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Der vierte Highlander-Roman über die Liebe jenseits von Zeit und Raum!
Robbie MacBain braucht dringend eine Frau. Er sucht eine Haushälterin für seine Kinder, während er in die Vergangenheit reist um ein magisches Buch zu suchen. Doch als Catherine Daniels bei ihnen auftaucht, bekommt der junge Witwer mehr als erwartet: Eine Frau, die sein Herz in Versuchung führt. Aber Catherine hat selbst Geheimnisse, und erst als das Schicksal sie auf die Probe stellt, entdecken sie, welche Macht ihrer Liebe wirklich innewohnt ...
Die »Highlander«-Reihe:
Band 1: Das Herz des Highlanders
Band 2: Mit der Liebe eines Highlanders
Band 3: Der Ring des Highlanders
Band 4: Der Traum des Highlanders
Band 5: Küss niemals einen Highlander
Band 6: In den Armen des Schotten
Band 7: Lockruf der Highlands
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Seitenzahl: 537
Robbie MacBain braucht dringend eine Frau. Er sucht eine Haushälterin für seine Kinder, während er in die Vergangenheit reist um ein magisches Buch zu suchen. Doch als Catherine Daniels bei ihnen auftaucht, bekommt der junge Witwer mehr als erwartet: Eine Frau, die sein Herz in Versuchung führt. Aber Catherine hat selbst Geheimnisse, und erst als das Schicksal sie auf die Probe stellt, entdecken sie, welche Macht ihrer Liebe wirklich innewohnt ...
Janet Chapman ist das jüngste von fünf Kindern. Schon immer hat sie sich Geschichten ausgedacht, aber erst mit ihrem ersten Roman »Das Herz des Highlanders« begann die Gewinnerin mehrerer Preise, professionell zu schreiben. Janet Chapman lebt mit ihrem Mann, ihren zwei Söhnen, drei Katzen und einem jungen Elchbullen, der sie regelmäßig besucht, in Maine.
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Janet Chapman
Der Traum des Highlanders
Roman
Deutsch von Uta Hege
blanvalet
Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Tempting the Highlander« bei Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.
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Copyright der Originalausgabe © 2004 by Janet Chapman
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2008 by Blanvalet Verlag, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Covergestaltung: : © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com (Expensive; Stephen Robertson; iulias; Book Cover Photos)
LH · Herstellung: sam
Satz: Buch Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN 978-3-641-12207-2V003
www.blanvalet.de
Meinem Schutzengel
Los, Baby. Gib es mir, du süßes Ding.«
Robbie MacBain fuhr eilig auf. Er war hellwach und kampfbereit, doch er hatte keine Ahnung, was es mit der Stimme auf sich hatte, die ihn aus dem Schlaf gerissen hatte.
»Los, beweg dich, Baby. So ist’s gut.«
Was zum Teufel war hier los? Er war ganz sicher nicht mit einer Frau ins Bett gegangen, obwohl jetzt eine etwas raue, doch verführerische Stimme direkt neben ihm erklang. Er lag in seinem Bett in seinem Schlafzimmer auf seiner Farm und er war eindeutig allein.
»Noch ein Stückchen weiter, Schatz.«
Robbie richtete sich kerzengerade auf und versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Hier war schlicht keine Frau. Trotzdem hörte er die Stimme – weich, sexy und vor allem dicht an seinem Ohr.
»Los«, wisperte sie, wobei ihr Ton eine gewisse Ungeduld verriet. »Ich muss langsam wieder los. Oh, um Himmels willen, beweg dich endlich, ja?«
Als plötzlich mehrere erboste Hennen gackerten, fuhr Robbie zu dem Babyfon herum, das auf seinem Nachttisch stand. Fluchend warf er die Decke fort und sprang aus dem Bett.
Der Hühnerstall.
Er sollte den Hühnerstall bewachen.
Er stieg in seine Jeans, schnappte sich sein T-Shirt und blickte eilig auf den Wecker neben seinem Bett. Fünf Uhr dreißig. Grinsend zog er sich das T-Shirt an und suchte seine Socken.
Er hatte am Vorabend beschlossen, dass es nicht nötig wäre, die kalte Märznacht draußen zu verbringen, weil sich der Stall schließlich mit Hilfe eines Babyfons auch vom Haus aus überwachen ließ. Offenbar hatte es funktioniert, erkannte er zufrieden, als er in seine Stiefel stieg.
Dies war der dritte Einbruch in den Hühnerstall innerhalb von einer Woche. Nie wurden mehr als sechs Eier mitgenommen, und vor allem wurde jedes Mal eine Dollar-Note als Bezahlung hinterlegt. Doch es ging ihm ums Prinzip. Irgendjemand kaufte seine Eier, und er wollte einfach wissen, wer.
Robbie rannte die Treppe hinunter, bremste unten ab, öffnete lautlos die Küchentür und trat in dem Moment auf die mondbeschienene Veranda, in dem die Fremde aus dem Hühnerstall geschlichen kam.
Er blickte blinzelnd durch die Dunkelheit. Hätte er nicht ihre Stimme durch das Babyfon gehört, hätte er geschworen, der Eierdieb wäre ein Kind. Sie wirkte wie ein kleines Mädchen, als sie neben einem Rucksack hockte, in dem sie das gestohlene Frühstück vorsichtig verstaute.
Sie entdeckte ihn, als er von der Veranda stieg, ließ zwei der Eier fallen, sprang erschrocken auf, schwang sich den Rucksack auf den Rücken und stürzte quer über den Hof.
»He! Bleiben Sie stehen!«
Geschmeidig wie eine Katze sprang sie über den Weidezaun, mit einem durch und durch maskulinen Grinsen nahm Robbie die Verfolgung auf. Seine kleine Eierdiebin hatte ein wirklich hübsches Hinterteil. Und, bemerkte er, als er ebenfalls über das Gatter sprang, sie hatte endlos lange Beine, auf denen sie sprintend in der Dunkelheit verschwand.
Aber er war in Socken einen Meter siebenundneunzig groß und hätte sie deshalb bestimmt in wenigen Minuten eingeholt. Dann fände er heraus, wer die Frau mit der verführerischen Stimme war und weshalb sie seine Eier stahl.
Nach knapp zwei Kilometern hatte Robbies Lächeln sich gelegt. Sie würde ihm entkommen! Robbie knirschte mit den Zähnen und zwang seine Beine, sich schneller zu bewegen, obwohl er kaum noch Luft bekam. Er hatte seinen Jungs erklärt, es wäre kein Problem für ihn, einen kleinen Eierdieb zu schnappen, ohne dass ihm dabei eine Gruppe Jugendlicher half. Nachdem er gestern Abend derart angegeben hatte, konnte er sich denken, mit welchem Hohn und Spott sie ihn nachher überschütten würden, wenn er mit leeren Händen heimkäme.
Robbie rannte fast drei Kilometer, ehe er sich eingestehen musste, dass die Jagd vergeblich war. Die langbeinige Katze bog von der Weide ab, rannte durch die Schlucht und die kleine Anhöhe hinauf, bevor sie im dichten Wald des Bergs Tar Stone verschwand.
Verdammt und zugenäht! Robbie stapfte durch die Kälte und die Dunkelheit zurück. Die Litanei der ihm bekannten englischen Verwünschungen war nach einem Kilometer aufgebraucht, und bis er endlich heimkam, fluchte er auf Gälisch vor sich hin.
Zwischen den zwei Dutzend im Hof verstreuten Hennen, die aus dem offenen Hühnerstall geflüchtet waren, blieb er stehen und blickte auf den Tar Stone, über dessen Gipfel sich in diesem Augenblick die Morgensonne schob.
»Sieht aus, als gäbe es zum Frühstück wieder Rühr-Dollar.« Der sechzehnjährige Cody kam grinsend aus dem Hühnerstall und hielt Robbie die zerknitterte Dollarnote hin. »Haben wir wenigstens noch Käse, den wir uns drüberstreuen können?«, fuhr er unbekümmert fort, obwohl Robbie ihn mit einem warnenden Blick bedachte. »Es geht doch nichts über angebrannten Toast und ein Omelette aus einem Dollarschein, wenn man den Tag gut gelaunt beginnen will.«
Robbie trat drohend auf ihn zu.
Der jugendliche Delinquent steckte den Dollar ein und kreuzte lächelnd die Arme vor der Brust. »Sehe ich da etwa leichte Verlegenheit in deinem Gesicht?«
Robbie kreuzte ebenfalls die Arme vor der Brust. »Nein, du siehst meine Entschlossenheit, dich heute das Frühstück für uns machen zu lassen.«
Codys Lächeln schwand. »Ich habe gestern schon Frühstück gemacht.«
»Und zwar so gut, dass du es heute gleich noch einmal machen kannst.«
Cody murmelte etwas, von dem Robbie sicher annahm, dass es nichts Nettes war, und stürmte erbost über den Hof.
Im selben Augenblick wurde die Fliegentür geöffnet und Gunter, der auf die Veranda trat, machte eilig einen Schritt zur Seite und ließ den wutschnaubenden Cody an sich vorbei ins Haus.
Robbie seufzte leise auf. Gunter hatte seine Arbeitskleider an. Die Arme weiter vor der Brust gekreuzt, machte er sich auf die nächste Herausforderung gefasst.
»Harley hat angerufen. Zwei der Arbeiter sind krank«, erklärte Gunter ihm. »Ich springe für sie ein.«
Es überraschte Robbie nicht, dass der Achtzehnjährige ihm freiwillig anbot, den ganzen Tag im Wald zu schuften. Er mistete wahrscheinlich sogar lieber Ställe aus, als in die Schule zu gehen.
».Harley hat gesagt, dass heute zwei Ladungen Sägeholz raus müssen«, fuhr der Junge fort und sah Robbie aus seinen beinahe schwarzen Augen nicht herausfordernd wie sonst, sondern beinahe bittend an. »Du brauchst mich, weil schließlich irgendwer den Lader fahren muss.«
»Den kann ich auch selber fahren.«
»Du hast heute Morgen einen Termin mit Richterin Martha.«
Verdammt. Den hatte er. Und die Hölzer mussten heute raus.
»Ihr Name ist Richterin Bailey, und sie ist alles, was noch zwischen dir und einer kleinen Zelle steht.«
»Ich habe heute sowieso nur Werken und eine normale Stunde«, fuhr Gunter eifrig fort. »Das hole ich einfach morgen nach.«
Robbie erwiderte den direkten Blick des Jungen und wog die Bedeutung einer Schulausbildung gegen sein Bedürfnis, den festen Strukturen des Klassenzimmers zu entkommen, ab.
Zum Teufel, hin und wieder musste jeder Dampf ablassen, und ein langer, arbeitsreicher Tag im Wald würde Gunter ja vielleicht sogar daran erinnern, dass eine gute Ausbildung die Grundvoraussetzung für ein leichteres Leben war.
Außerdem hatte der Junge eine Belohnung dafür verdient, dass er in der Schule bereits seit zwei Monaten keine Schlägerei mehr angefangen hatte und auch sonst nicht weiter aufgefallen war.
Also nickte Robbie mit dem Kopf. »Sag Harley, dass ich nach meinem Treffen mit Bailey komme. Und, Gunter?«, fügte er hinzu, als sich der Junge bereits zum Gehen wenden wollte. »Du hast nur noch zehn Wochen bis zur Abschlussprüfung. So lange hält jeder alles aus.«
Ein schwaches Grinsen huschte über Gunters für gewöhnlich ausdrucksloses Gesicht. »Da hast du wahrscheinlich Recht. Schließlich halte ich bereits seit einem Monat das von dir gekochte Essen aus.«
Ermutigt von dem Grinsen, sah Robbie den Jungen lächelnd an. »Oma Katie bringt uns heute Abend eine Lasagne rüber«, versprach er, denn er wusste selbst, dass seine eigene Kochkunst wirklich alles andere als überragend war. »Mit Salat und selbst gebackenen Brötchen.«
»Wann suchst du endlich eine neue Haushälterin für uns?«
Robbie schüttelte den Kopf. »Es hat sich inzwischen rumgesprochen, was ihr für Nervensägen seid. Und so viel Geld, wie ich einer Frau dafür bezahlen müsste, dass sie trotzdem kommt, habe ich ganz einfach nicht.«
»Wir haben unsere Lektion gelernt«, erklärte Gunter ihm. »Wenn wir dafür nicht mehr dein Essen ertragen und unsere Wäsche selber waschen müssen, behandeln wir die nächste Frau wie eine Königin.«
»Das schreibe ich am besten in die Anzeige mit rein«, antwortete Robbie und drehte seinen Kopf, als hinter ihm das Klopfen eines Stocks im Kies erklang.
Auch Gunter drehte sich kurz um. Als er Vater Daar den Weg aus dem Wald herunterkommen sah, stürmte er ins Haus zurück.
Robbie brauchte seine ganze Willenskraft, um das nicht ebenfalls zu tun.
»Ich muss kurz mit dir reden, Robbie«, meinte Daar, während er mit seinem Stock die Hühner auseinandertrieb. »Es gibt da eine Sache, bei der du mir helfen musst.«
»Falls es um die neue Pumpe für den Brunnen geht, die habe ich bereits bestellt«, erwiderte Robbie in der Hoffnung, dass sich der alte Priester, der eine kleine Hütte auf dem Tar Stone bewohnte, damit abspeisen ließ. »Sie müsste morgen kommen, dann bauen die Jungs und ich sie gleich nach der Schule ein.«
Daar aber schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht wegen der Pumpe hier.« Er trat einen Schritt näher und senkte seine Stimme auf ein leises Flüstern, als Rick aus dem Haus gelaufen kam. »Es geht um etwas Wichtigeres.«
»Peter hat den Trockner mal wieder zu voll gestopft, und jetzt schlagen Flammen aus dem Ding«, brüllte Rick von der Veranda. »Wo ist der Feuerlöscher?«
Robbie rannte Richtung Haus und ließ den Priester einfach zwischen den aufgescheuchten Hennen stehen. Es hätte ihm gerade noch gefehlt, dass der alte Hof von seiner Mutter, der immerhin vier Generationen von Sutters überstanden hatte, von einem Teenie abgefackelt wurde, für den Haushaltsgeräte in Wahrheit Dämonen waren, die versuchten, ihn in die Unterwelt zu ziehen.
Erst vor einem knappen Monat hatte der fünfzehnjährige Peter das letzte Feuer ausgelöst.
Damals hatte er den Toaster und mit ihm die Vorhänge und einen Teil des Küchenschranks in Brand gesetzt, der Geruch des Feuers hing noch immer überall im Haus.
Robbie schnappte sich den Feuerlöscher, der an einem Haken keinen Meter hinter Rick befestigt war, rannte in die Waschküche, löschte die Flammen, die bereits in Richtung Decke züngelten, kehrte zurück in die Küche, wischte sich den weißen Schaum aus dem Gesicht und blickte auf die jungen Männer, die ihm mit großen Augen entgegensahen, als lägen ihre Schicksale in seiner Hand. Was auch tatsächlich so war.
Vier Jungen, die das Jugendamt in seine Obhut gegeben hatte. Oder zumindest drei. Gunter nämlich war seit seinem achtzehnten Geburtstag vor sechs Wochen frei. Doch er hatte es offenbar nicht eilig, von hier fortzugehen.
Robbie hatte nichts dagegen, wenn er noch ein wenig blieb. Solange Gunter keinen anderen Platz im Leben hätte, böte er ihm weiterhin ein Heim.
Auch wenn die zuständige Richterin damit nicht wirklich einverstanden war.
Martha Bailey sah es nicht gern, dass die drei anderen Jungs, vor allem der fünfzehnjährige Peter, mit einem bekannten Streithammel zusammenlebten, der bereits an drei Bezirksgerichten und auch in diversen Jugendstrafanstalten unangenehm aufgefallen war. Deshalb hatte sie das heutige Treffen anberaumt.
»Du Idiot!« Rick boxte Peter gegen den Arm. »Willst du etwa, dass man uns wieder in irgendeine Pflegefamilie schickt?«
»Und wo zum Teufel sind wir jetzt?« Peter rieb sich den schmerzenden Arm und starrte seinen älteren Bruder böse an.
»Das hier ist keine Pflegefamilie«, schnauzte Rick ihn an. »Vor allem ist es hier ja wohl besser als im Heim. Verdammt, ich gehe hier bestimmt nicht deinetwegen weg.« Er holte aus, um seinen Bruder noch einmal zu boxen, Robbie aber griff nach seiner Faust und hielt sie fest.
»Außer in die Schule geht ihr heute nirgends hin«, erklärte er dem Jungen sanft. »Und wenn das Haus in Schutt und Asche liegt, ziehen wir einfach in die Scheune um. Ihr alle bleibt so lange hier, bis ihr selbst zu dem Ergebnis kommt, dass ihr lieber woanders leben wollt.«
»Es wäre alles einfacher, wenn du endlich eine neue Haushälterin finden würdest«, stellte Cody fest, während er seinen halb verbrannten Toast aus dem nagelneuen Toaster zog.
»Wir haben deshalb keine Haushälterin mehr, weil ihr die letzten drei vertrieben habt«, erinnerte Robbie ihn.
»Die haben alle nicht das kleinste bisschen Spaß verstanden«, erklärte Cody schnaubend und kratzte über der Spüle das Schwarze von seinem Brot.
»Ich werde daran denken, auch das in der Stellenanzeige zu erwähnen.« Robbie stellte den leeren Feuerlöscher neben der Haustür ab, damit er daran dächte, ihn wiederauffüllen zu lassen, wenn er zu dem Treffen mit Richterin Bailey fuhr. Dann ging er ins Bad, wusch sich Gesicht und Hände und rief durch die offene Tür: »Ihr müsst heute den Schulbus nehmen. Gunter, du fährst mit dem Pick-up in den Wald.« Da er kein Handtuch finden konnte, trocknete er seine Hände einfach am Saum seines Flanellhemds ab und ging wieder in den Flur. »Aber du fährst nur zur Arbeit und dann auf direktem Weg hierher zurück«, warnte er den jungen Mann. »Und sieh zu, dass ich es nicht bereue, dass ich dich heute die Schule schwänzen lasse, ja?«
»Warum geht Gunter heute nicht zur Schule?«, wollte Peter wissen.
»Weil ich schon gelernt habe, wie man einen Trockner und einen Toaster bedient, ohne dabei die Bude abzufackeln«, erklärte Gunter ihm.
»Und wo hast du das gelernt? Etwa in Hauswirtschaft?«
Robbie brauchte nur einen Schritt nach vorn zu machen, um Peter vor einem Fausthieb zu bewahren, und die Jungen einmal böse anzusehen, damit sich das Quartett endlich zum Gehen wandte.
»Morgen, Vater«, grüßte Cody mit noch vollem Mund, trat einen Schritt zur Seite und ließ Daar an sich vorbei ins Haus.
»Morgen, Vater«, grüßten auch Rick und Peter, bevor sie eilig vor dem Alten flohen.
Daar sah ihnen böse hinterher, und Robbie dachte lächelnd an den Tag vor acht Monaten zurück, an dem der alte Mann die Jungs bei ihrer Ankunft auf dem Hof durchdringend angesehen, mit seinem Kirschholzstock auf sie gezeigt und ihnen erläutert hatte, dass er sie als echter Zauberer mit seinem Zauberstab in Mistkäfer verwandeln würde, falls sich auch nur einer von ihnen ihm gegenüber nicht anständig benahm.
Hinter seinem Rücken hatten sie gegrinst, aber offenbar beschlossen, so zu tun, als ob sie dem verrückten Alten glaubten, und ihm gegenüber zumindest nicht allzu unhöflich zu sein.
Robbie fragte sich, wie seine Jungs wohl reagieren würden, wenn sie wüssten, dass Daar wirklich ein Zauberer war.
Er hieß mit vollem Namen Pendaär, war ein uralter Druide und konnte nicht nur jugendliche Raufbolde in Mistkäfer verwandeln, sondern auch zehn Krieger aus den Highlands achthundert Jahre in die Zukunft reisen lassen. Was Robbie deshalb wusste, weil sein eigener Vater, Michael MacBain, im zwölften Jahrhundert in Schottland auf die Welt gekommen war. Genau wie Robbies Onkel Greylen, Morgan, Ian und Callum MacKeage.
Da die Vorsehung ihm selbst die Schutzherrschaft über die beiden Clans verliehen hatte, hatten die Krieger vor fünf Jahren auch die Sorge um den alten Daar auf seinen breiten Schultern abgeladen, ihn aber ein ums andere Mal davor gewarnt, je auch nur ein Wort zu glauben, das aus dem Mund des alten Priesters kam. Die fünf Jahre waren endlos lang gewesen, denn Daars unzählige Eskapaden hätten sich zu echten Katastrophen ausgewachsen, hätte Robbie nicht beständig über ihn gewacht.
»Zurück zu der Sache, derentwegen ich gekommen bin.« Daar wedelte den letzten Rauch des Feuers mit der Hand zur Seite und marschierte zum Küchentisch.
»Ich fürchte, die muss warten.« Robbie trat vor die Anrichte und schenkte ihnen beiden einen Kaffee ein. »Nachdem ich auf dem Weg zu Richterin Bailey auch noch einen neuen Wäschetrockner kaufen muss, habe ich heute nämlich auch so schon alle Hände voll zu tun.«
Daar klopfte mit seinem Stecken auf den Boden und stieß ein leises Schnauben aus. »Wenn du mich nur machen lassen würdest, würde ich mich schon um die alte Hexe kümmern.«
»Martha Bailey ist nicht alt, und sie ist auch keine Hexe«, antwortete Robbie ihm und stellte einen Kaffeebecher vor ihm auf den Tisch. »Sie macht nur ihren Job.« Er nahm dem Alten gegenüber Platz. »Und wir haben abgemacht, dass du keine Zauberkunststücke versuchst, wenn du weiter auf dem Tar Stone leben willst.«
Mit einem nochmaligen Schnauben hob Daar seinen Kaffeebecher an den Mund und schüttelte sich nach dem ersten vorsichtigen Schluck.
Auch Robbie nahm den ersten vorsichtigen Schluck, stand entschlossen wieder auf, kippte den Inhalt seines Bechers in die Spüle und zog auf der Suche nach einem Tetrapak Orangensaft die Tür des Kühlschranks auf.
»Die Sache, über die ich mit dir sprechen will, duldet keinen Aufschub«, meinte Daar. »Morgen ist Frühlings-äquinoktium.«
Robbie verharrte mitten in der Bewegung, seine Nackenhaare sträubten sich. Er richtete sich langsam vor dem Kühlschrank auf und sah den Priester an. »Und weshalb ist das so wichtig?«
»Dann haben die Planeten genau die richtige Anordnung.«
»Wofür?«
»Für die Lösung unseres kleinen Problems.«
›Unseres‹ kleinen Problems? Schon immer hatten Daars kleine Probleme Robbie Kopfschmerzen bereitet, und wenn dazu dann noch das Wörtchen ›unser‹ kam, entwickelte sich Robbies Kopfweh für gewöhnlich zu einer ausgewachsenen Migräne.
Er schloss die Kühlschranktür, stemmte die Hände in die Hüften und sah den Priester böse an. »Und was haben wir für ein kleines Problem?«
Daar starrte auf den Tisch und erklärte seinem Kaffeebecher: »Dein Papa und die anderen kehren im kommenden Juni in die alte Zeit zurück.«
Robbie starrte Daars gebeugten Rücken an.
»Ich habe nur noch drei Monate Zeit, um den Zauber zu verlängern, mit dessen Hilfe sie hierhergekommen sind«, fuhr der Druide fort und wandte sich vorsichtig wieder Robbie zu. »Zur Sommersonnenwende sind sie fünfunddreißig Jahre hier. Dann läuft der Zauber aus.«
Robbie holte mühsam Luft. In drei Monaten würde er seinen Vater, Grey und die anderen verlieren? Verdammt. Sie hatten Frauen. Kinder. Hatten sich hier ein, wie sie angenommen hatten, stabiles Leben aufgebaut.
»Sag doch was«, wisperte Daar.
»Sorg dafür, dass das nicht passiert!«
»Ich habe es versucht!«, fuhr ihn der Priester an, während er erneut den Stock auf den Küchenboden krachen ließ. »Ich hätte dabei um ein Haar die Berghütte gesprengt und habe sogar einen Erdrutsch ausgelöst.«
»Das mit dem Erdrutsch auf Tar Stone warst du?«, flüsterte Robbie heiser, während er die Bilder der Zerstörung vor sich sah. »Und das mit dem Feuer auch?«
Daar starrte auf seinen Stock und rieb mit einer vom Alter krummen Hand über das alte Holz. »Ich habe auch die Flut verursacht, die letzte Woche die Brücke mitgerissen hat.« Dann aber hob er trotzig seinen Kopf. »Ich habe versucht, einen neuen Zauber zu entwickeln, mit dem sich der alte verlängern lässt.«
Robbie fuhr sich mit einer Hand durch das Gesicht. »Lass mich gucken, ob ich dich richtig verstanden habe. Du hast die ganze Zeit gewusst, dass der Zauber nur fünfunddreißig Jahre gültig ist, aber das erzählst du uns erst jetzt?«
»Nicht euch.« Daar riss alarmiert die Augen auf. »Nur dir. Greylen und die anderen dürfen nichts davon erfahren.«
»Und warum nicht? Schließlich werden ihre Leben in drei Monaten zerstört.«
»Aber wir können es verhindern«, erklärte der Druide eifrig nickend. »Du reist einfach in die Vergangenheit zurück und besorgst mir ein neues Zauberbuch, mit dem ich den alten Zauber verlängern und sie hierbehalten kann.«
Robbie, der noch immer reglos neben dem Kühlschrank stand, schüttelte den Kopf. »Oh nein. Ich weiß, was du schon alles unternommen hast, um das Buch zu ersetzen, das du vor zwanzig Jahren explodieren lassen hast. Solange du nicht richtig zaubern kannst, bleiben wir alle vor Schlimmerem als ein paar kleinen Feuern, Erdrutschen und Überschwemmungen verschont.«
»Aber genau darum geht es. Die fünf verbliebenen Highlander sind jetzt von viel Schlimmerem bedroht. Zur Sommersonnenwende werden sie nach Hause zurückgeschickt.«
»Aber sie sind hier zuhause!«
»Zurück in ihr altes Zuhause!«, brüllte Daar, stieß dann aber einen abgrundtiefen Seufzer aus, stand auf und fuhr mit ruhiger Stimme fort: »Robbie, ich habe Greylen MacKeage hierhergebracht, damit er meine Erbin zeugt. Das ist dir bereits bekannt. Was bisher noch niemand weiß, ist, dass ich ihn nur lange genug in der Jetzt-Zeit brauchte, damit er sieben Töchter zeugen und das jüngste Mädchen, Winter, lange genug schützen kann, bis es alt genug ist, um die Ausbildung zur Druidin zu beginnen. Für einen dauerhaften Zauber hätte ich Zugeständnisse machen müssen.«
»Was für Zugeständnisse?«
Daar wich einen Schritt vor ihm zurück. »Ich hätte den Rest meines unnatürlichen Lebens in der modernen Zeit verbringen müssen.«
Robbie trat drohend auf ihn zu.
»Dann hast du dich also aus reinem Eigennutz dafür entschieden, die Leben von fünf Männern gleich zweimal zu zerstören!«
Daar hob abwehrend seinen Stock. »Ich habe einfach nicht so weit vorausgedacht. Und es hätte sowieso nur Greylen in die Jetzt-Zeit kommen sollen. Es war ein Unfall, dass die anderen auch hierhergekommen sind.«
»Und was bin dann ich? Auch ein Unfall oder was?«
Daar schüttelte vehement den Kopf. »Nein. Du bist ihre Rettung. Du bist als ihr Beschützer auf die Welt gekommen, sie haben dich zu einem guten Krieger ausgebildet, und jetzt ist es an der Zeit, dein Schicksal zu erfüllen.«
»Indem ich dir ein Zauberbuch besorge, damit du deine alte Macht zurückerlangst.« Robbie lehnte sich gegen die Anrichte und kreuzte die Arme vor der Brust. »Wie praktisch, dass die Erfüllung meines Schicksal genau deinen Bedürfnissen entspricht.«
Daar rang erstickt nach Luft und wich so weit zurück, bis er gegen den Esstisch stieß. »Denkst du etwa, dass ich lüge?«, fragte er empört, wobei er mit seinem Stock anklagend auf Robbie wies. »Die Pocken sollen dich befallen, junger MacBain! Schließlich bin ich immer noch ein Priester!«
Robbie stieß sich von der Anrichte ab und trat so dicht auf den Priester zu, bis er mit der Brust gegen die Spitze seines Stockes stieß. Dann sah er den Druiden derart drohend an, dass der rückwärts in Richtung seines Stuhles stolperte und sich krachend auf die Sitzfläche fallen ließ. »Wag es lieber nicht, mich zu verfluchen, alter Mann. Meine Schutzherrschaft über die beiden Clans ist ein göttliches Recht.« Er beugte sich noch etwas dichter über Daar, starrte in seine aufgerissenen blauen Augen und fügte rau hinzu: »Und ich erlaube dir nur deshalb, hier zu leben, weil Winter MacKeage in Zukunft deine Hilfe brauchen wird. Bis es so weit ist, wirst du schön brav in deiner Hütte bleiben und dich glücklich schätzen, dass du unter dem Schutz eines wohlmeinenden Herren stehst. Denn«, fuhr er drohend fort, während er Daar den Stock entwand und auf den Esstisch fallen ließ, »ich wäre nicht so nachsichtig wie Greylen, wenn du dich so in mein Leben mischen würdest wie in seins.«
»Ich … es ist doch alles gut geworden. Er liebt seine Frau und seine Töchter und sein neues Leben hier. Alle Highlander sind glücklich.«
Knurrend richtete sich Robbie wieder auf. »Nur, weil du dich nicht mehr in ihre Leben einmischen kannst.«
»Ich bin nicht völlig machtlos«, widersprach ihm der Druide und hob nun, da etwas Abstand zwischen ihnen war, beinahe herausfordernd das Kinn.
»Nein. Du kannst immer noch Feuer entfachen und Erdrutsche oder Überschwemmungen verursachen.«
»Ich kann durch die Zeit reisen«, fügte Daar hinzu und beugte sich dabei ein Stückchen vor. »Und morgen Abend werden die Planeten dafür gerade richtig stehen.«
Robbie schloss die Augen, fuhr sich mit beiden Händen durchs Gesicht, sah den starrsinnigen alten Priester wieder an und stieß einen müden Seufzer aus. »Es wird keine Zeitreise geben, Druide. Keine Zauberei und auch kein neues Buch.«
»Dann werden in drei Monaten fünf Männer weniger in Pine Creek leben«, gab der alte Mann zurück. »Es wird passieren, Robbie, auch wenn dir das sicher nicht gefällt. Außer«, fügte er hinzu, »wenn du ins Schottland des dreizehnten Jahrhunderts reist und mir ein neues Buch besorgst.«
Robbie starrte ihn schweigend an. Wie oft hatten ihn die anderen davor gewarnt, Daar je auch nur ein Wort zu glauben? Und wie viele Geschichten hatte ihm der alte Priester bereits aufgetischt, damit er ihm bei der Suche nach einem Ersatz für sein verlorenes Buch mit Zaubersprüchen half? So arglistig wie heute war der Alte bisher aber niemals vorgegangen. Daar wusste schließlich ganz genau, dass Robbie einfach alles täte, um seine Familie zu beschützen. Weil es für ihn nichts Wichtigeres gab.
»Nein«, knurrte Robbie trotzdem.
»Triff mich morgen bei Sonnenuntergang auf dem Gipfel des Tar Stone.« Daar schnappte sich seinen Stock und stand mühsam wieder auf. »Und bring dein Schwert mit.«
»Nein.«
»Vielleicht findest du auch noch das Plaid, das dein Papa bei seiner Ankunft hier getragen hat.« Der Priester wandte sich zum Gehen. »Du kannst nämlich keine Kleider aus modernen Materialien oder irgendwelche anderen Dinge mitnehmen, die es damals noch nicht gab.«
»Nein.«
Daar blieb noch einmal stehen, blickte an die Decke und meinte mit nachdenklicher Stimme: »Wahrscheinlich sollte ich dich ungefähr zehn Jahre, nachdem die Highlander verschwunden sind, dorthin zurückschicken.«
»Ich werde dir das Buch ganz sicher nicht besorgen, alter Mann.«
Daar lenkte den Blick aus seinen leuchtend blauen Augen auf den jungen Herrn. »Du hast keine andere Wahl«, erklärte er ihm sanft. »Nicht, wenn du deine Familie behalten willst. Morgen bei Sonnenuntergang auf dem Gipfel«, wiederholte er, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Robbie blieb wie angewurzelt stehen, dann aber stürzte er auf die Veranda und wollte von dem Priester wissen: »Warum ausgerechnet ich? Warum nicht Greylen, mein Vater oder Morgan? Sie kennen jene Zeit, die damaligen Sitten und Gebräuche und vor allem das Terrain.«
Daar blieb mitten in der Einfahrt stehen und drehte sich noch einmal zu ihm um. »Obwohl sie durchaus noch vital sind, sind sie einfach zu alt. Ich brauche einen mächtigen Krieger in den besten Jahren. Einen starken, fähigen, intelligenten Mann, der es auch schafft zu töten, wenn es nötig ist.«
»Und was ist mit Morgans Jungen? Oder Callums Sohn?«
Daar schüttelte den Kopf. »Ihre Stärke liegt eher im Geschäftlichen, weniger im Krieg. MacBain hat dich zum Schutzherren gemacht. Er hat dich bestens vorbereitet, denn ihm war bewusst, dass du berufen warst.« Er sah Robbie mit einem schiefen Grinsen an. »Ich glaube, dass auch deine kurze Karriere als Soldat des einundzwanzigsten Jahrhunderts durchaus hilfreich ist, auch wenn du keine modernen Waffen mit in die Highlands nehmen kannst.«
»Das ist kein Problem, denn ich kehre sowieso nicht dorthin zurück.«
»Dann schlage ich dir vor, das bisschen Zeit nach Kräften zu genießen, das dir noch mit deinem Papa und mit deinen Onkeln bleibt.« Daar wandte sich erneut zum Gehen und lief auf seinen Stock gestützt in Richtung Wald zurück.
Robbie glitt hinter das Lenkrad seines Trucks, lockerte seine Krawatte und blies den Atem, den er während des gesamten Treffens mit Richterin Bailey angehalten hatte, hörbar aus. Er ließ den Motor an und fuhr vom Parkplatz neben dem Gerichtsgebäude auf die Straße in Richtung von Pine Creek.
Die Besprechung war zum Großteil durchaus positiv verlaufen. Martha Bailey hatte zugestimmt, dass Gunter bei ihm blieb, solange er nur dahingehend Schwierigkeiten machte, dass er ab und zu zu spät zur Schule kam. Aber eine Schlägerei, ein Zwischenfall, bei dem der Sheriff gerufen werden müsste, und der Junge käme in den Knast und zwar, da er inzwischen achtzehn war, nicht mehr in den Jugend-, sondern in den Erwachsenenstrafvollzug.
Das war der positive Teil ihres Gesprächs.
Der negative Teil war der, dass ihm Bailey deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass auch Rick, Peter und Cody ihm entzogen würden, falls Gunter auch nur einen von den Jungs in seine krummen Touren einbezog und dass dann auch für sie, da sie wiederholt aus anderen Familien und Einrichtungen fortgelaufen waren, wahrscheinlich nur noch ein geschlossenes Heim in Frage kam.
Robbie setzte seine Sonnenbrille auf und stieß einen Seufzer aus. Auf Drängen seines Vaters hatte er vor fünf Jahren seine Karriere bei einem militärischen Sondereinsatzkommando aufgegeben und war mit dem Entschluss, auf lokaler Ebene etwas Positives zu bewirken, nach Pine Creek zurückgekehrt. Es hatte zwei Jahre gedauert, genügend Land zu kaufen, um darauf einen profitablen Holzhandel zu etablieren, und weitere zwei Jahre, um die Maine’schen Jugendgerichte davon zu überzeugen, dass er bei der Erziehung problematischer Teenager möglicherweise eine Hilfe sein konnte.
Anfangs war Richterin Bailey das größte Hindernis gewesen, seit ihr jedoch aufgegangen war, dass er die Gabe hatte, halbwegs anständige Menschen aus jugendlichen Straftätern zu machen, half sie ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Martha machte ihre Arbeit wirklich gut, weil sie die Kinder mochte, und sie war fest entschlossen, daran mitzuwirken, dass Robbie dort, wo das System versagte, ein Erfolg beschieden war.
Außerdem hatte sie einfach eine Schwäche für große, attraktive Männer, die es wagten, ihr die Stirn zu bieten, obwohl sie – wie sie wusste – manchmal wirklich Furcht einflößend war. Sie war glücklich verheiratet und beinahe alt genug, um seine Mutter zu sein, aber jedes Mal, wenn sie sich trafen, flirtete sie mit Robbie wie ein junges College-Girl.
Robbie war sich nicht zu schade, ebenfalls mit ihr zu flirten, da er dadurch seinen Zielen näher kam. Deshalb hatte er auch heute ein paar Köstlichkeiten aus dem Feinkostladen zu dem Treffen mitgebracht und mit ihr an dem riesengroßen Schreibtisch in dem winzigen Büro gespeist. Himmel, in der Hoffnung, Martha dazu zu verführen, einfach so zu tun, als wäre es normal, dass Gunter noch nicht ausgezogen war, hatte er ihr sogar eigenhändig die Brötchen dick mit Butter bestrichen und verführerisch belegt.
So weit, so gut. Gunter durfte bleiben und Robbie konnte weiterhin versuchen, ihm auf dem Weg in das Erwachsenenleben beizustehen.
Auch die beiden Brüder, Rick und Peter, gewöhnten sich allmählich an das Leben auf dem Hof, und Ricks Bemerkung heute Morgen, dass er bleiben wollte, hatte Robbie Mut gemacht. Früher oder später würde Peter seine Angst vor technischen Geräten sicher überwinden und, wenn er Nachhilfe bekäme, vielleicht sogar die Schule halbwegs schadlos überstehen.
Cody allerdings hatte den Ernst des Lebens eindeutig noch immer nicht erkannt. Robbie suchte fieberhaft nach einem Weg, dem Kid dabei zu helfen, sich selbst genug zu mögen, um sich davor zu hüten, dass er ein ums andere Mal in Schwierigkeiten kam.
Glücklicherweise hatte er die Zahl der jugendlichen Delinquenten, die er bei sich aufnahm, von vornherein auf vier begrenzt. Das alte Heim von seiner Mutter böte durchaus Platz für mehr, aber bereits diese kleine Truppe hatte bisher jede Haushaltshilfe spätestens nach einem Monat aus dem Haus vergrault; wenn er nicht bald jemand Neuen fände, brächte er die Jungen sicher früher oder später mit seinem Essen um.
Libby, seine Stiefmutter seit seinem achten Lebensjahr, deren Mutter Kate und seine MacKeage’schen Tanten brachten hin und wieder warme Mahlzeiten vorbei bei diesen Gelegenheiten konnte er sich voll und ganz darauf verlassen, dass sich das Quartett hervorragend benahm. Essen hatte bei den Kids beinahe denselben Stellenwert wie…
… Sex.
Seit die Jungen bei ihm lebten, wurde Robbies Farm mit schöner Regelmäßigkeit von kichernden Backfischen besucht, und er hatte schnell erkannt, dass sich die von ihm gewünschte Trennung der Geschlechter unmöglich aufrechterhalten ließ.
Er verzog den Mund zu einem Lächeln, als sein Truck über die Anhöhe oberhalb des Städtchens fuhr. Die Saison der Schneemobile hatte vor ein paar Tagen geendet, und das Eis auf dem Pine Lake begann zu schmelzen, weshalb man kaum noch Eisfischer dort sah.
Der Frühling war die Zeit des Nichtstuns in den Wäldern des nördlichen Maine. Bald würde alles im Schlamm versinken, die Holzfällerei käme für ein paar Wochen zum Erliegen, und statt die teuren Maschinen zu bedienen, säßen seine zwölf Männer tatenlos herum, bis der Boden halbwegs durchgetrocknet war. Die meisten seiner Leute hatten bereits Urlaubspläne, er selbst wollte mit den Jungen eine kleine Reise in den Osterferien unternehmen, um sich mit ihnen Boston anzusehen.
Besser gesagt hatte er diese Reise unternehmen wollen, bevor heute Morgen Daar bei ihm erschienen war.
Robbie fuhr an Dolans Outdoor-Laden vorbei und bog in die Straße, durch die man zur Weihnachtsbaumschule seiner Eltern kam. Stirnrunzelnd überlegte er, dass von all den haarsträubenden Geschichten, die Daar ihm bereits aufgetischt hatte, diese die beängstigendste war. Daar spielte mit seiner größten Angst – die auch die größte Angst von seinem Vater Michael, seinem Onkel Grey und den anderen MacKeage’schen Männern war.
Vor fünfunddreißig Jahren hatte der Druide zehn schottische Highland-Krieger aus dem dreizehnten Jahrhundert in die Gegenwart versetzt, nur noch fünf von ihnen waren da. Die anderen fünf, alles MacBains, waren in den ersten beiden Jahren nach der Reise durchgedreht und in dem verzweifelten Bemühen, wieder in ihre eigene Zeit zurückzukehren, tödlichen Gewitterblitzen hinterhergejagt.
Robbie trug den Namen seines Großonkels Robert MacBain und hatte schon als kleiner Junge den Umgang mit dessen Schwert erlernt. Seit er auf einem Pony sitzen konnte, hatte ihn sein Vater all die Kriegskünste der alten Zeit gelehrt und sich gleichzeitig bemüht, die tiefe Kluft zu überwinden, die zwischen diesen beiden völlig verschiedenen Welten lag.
Robbie verehrte seinen Vater dafür, dass es ihm gelungen war, eine so unglaubliche Reise nicht nur zu überstehen, sondern sich erfolgreich in der neuen Welt zurechtzufinden und sogar glücklich darin zu sein. Auch Libby, seine Stiefmutter, betete er an. Sie hatte seinen Papa kurz vor Robbies neuntem Geburtstag geheiratet und war so nett gewesen, erst zwei Mädchen und am Schluss sogar noch einen Jungen auf die Welt zu bringen, damit er nicht mehr alleine war.
Seine jüngere Schwester Maggie MacBain, verheiratete Dyer, hatte gerade eine kleine Tochter auf die Welt gebracht, sodass er jetzt auch noch für eine kleine Nichte verantwortlich war. Doch das störte ihn nicht. Er war dazu berufen, die schnell wachsende Sippe der MacBains und der MacKeages vor Unglück zu bewahren, und kam dieser Berufung mit Leichtigkeit und Freude nach.
Daar in Schach zu halten war hingegen niemals leicht gewesen und wurde offenkundig immer schwieriger für ihn.
Robbie bog in die Einfahrt der Baumschule seines Vaters, parkte seinen Truck zwischen Laden und Geräteschuppen, schaltete den Motor aus, starrte durch die Windschutzscheibe auf die endlos langen Reihen dichter, grüner Tannen und ließ dann den Blick über den mit Kies bestreuten Hof in Richtung des großen, mit weißen Schindeln verkleideten Hauses wandern, in dem er aufgewachsen war.
Was sollte er nur tun? Er konnte nicht einfach guten Gewissens die Behauptungen des Alten abtun. Nicht, wenn es um das Wohl seiner Familie ging. Aber könnte er sich seinem Vater anvertrauen? Seinen Rat erbitten? Ihn vielleicht sogar mit auf die Reise nehmen, damit er ihm bei der Suche half?
Nein. Er konnte seinen Vater diese Qual nicht noch einmal durchleiden lassen. Vor allem würde Libby dann vor Sorge um ihren Mann vergehen. Und Greylen ließe seinen Zorn bestimmt an dem Druiden aus, und was würde dann aus Winter, seinem jüngsten Kind?
Inzwischen war der älteste der Highland-Krieger fünfundachtzig und der jüngste achtundfünfzig Jahre alt. Sie hatten es verdient, in Ruhe und in Frieden alt zu sein. Es war an ihm, sie davor zu bewahren, dass Daars Zauber sie noch einmal traf.
Die Beifahrertür wurde geöffnet, und sein Vater schob sich neben ihn. »Du hast einen Anzug an und siehst aus, als würde das Gewicht der ganzen Welt auf deinen Schultern lasten«, stellte er leise fest. »Heißt das, dass Gunter euch verlassen muss?«
Robbie zwang sich zu einem Lächeln und schüttelte den Kopf. »Nein. Er kann so lange bleiben, wie er sich benimmt.« Jetzt wandte er sich seinem Vater zu und starrte in dieselben grauen Augen, die er allmorgendlich im Spiegel sah. »Hast du eine fremde Frau hier in der Stadt gesehen? Circa einen Meter fünfundsechzig groß, schulterlange, braune Haare, makelloser, weißer Teint?«
»Hast du schon wieder eine Haushälterin verloren?«
Michael zog fragend eine Braue hoch und Robbies Lächeln wurde breiter, als er ihm erklärte: »Nein. Nur ein paar Eier. Ich habe sie heute Morgen dabei überrascht, wie sie meinen Hühnerstall geplündert hat; ich habe sie den halben Tar Stone hinaufgejagt, bevor sie mir entkommen ist.«
Jetzt zog Michael auch noch die zweite Braue hoch. »Sie ist dir entkommen? Sie ist dir davongerannt?«
»Sie bestand fast nur aus Beinen«, verteidigte sich Robbie. »Also, hast du eine solche Frau gesehen?«
»Nein.« Michael blickte in die Richtung, in der sich der Tar Stone erhob. »Du sagst, dass sie Eier gestohlen hat?« Als er sich wieder an Robbie wandte, runzelte er sorgenvoll die wettergegerbte Stirn. »Wir haben nachts immer noch Minusgrade. Sie campt doch wohl nicht irgendwo?«
Robbie zuckte mit den Schultern. »Könnte durchaus sein. Dies war bereits das dritte Mal in einer Woche, dass sie den Hühnerstall geplündert hat.« Auch er blickte auf den dicht bewaldeten Berg und stieß einen müden Seufzer aus. »Ich nehme an, dass ich sie suchen muss.«
»Ich kann dir dabei helfen.«
»Nein, das kannst du nicht.« Robbie lachte leise auf. »Schließlich möchte Maggie die von dir versprochene Wiege sicher haben, bevor die Kleine rausgewachsen ist.«
Michael runzelte erneut die Stirn. »Wenn Libby, Kate und Maggie nicht ständig irgendwelche neuen Wünsche hätten, hätte ich die Wiege lange vor der Geburt des Babys fertig gehabt. Weshalb sollte sich ein Baby dafür interessieren, welche Form das Kopfteil seiner Wiege oder welche Farbe die Gardine vor dem Fenster seines Zimmers hat?«
»Welche Farbe wollen sie denn heute haben?«
»Entweder Malve oder Violett.« Er zuckte mit den Schultern. »Nicht, dass ich dir sagen könnte, wo genau der Unterschied zwischen diesen Farben ist. Aber offenbar erleidet meine Enkelin ein fürchterliches Trauma, wenn sie in einem in der falschen Farbe gestrichenen Zimmer schlafen muss.«
»Schaffst du es etwa noch immer nicht, ihren Namen auszusprechen?«, fragte Robbie amüsiert. »Ich finde Aubrey wirklich hübsch.«
»Es ist ein Männername«, fuhr ihn Michael an. »Außerdem ist er englisch.«
»Was nicht weiter überraschend ist. Schließlich ist Russell Dyer Engländer.«
»Erinner mich bloß nicht daran.«
Robbie tätschelte seinem alten Herrn begütigend die Schulter. »Russell ist ein guter Mann, Papa.« Er öffnete die Tür und stieg entschlossen aus.
Michael machte es ihm nach und sah ihn über die Kühlerhaube hinweg mit einem etwas schiefen Grinsen an. »Ich weiß. Maggie hat es wirklich gut getroffen«, gestand er leise ein.
Schnaubend stapfte Robbie Richtung Haus. »Wozu du ganz bestimmt nichts beigetragen hast. Du hast wirklich Glück, dass die beiden nicht einfach weggelaufen sind.«
»Ich hatte nichts gegen die Heirat«, verteidigte sich Michael auf dem Weg zum Haus. »Ich habe nur versucht, sie davon abzuhalten, dass sie die Dinge überstürzt. Maggie ist noch nicht mal zweiundzwanzig, trotzdem ist sie schon verheiratet und hat sogar das erste Kind.«
Robbie blieb vor der Veranda stehen und blickte seinen Vater an. »In welchem Alter haben die Frauen in der alten Zeit geheiratet?«
»Seither haben die Menschen achthundert Jahre Zeit zum Lernen gehabt. Mit zweiundzwanzig ist man einfach noch zu jung, um sich schon bis ans Lebensende festzulegen.«
Robbie nahm immer zwei Verandastufen auf einmal und hielt seinem Vater die Haustür auf. »Wenn ich mich recht entsinne, gibt es da eine Geschichte von einem noch jüngeren Mann, der mit einem Mädchen aus einem anderen Clan durchbrennen wollte«, meinte er und fügte sanft hinzu: »Warst du nicht vor achthundert Jahren so heftig in Maura MacKeage verliebt, dass es für dich nichts anderes mehr gab?«
Michael blieb auf der Schwelle stehen und sah Robbie ins Gesicht. »Ich war damals jung und dumm und derart egozentrisch, dass ich sogar einen Krieg vom Zaun gebrochen habe, weil ich den MacKeages die Schuld an Mauras Tod gegeben habe statt mir selbst. Ich war so unwissend und arrogant, wie es nur junge Menschen sind.«
»Fehlen dir die alten Zeiten manchmal, Papa? Wärst du manchmal gern dorthin zurückgekehrt, wenn auch vielleicht nur für eine kurze Zeit?«
Michael starrte ihn einen Moment lang schweigend an. »Manchmal schon«, räumte er mit belegter Stimme ein und fuhr kopfschüttelnd fort: »Nachdem deine Mutter gestorben war und bevor ich Libby begegnet bin, habe ich dich mehr als einmal auf den Arm genommen und mich in der Absicht, uns beide von dem alten Druiden zurückschicken zu lassen, auf den Weg zum Gipfel des Berges gemacht.«
Robbie sah ihn reglos an. »Und was hat dich letztendlich davon abgehalten?«
»Du«, antwortete Michael und legte eine ruhige, starke Hand auf die Schulter seines Sohns. »Immer, wenn ich auf dem Weg zur Hütte des Druiden war, hast du etwas so Einfaches getan, wie einem Streifenhörnchen zuzuwinken, dann habe ich dich angestarrt und gedacht…«
»Was?«, wollte Robbie von ihm wissen. »Was hat dich daran gehindert weiterzugehen?«
»Deine Mama«, flüsterte Michael und blickte in Richtung des Bergs. »Mary hat meinen Kopf mit Erinnerungen an sie und an unser Zusammensein gefüllt. Da wurde mir bewusst, dass ich es nicht konnte.« Er wandte sich wieder Robbie zu. »Dass ich dir nicht einfach die Zukunft nehmen konnte, die für dich vorgesehen war.«
»Daar hat mir erzählt, dass es ein Unfall war, dass du hierhergekommen bist.«
»Das ist eine ebenso gute Erklärung wie jede andere, wenn man nicht an das Schicksal glaubt.«
»Dann hast du also wirklich das Gefühl, dass es dein Schicksal war, vor fünfunddreißig Jahren hier zu landen und dich in meine Mutter zu verlieben?«
»Ja«, antwortete Michael, marschierte ins Haus, warf seine Jacke über einen Stuhl und führte Robbie durch die Küche in die Bibliothek. »Ich habe dir nie etwas verschwiegen.« Er trat vor den Kamin, rührte in der sterbenden Glut der Kohlen und sah seinen Sohn über seine Schulter an. »Du kennst meine Geschichte und auch die der MacKeages und Vater Daar. Du hast mehr Verständnis für den Zauber, der uns hierhergebracht hat, als wir selbst. Du glaubst daran, dass das Schicksal Winter MacKeage als Erbin des Druiden auserkoren hat und hast deiner Rolle als Beschützer bereits im zarten Alter von acht Jahren alle Ehre gemacht.«
»Als ich Rose Dolan durch den Schneesturm getragen habe.«
»Ja.« Michael wandte sich ihm wieder zu. »Du wusstest schon damals, vor uns anderen, dass du eine besondere Berufung hast.« Er verzog den Mund zu einem Lächeln und wollte von seinem Jungen wissen: »Hast du mir verziehen, dass ich dich vor fünf Jahren gebeten habe heimzukommen?«
»Da gab’s und gibt’s nichts zu verzeihen«, antwortete Robbie, bevor er seinen Vater grinsend mit seinen eigenen Worten schlug: »Als ich weggelaufen und zum Militär gegangen bin, war ich so unwissend und arrogant, wie es nur junge Menschen sind.«
Michaels Augen fingen an zu blitzen. »Bist du dir sicher, dass du nicht vor Vicky Jones davongelaufen bist?«
Robbie erschauderte. »Das Mädchen hat mir wirklich eine Heidenangst gemacht«, räumte er murmelnd ein. »Sie hat mir tatsächlich erzählt, sie hätte unsere Hochzeit bereits in der Grundschule geplant.«
Michel wurde wieder ernst. »Auch wenn man meiner Meinung nach mit zwanzig noch zu jung ist, um sich lebenslang zu binden, ist man mit dreißig allmählich zu alt, um noch allein zu sein. Verdammt, Junge, wann hast du zum letzten Mal auch nur ein Rendezvous gehabt?«
»Vor drei Wochen.«
Michael schnaubte. »Da hast du Cody mitgenommen.«
»Und Peter hätte um ein Haar die Bude abgefackelt, während ich nicht zuhause war«, führte Robbie mit einem leisen Lachen aus. »Ehrlich, Papa, ich kann nicht gerade behaupten, dass mir das Mönchsleben gefällt. Nur habe ich ganz einfach keine Zeit für irgendwelche Rendezvous.«
»Weil du zu sehr mit der Rolle des Beschützers für die halbe Welt beschäftigt bist.«
»Aber ich mache meine Sache wirklich gut.«
»Zu gut.« Michael legte ein frisches Holzscheit auf die Glut, dann erst wandte er sich seinem Jungen wieder zu. »Aber zu welchem Preis? Du kannst dich nicht auf Kosten deiner selbst um andere kümmern. Es ist höchste Zeit, dass du dir eine Frau suchst und eigene Kinder kriegst.«
Robbie trat vor den Kamin, griff nach Robert MacBains uraltem Schwert, wog es in seiner Faust und sah seinen Vater fragend an. »Hast du etwas dagegen, wenn ich das hier mit nach Hause nehme?«
Michael bedachte ihn mit einem bösen Blick. »Mein Wunsch nach Enkelkindern ist dir vielleicht egal, aber deine eigenen Bedürfnisse kannst du nicht einfach ignorieren«, fauchte er ihn an. »Du fürchtest dich, mein Sohn«, fügte er sanft hinzu. »Aber das ist falsch.«
Robbie legte sich das Schwert über die Schulter und zog fragend eine Braue hoch. »Und wovor fürchte ich mich?«
»Davor, dass dich eine Frau von den Dingen ablenkt, zu denen du berufen bist.«
Leise lachend wandte Robbie sich zum Gehen, blieb dann aber noch einmal stehen und blickte seinen Vater an. »Haben wir dieses Gespräch nicht vor zweiundzwanzig Jahren schon einmal geführt, nur dass es damals genau anders herum war? Wenn ich mich recht entsinne, hast du damals erklärt, ein Mann könnte nicht einfach mit einem Mal beschließen, dass er nicht mehr allein sein will und die Erstbeste heiraten, auf die er trifft. Erst müsste er schließlich einer Frau begegnen, die er lieben kann.«
»Ist es nicht erstaunlich, wie sich Dinge, die man selbst gesagt hat, gegen einen wenden können?«, fragte Michael lächelnd, und Robbie nickte mit dem Kopf.
»Ja, Papa. Das haben wir beide oft genug erlebt.« Er nahm das Schwert von seiner Schulter und legte es sich grüßend an die Stirn. »Falls es eine Frau gibt, die mich trotz meiner Berufung lieben kann, kann ich nur hoffen, dass sich unsere Wege kreuzen, solange ich noch Manns genug bin, um sie zu genießen.«
Michael scheuchte ihn schnaubend aus dem Raum. »Los, finde deine Eierdiebin, bevor sie noch eine Nacht auf dem Berg verbringen muss. Und lass ja nicht Peter in die Nähe dieses Schwerts«, fügte er hinzu, während er hinter Robbie durch die Küche lief. »Der Junge würde damit wahrscheinlich auf der Stelle Kleinholz aus deinem neuen Wäschetrockner machen.«
Robbie trat von der Veranda in den Hof, blieb dort stehen und blickte seinen Vater fragend an. »Woher weißt du, dass ich einen neuen Wäschetrockner habe?«
»Daar hat sich heute zum Frühstück bei uns eingeladen.«
»Hat er sonst noch irgendwas erzählt?«
Michael zeigte auf die alte Waffe in Robbies linker Hand. »Nur, dass du vielleicht vorbeikommst, um Roberts Schwert zu holen.«
»Hat er dir auch einen Grund dafür genannt?«
»Nein«, antwortete Michael. »Gibt es denn einen Grund?«
Robbie zuckte mit den Schultern. »Nur, dass es mich in den Fingern juckt, es mal wieder zu halten. Wie wäre es mit einem Match in den nächsten Tagen?«
»Ich gebe dir erst noch etwas Zeit zum Üben, damit du wenigstens den Hauch von einer Chance hast.«
Robbie salutierte spöttisch, lief zu seinem Truck und stieß, während er seinem Vater über seine Schulter winkte, einen frustrierten Seufzer aus. Wenn Daar nicht endlich Ruhe gab, würde er ihm zeigen, was für ein Gefühl es war, wenn einem jemand ein scharf geschliffenes Schwert an die Gurgel hielt.
Es war kurz vor fünf Uhr und fing schon an zu dämmern, als Robbie hinter der letzten Ladung Sägeholz den Wald verließ. In freudiger Erwartung der von Oma Kate gelieferten Lasagne nahm er die kaum befahrene Abkürzung auf der Nordseite des Tar Stone in Richtung von Pine Creek.
Gunter hatte sich nach einem anstrengenden Arbeitstag, an dem er nach Aussage von Harley bis zum Umfallen geschuftet hatte, bereits vor einer knappen Stunde auf den Weg gemacht.
Robbie blickte aus dem Fenster seines Trucks und beschloss, sich noch an diesem Abend nach der Eierdiebin umzusehen, statt darauf zu warten, dass sie zu ihm kam. Nach der morgendlichen Jagd tauchte sie bestimmt nicht so schnell noch einmal in der Nähe seines Hühnerstalles auf.
Wer zum Teufel war sie? Es war völlig verrückt, um diese Jahreszeit hier draußen zu campieren, falls sie das tat. Vor allem war es der totale Irrsinn, dass sie Lebensmittel stahl. Sie bräuchte nur an irgendeinem Haus im Ort zu klopfen, denn dort hülfe man ihr gerne aus. Ihr Verhalten war höchst mysteriös.
»Tja, wenn man vom Teufel spricht…« Robbie trat eilig auf die Bremse und brachte seinen Truck mitten auf dem schmalen Weg zum Stehen.
Keine hundert Meter vor ihm war die Frau aus dem Graben gestiegen, starrte ihn für den Bruchteil einer Sekunde mit großen Augen an und stürzte zurück in den Wald.
»Oh, nein.« Robbie stieg eilig aus. »Du entkommst mir nicht noch mal.«
Er rannte die Straße hinauf, sprang über den Graben in den Wald und blieb nur so lange stehen, bis sich seine Augen an das Dämmerlicht gewöhnten und von rechts das Knacken abbrechender Zweige an seine Ohren drang.
»He, warten Sie! Ich will nur mit Ihnen reden!«, brüllte er und rannte durch den alten Baumbestand in die Richtung, in die die Fremde entschwunden war.
Er hörte ein lautes Krachen, ein gedämpftes Stöhnen und dann abermals das Knacken irgendwelcher Zweige, als sie hastig weiterlief. Er beschleunigte sein Tempo, lief im Zickzack um die großen Bäume, duckte sich unter tief hängenden Ästen, spitzte angestrengt die Ohren und…
…hörte das Brummen des Motors seines Trucks, noch ehe er erkannte, dass die junge Frau in Richtung Straße zurücklief. Er machte auf dem Absatz kehrt, schob sich durch das Gebüsch und sprang in dem Moment über den Graben auf den Weg, in dem sie sich hinter das Lenkrad seines Wagens schwang.
»Verdammt, nein!« Er stürmte auf sie zu. »Warten Sie!«
Die Hinterreifen seines Trucks schleuderten den losen Kiesbelag des Weges auf, als der Wagen auf ihn zugeschossen kam. Fluchend machte Robbie einen Hechtsprung in den Graben, landete in knöcheltiefem, halb getautem Schnee und Schlamm und starrte den Rücklichtern des Fahrzeugs hinterher. »Du kleine Hexe«, knurrte er, als sie hinter der ersten Wegbiegung verschwand.
Eingehüllt in die Stille der Umgebung stand Robbie wie angewurzelt da. Es erfüllte ihn beinahe mit Ehrfurcht, mit welcher Dreistigkeit die junge Dame vorgegangen war. Dann sah er dorthin, wo sie aus dem Wald gekommen war, und merkte, dass ein dunkler Klumpen in den nackten Zweigen eines Baumes hing. Er stieg aus dem Graben, zerrte an dem Bündel und erkannte, dass die junge Frau sich offenkundig im Geäst verfangen hatte und den Rucksack opfern musste, damit Robbie sie nicht fing.
»Nun, mein flinkes, kleines Kätzchen.« Neugierig machte er den Rucksack auf. »Vielleicht finde ich ja jetzt raus, wer du bist.«
Er steckte eine Hand in den offenen Beutel und zog neben einem Brot, einem Glas mit Erdnussbutter sowie einem Glas mit Marmelade zwei Paar Fausthandschuhe hervor.
Robbie riss die Augen auf.
Zwei Paar Fäustlinge in Kindergrößen und offenkundig neu, wie die noch nicht entfernten Preisschilder ihm deutlich machten.
Die Lady hat zwei Kinder?
Ein Handschuhpaar war winzig klein.
Sie hat zwei kleine Kinder?
»Tja, verdammt.« Er warf die Lebensmittel wieder in den Rucksack, stopfte die Handschuhe in seine Jackentasche, tauchte mit der Hand ein wenig tiefer in den Sack und zog eine Brieftasche daraus hervor. »Bingo.«
Er klemmte sich den Rucksack unter einen Arm, klappte die Brieftasche entschlossen auf, schob sie aber, da es zu dunkel war, um den Namen auf dem Führerschein zu lesen, wieder in den Beutel und zog an ihrer statt drei Strickmützen hervor.
Er starrte auf die Mützen und stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. Verdammt. Jetzt war die geheimnisvolle Fremde ein dreifaches Problem. Er stopfte wieder alles in den Rucksack, hängte ihn sich über die Schulter und trat den drei Kilometer langen Heimweg an.
Was in aller Welt sollte er den Jungen sagen, wenn er ohne Truck nach Hause kam? Er könnte ihnen unmöglich erzählen, dass er zum zweiten Mal an einem Tag von einer kleinen Eierdiebin übertölpelt worden war.
Zwanzig Minuten später und weniger als einen Kilometer von seinem Hof entfernt entdeckte Robbie mitten auf der Straße seinen Truck. Der Motor lief und die Lichter brannten noch, seine kleine Diebin allerdings war nirgendwo zu sehen.
Dann hatte die junge Dame also ein Gewissen. Sie hatte seinen Wagen nicht gestohlen, sondern nur geborgt, um einen gewissen Abstand zu ihm zu bekommen. Auch seine Eier hatte sie im Grunde nicht gestohlen, sondern eher gekauft.
Robbie sah sich suchend um, marschierte dann zu seinem Truck, öffnete die Fahrertür, legte den Rucksack ab, griff hinter den Sitz, schob das Schwert zur Seite, schnappte sich die Taschenlampe und beleuchtete den Weg, über den sie weiter Richtung Berg geflohen war.
Wo zum Teufel steckt sie?
Robbie warf die Taschenlampe in den Wagen, schwang sich auf den Fahrersitz, schaltete die Innenbeleuchtung ein, legte sich den Rucksack in den Schoß und zog abermals die Brieftasche der jungen Frau daraus hervor.
»Catherine Daniels«, las er ihren Namen auf dem in Arkansas ausgestellten Führerschein.
Arkansas? Das war nicht gerade um die Ecke, überlegte er.
Sie war einen Meter achtundsechzig groß, wog achtundfünfzig Kilo, hatte braune Augen, braunes Haar, war seit dem fünften Januar dieses Jahres neunundzwanzig Jahre alt und zur Organspende bereit.
Robbie betrachtete das Foto auf dem Führerschein. Mit ihrem scheuen Lächeln, ihrer Stupsnase und ihren großen Rehaugen war sie ein wahrlich hübsches kleines Ding. Sie hatte eine Haut wie Porzellan, ein Gesicht wie eine Puppe sowie weich glänzendes Haar, das inzwischen etwas länger war als auf dem Bild.
»Nun, Catherine, was kannst du mir sonst noch über dich erzählen?« Neugierig blätterte er in der Brieftasche herum.
Er fand ein abgegriffenes Foto, auf dem er eine noch jüngere Catherine mit zwei kleinen Kindern sah. Den kleinen Jungen schätzte er auf höchstens vier und das Baby, das sie in den Armen hielt, auf höchstens eins. Er drehte die Aufnahme herum und entdeckte ein fünf Jahre altes Datum sowie die Worte Nathan, drei, und Nora, eins.
Dann waren sie inzwischen also acht und sechs.
Robbie hob den Blick in Richtung des dunklen Bergs. Verdammt. Waren sie etwa alle drei dort draußen? Wehrlos? Hungrig? Frierend? Bestimmt hatten sie eine Heidenangst. Zumindest Catherine Daniels hatte Angst, sonst wäre sie doch sicher nicht gleich zweimal derart in Panik ausgebrochen, als sie ihm begegnet war. Doch wovor oder vor wem hatte sie eine solche Angst?
Robbie schob das Foto wieder in die Brieftasche zurück und zog zweihundertachtundsechzig Dollar aus dem nächsten Fach. Nicht gerade viel für einen Menschen, der über viertausend Kilometer fahren müsste, bis er wieder zu Hause war.
»Los, Catherine, erzähl mir mehr von dir«, wisperte er leise, zog den Rucksack noch ein bisschen weiter auf, schob die Lebensmittel und die Mützen an die Seite und entdeckte einen Stoß Papiere, der zuunterst in dem Beutel lag.
Er nahm den Stapel eilig in die Hand, löste das Gummiband, das ihn zusammenhielt, und blätterte ihn durch.
Er fand die Geburtsurkunden ihrer beiden Kinder sowie drei Jahre alte Belege für die Scheidung ihrer sechsjährigen Ehe und für die Erteilung des alleinigen Sorgerechts an sie. Am Interessantesten jedoch war das letzte Dokument. Es war ein Schreiben der Leitung eines Gefängnisses in Arkansas, das sie darüber informierte, dass ihr Exmann Ronald Daniels am vierzehnten Januar dieses Jahres nach drei Jahren auf Bewährung aus der Haft entlassen würde. Auf dem Briefkopf stand das Datum fünfter Januar. Was für ein Geburtstagsgeschenk hatten die Behörden ihr damit wohl gemacht. In dem Brief stand nicht, wofür der Mann verurteilt worden war, sondern nur, dass er nach Ansicht des Bewährungsausschusses für die Wiedereingliederung in die Gesellschaft bereit war.
Robbie blickte abermals in Richtung des dunklen Bergs. Teilte Catherine die Ansicht des Bewährungsausschusses vielleicht nicht? Versteckte sie sich vielleicht deshalb hier auf diesem Berg und wich allen Menschen aus? Aber weshalb ausgerechnet hier in Maine? Weshalb gerade hier auf diesem Berg? Allein das Wetter machte es ihr ganz bestimmt nicht leicht, vor allem, wenn sie in Begleitung zweier kleiner Kinder war. Kinder ohne Mützen, Handschuhe und Abendbrot.
Vielleicht waren sie ja auf der Durchreise und legten hier nur eine kurze Pause ein. Oder vielleicht hatte Catherine Verwandte in der Gegend oder wollte über die Grenze hinauf nach Kanada.
Verdammt. Je mehr er über sie erfuhr, umso geheimnisvoller wurde sie für ihn.
Robbie faltete die Dokumente sorgfältig wieder zusammen, schob sie mit der Brieftasche, dem Essen und den Handschuhen in Catherines Rucksack zurück und fuhr seufzend los. Auch wenn er erst nach Hause führe, gäbe er die Suche nach der Frau und ihren beiden Kindern ganz bestimmt nicht auf.
Kaum war er losgefahren, schrillte auch schon sein Autotelefon. »MacBain.«
»Robbie, hier spricht Kate. Wo bist du?«
»Ich bin spätestens in zwei Minuten da. Haben die Rabauken mir etwas von der Lasagne übrig gelassen?«
»Es ist noch jede Menge da. Ah … du musst noch in die Stadt. Cody ist im Krankenhaus. Es geht ihm gut«, fügte sie schnell hinzu. »Er braucht nur jemanden, der ihn nach Hause holt.«
Robbie stieß einen neuerlichen Seufzer aus. »Was ist passiert?«
»Sheriff Beal hat vor einer halben Stunde angerufen. Anscheinend hat sich einer der Jungs, mit denen Cody zusammen war, verletzt. Aber er wird ebenfalls wieder in Ordnung kommen.«
»Und wobei hat er sich verletzt?« Robbie fuhr an seinem Haus vorbei weiter in Richtung von Pine Creek.
Jetzt seufzte auch Kate. »Ich weiß es nicht genau. Der Sheriff hat etwas von einer Kartoffelkanone, von John Meads Skidder und einer Jagd quer durch den Wald erzählt. Der verletzte Junge soll sich die Nase gebrochen haben, als er gegen einen Baum gelaufen ist.«
Robbie nahm den Fuß vom Gaspedal und drosselte das Tempo, bis er nur noch so schnell fuhr, wie es auf der Landstraße gestattet war. Dies war keine echte Krise. Hier hatte einfach eine Horde gelangweilter Gören den Forstschlepper des Nachbarn mit Kartoffeln bombardiert.
»Sind die drei anderen Jungs zuhause?«
»Sie spülen gerade das Geschirr«, antwortete Kate vergnügt. »Was ist eine Kartoffelkanone, Robbie?«
»Eine aus einem Plastikrohr selbst gebastelte Kanone, aus der man Kartoffeln schießt.«
»Haben die Jungs etwa mit Schießpulver hantiert?«, fragte sie empört.
»Nein. Für gewöhnlich nimmt man einfach Haarspray.«
»Haarspray?«, wiederholte Kate.
»Es ist eine wirklich tolle Erfindung, Kate«, versicherte ihr Robbie. »Sie ist relativ harmlos, und vor allem trifft man kaum jemals das Ziel, das man ins Visier genommen hat. Ich wage ernsthaft zu bezweifeln, dass Meads Maschine, abgesehen davon, dass sie dreckig ist, irgendeinen Schaden genommen hat.«
»Sheriff Beal klang alles andere als amüsiert. Er lässt die Jungs nicht eher nach Hause gehen, als bis ihre Eltern kommen, um sie abzuholen. Robbie, wag es ja nicht, ohne Cody heimzukommen!«, fauchte Kate ihn an.
Robbie sah bildlich vor sich, wie Libbys achtzigjährige Mutter vor Sorge um den Teenager verging. Sie hing fast noch mehr an den vier Jungen als er selbst. Vielleicht führe also besser sie ins Krankenhaus, um Cody aus Beals Klauen zu befreien.
»Ich lasse ganz bestimmt nicht zu, dass uns Cody weggenommen wird. Sorg du währenddessen dafür, dass bei meiner Rückkehr noch Lasagne übrig ist.«
»Ich habe genug für euch beide aufgehoben«, antwortete sie. »Ah … Robbie? Ich habe eben schon mal die Nummer deines Trucks gewählt, und da war eine Frau am Apparat.«
Catherine Daniels, dachte er. »Was hat sie gesagt?«
»Sie hat mir erklärt, dass du augenblicklich nicht zu sprechen wärst und dass ich es in einer halben Stunde noch mal probieren soll. Wer war sie?«
»Eh … nur jemand, mit dem ich geschäftlich zu tun habe. Ich bin jetzt vor der Klinik, Kate. Danke, dass du uns was zu essen rübergebracht hast. Du brauchst nicht auf uns zu warten. Schließlich kann ich nicht sagen, wie lange es hier dauern wird.«
»Ich werde trotzdem warten.«
»Wag es ja nicht aufzuräumen«, warnte er. »Das ist Aufgabe der Jungs.«
»Zu spät«, gestand sie lachend. »Während ich die Lasagne aufgewärmt habe, habe ich schnell die Badezimmer sauber gemacht.«
»Kate«, stöhnte Robbie.