Der Versicherungsmakler - Gerth Haase - E-Book

Der Versicherungsmakler E-Book

Gerth Haase

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Beschreibung

Es war die Idee, Versicherer auf die kühnste Art mit fiktiven Verträgen zu betrügen und anschließend mit einer siebenstelligen Summe im Ausland in Saus und Braus zu leben. Der Plan schien aufzugehen, doch der Partner kam dem Vorhaben zuvor, plünderte die Konten und verschwand ins Ausland. Nach dreieinhalb Jahren Gefängnis ging die Suche nach dem Partner los und wurde in Schweden erfolgsversprechend. Mit einem englischen Ganoven namens John Harper, der selber zuvor in seiner Heimat einen verunglückten Geldtransporter ausraubte und damit flüchtete, wurde das Geld in eine Marina investiert. Dabei wurde nicht bemerkt, dass sie selbst von windigen Geschäftsleuten über den Tisch gezogen wurden. John Harper machte seinem Kompagnon dafür verantwortlich, worauf die Bitte geäußert wurde, dass man John Harper umlegen sollte. Eine sehr abgefuckte Situation, wenn sich dann noch herausstellt, dass John Harper der zukünftige Stief-Schwiegervater des Auftragsgebers zu sein scheint.

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Inhaltsverzeichnis:

Manchmal ist es wichtig jemand zu haben, der zuhört

Ich begab mich auf die Überholspur, doch ich wurde beschissen

Ich sehnte mich nach was Größerem, nach was Imperialistischem, nach einem Explosionsdrang

Ein Sachverständigenbüro und eine Autowerkstatt mussten her

Erfolg ist etwas, das aus einer Handlung hervorgeht

Es war der Gedanke viel Geld zu erwirtschaften, egal wie

Ehrlichkeit währt am längsten …, sagt der Volksmund, aber ein bisschen Schummeln hat auch Vorteile

In jedem Paradies gibt es eine Schlange

Ein Unglück kommt selten allein

Der Zahlmeister des Schicksals schlug zu

Jede offene Rechnung muss beglichen werden

In einigen Geschäften muss man mit Guerillamethoden kämpfen

Es ist wichtig, dass richtige Werkzeug dabei zu haben

Wir flogen nach Schweden

Die Suche wurde mit dem Zufall des Glücks belohnt

Jeder hat seine eigene Art Probleme zu lösen, einer läuft weg, andere kämpfen

Man kann niemand vertrauen, selbst der eigene Arsch bescheißt dich

Ein Falschspieler hat bisher noch keinen Spielertisch lebend verlassen

Werfe einem Hund einen Knochen zu und suche seine Schwachstelle

Du hast nicht die Eier dazu, mich wegzupusten

Hosenscheißer haben in der Geschäftswelt nichts zu suchen

Der Versicherungsmakler

vom Federfuchser zum Bauernfänger

1. Manchmal ist es wichtig jemand zu haben, der zuhört

Ich schaute zum Fenster hinaus über das backsteinrote Nebengebäude, sah, wie in weiter Ferne die Sonne den Horizont überschritt und mit einem farbigen Spektakel das Ende der Nacht ankündigte.

Meistens aber wache ich auf und alles ist grau, auch meine Morgensonne. Ich lebe schon in Grau und ein Tag ist wie tausend andere. Es gibt keine Farben, nur Schatten, die meinen Weg säumten. Manchmal denke ich, mein Blut in meinem Körper muss auch grau sein, wie die Mauern die mich umgeben.

Doch heute erstreckte sich ein faszinierendes Schauspiel der Natur, das mich in den Bann zog. Viele erleben ihn jeden Tag aufs Neue und lassen so ein Sonnenaufgang immer wieder als Kulisse für schöne Fotos oder auch für romantische Filmszenen erscheinen.

Eigentlich geht sie gar nicht auf, eine fälschliche Aussage, denn die Sonne steht nur starr da. Die Eigenrotation, die Drehbewegung der Erde um die eigene Achse, lässt diese Vermutung zu, wobei nur der Standort des Betrachters geändert wird.

Die gesamte Weltbevölkerung erlebt den Sonnenaufgang eines Tages also nicht gleichzeitig, sondern zeitversetzt. Da die Erde sich innerhalb von vierundzwanzig Stunden einmal um sich selbst dreht, kann die Zeitspanne zwischen den Sonnenaufgängen zweier weit entfernter Länder fast einen ganzen Tag betragen.

Doch ist sie bestimmt, alles Leben zu erhalten, zu leuchten, den Boden zu erwärmen, die Meere und auch die Atmosphäre. Sie steuert das Klima, bringt Trockenperioden und Eiszeiten, treibt den Wind und bestimmt das Wetter auf der Erde. Sie ist zwar nur ein Stern unter vielen in der Milchstraße und dazu noch nicht mal ein besonderer: Aber für die Lebewesen auf der Erde ist die Sonne der bei Weitem wichtigste Himmelkörper.

Beindruckend von diesem Naturerlebnis mit den wunderschönen Farbtönen fing ich an, geistesabwesend von einem erholsamen Strandurlaub zu träumen, bei dem man den Sonnenuntergang am Meer beobachtet. Nur vereinzelnde Wolken waren zu sehen, die wie flauschige Wattebäusche aussahen und langsam vom sanften Wind getrieben weiter zogen.

Der warme Sand lud ein, mich ihm zu ergeben und so legte ich mich hin und ließ meinen Körper von der Sonne erwärmen. Kaum ein Mensch war zu sehen, nur jemand, der am Ufer entlangjoggte. Ich blickte zur Sonne, die mit ihren warmen Strahlen mein Gesicht streichelte und es erhitzte. Der Jogger kam näher und entpuppte sich als eine Joggerin. Mit blinzelnden Augen sah ich sie immer näher kommen, sah, wie der Schweiß das Top durchtränkt hatte und ihre zarten Brüste zum Vorschein brachten, die sich im gleichen Rhythmus mit ihren Füßen auf und ab bewegten. Ein himmlischer Gedanke, ihr jetzt ganz nahe zu sein und den Duft ihrer Hautausdünstung zu schmecken, ihren feuchten Busen zu berühren und meine Zunge an ihren Körper entlanggleiten zu lassen. Doch sie winkte nur, warf mir einen Handkuss zu und lief weiter.

Ich stand auf, um hinterherzulaufen, als ich plötzlich das laute Umlegen eines Schlüssels hörte, der in das Schloss meiner Zimmertür geschoben wurde, das Zuhaltungsschloss entriegelte und mich so aus meiner Geistesabwesenheit riss. Es ist eine schwere, mit Eisen beschlagene Vollholztür in einer Eckzarge mit dreiseitig umlaufender Gummidichtung, zwei dreiteiligen Bändern mit festem Stift, Kugellagerzwischenringen und einem 200º Türspion mit Sicherheitsrosette, die geöffnet wurde.

Ich wende meinen Blick ab von diesem traumerfüllten, flammenden Feuerball, der die Grenzlinie zwischen Himmel und Erde bereits überschritten hatte. Meine Hände lösten sich von den Gitterstäben, die von außen an den Fenstern angebracht waren und nicht gerade zur Abschreckung von Einbrüchen dienen sollten. Langsam steige vom Stuhl herunter, der mir die Möglichkeit gab, durch das hoch liegende geöffnete Fenster hinausschauen zu können.

Mein Blick schweifte durch das Zimmer, durch den spartanisch eingerichteten Raum. Ein Etagenbett mit fingerdicken Matratzen auf einem Geflecht von Drahtteilen und Metallfedern. Ein Tisch und zwei Stühle in original Vintage Style, einen Doppeltürenschrank, sowie eine frei stehende Toilette und eine Waschgelegenheit mit einem Spiegel aus Blech der so verbogen war, dass man sich vorkommt, in einem Lachkabinett zu sein. Um das Schamgefühl und die Menschenwürde nicht zu verletzen, wurde hier eine Winkelstange mit einem Vorhang angebracht.

Ein Mann kam herein, schaute kurz durch das Zimmer und rief freundlich:

»Guten Morgen.«

Er erwartete nun von mir, dass ich antworte, dass ich ein Lebenszeichen von mir gebe und so antwortete ich kurz und knapp mit:

»Moin.«

»Frühstück kommt gleich,« sprach noch der Mann und verschwand wieder aus der Tür.

Ich befand mich hier in Zelle 25.5 im Block G des Ostflügels eines staatlichen Gefängnisses und das schon seit neun Monaten. Obwohl ich als Eingesperrter keine Gefahr darstellte, somit der Kontakt zu Mitgefangenen erlaubt ist und die Kommunikation mit anderen, als ein Privileg zu verstehen gilt, erhielt ich aufgrund eventueller gewaltsamer Hierarchien anderer bis heute eine Zelle für mich ganz alleine.

Hier hatte ich meine Ruhe, wenn ich meinen Frieden haben wollte, konnte schlafen, wenn ich Müde war oder mich mit banalen Dingen beschäftigen, wenn ich Langeweile hatte. Es existieren feste Zeiten zum Öffnen der Zellentür, wo dann eine Kommunikation mit anderen Internierten möglich ist, wie zum Beispiel bei Hofgängen oder bei Arbeitsmaßnahmen.

Wenn man so lange eingesperrt ist, glaubt man, man verfault, fühlt sich alleine, vergessen. Aber das ist nicht der Fall. Man wird beobachtet, überall beobachtet von innen von außen, durch die Schließer, die regelmäßig ihre Runden auf dem Gang drehen oder durch das Wachpersonal, das von Türmen aus eine gute Einsicht auf Freiflächen hat.

Aber warum landet man in solch einer vorbeugenden Sicherheitsverwahrung. Unter Umständen kann es ein Streit sein, ein Streit um eine Kleinigkeit, der genauso eine Straftat nachvollzieht, wie der Mord an einer Blondinen oder der Bankraub oder all die anderen möglichen und unmöglichen Gründe.

»Frühstück mein Freund«, rief einer der Insassen, der sich zur gemeinnützigen Arbeit im Küchendienst verpflichten ließ. »Heute ist Samstag, da gibt es frische Brötchen. Reichen zwei?«

»Reicht! Mach lieber den Kaffeepott etwas voller,« antwortete ich.

Er war ein Schwerkrimineller aus dem organisierten Verbrechen, hat sich hier im Gefängnis zum Küchenjungen hochgearbeitet, um sich ein paar Euro für seine Zigaretten zu verdienen.

Das Frühstück, das Mittagessen und auch das Abendbrot sind soweit Okay. Für viele reicht es nicht aus. Sie sind der Meinung, dass man sie auf Diät hält. Naja Völliges satt werden, wo man danach das bekannte Schläfchen braucht, wird es hier nicht geben.

Heute war nun der Tag, wo mein bisheriges Alleinsein ein Ende fand. Gegen Mittag wurde ein bisher aus disziplinarischen Gründen unter Einzelhaft arretierter wegen guter Führung zu mir in die Zelle verlegt.

Ich lag gerade auf meinem Bett, als er mit einem riesigen Bündel sich ins Zimmer zwängte, den er wie ein Seesack über die Schulter trug. Er schaute sich um, sah das leere Bett unter mir, legte sein Bündel darauf und lockerte den Knoten.

Wie die gespannte Feder einer klassischen Mäusefalle schlug das Bündel auseinander und seine Utensilien kamen zum Vorschein. Er hatte sein Bettlaken als Transportmittel umfunktioniert und gleichzeitig die Matratze mit eingebunden, die sich nun wie ein Springmesser entfaltete.

Ich beobachtete ihn, wie er seine Besitztümer an Ort und Stelle verbrachte, sich aufs Bett legte und anfing seinen Mund auf Durchzug zu stellen. Ein reflexartiges, fürchterliches, müdes Gähnen entstand.

»Du bist doch wohl nicht etwa müde«, fragte ich ihn, um ein Gespräch in Gang zu setzen.

»Erraten«, antwortete er forsch. »Weiß du, wann ich das letzte Mal im Bett war? Ach ne es war ja nur eine Pritsche, am Donnerstag und das für zwei Stunden.«

»Und warum hast du nicht geschlafen? Schlecht geträumt?«

»Schlecht geträumt? Wie meinst du das?«

»Naja man sagt ja, dass man als Krimineller oft furchtbare Träume hat.«

»Ach das war nur am Anfang so, das hab ich längst hinter mir. Als ich das erste Mal geklaut hatte, da war ich ziemlich unsicher, nervös wie ein kleines Kind.«

»Das kann ich mir gut vorstellen«, bemerkte ich.

»Ich wachte mitten in der Nacht auf und meinte die Polizei wäre hinter mir her, aber das verwächst mit einem.«

»Wie hat es eigentlich bei dir angefangen.«

»Oh bescheiden, wie bei den meisten von uns. Ich fing an, den Kindern in der Schule das Pausengeld zu stehlen, dann kam Kaufhausdiebstahl, ein paar aufgebrochene Autos und danach Überfälle auf Juwelierläden. Dabei hatte ich meinen ersten Mann umgelegt. Ich war damals gerade neunzehn.«

»Steile Karriere, die dich bis hierher gebracht hatte«, erwähnte ich.

Ich stieg von meinem Bett herunter, setzte mich auf die Bettkante seines Bettes, gab ihm die Hand und stellte mich vor:

»Ich heiße übrigens Gerard.«

»Hey, ich Giuliano.«

Nach langer Zeit der Zurückgezogenheit ist es doch gut, jemanden zu haben mit dem man Quatschen kann. Bisher habe ich mich in meiner Zelle alleine ganz gut gefühlt. Aber selbstverständlich hatte ich auch mal Phasen, in denen man jemanden zum Reden brauchte, nicht die streitsüchtigen Gespräche beim Hofgang, die sich nur mit ihren Heldentaten beweihräuchern. Nein tiefsinnige, ausgelassene, ebenso nachdenkliche und auch mal alberne Gespräche zu führen, das war mein Wille.

»Wie lange hast du noch«, fragte ich.

»Dreieinhalb Jahre.«

»Weswegen?«

»Raub und Körperverletzung. Und du?«

»Vier Jahre, zwei Monate und sechszehn Tage noch.«

»Und weswegen du?«

»Wegen eines Vermögensdeliktes.«

»Wieso, hast du einer alten Oma die Handtasche geklaut?«

»Nicht direkt. Ich habe die Versicherung beschissen.«

»Hä, hä, das macht doch jeder. Der eine macht sein Fernseher kaputt, der andere wirft sein Handy ins Klo. Manche schneiden sich sogar Finger ab oder inszenieren Autounfälle. Aber dafür kommt man doch nicht für Jahre in den Knast.«

»Naja, da der Betrug nicht an einer einzelnen Person vollzogen wurde, sondern indirekt an der ganzen Solidargemeinschaft, ging der Staatsanwalt davon aus, dass sie es bei mir mit einer höchst gefährlichen Person zu tun hätten. Ich wäre betörend, wäre eine Gefahr für die Allgemeinheit und gehöre unter Aufsicht einer Justizvollzugsanstalt. Damit verkündigte er eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten an. Nur mein trauriger, reuender Dackelblick stimmte den Richter für ein etwas milderndes Urteil und reduzierte die Haftstrafe auf fünf Jahre.«

»Ja aber trotzdem, fünf Jahre?«

»Nun, laut Staatsanwalt soll ich in mindestens hundert Fällen die Versicherungen in betrügerischer Absicht um immerhin ein bis zwei, wenn nicht sogar drei Millionen Euro geschädigt haben.«

»Wow,« erstaunte es Giuliano.

»Und wo ist die Kohle?«

»Weg!«

»Wie weg?«

»Naja es hat sich alles etwas anders zugetragen.«

»Konntest dich wohl selber nicht beweisen, was für ein toller Kerl du warst, oder was?«

»Was willst du damit sagen?«

»Naja, ich hab mal einen Mann gekannt, der war vierzig Jahre lang ein guter Ehemann, ein guter Vater und ein braver Bürger. Aber eines Tages, anstatt ins Büro zu gehen, kaufte er sich eine automatische Pistole, stellte sich an die nächste Straßenecke und ballerte auf einmal drauf los. Er hatte drei Leute erschossen. Alle behaupteten er wäre plötzlich durchgedreht, aber das stimmte gar nicht. Er hatte nur seine innere Berufung entdeckt. Er war ein Killer von Natur aus. Das könnte mir ebenso passieren, genauso wie dir.«

»Nein, es war bestimmt nicht meine Berufung, die mich dazu trieb, eher die Gier.«

»Die Gier?«

»Ja die Gier!«

Ich hatte jemanden gefunden, der mir zuhörte, der Interesse für meinen Werdegang zeigte, möglicherweise sogar versucht meine Emotion und Motive zu verstehen. Ob es nun seine Neugier war oder die Entdeckung eines neuen Terrains, auf dem er sich begeben könnte, ich weiß es nicht. Zumindest war er ein Mensch, der selektiv alles wahrnahm, der das Gehörte auffasste und begriff und dazu tendierte, es zu bewerten. Ein Mensch, der zuhören kann, hat Seltenheitswert. Manchmal ist es wichtig jemanden zu haben der zuhört, wichtiger als ein Stück Brot.

Und so fing ich an meine Entwicklung zu erzählen, meine Laufbahn vom Federfuchser zum Bauernfänger.

2. Ich begab mich auf die Überholspur, doch ich wurde beschissen

Ich bin gelernter Versicherungskaufmann, habe in einem kleineren Unternehmen meine Lehre absolviert und bin dann noch einige Jahre in dem Unternehmen verblieben. Morgens kam ich immer als Erster, stempelte, um meine Arbeitszeit festzuhalten, und verließ dann das Gebäude wieder, um im benachbarten Bistro entweder ausgiebig zu frühstücken, mein Auto durch die Waschanlage zu fahren oder kurzfristige Besorgungen zu machen.

Rechtzeitig, bevor mein erster Kollege die Abteilung betrat, war ich dann wieder zurück, hatte bereits einige Akten auf meinen Schreibtisch verstreut und tat so, als wenn ich fürchterlich in einen Vorgang vertieft wäre.

»Sie fallen wohl jeden Morgen zeitig aus dem Bett«, fragte mich eines Tages mein Chef, als ich einen Termin bei ihm hatte.

»Ich leide nun mal an dem FASPS, dem Familial Advances Sleep Phase Syndrome. Da geht meine innere Uhr sozusagen ständig vor. Außerdem wissen sie ja Chef, wer am liebsten frühmorgens die Laufschuhe schnürt, tut seinem Körper etwas Gutes.«

Eine absolute Lüge, die ich da von mir gab. Ich wollte einfach nur frühzeitig Feierabend machen, um bei einem kühlen Bier an der Strandbar mein kreatives Schaffen zu genießen und mich auf das Anbaggern netter Mädels zu konzentrieren.

»Sehr gut,« sprach mein Chef, »denn am Anfang jeder Spitzenleistung steht die Bereitschaft, sich in höchstem Maße für sein Ziel zu engagieren. Auf das Wollen folgt zumindest auch Schritt für Schritt das Können – und dann am Ende die Belohnung.«

»Früh aufstehen hat nun mal einige Vorteile, man ist morgens produktiver und wird weniger in seiner Arbeit unterbrochen. Wenn man morgens früh mit seiner Arbeit anfängt, ist man motivierter und kann auch früher Feierabend machen.«

Alles nur Spinnerei. Ich weiß, dass der Frühaufsteher beim Chef geachtet wird und er der Meinung war, dass die Leistungsfähigkeit höher als die der anderen ist. Ich hingegen strebe eigentlich nach mehr Freizeit und um bei schönem Wetter das Schwimmbad als Gebiet zur Anbahnung einer neuen Beziehung zu nutzen.

»Jeder Mensch, der Großes leistet«, sprach ich dann weiter, »wünscht sich auch, dass seine Leistungen anerkannt und wertgeschätzt werden. Wer also Heldentaten erwünscht, muss auch Gegenleistungen erbringen und deswegen bin ich hier.«

Ich bat um eine Gehaltserhöhung. Trotz auftretender Stimmungsschwankungen meines Chefs, der Geld mehr liebte als seine eigene Frau, der es scheffelte ohne wirklich dafür was tun und sich ungerne davon trennte, erhielt ich eine großzügige Gehaltszulage.

»Machen sie weiter so«, lobte er mich. »Sie werden es noch weit in meinem Unternehmen bringen.«

Eines Tages bot sich die Chance einer höheren Position in einem anderen Unternehmen an, die ich auch wahrnahm. Ich wurde Vorgesetzte einer Gruppe Sachbearbeiter. Meine Aufgabe war es den Kollegen Aufgaben zu übertragen, die sie dann eigenständig erledigten sollten, damit ich mir die Zeit nehmen konnte, mir die Tippsen in der Schreibstube näher anzusehen.

Ich erwies mich als freundlicher Vorgesetzter, gab Verantwortung an mein Team ab, kannte jeden Einzelnen und wusste, wie man sie motivieren konnte. Ich kritisierte keine Fehler oder falsche Entscheidungen half dabei Konflikte zu lösen und lobte des Öfteren meine Mitarbeiter für ihre gute Arbeit und für ihren guten Einsatz.

»Ich würde gerne für heute Abend ein paar Überstunden ansetzen, sprach ich eines Tages zu meinem Team. »Wer ist dabei?«

»Um was geht es«, fragte ein Kollege.

»Ich hab da eine Idee, die unsere Arbeit in Zukunft erleichtern könnte. Wir müssten unser Programm ein wenig umstellen und das können wir nur nach Feierabend machen, da stört uns dann niemand. Also wer ist dabei?«

Es meldeten sich alle. Alle, naja das waren drei Sachbearbeiter, zwei Frauen mittleren Alters und ein Kollege, der bereits Opa war. Er hatte mal Bilder aus seiner Jugend mitgebracht, musste ein cooler junger Mann gewesen sein, in Schwarz-weiß mit zurückgekämmten Haaren, Hut und Trenchcoat.

»Fein,« erfreute es mich, dass alle mit Mehrarbeiten einverstanden waren. »Die Überstunden werden nicht in Form von Freizeit ausgeglichen, sondern in Geld und das es großzügig ausfallen wird, dafür werde ich sorgen.«

Vom Chinesen ließ ich Essen kommen und in einer Pause aßen wir gemeinsam und lachten über manch belanglose Dinge. Keiner sah in diesem Moment die Arbeit als reines Geldverdienen an.

Ich hatte extra den heutigen Tag gewählt, weil ein guter Freund von mir am nächsten Tag mit einigen seiner Kumpane zum Essen verabredet war und mir die Quittung über die bezahlte Zeche mitbringen wollte. Diese hatte ich dann am darauffolgenden Tag bei meiner Buchhaltung eingereicht, mit der Begründung meine Mitarbeiter als Dankeschön zum Essen eingeladen zu haben. Die Summe ließ ich mir auszahlen, denn schließlich hatte ich ja auch Unkosten mit dem Lieferservice des Chinesen, zum Beispiel. Und da mit meinem erhöhten Vorgesetztengehalt alle meine Überstunden als abgegolten gelten, sorgte ich so dafür, dass mir noch ein Obolus für meinen Spätdienst übrig blieb.

Für meine Kollegen hatte jeweils eine Überstunde mehr aufgeschrieben, die dann zum Monatsende mit dem Gehalt abgerechnet wurde.

Monate später trat ein Großkonzern an mich heran und bot mir eine Pionierstelle als Direktionsbevollmächtigter an. Eine Tätigkeit im Außendienst. Der Außendienst ist eine der interessantesten Beschäftigung überhaupt. Man hat keine festen Arbeitszeiten, kann früh Feierabend machen, geht ständig mit imaginären Kunden essen und reicht dafür irgendwelche Rechnungen ein.

Da ich gerne Chinesisch essen gehe, hatte ich einen guten Draht zu meinen Lieblingschinesen. Ich hatte ihn gebeten, die Rechnungen die von den zu Abend essenden Gästen nicht mitgenommen wurden, für mich zu sammeln.

Besonders erhabene Rechnung versah ich mit fiktiven Namen und dem Hinweis einer Anbahnung. Diese reichte ich dann als Nachweis zu meiner Spesenabrechnung ein.

Das Neugeschäft kontinuierlich zu steigern war meine signifikante Aufgabe. Dazu lagen mir die Direktoren im Nacken und lockten mit äußerst attraktiven Tantiemen. Da ich in einer Edelsparte der Versicherung arbeitete und es nur wenige gab, die diese Tätigkeit von Grund auf gelernt hatten und ausüben konnten, hatte ich meine Zielsetzung bereits nach einem Dreiviertel Jahr erreicht. Doch dieses Glück wird nicht immer auf meiner Seite sein, zumal Konzerne gerne die Zielsetzung immer weiter nach oben schrauben.

Ich trat den Entschluss an, mich selbstständig zu machen, Nichtkunden so lange zu nerven, bis sie zu Kunden werden. Dabei hilft mir bestimmt die Weisheit der drei "H's": Höfliche Hartnäckigkeit hilft.

Um meine Kenntnisse im Bereich der Personen- und Kompositversicherung zu vervollständigen, ließ ich mich vorerst als Ausschließlichkeitsvertreter anwerben. Hierbei vertrat ich als Handelsvertreter mit einem Grundgehalt und einer nicht gerade hervorragenden Provisionen aus selbst abgeschlossenen Verträgen, die Interessen eines Unternehmens und konnte auch nur die kleine Anzahl unterschiedlicher Produkte dieses einen Unternehmens vermitteln.

Nachdem ich den Anschein hatte, dass mein Wissen soweit aufbereitet war, machte ich mich als Makler selbstständig. Nur in dieser Funktion kann ich dem Kunden rechtlich zur Seite stehen, mich für ihn einsetzen, wenn's sein muss auch gegen den Versicherer.

Ich schloss mit verschiedenen Versicherungsunternehmen Courtage-Vereinbarungen und konnte so eine breite Palette von Angeboten des Marktes die Tarife auswählen, die einen passenden und günstigen Schutz für meine Kunden boten.

Doch der Anfang war schwer, äußerst schwer, nur mit Korruption kam ich hier weiter. So lernte ich einen Sachbearbeiter vom damaligen Sozialamt zufällig in einer Kneipe kennen und überredete ihn, mich mit Adressen von Sozialempfängern zu beliefern, die noch über keine Sachversicherung verfügten. Dafür erhielt er jedes Mal einen Fuffi.

Es war noch die Zeit, wo die Behörde die Kosten der Hausrat-, Glas- und Haftpflichtversicherung für Leistungsempfänger übernahmen, allerdings mit etwas eingeschränkteren Versicherungsleistungen.

So machte ich mich auf, die entsprechenden Adressen aufzusuchen. Ich kam teilweise in Haushalte, wo Leute wohnen, die sich in Verbindung mit negativen Verhaltensweisen nicht der Gesellschaft angepasst hatten. Einige hatten einen individuellen Einrichtungsstil, andere lungerten vor dem Fernseher herum und ballerten sich eine blöde Talkshow nach der anderen ins Gehirn.

Dann gab es noch solche, die mit ihrer viel zu gut gelaunten Freundlichkeit mich einzuschüchtern versuchten, weil sie was von mir wollten.

»Mir geben sie kein Geld mehr in die Hand,« sprach einer meiner zukünftigen Kunden. »Sie meinen ich würde es nur in der Kneipe versaufen. Dafür bekomme ich Gutscheine, Lebensmittelgutscheine, allerdings nicht für Alkohol.«

»Und was kann ich da für dich tun«, fragte ich.

»Ich hab die Renovierung meiner Wohnung beantragt, und da ich alles selber machen wollte, hatte ich für dieses Vorhaben einen Gutschein für das Material erhalten. Den hatte ich auch eingelöst und die Sachen stehen jetzt alle bei mir im Schlafzimmer.«

»Was hat das alles mit mir zu tun, ich bin kein Maler. Ich verkaufe Versicherungen, den Schutz gegen unvorhersehbare Verluste.«

»Ich weiß das doch. Aber nächste Woche habe ich Geburtstag und da möchte ich mit meinen Kumpels ein paar Biere trinken.«

»Du möchtest also, dass ich deine Party mit einer großzügigen Spende finanziere, oder?«

»Nein, ich will keine Spende, nicht von dir. Ich will dir meine Malersachen verkaufen, alle, zum Spottpreis. Ich sag mal so … fünf … zig? Da ist alles dabei, Pinsel, Rollen, Abdeckplanen, Klebeband und gute Farbe. Das hat alles weit über das Doppelte gekostet, eine Kopie der Rechnung hab ich noch …, hier.«

Er legte mir eine Fotokopie vor, welche ich nahm und ausgiebig studierte. Eigentlich könnte ich meine Wohnung wirklich mal wieder malen, dachte ich mir und wenn nicht dieses Jahr, dann zumindest im nächsten Jahr.

»Ich kann das alles nicht gebrauchen,« verfälschte ich meine Meinung. »Aber ich will dir helfen und gebe dir dreißig. Dafür besorgst du mir noch zwei Kunden und unterschreibst hier deinen Versicherungsantrag.«

»Vierzig und ich besorge dir noch neue Kunden.«

»Okay vierzig. Wenn die Policen kommen, dann schicke sie unverzüglich an deinen Sachbearbeiter beim Sozialamt, damit er die Überweisung vornehmen kann. Verstanden?«

Diese Art von Versicherungen brachten nicht all Zuviel an Provisionen und so musste ich immer weiter auf meine Ersparnisse zurückgreifen. Lebensversicherung war das Geschäft. Mit verkaufsstrategischen Überlegungen müsste so was doch an potenzielle Kunden zu verkaufen sein.

Ich besuchte in den Vormittagsstunden Einzelhäuser, wo ich wusste, dass der Ehemann zur Arbeit war, die Kinder in der Schule und die Frau somit alleine das Haus hütete. Ehefrauen möchten immer, dass der Ehemann sich dazu verpflichtet hohe Beiträge für einen Sparvertrag auszugeben, mit einer kapitalbildenden Summe und einem entsprechend hohen Todesfallrisiko, damit sie sich im Leistungsfalle als gut abgesichert fühlen.

Ein gutes Vorgespräch mit einer interessierten Frau kann am Abend einen wirkungsvollen Abschluss bedeuten.

Ich versuchte mein Glück auch in kleineren Läden, wo man meistens das Ehepaar gleichzeitig antreffen konnte. Doch das erwünschte Geschäft blieb aus. Ich war eben nicht der einzige Versicherungsvertreter, was für mich als Neueinsteiger nicht alles einfach machte.

In einem Aquarium-Shop stieß ich auf einen Mann, der gar keine Frau mehr hatte. Er war geschieden. Hier musste ich meine Strategie etwas abändern, und da mir keine einfiel, fragte ich nur, ob die Möglichkeit bestünde, einen kleinen Broschüren-Ständer aufzustellen.

»Na klar warum nicht,« entgegnete mir der Mann.

Er stellte sich als Manfred vor, wobei seine Freunde ihn Manni nennen dürfen. Manni, ein Name, der mich an den coolen Manta-Typen erinnert, der mit seinem einhändigen Fahrstiel immer einen Arm aus dem Wagen hängen ließ.

Wir kamen ins Gespräch, erzählten von unseren Jobs, wobei er mir erzählte, dass er den Aquarium-Shop nur aus Alibi-Gründen führte, um im Gegenzug dem Finanzamt ein paar Steuern schenken zu können.

»Machst du eigentlich auch Lebensversicherungen«, fragte er mich, nachdem wir uns fast eine Stunde unterhalten hatten und uns so langsam der Gesprächsstoff ausging. »Ich muss ja irgendwann mal anfangen, für mein Alter vorzusorgen. Aus der Rentenkasse habe ich so gut wie nichts zu erwarten, hab kaum was eingezahlt. Ich glaube, ich habe noch nicht mal die Wartezeiten erfüllt.«

Taktisch klug zögerte ich ein wenig, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sich mit dem Abschluss einer Lebensversicherung mein Armutsrisiko verringern würde, denn meine Reserven neigten sich langsam dem Ende zu.

»Klar, kein Problem. An wie viel dachtest du?«

»Fünfhundert!«

»Fünfhundert was?«

»Na ich dachte an fünfhundert im monatlich.«

Fünfhundert im Monat, erstaunte es mir. Das ist ein hübsches Sümmchen. Ich rechnete die Kapitalsumme aus und freute mich schon jetzt über die enorme Abschlussprovision. Glücklicherweise lag alles noch gerade unterhalb der Untersuchungsgrenze, die den Abschluss nur durch irgendwelche ärztlichen Atteste hinauszögern würden.

Doch plötzlich hatte ich das Gefühl, da ist ein Haar in der Suppe. Ich wusste, nicht wieso, aber ich wusste mit Bestimmtheit, da ist ein Haar drin.

»Was fällt für mich dabei ab«, fragte er nach geraumer Zeit und da war es, das Haar in der Suppe. Er will einen Teil meiner Provision vereinnahmen, erwartet von mir, dass ich das Verbot der Provisionsabgabe durch die Finanzdienstleistungsaufsicht durchbreche.

Im Großkunden- und Industriebereich wird bereits dieses Verbot umgangen, indem man die Provision mit einem Beratungshonorar verrechnet. Warum also sollte ich es nicht auch tun, um ein gutes Geschäft abzuschließen. Nur mit wie viel würde er sich zufriedengeben, mit 'nem Hunni, zwei Hunnis, drei oder fünf?

»Gib mir eins fünf«, unterbrach Manni meine Gedankenzüge.

»Eins fünf«, fragte ich erstaunt.

»Na komm, du verdienst eine ganze Menge Geld dabei. Außerdem habe ich noch ein paar Kunden für dich, die verdienen alle ein Schweinegeld und haben auch noch keine Versicherung. Ich werde sie dir alle vermitteln und du zahlst immer eins fünf dafür, okay?«