Der Untergang von Florenz - Lukas Hochholzer - E-Book

Der Untergang von Florenz E-Book

Lukas Hochholzer

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Der Privatdetektiv Francesco Marchetti denkt sich nicht viel, als er von einem guten Freund in Florenz erfährt, dass dieser von der Mafia bedroht wird. Er glaubt, dass er den Fall schnell klären kann, begibt dabei aber nicht nur sich selbst, sondern auch andere in Gefahr. Letztendlich wird er dazu gezwungen für die Untergrundorganisation Auftragsmorde zu verüben. Kann er der unangenehmen Verpflichtung entgehen, während in seinem Umfeld zusätzlich kein Stein auf dem anderen liegen zu bleiben scheint? Ein spannender zweibändiger Kriminalroman der etwas anderen Art, wo der Helfer plötzlich zum Täter werden muss, um selbst zu überleben – und zwei Jahre später sein Schicksal erneut herausfordert. "Der Untergang des Francesco Marchetti": Der in die Jahre gekommene Privatdetektiv Francesco Marchetti steht inmitten von unzähligen Trauernden beim Begräbnis des korrupten Bürgermeisters eines kleinen san-marinesischen Ortes. Niemand bis auf wenige alte Feinde Marchettis wissen, dass er der gesuchte Mörder jenes Mannes ist. Nur eine Handvoll von diesen wissen, warum er ihn getötet hat. Nicht einmal er selbst ist sich noch sicher, ob er denn nicht vielleicht doch einen Unschuldigen auf dem Gewissen hat. Darüber hinaus muss er sich in seinem hohen Alter noch ein letztes Mal gegen seine kriminellen Verfolger wehren, bei denen er durch seine Jahrzehnte lange Beschäftigung alles andere als einen wohlgesinnten Eindruck hinterlassen hat ...

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Ähnliche


Lukas Hochholzer

Der Untergang von Florenz

(Band I und II und finaler Teil "Der Untergang des Francesco Marchetti")

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis

BAND I – Finstere Nächte, finstere Tage

BAND 2 – Die Rückkehr

Der Untergang des Francesco Marchetti

Leseprobe: „Der Stilllebenmörder“

Eine Rezension zu „Der Untergang von Florenz (Band I)“

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis

Der Untergang von Florenz – Band I und II und finaler Teil „Der Untergang des Francesco Marchetti“

1. Auflage der aktualisierten Version* (20.12.2019)© Lukas Hochholzer

erschienen im EigenverlagProduktion und Verkauf durch amazon.de

* (mit finalem Teil)

Impressum:Lukas HochholzerErlenweg 1a, 4651 Stadl-PauraÖsterreich [email protected]

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Danksagungen

Gemeindebücherei Stadl-Paura Marktgemeinde Stadl-Paura

Besonderen Dank an Manuela Silbermayr für das umfangreiche Lektorat des finalen Teils „Der Untergang des Francesco Marchetti“!

… und natürlich an alle Leserinnen und Lesern, die mich durch den Kauf dieses und anderer meiner Bücher unterstützen!

Widmung:

BAND I – Finstere Nächte, finstere Tage

Der Privatdetektiv Francesco Marchetti denkt sich nicht viel, als er von einem guten Freund in Florenz erfährt, dass dieser von der Mafia bedroht wird. Er glaubt, dass er den Fall schnell klären kann, begibt dabei aber nicht nur sich selbst, sondern auch andere in Gefahr. Letztendlich wird er dazu gezwungen für die Untergrundorganisation Auftragsmorde zu verüben. Kann er der unangenehmen Verpflichtung entgehen, während in seinem Umfeld zusätzlich kein Stein auf dem anderen liegen zu bleiben scheint?

KAPITEL 1 – Briefkasten

„Ein Fehler bedeutet nicht, dass du versagt hast, sondern dass du deinem Erfolg einem Schritt nähergekommen bist.“

Eine kluge Weisheit, das dachte sicherlich auch Francesco Marchetti, als er die ersten Worte zu seinem Kriminalroman verfasste. Seiner nach Übertreibung neigenden Fantasie war er bereits des Öfteren zum Opfer gefallen, doch dieses Mal sollten nur seine eigenen wahren Erfahrungen niedergelegt werden. Francesco zweifelte zwar, dass jemand seiner Leserschaft sein Werk tatsächlich als glaubhaft vernehmen sollte, doch das war ihm gleichgültig. Er hatte sie ohnehin bereits zu Genüge in früheren Werken überrascht, um so bewertet zu werden – und er schätzte es, denn sein Erfolg ist nicht durch eine Serie trüber und spannungsloser Sachberichte entstanden, sondern durch seine raffinierte Weise, den Leser immer wieder aufs Neue zu entsetzen.

Während die Fiktion noch wesentlicher Teil seiner Lektüren gewesen war, wollte Francesco mit diesem Roman eine gar schmerzlich detailhafte Beobachtung schildern, wie er sie mit aufmerksamem Geiste, aber unzähligen Unklarheiten selbst erlebt habe. Es bedarf keinem Philosophen, Dichter oder großen Denker, um das Konstrukt zu entwirren, in welches er sich gestürzt hatte, sondern nur einen konzentrierten Leser, der Wert auf scheinbar Triviales und allgemein nicht zu bedenken Würdigendes lege – so beabsichtigte er, das Erlebte zu beschreiben.

Wenn das Feuer des Gedachten über seine Lippen fegte, um mit stummer Manier und lobender Tugend übermittelt zu werden, reizte es ihm besonders, sich jene Szenen bildlich vorzustellen und es für den Moment dem Zuhörer zu ermöglichen, Anteilnahme an den wirren Gedanken zu finden, die Francesco zu einem Gemälde der plötzlichen Klarheit zusammenzufügte.

In geballter Hoffnung und leisem Stolz, es würde ihm gelingen, begann Francesco damit, was ihm als erster Anhaltspunkt noch in Erinnerung geblieben ist. Er wusste, dieses Mal musste er nicht sofort begeistern, sondern der Fährte seiner Sinne folgen, die ihm an diesem vertrauten Ort begegneten.

Palazzo Vecchio, Florenz

7.30 – Zu früher Stunde befand ich mich an jenem herrlichen Platz, den ich jeden Montag nur zu gern aufsuchte, um Wocheneinkäufe in den zahlreichen Geschäften zu erledigen. Ich bin gewiss nicht der Einzige, welcher die Meinung vertritt, dass dieser Platz in keiner Städtereise fehlen sollte, ist er doch ein Sinnbild spätmittelalterlicher Geschichte.

Wie an jedem dieser Tage richtete sich mein Blick zuerst auf den Palast, der den Großteil der Fläche in Anspruch nahm. Inmitten der ockerbraun-vergilbten Ziegelsteine ragten rundliche Fenster mit ozeanblauen Glasscheiben hervor. Sie waren von einem betonähnlichen Muster umrandet. Das prunkvollste Objekt war aber der Glockenturm, der an der Seite hervorragte. Das Ziffernblatt und die Zeiger waren im untersten Bereich platziert und links und oberhalb befanden sich jeweils zwei Fenster und eine Maueröffnung, die Schießscharten nicht unähnlich sahen. Darüber war wie schon unterhalb des Turmes ein hoher Balkon, der mit Pfeilern von augenscheinlich zwei Metern Abstand gestützt wurde und erneut zahlreiche rundliche Fenster beherbergte.

Für einen Moment schweifte mein detailgenauer Blick wieder auf den unteren Bereich und ich bemerkte, dass sich zwischen diesen Stützpfeilern je ein Wappen befand. Dies sah ich erst jetzt, obwohl ich auf diesem Platz schon unzählige Male verkehrt bin.

Ein weiteres Mal richtete ich meine Augen auf die obere Spitze des Turmes, wo sich über den Kirchenglocken eine majestätisch wirkende, charakteristisch türkise Kuppel – von dieser Perspektive etwas hinter den Ausschmückungen des Turmes versteckt – offenbarte.

Ganz oben positionierte sich noch eine goldene Flagge und ein gleichfarbiges Symbol eines Löwen, der auch die Bezeichnung des naheliegenden „Löwentores“ zu erklären vermochte, dachte ich.

Nicht weit weg von dem Palast befanden sich die kunstvollen Statuen Michelangelos „David“ sowie Baccio Bandinellis „Herkules und Cacus“. Diese dienten, das wusste ich bereits, als symbolische „Torwächter“.

Dass dieser Platz, wie bereits erwähnt, an Bedeutung nicht zu unterschätzen sei, ist es auch nicht verwunderlich, dass die Umgebung von Touristen wie fast jeden Tag überschwemmt war. In ihrem Sprechgemenge konnte man – nicht nur wegen den unterschiedlichen Sprachen – kaum ein Wort verstehen, so viele waren es selbst direkt neben einem. Diese „Komposition“ wurde nur unregelmäßig von den innerstädtischen Geräuschen ergänzt, ab und zu hörte man im Hintergrund die Warntöne der verkehrenden öffentlichen Verkehrsmittel.

Viel frische Luft gab es selbstverständlich nicht zu atmen, und der Gestank der nicht entleerten Mülleimer, dem überlasteten Abwassersystem und der der symbolischen Hektik und gesellschaftsschädlichen Ruhelosigkeit dieser Menschen ließ einem, wenn man nicht, wie die Touristen von ihrem Erkundungsdrang, benebelt war, nur schwer vorankommen. Selbst Gewöhnung half hierbei nur bedingt, wie ich bei mir selbst feststellte.

Auf meinen Armen und Beinen verspürte ich die warme Sommerluft, die durch die Gassen von Florenz zog. Ich verharrte in diesem Zustand des Wahrnehmens meiner Sinne nun schon über mehrere Minuten hinweg und das fast schon wie in einer Trance, daher schrick ich auf, als mich ein fester Klopf auf den Rücken wieder in die Realität zurückkehren ließ.

Ich blickte um mich. Im ersten Moment konnte ich niemanden erkennen, doch dann wandte ich mich und sah Adalberto, meinen Cousin, der aus Neapel angereist war, um sich hier mit seiner Familie zu erholen. Er hob die Augenbrauen, sichtlich verwundert über meinen verwirrten Gesichtsausdruck, doch er konnte ja nicht wissen, warum.

„Francesco, welch Zufall, dass ich hier in La Bella auf dich treffe. Was führt dich in diese Stadt?“ –

„Das toskanische Flair, das Land, was sonst?“, erwiderte ich und wurde von einem amüsierten Grinsen seinerseits erwidert.

„Land? Zählst du die Touristen nicht mit?“, lachte er und legte eine kurze Sprechpause ein, um eine bestimmte Zahl abzurufen – „Fast 380.000 Einheimische, das ist ja mehr als nur eine Großstadt!“, fügte er fraglich hinzu und erwartete sich vermutlich eine meiner typisch raffinierten Antworten. Natürlich war „Land“ im verstandenen Kontext eher unpassend, doch ich sagte ihm, dass ich damit das Landesinnere meinte und wartete auf eine weitere verblüffte Reaktion.

„Na gut, wenn man’s so interpretiert“, gab er etwas entnervt zu und verstummte für einige Momente. Ich wollte dem Gespräch gerade wieder etwas beisteuern, da holte er zu einer langen Rede aus.

„Auf jeden Fall freut es mich, dich wieder einmal zu sehen. Ich habe viel zu viele Aktivitäten mit meiner Familie zu erledigen, da hätte ich dich vermutlich gar nicht gesucht, doch es handelt sich um etwas Wichtiges“, gestand er. Ich begann zu fragen, was es denn sei, doch er unterbrach meinen Satz, ehe ich ihn beenden konnte.

„Meine Familie … – Wir sind in Gefahr … – Jemand schreibt uns ständig Drohbriefe an unsere Adresse in Neapel und neuerdings erhalten wir diese Post auch in unserer Unterkunft in Florenz. Es ist jedes Mal der gleiche Inhalt, wir besäßen ein wertvolles Erbstück und würden wir es nicht hergeben, drohe man unserer Familie mit dem Tod. Lösegeld werde nicht akzeptiert. Ich bin besonders darüber entsetzt, dass weder Gendarmen noch Polizei Verantwortung übernehmen möchten. Es ist schrecklich …“

Ich erkannte an seiner Stimmlage, dass er noch weitersprechen wollte, doch aufgrund seiner vergleichsweise theatralischen Darbietung fühlte ich mich gezwungen, ihn zu unterbrechen.

„Ich weiß, dass sich die Beamten keineswegs verantwortlich fühlen. In solchen Fällen ist das fast immer so. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass du nun mich als Privatdetektiv bittest, mich um die Drohungen zu kümmern. Aber ich muss dich enttäuschen – das können Drogenhändler, Waffenschmuggler und dergleichen sein und so einem Risiko kann ich mich bei bestem Willen nicht aussetzen.“

Im Augenblick, als ich den letzten Satz vervollständigte, verwandelte sich der ohnehin aufgebrachte Gesichtsausdruck Adalbertos in eine Mischung aus Verzweiflung und Angst. Er schluckte, starrte mich für einige Sekunden an und antwortete mir emotionslos, er würde es verstehen. Dann verabschiedete er sich von mir und wandte sich wortlos weg.

Für eine gewisse Zeit blickte ich zu ihm und begann, Schuldgefühle in mir aufsteigen zu lassen. Als er schließlich durch das „Löwentor“ schreitend völlig meiner Sicht beraubt wurde, überflog mich ein Hauch der Rationalität und ich versuchte, meine Entscheidung, ihm nicht zu helfen, logisch und moralisch denkend zu begründen. Und welche Szenarien sich auch in meinem Kopf abspielten, ich kam immer wieder ein jedes Mal auf den Schluss, nur richtig gehandelt zu haben, denn soll ich tatsächlich mein eigenes Leben aufs Spiel setzen, um ein anderes nur wahrscheinlich zu retten? Kurz überlegte ich meine Position als Privatdetektiv und meine eigentliche Obligation, Menschen in Not, die sich nicht selbst wehren können, zu unterstützen, aber ging so ein Fall nicht selbst über all meine Grenzen hinaus?

Letztendlich beschloss ich, das Beste für diesen armen Mann und seine Familie zu unternehmen und selbst die Ordnungshüter aufzusuchen, ob ich denn vielleicht Glück hätte.

Dachterrasse meines Hauses, Monteloro

um 19.00 – Monteloro, etwas außerhalb der Innenstadt, war vermutlich der beste Platz, ein Haus samt Schwimmbecken, Dachterrasse und einem glorreichen Blick auf die Hügellandschaften und die angrenzenden Weinfelder zu errichten. Es soll durchwegs kein Geheimnis bleiben, dass der Privatdetektiv ein gutverdienender Beruf ist, doch ohne heuchlerisch zu wirken, um das Geld ging es mir tatsächlich nie.

Während ich bereits in meine Gedanken verfallen war, wurde meine Tagträumerei durch ein unverhofftes Ereignis beendet. Aus einer Sonnenliege auf der Dachterrasse liegend konnte ich nur Teile einiger, in schwarz gekleideten Personen erkennen, die sich meinem Haus näherten. Grundsätzlich verstand ich Geräusche als Identifikationsquelle zu benutzen, doch unglücklicherweise zogen es die Unbekannten, vermutlich wegen ihres Vorhabens, vor, verdächtig zu schweigen.

Diese Umstände erweckten in mir zusätzliche Sorge um mein eigenes Wohl, daher versuchte ich mich daran, mich langsam zu erheben und still und vorsichtig einen Blick über das Geländer auf die Straße und Einfahrt zu wagen. Der Anblick löste starke Anspannung aus, waren diese drei Personen doch nicht nur vermummt unterwegs, sondern trugen auch tödliche Waffen bei sich.

Einer von ihnen holte ein Stück Draht aus der grauen Tasche, die ihm sein Komplize reichte und streckte sie zur Haustür. Noch ehe er sie näher hätte anbringen können, wusste ich die Absicht der bislang nur mutmaßlich Kriminellen.

Ich durfte keine Zeit verlieren. Ich musste sie erledigen, ehe sie mich erledigen würden – wie konnte ich denn ahnen, welche Pläne sie noch hätten? In diesem aufregenden Augenblick schien es mir für den Moment nicht zu gelingen, eine vernünftige Lösung zu finden, daher entschloss ich mich, etwas zu tun, was sich im Nachhinein als notgedrungene Fehlentscheidung erklären ließ. Eine Pistole, die ich zwecks meines Berufes, immer bei mir trug, sollte Abhilfe schaffen. Ich richtete sie auf den, der noch an meinem Türschloss herumwerkte, da er mir als größte Bedrohung erschien. Doch ich dachte zu lange nach, die Personen wurden bereits auf mich aufmerksam. Dann ging alles nur mehr instinktiv seinem Lauf. Ich drückte auf den Abzug und starrte dem Projektil nach, dass sich mit enormer Geschwindigkeit auf zumindest einen der Unbekannten bewegte. Ein Aufprall war zu hören, gefolgt von einem erschreckten Schrei. Schnell musterte ich die Lage, wen hatte ich wohl getroffen? Einige Sekunden der Ruhe vergingen, keiner zitterte vor Schmerz, kein Blut war zu sehen, wo war die Kugel denn nun gelandet?

Ich verzweifelte. Hatte ich etwa danebengeschossen? Meine Augen, die nun schon eine bedrohliche Zeit nicht mehr geblinzelt haben, suchten das Areal ab. Dann erkannten sie eine Überraschung: Das Projektil traf nicht einen der Personen, sondern den Briefkasten, bei dem bei genauerer Betrachtung das schwarz umrandete Einschlagsloch nicht zu übersehen war.

Die Verwirrung musste wohl auf beiden Seiten groß gewesen sein, da wir uns trotz einiger bereits verstrichener Zeit nicht regten.

Gerade, als ich wieder die Waffe auf die Unbekannten richten wollte, um einen – dieses Mal hoffentlich glückenden – Schuss zu tätigen, spürte ich einen starken Schmerz in meinem Genick. Zuerst konnte ich ihn nichts zuordnen, dann erkannte ich, dass mich jemand von hinten bewusstlos schlagen wollte. Mir wurde, ehe ich handeln konnte, ein Sack um den Kopf geschnürt, in welchem ich nur schwer atmen konnte. Ein weiterer starker Schlag, diesmal auf den Kopf, versetzte mich dann endgültig außer Gefecht.

KAPITEL 2 – Erschütternde Nachricht

Ich wachte auf. Es war abends, die Dämmerung setzte bereits ein. Mein Blick richtete sich nach rechts und als erstes erkannte ich den bläulich schimmernden Sternenhimmel, unterdessen sich eine bepflasterte Gasse befand, die durch einen mit Gülle durchschwemmten Kanal entzweit wurde. Die Pflastersteine waren beschädigt, teilweise überwachsen, etwas von mir entfernt war eine kleine Brücke mit morschem Holzgeländer, die die beiden Seiten des Kanals verband.

An den Weg angrenzend erhoben sich auf beiden Seiten gleichermaßen bröckelnde Steinquader, die nur schwer an Wohnungen erinnerten. In einer Ecke saß auf einem kleinen Stuhl ein älterer Herr mit langem, weißem Bart und einer Zigarre im Mund, die aber kaum mehr Dampf abgab. Ich hatte vor, ihn nach der Richtung der Innenstadt zu fragen, sodass ich mich orientieren könnte.

Auf dem Weg fühlte ich einen unbändigen Schmerz in meiner rechten Bauchhälfte. Zuerst versuchte ich, diesen zu ignorieren, doch er wurde immer stärker, bis mich meine Knie schließlich zum Boden zwangen. Ich musste heftig husten, spuckte schließlich Blut aus. Ein grässliches Gefühl des Unwohlseins kombiniert mit einengender Atemnot fesselten mich in meiner kränkelnden Pose. Als mich die letzten Kräfte verließen, stürzte ich mit voller Wucht auf die harten Steine und verharrte in diesem Zustand für mehrere Minuten.

Letztendlich beruhigte sich meine Atmung wieder, jedoch verspürte ich bei jedem Versuch, mich wieder zu erheben, einen stechenden Schmerz und wurde aufgrund von Erschöpfung erneut entmachtet. Ich blickte auf meine rechte Hand. Sie war mit Blut überlaufen und brannte schmerzlich. In diesem Moment setzte die um Luft ringende Atmung ein weiteres Mal ein.

Unlängst von meinem Arm entfernt zeigte sich mir ein Bild des Schauers: Eine genähte Narbe in Form einer Bohne befand sich auf der rechten Bauchhälfte. Jetzt fiel mir auch wieder der Unbekannte ein, der mich zuvor bewusstlos geschlagen hatte. Seine Präsenz musste ich völlig verdrängt haben. Es waren vermutlich auch die Personen an meiner Haustür an dieser Tat beteiligt. Das Puzzle schien nun erstmals Gestalt anzunehmen, denn der scheinbare Einbruch durch die Tür diente womöglich nur als Ablenkungsmanöver.

Nachdem ich diese Schlüsse gezogen hatte, starrte ich ein weiteres Mal auf die Narbe, die mir augenscheinlich zugefügt wurde. Zuerst wägte ich noch ab, ob ich sie denn nicht bereits besessen habe, doch dann wurde mir bewusst, was tatsächlich an mir vorgenommen worden ist: Die Unbekannten haben mir zweifellos meine rechte Niere entfernt!

Der Schock saß tief. Wieso wurde nur ich Opfer des abscheulichen Organhandels? Ich halte gute Verbindungen mit der örtlichen Carabinieri in Monteloro aufrecht und diese perverse Kriminalität war selbst in den ärmeren Vierteln Florenz nicht üblich. Deshalb wirkte auch alles recht wunderlich, vor allem Kriminelle in Monteloro, das von Verbrechern weitestgehend verschont bleibt.

Mit Mühen konnte ich mich ein letztes Mal aufrichten. Obwohl ich zuvor noch im Sinn hatte, den älteren Herrn an der Ecke nach einer Wegbeschreibung zu fragen, erübrigte sich dieser Wunsch nach dem aussichtlosen Umstand, in dem ich mich gerade befand, entsprechend.

Ich wählte den Weg über die desolate Brücke, vor der sich eine kurze Gasse erstreckte. Am Ende erkannte ich ein Licht sowie die verschwommenen Umrisse von Menschen erkennen. Durch den lauten Trubel wusste ich, dass es sich um Touristenmengen handeln musste, das Ziel dürfte sich also nicht weit von einem Krankenhaus befinden, das ich nun sehnlichst benötigte.

Via Enrico Forlanini - Krankenaus

16.45 – Ich wurde soeben aus dem Krankenhaus entlassen. Die Untersuchung warf einige Fragen auf, doch sie erleichterte mich auch. Sehr zur Verwunderung des behandelnden Arztes handelte es sich zwar um eine Verletzung, aber keine, die als bedenklich einzuschätzen wäre. In der Tat wurde zwar die Form einer Niere mit Stoff und Nadel in meine rechte Bauchhälfte genäht, es wurde aber keine Operation vorgenommen und die Niere würde noch vorhanden sein. Da der Stich recht schlecht durchgenommen wurde – dies ist vermutlich der schlechten medizinischen Erfahrung der unbekannten Täter geschuldet – entzündete sich der Bereich um die Naht. Es soll aber spätestens in der nächsten Woche von selbst geheilt sein.

Als erste ungeklärter Frage kam in mir auf, wieso eine Nierenentfernung durch die Kriminellen vorgetäuscht wurde. Welchen Zweck diente dieses Blendwerk?

Da ich wusste, diesen Gedanken selbst durch intensives Überlegen nicht beantworten zu können, beschloss ich den Rat des Arztes zu folgen und die nächste Polizeistelle aufzusuchen. Ich wollte ohnehin noch den Fall der Drohbriefe an Alberto melden.

Die Zeit verging nur lähmend. Ich wurde viel gefragt, teilweise unterstellte man mir, dass ich selbst etwas damit zu tun hätte. Am späten Abend konnte ich die Polizeistelle endlich verlassen, man nehme die Untersuchungen so früh wie möglich auf, hieß es. Nach Monteloro war der Weg über zehn Kilometer lang, unmöglich – vor allem in meinem erschöpften Zustand – zu Fuß zu bewältigen. Glücklicherweise konnte ich in meinen Jackentaschen noch etwas Kleingeld aufbringen, das für eine Taxifahrt reichen müsste.

Das Taxi erreichte meinen Aufenthaltsort erst gegen zehn Uhr, die Fahrt würde etwas mehr als eine halbe Stunde dauern, die Verkehrslage nicht miteinberechnet. Ein Ärgernis, nach einem anstrengenden Tag erst so spät zu Hause anzukommen.

Ich stieg in das Fahrzeug ein und gab dem Fahrer die Adresse weiter. Womöglich durch schlechte Erfahrungen bedingt, verlangte er bereits beim Fahrantritt das Geld. Ich gab es ihm und musterte danach sein auffälliges Aussehen. Er war gewiss über fünfzig, die Haare kraus und wild zerstreut, hellgrau strahlend. Der Herr trug einen Schnurbart, inhalierte den Rauch einer Zigarre, die er bei kurvenreichen Manövern zur Sicherheit in der rechten Hand hielt. Sein Gesichtsausdruck wirkte stark angespannt, fast schon gehässig. Er schweifte seinen Blick zu mir und gab mir damit nonverbal bekannt, ich solle aufhören, ihn so anzustarren. Das tat ich auch und versank für einen Teil der Fahrt in einem Sportwagenmagazin, welches ich seit über zwei Monaten in meiner Jacke verstaute und ab und zu zum Zeitvertreib las.

Es musste etwa drei Viertel der Fahrt geschafft worden sein, wir befanden uns bereits in den steilen Serpentinen, die nach Monteloro führten. Das Fahrzeug wurde langsamer und kam schließlich auf der linken Seite der Fahrbahn zum Stehen. Wir befanden uns an einer scharfen Kurve, die mäßig steil den Berg hinaufführte. Es waren sicherlich noch einige Kilometer zu bewältigen, daher wunderte ich mich, dass er mich jetzt schon aussteigen ließ.

Der Fahrer wandte das Fahrzeug. Für einen kurzen Moment dachte ich, er hätte sich verfahren und wir müssten die ganze Serpentine wieder hinabfahren. Doch anstatt weiterzufahren, wurde er wieder langsam und parkte das Taxi auf einem schmalen Schotterweg, der von der Straße ab durch die Olivenfelder führte. Die vom Herbst bunt gefärbten Bäume am Wegesrand ließen ihr Blattkleid zu dieser Jahreszeit auf jede denkbare Ecke der Straßen Monteloros fallen, der Weg, auf dem ich mich nun ratlos aufhielt, war vor lauter Laub nur mehr schwer zu erkennen.

Nun griff der Fahrer um sich. Er suchte offensichtlich nach einem Gegenstand, da er sich hektisch und nervös bei den vielen Möglichkeiten, wo er sich befinden könnte, umsah. Nach einer Weile nahm er ein gelbes Päckchen, das er unter dem Beifahrersitz gefunden hatte, hervor und überprüfte beide Seiten. Als er sich vergewissert hatte, dass es sich in einem guten Zustand befand, reichte er es mir. Ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte und warum er überhaupt den Wagen anhielt, um danach zu suchen. Er sollte mich doch einfach nur nach Hause bringen.

Dann holte er eine Waffe aus seiner Jackentasche hervor und richtete sie mit bösen Blick auf mich. Ich war verständlicherweise überrascht.

„Nehmen Sie das Paket und verschwinden Sie …“, sprach er.

Vor Perplexität war ich einer Starre festgehalten. Er bewegte die Waffe noch näher an meinen Körper. Dieses Signal war genug. Ich verließ das Fahrzeug und blieb am Straßenrand stehen. Während er die Serpentine hinabfuhr, blickte ich dem Fahrzeug nach und war froh, nicht erneut Opfer eines Kriminalaktes geworden zu sein.

Es war mir aber immer noch nicht klar, welchen Zweck das Paket innehielt. Handelte es sich etwa um eine Briefbombe? Ich steckte es ein und machte mich auf den Weg zu meinem Haus, das – entgegen meiner vorherigen Annahme – nur mehr wenige Hundert Meter von meinem momentanen Standort entfernt war. Dies wusste ich, da ich von hier bereits die Dachterrasse erblicken konnte.

Endlich angekommen, es war bereits gegen Mitternacht, wurde in mir plötzlich das sehnliche Bedürfnis, mich nach diesem anstrengenden Tag auszuruhen, wach, doch entgegen meiner Vernunft konnte ich mich nicht mit dem Gedanken abfinden, dass sich etwas Spezielles in dem Päckchen verbergen könnte. Diese Theorie wurde unter anderem dadurch bekräftigt, dass es ja einen Grund geben müsste, warum es mir überreicht worden ist.

Also beschäftigte ich mich zu dieser unchristlichen Zeit noch einmal mit dem Paket. Ich öffnete es und nahm einen weißen Zettel, der sich darin befand, heraus. Was darauf stand, ließ mich erschaudern. Es war von einem Mordfall, den ich zu verantworten hatte, die Rede. So sollte ich letzten Monat eine junge Frau in Fiesole getötet und anschließend ihre Leiche im Lago di Peretola entsorgt haben. Man habe Beweise und fordere ein Lösegeld von über zwei Milliarden Lire, welches ich binnen nächster Woche an einen gewissen Alfredo T. überbringen müsste, sonst drohe mir und meinem Freund Alberto der Tod.

Ich versank in Unglauben über das gerade eben Gelesene. Nun ergab alles Sinn. Die rätselhaften Drohbriefe an Alberto und die vorgetäuschte Nierenentfernung waren lediglich Vorzeichen eines Kriminalfalls, der mir unbegründet angehängt wurde. Es soll klargestellt werden, dass ich für keinen Mord zu Rechenschaft gezogen werden konnte, da ich keinen begangen habe. Demnach handelte es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um ein erfundenes Verbrechen, das zwecks Geldnöten oder unverschämter Gier der Kriminellen an einen Unschuldigen adressiert wurde, um diesen zu erpressen. Ich konnte mir aus jahrelanger Erfahrung auch gut vorstellen, dass ich bereits polizeilich als Verdachtsperson an eben jenem Vergehen gemeldet worden bin, um den Druck auf mich zusätzlich zu erhöhen.

Es stand fest, dass ich keinerlei Möglichkeit hatte, diesen exorbitanten Betrag aufzubringen, dennoch konnte ich den Fall nicht unberührt lassen, hing mein und Albertos Leben immerhin an dünnen Fäden. Da nun ein Konflikt zwischen meiner polizeilichen Meldung und jener, welche die Kriminellen vermutlich gegen mich einreichten, konnte ich mich auf polizeiliche Hilfe nicht mehr verlassen. Die verbliebene Zeit war nicht mehr lang und um mein eigenes Leben und das eines Befreundeten zu retten, musste ich jetzt etwas unternehmen.

Ich versuchte klar und strukturiert zu denken und so schnell wie möglich einen Weg zu erdenken, mit dem mir ein Abwenden dieses grausamen Schicksals möglich wäre.

Zuerst musste ich herausfinden, wer die Täter hinter diesen Fall wären. Der angegebene „Alfredo T.“ lieferte nicht nur aufgrund des fehlenden Nachnamens keine Hilfe, sondern auch aufgrund des Umstandes, dass es sich vermutlich um ein Pseudonym handelte.

Als erster Anhaltspunkt sollte jedoch der dubiose Taxifahrer dienen, der mir diese Botschaft überreichte. Ich konnte mich noch in etwa an sein Gesicht erinnern und plante, gleich morgen einen Bekannten aufzusuchen, der in den Einwohnerlisten Florenz und der Umgebung nach diesen Merkmalen suchen könnte. Die Polizei konnte ich ja offensichtlich nicht damit beauftragen, sie würden es mir aber ohnehin nicht geben, dachte ich.

Schon jetzt rätselte ich, wie es mir gelingen könnte, selbst mit der Identität des Taxifahrers einen Schritt weiterzukommen. Er wäre wahrscheinlich ein Teil der Kriminellen oder wurde von ihnen angeheuert. In beiden Fällen würde er wohl kein Interesse haben, mich zu informieren. Es wäre vielleicht auch zu gefährlich, entkam ich nur knapp dem sicheren Tod durch seine Waffe vorhin.

KAPITEL 3 – Lago di Peretola

9.30 – Ich wachte erst spät am Morgen auf. Dies lag wohl daran, dass die letzte Nacht sehr aufwühlend auf mich einwirkte. Ich konnte mich trotz langer Bettzeit nur mühsam und halbverschlafen aus meinem Bett zwingen und folgte meiner üblichen Morgenroutine. Während ich hastig mein Frühstück hinunterwürgte, erhielt ich einen Anruf. Ich griff zum Telefon, das neben der Obstschüssel am Fenster platziert war und hielt den Hörer zu meinem Ohr. Zu meiner Überraschung erhielt ich einen Anruf von Alberto, dessen Stimme aufgeregt und zutiefst besorgt klang.

„Francesco. Hallo? Francesco… Hör zu! Ich habe schon wieder einen Drohbrief erhalten. Dieses Mal war ein kleines Päckchen mit irgendeinem weißen Pulver darin enthalten“, stotterte er, bedingt durch sein schnelles Sprechen.

„Du wirst es wohl hoffentlich nicht zu dir nehmen“, versuchte ich im ersten Moment noch spaßeshalber zu entgegnen.

„Nein – auf keinen Fall. Aber das Päckchen soll ein Beweis sein …“, antwortete er mit ernster Stimme.

„Auf was?“, fragte ich. Ich war neugierig.

„Sie meinen, ich wäre der Kopf einer Drogenbande in Florenz. Das soll der Beweis sein. Aber das bin ich nicht.“

Ich stutze. So etwas traute ich Alberto gewiss nicht zu. Erst dann fiel mir auf, dass seine erzählte Geschichte eine beunruhigende Ähnlichkeit mit meiner hatte. Ich ließ ihn aber noch weiter erklären, da ich mir bei meiner These noch nicht sicher war.

„Sie fordern zwei Milliarden Lire, sonst töten sie meine Familie. Sie schrecken auch nicht vor Nahestehenden ab, ich befürchte, du bist da involviert. Sag – hast du was mit den Behauptungen zu tun?“ Ich war verwundert, dass Alberto solche Verdachte aufstellte.

„Selbstverständlich nicht. Du musst aber wissen, dass ich ebenso einen Brief erhalten habe. Man wirft mir den Mord einer jungen Frau in Fiesole vor. Kannst du dir das vorstellen? Sie wollen uns ein schlechtes Gewissen einreden, um an unser Geld zu gelangen. Das habe ich aber nicht.“

Für einige Momente sprach er kein Wort. Ich wollte schon fast fortsetzen und ihm das mit der vorgetäuschten Nierenentfernung berichten, doch er fing sich schnell wieder und fragte, ob ich ihm jetzt helfen konnte.

Normalerweise nehme ich solch gefährliche Fälle nicht an, doch hierbei ging es um das Leben mehrerer nahestehender Personen und nicht zuletzt auch um mein eigenes. Die Polizei verfolgt durch die Meldung der Kriminellen nun mich selbst und es blieb bei gründlichster Überlegung keine Alternative übrig.

Ich erzählte Alberto, dass ich bereits einen ersten Anhaltspunkt hätte und er sich keine Sorgen machen müsste. Verständlicherweise konnte er das den Umständen entsprechend nicht recht glauben, doch ich versicherte ihm, dass ich die Gefahr so schnell wie möglich abwenden würde. Dies war immerhin auch wichtig, da ich beim Nichtstun selbst nur mehr einige Tage zum Leben hätte.

Ich beendete das Gespräch und wandte mich einigen Notizen zu, die die Adresse von Santo Fanucci enthielten, jener Person, welche die Identität des Taxifahrers für mich ausfindig machen könnte. Die Notiz war auch schnell gefunden und ich vergeudete keine Zeit, Santo Fanucci aufzusuchen. Ohne seine Hilfe würde ich wohl keinen Schritt weiter kommen.

Fanucci besaß eine Villa in Vertine, ein Dorf in Chianti, das über anderthalb Stunden Fahrtzeit von Monteloro entfernt war. Ich stellte mich also auf eine relativ lange Reise ein.

Vertine war wie seine Nachbardörfer, etwa San Donato in Poggio oder Montefioralle, ein mittelalterlich wirkender Tourismusmagnet. Alle altertümlichen Bebauungen bestanden aus Stein, die vielen Hügeln der Chianti ließen nur durch Tore Eintritt gewähren. Vertine war hierbei keine Ausnahme.

Obwohl ich nur selten Fanucci besuche, habe ich diese Ortschaft bereits des Öfteren angestrebt. Das verspielte und verschlafene Flair weckt auch Einheimische aus der Umgebung. Vertine war unter anderem auch daher so beliebt, da es Kastelle und urige Tavernen bot.

Obwohl das Fahrverbot erst oben beim Tor in Kraft trat, ließ ich meinen Wagen bereits am Fuße des Hügels stehen, da ich wusste, dass hier die letzte Parkmöglichkeit sei. Es war lediglich ein kurzer Marsch hinauf zur Altstadt, als erstes erblickte ich die Kirche und den naheliegenden Friedhof. Trauerweiden sorgten für einen angenehmen Schatten im Hinblick auf die beinahe unerträgliche sommerliche Hitze.

Fanuccis Villa befand sich am anderen Ende des Dorfes, das leider nur direkt zu Fuß ansteuerbar war. Dies ließ mich aber gewiss nicht kränken, da mich mein Weg nun über den einladenden Marktplatz führte. Hier offenbarte sich erst recht das, wofür die Ortschaften in dieser Gegend gut bekannt waren: Zahlreiche Stände luden zum Verweilen ein. Angeboten wurden regionale Weine, die meisten direkt aus den Trauben der angrenzenden Weinreben gepresst, diverse Käsesorten, Oliven, Speck, Zwiebeln, Kartoffeln und eine große Anzahl an weiteren Spezialitäten, die in solch einer Qualität nur hier am Land angeboten werden.

Es ist zu erwarten, dass ich mich gewissermaßen verlockt gefühlt habe, das reiche Angebot zu probieren, doch im gleichen Moment entsprang in mir selbstverständlich der Gedanke, dass ich mich in einem ernsthaften Fall befand und nur ungern Zeit verschwenden wollte.

Am frühen Nachmittag gelang es mir dann dennoch nach etwas Rätselraten und Ausfragen der eher unwissenden Bevölkerung, Fanuccis Villa ausfindig zu machen. Ihn habe ich ja wie gesagt nur selten besucht und daher erklärt es sich auch, dass ich mich nicht mehr recht an die genaue Straße erinnern konnte.

Ich staunte nicht schlecht, als ich sein Haus zu Augen bekam. Es war ein modern wirkendes Eckhaus mit kaminroten Ziegeln am Dach, einen saftig grünen Rasen mitsamt einem einladenden Schwimmbecken. Zusätzlich erhob sich an der Seite ein mit edlem Marmor errichteter Balkon. Viele der Türen waren verglast, ein Springbrunnen auf der Terrasse war mit Gold veredelt worden.

Santo Fanucci konnte es sich ja immerhin auch leisten. Er arbeitete jahrelang in einer Versicherungsagentur, die er später auch selbst übernahm. Der wirkliche Reichtum entsprang aber aus Aktienhandel und eventuell nicht so ehrlichen Geschäften, die er während seiner beruflichen Laufbahn tätigte. Er war erst 57, konnte sich eine Beschäftigungslosigkeit aber wegen der genannten Gründe durchaus gut leisten. Seine Frau ist bereits seit Jahren verstorben, hin und da wird auch spekuliert, dass er eventuell dahinter stecken könnte. Das möchte ich aber nicht glauben. Sein Sohn, sein einziges Kind, hatte jedoch den schlechten Weg gewählt, er trat der florentinischen Mafia bei, handelte mit Waffen, verkaufte gefälschte Pässe. Er hat seit Jahren keinen Kontakt mehr mit ihm und spricht auch nicht gern über den Werdegang seines Sohnes. Das Geld machte ihm aber – entgegen der allgemeinen Meinung – scheinbar glücklich, sodass er diese Schicksalsschläge auch gut verkraften konnte. Er wirkte bei meinen seltenen Besuchen immer äußerst zufrieden und lebenslustig, daher machte ich mir auch keine Gedanken.

Einen Termin habe ich mit ihm nicht beschlossen. Ich hoffte aber, dass er Zeit hätte und sich um mein Anliegen kümmern könnte, sodass sich die lange Fahrt gelohnt hätte. Ich klopfte an der Tür, in hoffnungsvoller Erwartung. Es regte sich nichts, ich klopfte ein weiteres Mal – wieder nichts. Als ich mich schon wandte, um meine Erfolgslosigkeit einzugestehen, wurde mir überraschender Weise doch noch die Tür geöffnet.

„Francesco? Hallo? Was machst du hier in Vertine?“, begann er das Gespräch. Er erkannte sofort, wer ich war.

„Hallo, Santo. Es ist wichtig. Mir wird ein Verbrechen vorgeworfen und ich soll astronomische Summen bezahlen. Ich habe aber bereits einen Anhaltspunkt.“, fasste ich die Not kurz zusammen.

„Was? Verbrechen? Was hast du angestellt?“, entgegnete Santo verwirrt.

„Ich? Nichts – nein … hör zu! Mir wird ein Verbrechen vorgeworfen, um mir ein schlechtes Gewissen einzureden. Ich habe aber nichts damit zu tun, sie wollen nur Geld von mir. Einem guten Freund von mir ist das gleiche widerfahren.“, erklärte ich.

„Und … was soll ich da tun?“ Er wirkte noch immer etwas perplex.

„Ich habe wie gesagt einen Anhaltspunkt. Die Information wurde mir von einem Taxifahrer übergeben, der aller Wahrscheinlichkeit nach in diesem Kriminalitätskomplex involviert ist“, versuchte ich die konfuse Lage zu klären.

„Meinst du, ich kann ihn ausfindig machen?“ Damit brachte er mich schon etwas näher an mein Anliegen.

„Ja, genau. Du hast doch nebenberuflich bei der Kriminalpolizei gearbeitet, oder? Du könntest doch eine Skizze zeichnen, wenn ich dir sein Aussehen genau genug beschreiben würde.“

„Nun ja, das ist schon möglich. Wie viel gibst du mir dafür?“

Ich konnte nicht glauben, dass Fanucci bei seinem Reichtum noch für so etwas Wichtiges Geld verlangen wollte.

„Das gute Gefühl, zwei Menschen in Lebensgefahr gerettet zu haben.“

Da verstand er sofort, wie misslich die Lage sei und wie unpassend er sich verhielt. Er lud mich in seine Villa ein, wir setzten uns auf die Terrasse. Er holte ein Zeichenblatt und ein Stück Kohlkreide hervor und wartete auf meine Beschreibung. Ich schilderte das Aussehen des Taxifahrers so genau, wie es mir möglich war, an einige Details konnte ich mich nicht mehr erinnern. Da versuchte er dann, das Wahrscheinlichste der Zeichnung hinzuzufügen.

Eine gute halbe Stunde später war das Werk vollendet. Er zeigte es mir und ich war erstaunt, wie detailgetreu er das Gesicht auf das Zeichenblatt niederbringen konnte. Mit seinen Händen teilte er mir dann mit, dass er doch wenigstens ein paar Scheine dafür verdienen möchte. Ich war erstaunt, wie resistent er sich gegen grundlegende Moralvorstellungen hielt und gab ihm aus Protest lediglich meine Visitenkarte. Er reagierte erwartungsgemäß verwundert.

„Was willst du jetzt mit der Zeichnung machen?“ – „Weiß ich nicht“, lautete meine Antwort. Ich wusste es ja auch wirklich noch nicht.

Darauf verabschiedete ich mich mit einem plumpen Handschlag und fand mich selbst auf den Straßen Vertines wieder. Nun hatte ich eine halbwegs genaue Zeichnung in meinen Händen und ich beschloss, den restlichen Tag über den Verwendungszweck der Illustration nachzudenken. Immerhin half mir ein Bild genau so viel weiter, als wenn ich den Taxifahrer zufällig auf der Straße sehen würde und ihn so erkennen würde. Zudem war es wieder einmal nur kontraproduktiv, die Polizei mit der Suche nach dem Mann auf der Zeichnung zu beauftragen. Sie würden sich erstens dagegen wehren und zweitens suchen sie ja momentan mich, eine doppelt unkluge Entscheidung.

Plötzlich hatte ich einen merkwürdigen Gedanken. Trotz dessen, dass ich mir sonderbar gut bewusst war, dass ich nichts mit der ermordeten Frau zu tun hatte, fühlte ich einen seltsamen Drang, zu jenem See, dem Lago di Peretola, in dem sie umgekommen war, zu fahren und mir die Lage vor Ort anzusehen. Dies war aber auch zusätzlich noch irrational, da es den Fall wahrscheinlich nie gegeben hat und die Kriminellen sich diesen für ihre Zwecke ausgedacht haben.

Vielleicht war es auch der schlechte Schlaf der letzten Nacht, der mich dazu bewegte, diesen innerlichen Drang zu verspüren, doch ich konnte, egal wie sehr ich versuchte, den Gedanken zu blockieren, nicht mit meiner Seele im Reinen sein, ehe ich zu diesem See fuhr.

In mir kochten Emotionen wie ein unbegründet schlechtes Gewissen, Unsicherheit und ein starkes Gefühl der Beklemmung. Es klang verrückt, aber es wusste ja niemand davon, was ich vorhatte, also beschloss ich – um meinen wirren Geist zu besänftigen – diesen See mit meinem Fahrzeug anzusteuern.

Der Weg war relativ lang. Zwar nicht gemessen in der Luftlinie, aber gewiss in den engen, steilen und serpentinenreichen Kurven, die durch diese Berglandschaft führten. Die quälend heiße Hitze, die in Florenz und Umgebung für gewöhnlich während des Überganges vom Spätsommer zum Frühherbst herrscht, setzte bereits am frühen Morgen ein. Dieser Umstand reizte dazu, trotz wichtiger Notwendigkeiten, jedes Jahr zu dieser Jahreszeit, das Haus nicht zu verlassen. Aber es war immerhin unumgänglich, also sollte ich mich nicht weiter ärgern.

Der Lago di Peretola lag inmitten der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte, die Autobahn war dem Flughafen, der nach Amerikas Namensgeber, Amerigo Vespucci, benannt ist, nur wenige Meter entfernt. Man fragt sich daher, ob dieser kleine See wirklich der beste Ort sei, eine Leiche unbemerkt zu entsorgen. Anderseits lag die moderne Architektur auch dicht neben vielen Bauernhöfen und Getreidefeldern. Zudem war der Lago di Peretola in einem dunklen Gelb, fast schon grün gefärbt. Obwohl ich es nicht wusste, schloss ich darauf, dass der See künstlich geschaffen wurde, um die Gülle, Dünger und andere landwirtschaftliche Abfälle unkompliziert zu entsorgen.

Die unmittelbare Anfahrt zum See erfolgte dann aber doch auf einem etwas abgelegeneren Weg. Eine schmale Gasse führte inmitten künstlerisch geformter Sträucher an eine weiße Brücke, die ich nur mehr zu Fuß überqueren konnte. Ich stellte mein Fahrzeug also davor ab und ging auf den Übergang zu, der lediglich über eine seichte Mulde führte, die zu dieser Jahreszeit aber bestimmt kein Wasser führte.