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Das Abenteuer beginnt auf vier Rädern! Christian, Ying und der kleine Manuel sind eine schrecklich reiselustige Familie. Das halbe Jahr Elternzeit wollen sie in China verbringen: Yings Familie besuchen, durchs Land reisen und die Kultur genießen. Doch wegen der Pandemie bekommt Christian kein Visum. Ein Plan B ist schnell gemacht: Die drei packen ihr Auto und fahren sieben Wochen lang rund 6600 Kilometer durch Italiens schönste und beliebteste Landschaften. Ein Roadtrip voller spannender Eindrücke: atemberaubende Küsten, eindrucksvolle Sehenswürdigkeiten und stimmungsvolle, teils unbekannte Panoramastraßen. Alle hundert Kilometer wechselnde Landschaften und Mentalitäten. Lustige Reiseanekdoten und herzliche Menschen. Planschen im Meer. Burgen bauen im Sand. Picknicken an einsamen Stränden. Mit dem Laufrad Slalom durch die Touristen fahren - und vieles mehr. Die Erzählung ermutigt zum Aufbrechen! Ein inspirierendes Reiseerlebnis durch eines der schönsten Länder der Welt - für Familien, Paare oder auch Singles! Inklusive Reisetipps und 10 Reiserouten in Italien, die sich in zwei bis drei Wochen nachfahren lassen.
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Seitenzahl: 281
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Für Manuel
Zu Beginn: Von der Idee zum Plan B
ÜBER DEN BRENNER ZUM GARDASEE
Unser »kleines« Los: Erst mal Richtung München
Wiedersehen mit den Tiroler Alpen
Am Ufer des Gardasees
TOSKANA
Zahnschmerzen und Muskelkater in Pisa
Aufatmen und Auftanken in Siena
Träumen und Weinen im Val d’Orcia
ROM UND DIE AMALFIKÜSTE
Ciao Collosseo: schwerer Abschied
Echt jetzt? Ein Krach macht noch nicht den Urlaub!
KALABRIEN
Die schönste Küstenlandschaft Italiens?
Ein kleiner Junge entdeckt das Meer
APULIEN
Ich will hier nicht weg!
Hier möchte ich bleiben!
Wow, ist das schön hier!
Grundriss! Grundriss! Grundriss!
ENTLANG DER ADRIAKÜSTE NACH VENEDIG
Danke, Mario! Die besten Reiseführer trifft man unterwegs
84 Jahre, 2 Monate und wie viele Tage?
Wie möchten Sie die Zwiebel geschnitten?
CINQUE TERRE UND DIE ITALIENISCHE RIVIERA
Ti Amo! Eine Landschaft zum Verlieben
Roadtrip und Panoramastraßen
VOM COMER SEE ÜBER DEN SPLÜGENPASS NACH HAUSE
Bond, James Bond
51 Tornadokurven und 5 Länder
Zum Schluss: Nach dem Roadtrip ist vor dem Roadtrip!
Zehn tolle Reiserouten für die Ferien
Der Entschluss steht fest: Ich nehme eine Auszeit, ein halbes Jahr Elternzeit. So eine Auszeit vom Berufsleben ist eine tolle Sache, weil dadurch die Familie in den Vordergrund rückt. Für mich ist es etwas Besonderes und Aufregendes, eine derart lange Arbeitspause einzulegen.
Eine ernste Sache führt zu dieser Entscheidung: Meine Frau Ying ist gesundheitlich angeschlagen: viele schlaflose Nächte seit der Geburt unseres Sohnes, die veränderte Lebenssituation mit neuer Verantwortung als Mutter, weniger Zeit und Flexibilität für sie selbst. All das hat sie viel Energie gekostet und macht sich regelmäßig durch körperliche Schmerzen bemerkbar. Es kann schon mal passieren, dass sie sich nachts in die Badewanne legt, weil ihr ganzer Körper schmerzt. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder leben zudem weit weg in China, und seit dem Ausbruch der Pandemie hat sie ihre Familie nicht mehr gesehen. Dies stellt eine weitere Belastung für sie da.
Es ist Ende Mai 2021, und ab jetzt geht alles recht schnell. Ich informiere meinen Arbeitgeber, der sehr verständnisvoll reagiert. Das erleichtert mich ungemein, da meine Entscheidung als egoistisch gedeutet werden könnte. Ich spüre aber, dass es die richtige Entscheidung ist.
Die Idee ist schnell erklärt: Wir fliegen als Familie nach China zu den Eltern meiner Frau und leben dort ein halbes Jahr in einer faszinierenden Kultur. Das Coronavirus hält die Welt immer noch in Atem, doch wir sind bereit, die Hürde der Quarantäne gemeinsam in Angriff zu nehmen. Aus unserer Sicht wäre es ein No-Go, einfach unmöglich, dass meine Frau allein mit dem Kleinen zwei Wochen Quarantäne in einem unbekannten Hotel durchsteht. Zu dritt trauen wir es uns zu, auch wenn der Respekt davor und die Ungewissheit enorm groß sind. Denn wir sind alle drei sehr naturverbunden und lieben Bewegung und frische Luft.
Wir freuen uns aber riesig auf das, was danach kommt. Und das überwiegt. Zunächst wollen wir einige Zeit bei Yings Eltern, ihrem Bruder und seinen zwei Töchtern Lala und Mili bleiben. Danach wollen wir die Oma im Süden besuchen und etwas durchs Land reisen. Die Provinz Yunnan reizt uns sehr. Hier waren wir noch gar nicht.
Wir sind mit Yings Familie gut im Kontakt und haben daher aus erster Hand Informationen über die Lage in China. Ich verfolge seit einiger Zeit auch die Reiseinformationen auf der Website des Auswärtigen Amts. Die Corona-Fallzahlen sind niedrig, das Leben in China eigentlich ganz normal. Das klingt gut, da wir etwas durchs Land reisen wollen. Die grundsätzliche Einreisesperre für Ausländer ist zu diesem Zeitpunkt aufgehoben beziehungsweise gelockert. Da ich kein normaler Tourist bin, sondern Familienangehörige in China habe, bin ich mir absolut sicher, ein entsprechendes Visum zu bekommen.
Wie immer, wenn ich mein Visum für China beantrage, mache ich das über eine Visumsagentur. Das ist aus meiner Sicht der komfortabelste und vor allem sicherste Weg. Ich rufe die Agentur an – dann der Schock: Man macht mir relativ schnell klar, dass für mich derzeit keine Chance besteht, ein Visum zu bekommen. Nein, auch kein Familienvisum.
Ich fühle mich überrollt und bin einfach nur traurig. All unsere Pläne und Ideen sind erst einmal auf Eis gelegt. Es tut mir so unendlich leid für Ying. Sie war jetzt schon seit zwei Jahren nicht mehr bei ihrer Familie. Ich weiß, wie sehr Ying ihre Familie und ihre Kultur vermisst, und deshalb weiß ich auch, wie groß der Schmerz jetzt ist.
Und nun? Einfach warten, bis die Tür nach China offen ist? Das wäre möglich, aber wie lange die Einreisevorschriften so sein werden, kann niemand sagen. Ich verschiebe erst einmal den China-Plan von August auf Oktober. Mein Bauchgefühl sagt mir allerdings, dass zwei Monate eine sehr kurze Zeit sind.
Nutzen will ich die Zeit auf jeden Fall und überlege mir Alternativen, auch wenn alles, was mir einfällt, kein Ersatz für China ist. Dabei habe ich das Gefühl, dass unser erster Plan bald hinfällig sein könnte. Wir hatten zuvor für den September ein Ferienhaus an der Atlantikküste in Frankreich für zwei Wochen gebucht. Eine Reise, auf die wir uns freuten, auch wenn es eine normale Urlaubsreise und keine große Auszeit sein sollte.
Der Ort Maubuisson ist wunderbar gelegen, direkt am größten Badesee Frankreichs und nur wenige Kilometer vom Atlantik entfernt. Der ruhige See bietet tolle Schwimm- und Bademöglichkeiten – insbesondere für unseren Sohn Manuel. Das Meer mit seinen hunderten Kilometern von Sandstrand und einer unbeschreiblich schönen Dünenlandschaft bietet ebenfalls ein faszinierendes Wassererlebnis. Nicht zu vergessen sind die Sonnenuntergänge am Meer. Ich war in Maubui-sson als kleines Kind bereits sechs Mal und habe wundervolle Erinnerungen an den Ort. Also entscheide ich mich, diesen Urlaub erst mal nicht zu stornieren.
Eine andere Alternative kommt mir natürlich auch schnell in den Sinn: Seit längerer Zeit liebäugele ich schon mit der Idee, eine Rundreise durch Italien zu machen, mindestens vier Wochen lang. Das ist die Gelegenheit dazu! Zumal wir nach unserer Reise entlang der deutschen Alpenstraße vor einigen Jahren das Roadtrip-Reisen für uns entdeckt haben. Uns reichte ein Auto und eine ganz grob geplante Route. Wir brauchten keine Hotelbuchungen vorab. Wir wollten volle Flexibilität und Raum für Spontaneität – und die Möglichkeit, je nach Situation auf das persönliche Empfinden und auf die Wetterprognosen reagieren zu können. Roadtrips sind etwas Wundervolles, weil sie einem ein besonderes Freiheitsgefühl vermitteln.
Ich definiere einen Reisezeitraum: Mitte August bis Mitte Oktober. Das ist für Südeuropa ideal. Zum einen sind die Temperaturen dann sehr angenehm. Außerdem können wir somit die kostspielige und von Touristenmassen geprägte Ferienzeit weitestgehend umgehen.
Eine erste grobe Route kommt mir in den Sinn: Ein paar Tage Tirol, von hieraus über Venedig die Adriaküste südwärts und auf der anderen Seite den Stiefel wieder nach oben bis nach Rom. Und dann weiter in die Toskana durch den Küstenstreifen Cinque Terre, dann weiter entlang der italienischen Riviera und von dort rüber nach Frankreich bis an den Atlantik, sodass wir Ende September unsere Buchung in Maubui-sson wahrnehmen und nach dem vielen Fahren noch etwas Zeit an einem Ort verbringen können. Vielleicht lässt sich aus den zwei Wochen in Maubuisson eine Woche machen.
Als wir vor drei Jahren die Alpenstraße mit unserem VW Passat abgefahren sind, haben wir (wenn auch etwas verspätet mit Mitte 30) das Roadtrip-Reisen für uns entdeckt. Wir sind damals im Mai spontan losgefahren, weil die Wetterprognose für die Region sehr vielversprechend war. Wir sind jeden Tag in unserem eigenen Tempo gereist, hatten nie ein bestimmtes Tagesziel. Wir hielten nach Lust und Laune an und verweilten an einem Ort so lange, wie es uns gefiel.
In der Regel haben wir uns am späten Nachmittag um eine Unterkunft gekümmert. Dank der Nebensaison und der Möglichkeit, online zu recherchieren und zu buchen, war das ein Prozess von wenigen Minuten. Allerdings waren wir damals zu zweit, jetzt sind wir zu dritt mit unserem Kleinen. Das ist ein Riesenunterschied.
Wir sind daher etwas unsicher und machen uns Gedanken, ob das mit Manuel auch alles funktioniert und ob wir am Ende nicht mehr Stress als Spaß haben werden. Am meisten machen wir uns Gedanken über die vielen Hotelwechsel, die so ein Roadtrip natürlich mit sich bringt – jede Nacht ein anderes Bett. Man hört und liest ja darüber, dass Kinder einen Rhythmus und Beständigkeit brauchen. So oder so ist mir klar, dass unser Reisetempo nicht zu schnell sein darf. Vielleicht ein gesunder Wechsel zwischen Roadtrip und Übernachtungen an einem Ort für mehrere Tage.
Wäre ein Wohnmobil vielleicht eine gute Option? Dann würden wir und der Kleine zumindest jede Nacht im gleichen Bett schlafen. Reizen würde es Ying und mich ebenfalls. Ich recherchiere im Internet, und wir schauen uns auch ein Wohnmobil in der Nähe an. Für einen Mietzeitraum von sechs Wochen liegen wir bei 95 Euro pro Nacht. Das ist okay, am Ende sind die Kosten höher als bei der Option »Auto plus Hotels«, aber in Ordnung. Was uns aber am Wohnmobil am meisten stört, ist etwas anderes: Wir sind nicht sicher, ob das Roadtrip-Reisen mit Kind überhaupt klappt und wollen uns die Option offenlassen, jederzeit abbrechen und nach Hause fahren zu können. Es wäre schade, ein Wohnmobil verbindlich zu mieten und die Reise etwa nach drei Tagen abbrechen zu müssen.
Meine Elternzeit beginnt im August. Ich habe aber auch noch offenen Urlaub, sodass ich bereits Mitte Juli frei habe. Da wir aufgrund der Pandemie in gewisser Unbeständigkeit leben und nicht wissen, wie lange noch die Inzidenz niedrig bleiben wird, wollen wir bereits früher etwas unternehmen. Die Zeit nutzen, da noch in Europa fast alles möglich ist. Allerdings sind noch Sommerferien und die Preise sehr hoch. Kühlungs-born an der Ostsee ist beispielsweise nahezu komplett ausgebucht.
»Komm, lass uns einen kleinen Roadtrip in Deutschland machen, nur ein paar Tage«, schlage ich Ying vor. »Dann können wir ein paar Erfahrungen sammeln und gucken, wie das mit dem Schlafen und dem Kleinen so klappt.« Ich suche mir einige interessante Optionen heraus. Wir entscheiden uns zunächst für die Rheinroute, auch bekannt als Route der »Rhein-romantik«: 350 Kilometer von Köln nach Wiesbaden und auf der anderen Seite des Rheins wieder zurück. Und danach gucken wir weiter, vielleicht schaffen wir es noch auf die deutsche Vulkanstraße.
Dann kommt die große Flut am Rhein, und wir müssen umdisponieren. Letztendlich machen wir einen einwöchigen Roadtrip im Schwarzwald und durchs Elsass in Frankreich – eine Kombination aus Badischer Weinstraße, der Schwarzwaldhochstraße und Elsässer Weinstraße, die Route des Vins. Mit der Option, jederzeit abbrechen zu können, fahren wir los.
Alles klappt wunderbar. Manuel macht sehr gut mit. Obwohl wir jede Nacht in einem neuen Hotel sind, gibt es überhaupt kein Problem. Unser Reisetempo ist aber dennoch klar nach ihm gerichtet. Das Wetter ist herrlich. Wir planschen am Titisee, hüpfen im frisch gemachten Hotelbett. Manuel bekommt jeden Morgen ein leckeres Hotel-Frühstück. Seine Lieblings-Matchbox-Autos sind immer dabei. Es macht ihm riesig Spaß. Wir haben aber auch den Vorteil, dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters noch an Mamas Brust geht und Milch trinkt, das ist für die Reise sicherlich hilfreich. In der asiatischen Kultur ist es gar nicht ungewöhnlich, dass die Kinder bis zu einem Lebensalter von zwei Jahren Muttermilch bekommen.
Auf jeden Fall steht fest: Wir werden den großen Roadtrip wagen! Ungefähr sechs Wochen, vielleicht auch acht Wochen werden es sein. Bella Italia, wir kommen!
Von nun an wird an der Reiseroute gefeilt (unser Feriendomizil in Maubuisson ist bereits storniert). Aber wir achten darauf, dass es ein grober Plan ist – nicht bis ins Detail ausgearbeitet. Ein Plan, der wie gesagt Raum lässt für Spontaneität. Für Reisetipps, die wir unterwegs aufschnappen. Für Landschaften, die uns plötzlich ansprechen. Klar ist aber auch, dass unsere Route weitestgehend der Küste folgt. Die Küste übt auf uns eine magische Anziehungskraft aus. Das klare Blau des Mittelmeeres ist vielleicht eines der schönsten auf diesem Planeten. Die Nähe zur Küste hat für uns auch den Vorteil, dass wir jederzeit anhalten können und mit Sand und Wasser einen riesigen Spielplatz für Manuel haben.
Außerdem schwimmen wir ungemein gerne im Meer, vor allem Ying. Bei mir ist es eher eine Kombination aus ein bisschen Schwimmen und anschließendem Chillen im Wasser.
Wir haben zudem das Glück, dass die beliebtesten und weltbekannten Reiseziele wie zum Beispiel Rom, Venedig oder Cinque Terre nicht hoffnungslos überfüllt sind. Der internationale Tourismus, insbesondere aus Asien, läuft aufgrund der Pandemie-Situation noch auf Sparflamme. Von daher können wir aus dem Vollen schöpfen. Alles, was Italien zu bieten hat.
Ich lese einige Reiseblogs im Internet, bestelle mir zwei Reisebücher und recherchiere unterschiedliche Themen im Internet. Ich möchte erst einmal Ideen sammeln. Ich mache mir daher drei Kategorien: Städte, Strände und Panorama-straßen. Insbesondere die dritte Kategorie hat es für mich in sich. Schließlich ist auf einem Roadtrip der Weg das Ziel. Und was kann es Besseres geben, als auf einer traumhaften Straße mit wunderschönen Ausblicken und Panoramen von A nach B zu kommen.
Die Route wird noch einmal wortwörtlich auf den Kopf gestellt, denn ich überlege mir, dass, wenn wir doch einen großen Teil an der Küste entlangfahren wollen, es besser ist, auf der direkten Straßenseite zum Meer zu fahren. Da wir uns aber natürlich an das Rechtsfahrgebot in Italien halten müssen, bedeutet das, dass wir andersherum (als oben zunächst angedacht) fahren müssen – sprich von der italienischen Riviera kommend auf der Westseite des Stiefels runter und auf der Ostseite wieder hoch. Dies bringt, was ich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht erahne, einen weiteren Vorteil mit sich. Denn so werden wir erst etwas später die Küste Italiens erreichen, was nicht unerheblich ist. Denn wie ich im Verlauf der Reise noch erfahre, haben die Italiener im August Urlaub. Das ganze Land strömt dann an die Stände, und es ist teuer und überfüllt.
Aber es gibt auch einen Nachteil, der mir durchaus bewusst ist und auch noch Einfluss auf die Route nehmen wird: Cinque Terre im Nordwesten Italiens bereits Mitte, bestenfalls Ende August. Nach einigen Recherchen wird mir schnell klar, dass die Übernachtungen in dieser Zeit dort sehr teuer sind. Unter 200 Euro je Nacht ist da kaum etwas zu machen. Mit meinen Standard-Suchkriterien, die ich im Laufe der Reise noch ausgestalten werde (0 bis 100 Euro, eine Bewertung von mindestens 8,0) scheitere ich hier kläglich. Und wir reden von der Stadt La Spezia, nicht von den fünf wichtigsten Ortschaften selbst. Hier zu übernachten hat noch einmal einen ganz besonderen Charme.
Ich suche nach einer Lösung. Sollten wir doch andersherum fahren? Nein. Das kommt für mich nicht infrage. Ich fahre auf jeden Fall auf der zum Meer gelegenen Seite, also entgegen dem Uhrzeigersinn durch Italien.
Also muss ich einen Kompromiss finden und das klappt auch. Wir werden einen Umweg in Kauf nehmen und Cinque Terre zusammen mit der italienischen Riviera nach hinten schieben, sprich am Ende der Adriaküste noch einmal die Seite wechseln.
Unsere vorläufig finale Route sieht dann wie folgt aus: Wir fahren durch Österreich über den Brenner nach Italien, über Südtirol zum Gardasee, wo wir eine Seite des Sees abfahren wollen und gegebenenfalls etwas verweilen. Vom Gardasee geht es in die Toskana, wo uns vor allem Siena und Pisa sowie die Panoramastraßen im Val d’Orcia anlocken. In Florenz waren wir beide schon mal, und es zieht uns irgendwie nicht noch einmal dahin. Vielleicht ist es die Größe der Stadt. Aber wir wollen einige Prioritäten setzen, das Reisetempo nicht zu hoch ansetzen. Weniger ist mehr, wie man so schön sagt. Von der Toskana soll es dann schnörkellos weiter nach Rom gehen.
Ying war schon zweimal in Rom, ich noch nie. Rom ist Pflicht, auf das Kolosseum freue ich mich am meisten. Ying sagt, dass es vor allem im Dunkeln, wenn es leuchtet, eine magische Schönheit entfaltet. Von Rom geht es am Vesuv und an Neapel vorbei an die Amalfiküste. Hier liegt der Fokus auf der Panoramastraße von Sorrent nach Salerno, einer der bekanntesten und beliebtesten Panoramastraßen auf der Welt. Kaum eine Top-Ten-Auflistung der schönsten und beeindru-ckendsten Panoramastraßen der Welt kommt an der Amalfi-küste vorbei. Costiera Amalfitana, sagt der Italiener. Vielleicht lässt sich noch ein Zwischenstopp, für den sogenannten Weg der Götter, einen acht Kilometer langen Wanderweg, einlegen. Wir wissen nur nicht so genau, ob Manuel sich fürs Wandern begeistern kann.
Von der Costiera Amalfitana geht es dann weiter nach Kalabrien, die SS18 an der Küste entlang bis nach Tropea. Kalabrien ist touristisch im Vergleich zu anderen Regionen noch eher wenig erschlossen. Dennoch sagen viele, dass hier die schönste Küste Italiens liegt. Von Tropea, der Spitze des Stiefels und dem südlichsten Punkt unserer Route soll es dann weiter nach Apulien und auf die andere Seite Italiens gehen. Zuerst auf die Halbinsel Salento, der Ferse des Stiefels. Anschließend wollen wir die Adriaküste entlang der SS16 bis nach Venedig abfahren. Sollte uns auf der Küstenstraße langweilig werden, können wir fast jederzeit einen Abstecher in die Berge machen. Denn im Landesinneren Italiens gibt es viele Gebirge. Sie sind nicht so bekannt wie die Alpen, aber laut Reiseberichten durchaus lohnenswert.
Von Venedig aus soll es zurück auf die Westseite gehen, nach Cinque Terre, eines meiner Lieblingsziele auf der Reise und das zu diesem Zeitpunkt nicht mehr so überfüllt sein sollte. Anschließend reisen wir entlang der italienischen Riviera am ligurischen Meer, an Portofino vorbei bis nach Genua. Von Genua aus wollen wir Richtung Deutschland nach Hause fahren. Das wäre erst mal unsere Route.
Italien hat natürlich noch wunderschöne Inseln mit toller Küste: Sizilien, Sardinien oder Capri, um nur einige zu nennen. Auf Sizilien waren wir aber schon in den Jahren zuvor fünfmal und haben hier viel gesehen. Daher lassen wir diese wundervolle Insel, in die wir uns ein bisschen verliebt haben, außen vor. Wir konzentrieren uns auf das Festland. Aus logistischer Sicht und mit unserem Kleinen ist es so am einfachsten.
Ich möchte mich und meine Familie erst einmal vorstellen, bevor die Reise losgeht. Ich bin Christian und während unserer Tour 38 Jahre alt geworden. Ich treibe gerne Sport, Fußball ist eine meiner Leidenschaften. Ich kicke aber nach meinem zweiten Kreuzbandriss vor knapp zehn Jahren nicht mehr selbst. Ich bin verantwortlich für die Planung und Logistik auf unserer Reise, aber auch für das Fotografieren, deshalb bin ich so gut wie nie auf den Fotos zu sehen. Das ist aber absolut okay, da Ying und Manuel viel fotogener sind als ich.
Ich habe vor einigen Jahren das Meditieren im Kontext der Achtsamkeit für mich entdeckt. Die Meditation ist mein täglicher Begleiter, auch auf dieser Reise.
Ich bin der einzige Fahrer. Ying hat zwar einen Führerschein, aber den hat sie erst seit knapp drei Jahren und sie fährt sehr selten. Da ich sehr gerne autofahre, ist das kein Problem bei uns. Besonders gerne fahre ich morgens, wenn das Leben sich warmläuft. Vor allem beim Roadtrip-Reisen kommt mir meine Freude am Autofahren zugute: Alle sind satt vom Frühstück, manchmal wird auch noch im Auto gegessen. Alle sind fit und voller Vorfreude auf den Tag und haben zu diesem Zeitpunkt auch schon ein paar Kilometer Bewegung hinter sich. Auch um die Mittagszeit genieße ich das Fahren. Unser Sohn macht sein Schläfchen, Ying döst häufig ebenfalls mit ein. Ich genieße dann diese friedliche Stimmung und Ruhe im Auto. Ich fahre dann noch langsamer und noch bewusster und erfreue mich der Ausblicke in die Natur.
Meine Frau Ying ist 36 Jahre alt. Sie kommt aus dem fernöstlichen China und ist 2016 nach unserer Hochzeit in Dänemark nach Deutschland gekommen. Ying ist mindestens so sportbegeistert wie ich. Sie hat es weniger mit dem Ball, ihre Leidenschaft sind Yoga, Pole Dance und das Laufen. Es kann schon einmal sein, dass sie morgens vor dem Frühstück spontan einen Halbmarathon läuft. Ying hat absolut kein Sitzfleisch, und das bedeutet für mich, dass ich genügend Zeit (am besten morgens) einplane, damit sie laufen gehen kann oder eine Einheit Yoga macht. Die Pole-Dance-Stange haben wir auf unserer Reise aber nicht mitgenommen. Dafür aber Laufschuhe und Yoga-Matte.
Und dann ist da noch unser Sohn Manuel. Manuel ist an meinem 38. Geburtstag zweieinhalb Jahre alt geworden. Manuel liebt seine kleinen Matchbox-Autos, sein Laufrad und seine Kuscheltiere. Sie alle begleiten ihn überall hin. Hinsichtlich des Themas Sitzen kommt Manuel ganz nach seiner Mutter. Er sitzt so gut wie gar nicht still, sei es im Kinderwagen oder in seinem Autositz. Er steht lieber vorne bei Mama im Fußraum und schaut wie ein kleiner Kapitän durch die Windschutzscheibe nach draußen. Und wenn er sitzt, dann am liebsten bei ihr auf dem Schoß.
Erster Tag: Wow, ein irres Gefühl. Es geht los. Während gestern und heute Morgen noch getan und gemacht wurde, verlassen wir gerade unsere Einfahrt und fahren los. »Das große Los« nannte Meike Winnemuth in ihrem tollen Reisebuch den Antritt ihrer Reise. Unser Los ist kleiner, aber es fühlt sich trotzdem großartig an. Das Auto ist vollgepackt, alles hat seinen Platz. Auf dem Dach haben wir eine kleine Dachbox, die wir uns von Freunden ausgeliehen haben. Denn wir haben für alle Fälle ein Zelt, selbst aufblasbare Matratzen und Bettdecken mit. Ich sitze vorne links am Steuer, hier ist mein Territorium. Ying sitzt vorne rechts, und Manuel sitzt hinten rechts in seinem Kindersitz. Ein Platz, den er im Verlauf der Reise nur noch selten einnehmen wird. Viel lieber sitzt er bei Mama auf dem Stoß und spielt oder steht bei ihr im Fußraum und schaut sich die Umwelt durch die Windschutzscheibe an.
In China, in Yings Heimat, ist es nicht unüblich, dass sich die jungen Mitfahrer im Auto etwas freier bewegen. Wir tolerieren das ebenfalls. Mit einer ruhigen und vorausschauenden Fahrweise versuche ich dem Risiko, dessen wir uns bewusst sind, ein Stück entgegenzuwirken.
Links neben Manuel ist Stauraum, hier liegen der Kinderwagen und sein Laufrad. Wir haben darauf geachtet, dass wir seine Lieblingsspielzeuge von zu Hause mitnehmen, um ihm ein heimeliges Gefühl zu geben. Das Laufrad kommt überall zum Einsatz. Auf dem Rastparkplatz. Beim Bummeln durch die Stadt. Beim Sightseeing. Wenn wir nicht aufpassen, auch an Orten, die nur mit Treppenstufen zu erreichen sind.
Der Kofferraum ist natürlich auch vollgepackt. Alles ist aber (noch) wohlgeordnet. Wir haben viel Proviant dabei, darunter Yings chinesische Gewürze. Wichtig zu erwähnen ist ihr Reiskocher, denn wir wollen unterwegs möglichst wenig auswärts essen. Zum einen geht das ordentlich ins Geld, und zum anderen essen wir gerne salzarm und viel Gemüse. Das lässt sich beim Selberkochen am besten steuern. Der Reis-kocher hat uns in der Vergangenheit bereits große Dienste erwiesen und wird es auch diesmal wieder tun. Wir kochen hiermit nicht nur Reis, sondern auch Suppen, Eintöpfe, Gemüse, Kartoffeln und Fleisch. Er ist für uns eine Art Travel-Kitchen-Aid – sehr handlich, lässt sich gut reinigen und benötigt lediglich eine Steckdose: eine praktische Sache für Roadtrips.
Wir leben in Ostwestfalen, bis zur italienischen Grenze ist es also ein ganzes Stück. Österreich ist für uns lediglich Transit, denn wir wollen innerhalb von 48 Stunden über die Grenze nach Italien sein. Die Einreiseregularien erfordern dies so. Den ersten Tag verbringen wir also auf der Autobahn und auf Rastplätzen. Alles ist ruhig und unspektakulär. Unser Reisetempo ist moderat.
»Boah, cool, Ying«, rufe ich plötzlich. Ying erschrickt sich fast zu Tode und denkt sofort an irgendwas Schlimmes. »Guck mal, die Allianz-Arena!« Wir haben mittlerweile München erreicht, beziehungsweise die A99, die uns um München herumführt – aber eben auch direkt an der Allianz-Arena vorbei. Für Ying ist das Stadion absolut unbedeutend, sie fängt sich gerade wieder nach ihrem kleinen Herzanfall.
Für mich ist es grandios, das Stadion zu sehen. Ich liebe Fußball. Der FC Bayern ist mein Verein. Die Allianz-Arena ist unser »Zuhause«, auch wenn ich hier erst dreimal im Stadion war. Das eine Mal hatte es dafür aber in sich: das Champions-League-Finale 2012 in München. Das »Finale dahoam«.
Nachdem ich mich nun also riesig gefreut habe, die Allianz-Arena gesehen zu haben, geht es kurze Zeit danach schon zum Check-in ins Hotel. Unsere erste Übernachtung ist in Mün-chen-Salmdorf. Das Hotel ist schön und ruhig gelegen, 13 Kilometer entfernt vom Marienplatz. Unser erster Tag endet mit einem Spaziergang in der Abendsonne und einem Spielplatz ganz in der Nähe vom Hotel. Unser Reiskocher sorgt für unser erstes Abendessen auf unserem Roadtrip.
Der zweite Tag: Wir haben im Hotel gefrühstückt und brechen auf. Heute stehen die Grenzübergänge nach Österreich und Italien an. In Österreich verlassen wir für ein paar Kilometer die Autobahn und machen eine kleine Pause in dem Ort Weer-berg.
In diesem kleinen gemütlichen Ort war ich als Kind ungefähr zehnmal. Man hat von hier einen herrlichen Blick in die Berge. Für mich ist es etwas Besonderes, wieder hier zu sein. Als wir den Weerberg zur Ortschaft hochfahren, kommt es mir vor wie im Traum. Die Kurven und der Blick auf die Wiesen am Hang des Berges wirken so vertraut auf mich, als wäre ich erst letzte Woche hier gewesen. In der Tat ist genau diese Situation viele Male in meinen Träumen vorgekommen – ich habe ein Déjà-vu.
Als wir später den Ort und auch das Haus, in dem wir früher jedes Mal gewohnt haben, erreichen, ist das Gefühl nicht mehr so intensiv. Das Haus hat sich stark verändert. Es wurde angebaut, die Balkone auf der Vorderseite mit Blick in die Berge gibt es nicht mehr. Mein Opa war hier schon als junger Vater mit seinen Kindern, unter anderem mit meinem Vater. Er war hier schon über 20-mal. Ihn verband eine feste Freundschaft mit der Gastfamilie, und er war bis zu seinem Tod im 94. Lebensalter immer noch telefonisch im Kontakt mit der Familie. Ob sie dort immer noch wohnen? Ich weiß es nicht. Ich traue mich nicht zu klingeln, es fühlt sich nicht so richtig an – und es ist auch okay für mich in diesem Moment.
Ich habe viele unglaublich tolle Kindheitserinnerung an diesen Ort. Es ist schön, mit Ying und Manuel hier zu sein. Wir machen noch einen kleinen Spaziergang, und dann geht es für uns weiter, denn die Einreise nach Italien steht an. Eine knappe Stunde später passieren wir die Grenze. Unser Mindestziel für heute haben wir erreicht.
Wir befinden uns bereits mitten in den Alpen. Auch wenn Südtirol und die Dolomiten – der schönste Teil der Alpen, wie mein Vater mir sagt – nicht auf dem Programm steht, sind die Landschaften und die Ausblicke, die wir selbst von der Autobahn aus haben, absolut beeindruckend. Kurz hinter Sterzing halten wir auf einem Rastplatz.
Es ist bereits Nachmittag, für uns eine gute Gelegenheit, nach Hotels in der Nähe oder besser noch entlang des weiteren Streckenverlaufs zu gucken. Heute wird es allerdings kein Procedere von nur wenigen Minuten. Ich bin nicht besonders schnell aus der Fassung zu bringen, aber nach zwei, drei Minuten des Abcheckens von Hotelmöglichkeiten werde ich ein wenig nervös. Was ist hier los? Mir werden keine Hotels in unserem Preissegment angezeigt. Nicht mal für unter 200 Euro die Nacht kann man hier unterkommen. Ich starte die Suche noch einmal, finde ein geeignetes und akzeptabel gelegenes Hotel, aber dieses kostet auch 180 Euro. Das ist zu viel.
Wir brauchen für die Nacht ja nichts Besonderes. Wir wollen nur nächtigen – und dann geht’s morgen weiter Richtung Gardasee. Bei der nächsten Aktualisierung wird mir das Hotel nicht mehr angezeigt. Ich nehme das Telefon und rufe dort an, vielleicht gibt es im direkten Kontakt zum Hotel noch einen etwas besseren Preis. Doch die können mir gar nichts anbieten, das letzte Zimmer ist gerade weggegangen. Ich suche bestimmt 20 Minuten weiter und breche dann ab.
Ich probiere unterschiedliche Buchungsplattformen aus und denke nach. »Dann müssen wir eben zelten. Lass uns einen geeigneten Platz zum Zelten suchen«, schlage ich Ying vor.
»Einen Campingplatz?!«, sagt Ying etwas fragend.
»Nein, ein Stück freie Wiese, wo wir unser Zelt aufschlagen. Wo es sicher ist, wir aber auch nicht direkt gesehen werden«, antworte ich ihr ernst. Denn in Italien ist das Wildcampen je nach Region verboten oder bestenfalls Grauzone. Ying meint, dass ich spinne.
Sie hat vermutlich Recht damit, und nach zehn Minuten weiterer Recherche und zwei Telefonaten haben wir einen richtigen Campingplatz gefunden, der noch Platz für uns hat. Dieser ist nur 20 Minuten entfernt und auf dem Weg unserer Route gelegen. Eigentlich wäre ich gerne noch etwas länger für heute gefahren, aber ich bin heilfroh, dass wir eine Unterkunft haben. Also eine echte, und nicht eine wilde Wiese in der Natur.
Der Campingplatz ist richtig schön, wir finden einen Stellplatz auf einer freien Rasenfläche, die hier zum Gelände gehört. Sehr idyllisch in der Natur gelegen, mit Blick auf einen großen Hang. Wir sind schließlich in den Bergen hier. Wir genießen das Gefühl der Freiheit und verspüren alle drei gerade eine große Lust aufs Zelten.
Wir haben im letzten Sommer an einem verlängerten Wochenende bei meinen Eltern im Garten gezeltet, es war fantastisch. Manuel (zum damaligen Zeitpunkt eineinhalb Jahre alt) hatte zu unserer großen Überraschung die ganze Nacht am Stück durchgeschlafen. Es war uns zuvor noch nie gelungen, ihn durchschlafen zu lassen. Es lag wohl an der besonders spürbaren Stille der Nacht und an der Nähe zu den friedlich klingenden Naturgeräuschen – wir haben uns das später so versucht zu erklären. Auch die zweite Nacht bei strömendem Regen und zeitweisen Gewittern im Zelt war total beeindruckend.
Der so typische Geruch im Zelt, die Atmosphäre und die spürbare Sicherheit, die wir empfunden haben, all das hat so ursprünglich auf uns gewirkt. Vielleicht hat es den Naturinstinkt in uns berührt. Wir haben die Einfachheit und die Reduzierung auf so wenig und auf das Wesentliche genossen. Wir haben die Nacht im Zelt als wertvolle Erfahrung geschätzt, als inspirierenden Kontrast zu unserem sonst so komfortablen und verhältnismäßigen luxuriösen Alltagsleben empfunden.
Das Zelt, das wir diesmal dabeihaben, ist zwar kleiner, doch das hat keinen Einfluss auf unsere gute Stimmung. Die Sonne scheint, es ist sehr gemütlich hier.
Ich baue das Zelt auf, keine große Sache, es ist ein Wurfzelt. Manuel düst auf seinem Laufrad umher und macht den Campingplatz unsicher. Ying ist irgendwo in der Natur verschwunden und macht ein paar Yoga-Übungen. Alle sind happy. Später bereiten wir uns mit unserem Camping-Gaskocher noch eine leckere Mahlzeit zu und genießen das Gefühl der Freiheit, das wir hier in der Natur erleben. Ying ist absolut euphorisch und meint, dass wir den Großteil der Reise im Zelt verbringen sollten. »Jaja, alles klar«, antworte ich kurz und knapp. Ich nehme das erst einmal zur Kenntnis, mir fehlt aber ein bisschen die Vorstellungskraft dafür.
Die Nacht wird allerdings anstrengend. Ich kann nicht gut schlafen, das Zelt ist ein bisschen zu kurz. Wenn ich mich ganz lang mache, hängen entweder meine Füße oder mein Gesicht mehr in der Zeltwand als im Zelt. Ying schläft auch nicht so gut. Ich gucke auf die Uhr und es ist gerade einmal Mitternacht. Vier Uhr morgens oder so wäre jetzt deutlich cooler gewesen.
Ungefähr eine Stunde später, eine sehr langsam verstreichende Stunde, sind wir beide gefühlt hellwach, können nicht mehr im Zelt liegen. Wir gehen nach draußen. Ich setzte mich ins Auto, das direkt neben dem Zelt geparkt ist. Hier ist es aber kalt und feucht und ungemütlich. Ying hat nichts Besseres zu tun, als sich die Yoga-Matte zu schnappen und erst einmal Dehn- und Yogaübungen zu machen.
Ich krieche relativ schnell wieder ins Zelt, habe jetzt etwas mehr Platz, da Ying ja noch draußen ist. Irgendwie vergeht diese Nacht dann aber doch noch, und irgendwie finden wir auch noch ein wenig guten Schlaf. Am nächsten Morgen stehen wir früh auf und packen das Zelt und alles ein und sind verhältnismäßig früh wieder auf der Piste. Wir sind froh weiterzufahren, aber auch froh um diese Erfahrung, die auf jeden Fall positiv verbucht wird trotz der Schlafschwierigkeiten. Und das Ganze hatte ja auch noch einen finanziellen Reiz. Wir haben nur 30 Euro gezahlt. Im Vergleich zu den Ho-telpreisen haben wir unsere komplette Zeltausrüstung direkt am zweiten Tag refinanziert.
Es geht weiter: Wir lassen Brixen und später auch Bozen neben uns liegen. Selbst von der Autobahn aus bewundern wir die spektakuläre Szenerie, eine wunderschöne Berglandschaft in den Alpen. Wir wollen aber weiter an den Gardasee. Wenn Ying und Manuel etwas mehr im Auto sitzen könnten, hätte ich auf jeden Fall noch die große Dolomitenstraße mit in die Route eingeplant. Sie führt auf gut 200 Kilometern von Bozen nach Cortina d’Ampezzo. Ich habe mir einige Informationen und Fotos angeschaut, die absolut umwerfend waren.
Mir tut es fast immer noch ein bisschen weh, die Dolo-mitenstraße links liegen gelassen zu haben. Aber, und so argumentiere ich für mich, ist dies ein Reiseziel, was auch in den kommenden Jahren realistischerweise mit dem Auto angesteuert werden kann. Das kann ich beispielsweise über die Panoramastraße von Salento, am südöstlichsten Punkt des Stiefels, nicht so einfach sagen. Deswegen soll der Süden für uns ein Schwerpunkt sein.
Die Rücksichtnahme auf das Wohlbefinden unseres Kleinen steht außerdem immer mit im Vordergrund. Entlang der Küste, entlang der Strände und Buchten ist das Leben für Manuel in seinem jetzigen Lebensalter deutlich attraktiver.
Wir passieren auch Trient, von hieraus ist es eigentlich nur noch eine halbe Stunde bis zum Gardasee. Aber es zieht sich noch ganz schön.
Als wir die Autobahn verlassen und die letzten Kilometer über die SS240 fahren, kommen wir nur noch im Schritttempo voran. Als ob ganz Italien und angrenzende Länder gerade zum Gardasee wollten. Wir halten in einer Ortschaft namens Nago-Torbole. Ein schöner Ort, kann ich nicht anders sagen – und, was mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht so klar ist, traumhaft gelegen: kurz vor dem Gardasee mit herrlichen Alpenpanoramen.