Der Übergang - Gerd Frey - E-Book

Der Übergang E-Book

Gerd Frey

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Beschreibung

"Der Übergang" ist ein Weltraumabenteuer in der Tradition solcher Science-Fiction-Klassiker wie "Solaris" oder "2001: Odyssee im Weltraum". In einer weitgehend realistisch gehaltenen Zukunftsvision geht es um die Frage nach der evolutionären Weiterentwicklung des Menschen. Oliver Murray erwacht in dem Kolonistenraumschiff "Dali" aus dem künstlichen Schlaf. Er ist allein und glaubt zunächst, die "Dali" hätte das anvisierte Ziel erreicht. Als er auf eine Leiche stößt, wird schnell klar, dass es einen Zwischenfall gegeben haben muss. Die Schiffsfunktionen sind größtenteils ausgefallen. Die Suche nach den anderen Besatzungsmitgliedern gestaltet sich schwierig. Um Informationen zu erhalten, loggt er sich in die virtuelle Welt "Oz" ein. Aber auch dort findet er zunächst keine Antwort auf die Frage: Wie könnte der nächste Evolutionssprung für die Menschheit aussehen?Das Titelbild stammt von Lothar Bauer.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 222

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Gerd Frey

DER ÜBERGANG

Transition & Evolution 2.0

AndroSF 91

Gerd Frey

DER ÜBERGANG

Transition & Evolution 2.0

AndroSF 91

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Juni 2018

p.machinery Michael Haitel

Titelbild: Lothar Bauer

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda, Xlendi

Lektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda, Xlendi

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Ammergauer Str. 11, 82418 Murnau am Staffelsee

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 135 8

In Erinnerung an Verlust und Neubeginn.

Mein besonderer Dank gilt dem

Letterratten-Team

Florian Tietgen

und meiner Lebenspartnerin

Uta Siefert

Teil I: Dali

eins

Zuerst war es nur eine Ahnung von etwas Störendem, ein Reiz, der sich lästig und beharrlich bohrend bemerkbar machte. Das Gefühl sickerte tröpfelnd durch die Schichten seines Bewusstseins, bis er das grelle Licht bemerkte, dem er ausgesetzt war. Zorn wallte in ihm auf. Das Licht war quälend und stieß ihn nach und nach aus der traumlosen Dunkelheit. Er kniff die geschlossenen Augenlider noch fester zusammen und versuchte in die Realität zurückzufinden. Seltsamerweise lieferte ihm sein Gedächtnis nicht den geringsten Anhaltspunkt. Er drehte sich auf die Seite und stöhnte vor Schmerzen auf. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, warum seine Muskeln ihn so peinigten. Ein Muskelkater erstreckte sich über die meisten Körperpartien.

Das Licht erschien ihm jetzt weniger intensiv. Er öffnete die Augen einen Spalt weit, und sein Blick traf auf eine mit winzigen Kondenstropfen überzogene Fläche, die sich über seinem Kopf wölbte. Milchiges Glas, durch das man den dahinter liegenden Raum nur erahnen konnte.

Plötzlich war ihm die Erinnerung an einen Öffnungsmechanismus präsent – ein seltsam bezugsfreies Gedankenfragment, unwirklich und fremd. Dennoch wusste er jetzt, dass sich direkt neben seiner linken Hand ein Schalter befinden musste. Er tastete mit den Fingern vorsichtig danach und traf schließlich auf eine kleine, feste Ausbuchtung. Wie von selbst löste er die Sicherungsverriegelung und berührte den freigelegten Sensor.

Ein Ruck und die Glasfläche fuhr mit leisem Summen in einen Spalt ein. Augenblicklich drang eisige Kälte an seine Haut. Reflexartig krümmte er sich zusammen, bevor heftiges, nicht zu unterdrückendes Zittern seinen Körper erfasste und die Kälte unerträglich wurde.

Er setzte sich auf,

Ein kaum wahrnehmbares Geräusch. Ein leises Knacken und Rascheln. »Herzlich willkommen, Oliver Murray.«

Die warme weibliche Stimme umspülte ihn wie das zarte Plätschern eines Bachs. »Du befindest dich an Bord des Kolonistenschiffs Dali und bist soeben aus der Sprungschlafphase, in die du während des Wieckel-Rhien-Raumsprungs versetzt wurdest, erwacht.«

Während die Stimme weiterredete, machte ein stumpfer Schmerz in seinem Kopf auf sich aufmerksam. Das dumpfe Pochen ähnelte den Migräneanfällen, unter denen er gelegentlich litt.

Die Erwähnung der Dali reaktivierte Olivers Erinnerungen. Er hatte sofort das majestätisch im Vakuum schwebende Raumschiff vor Augen, das viele Jahre lang direkt im Weltraum aus unzähligen vormontierten Modulkörpern zusammengebaut worden war.

Er erinnerte sich auch an die verschwommenen, grobpixeligen Fernsehbilder des neu entdeckten Planeten. Auf den schlecht aufgelösten Bilddaten sah er der Erde zum Verwechseln ähnlich. Automatische Sonden hatten mehr als zehn Jahre vor dem Start der Dali die verblüffenden Informationen über das sonnennahe Doppelsternsystem zur Erde gesandt. Prokyon A und B besaßen sechs Planeten, zwei umkreisten Prokyon A, und einer von ihnen war ein unberührter erdähnlicher Himmelskörper mit viel Wasser und einer auch für menschliche Lungen geeigneten Atmosphärenzusammensetzung.

Da ihn die Bord-KI geweckt hatte, schien das Schiff seinen Zielpunkt erreicht zu haben. Er befand sich demzufolge jetzt ganze zwölf Lichtjahre von der heimischen Sonne entfernt, genau im Orbit jenes erdähnlichen Planeten um Prokyon A. Leichter Schwindel erfasste ihn. Er schloss einen Moment die Augen und atmete in langsamem, gleichmäßigem Rhythmus. Konnte das wirklich sein?

Er erinnerte sich an ausführliche Lagebesprechungen und riesige Mengen von Informationsmaterial. Das meiste davon betraf den Planungsablauf während der ersten Wochen der Aufbauphase. Schon Monate, bevor die Schiffsbesatzung aus dem Kälteschlaf geholt wurde, sollten automatische Einheiten damit beginnen, ein großes Basismodul auf dem fremden Planeten zu errichten. In den integrierten Wohneinheiten konnten die Pioniere die ersten Wochen verbringen und die Besiedlung ihrer neuen Heimat vorbereiten.

Unter Schmerzen erhob sich Oliver und blickte sich um. Seltsam, sämtliche Cryokammern waren ausgefahren, die Liegen leer. Eigentlich hätte die gesamte Besatzung zur selben Zeit geweckt werden müssen. Er ging zur nebenstehenden Liege und berührte den Bezug. Das Material war kalt und wies keine Eindruckstellen auf. Er fuhr leicht mit der Handfläche darüber und zuckte zurück, als schwache Entladungen seine Fingerspitzen trafen.

Kira. Die Erinnerung an sie wischte augenblicklich alle anderen Empfindungen und Gedanken beiseite, und ein Gefühl der Wärme durchströmte ihn. Ihr Gesicht erschien vor seinem innerem Auge: ihr wacher, oft herausfordernder Blick, die eine Spur zu groß geratene Nase und der meist zu einem frechen Lächeln verzogene Mund. Aber in ihren Zügen standen auch Traurigkeit und Melancholie.

Sie hatten sich damals beide für den Flug ins Unbekannte entschieden, um dem sterbenden Lebensraum Erde zu entfliehen. Schon früh während des Studiums hatten sie sich kennengelernt, und es dauerte einige Zeit, bis er mit ihrer bisweilen unsensiblen Direktheit umgehen konnte. Nach dem Studium hatte Kira einen Job in der Forschung bekommen und konnte sich mit ihrem Lieblingsthema – autarken biologischen Systemen – beschäftigen. Das alles schien eine Ewigkeit her zu sein.

Oliver suchte sein Kleiderfach. Ein kleines Display über einem der grauen Schließfächer zeigte unruhig flackernd seinen Namen. Eine Berührung mit dem Finger entriegelte das codierte Schloss. Hose, Shirt, Unterwäsche und Strümpfe lagen sauber übereinandergestapelt. Das quälende Ziehen seiner Muskeln ignorierend, zog er sich an. Erst Minuten später und nachdem er monoton hin und her gelaufen war, ließ das Gefühl der Kälte langsam nach. Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis sein Körper nicht mehr unkontrolliert zitterte.

Mit flauem Magen stellte er sich vor die Tür zum Hauptgang, und nahezu geräuschlos fuhr die Türplatte in den Spalt der Seitenwand ein. Er trat auf den Flur hinaus, hielt jedoch gleich darauf in seiner Bewegung inne. Der Gang war nur dürftig beleuchtet. Der größte Teil der Lichtquellen war ausgefallen und der Boden mit unzähligen Splittern übersät. Einen Moment lang kehrte das Zittern in seinen Körper zurück, und seine Füße drohten wegzurutschen. Mit leisem Rasseln schloss sich die Tür hinter ihm. Jetzt war der Korridor noch dunkler als zuvor.

Oliver verharrte einige Sekunden. Es war still, nirgendwo gab es eine Bewegung. Er zwang sich zu langsamen und tiefen Atemzügen und wartete, bis er der Kraft in seinen Beinen wieder vertraute. Dann ging er widerstrebend weiter, die Anspannung wie ein fester Knoten in der Brust.

Unter einer flackernden Lichtröhre bemerkte er einen großen dunklen Fleck auf dem Boden, und nach ein paar Schritten erkannte er eine getrocknete Blutlache. An einer Seite war das Blut der Länge nach verschmiert, als hätte man einen leblosen Körper über den Gang gezogen.

Die Tür zum Kontrollraum stand offen, und heraus drang furchtbarer Gestank. Oliver wurde augenblicklich übel, sodass er sich an der Wand abstützen musste und blassrosa Schleim erbrach.

Er bedeckte die Leiche mit einem Tuch. Bei dem Toten handelte es sich um Ian, einen der vier Piloten. Er hatte den Namen von der ID-Card abgelesen. Der Schädel zeigte deutliche Spuren von Gewalteinwirkung, und anhand des Gesichts hätte er den hageren Piloten nicht wiedererkannt: verwüstet und aufgequollen, jedes individuelle Merkmal daraus verschwunden. Sein Tod musste schon vor Tagen eingetreten sein. Er würde die Leiche hier nicht so liegen lassen können, im Moment war er jedoch nicht in der Lage, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Ian war relativ spät zum Auswahlteam gestoßen. Jetzt erinnerte er sich an weitere Gesichter von Mannschaftsmitgliedern, und plötzlich schoss es heiß durch seinen Körper. Was, wenn sie ihn hier allein zurückgelassen hatten? Wenn die Mannschaft Hals über Kopf geflüchtet war und ihn in seiner Cryokammer vergessen hatte?

Oliver setzte sich vor eine Konsole, die ihm Zugang zum Schiffsbewusstsein ermöglichte, und aktivierte die Verbindung. Sein Blick wurde weiß überblendet, und sofort fand er sich im virtuellen Kontrollbereich wieder. Schnell hangelte er sich durch das Adergeflecht der Schiffskontrollen und stieß auf einen Teil stillgelegter Segmente. Entweder war das gesamte Antriebssystem außer Betrieb oder die Verbindung zum Schiffsbewusstsein fehlerhaft.

»Kommunikationskanal aktiv?«, fragte er.

»Positiv«, antwortete die weibliche Stimme des Schiffs. Sie wirkte warm und nicht wie die einer KI.

»Wie viele überlebende Besatzungsmitglieder sind an Bord?«

»Unbekannt. Keine Informationen.«

»Was ist mit dem Schiff passiert?«

»Frage bitte detaillierter.«

»Wodurch wurde ein Teil der Besatzungsmitglieder getötet?«

»Kollision mit Fremdkörper«, kam es nach einem kurzen Zögern. »Zu wenige Informationen …«

»Aktuelle Positionsbestimmung.«

Es folgten eine Reihe von Zahlen, aus denen er schlussfolgern konnte, dass die Dali ihr Ziel nicht erreicht hatte. Kalt und stechend drang diese Erkenntnis in sein Bewusstsein. Ein solch unerwarteter Zwischenstopp bedeutete das Ende der Expedition. Die Treibstoffreserven waren ausreichend für einen vollen Beschleunigungsvorgang, kleine Kurskorrekturen und den Bremsvorgang, mehr Spielraum gab es nicht. Möglicherweise trieb das Schiff antriebslos und Lichtjahre vom nächsten Stern entfernt durchs All. Für die Besatzung würde das eine ereignislose Existenz bis ans Ende ihrer Tage bedeuten.

»Gibt es weitere Lebenszeichen an Bord?«

»Zwei Impulse, Lebewesen Stufe eins, aus der Biozone; ein Impuls, Lebewesen Stufe drei, aus der Laborzone.«

»Bitte genauere Informationen zu Lebewesen Stufe drei.«

»Informationsbeschaffung nicht möglich. Lebensformen unbekannt.«

»Videoüberwachung in Laborzone aktivieren.«

»Videoüberwachung offline. Reparatur wegen Ausfall eines Teils der Regenerationssysteme nicht möglich.«

»Kommunikationskanal exit.«

Es folgte eine weitere Überblendung, und Oliver fand sich vor der Konsole wieder. Er lehnte sich zurück. Bei Lebewesen Stufe eins müsste es sich um Menschen handeln, aber was befand sich noch in der Laborzone? Dort waren allenfalls Organismen der Stufe sechs untergebracht. Von denen gab es jedoch keine Signatur. Kopfzerbrechen bereitete ihm besonders die Information über die Kollision mit einem Fremdkörper. Ein kleiner Meteorit konnte dem Schiff nur wenig anhaben, und ein größerer hätte es in seine Bestandteile zerlegt. Beides erklärte darüber hinaus weder die Abwesenheit der Besatzung noch den Toten.

Oliver stand auf, betrachtete die abgedeckte Leiche und musste unwillkürlich an Kira denken. Die Möglichkeit, sie könnte gestorben sein, nahm ihm den Atem. Er sackte zu Boden, starrte an die Wand und betrachtete die Unebenheit des Lacks, in dem sich kleine Bläschen abzeichneten, während es in seinem Kopf wütete. Die unerträgliche Vorstellung, Kira wäre für immer aus der Welt genommen, drang brutal in sein Bewusstsein. Wie mochte es ihr ergangen sein? Hatte sie Schmerz erleiden müssen? Aber diese Gedanken waren vorschnell: Er wusste rein gar nichts.

Es dauerte dennoch einige Minuten, bis er sich wieder beruhigt hatte. Er beugte sich nach vorn und blickte zu Boden. Ein heftiges Stechen malträtierte seinen Hinterkopf, begleitet von leichter Übelkeit. Er musste in die Biozone gelangen. Dort hatte das Schiffsbewusstsein Menschen ausgemacht, und er musste einen Weg zu ihnen finden.

Ohne Appetit aß er die rehydrierte Gemüsemasse, kaute und schluckte mechanisch. Als er fertig war, stellte er den Teller in den Reiniger und lief zum Hauptgang. Bisher war er auf keinen weiteren Toten gestoßen. Irgendwo musste sich jedoch die zweihundertköpfige Besatzung befinden.

Er gelangte zum äußeren Transporterring und betätigte den Rufer.

»Verbindung zu den Sektoren drei, fünf und acht unterbrochen«, meldete der Schiffscomputer mit weicher, aber emotionsloser Stimme.

»Verdammt!«, rief er und schlug mit der Faust gegen die Tür. In Sektor fünf befand sich die Biozone, und er konnte sie ohne den Aufzug nur über das Notschleusensystem erreichen. Er ging zurück, um sich aus dem Ausrüstungsraum einen leichten Raumanzug zu holen. Als er den Ausrüstungsbereich betrat, fielen ihm sofort die vielen leeren Raumanzugfächer auf. Auch fehlten jede Menge Werkzeugtaschen und andere technische Ausrüstung.

Ein erster Hinweis …

Er schlüpfte in den ultraleichten Stoff und benötigte allein fast zwanzig Minuten, um die Verschlüsse zu sichern und die Kontrollaggregate auf seinen Körper abzustimmen. Das Display über seinem rechten Auge gab abwechselnd verschiedene Körperwerte wieder, und die Anzeige leuchtete beruhigend grün.

Auf dem Weg zum Schleusennotsystem fiel die Beleuchtung aus, und Oliver befand sich plötzlich in absoluter Dunkelheit. Erst jetzt wurde er auf ein leises Brummen aufmerksam, das von allen Seiten zu kommen schien. Er lauschte und beruhigte sich wieder. Vermutlich das Umwälzsystem für den Luftaustausch. Hin und wieder drang auch ein Rascheln oder Knacken an seine Ohren. Er bekam eine Ahnung davon, wie sich ein Blinder fühlen musste: die ganze Welt eine Blackbox, ständiges Auswendiglernen der Umgebung, direkte Konfrontation mit allen Hindernissen und jede Veränderung bedeutete Gefahr.

Als nichts weiter geschah, bewegte er sich langsam und mit ausgestreckten Händen voran. Nach wenigen Metern trat er gegen einen herumliegenden Gegenstand, der knirschend zur Seite rollte. Schließlich stieß er mit den Fingern schmerzhaft gegen die Wandverkleidung. Das Schiff erschien ihm unwirklich und fremd. Vielleicht war das alles ja nur ein Traum und er würde jeden Augenblick schweißgebadet aus seiner Koje hochschrecken. Er wollte raus aus dieser Situation. Er hatte genug davon.

Ein tiefes Rumoren drang durch die Schiffswände, während schwache Erschütterungen den Boden vibrieren ließen. Die Vibration erfasste seinen Körper und drang tief in seine Eingeweide, ein Gefühl, das zusammen mit der Dunkelheit die Energie aus seinem Körper zu pressen schien und alles rationale und klare Denken beiseite wischte.

»Scheiße«, schimpfte er mit kehliger Stimme, als er an den Scheinwerfer seines Anzugs dachte. Er hatte ihn einfach vergessen. Tiefschlafkoller … Er tippte zweimal kurz auf einen Sensor vor der Brust, und ein schmaler Lichtstrahl fegte die Dunkelheit vor ihm beiseite. Sein Körper entspannte sich wieder.

Trotz des Lichts wirkte der Gang düster und kalt. Oliver wagte zögernd einen Schritt nach vorn, aber da erzitterte der Boden erneut unter seinen Füßen, stärker als zuvor. Das Schiff schien massive Beschädigungen davongetragen zu haben. Was war hier passiert? Was hatte die Dali in einen solch verheerenden Zustand versetzt? Im selben Augenblick setzte sich eine beunruhigende Vorstellung in ihm fest. Was, wenn die Lebenserhaltungssysteme ausfielen? Er würde einige Tage, vielleicht sogar Wochen überleben, später aber jämmerlich krepieren, wenn der Sauerstoffgehalt in der Atemluft immer weiter abnahm. Vielleicht würde er vorher auch erfrieren. Das hing allein von der funktionierenden Energieversorgung ab. Vielleicht konnte er auch keine Speisen mehr zubereiten. Die Möglichkeiten zu sterben waren vielfältig. Kurz flackerten die Lichtelemente auf, dann wurde es wieder hell.

Die Durchgänge des Schleusensystems waren so niedrig, dass er sich ducken musste. Hinter ihm schloss sich laut zischend und polternd die Tür. Erst jetzt war es möglich, den Durchgang zur nächsten Zelle zu öffnen. Die dritte Kabine war rot erleuchtet. Oliver aktivierte einen Schalter. »Einen Augenblick Geduld, Druckausgleich wird hergestellt«, vernahm er eine automatisch abgespielte Aufzeichnung. Das Fauchen entweichender Luft klang ihm in den Ohren, und einige Augenblicke später öffnete sich die Tür zur nächsten Zelle. Er zuckte zurück, als etwas Dunkles von der Decke fiel. Ein dumpfer Aufschlag, dann Stille.

Er verharrte einen Augenblick, schließlich betrat er vorsichtig den Raum. Über die linke Seite zog sich ein anderthalb Meter langer Riss, an dessen Rändern Brandspuren zu erkennen waren. Die Wände waren großflächig mit Ruß überzogen. Er näherte sich dem schwarzen Klumpen und stieß mit dem Fuß dagegen. Der Körper verrutschte ein wenig und hinterließ eine schmierige Spur. Es schien sich um den Kadaver eines Lebewesens zu handeln. Der verbrannte Körper war etwa so groß wie der einer ausgewachsenen Katze, aber die starken Verbrennungen machten eine genaue Identifikation unmöglich. Es war ihm ein Rätsel, wie das Tier an diesen Ort hatte geraten können, denn sämtliche Versuchstiere befanden sich in der Laborzone und hatten normalerweise nichts außerhalb dieses Bereichs verloren.

Er schaute sich den Riss genauer an. Nach den Ruß- und Schmelzspuren zu urteilen, war die Öffnung mit einem großen Laser erzeugt wurden. Sein Blick wanderte über verbrannte Kabelstränge und die glasige Schicht von verflüssigtem und wieder erstarrtem Oberflächenmaterial. Aus einer Schlaufe des Ausrüstungsgürtels zog er einen kleinen Hammer und klopfte gegen die schwarz glänzenden Ränder. Das Material war hart und spröde.

Oliver stützte sich an der Wand ab, als der Boden unter seinen Füßen ein weiteres Mal bebte. Diesmal waren die Erschütterungen so stark, als würden die Triebwerke der Dali gezündet. Der losbrechende Alarm sprengte fast seine Trommelfelle.

»Alarmstufe drei. Akute Explosionsgefahr«, meldete die Stimme des Schiffsbewusstseins in stoischer Unaufgeregtheit. »Notfallprogramm eingeleitet. Absprengung von Sektion sieben in sechzig Sekunden ab jetzt.«

Oliver legte sich auf den Boden und wartete.

»… achtundzwanzig … siebenundzwanzig … sechsundzwanzig …«

Ohrenbetäubendes Kreischen von Metall. Die Bodenplatten unter seinem Körper schwangen heftig auf und ab, sodass er mit dem Kopf mehrfach dagegen schlug. Ohne Halt wurde er einige Zentimeter in die Höhe geworfen, um dann umso heftiger auf den Boden zurückzustürzen. Sein Gesicht und seine Knie brannten und ließen seltsamerweise Erinnerungen an seine Kindheit wach werden.

Es war sein siebter Geburtstag. Er hatte ein wunderschönes blaues Fahrrad geschenkt bekommen und konnte es kaum erwarten, das neue Spielzeug auszuprobieren. Übermütig radelte er los und rutschte eine halbe Stunde später mit voller Geschwindigkeit in einem trockenen Sandloch aus, überschlug sich und brach sich dabei Schienbein und Nase.

»… acht … sieben …«

Kurzes Innehalten.

Lautlosigkeit.

»… zwei … eins … null …«

Ein kräftiger Stoß, während metallisches Ächzen durch die dünne Luft der Kabine atmete, dann kehrte die Ruhe zurück.

Oliver lag am Boden, in seinem Kopf ein dumpfes Rauschen. Aus nebelverhangener Tiefe pochte es blutrot gegen seine Stirn. Langsam und sich an der Wand abstützend erhob er sich. Seine Beine zitterten, und das linke Knie war taub. Er versuchte, es ganz durchzudrücken, und spürte sogleich ein Stechen, das stärker wurde, je gerader er das Bein streckte. Einige Minuten blieb er stehen und lauschte auf die Geräusche des Schiffs. Es knarzte und knirschte nur noch vereinzelt.

Einige Minuten später hatte er wieder genügend Kraft, um problemlos weiterzumachen. Langsam ging er ans andere Ende der Kabine, betätigte einen auffällig rot markierten Hebel und entriegelte die Tür zum Kabelschacht. Winzige Lampen, in einem Abstand von etwas mehr als einem Meter angebracht, erhellten die Dunkelheit. Über die grauen Kunststoffsprossen konnte man, ohne einen Aufzug benutzen zu müssen, auf die anderen Stationsebenen gelangen.

Oliver verband die kurze Sicherheitsleine mit seinem Anzug und stieg nach oben. Je weiter er kam, umso geringer wurde die durch Rotation erzeugte künstliche Schwerkraft, bis sie schließlich ganz nachließ. In der Beinaheschwerelosigkeit drehte er sich so, dass seine Füße jetzt dort standen, wo sich vorher sein Kopf befunden hatte. Einen Augenblick lang erlag er der Illusion, wieder hinabzusteigen.

An einigen Stellen war die Schachtummantelung verformt, und Rinnsale einer schmierigen schwarzen Flüssigkeit liefen über das mattblaue Metall. Ein Kurzschluss oder extreme Hitzeeinwirkung hatte einige Lampen platzen lassen.

Kurz vor dem Ende rutschte Oliver mit dem Fuß von der letzten Stufe und kam hart auf dem Boden auf. Glassplitter knirschten, und sein Knie sandte einen kurzen Schmerzimpuls ans Gehirn.

Die Schleusentür vor ihm war so stark eingedellt, als hätte jemand von der anderen Seite mit einem Rammbock dagegen geschlagen. Großflächig ausgetretenes Maschinenöl glänzte im Licht des Helmscheinwerfers. Er öffnete eine kleine Abdeckung an der Seite, hinter der sich die manuelle Entriegelungsvorrichtung befand, und versuchte den Hebel umzulegen. Verklemmt. Das Teil bewegte sich keinen Millimeter. Die Tür hatte sich so sehr verzogen, dass es unmöglich war, sie mit reiner Körperkraft zu öffnen.

zwei

Oliver bemühte sich nun seit mehreren Stunden, einen Weg zu finden, um Ians sterbliche Überreste aus dem beschädigten Schiff zu schaffen. Er empfand es als unerträglich, die Leiche irgendwo wegzuschließen, und der Weg zu den Kühlräumen war ihm im Moment ohnehin verwehrt. Schließlich begann er nach Alternativen zu suchen, um die Leiche loszuwerden. Widerstrebend fasste er schließlich den Entschluss, den leblosen Körper einzuäschern und über die Abfalleinrichtung aus dem Schiff zu befördern – die Karikatur einer Weltraumbestattung.

Er hatte Zugang zu einem Ofen, in dem man Proben für Experimente verbrennen konnte. Um vor dem entsetzlichen Gestank des verwesenden Körpers geschützt zu sein, zog er sich erneut den Raumanzug über, spritzte sich danach eine hohe Dosis Beruhigungsmittel und verfrachtete den Körper in einen blickdichten grauen Transportsack. So musste er bei dem mühevollen Transport nicht Ians verwüstetes Gesicht ertragen. Nach einem kurzen Innehalten schleifte er die Leiche schließlich in die Verbrennungsanlage.

Er versuchte die Arbeit emotionslos und nahezu maschinell zu erledigen, aber noch, während er die Leiche auf den rot markierten Verbrennungsbereich zerrte, drangen Bilder von Ian an die Oberfläche seines Bewusstseins. Ein so direkter Kontakt mit einem Toten ließ ihn an die eigene Sterblichkeit denken, und immer wieder drängte sich mit lähmender Kälte eine Vorstellung in sein vom Beruhigungsmittel betäubtes Denken: Das, was er hier fein säuberlich über den Branddüsen platzierte, war vor nicht allzu langer Zeit ein fühlendes und denkendes Lebewesen gewesen, eine einzigartige Persönlichkeit, die jetzt für alle Zeit ausgelöscht war. Ian hatte zwar nicht zu seinem engeren Freundeskreis gezählt, dennoch hatte er ihn in den Wochen vor der Tiefschlafphase als umgängliches und intelligentes Besatzungsmitglied erlebt.

Er verließ die Brennkammer, stellte über die Konsole die Temperatur ein und startete den Prozess. Sofort flutete helles Licht den Raum. Er konnte und wollte nicht ins Feuer schauen. Fünf Minuten später war die Leiche vollständig verbrannt. Die Absauganlage brummte, und er wusste die in einem Kunststoffbehälter versiegelte Asche auf dem Weg in den Weltraum.

Er holte Reinigungs- und Desinfektionsmittel aus dem Lager und säuberte Ians Tiefschlafkammer. Danach fühlte er sich wie von einer schweren Last befreit und war zum Umfallen müde. Obwohl es ihm schwerfiel, die Augen offenzuhalten – das Beruhigungsmittel kreiste noch immer durch seine Arterien –, legte er sich nicht in das für ihn vorgesehene Bett in den Gemeinschaftskabinen, denn ihm war nicht wohl dabei. Stattdessen breitete er in der schmalen Wäschekammer ein paar Decken auf dem Boden aus, verschloss die Tür und ließ sich auf das provisorische Lager nieder.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, und er war fest eingeschlafen.

Neun Stunden später erwachte er. Sein Kopf war sofort überraschend klar, und auch sein Knie ließ sich nahezu schmerzfrei belasten. Bei einem kurzen Frühstück mit Toast, Marmelade und bitterem Kaffee (Milch verweigerte der Automat) legte er sich die nächsten Schritte zurecht.

Der einzige verbliebene Weg zur Biozone führte an der Außenhülle des Schiffs entlang. Über den Schiffscomputer rief er die Detailpläne der Dali ab und übertrug die Daten zur Sicherheit in den Raumanzugcomputer. Möglicherweise würde er den Kontakt zur Schiffs-KI verlieren, sobald er die mehrschichtige Schutzhaut der Dali verließ.

Er studierte die Pläne. Die Dali verfügte über eine ganze Reihe von Schleusensystemen, eine Sicherheitsmaßnahme für Havariefälle. Eines dieser Notsysteme befand sich auch im Bereich der Biozone.

Oliver zog sich erneut den Raumanzug über. Da er nicht wusste, welche Überraschungen dort auf ihn warteten, bewaffnete er sich mit einem Laserskalpell. Zur Waffenkammer bekam er keinen Zutritt, da ihm der Zugangscode und auch die Berechtigungsfreigabe, die mittels Netzhautscan autorisiert wurde, fehlten. Er justierte das Laserskalpell auf Höchstleistung und begann mit dem Ausstieg.

Das äußere Schleusenschott fuhr zur Seite und gab den Blick frei auf die sternenfunkelnde Schwärze des Weltraums. Oliver klammerte sich unwillkürlich an die Griffmulden, die rechts und links von ihm angebracht waren, denn das lähmende Gefühl, hinaus in die Leere gesogen zu werden, beherrschte augenblicklich sein gesamtes Denken und Fühlen. Vor sich hatte er ein gähnendes und grenzenloses Nichts, das alles in sich aufzusaugen schien. Die rotierende Signalanlage der Schleusenbeleuchtung tauchte die Kammer in periodisch ab- und anschwellendes rotes Licht. Beim Blick in den Weltraum verlor er jegliches Gefühl für Entfernungen, es gab nur diese grenzenlose, unbegreifliche Weite und eine unerbittliche, bis in die Eingeweide dringende Kälte.

Mit zitternden Fingern aktivierte er die Magnetschuhe und stieg langsam und mit unsicheren Schritten über die dunkle und schartig zerkratzte Schleusenmulde hinweg zur Außenhülle der Dali.

Über ihm spannte sich ein riesiger, funkelnder Abgrund – entsetzliche Bodenlosigkeit, der er nichts entgegenzusetzen hatte. Unter ihm war eine glatte dunkle Fläche, die sich scheinbar endlos in alle Richtungen erstreckte, ein mächtiger metallener Fels, dessen schützendes Inneres er soeben verlassen hatte. Sein Herz raste, und sein Atem ging in kurzen, heftigen Intervallen. Er krümmte sich zusammen und wollte sich an die Schiffshülle schmiegen, Halt finden, doch es gab hier keinen sicheren Ort. Da war nur der endlose Abgrund, der ihn mit kalten Fingern vom Schiff zu pflücken versuchte. Er spritzte sich erneut etwas Beruhigungsmittel.

Das Mittel wirkte schnell. Knapp zehn Minuten später – und mit einer zusätzlichen Portion künstlicher Gelassenheit – setzte er seinen Weg fort. Die Fliehkraft war an dieser Stelle des Schiffs kaum zu spüren, und er stellte die Leistung der Magnetschuhe auf den kleinstmöglichen Wert ein. So fiel das Laufen leichter. Er bewegte sich sehr vorsichtig, um ja nicht den Kontakt zur Schiffshülle zu verlieren. Da er sich nicht mit einem Seil gesichert hatte (dazu benötigte man eine zweite Person), würde jeder Fehltritt mit einem langsamen, einsamen Tod bestraft werden.

Er erinnerte sich noch sehr genau an die Trainingsphase vor dem Abflug der Dali aus dem Marsorbit. Aus rund dreihunderttausend Bewerbern weltweit hatte man siebenhundert Personen herausgefiltert, die für einen solchen Raumflug überhaupt infrage kamen. Drei Jahre hatten die Auserwählten Zeit, in einer Vielzahl von Übungseinsätzen zu beweisen, dass die in sie gesetzten Erwartungen berechtigt waren. Eine dieser Übungen bestand darin, an der noch im Bau befindlichen Dali einen Weltraumspaziergang durchzuführen. Die sonst immer zu Späßen aufgelegte Gruppe, der Oliver zugeteilt war, verhielt sich schon vor dem Betreten des Shuttles sehr schweigsam. Die Anspannung war jedem Einzelnen vom Gesicht abzulesen. Als sie in die Weite des Alls entlassen wurden, begann die schlimmste Stunde seines Lebens. Virtuell hatte er schon Hunderte von Weltraumspaziergängen erfolgreich abgeschlossen und war daher umso überraschter, eine so extreme körperliche Reaktion zu erleben. Das Gefühl war vergleichbar mit einer ins Unerträgliche gesteigerten Höhenangst. Er verlor die Kontrolle über seinen Körper, jede seiner Bewegungen war geprägt von Unsicherheit und der panischen Angst, den Halt zu verlieren und ins All davonzutreiben, schutzlos in die Unendlichkeit zu stürzen. Ringsherum war nur Leere, die ihn sich einzuverleiben drohte, eine Ahnung vom Sterben. Die Empfindung war so stark, dass er sich – von klobigen Magnetschuhen gehalten – zusammenkauerte, während er dem übermächtigen Drang widerstand, zurück ins Shuttleschiff zu kriechen. Mit großer Überwindung gelang es ihm dennoch, den anderen auf dem Weg über die dunkle Schiffshülle zu folgen. Wie er später erfuhr, hatten sich einige andere Mitglieder des Teams während des Außeneinsatzes wie in einem Rausch der Befreiung gefühlt.

Jetzt stand er erneut vor diesem fürchterlichen Abgrund und kämpfte mit seiner Angst. Er bewegte sich langsam vorwärts und hörte dabei nur die gleichmäßigen Geräusche der lebenserhaltenden Anlagen des Raumanzugs und seinen eigenen, übermäßig lauten Atem. Von außen erreichte ihn nicht der geringste Ton. Ein Display übermittelte ihm eine halbtransparente Darstellung der Dali und seinen aktuellen Standort. Der Zielpunkt war weiß hervorgehoben, und ein Richtungspfeil wies ihm den Weg. Er musste fast dreihundert Meter zurücklegen und bewegte sich dabei so langsam, dass er den Eindruck gewann, überhaupt nicht voranzukommen. Er durfte auf diesem kleinen Stück Weg auf keinen Fall in Panik geraten.

Er blickte starr nach unten und setzte sorgsam einen Fuß vor den anderen. Obwohl er sich dabei lächerlich vorkam, zählte er laut jeden seiner Schritte, bis er auf ein Hindernis stieß. Vor ihm ragte ein unförmiger schwarzer Klumpen über einen Meter in die Höhe. Es sah aus, als hätte jemand ein gewaltiges Stück Holzkohle durch den Schiffsrumpf getrieben. Der Übergang zwischen der Dali und dem Fremdkörper verlief in wulstigen Formen, ein Anzeichen extremer Hitzeeinwirkung. Das Material des Brockens schien keinerlei Licht zu reflektieren und wirkte absolut schwarz. Oliver zog einen schmalen Automatikschrauber aus der Werkzeugtasche des Raumanzugs und hieb damit auf das seltsame Material. Die Spitze des Schraubers drang fast ohne Widerstand in den schwarzen Riesenklumpen. Zumindest die äußere Schicht des Objekts schien also porös zu sein. Fasziniert beobachtete er die kleinen Brocken, die sich von der schwarzen Masse lösten und träge nach oben schwebten. Er erhöhte den Druck und drang mit dem Werkzeug noch tiefer in das schwarze Etwas, und plötzlich traf die Spitze des Schraubers auf festeres Material. Oliver stockte, und der Schrauber vibrierte heftig. Der Helmlautsprecher gab ein unerträglich lautes Kreischen von sich, bevor er mit einem spitzen Knall verstummte. Die Anzeigen in seinem Display spielten verrückt, und für einen Augenblick schienen auch die lebenserhaltenden Systeme auszusetzen.

Oliver löste seine Hand von dem heftig hin und her schlagenden Werkzeug, der Griff begann zu glühen, um einen Augenblick später grell aufzulodern und lautlos in einer kleinen Explosion zu zerplatzen, während Oliver einen kurzen, aber heftigen Schlag gegen seinen Oberarm verspürte. Ein kleiner Kringel sofort härtenden Dichtungsmaterials trat an der Aufprallstelle des Raumanzugs aus. Erst Sekunden später spürte er einen stechenden Schmerz.

In seinen Ohren rauschte es, und Panik drang durch den zähen Dunst des Beruhigungsmittels. Schweißtropfen liefen ihm über die Stirn und gerieten ihm in die Augen. Es brannte, Tränen flossen, sein Atem ging wieder stoßweise.

»Entspann dich, verdammt noch mal.«

Er hielt einen Augenblick inne, atmete langsam ein und aus. Das Display schien wieder zu funktionieren und zeigte die vertrauten Anzeigen. Unruhig sah er auf die Zahlen. Bis auf die erhöhten Stresswerte ging es ihm gut. Echte Verletzungen hatte er nicht davongetragen. Er war gesund, körperlich unversehrt. Sein Atem ging jedoch noch immer zu schnell. Er musste es langsam angehen. Für den Weg hatte er schließlich Zeit im Überfluss. Er schloss die Augen und konzentrierte sich auf sein nächstes Ziel.

Wenige Minuten später fühlte er sich wieder kräftig genug, um den Weg fortzusetzen. Vorsichtshalber machte er einen Bogen um das seltsame Objekt und orientierte sich wieder am Richtungspfeil auf seinem Helmdisplay.