen. Ich meine, da war einfach keine. Und das, obwohl doch so viele Blitzlichter aufgebaut waren. Ist doch komisch, oder?«

Vogt war nicht anzusehen, ob er es auch komisch fand. In diesem Moment tauchte einer von den Teletubbies in der Tür zum Besprechungsraum auf. Vogt stand auf und ging zu ihm hinüber.

»Ich nehme noch Ihre Personalien auf, und dann dürfen Sie gehen«, sagte Tina Bruns zu Pamela. Sie notierte Adresse und Telefonnummer, dann erhoben sie sich. Tina Bruns’ Handy klingelte, und sie schaute aufs Display.

»Darf ich?«

»Klar. Ich find ja selbst raus.« Sie lächelten sich noch einmal zu, und die Beamtin ging, das Gespräch annehmend, hinüber zum Fenster.

Als Pamela sich der Tür näherte, in der immer noch der Kommissar mit dem in seinen Aufzug eingeschweißten Mitarbeiter der Spurensicherung stand, verstand sie noch, wie der Mann im weißen Papieranzug etwas von »genetischem Abgleich« sagte. »Das Stativ, mit dem wahrscheinlich die Kopfwunde zugefügt worden ist, ist sehr sorgfältig abgewischt worden. Auch an den aufgestellten Stativen und den Blitzlichtern ist nicht der Hauch eines Fingerabdrucks zu finden. Wahrscheinlich Handschuhe. Aber sonst wimmelt es im Raum von DNS. Ist nur die Frage, ob das hilfreich ist.«

Der Kommissar wandte sich ruckartig zu ihr um.

»Frau … ähm …?« Er blinzelte konzentriert, kam aber nicht drauf.

»Schlonski«, half Pamela ihm. »Pamela Schlonski. Mit Mädchennamen hieß ich Ewing. Meine Mutter hatte eine Schwäche für diese Serie, Dallas. Sie wissen schon, die Ehefrau von Bobby hieß doch so: Pamela Ewing.« Diesmal sprach sie es nicht deutsch, sondern breit amerikanisch aus. Der Teletubby prustete kurz los und verbarg dann sein Grinsen, indem er sich über sein Klemmbrett beugte.

Doch Vogt verzog keine Miene.

»Frau Schlonski, wissen Sie, ob nur bestimmte Mitglieder des Klubs das Studio nutzen? Sie erwähnten gerade ein Studentenpärchen. Gibt es noch andere, die sich regelmäßig in dem Raum aufhalten?«, erkundigte er sich. Pamela winkte ab.

»Klar, da wuseln alle Mitglieder irgendwann mal durch. Gucken Sie mal auf die Liste an der Innenseite der Tür. Die ist pickepacke voll. Und immer andere Namen. Nee, im Studio macht hier jeder mal was. Wäre ja auch schön blöd, das nicht zu machen, oder? Ich meine, die latzen hier einen ordentlichen Klumpen jeden Monat. Muss ja auch. Das kostet ja alles, was die so auffahren.« Wieder dieser merkwürdige Blick aus den hellen Augen. Ein wenig Verwunderung und jede Menge Skepsis lagen darin. Der würde doch wohl nicht denken, dass sie irgendwas mit dieser unappetitlichen Sache mit dem Neumann zu tun hatte?

»Alles klar. Heißt also, wir konzentrieren uns mal besser aufs Opfer selbst. Sonst kommen wir mit genetischem Abgleich nicht weiter«, meinte der Mann in Schutzkleidung und verschwand wieder. Einen Augenblick standen Pamela und der Kommissar nebeneinander und sahen dem geschäftigen Treiben im Studio zu.

»Wie ist das jetzt mit meiner Box mit den Reinigungssachen?«, wollte Pamela schließlich wissen. Vogt zuckte zusammen, als habe er vergessen, dass sie neben ihm stand.

»Hm?«

»Mein Möppel und die Putzbox? Kann ich die mitnehmen?«

Kurz starrte er sie an, als hätte sie Chinesisch gesprochen, doch dann schien er den Inhalt ihrer Worte zu begreifen.

»Da dürfte nichts dagegensprechen. Sind das die Sachen vorn neben der Eingangstür? Ja? – Tina?« Er winkte die Beamtin heran, die das Handygespräch gerade beendet hatte. »Wirf doch bitte kurz einen Blick auf die Arbeitsutensilien von Frau Schlonski? Sie darf die Sachen dann mitnehmen.« Tina Bruns nickte und schob sich an ihnen vorbei.

»Und was ist mit meiner Arbeit hier?«, setzte Pamela hinzu. Vogt sah sie ratlos an. Herrje, ein Ass im Kombinieren schien der ja nicht zu sein. Pamela sah für den Mordfall die Felle schwimmen. »Na, ich hab ja noch nicht gewischt. Die Toiletten sind noch dran. Und die Spülmaschine räum ich auch immer aus, wenn ich mit allem anderen fertig bin.«

Der Kommissar betrachtete sie mit einem Ausdruck in den hellen Augen, bei dem Pamela sich plötzlich ein bisschen unbeholfen fühlte. Das kam nicht oft vor. Sie hatte schließlich ein Standing. So leicht brachte niemand sie aus dem Konzept. Seine offensichtliche Irritation begann sie zu ärgern.

»Das hier ist ein Tatort. Solange wir nicht alle Spuren genommen haben, darf nichts verändert werden.«

»Na, das hätte ich lieber mal schon gewusst, als ich vorhin hier reinkam. Dann hätt ich mir das ganze Gerödel gespart und Ihnen noch ein paar Spuren mehr dagelassen«, erwiderte sie.

»Sie konnten ja nicht wissen, dass das besser gewesen wäre«, erwiderte Vogt. Der Typ war wirklich staubtrocken. Hatte der überhaupt kapiert, dass sie einen Scherz gemacht hatte? »Wenn Sie meiner Kollegin Ihre Personalien gegeben haben, haben Sie frei.«

Ein leises Schnauben konnte sie nun wirklich nicht unterdrücken.

»Frei? Nee, ganz sicher nicht. Ich hab noch den ganzen Arbeitstag vor mir. Meine Frage war, wann ich hier den Rest erledigen kann.« Sie warf einen Blick auf einen der Männer in den Teletubby-Anzügen, der nun mit einem feinen Pulver und Pinsel an der Türklinke zum Studio beschäftigt war. Wahrscheinlich würde sie eher noch mal ganz von vorn beginnen müssen, wenn diese Beamtenhorde hier durchgewalzt war.