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Dieses eBook: ""Der Totschläger (L'Assommoir: Die Rougon-Macquart Band 7)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Der Totschläger, auch bekannt als Die Schnapsbude, ist der siebte Band der zwanzigbändigen Romanreihe Rougon-Macquart von Émile Zola. Protagonistin des Romans ist die junge Wäscherin Gervaise Macquart, die zu Beginn der Handlung von ihrem Liebhaber Auguste Lantier verlassen wird. Er nimmt ihr ganzes Geld mit und hinterlässt als einziges Andenken die beiden gemeinsamen Söhne Claude und Etienne. Gervaise, eine tugendhafte und fleißige, aber nunmehr bettelarme Wäscherin, heiratet daraufhin den ehrbaren, aber recht lebenslustigen Zinkarbeiter Coupeau. Zunächst scheint sich daraufhin alles zum Guten zu wenden: Hart arbeitend verdienen die beiden Geld, mit dem Gervaise eine eigene Wäscherei erwerben möchte, und bekommen eine Tochter, die ""Nana"" genannt wird. Dann jedoch erleidet Coupeau einen Arbeitsunfall, der ihn für mehrere Monate ans Bett fesselt. Ein Teil des gesparten Geldes wird für seine Pflege aufgebraucht. Als seine Verletzung ausgeheilt ist, hat er sich bereits so sehr ans Nichtstun gewöhnt, dass er nicht zur Arbeit zurückfindet. Émile Édouard Charles Antoine Zola (1840-1902) war ein französischer Schriftsteller und Journalist. Zola gilt als einer der großen französischen Romanciers des 19. Jahrhunderts und als Leitfigur und Begründer der gesamteuropäischen literarischen Strömung des Naturalismus. Zugleich war er ein sehr aktiver Journalist, der sich auf einer gemäßigt linken Position am politischen Leben beteiligte.
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Die »Rougon-Macquart« sind als Folge von zwanzig Romanen gedacht. Ihren Grundriß habe ich seit dem Jahre 1869 festgelegt und verfolge ihn mit peinlicher Genauigkeit. Zu seiner Zeit kam »Der Totschläger«, und ich habe ihn geschrieben – wie ich alle anderen Romane schreiben werde –, ohne auch nur einen Augenblick den feststehenden Plan zu verlassen. Darin liegt meine Stärke, denn ich habe ein Ziel, dem ich zustrebe.
Als »Der Totschläger« zum erstenmal in einer Zeitung erschien, wurde er mit einer beispiellosen Heftigkeit angegriffen und verleumdet, alles Üble wurde ihm nachgesagt. Soll ich nun an dieser Stelle und in wenigen Worten meine schriftstellerischen Absichten erklären? Ich wollte die verhängnisvolle und unvermeidliche Entartung einer Arbeiterfamilie schildern, auf dem verjauchten Boden unserer Vorstadtviertel. Wie inmitten von Trinkern und Müßiggängern alle Familienbande sich lösen, eine beängstigende Atmosphäre widerlicher Vermischung aufsteigt, wie alle ehrbaren Regungen allmählich in Vergessenheit geraten, das Schamgefühl schwindet, und wie der Tod alles löst. Mit einem Wort: das Walten eines sittlichen Gesetzes.
»Der Totschläger« ist zweifellos das moralischste von meinen Büchern. Oft mußte ich an viel schrecklichere Wunden rühren. Lediglich die Art, wie er geschrieben ist, hat eine Bestürzung hervorgerufen. Man hat sich gegen die Worte empört, die ich gebraucht habe. Mein Verbrechen ist, daß ich als Schriftsteller den Einfall gehabt habe, den Volksjargon in unsere durchgebildete Schriftsprache zu tragen und mit ihr zu vermischen. Wahrhaftig, der Stil – hier liegt das große Verbrechen! Wohl gibt es Wörterbücher dieser Sprache, und die Gelehrten erforschen sie und freuen sich über ihre Urwüchsigkeit, ihre Unmittelbarkeit und ihre Bildkraft. Sie ist eine Fundgrube für die Sprachforscher. Trotzdem hat man mir die Absicht einer lediglich philologischen Arbeit angedichtet und niemand hat an mein lebhaftes historisches und soziales Interesse geglaubt.
Aber ich will mich nicht verteidigen. Mein Werk wird es tun. Es ist ein Werk der Wahrheit, der erste Roman über das Volk, der nicht lügt und der den Geruch des Volkes atmet. Es ist ein Fehlschluß anzunehmen, das ganze Volk wäre schlecht; denn die Gestalten meines Romans sind nicht schlecht, sie sind nur ahnungslos, unwissend, und verdorben nur durch die brutale Umwelt der Arbeit und durch das Elend, in dem sie leben. Wenn man nur meine Romane lesen, sie verstehen, ihre Zusammenhänge richtig sehen wollte, bevor man die schon fertigen, grotesken und gehässigen Urteile verbreitete, die über mich und meine Werke im Umlauf sind. Oh, wenn es bekannt wäre, wie sehr sich meine Freunde über die verblüffenden Märchen erheitern, mit denen man der Menge ein Vergnügen zu machen glaubt. Wenn es doch bekannt wäre, wie sehr dieser Blutsauger und wilde Romanschreiber ein ehrbarer Bürger ist, ein Mann der Wissenschaft und der Künste, der brav in seinem engen Winkel dahinlebt, und dessen einziges Bestreben dieses ist: ein Werk zu hinterlassen, so groß und so lebendig, als es seine Kräfte vermögen! Keine der Erzählungen will ich widerlegen, ich bleibe bei meiner Arbeit und vertraue mich der Zeit an und dem guten Glauben der Öffentlichkeit, auf daß man mich dereinst unter einem Berg aufgehäufter Dummheit entdecke.
Paris, den 1. Januar 1877 Emil Zola
Gervaise hatte auf Lantier bis zwei Uhr früh gewartet. Lange war sie in der leichten Nachtjacke gegen die Nachtluft am Fenster gestanden. Nun warf sie sich fröstelnd und fiebernd mit tränennassem Gesicht aufs Bett. Seit acht Tagen schickte er sie, sobald sie aus dem Wirtshaus »Zum zweiköpfigen Kalb« traten, wo sie gemeinsam aßen, mit den Kindern schlafen und kam erst spät in der Nacht heim; er erzählte, daß er sich um Arbeit umschaue. Während sie an diesem Abend auf ihn wartete, glaubte sie, ihn in das Ballhaus zum »Großen Balkon« eintreten zu sehen, dessen zehn Fenster wie eine Feuersbrunst über die schwarzen Schatten der äußeren Boulevards leuchteten; und etwa fünf bis sechs Schritte hinter ihm hatte sie die kleine brünette Adele, die ebenfalls in dem Wirtshaus aß, gehen sehen, mit schlenkernden Armen, als habe sie gerade seinen Arm losgelassen, damit man sie nicht zusammen unter dem hellen Scheine des Torbogens sehen sollte.
Als Gervaise um fünf Uhr früh erwachte, war sie ganz steif und hatte zerschlagene Lenden; sie brach in Tränen aus. Lantier war nicht zurückgekommen. Zum ersten Male schlief er auswärts. Sie blieb auf dem Bettrand sitzen, unter dem fettigen verschossenen Vorhang, der durch einen Ring gehalten von der Decke niederfiel. Langsam wanderten ihre tränenverschleierten Augen über das elend möblierte Zimmer, die Nußbaumkommode, an der eine Schublade fehlte, die drei Strohstühle und einen schmutzigen kleinen Tisch, auf dem ein zerbrochener Krug standen. Man hatte für die Kinder noch ein eisernes Bett hineingestellt, es stand vor der Kommode und füllte zwei Drittel des Zimmers. Gervaises und Lantiers Koffer standen offen in einer Ecke. Er war fast leer; ein alter Männerhut lag zwischen schmutzigen Hemden und Socken. An der Wand und auf Stuhllehnen hing ein zerrissener Schal und eine verdreckte Hose, die letzten Lumpen, die der Kleiderhändler nicht mehr nehmen wollte. Mitten auf dem Kamin, zwischen zwei ungleich großen Zinnleuchtern, lag ein Stoß Quittungen aus dem Leihhaus, – zartes Rosapapier. Es war das sogenannte »schöne Zimmer« des Hotels, das Zimmer im ersten Stock, mit der Aussicht auf den Boulevard.
Die Kinder lagen Seite an Seite auf demselben Kopfkissen und schliefen. Claude, der Achtjährige, hatte seine kleinen Hände auf der Decke liegen und atmete gleichmäßig langsam; Etienne, der erst vier Jahre alt war, lächelte und hatte einen Arm um den Hals des Bruders geschlungen. Als der Blick der Mutter auf die Kinder fiel, bekam sie wieder einen Weinkrampf; sie unterdrückte ihre Schreie mit dem vorgehaltenen Taschentuch. Dann ging sie wieder barfuß zum Fenster zurück, stützte die Ellbogen auf, in derselben Stellung verharrend wie in der langen Nacht, und suchte das Trottoir ab, so weit sie schauen konnte.
Das Hotel lag auf dem Boulevard de la Chapelle, links von der Barrière Poissonnière. Ein Steinbau von zwei Stockwerken, rot angestrichen bis zum zweiten Stock und mit vom Regen angefaulten Fensterläden, über einer Laterne mit gesterntem Glas las man zwischen den beiden Fensterreihen »Hotel Boncoeur, Besitzer Marsoullier«, in großen gelben Buchstaben, die von der Feuchtigkeit der Wand zerfressen und nicht mehr ganz waren. Die Laterne hinderte Gervaise am Ausblick; sie beugte sich weit vor, das Taschentuch vor dem Mund. Sie schaute nach rechts aus, gegen den Boulevard de Rochechouart hin, wo Metzgerburschen mit blutigen Schürzen vor dem Schlachthaus standen. Der frische Wind brachte zeitweilig den Geruch von geschlachteten Tieren her. Links schaute sie in die lange Straßenzeile; fast gegenüber lag die große weiße Fassade des Hospitals von Lariboisière, das noch im Bau war. Dann strichen ihre Augen die langen Mauern der Bastionen hin; manchmal des Nachts hörte sie da die Schreie Ermordeter; und sie bohrte den Blick in die finstern Ecken und abgelegenen Winkel, schwarz von Schmutz und Feuchtigkeit, voller Angst, Lantiers Körper mit aufgeschlitztem Bauch zu entdecken. Hob sie ihre Augen über diese graue und unendlich scheinende Mauer, die den Stadtteil mit einem trostlosen Ring einfriedete, sah sie eine große Helligkeit; die Sonne brach sich in den Staubwolken über Paris, dessen morgendliche Geräusche ihr Ohr trafen. Aber immer wieder kehrte ihr Blick zur Barriere Poissonnère zurück. Den Hals vorgestreckt und ganz benommen, schaute sie die Menschen, die Tiere, die Wagen, die in ununterbrochenen Massen sich zwischen den Zollhäuschen bewegten, von der Höhe des Montmartre bis zu la Chapelle. Das war ein Gestampfe von Tieren, das wie ein Meer die Straßen füllte, sobald eine Stauung entstand, ein Aufmarsch von Arbeitern, die zur Arbeit gingen, ohne Ende, das Handwerkszeug auf dem Rücken, das Brot unter dem Arm. Und diese Masse ergoß sich immerzu nach Paris, das sie verschluckte. Da glaubte Gervaise, Lantier in der Menge zu entdecken; sie beugte sich noch mehr vor, auf die Gefahr hin hinunterzustürzen; das Taschentuch preßte sie noch fester auf den Mund, ihren Schmerz zu verhalten.
Eine junge lustige Stimme scheuchte sie vom Fenster.
»Der Mann ist also nicht da, Frau Lantier?«
»Aber nein, Herr Coupeau«, sagte sie und lächelte gezwungen.
Coupeau war ein Zinkarbeiter, der ganz oben im Hotel ein Zimmer für zehn Francs bewohnte. Er trug seinen Arbeitspack über der Schulter. Da der Schlüssel an der Türe steckte, war er in aller Freundschaft eingetreten.
»Sie wissen ja, ich arbeite jetzt da drüben im Spital ... Was für ein schöner Mai! ... Es ist frisch heute morgen.«
Und er betrachtete Gervaise, deren Gesicht von Tränen gerötet war. Als er das unberührte Bett sah, schüttelte er den Kopf; dann trat er zum Lager der Kinder, die wie kleine Cherubine mit rosigen Gesichtern schliefen, und sagte leise:
»Also der Mann ist nicht brav, nicht wahr? Aber darum keine Verzweiflung, Frau Lantier. Er beschäftigt sich zu viel mit der Politik. Als man neulich für Eugen Sue, einen Gelehrten, wie es scheint, abgestimmt hat, benahm er sich wie ein Verrückter. Vielleicht war er die Nacht mit Leuten zusammen, wo man dummes Zeug über diesen Dreckkerl, den Bonaparte schwatzte.«
»Nein, nein,« sagte Gervaise mit Anstrengung, »es ist nicht das, was Sie glauben. Ich weiß, wo Lantier ist. Wir haben unsere Sorgen, du lieber Gott, wie halt alle Menschen!«
Coupeau zwinkerte mit den Augen: er wolle sich diese Lüge nicht aufbinden lassen. Bevor er ging, bot er ihr an, ihr die Milch zu holen, falls sie nicht ausgehen wollte. Sie wäre doch eine schöne und tapfere Frau und könnte auf ihn zählen, wenn sie eines Tages in Not wäre. Gervaise setzte sich wieder ans Fenster, als er fort war.
Das Gestampfe der Menge tobte unten weiter in der Kälte des Morgens. Man erkannte die Schlosser an ihren blauen Kitteln, die Maurer an ihren weißen Blusen, die Anstreicher an ihren Überziehern, unter denen die längeren Kittel vorschauten. So aus der Ferne bekam diese Menge ein verwischtes Aussehen, einen neutralen Ton, in dem verblaßtes Blau und schmutziges Grau vorherrschten. Zeitweilig blieb ein Arbeiter stehen, um seine Pfeife anzuzünden, während die andern weitergingen, ohne Lachen, ohne ein Wort an einen Kameraden, durch die gähnende Straße der Vorstadt Poissonière zogen, mit staubiger Haut, das Gesicht gegen Paris gewandt, das einen nach dem andern verschlang. Da, an den Ecken der Rue des Poissonièrs, verlangsamte sich der Schritt mancher Männer, als die beiden Weinschenken ihre Laden öffneten. Ehe sie eintraten, blieben sie am Rande des Trottoirs stehen, schauten schiefen Blickes über Paris, mit herabhängenden Armen, wieder für einen Tag der Fron entflohen. Vor den Schenktischen boten sich einzelne Gruppen Runden an; verweilten, standen, füllten den Raum und spuckten und begossen ihren Hals mit kleinen Schnäpsen.
Auf der linken Straßenseite, bei der Schenke des Vaters Colombe, glaubte Gervaise Lantier gesehen zu haben, als sie eine dicke Frau ohne Kopftuch von der Mitte der Straße her anrief.
»Sie sind aber früh auf, Frau Lantier!«
Gervaise schaute hin.
»Ach, Sie sind's, Frau Boche!... Ich habe heute eine Menge zu tun!«
»Ja ja, es macht sich nichts von alleine.«
Und so fing eine Unterhaltung an, vom Fenster zum Trottoir. Frau Boche war die Hausmeisterin des Hauses, in dessen Erdgeschoß das Wirtshaus »Zum zweiköpfigen Kalb« war. Öfters schon hatte Gervaise in deren Zimmer auf ihren Mann gewartet, wenn sie nicht allein unter den Männern sitzen wollte, die drin in der Kneipe aßen. Die Hausmeisterin redete weiter. Sie ginge nur rasch in die Nachbarschaft, in die Rue de la Charbonnière, um dort einen Kommis im Bett aufzusuchen, von dem ihr Mann das Geld für einen geflickten Rock nicht bekommen könnte. Dann erzählte sie von einem Mieter, der am Abend mit einer Frauensperson gekommen wäre und die übrigen Mieter bis drei Uhr früh am Schlafen gehindert hätte. Aber während sie das alles daherredete, betrachtete sie sehr scharf das Gesicht der jungen Frau; sie schien nur gekommen zu sein und sich unter das Fenster gestellt zu haben, um etwas Sicheres zu erfahren. Und da fragte sie auf einmal:
»Ist denn Herr Lantier noch im Bett?«
»Ja, er schläft noch«, sagte Gervaise, wurde aber doch rot dabei.
Frau Boche sah die Tränen, die Gervaise in die Augen stiegen, und befriedigt ging sie weiter, indem sie auf die verfluchten Männer schimpfte; sie kam nochmals zurück und rief:
»Heute vormittag gehen Sie doch in die Waschanstalt, nicht wahr? Ich habe auch etwas zu waschen und heb Ihnen einen Platz neben mir auf, zum Plaudern.«
Und von einem plötzlichen Mitleid ergriffen:
»Arme Kleine, Sie sollten lieber nicht am offenen Fenster da stehen bleiben, Sie werden sich erkälten. Sie sind schon ganz violett im Gesicht.«
Noch zwei unendlich lange Stunden verbrachte Gervaise am Fenster, bis es acht Uhr wurde. Die Läden wurden aufgesperrt. Der Zug der Arbeitsblusen hörte auf; nur einige Spätlings eilten noch mit langen Beinen durch die Barriere. Bei den Weinkneipen standen noch dieselben Männer, tranken, husteten und spuckten. Auf die Arbeiter folgten die Arbeiterinnen, Büglerinnen, Modistinnen, Blumenmalerinnen; in ihren dünnen Überwürfen trippelten sie die äußern Boulevards hinunter, in Gruppen zu drei und vier; sprachen lebhaft, mit leichtem Lachen und leuchtenden Augen, die überall umherschauten. Von Zeit zu Zeit kam eine ganz allein daher, mager, blaß, ernst, ging ganz nah der Mauer der Zollsperre lang, die Schmutzbäche vermeidend. Dann kamen die Angestellten, bliesen in ihre Hände, aßen ihr Groschenbrot im Gehen; kraftlose junge Leute mit zu kurzen Hosen, trüben Augen, ganz zerschlagen vor Schlaf. Dann kleine alte Kerle, die auf ihren Füßen daherschlurften, mit blassen Gesichtern, durch lange Bureaustunden ganz verbraucht; schauten auf ihre Uhren, um ihren Schritt auf die Sekunde zu richten. Und dann lagen die Boulevards in ihrem Vormittagsfrieden; die kleinen Rentiers der Nachbarschaft spazierten in der Sonne; unfrisierte Mütter in schmutzigen Röcken wiegten ihre Wickelkinder und legten sie auf den Bänken trocken; ein Schwarm mit ungeputzten Nasen stieß sich, walzte sich am Boden unter Lärmen, Lachen und Schreien. Gervaise meinte zu ersticken, es befiel sie Schwindel vor Angst, sie war am Ende ihrer Hoffnung, ihr schien, als wäre alles zu Ende, auch die Zeiten, und daß Lantier nie mehr zurückkommen würde. Ihr Blick verlor sich vom alten schwarzen Schlachthaus und dessen Gestank zum neuen Spital, das durch seine gähnenden Fensterreihen leere Säle zeigte. Ihr gegenüber, hinter der Zollmauer, leuchtete der Himmel, die aufgehende Sonne wuchs über dem größeren Erwachen der Stadt und das Licht blendete sie.
Die junge Frau saß, die Hände im Schoß, auf einem Stuhl und weinte nicht mehr, als Lantier ruhig eintrat.
»Du bist's, du bist es!« rief sie und wollte sich um seinen Hals werfen.
»Ja, ich bin's. Was weiter? Willst du vielleicht wieder mit deinen Dummheiten anfangen?«
Er stieß sie zur Seite. Dann warf er schlecht gelaunt seinen schwarzen Filzhut auf die Kommode. Er war ein Mann von sechsundzwanzig Jahren, klein, sehr braun, mit hübschem Gesicht und schütterm Schnurrbart, den er stets in mechanischer Handbewegung drehte. Er trug einen Arbeitsrock und darüber einen alten verfleckten Überzieher, in Taille geschnitten. Er sprach ausgesprochen provenzalischen Dialekt.
Gervaise war auf den Stuhl zurückgesunken, klagte sanft in kurzen Sätzen.
»Ich konnte kein Auge schließen. Ich glaubte, man habe dir etwas angetan. Wo warst du denn? Wo hast du die Nacht verbracht? Mein Gott, mach das nicht mehr, ich müßte verrückt werden ... Sag, August, wo warst du?«
»Da, wo ich zu tun hatte, zum Donnerwetter! Um acht Uhr war ich in der Glacière, bei dem Freund, der eine Hutfabrik einrichten will. Ich hab mich verspätet. Dann zog ich es vor, dort zu schlafen. Überhaupt mag ich es nicht, daß man mich ausfragt. Laß mich in Ruh!« Die junge Frau weinte wieder. Die lauten Stimmen, Lantiers grobe Art, die Stühle herumzustoßen, weckten die Kinder auf. Sie setzten sich aufrecht, halbnackt, und wischten sich mit ihren kleinen Händen die Haare aus dem Gesicht. Als sie ihre Mutter weinen hörten, stießen sie ein schreckliches Geheul aus und weinten nun ebenfalls aus den kaum geöffneten Augen.
»Da haben wir nun die Musik«, schrie Lantier. »Ich warne euch, ich gehe sofort wieder! Und diesmal für immer. Ihr wollt nicht still sein? Dann adieu, ich gehe dahin, wo ich herkomme.« Und schon nahm er seinen Hut von der Kommode. Aber Gervaise drängte dazwischen, leise:
»Nein – nein, geh nicht.«
Sie erstickte die Tränen der Kinder unter Liebkosungen. Sie küßte ihr Haar und legte sie mit zärtlichen Worten zurück. Die Kleinen, schnell beruhigt, lachten auf ihrem Kissen und kniffen sich. Der Vater aber, ohne seine Stiefel ausgezogen zu haben, warf sich erschöpft aufs Bett. Sein fleckiges Gesicht zeigte die Spuren dieser weißen Nacht. Er schlief nicht ein; seine weit aufstehenden Augen wanderten die Wände des Zimmers lang.
»Saubere Wirtschaft hier!« brummte er. Nachdem er einen Augenblick auf Gervaise geschaut hatte, sagte er böse:
»Du wäschst dich wohl überhaupt nicht mehr?«
Gervaise war erst zweiundzwanzig Jahre alt. Groß, etwas mager, mit zarten Zügen, denen man die Härte des Lebens schon ansah. Ungekämmt, in Schlappen, frierend in ihrer weißen Nachtjacke, welche die Spuren von Fett und vom Staub der Möbel zeigte, schien sie um zehn Jahre gealtert infolge der Tränen und ausgestandenen Ängste der letzten Stunden dieser Nacht. Lantiers Wort weckte sie aus ihrer verschüchterten und ängstlichen Haltung.
»Du bist ungerecht, Lantier. Du weißt ganz gut, daß ich tue, was ich kann. Es ist nicht meine Schuld, daß wir hier sind ... Ich möchte dich mit den beiden Kindern in einem Raum sehen, der einen Ofen hat, um warmes Wasser zu kochen ... Du hättest uns, so wie du es versprochen hast, bei unserer Ankunft in Paris gleich installieren müssen, statt dein ganzes Geld aufzuessen.«
»Schau mal!« rief er, »du hast ganz gern mitgeschmaust; aber heute paßt es dir, auf die guten Bissen zu spucken!«
Sie schien ihn nicht zu hören und sprach weiter:
»Ja, mit etwas Courage könnte man noch zurechtkommen. Ich sah gestern abend die Frau Fauconnier, die Plätterin aus der Rue Neuve; sie nimmt mich am Montag. Wenn du dich mit deinem Freunde auf der Glacière zusammentust, kommen wir, ehe sechs Wochen vorüber sind, wieder über Wasser und können uns irgendwo ein Loch mieten, wo wir ganz für uns sein werden ... Man müßte arbeiten, arbeiten ...«
Lantier drehte sich gelangweilt auf die andere Seite; da wurde Gervaise böse.
»Ich weiß schon, mein Lieber, daß dich die Liebe zur Arbeit nicht umbringt. Du zerplatzt vor Ehrgeiz, möchtest wie ein Herr angezogen gehen und Dämchen in seidenen Röcken spazieren führen. Nicht wahr? Du findest mich nicht mehr gut genug, seitdem ich all meine Kleider ins Leihhaus tragen mußte ... Schau, August, ich wollte dir nichts darüber sagen, ich hätte noch gewartet, aber ich weiß, wo du die Nacht verbracht hast. Ich habe dich in den »Großen Balkon« gehen sehen mit diesem Schlampen, der Adele. Ja, du suchst sie dir gut aus! Die ist fein sauber; der steht's gut, die Prinzessinnenmiene anzunehmen, die hat doch schon mit dem ganzen Restaurant geschlafen!«
Mit einem Satz warf sich Lantier vom Bett herunter. In seinem blassen Gesicht wurden die Pupillen schwarz wie Tinte. So klein der Mensch auch war, in seinem Zorn raste er.
»Jawohl, mit dem ganzen Restaurant!« wiederholte die junge Frau. »Frau Boche wird ihnen kündigen, ihr und ihrer Schwester, dem großen Schragen, weil immer ein ganzer Schweif Männer auf der Treppe sind.«
Lantier hob die beiden Fäuste; aber er bezwang die Lust, sie zu schlagen, faßte sie an den Armen, schüttelte sie und warf sie auf das Bett der Kinder, die aufs neue anfingen zu schreien. Dann legte er sich wieder aufs Bett, und mit dem wilden Aussehen eines Mannes, der einen Entschluß faßt, vor welchem er noch zögerte, stieß er hervor:
»Du weißt nicht, was du soeben getan hast, Gervaise. Du bist im Unrecht, du wirst sehen.« Währenddem schluchzten die Kinder. Am Rande des Bettes zusammengesunken, hielt sie die Mutter umfangen; mit monotoner Stimme wiederholte sie dieselben Worte wohl zwanzigmal:
»Ah, wenn ihr nicht da wäret, meine armen Würmer, wenn ihr nicht da wäret, wenn ihr nicht da wäret! ...«
Lang ausgestreckt, die Augen nach oben auf den verblaßten Fetzen von Bettvorhang gerichtet, hörte Lantier nichts mehr und verfolgte seine Gedanken. So blieb er etwa eine Stunde liegen, ohne dem Schlaf nachzugeben, der seine müden Augenlider beschwerte. Als er sich umdrehte, auf den Ellbogen gestützt das harte und entschlossene Gesicht, beendete Gervaise das Aufräumen des Zimmers. Sie machte das Bett der Kinder, die sie eben angezogen hatte. Er sah, wie sie kehrte und die Möbel abstaubte; aber das Zimmer blieb schwarz, erbärmlich mit der verrauchten Decke, der durch die Feuchtigkeit herabhängenden Tapete, seinen drei Stühlen, der zerbrochenen Kommode, wo der Staub eigensinnig unter dem Abwischlumpen haften blieb.
Während sie sich nun plätschernd wusch, nachdem sie ihr Haar vor dem kleinen runden Spiegel, der ihm zum Rasieren diente, aufgesteckt hatte, schien er ihre nackten Arme, ihren Hals und alles Nackte, das sie sehen ließ, zu betrachten, als ob sich Vergleiche in seinem Hirn bewegten. Und seine Lippen verzogen sich. Gervaise hinkte auf dem rechten Fuß; aber man sah es kaum oder nur an Tagen großer Müdigkeit, wenn sie sich nicht zusammennahm, so wie heute, wo sie ein zerschlagenes Kreuz hatte. An diesem Morgen und nach dieser Nacht zog sie ihr Bein nach und mußte sich an der Mauer stützen. Ganz still war es nun, sie sprachen kein Wort mehr. Er schien zu warten. Sie schluckte ihren Schmerz, bemühte sich gleichgültig auszusehen und tat eilig. Als sie nun einen Packen schmutziger Wäsche zusammenband, die im Winkel hinter dem Koffer lag, tat er den Mund auf:
»Was machst du denn? ... Wo gehst du denn hin?« Sie antwortete nicht gleich. Als er wütend seine Frage wiederholte, entschloß sie sich:
»Du siehst es doch, nicht? Ich gehe das alles da waschen, die Kinder können nicht im Dreck leben.«
Er ließ sie zwei oder drei Taschentücher vom Boden aufheben. Nach einiger Zeit sagte er:
»Hast du Geld?«
Sofort richtete sie sich auf, schaute ihn an, ohne die schmutzigen Hemden der Kinder, die sie in der Hand hielt, loszulassen.
»Geld? Wo soll ich Geld gestohlen haben? Du weißt, daß ich vorgestern drei Francs für meinen schwarzen Rock bekommen habe. Zweimal haben wir damit gegessen ... Wurstzeug ist teuer ... Nein, auf mein Wort, ich hab kein Geld. Ich habe vier Sous für die Waschküche. Ich verdiene ja nicht wie gewisse Frauen.« Er kümmerte sich nicht um diese Anspielung. War vom Bett gestiegen und untersuchte die Lumpen, die noch im Zimmer herumhingen. Dann nahm er die Hose und den Schal, machte die Kommode auf, gab eine Unterjacke und zwei Frauenhemden dazu, warf ihr das Ganze auf den Arm, sagte:
»Da, trag das ins Leihhaus.«
»Soll ich nicht auch die Kinder hintragen? Herrgott ja; wenn man auf die Kinder leihen könnte, das wär eine famose Erleichterung.«
Sie trug alles ins Leihhaus. Als sie nach einer halben Stunde zurückkam, legte sie ein Fünffrancsstück auf den Kamin; die Quittung zu den andern zwischen die zwei Leuchter.
»Das haben sie mir gegeben. Ich wollte sechs Francs, aber es gelang nicht. Die in der Bude werden sich schon nicht ruinieren ... Und immer gesteckt voll mit Leuten.«
Lantier nahm nicht sogleich das Fünffrancsstück. Er hätte gern Kleingeld gehabt, um ihr etwas davon zu lassen. Als er aber auf der Kommode einen Rest Schinken in einem Papier und ein Stück Brot sah, entschloß er sich, das Geldstück in die Westentasche zu schieben.
»Ich habe mich nicht getraut, zur Milchfrau zu gehen,« erklärte Gervaise; »wir schulden ihr acht Tage. Aber ich werde bald zurück sein, hole inzwischen Brot und panierte Koteletten und dann frühstücken wir. Bring auch einen Liter Wein mit.«
Er sprach nichts. Der Friede schien wieder hergestellt. Die junge Frau machte ihr Bündel mit schmutziger Wäsche zurecht. Als sie aber die Hemden und Socken Lantiers aus der Tiefe des Koffers holte, schrie er sie an, sie solle das liegen lassen.
»Laß meine Wäsche, verstehst du! Ich will nicht!«
»Was willst du nicht?« fragte sie und richtete sich auf.
»Du denkst doch nicht daran, dieses dreckige Zeug nochmals anzuziehen? Man muß es doch waschen.«
Sie schaute auf ihn voll Unruhe, sie sah auf seinem hübschen Jungengesicht wieder dieselbe Härte, als ob ihn für die Zukunft nichts mehr beugen könnte. Er wurde böse, riß ihr die Wäsche aus der Hand und warf sie in den Koffer zurück.
»Zum Donnerwetter, folg doch endlich, wenn ich dir schon sage, daß ich nicht will!«
»Aber warum denn nur?« Sie wurde ganz blaß von einem schrecklichen Verdacht. »Du brauchst doch deine Hemden jetzt nicht, du gehst ja nicht fort ... Was kann dir denn daran liegen, wenn ich sie zum Waschen mitnehme?«
Er zögerte einen Augenblick unter den wilden Augen, die sie auf ihn heftete. »Warum, warum,« stotterte er. »Zum Teufel! du würdest überallherum erzählen, daß du mich erhältst, daß du für mich wäschst und flickst. Und das will ich nicht, basta! Tu du deine Arbeit, ich werde die meine tun... Die Wäscherinnen arbeiten nicht für die Hunde.«
Sie beschwor ihn, verteidigte sich, sie habe niemals sich über ihn beklagt. Er aber schloß den Koffer, setzte sich darauf und schrie, nein! und er wäre der Herr seiner Sachen!
Um ihren Blick nicht mehr sehen zu müssen, legte er sich wieder auf das Bett und sagte, er habe Schlaf, sie solle ihm nicht den Kopf noch mehr verrückt machen. Und diesmal schien er wirklich einzuschlafen.
Gervaise blieb eine Weile unentschlossen. Sie wollte mit dem Fuß das Wäschebündel wegschieben und sich an eine Näharbeit setzen. Die regelmäßigen Atemzüge Lantiers beruhigten sie. Sie nahm das Stück Seife und das Waschblau, das ihr noch von der vorigen Wäsche übriggeblieben war, ging zu den Kleinen, die still mit alten Korkstöpseln vor dem Fenster spielten, küßte sie und sagte leise zu ihnen:
»Seid recht brav, macht keinen Lärm. Papa schläft.«
Als sie das Zimmer verließ, hörte man nur das leise Lachen von Claude und Etienne im großen Schweigen unter der schwarzen Zimmerdecke. Es war zehn Uhr. Ein Sonnenstrahl kam durch das geöffnete Fenster.
Auf dem Boulevard bog Gervaise links ab, folgte der Rue Neuve de la Goutte d'Or. Im Vorbeigehen grüßte sie bei dem Laden der Frau Fauconnier. Das Waschhaus befand sich gegen die Mitte der Straße, da wo sie aufwärts ging. Im Unterstock des Gebäudes waren drei große Wasserreservoirs; genietete Zinkzylinder zeigten ihre grauen Rundungen, dahinter lag der Trockenboden, ein zwei Stock hoher Raum, von allen Seiten mit Läden umschlossen, deren schmale Jalousien die Luft durchließen; man konnte durch sie die Wäsche sehen, die an den gespannten Leinen trocknete. Rechts von den Wasserbehältern stieß das enge Rohr der Dampfmaschine den weißen Dampf in regelmäßigen heftigen Atemzügen aus. Ohne ihre Röcke hochzuheben, trat Gervaise durch das Tor, das vollgestellt war mit Kübeln voll Seifenwasser. Sie kannte die Besitzerin des Waschhauses, eine kleine zarte Frau mit kranken Augen, die in ihrem Glashaus saß, das Kontobuch vor sich, auf den Stellagen hinter ihr Seifenstücke, Waschblau in Gläsern und Pakete mit Soda. Im Vorbeigehen erhielt Gervaise ihren Schläger und die Bürste, die sie ihr nach der letzten Wäsche zum Aufbewahren gegeben hatte. Sie bekam ihre Nummer und trat ein.
Es war ein überaus großer Schuppen mit glatter Decke, gestützt von Säulen und umschlossen von breiten hellen Fenstern. Ein weißer Tag drang durch den weißen Dunst, der wie ein milchiger Nebel lag. Es tropfte aus schwerer Feuchtigkeit von der Decke, durchsetzt von dem faden Geruch der Seife. Durch die ganze Länge des Schuppens, zu beiden Seiten des Zinktroges in der Mitte, standen Frauen mit bis zur Schulter nackten Armen, nacktem Hals, die Röcke hoch geschürzt, unter denen farbige Strümpfe und Schnürstiefel hervorschauten. Sie schlugen heftig drauf los, lachten, beugten sich nach rückwärts, wenn sie ein Wort durch den Lärm schleuderten, beugten sich hinunter bis zur Tiefe der Zuber, in Schmutz wühlend, ausgelassen, durchnäßt, mit rotem dampfenden Fleisch. Überall, um sie herum, unter ihnen, floß Wasser; die Eimer mit heißem Wasser wurden geholt und ausgeleert auf einen Zug, die Wasserhähne mit kaltem Wasser standen offen; die Schläger dröhnten, das Schmutzwasser ausgewundener Wäsche, ganze Sümpfe und kleine Bäche Schaumwasser floß über die abschüssigen Fliesen. Und all dieses Geschrei, das regelmäßige Klopfen, das Geräusch des aus den Hähnen fließenden Wassers, diesen Gewitterlärm, der unter der nassen Decke erstickte, schien die Dampfmaschine zur Rechten, ganz weiß von überzogenem Tau, prustend und schnarchend ohne Unterlaß, mit tanzendem Gestampfe zu regulieren.
Gervaise ging mit kleinen Schritten und schaute nach rechts und links. Sie trug ihr Wäschebündel unter dem Arm, mit heraufgezogener Hüfte, hinkte stärker durch das Kommen und Gehen der Waschfrauen, die sie stießen.
»Hierher, meine Kleine!« schrie die grobe Stimme der Frau Boche.
Als die junge Frau ganz am Ende zur Linken bei ihr war, fing sie gleich an zu schwatzen, wobei sie wütend einen Socken bearbeitete.
»Stellen Sie sich da her, ich habe Ihnen den Platz aufgehoben. Ich brauche nicht mehr lang, Boche verdreckt seine Wäsche fast gar nicht ... Und Sie? Haben Sie lang zu tun? Ihr Paket ist ja recht klein. Bis Mittag sind wir fertig, dann können wir frühstücken gehen ... Ich habe meine Wäsche einmal einer Wäscherin in der Rue Poulet gegeben. Aber sie hat mir alles verdorben mit Chlor und harten Bürsten. Jetzt wasche ich selber ... Das gewinnt man dabei. Es kostet nur die Seife ... Halt, das sind Hemden, die Sie hätten einweichen müssen. Meiner Seel, diese kleinen Kinder, das hat wahrhaftig Ruß am Hintern.«
Gervaise hatte ihr Paket geöffnet und die Kinderhemden herausgelegt. Als jedoch Frau Boche ihr riet, einen Eimer Lauge zu nehmen, sagte sie: »Ach nein, heißes Wasser genügt, ich kenne das.«
Sie breitete die Wäsche aus; die farbige legte sie zur Seite. Als sie ihren Zuber mit vier Eimern kaltem Wasser gefüllt hatte, das sie am Hahn hinter ihr holte, weichte sie die weiße Wäsche ein; ihren Rock zwischen den Beinen hochgezogen, trat sie in die aufrechte Kiste, die ihr bis zum Leib reichte.
»Das Waschen verstehen Sie, nicht?« schrie die Boche; »Sie waren Wäscherin in Ihrer Heimat, Kleine?«
Mit zurückgeschlagenen Ärmeln zeigte Gervaise die schönen Arme einer Blondine, die kaum rosig an den Ellbogen und noch ganz jung waren. Sie begann ihre Wäsche zu entfalten. Sie legte ein Hemd auf das schmale Brett der Holzraspel, das durch den vielen Gebrauch ganz verschabt und gebleicht war, rieb auf der einen Seite, drehte es um und rieb es auf der andern. Ehe sie antwortete, nahm sie den Schläger und fing an zu klopfen, ihre Antworten wie durch die gleichmäßigen Schläge bekräftigend.
»Ja, ja, Wäscherin... Mit zehn Jahren... Zwölf Jahre sind es her... Wir gingen an den Fluß... da roch es besser als hier... Das müßten Sie sehen... es war ein Winkel unter Bäumen... mit klarem laufenden Wasser. Wissen Sie, in Plassans... Sie kennen Plassans? ... bei Marseille?«
»Das nenne ich arbeiten,« rief Frau Boche entzückt über die hartgeführten Schläge des Klopfens. »Was für ein Weibstück, Sie würden mit ihren kleinen Frauenarmen Eisen platt schlagen!«
Die Unterhaltung wurde sehr laut geführt. Die Hausmeisterin mußte sich manchmal herüberbeugen, um zu hören. Die ganze weiße Wäsche wurde fest geschlagen. Gervaise tauchte alles in den Zuber, nahm ein Stück nach dem andern heraus, seifte es ein und bürstete es. Mit einer Hand hielt sie das Stück an der Raspel fest, mit der andern die kurze Bürste und bürstete damit schmutzigen Schaum heraus, der in Strähnen floß. Beim Geräusch der Bürste näherten sie sich einander und sprachen Intimeres.
»Nein, wir sind nicht verheiratet,« sagte Gervaise. »Ich mach kein Hehl daraus. Lantier ist nicht so liebenswürdig, daß man seine Frau sein möchte. Wenn die Kinder nicht wären! Ich war vierzehn Jahre alt und er achtzehn, als unser erstes kam. Das andere vier Jahre später ... Das kam, wie das immer kommt, Sie wissen ja. Ich war nicht glücklich zu Hause. Vater Macquart für nichts und wieder nichts gab mir Fußtritte in den Bauch. Dann denkt man natürlich daran, anderwärts sich zu vergnügen ... Man wollte uns verheiraten, aber, was weiß ich, unsere Eltern wollten nicht.«
Sie beutelte ihre Hände ab, die sich unter dem weißen Schaum löteten.
»Das Wasser ist sehr hart in Paris«, sagte sie.
Frau Boche wusch nur noch langsam. Sie machte Pausen, ließ sich Zeit zum Einseifen, nur um dazubleiben; denn seit vierzehn Tagen quälte sie die Neugierde, diese Geschichte zu hören. Ihr Mund stand halb offen im dicken Gesicht, ihre Augen, groß wie Blumentöpfe, leuchteten. Sie dachte, mit der Genugtuung, erraten zu haben:
Das ist's, die Kleine erzählt zu viel. Es hat Streit gegeben.
Dann ganz laut:
»Ist er denn nicht nett?«
»Reden wir nicht davon!« sagte Gervaise. »Dort unten, daheim war er sehr gut zu mir; aber seitdem wir in Paris sind, kann ich nicht mehr mit ihm auskommen ... Sie müssen wissen, seine Mutter starb letztes Jahr; sie hat ihm ungefähr siebzehnhundert Francs hinterlassen. Er wollte durchaus nach Paris. Da der Vater immer noch schnell dabei war, mir Ohrfeigen zu geben, ohne zu achten, wohin sie fielen, willigte ich ein, mit ihm zu gehen. Wir haben die Reise mit den beiden Kindern gemacht. Er wollte mich bei einer Büglerin unterbringen und selbst in seinem Fach als Hutmacher arbeiten. Wir hätten können sehr glücklich sein ... Aber, sehen Sie, Lantier ist ehrgeizig und verschwenderisch; er denkt nur an sein Vergnügen. Er ist nicht viel wert ... Wir stiegen im Hotel Montmartre in der Rue Monmartre ab. Da gab es Essereien, Theater, Wagenfahrten, eine Uhr für ihn, ein seidenes Kleid für mich; er hat ja ein gutes Herz, wenn er Geld hat. Sie verstehen, all den Klimbim. Nach zwei Monaten hatten wir nichts mehr. Damals zogen wir ins Hotel Boncoeur, und da fing das verfluchte Leben an.«
Hier unterbrach sie sich plötzlich, weil ihr die aufsteigenden Tränen den Hals zuzogen. Sie war mit dem Bürsten fertig.
»Ich muß mein warmes Wasser holen.«
Frau Boche war mit dieser Stockung inmitten den Vertraulichkeiten unzufrieden und rief den dienenden Burschen, der vorüberging.
»Liebes Karlchen, es wäre sehr nett, wenn du für Madame einen Eimer warmes Wasser bringen würdest, sie hat Eile.«
Der Bub nahm den Eimer und brachte ihn gefüllt zurück. Gervaise bezahlte ihn; es kostete der Eimer einen Sou. Sie schüttete das warme Wasser in den Kübel und seifte die Wäsche ein letztesmal ein, mitten in einem Dampf, der ihre blonden Haare wie mit grauen Rauchfäden überzog.
»Aber nehmen Sie doch die Soda, ich hab welche hier«, sagte zuvorkommend die Hausmeisterin.
Und sie leerte eine Tüte mit Soda über Gervaises Zuber aus. Sie bot ihr auch Blauwasser an; aber die junge Frau dankte; das wäre nur gut für Fettflecken und Weinflecken.
»Ich glaube, er läuft gern hinter den Weibern her«, nahm Frau Boche die Unterhaltung wieder auf, ohne Lantiers Namen zu nennen. Gervaise, die gebeugt stand und die Hände in der Wäsche hatte, begnügte sich die Schultern zu schütteln.
»Ja, ja,« fuhr die andere fort, »ich habe so einiges bemerkt...«
Aber sie nahm es wieder zurück vor der schnellen Bewegung Gervaises, die ganz blaß geworden in die Höhe schnellte und sie anstarrte.
»Aber nein, ich weiß von gar nichts! ... Er lacht halt gern, glaube ich, das ist alles... So mit den beiden Mädchen, die bei uns wohnen, Adele und Virginie, Sie kennen sie ja, mit denen scherzt er halt und es geht gewiß nicht weiter, ich bin fest davon überzeugt.«
Immer noch stand die junge Frau aufrecht vor ihr, mit schweißbedecktem Gesicht, triefenden Armen, und starrte sie an. Da wurde die Hausmeisterin ärgerlich, schlug sich mit der Faust auf die Brust und gab ihr das Ehrenwort:
»Ich weiß von nichts, so wie ich Ihnen sagte!«
Dann wieder ruhiger und mit einer Stimme wie zu einer Person, der die Wahrheit nicht paßt:
»Ich muß sagen, ich finde, daß er so aufrichtige, ehrliche Augen hat ... er wird Sie sicher heiraten, Kleine, das kann ich Ihnen sagen!«
Gervaise putzte sich mit der nassen Hand die Stirn ab; darauf zog sie wieder ein Stück Wäsche aus dem Wasser und schüttelte die Schultern. Einen Augenblick blieben beide still. Um sie herum wurde es auch stiller. Es schlug elf Uhr. Die Hälfte der Wäscherinnen saß mit einem Bein auf dem Zuber, sie hatten einen Liter Wein aufgehockt zu ihren Füßen stehen und aßen Wurst in ausgehöhltem Brot dazu. Nur die Hausfrauen, die kamen, um ganz kleine Pakete Wäsche zu waschen, beeilten sich, das Auge auf der großen runden Uhr, die über dem Bureau hing. Noch hörte man da und dort den Schlägel, weiter unten gedämpftes Lachen und Unterhaltung, die unter dem Geräusch schmatzender Kiefer geführt wurde, während die Dampfmaschine ihren Trab ging ohne Ruhe noch Ermüden. Schnaufend und schnarchend, schien ihre Stimme zu wachsen und den weiten Raum zu füllen. Aber keine der Frauen hörte sie; es war wie die Atmung selbst des Waschhauses, ein glühender Atem, der sich in wallendem Brodem unter den Balken der Decke zusammenbaute. Die Hitze wurde unerträglich; die Sonne stach links zu den hohen Fenstern herein, leuchtete durch die rauchenden Dämpfe, die opalisierten von feinstem Graurosa bis Graublau. Als nun darüber Klagen laut wurden, zog Karlchen, von einem Fenster zum andern gehend, Vorhänge von grobem Leinen vor; darauf ging er auf die andere Seite, die Schattenseite, und öffnete die Klappfenster. Man rief ihm zu, klatschte mit den Händen, eine große Heiterkeit wurde laut. Bald hörten die letzten Schläger auf. Mit vollem Munde machten die Wäscherinnen nur noch Bewegungen mit dem Messer, das sie in der Faust hielten. So tief wurde das Schweigen, daß man das regelmäßige Knirschen der Schaufel des Heizers am andern Ende hörte, der die Kohlen in den Ofen der Maschine warf.
Gervaise wusch ihre farbige Wäsche in warmem Wasser voll Seifenschaum, das sie aufgehoben hatte. Damit fertig, holte sie ein Dreibein und warf alle Stücke darüber; bläuliche Pfützen liefen zu Boden. Dann begann sie zu spülen. Hinter ihr stand ein am Boden befestigter großer Trog, in den aus einem Hahn kaltes Wasser floß; zwei Querbalken dienten dazu, die Wäsche aufzunehmen. Oberhalb wieder liefen abermals zwei Balken, die zum Trockenlegen der Wäsche bestimmt waren.
»Nun sind wir bald fertig und werden nicht unglücklich darüber sein,« sagte Frau Boche. »Ich bleibe noch, um Ihnen auswinden zu helfen.«
»Ach, machen Sie sich keine Mühe, ich danke Ihnen,« sagte die junge Frau, die mit ihren Fäusten die farbige Wäsche im klaren Wasser schwenkte. »Ja, wenn es Leintücher wären, würde ich nichts dagegen haben.«
Sie mußte aber doch die Hilfe der Hausmeisterin annehmen. Sie wanden zu zweien, jede an einem Rock aus schlechter brauner Wolle, aus dem eine gelbliche Brühe herauskam, als plötzlich die Boche ausrief:
»Da schau her! die lange Virginie! ... was kommt die denn daher? Ihren Plunder zu waschen, den sie in ein Taschentuch eingewickelt hat?«
Gervaise hob lebhaft den Kopf. Virginie war ein Mädchen ihres Alters, etwas größer als sie, braun, ganz hübsch trotz ihres etwas langen Gesichtes. Sie trug einen alten schwarzen Rock mit Volants und ein rotes Band um den Hals; sie war sehr sorgfältig gekämmt, der Knoten in einem blauen Chenillenetz gehalten. Einen Augenblick lang zwinkerte sie mit den Lidern, mitten im Raum stehend, so, als ob sie etwas suchte. Als sie Gervaise sah, kam sie heran, steif, unverschämt sich in den Hüften wiegend, und installierte sich in dieselbe Reihe, fünf Zuber weiter entfernt.
»Das ist eine Idee!« fuhr Frau Boche in leisem Tone fort. »Niemals noch hat sie auch nur ein paar Manschetten eingeseift. Das ist eine Faulenzerin, sag ich Ihnen! Eine Schneiderin, die nicht einmal ihre Pantoffel flickt! Genau wie ihre Schwester, die Plätterin, diese ordinäre Adele, die von drei Tagen durch zwei nicht in die Arbeit geht! Das hat weder Vater noch Mutter je gekannt, lebt – man weiß nicht wovon. Ja, wenn man sprechen wollte... Was bürstet sie denn dort? Einen Unterrock? Der ist schön dreckig, der muß ja so manches schon gesehen haben, der Jupon!«
Frau Boche wollte offenbar Gervaise eine Freude machen. Wahrheit ist, da sie oft Kaffee mit Adele und Virginie trank, wenn die Mädeln Geld hatten. Gervaise antwortete nicht, beeilte sich mit fiebrigen Händen. Sie hatte eben ihr Blauwasser in einem kleinen Kübel zurecht gemacht, der auf einem Dreibein stand. Während dieser ganzen Zeit tat sie so, als ob sie Virginie den Rücken kehrte. Aber sie hörte ihr Gekicher und fühlte ihre bösen Blicke. Virginie schien nur deshalb gekommen zu sein, um sie herauszufordern. Einen Augenblick lang drehte sich Gervaise um, die beiden fixierten sich.
»Lassen Sie sie doch,« brummte Frau Boche. »Sie werden sich doch nicht bei den Haaren packen wollen... Wenn ich Ihnen sage, es ist nichts daran! Sie ist es doch nicht, die da!«
Jetzt, als sie gerade das letzte Stück Wäsche hielt, hörte man an der Tür des Waschhauses lachen.
»Diese zwei Fratzen fragen nach der Mama!« rief der Karl.
Alle Frauen sahen hin. Gervaise erkannte Claude und Etienne. Als sie sie erblickten, sprangen sie auf sie zu, mitten durch die Lachen, mit den Absätzen auf den Fliesen klappernd und mit ihren ungebundenen Schuhen. Die Wäscherinnen, an denen sie vorbei kamen, liefen ihnen kleine zärtliche Scherzworte zu, als sie sahen, daß sie etwas erschreckt waren und doch lächelten. So blieben sie vor ihrer Mutter stehen, mit ihren blonden Köpfen, ohne sich loszulassen.
»Schickt euch Papa?« fragte Gervaise.
Als sie sich bückte, um Etiennes Schuhe zu binden, sah sie am Finger Claudes den Zimmerschlüssel hängen mit dem Kupferschildchen und der Nummer darauf.
»Du bringst mir den Schlüssel?« sagte sie erstaunt; »warum denn?«
Das Kind hatte offenbar den Schlüssel ganz vergessen, jetzt erinnerte es sich und schrie mit Heller Stimme:
»Papa ist fort.«
»Er holt das Frühstück und hat euch hergeschickt, mich zu holen?«
Claude schaute nach seinem Bruder, zögerte, wußte nicht recht. Dann sagte er in einem Zuge:
»Papa ist fort... Er ist vom Bett gesprungen, er hat alles in den Koffer gepackt, hat ihn hinuntergetragen auf einen Wagen... Er ist fort.«
Gervaise, die noch gebückt war, erhob sich langsam, das Gesicht weiß, legte die Hände auf Wangen und Schläfe, als ob ihr der Kopf platzen würde; sie fand keine Worte, zwanzigmal wiederholte sie in demselben Ton:
»Mein Gott... mein Gott... mein Gott.«
Frau Boche war ganz begeistert, in diese Geschichte verwickelt zu sein; sie fragte nun das Kind aus.
»Weißt du, Kleiner, man muß die Dinge richtig sagen... Er hat die Türe geschlossen und hat dir gesagt, du sollst den Schlüssel bringen, nicht wahr?«
Leise fragte sie in das Ohr Claudes hinein:
»War eine Dame im Wagen?«
Wieder wurde das Kind verlegen. Nochmals erzählte es seine Geschichte triumphierend:
»Er sprang vom Bett, tat alle Sachen in den Koffer, er ist fort...«
Als Frau Boche ihn losließ, zog er seinen Bruder zum Wasserhahn und beide amüsierten sich damit, das Wasser laufen zu lassen.
Gervaise konnte nicht weinen. Sie meinte zu ersticken, mit den Hüften gegen den Zuber gelehnt, das Gesicht immer noch mit den Händen bedeckt. Kurze Schüttelfrostanfälle durchzuckten sie. Von Zeit zu Zeit aufstöhnend, ihre Fäuste immer tiefer in die Augen bohrend, als wollte sie sich in das Schwarz ihrer Verzweiflung stürzen. Ihr war, als wäre sie in ein finsteres Loch gefallen.
»Na, na, Kleine!« sagte die Boche.
»Wenn Sie wüßten! wenn Sie wüßten!« sagte sie endlich leise. »Heute morgen, noch hat er mich ins Leihhaus mit meinem Schal und Hemden geschickt, um diesen Wagen bezahlen zu können...«
Und sie weinte. Die Erinnerung an diesen Morgen, daß er sie ins Leihhaus geschickt hatte, erstickte sie fast.
Diesen Weg, den sie gehen mußte, empfand sie als tiefste Entwürdigung und ihr verzweifelter Schmerz wurde noch größer. Tränen rannen ihr über Wangen und Kinn, die ihre feuchten Hände ohnehin schon naß gemacht hatten; sie dachte nicht einmal daran, ein Taschentuch zu nehmen.
»Seien Sie doch vernünftig, seien Sie doch still, man schaut nach Ihnen«, wiederholte Frau Boche, die sich um sie bemühte.
»Ist es denn die Möglichkeit, daß man sich einem Manne zuliebe so abhärmt! Sie haben ihn also noch immer gern gehabt, wie? Mein armes kleines Frauerl. Gerad waren Sie noch sehr bös auf ihn, und jetzt weinen Sie, daß Ihnen fast das Herz bricht... Mein Gott, wie dumm wir Frauen doch sind!«
Sie zeigte sich ganz mütterlich. »Eine hübsche kleine Frau wie Sie! Ist das erlaubt? Jetzt kann man Ihnen ja wohl alles erzählen? Also erinnern Sie sich, als ich unter Ihrem Fenster vorbeikam, da ahnte ich schon was... Diese Nacht, als Adele nach Hause kam, hörte ich einen Männerschritt hinter ihr. Das wollte ich doch wissen, und so schaute ich auf die Treppe hinaus. Der Mann war schon auf dem zweiten Stock, aber ich habe den Überzieher des Herrn Lantier erkannt. Boche, der aufpaßte, hat ihn heute morgen ruhig heruntergehen sehen... Das war mit Adele, verstehen Sie! Virginie, die hat jetzt einen Herrn, zu dem sie zweimal in der Woche geht. Aber so ganz sauber ist die Sache nicht, denn die zwei Mädeln haben nur ein Zimmer und einen Alkoven, und ich kann mir nicht denken, wo Virginie währenddem geschlafen hat.«
Sie unterbrach sich einen Augenblick, um sich umzudrehen; dann sagte sie leise mit ihrer groben Stimme:
»Sie lacht, weil Sie weinen, diese herzlose Person da drüben. Ich lege meine Hand ins Feuer, daß ihre ganze Seiferei nur ein Vorwand ist. Sie hält es mit den andern und ist nur hergekommen, um zu sehen, was Sie für ein Gesicht dazu machen.«
Gervaise tat ihre Hände von den Augen. Als sie Virginie mit drei, vier Frauen, zu denen sie leise sprach, vor sich sah, wurde sie von einem tollen Zorn gepackt. Mit den Armen suchte sie am Boden, drehte sich um, ging ein paar Schritte, traf auf einen vollen Eimer, packte ihn mit beiden Händen und leerte ihn mit ganzer Kraft aus.
»Du Kamel!« schrie die lange Virginie.
Sie war zurückgesprungen, und nur ihre Stiefel wurden naß. Das ganze Waschhaus, durch die Tränen der jungen Frau schon rebellisch gemacht, drängte hinzu, um der Schlacht zuzusehen. Wäscherinnen, die gerade mit dem Brotessen fertig waren, stiegen auf die Kübel. Andere liefen mit schaumigen Händen herbei. Es bildete sich ein Kreis.
»Das Kamel, was fällt ihr denn ein, dieser tollen Person!« wiederholte die lange Virginie.
Gervaise, das Kinn vorgestreckt, das Gesicht gerötet, antwortete nichts; sie hatte noch nicht das freche Maul von Paris.
Die andere aber:
»Natürlich! So was ist müd, sich in der Provinz herumzukugeln. Das hat noch nicht zwölf Jahre und dient schon als Matratze für die Soldaten. Ein Bein ist ihr in ihrer Heimat abgefault.«
Man lachte. Virginie sah ihren Erfolg, kam zwei Schritte naher, reckte ihre lange Figur und schrie noch lauter:
»Komm doch näher, daß ich dir deine Sache besorge! Du brauchst wirklich nicht daherzukommen, um uns anzuöden, verstehst du? Ich kenn' doch dein Fell! Hätt' sie mich getroffen, ich hätte ihr die Röcke schön hochgehoben und ihr hättet was zu sehen bekommen. Sie soll doch sagen, was ich ihr getan hab... Sag doch, du, was hat man dir denn getan? He?«
»Reden Sie doch nicht so viel,« stotterte Gervaise... Sie wissen ganz gut ... man hat gestern abend meinen Mann gesehen... Schweigen Sie, weil ich Sie sonst erwürge!«
»Ihren Mann! Ah, die ist gut; der gnädigen Frau ihren Mann! Als ob man mit einem solchen Gestell schon Männer hätte! ... Ist nicht meine Schuld, daß er dich versetzt hat. Hab ihn dir nicht gestohlen. Man kann mich durchsuchen... Soll ich es dir sagen, du hast ihn vergiftet, den Mann! Er war zu nett für dich... Er hatte doch wenigstens sein Halsband um, was? Wer hat den Gatten der Madame da gefunden? Es gibt eine Belohnung...«
Wieder wurde gelacht. Gervaise sagte mit leiser Stimme immerfort:
»Sie wissen ganz gut, Sie wissen ganz gut... Es ist Ihre Schwester, ich werde Ihre Schwester erwürgen...«
»Ja,« höhnte Virginie, »reib dich nur an meiner Schwester! Jawohl, es ist meine Schwester! Leicht möglich, meine Schwester hat einen andern Schick als du... Aber geht mich das etwas an? Kann man denn nicht einmal mehr seine Wäsche ruhig waschen? Laß mich in Ruh, verstehst du, jetzt ist's genug.«
Und sie kam immer wieder darauf zurück, nachdem sie fünf, sechs Schläge auf die Wäsche gegeben hatte; trunken und außer sich über die Beleidigungen, fing sie dreimal wieder von neuem an:
»Ja, gewiß, ja, es ist meine Schwester... Bist du jetzt zufrieden? Man muß nur sehen wie die zwei sich gern haben. Man muß nur sehen, wie sie sich abschlecken! ... Und dich hat er mit seinen Bankerten versetzt! Schöne Kinder das, voller Krätze im Gesicht! Eines ist doch von einem Gendarmen, nicht? Und drei andere hast du krepieren lassen, um kein übermäßiges Gepäck hierher zu haben... Dein Lantier hat uns das erzählt. Oh, er erzählt schöne Sachen, er hat genug von deinem Gestell!«
»Luder! Luder! Luder!« heulte Gervaise, außer sich. Wieder drehte sie sich um, suchte auf dem Boden, und da sie nichts anderes fand, nahm sie den kleinen Kübel mit Waschblau und goß das ganze Wasser Virginie ins Gesicht.
»Das Schwein! Sie hat mir das ganze Kleid ruiniert,« schrie Virginie und hatte eine nasse Schulter und die linke Hand blau gefärbt. »Na warte, du Mensch!«
Ihrerseits ergriff sie einen Eimer und leerte ihn über die junge Frau. Jetzt hub eine wahrhaftige Schlacht an. Sie sprangen längs der Zuber, ergriffen alle Kübel, deren sie habhaft werden konnten, und warfen sie sich an den Kopf. Jeder Wurf wurde von Ausrufen begleitet. Auch Gervaise gab nun Antworten.
»Da, du Drecksau!... Den hast du ordentlich bekommen, das wird dir deinen Arsch abkühlen!«
»Ah, die Sau! Da hast du was für deine Speckschwarte! Wasch dich so einmal in deinem Leben!«
»Ja ich will dich einsalzen, du langer Stockfisch.«
»Da noch einen voll!... Spül deine Zähne, mach Toilette für den Abend an der Ecke der Rue Belhomme, Hurenmensch!«
Jetzt füllten sie ihre Eimer an den Wasserhähnen, und während sie volliefen beschimpften sie sich. Die ersten Eimer trafen sie kaum. Doch erhielt Virginie endlich den ersten so, daß ihr das Wasser in den Hals hinein und hinunter und über den Rücken lief und wieder unten bei den Kleidern herauspißte. Sie war noch ganz verstört, als ein zweiter Eimer Wasser sie von der Seite traf; ihr durchnäßter Chignon löste sich wie eine Schnur. Gervaise bekam den ersten Eimer auf die Beine; ihre Schuhe füllten sich mit Wasser bis an die Waden; zwei andere durchnäßten sie bis an die Hüften.
Bald konnte man die Wasserschwälle nicht mehr unterscheiden. Beide troffen vom Kopf bis zu den Füßen, die Blusen lagen festgeklebt am Leibe, die Röcke auf den Hüften – mager, steif, zitternd und triefend wie Regenschirme bei einem Platzregen sahen sie aus. »Zum Totlachen!« rief die heisere Stimme einer Wäscherin.
Das ganze Waschhaus unterhielt sich glänzend. Man war zurückgetreten, um nicht überschüttet zu werden. Geklatscht wurde und Spottworte flogen auf inmitten all des Lärmes der geschleuderten Eimer. Auf dem Boden waren Seen entstanden, darin die beiden Frauen bis zu den Knöcheln patschten. Virginie sann auf eine Schurkerei; sie stürzte sich auf einen von einer Nachbarin zurückgelassenen Eimer mit kochendem Wasser und schleuderte ihn. Ein Schrei! Man glaubte Gervaise wäre verbrannt. Sie hatte aber nur den linken Fuß leicht verbrüht. Durch den Schmerz außer sich, nahm sie diesmal einen ungefüllten Eimer und schleuderte ihn Virginie zwischen die Füße, so daß sie hinfiel. Alle Waschfrauen schrien zugleich:
»Sie hat ihr ein Bein gebrochen!«
»Aber die andere wollte sie abbrühen.«
»Die Blonde hat recht! Man hat ihr ihren Mann nehmen wollen!«
Frau Boche stieß die Arme zum Himmel hoch und jammerte. Sie hatte sich vorsichtig zwischen zwei Waschzuber gestellt; und die Kinder, Claude und Etienne, weinten, schluchzten, hingen sich an den Rock mit immerwährendem Geschrei: »Mama, Mama!« Als Frau Boche Virginie am Boden liegen sah, lief sie herbei, zog Gervaise an den Röcken und sagte:
»Gehen Sie doch schon und seien Sie vernünftig! Mir ist das Blut erstarrt, meiner Seel! Hat man denn schon einmal so was gesehen!«
Aber schon sprang sie wieder zurück, flüchtete mit den Kindern hinter die Zuber. Denn Virginie sprang eben Gervaise würgend an den Hals. Diese aber machte sich mit einem Ruck frei, hing sich ihrerseits an Virginies Zopf, als wollte sie ihr daran den Kopf herunterreißen. Die Schlacht begann von neuem. Diesmal stumm, ohne Schrei, ohne Wort. Sie nahmen sich nicht um den Leib, aber sie stießen sich die Nägel ins Gesicht, packten, zwickten, zerkratzten mit den Händen, was sie erwischen konnten. Das rote Band und das blaue Chenillenetz wurden heruntergerissen; die Taille sprang auf, zeigte Fleisch, eine ganze Schulter wurde sichtbar, während der Blonden ein Ärmel der Jacke herausgerissen wurde, sie wußte nicht wie, so daß ein nackter Spalt in der Taille sichtbar wurde. Stoffetzen flogen. Bei Gervaise floß zuerst Blut. Sie hatte drei Kratzer unterhalb des Mundes zum Kinn hin; um ihre Augen zu schützen, machte sie sie bei jedem Schlag zu, aus Angst, sie herausgerissen zu bekommen. Virginie blutete noch nicht. Gervaise zielte nach ihren Ohren und wurde ganz wild, daß sie sie nicht zu fassen bekam; endlich erwischte sie einen Ohrring, eine Birne aus grünem Glas; sie zog, spaltete das Ohr; das Blut floß.
»Sie bringen sich um! Trennt doch die Meerkatzen«, riefen mehrere Stimmen.
Die Wäscherinnen traten näher. Zwei Parteien bildeten sich. Die einen hetzten die beiden Frauen wie Hunde, die sich balgen; andere wieder, nervösere, standen zitternd, bogen die Köpfe ab, hatten genug, sagten, daß sie ganz krank davon würden. Fast wäre es zu einer allgemeinen Schlacht gekommen; erbarmungslos beschimpfte man sich schon, reckte die nackten Arme, drei Ohrfeigen fielen.
Frau Boche ging den Jungen des Waschhauses suchen.
»Karl! Karl! Wo steckt er denn?«
Sie fand ihn auf dem ersten Stock mit gekreuzten Armen zuschauend. Er war ein großer Bursch mit starkem Nacken. Er lachte und genoß das nackte Fleisch, das die Frauen sehen ließen. Die kleine Blonde war ja fett wie eine Wachtel. Ein Genuß, wenn ihr das Hemd platzte!
»Schau, schau,« sagte er und kniff das Auge ein, »sie hat ein Muttermal unter dem Arm.«
»Da stehen Sie!« schrie Frau Boche, als sie ihn sah. »Helfen Sie doch, sie auseinanderbringen! ... Sie könnten sie doch trennen.«
»Ich danke! Was geht denn das mich an?« sagte er ganz ruhig. »Damit man mir die Augen zerkratzt wie neulich einmal, nicht? Dafür bin ich nicht angestellt, ich hab Arbeit genug. Übrigens, haben Sie keine Angst, Mutter Boche, das tut denen nur gut, so ein kleiner Aderlaß, das macht sie sanfter.«
Daraufhin erklärte die Hausmeisterin, sie würde die Polizei holen. Aber die Besitzerin des Waschhauses, die zarte junge Frau mit den kranken Augen, war durchaus dagegen, wiederholte einigemal:
»Nein, nein, das will ich nicht, das kompromittiert mein Geschäft.«
Und drunten ging der Kampf weiter. Mit einem Ruck erhob sich Virginie auf die Knie. Sie packte einen Schlägel und schwang ihn hoch. Mit ganz veränderter Stimme röchelte sie:
»So eine Hundesau! Warte!«
Rasch packte Gervaise ebenfalls einen Schlägel und hielt ihn wie eine Keule. Auch sie hatte eine ganz heisere Stimme.
»Du willst also große Wäsche? ... Sollst sie haben! Her mit deiner Haut, damit ich Fetzen daraus mache!«
Einen Augenblick lang blieben sie in dieser knieenden Stellung sich bedrohend. Die Haare im Gesicht, mit keuchender Brust, verdreckt, durchnäßt, beobachteten sie sich, wartend, um wieder Luft zu gewinnen. Gervaise führte den ersten Streich; der Schlägel traf Virginiens Schulter. Sie warf sich zur Seite, um dem Schlägel der andern zu entgehen, der sie an der Hüfte streifte. Endlich im Zug, schlugen sie sich so, wie die Wäscherinnen ihre Wäsche schlagen, fest und im Takt. Wenn sie trafen, dämpfte sich der Schlag; es klang wie Schlage auf Wasser in einem Kübel.
Es lachten die Wäscherinnen nicht mehr. Einige waren davongelaufen, weil es ihnen, wie sie sagten, den Magen umdrehe. Die andern, die geblieben waren, streckten die Hälse mit vor Grausamkeit leuchtenden Augen, fanden diese zwei Weiber famos. Frau Boche hatte Claude und Etienne ans andere Ende weggeführt; man hörte ihr Schluchzen, vermischt mit dem Aufschlagen der beiden Klopfer.
Plötzlich heulte Gervaise auf. Virginie hatte sie heftig auf den bloßen Arm oberhalb dem Ellbogen getroffen; sofort schwoll das Fleisch an und ließ einen roten Fleck sehen. Nun warf sie sich vor. Man dachte, sie würde die andere erschlagen.
»Genug! Genug!« wurde geschrien.
Sie hatte ein so schreckliches Gesicht, daß niemand sich ihr zu nähern wagte. Mit verdoppelten Kräften packte sie Virginie bei der Taille, bog sie zusammen, mit dem Gesicht auf die Fliesen gedrückt, die Hüften in der Luft; trotz der Gegenstöße hob sie ihr die Röcke hoch. Darunter war eine Hose. Sie steckte ihre Hand in den Schlitz, riß ihn auf und zeigte alles, Schenkel nackt, Hintern nackt. Mit erhobenem Schlägel fing sie an darauflos zu dreschen, wie sie ehmals in Plassans am Ufer der Viorne darauflos schlug, wenn sie die Wäsche der Soldaten aus der Garnison wusch. Das Holz gab nach im Fleisch, mit einem weichen feuchten Geräusch. Mit jedem Schlag wurde ein roter Striemen auf dem weißen Fleisch sichtbar. Karl pfiff leise durch die Lippen, ganz entzückt und mit langgestielten Augen.
Wieder hub das Gelächter an, aber auch das Geschrei: »Genug, genug!« Gervaise hörte nichts, wurde nicht müde. Sie schaute auf ihre Arbeit, gebeugt, beschäftigt, keine Stelle trocken zu lassen. Sie wollte diese ganze Haut zerpracken, mit Striemen versehen. Und dabei trällerte sie, von einer tollen Lustigkeit gepackt, in Erinnerung an ein Wäscherinnenlied:
»Patsch, patsch, Margot wäscht die Wäsche. Patsch, patsch, die Wäsche kriegt die Dresche. Margot wäscht ihr Herz, patsch. Das ist schwarz vor Schmerz, patsch.«
Und fuhr fort:
»Das ist für dich, das ist für deine Schwester, das für Lantier... Wenn du sie wieder siehst, gibst du ihnen... Paß auf, ich fang von vorne an... Das ist für Lantier, das für deine Schwester, das für dich... Patsch, patsch! Margot im Waschhaus, patsch, patsch!«
»Dresche! Dresche!«
Man mußte ihr Virginie aus den Händen reißen. Die große Braune, das Gesicht unter Tränen, purpurrot vor Scham und Wut, nahm ihre Wäsche auf und floh; sie war besiegt. Gervaise schlüpfte in den Ärmel ihrer Jacke, heftete ihre Röcke fest. Ihr Arm tat ihr weh, sie bat Frau Boche, ihr die Wäsche auf die Schulter zu legen.
Die Hausmeisterin erzählte den Hergang der Schlacht und ihre Empfindungen dabei, sagte, sie wolle nachschauen.
»Sie haben vielleicht etwas gebrochen, ich hörte so einen Knacks...« Aber die junge Frau wollte fort. Sie sagte nichts auf die Bekräftigungen und Belobigungen der schwätzenden Waschweiber, die sie umgaben, aufrecht dastanden in ihren Schürzen. Beladen erreichte sie die Türe, wo die Kinder sie erwarteten.
»Zwei Stunden, das macht zwei Sous«, sagte die Besitzerin des Waschhauses, die wieder in ihrem Glaskasten saß.
»Wofür zwei Sous?« Sie verstand nicht mehr, daß man von ihr den Preis für den Platz verlangte. Dann gab sie ihre zwei Sous her. Sie hinkte heftig unter der Last der nassen Wäsche auf ihrer Schulter. Durchnäßt, mit blauem Ellbogen, Blut auf der Wange, so ging sie, die beiden Kinder an nackten Armen nachziehend, die hinter ihr trippelten, noch schluchzend mit von Tränen verschmierten Gesichtern.
Der Waschraum nahm wieder seine Tätigkeit unter entsetzlichem Lärm auf. Die Wäscherinnen hatten ihren Wein getrunken, ihr Brot gegessen und schlugen noch fester auf ihre Wäsche mit entflammten Gesichtern, angeregt durch die Schlacht der beiden. Längs der Waschzuber war wieder die lebhafte Bewegung der Arme, kantige Profile wie von Marionetten mit gebrochenen Lenden, ausgehängten Schultern, die sich heftig wie in Scharnieren bogen. Die Unterhaltung wurde wieder weitergeführt, von einem Ende zum andern. Stimmen, Lachen, saftige Worte mischten sich in das Geräusche des Wassers. Die Wasserhähne spuckten, die Eimer spritzten Lachen, ein ganzer Fluß floß unter den Waschbottichen weg. Es war ein erbärmlicher Nachmittag, wie zerstoßen von den Schlägen des Waschbleuels lag die Wäsche umher. Der riesige Saal dampfte von rötlichem Dunst, und ab und zu schlüpften Sonnenkringeln wie goldene Ballen durch die zerrissenen Vorhänge. Alles atmete den beklemmenden, faden Seifengeruch. Plötzlich aber war der ganze Raum erfüllt von einem weißen Dunst: wie mittels einer im Innern angebrachten Hebelvorrichtung hob und senkte sich der riesige Kupferdeckel über dem Kessel zum Auskochen der Wäsche; und aus der klaffenden Öffnung des mit Ziegeln ausgemauerten Kessels stieg qualmender Dampf und verbreitete süßlichen Laugengeschmack. An der Seite waren die Wringmaschinen in voller Tätigkeit. Ballen Wäsche wurden in die gußeisernen Zylinder gestopft, die Maschine ächzte und dampfte, ein Rad drehte sich und das Wasser enttropfte der Wäsche; und das Knirschen der stählernen Hebelarme durchrüttelte den Waschraum mit noch stärkerem Lärm.