DER VERGESSENE GOLDZUG - Matt James - E-Book + Hörbuch

DER VERGESSENE GOLDZUG E-Book und Hörbuch

Matt James

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Beschreibung

Fans von Indiana Jones, Nathan Drake, Sean Wyatt und Dane Maddock werden an Jack Reilly ihre helle Freude haben! Hartnäckig halten sich die Gerüchte über einen tief unter den Bergen Polens versteckt liegenden Goldschatz. Viele Glücksritter versuchten ihn zu finden, doch der sagenumwobene Goldzug der Nazis blieb verschollen. Während eines Besuchs der Gedenkstätte Ausschwitz-Birkenau wird der ehemalige Delta-Force-Soldat Jack Reilly Zeuge, wie bewaffnete Söldner den Komplex in ihre Gewalt bringen. Sie werden von einer Frau angeführt, die einen ganz eigenen Plan verfolgt … Mit Hilfe von Heinrich Himmlers Tagebuch will sie dem Goldzug auf die Spur kommen. Von Jack Reillys Vergangenheit beeindruckt, zwingt sie ihn, ihr bei der Suche nach dem Schatz zu helfen. Scheitert er, werden die Geiseln sterben. Aber wenn er Erfolg hat, könnte das Vermögen den Schatten des Dritten Reiches zu neuer Macht verhelfen … "Wenn Sie weltumspannende Abenteuer vollgepackt mit abgedrehter Action mögen, werden Sie Matt James' Bücher lieben!" - Nick Thacker, USA Today Bestseller-Autor

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Seitenzahl: 254

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Zeit:5 Std. 59 min

Sprecher:Mathias Grimm
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Der vergessene Goldzug

Matt James

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: THE FORGOTTEN FORTUNE. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2020. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE FORGOTTEN FORTUNE Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Cyprus Ltd. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Elena Helfrecht Lektorat: Manfred Enderle

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-632-0

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Der vergessene Goldzug
Impressum
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Epilog
Polen unter deutscher Besetzung
Über den Autor

Prolog

Mossul, Irak 2016

Nach zwei Jahren unter ISIS-Besetzung leitete das amerikanische Militär mithilfe der französischen, der kurdischen und der irakischen Truppen eine Operation zur Rückeroberung der Stadt Mossul und zur gewaltsamen Zerschlagung der Bedrohung ein. Es war ein präziser und gut koordinierter Angriff, der das Blatt im Kampf gegen den Terror entscheidend wendete.

Die Nachtluft war kühl und trocken, und der Vollmond stand hoch am Himmel. Hätte Jack Reilly nicht in Erwartung eines Hinterhalts permanent über seine Schulter blicken müssen, dann hätte er angehalten, die Augen geschlossen und die sanfte Brise genossen, die durch die stockdunkle Gasse wehte.

»Los«, befahl er seinen Kameraden aus Operation Delta leise.

Dicht gefolgt von drei anderen Soldaten rannte er über die Straße. Er führte sie die kurze Treppenflucht zum Eingang des zweigeschossigen Hauses hinauf und trat die Tür ein. Als diese schon beim ersten Tritt komplett aus den Angeln flog, runzelte er überrascht die Stirn.

Die werden wohl auch nicht mehr so robust wie früher gebaut.

»Feind in Sicht!«, rief er, riss sein M4A1-Sturmgewehr nach links und schoss dem Mann im Wohnzimmer dreimal in die Brust. Der Bewaffnete war zwar nicht der, hinter dem sie her waren, aber dennoch ein hochrangiges Ziel, das man besser gleich aus dem Verkehr zog.

Mit den Gewehren im Anschlag betrat die Spezialeinheit das Haus und sicherte die erste Tür. Ihrer Information nach handelte es sich bei dem Wohnhaus um den geheimen Unterschlupf eines wichtigen Hauptakteurs des Islamischen Staates im Irak und in Syrien – Qasim Azrael – und seiner sechs Kinder. Er reiste regelmäßig in deren Gesellschaft, wobei er sie als bewaffnete Leibgarde und lebendigen Schutzschild missbrauchte. Azrael machte vor nichts Halt.

»Verdammt heftig«, murrte Jack und ging vorsichtig weiter.

Als sie das Haus vor zehn Minuten betreten hatten, waren sie gut sichtbar gewesen, genauso wie der Mann, den Jack soeben erschossen hatte.

Das Haus war in fünf Zimmer aufgeteilt: Ein Gemeinschaftsbereich, eine kleine Küche und vier Schlafzimmer, von denen zwei im oberen Stockwerk untergebracht waren. Außerdem existierte den Informationen des Teams nach vermutlich ein geheimer Kellereingang auf dem Grundstück. Der war ihr Ziel.

Alles war ruhig.

»Verdammt«, murmelte Jack. »Sucht jeden Quadratzentimeter ab.«

Bald schon hatten sie das gesamte Haus durchkämmt. Offensichtlich waren Azrael und seine Familie auf anderem Weg entkommen. Sobald sie sicher waren, dass das Haus leer war, machten sie sich auf die Suche nach dem versteckten Zugang. Jack polterte gerade die Treppe aus dem oberen Stock herunter, als einer seiner Männer etwas im unteren Hauptschlafzimmer entdeckte.

»Hierher!«, rief Miller.

Jack eilte hinein, der Raum war kärglich möbliert. Ein einfacher Schrank, ein Nachttisch und ein Bett auf einem durchgetretenen Vorleger waren alles in dem ansonsten kahlen Zimmer.

Miller kniete am Ende des Bettes und leuchtete mit einer kleinen Taschenlampe darunter. Zügig hoben die beiden Männer die durchhängende Matratze vom Lattenrost und übergaben sie dem Zweierteam, das vor der Schwelle wartete. Bis auf Bettgestell und Vorleger war der Boden nun leer. Es war jedoch etwas anderes, das ihre Aufmerksamkeit erweckte.

Mitten unter dem Vorleger drückte sich kaum merklich ein quadratisches Relief durch.

Jack stieg auf den Umriss im Metallrahmen. Die Stelle klang hohl und gab unter seinem Gewicht etwas nach. Schnell entfernten sie das Bettgestell und schlugen den Teppich zurück.

»Bingo«, sagte Jack und griff nach dem Metallring, der an der Bodenluke angebracht war.

Dann überlegte er es sich anders und hielt inne. Er wich zurück und rief: »Hey, Dyson, schauen Sie sich das mal an!«

Keno Dyson kam herein und ging auf Hände und Knie. Dann drehte er sich zur Seite und tat das, wofür er ausgebildet worden war. Der junge Afroamerikaner war ein verlässlicher Sprengstoffexperte und wusste alles über dessen Anbringung. In diesem Fall hielt er nach einem Stolperdraht Ausschau.

Er brauchte gerade einmal zehn Sekunden.

»Na, aber hallo.« Er blickte zu Jack hoch. »Gut mitgedacht, Sir.«

Jack grinste und wartete, bis der Mann den Sprengsatz entschärft hatte. Der Eingriff dauerte zwar nur eine Minute, aber in einer Mission wie dieser fühlte er sich eher wie eine Stunde an. Hier war jede Sekunde kostbar. Bald schon würden Azraels Leute herausfinden, was vor sich ging und kommen, um nachzusehen. Jack nahm an, dass der Wachmann, den er ausgeschaltet hatte, regelmäßig nach dem Rechten sah. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit.

Er warf einen Blick über die Schulter und entdeckte ein liegendes Stiefelpaar. Der Rest des Mannes befand sich außerhalb seines Sichtfeldes.

Diesmal nicht.

Nun griff Miller nach dem Lukenring. Das verzogene Holz knarrte, als er die Falltür aufriss. Noch bevor der Kellereingang überhaupt gesichert war, stieg Jack bereits die klappernde, zweckmäßige Metallleiter hinunter. Nach fünf Metern Abstieg hatte er wieder festen Boden unter den Füßen. Der Untergrund war aus Stein und der Raum genauso unscheinbar wie die Leiter selbst.

Jack schaltete die auf dem Gewehrlauf montierte Lampe ein und nahm die Waffe in den Anschlag.

»Was zum …?«

Das war kein Keller, sondern eine Kreuzung aus mit Beton verstärkten Durchgängen, die in alle vier Himmelsrichtungen führten. Jack stand am Eingang eines ausgeklügelten geheimen Tunnelsystems, das ganz Mossul durchzog.

So sind sie also so schnell durch die Stadt gekommen!

»Heilige Scheiße, Sir«, bemerkte Dyson, der als Nächstes unten ankam.

»Das trifft’s ganz gut«, erwiderte Jack und verzog dabei den Mund in einer Mischung aus Hohn und Ekel. Der Geruch war unerträglich. Ohne die Herkunft des Gestanks ausmachen zu können, traten er und Dyson beiseite, um Miller und Lansing Platz zu machen.

»Äh, wohin, Sir?«, fragte Miller, der offensichtlich genauso verwirrt wie alle anderen war.

Jack vertraute auf sein Bauchgefühl und ging nach Norden. Sie bewegten sich nacheinander in einer Reihe, sorgsam darauf bedacht, die Gewehrläufe vom Rücken des jeweils Vorhergehenden abzuwenden. Wie immer führte Jack sie an. Er war einer von Operation Deltas besten Männern und hatte die letzten zehn Jahre ehrenvoll gedient. Wie so viele andere war er direkt aus der Armee rekrutiert worden. Seit dem Tag seiner Bewerbung hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als für eine Spezialeinheit zu arbeiten. Und nach einem kurzen Gespräch mit Solomon Raegor, dem General des Joint Special Operations Command (JSOC), wusste Jack, dass seine Bestimmung beim legendären SFOD-D lag, dem 1st Special Forces Operational Detachment-Delta.

Er hatte sich mit Raegor auf Anhieb verstanden und eine Menge von ihm gelernt. Unglücklicherweise war der General fünf Jahre später an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstorben, was Jack sehr mitgenommen hatte. Er war schon der zweite Mann in Jacks Leben, der vom Krebs dahingerafft wurde. Der Erste war sein Großvater; genauso wie Raegor eine bemerkenswerte Persönlichkeit.

Für den nächsten halben Kilometer wand sich der Tunnel wie eine Schlange, bevor das Team erneut Tageslicht zu Gesicht bekam. Dort bewegte sich irgendetwas. Jack bedeutete den Männern mit erhobener Faust, stehenzubleiben. Dann signalisierte er ihnen, auf ein Knie in Position zu gehen. In dieser Haltung verharrten sie für die nächsten 30 Sekunden und beobachteten, wie ein zierlicher Mann über eine Leiter nach oben verschwand, ähnlich der, die sie selbst hinuntergeklettert waren.

Nein, kein Mann, korrigierte sich Jack. Ein Junge.

»Azrael ist hier.«

Jack richtete sich auf und signalisierte seinen Männern, es ihm gleichzutun. Kontrolliert und mit gleichbleibender Geschwindigkeit bewegten sie sich weiter auf den Ausgang zu. So teuflisch das ISIS-Oberhaupt auch war, Azraels Tod konnte warten, bis sich eine geeignete Gelegenheit bot. Sie waren darauf trainiert, wohlüberlegt zu handeln.

Er ging langsamer und stieg vorsichtig über einen Trümmerhaufen aus Ziegelsteinen und Geröll. Die Erbauer der Passage hatten die Mauer des örtlichen Kanalsystems durchbrochen, um ihr Tunnelnetzwerk damit zu verbinden.

Oh Mann, dachte Jack. Das war es also!

Jack hängte sich das Gewehr über die Schulter und kletterte behutsam die Leiter hinauf. Über ihm schien der Mond in den offenen Schacht, dessen Licht Jack schon vorhin bemerkt hatte. Mit Gullydeckeln hatte er Erfahrung. Selbst für einen Erwachsenen waren sie schwer zu heben, von einem Kind ganz zu schweigen.

In einer fließenden Bewegung zog Jack seine Zweitwaffe, eine Pistole, stützte sich mit dem rechten Arm über der Öffnung ab und streckte den Kopf heraus. Die Gasse ähnelte dem Ort, von dem aus sie vor wenigen Minuten zu ihrer nächtlichen Mission aufgebrochen waren. Im flimmernden Dämmerlicht einer gebogenen Laterne sah Jack den Jungen von vorhin über die Straße hasten. Geduckt rannte er an einer zweiten Lichtquelle vorbei und verschwand in den dahinterliegenden Schatten. Bevor sich der Junge allerdings davonstahl, blickte er kurz zur anderen Seite. Jack duckte sich wieder in den Schacht, nur sein Kopf spähte heraus. Die Augen des Kindes schienen auf Jack zu verweilen, aber er war sich nicht sicher, ob es ihn tatsächlich bemerkt hatte.

Langsam stieg er aus der Kanalöffnung, den Pistolenlauf nach vorn gerichtet. Da keine Bedrohung in Sicht war, steckte er die Pistole wieder ins Holster und entschied sich für die durchschlagskräftigere M4, die deutlich akkurater schoss. Er ließ die Lampe auf dem Lauf ausgeschaltet und verließ sich ganz auf seine Adleraugen.

Weiter vorne zuckte ein Schatten vorbei. Versuchte der Junge, ihn zu ködern, oder war er einfach nur verängstigt und brauchte Hilfe?

Scheiße …

Das gefiel Jack ganz und gar nicht.

»Weiter«, flüsterte er, ohne sich nach seinem Team umzudrehen. Er wusste, sie waren bereits direkt hinter ihm in Position. Er mochte diese Kerle. Sie waren immer genau dort, wo er sie brauchte.

Anders als das Kind schlichen die vier Soldaten um die erste Laterne herum und duckten sich hinter ein paar zerbombten, ausgebrannten Fahrzeugen, bevor sie den Versuch wagten, die Straße zu überqueren. Jack streckte seine rechte Hand aus und bewegte sie langsam auf und ab, als würde er mit einem unsichtbaren Basketball dribbeln. Damit signalisierte er seinen Männern, ihre Geschwindigkeit anzupassen. Dann zeigte er mit dem Daumen auf seine Brust.

Ich zuerst.

Darüber waren Dyson, Lansing und Miller nicht erfreut. Normalerweise teilten sie sich nie auf. Das war aus vielen Gründen zu gefährlich, vor allem mitten in feindlichem Gebiet.

Ab dem Mittelstreifen der verkohlten Straße musste Jack losen Autoteilen ausweichen. Zwischen undefinierbaren Trümmerteilen lag ein halb geschmolzener Reifen, der Großteil einer Windschutzscheibe, durch die sich die Risse wie Spinnweben zogen, und eine Autotür.

Jack hielt inne, als der Junge ins Licht trat. Das Kind zitterte und blickte auf seine Füße, statt auf den Amerikaner vor sich. Der Kleine hatte Angst. Da keine Versteckmöglichkeit in Sichtweite war, blieb Jack stehen und senkte das Gewehr.

Das erwies sich als Fehler.

»Hey«, sagte Jack auf Arabisch, »bist du okay?«

Das Kind schwieg. Statt einer Antwort blickte es aus traurigen, hilflosen Augen zu Jack auf. Dann tat der Junge das Undenkbare. Er hob seine rechte Hand und zeigte Jack etwas – nicht etwa eine Pistole, sondern etwas viel Gefährlicheres: einen Sprengzünder.

Tränen liefen dem Kleinen übers Gesicht. Jack hatte Mitleid und legte das Gewehr auf den Asphalt. Er hob die Hände und sprach leise.

»Ganz ruhig. Du musst das nicht tun.«

Der Junge schniefte. »Doch … ich werde nicht zu ihm zurückgehen.« Er unterdrückte ein Schluchzen. »Ich … ich kann nicht.«

Was hat er dir angetan?

Das Kind hob die Hand, woraufhin Jack nur noch eine Möglichkeit blieb. Er würde den Jungen nicht erschießen. Damit könnte er nicht leben. Also griff Jack nach der demolierten Autotür und hielt sie gerade rechtzeitig vor sich, als ein Feuerball explodierte, so hell wie die Sonne selbst. Die Druckwelle schleuderte Jack zurück. Er landete auf dem Boden, die schwelende Autotür lag auf seiner Brust. Jack versuchte, sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht, und das nicht nur wegen der unzähligen Verletzungen, die ihm jede Bewegung erschwerten.

Das Problem war seine Psyche.

Jack war es egal, dass die Mission gescheitert war. Irgendwann würde die Gerechtigkeit Qasim Azrael schon einholen. Alles, was für ihn zählte, war der kleine Junge, dessen Leben so erbärmlich war, dass er sich lieber das Leben nahm, als zu seinem Vater zurückzukehren.

Jack legte den Kopf auf den Boden und ließ den Tränen freien Lauf.

Er hatte genug vom Militär.

Kapitel 1

Wyoming, USA Heute

Der gut 250 Kilogramm schwere Grizzly stellte sich mühelos auf die Hinterbeine und ragte bedrohlich über den beiden Männern auf. Von Kopf bis Fuß war das Tier mit Sicherheit an die drei Meter groß. Bei ihrer Suche nach einem verschollenen Wanderer waren die beiden auf eine Bärenmutter mit ihren zwei Jungen gestoßen.

Fred Osman, der verschwundene Tourist, wurde vor gerade einmal zwei Tagen zuletzt in der Gegend gesichtet. Sein Handy war seit sechs Stunden nicht mehr erreichbar, was Jack Reilly, einen der Ranger des Yellowstone-Nationalparks, zu der Sorge veranlasste, der Mann wäre ernsthaft verletzt, möglicherweise sogar tot. Nach so langer Zeit fand man jemanden nur selten lebendig, insbesondere im Revier eines äußerst reizbaren Grizzlys.

Tja, ich schätze mal, ich weiß, was Mr. Osman den Garaus gemacht hat, dachte Jack, während er starr wie eine Statue dastand.

Weder er noch sein Partner, Tatanka Durham, sahen dem Biest in die Augen. Stattdessen hielten sie die Köpfe gesenkt. Beide Männer hatten ihre halbautomatischen AR-15-Gewehre im Anschlag, nur für den Fall, dass das Tier auf sie losging. Genau aus diesem Grund waren die Waffen als Standard vorgeschrieben. Bisher hatten sie ernsthaften Konfrontationen meistens ausweichen können, allerdings nur, weil sie auf solche Problemfälle trainiert waren.

Tatankas Name stammte aus der Sprache der Lakota, seines Stammes, und bedeutete übersetzt »Büffel«. Sobald Jack das herausgefunden hatte, war es für ihn naheliegend, Tatanka stattdessen »Bull« zu nennen, weil das Wort in Verbindung mit dessen Nachnamen den Originaltitel eines seiner Lieblingsfilme, Bull Durham, ergab. Die Komödie von 1988 drehte sich um die Durham Bulls, ein Baseballteam der Minor League. Eines von Jacks liebsten Zitaten stammte daraus. Nachdem Kevin Costners Charakter, Crash Davis, Tim Robbins alias »Nuke« LaLoosh herausgefordert hatte, ihm einen Ball in die Brust zu feuern, lachte Nuke über die lächerliche Provokation und warnte Crash, dass er ihn damit töten könnte. Völlig ernst antwortete Crash mit: »Ach, ja? Ich hab’ gehört, du triffst nicht mal das Wasser, wenn du aus ’nem verdammten Boot fällst.«

»Ruhig bleiben«, flüsterte Jack, was eher an ihn selbst gerichtet war.

Bull schwieg, was nicht ungewöhnlich war, denn er war auch sonst nicht besonders gesprächig. Bulls Volk war eins mit der Natur, was bedeutete, dass sie nach Möglichkeit generell leise waren, um ihren bezaubernden Melodien zu lauschen.

Dem Rauschen der hohen Gräser.

Dem Regen auf der Oberfläche eines ruhigen Sees.

Dem verspielten Zwitschern der Vögel in einem abgelegenen Wald.

Bull war ein fähiger Fährtenleser, Jacks Expertise hingegen lag eher im Such- und Rettungsbereich. Gemeinsam war das Zweiergespann bestens für sämtliche Schwierigkeiten gewappnet, die ihnen im Yellowstone-Park begegneten. Es gab fast nichts, dem sie nicht gewachsen waren.

Die Grizzlymutter hatte jedoch andere Vorstellungen.

Ihr kehliges Brüllen jagte den beiden Männern einen ernsthaften Schrecken ein. Selbst für zwei so erfahrene Ranger war die schiere Kraft einer solchen Kreatur nichts, was man unterschätzen durfte. Wenn es wollte, könnte das Weibchen mit mehr als 50 Kilometern pro Stunde hinter ihnen herjagen. Ganz egal, wie sehr sie sich auch anstrengen würden, Jack und Bull könnten ihr nicht entkommen.

Da keiner der Männer sie erschießen wollte, hielten sie die Stellung und warteten geduldig ab. Normalerweise ließen Bären irgendwann locker, wenn man sie nicht provozierte. Bärenmütter waren da allerdings eigen und neigten in der Anwesenheit von Jungtieren zu Überreaktionen.

Ihre vermutlich einzige Option war die Pfefferspray-Pistole im Holster rechts an seiner Hüfte. Sie erinnerte ihn an einen Miniatur-Feuerlöscher, so groß wie ein Trinkbecher. Wenn man damit richtig zielte, konnte der Hochdruckstrahl das Tier erfolgreich abwehren.

Dafür musste man den Angreifer allerdings sehr nah an sich heranlassen.

Wohl kaum, dachte Jack.

Die Grizzlydame verdiente den Tod nicht. Sie tat nur, was alle Mütter tun würden: Sie beschützte ihre Kinder. Jack, Bull und möglicherweise auch der verschwundene Wanderer waren hier die Eindringlinge, nicht sie. Aber mit jeder verstreichenden Sekunde, in der sie nicht umkehrte und aufgab, fürchtete Jack, ihr Tod wäre unvermeidbar.

»Mach dich bereit«, sagte er und blickte dabei auf.

Sobald er der Bärin in die Augen blickte, brüllte sie. Jack hatte sich gerade offiziell zu ihrem Feind erklärt. Aber das war Absicht. Das Weibchen mochte vielleicht klug sein, aber sie war kein Mensch – und erst recht keiner wie Jack Reilly.

Die beiden Bärenjungen erwiderten das Gebrüll und zogen sich in das Dickicht hinter ihrer Mutter zurück. Langsam legte Jack das Gewehr an, ohne jedoch den Finger an den Abzug zu legen.

Die Bärin ließ sich auf alle viere fallen, senkte den Kopf und jagte wie ein Torpedo auf ihn zu. Sie konzentrierte sich einzig auf den Feind vor ihrer Nase: Jack.

Aber der hatte noch ein Ass im Ärmel, denn er wusste mehr über die Bärin als umgekehrt. Trotz ihrer imposanten Größe waren Grizzlys überraschend agil. Außerdem war der Biss dieser Spezies stark genug, um eine Bowlingkugel zu zermalmen. Jack war allerdings mehr am Gewicht dieses Exemplars interessiert, das es zusammen mit seiner beeindruckenden Laufgeschwindigkeit eher wie einen bezahnten, außer Kontrolle geratenen Felsbrocken als einen leichtfüßigen Ninja erscheinen ließ.

Als nur noch wenige Meter zwischen ihnen lagen, schrie Jack: »Jetzt!«

Er hechtete nach links, Bull nach rechts. Die Bärin versuchte verzweifelt, die Richtung zu ändern, was ihr aber nicht gelang, woraufhin sie ins Stolpern geriet und hinfiel. Sie rollte ins dichte Unterholz und verschwand außer Sichtweite. Statt die Bärin näher an sich heranzulassen, nutzte er ihre eigene Kraft gegen sie.

Leise richtete sich das Duo auf und lauschte, dann nahmen sie die Gewehre in den Anschlag und zogen ihre Pfefferspray-Pistolen. Sie konnten hören, wie sich die Bestie durchs Gebüsch kämpfte, aber immerhin war sie noch nicht wieder aufgetaucht, um den Kampf erneut aufzunehmen.

Scheiße.

Jack könnte sich nie vergeben, wenn er sie verletzt hätte.

Langsam schlich er voraus, Bull folgte dicht hinter ihm.

Zwischen ihm und dem Gebüsch lag nun weniger als ein Meter. Blitzschnell schoss die Pranke des Grizzlys aus den Sträuchern und schlug Jack das Pfefferspray aus der Hand. Eine ihrer gigantischen Klauen schlitzte ihm das Handgelenk auf. Sein Gewehr wurde abgerissen und fortgeschleudert. Dann tauchte die Bärin auf, und sie war wütend.

Völlig unbewaffnet taumelte Jack panisch rückwärts. Hinter sich sah er Bull, der sein Gewehr fest im Anschlag hielt. Jack signalisierte ihm mit erhobener Hand, nicht auf das Tier zu schießen, und bat ihn um mehr Zeit, die Situation zu entschärfen, ohne dass er oder der Grizzly Schaden nahmen. Gleichermaßen war Bull der Letzte auf der Welt, der ein lebendiges Wesen verletzen wollte. Er schätzte das Leben der Kreaturen, die die Welt bevölkerten, mehr als die meisten.

Jack hingegen hatte den Großteil seines Erwachsenenlebens damit verbracht, eine bestimmte Gruppe davon auszulöschen. Dennoch war sein Gewissen rein. Das Wissen darum, dass die Menschen, die er getötet hatte, absolut verachtenswert waren, ließ ihn nachts ruhig schlafen. Er hatte sich darauf spezialisiert, Menschen zum Schweigen zu bringen, denen es Freude bereitete, andere zu verletzen. Jetzt lag seine Aufgabe darin, Leben zu erhalten. Parkwächtern wie ihm oblag die Verantwortung über den gesamten Yellowstone-Park. Die Tiere, Pflanzen, Steine und Menschen innerhalb des UNESCO-Weltkulturerbes unterlagen dem Schutz von Jacks Arbeitgeber, dem National Parks Service (NPS).

Die Grizzlydame hatte sich erneut auf die Hinterläufe gestellt und kämpfte sich durchs Unterholz, während sie dämonisch knurrte. Ihre schiere Wut war beachtlich. Jack hätte nichts lieber getan, als sie von weit weg zu beobachten, aber stattdessen steckte er mittendrin.

Als sie wieder auf alle viere ging, um auf Jack zuzustürmen, schloss er die Augen und wartete auf sein Ende. Entweder würde er sterben oder schwer verletzt werden. Ganz egal, wie es auch ausging, er stand kurz davor, herauszufinden, wie es sich anfühlte, von einem Grizzly zerfleischt zu werden.

Wie durch ein Wunder kam es dazu aber nicht.

Jack erschrak, als er sich mit der Bärin in einer Wolke Pfefferspray wiederfand. Das Gemisch ließ ihn und das Tier sofort nach Luft schnappen. Um zu schreien, atmete er versehentlich tief ein und erwischte eine kleine Menge der Aerosole. Damit erfuhr er am eigenen Leib, wie es war, am anderen Ende der Pfefferspray-Pistole zu stehen.

Die Bärin jaulte und winselte, dann flüchtete sie heulend wie ein gescholtener Welpe. Ihre Jungen eilten ihr nach, wobei sie einen Bogen um Jack und die verbliebene scharfe Wolke machten. Mit geschlossenen Augen griff Jack nach seiner Linken. Er hob den Kopf gen Himmel und zog seinen vielleicht wichtigsten Ausrüstungsgegenstand hervor: die Feldflasche. Dann schraubte er den Deckel ab und spritzte sich das Wasser mehrmals ins Gesicht, um die gröbsten Rückstände abzuwaschen.

Als er seine Augen wieder öffnete, seufzte er und drehte sich um. Bull war nicht gerade erfreut, behielt sein Missfallen aber für sich. Sein finsterer Blick sprach Bände. Jack hatte ihn gerade dazu gezwungen, einem Kind der Natur wehzutun.

»Tut mir leid«, sagte Jack und kratzte sich am Kopf. »Das hab ich mir deutlich einfacher vorgestellt.«

Endlich formte sich Bulls Mund zu einem kleinen Lächeln. Er rollte mit den Augen und holsterte seine leere Pfefferspray-Pistole, während er Jacks Gewehr vom Boden aufhob. Durch den Tränenschleier lokalisierte Jack sein eigenes Pfefferspray gut zwei Meter nach rechts.

»Du unterschätzt ihre Kraft«, bemerkte Bull, seine sonore Stimme grollte wie Donner.

»Was denn, du meinst die Bärenmami?«

Bull schüttelte den Kopf. »Nein, die Natur. Sie ist unberechenbar, und sie beugt sich dem Willen des Menschen nicht so einfach.«

Jack wusste, er hatte recht. Selbst nach den letzten vier Jahren als Park-Ranger hatte er sich nie daran gewöhnt, keine Kontrolle über die Dinge zu haben. Das hier war die Wildnis, kein gut koordinierter Militärschlag. Hier draußen hatte die Menschheit nicht die Oberhand, sondern einzige und allein Mutter Natur.

Bisher war Bull Jack ein guter Mentor und ein noch besserer Freund gewesen. Einst hatte er Jack zwei selbstgemachte Armbänder gegeben, nachdem er von der Vergangenheit des Ex-Soldaten erfahren hatte. Sie symbolisierten Bulls Bewunderung für Männer wie ihn. Jack schätzte diese Geste sehr. Nicht jeder konnte nachvollziehen, warum sich manche Leute in den Dienst des Militärs stellten, und einige von ihnen hatten Jack für einen Idioten gehalten, sich freiwillig in Lebensgefahr zu begeben.

Bull hatte ihn nie gefragt, warum er den Terror bekämpfte. Stattdessen hatte er ihm einfach nur für seine Dienste gedankt. Einige Monate nach seinem Geschenk hatte er dann herausgefunden, wie alles zusammenhing. Wie sich herausstellte, war Bulls verstorbener Vater ein Veteran gewesen.

Das hübsche, mit Perlen verwobene Armband an seinem linken Handgelenk symbolisierte Stärke, während das an seinem rechten für Mut stand. Jack hatte sie sich dankbar umgebunden und seitdem kein einziges Mal abgenommen. Wenn es nach ihm ging, dann würde er das auch nie.

Nachdem Jack sich ein zweites Mal das Gesicht abgewaschen hatte, machte er sich mit Bull wieder auf den Weg. Mr. Osman wurde nach wie vor vermisst, und sie mussten seinen Verbleib noch vor Sonnenuntergang in Erfahrung bringen. Falls ihnen das nicht gelang, liefen ihre Chancen, ihn zu finden, gegen null. Der Park war einfach zu weitläufig. Nur selten blieb jemand an der gleichen Stelle. Normalerweise streiften sie herum, bis sie erschöpft und dehydriert waren.

Das war auch Jacks Vermutung.

Das verräterische Piepsen von Jacks Satellitentelefon unterbrach ihre Suche. Er ging langsamer und zog es aus der Seitentasche seines Rucksacks, die Nummer auf dem Display war die ihres Hauptbüros. Üblicherweise war es der Außendienst, der das Büro anrief, nicht umgekehrt.

Er nahm ab. »Hier ist Jack.«

»Hey Jack, hier spricht Sally.« Sie war nicht so fröhlich wie sonst.

Sally Siling war das wichtigste Rädchen in der Maschine, die ihr Team darstellte, und war für Kommunikation und Logistik verantwortlich. Außerdem koordinierte sie ihre Zusammenarbeit mit der örtlichen Polizei. Sally war die Brücke zwischen dem National Park Service und dem Rest der Welt.

»Hey, Sal. Was gibt’s?«, fragte Jack beunruhigt. »Alles okay in der Zentrale?«

»Alles in Ordnung hier.« Sie seufzte. »Jack, wir haben grade einen Anruf reingekriegt.« Ihre Stimme klang zittrig. »Weil du im Außeneinsatz bist, konnten wir ihnen nicht genau sagen, wie lange es dauern würde, dich zu erreichen, also sollten wir es dir ausrichten und …«

»Sal«, unterbrach Jack. Irgendetwas stimmte nicht. »Was ist los?«

»Es tut mir so leid, Jack. Deine Großmutter …«

Kapitel 2

Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau Oświęcim, Polen

Agatha Reilly, geboren als Agatha Catherine Strzempka, war eine bemerkenswerte Frau. Die polnische Historikerin und ehemalige Lehrerin hatte Jack adoptiert, als er sechs Jahre alt war, nachdem Sohn und Schwiegertochter an Bord eines Einzelpropellerflugzeugs ums Leben gekommen waren. Jacks Eltern hatten einen Rundflug über die Nazca-Linien in Peru unternommen, der wegen Motorenversagen abgestürzt war.

Gemeinsam mit ihrem Mann, Philip Ernest Reilly, einem britischen Veteranen, der im Zweiten Weltkrieg gedient hatte, zog Agatha Jack in einem Haus groß, das bis zum Anschlag mit archäologischer und militärischer Geschichte angefüllt war. Ein paar Jahre nach ihrer Hochzeit wanderten die Reillys in die Vereinigten Staaten aus. Philip hatte sich als Börsenhändler erfolgreich selbstständig gemacht und Agatha hatte eine Stelle am Smithsonian Museum angenommen. In ihren späten Fünfzigern setzte sich das Paar schließlich zur Ruhe, nachdem Philip ein paar erfolgreiche Investitionen getätigt hatte.

Jacks Großmutter – seine Babcia – hatte ihre Leidenschaft für Geschichte nach ihrer Zeit als Gefangene in Auschwitz entwickelt, dem wohl bekanntesten Konzentrationslager der Nationalsozialisten. Hitlers skrupellose Gestapo hatte die Haustür ihrer Familie eingetreten, als sie noch ein Teenager war, und sie und ihre Familie für nichts weiter festgenommen, als dass sie Juden waren. Das war das letzte Mal, dass sie ihre Mutter und ihren Vater gesehen hatte.

Von Anfang an war Agatha eine zielstrebige und wissbegierige Frau gewesen. Sie hinterfragte alles, was damals schon den meisten ein Dorn im Auge war. Ihre große Liebe hatte sie dann erstmals in dem britischen Soldaten namens Philip gefunden, dem sie begegnete, nachdem Auschwitz von der Roten Armee befreit worden war. Der Tag, an dem das Vernichtungslager von den Russen ein für alle Mal stillgelegt wurde, war ein großer Tag gewesen.

Jack verdankte seinen Großeltern alles. Sie nahmen ihn mit offenen Armen auf und zogen ihn nicht nur wie einen Enkel, sondern wie ihren leiblichen Sohn auf. Jacks Vater, Phil Jr., ein freiberuflicher Fotograf, hatte seine Bilder an große internationale Nachrichtenagenturen und Zeitschriften verkauft. Er und Jacks Mutter, Stephanie, hatten die Dienstreise, während der sie tragisch verunglückten, mit ihrem zehnten Hochzeitstag verbunden.

Jack blinzelte sich die Tränen aus den Augen. Er erinnerte sich an diesen Anruf, als wäre es gestern gewesen.

Seine Großmutter hatte den Anruf wie an jedem anderen Tag entgegengenommen. Er war oft bei ihnen über Nacht geblieben, was er gerne tat, wann immer seine Eltern verreisten. Er liebte das Haus seiner Großeltern. Es war über und über mit historischen Artefakten vollgestopft – ein Miniaturmuseum, das das Herz eines jeden jungen Geschichtsliebhabers höherschlagen ließ. Jack wuchs mit dem Wunsch auf, eines Tages genauso wie Philip und Agatha zu werden.

Er liebte die Geschichten, die ihm sein Großvater über seine Zeit im Dienst des Militärs erzählte.

Als Junge saß Jack mit großen Augen da und hörte seiner Großmutter dabei zu, wie sie ihm von den Orten erzählte, die sie besucht hatte, und den Dingen, die sie dort gesehen hatte. Selbst nachdem Agatha in den Ruhestand getreten war, war sie Jacks Fragen nie überdrüssig.

Unglücklicherweise war die Zeit, in der er von seinem Großvater lernte, auf die nächsten zehn Jahre beschränkt. Philip starb, als Jack noch zur Highschool ging. Sein Tod bewegte ihn schließlich dazu, sich in den Dienst der US Army zu stellen. Er wollte das Erbe dieses Mannes, der so tapfer gegen das Schlimmste aller Übel, die Nazis, gekämpft hatte, in Ehren halten.

Heldenhaft hatte Philip Omaha Beach erstürmt und dann dabei geholfen, Deutschland von der Herrschaft der Nationalsozialisten zu befreien. Obwohl er aber ein Kriegsheld war, hatte er nie Wert auf Anerkennung gelegt. Mit Jacks Dienst im Rahmen der Operation Delta verhielt es sich ähnlich. Sie waren nicht hinter Ruhm oder Reichtum her. Nein, Soldaten brauchten kein Rampenlicht, um stolz auf ihren Verdienst zu sein. Jack und seine Kameraden taten einfach, was getan werden musste. Mehr nicht.

Die kühle Brise holte Jack in die Gegenwart zurück. In Polen war es schon fast Winter. Die Temperaturen lagen bereits unter null Grad und von Zeit zu Zeit wirbelte leichter Pulverschnee durch die Luft. Ihr junger Reiseführer, Kaspar, hatte Jack und zwei Dutzend anderen Besuchern eine eindringliche Rundtour durch das Stammlager gegeben. Er hatte viel darüber gelernt, was die Gefangenen hier durchmachen mussten.

Was meine Babcia durchmachen musste, dachte er, während er sich eine junge Agatha Strzempka vorstellte, die in Reih und Glied zu den Baracken marschierte.

Außerdem gab es da noch das zentrale Aufnahmegebäude für neue Gefangene, die Krematorien, die Sanitärbaracken und natürlich die Gaskammern. Auch wenn das alles grauenhaft war, war es doch gleichermaßen wichtig, die Leute darüber zu unterrichten, damit sich so etwas nicht wiederholte.