Níquel der Privatschnüffler - Gerth Haase - E-Book

Níquel der Privatschnüffler E-Book

Gerth Haase

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Beschreibung

Ein Mann wurde beschuldigt, die Immobilienunternehmerin Marion Bergmann ermordet zu haben, obwohl er sie noch nie im Leben gesehen, geschweige gesprochen hatte. Doch die Beweislage ist erdrückend und spricht gegen ihn. Die Spur führte zu dem Ehemann der Verstorbenen, der früher als People-Trader Mädchen ins Land schmuggelte, damit diese für die Prostitution vorbereitet werden. Nachdem die Justiz ihn an die Wand gespielt hatte, wurde ihm aufgrund eines Zeugenschutzprogramms eine neue Identität verpasst. Doch er wurde rückfällig, begann einen Fehler, indem er mit fremden Geld einen Pokerflop vortäuschte, um sich damit an einem Bordell zu beteiligen. Die Rückzahlung sollte dann über einen heimtückischen Mord erfolgen. Allerdings befand er sich bereits im Fokus eines beauftragten Vollstreckers, der für die Begleichung der Schuld sorgen soll, egal wie. Immer tiefer geriet man in den Sumpf des sexorientierten Geschäftes und das nur, um den Ehemann der Verstorbenen vor der Begegnung des Vollstreckers zu schützen, denn nur er kann den angeblichen Täter entlasten. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich dann noch heraus, dass die Ehefrau des Beschuldigten ein Verhältnis mit dem Ehemann der Verstorbenen hat. Haben beide gemeinsame Sache gemacht, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen?

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Inhaltsverzeichnis:

Zwei Fliegen mit einer Klappe

Eigentlich nagt die Langweile an mir

Wenn ich mich entschieden habe, wird es ein langer Weg werden, den wir gemeinsam gehen

Eigentlich ist so ein Fall, wie Alternativurlaub in einem Kloster

Nach dem Sterben, beginnt das Erben

Wenn man einen Hirsch erledigen will, muss man in den Wald gehen

So ein Mord könnte auch eine Gefälligkeit gewesen sein, ein Freundschaftsdienst

Ein Zeugenschutzprogramm bewahrte ihn vor einer Verurteilung

Ein People Trader, einer der Mädchen aus dem Ostblock herschmuggelt

Ein Aktenkoffer mit drei Waffen, sechs Pässen und fünf Handys

Ich spürte, wie sie mit ihren medusischen Blick mich verfluchte und am liebsten in eine Ungeheuer verwandeln würde

Kann ein Mensch wirklich so paranoid sein und derartige Foltermethoden anwenden?

Es gehört schon einiges dazu, jemanden kaltblütig aus kurzer Entfernung umzulegen

Die Sache wurde immer komplexer, nebulöser und kniffeliger. eine Entführung kam hinzu

Camina Muerte bedeutet soviel wie lebender Toter

Man sagt zwar: Man müsste erst mal den anderen sehen. Aber … man hätte ihn wirklich sehen sollen

Willkommen in der Hölle

Ein Defibrillator kann ebenso auch Herzkammerflimmern bei gesunden Menschen hervorrufen

Es wurde festgestellt, dass die Kugeln, mit der beide getötet wurden, aus meiner Waffe stammten

Es war ein Laden mit Bar, Restaurant und Dancefloor, wo man hemmungslos eine Begleitung für die Nacht findet

Der Brecher hatte Kraft wie eine hydraulische Presse

Es ist die Allegorie der leidenschaftlichen Liebe, die blind das Handeln bestimmt

Man sollte schon einen wasserdichten Plan haben

Du hast genau eine Zigarettenlänge, um über dein Leben nachzudenken

Zwei Fliegen mit einer Klappe

1. Eigentlich nagt die Langweile an mir

Es war wieder einer dieser Tage, wo es besser gewesen wäre, im Bett zu bleiben und auf das Frühstück zu verzichten, wenn nicht ein vorbeifahrendes Polizeifahrzeug mit angeschalteter Sirene mich aus meinen schönsten Träumen gerissen hätte und mich daraufhin zum Ausstehen zwang, weil ich nicht mehr einschlafen konnte.

Eigentlich gehöre ich nicht zu den Frühaufstehern, da meine Produktivität äußerst unflexible ist. Meine Arbeitszeit lässt sich nur begrenzt planen, weil ich schnell und spontan auf Sonderwünsche reagieren muss, die sich überwiegend in den Abend- und Nachtstunden abspielen.

Als Privatermittler ist man fast immer unterwegs, in einem unaufhörlichen Kampf, um Beweismaterialien zu sammeln, Indizien nachzujagen, Observierungen durchführen und auch persönliche Kontakte zu pflegen.

Um bestimmte Rechtspositionen zu klären und bei der Aufklärung eines schwierigen Verbrechens behilflich zu sein, hängt es doch letztendlich von der mühelosen Kleinarbeit eines Ermittlers ab, von seinen Erfahrungen, seinem Instinkt, der Menschenkenntnis und nicht zuletzt von der Hartnäckigkeit und seiner gut durchdachten Sorgfalt.

Er muss reisebereit sein und auch schon mal plötzliche Wochenendschichten oder Feiertagsarbeiten eingehen. Es sei denn, man ist zurzeit mit keinem Fall betraut und kann einfach mal nichts tun, faulenzen, sich entspannen, mal den Teufel tun oder sich einfach langweilen.

Auf den Weg ins Büro komme ich täglich an einem Kiosk vorbei, eine Verkaufsstelle oder auch Bude, wo ich täglich meine Tagespresse kaufe. Schon von Weitem sieht mich jedes Mal der Zeitungsverkäufer, hält mir mit einer Hand die Zeitung durch die Verkaufsklappe entgegen und formt mit der anderen Hand einem Zahlteller, sodass, ohne lange abstoppen zu müssen, ein Tausch Zeitung gegen Geld erfolgen kann.

Doch diesmal stoppte ich mein Schritttempo ab, blieb vor der Verkaufsklappe stehen, legte etwas Kleingeld in die Hand des Kioskbesitzers, nahm die Zeitung und blätterte sie kurz durch. Nichts Interessantes nur eine Schlagzeile: Affäre mit Mord. Mann bringt seine Geliebte um. Trotz eindeutiger Beweislage wird alles abgestritten.

Immer das Gleiche mit diesen Fremdgehern dachte ich mir. Wenn sie nicht mehr will, wird sie kalt gemacht. Mann in was für einer Welt leben wir hier eigentlich.

»Na, heute mal so früh und nicht in Eile?«, fragte der Zeitungsverkäufer und riss mich aus meiner Fiktion. Er trug eins dieser typischen Zeitungsjungen-Caps, eine Flachkappe aus Cord mit einem Druckknopf vorne, um Schirm und Mütze unsichtbar zu verschließen.

»Die Langeweile nagt an mir.«

»Ja das kenn ich. Dagegen kann man nur tief Luft holen und sich innerlich sammeln.«

»Und dann?«

»Was und dann?«

»Na ja, nachdem du dich innerlich gesammelt hast, was dann?«

»Na ja meistens überlege ich dann, wie man sich am besten beschäftigt. Oft endet es mit Wohnung putzen, Wäsche waschen oder so.«

»Hab ich schon hinter mir. Habe sogar an jede Tür ein Zettel geklebt, damit ich den Raum nicht noch ein zweites Mal putze.«

»Hä-hä-hä, das erinnert mich an den Urlaub mit meiner verstorbenen Frau. Gott habe sie selig.«

Er bekreuzigte sich kurz, indem er mit den Fingerspitzen seine Stirn, dann seinen Brustkorb, danach die linke und zuletzt die rechte Schulter berührte. Dann fuhr er weiter fort:

»Damals in Spanien. Wir waren am Abend zuvor auf einer Fiesta und da ist es dann spät geworden. Am nächsten Morgen klopfte die Putzfrau an unserer Tür und sprach: Hacer la limpieza, hacer la limpieza. Hä?, dachte ich mir. Hacer la Limpieza, hacer la limpieza, was weiß ich, was hacer la limpieza heißen soll.«

»Sie wollte das Appartement putzen, es war wohl das Zimmermädchen vom Hotel.«

»Dass es keine Undercover-Agentin vom FBI war, das konnte ich mir schon vorstellen und das andere hatte ich mir schon gedacht. Ich öffnete die Tür und tippte dann wie ein Wilder auf meiner Armbanduhr herum, um ihr damit klarzumachen, dass sie in einer Stunde wieder kommen sollte, aber sie kam schon nach fünf Minuten. Wir hatten dann das Zimmer verlassen und als wir wieder zurückkehrten, stellten wir fest, dass sie nur eine neue Klopapierrolle ins Bad gestellt hatte. Nicht mal die Betten hatte sie gemacht und auch keine Handtücher ausgetauscht. Na ja und das Trinkgeld, was ich aufs Bett gelegt hatte, hatte sie auch nicht genommen.«

»Na ja ohne Fleiß kein Preis.«

»Du sagst es.«

»Na ja dann werde ich mal weiter ins Büro gehen und dort die Wände anstarren. Sind ja genügend davon da.«

»Mach das! Meine Katze macht das auch immer, schaut ins Nirgendwo und döst dabei so einfach vor sich hin. Pass aber auf, dass dir dabei der Finger in der Nase nicht abbricht.«

Ja so war er, immer für einen Spruch zu haben. Er hatte seine Frau vor Jahren verloren und fühlt sich seitdem mit seinem Kiosk verheiratet. Sein Publikum ist sehr gemischt, von Schulkindern, die ihr Pausenbrot in Nachbars Garten entsorgen und sich lieber von ihrem Taschengeld Süßigkeiten oder einen Cheeseburger aus der Mikrowelle kaufen, bis hin zu den Rauchern, die schweißgebadet noch kurz vor Ladenschluss auftauchen, um Zigaretten zu holen, ist alles vertreten.

Ich ging ins Büro. Es lag im ersten Stock eines dreistöckigen Geschäftsgebäudes. Links neben meiner Detektei befand sich eine Rechtsanwaltskanzlei für Steuerrecht, daneben eine Handelsvertretung für Sanitätsbedarf und auf der anderen Seite das Büro von Kasko Fiasko. Er war Versicherungsmakler und hatte hin und wieder das Bedürfnis, meine Arbeit in Anspruch zu nehmen, wenn der Verdacht eines Versicherungsbetruges vorlag.

Da wir uns schon lange kannten, hatte ich ihm den Spitznamen Kasko-Fiasko verpasst, um damit eine spezielle Vertrautheit auszudrücken. Diese Vertrautheit nahm er insofern gerne an, indem er jedes Mal den Kaffeegeruch aus meinem Büro witterte und das dann, als eine persönliche Einladung ansah. Doch heute wird er nicht im Büro sein. Seine Akquise zieht ihn hinaus aufs Land.

Ich lehnte mich in meinen repräsentativen Chefsessel zurück und schaute auf meinen Schreibtisch. Er sah so sauber, so ordentlich, so aufgeräumt aus. Kein Blatt, kein Notizzettel, kein Dokument befand sich auf dem Tisch, nicht mal ein Locher, ein Tacker oder ein Schreiber. Sie befanden sich alle in der Schublade. Nichts war da, was die Tischplatte zierte, außer meinem Kaffeebecher und dem Telefon, was zurzeit kein Ton von sich gab.

Doch ein so leerer Schreibtisch kann ein Zeichen von kläglicher Arbeitseffizienz und schlechter Strukturiertheit sein oder aber auch von Unerfahrenheit und von minderwertigem Engagement.

Jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, ließ ich es immer noch taktisch klug drei-, viermal weiter klingeln, bevor ich das Gespräch annahm. Damit wollte ich den Eindruck erwecken, ein viel beschäftigter Mann zu sein.

Doch wenn es dem so ist, warum habe ich meinen Schreibtisch aufgeräumt? Ein neuer Klient müsste doch denken, dass ich hier nur gelangweilt herumsitze und auf seinen Besuch wartete, weil ich unbedingt auf seinen Auftrag angewiesen bin.

Das geht doch gar nicht! So ging ich zur Kaffeemaschine, die sich in einer der Schubladen der Hängeregistratur befand, füllte meinen Becher nach und nahm gleichzeitig aus der Nebenhängeregistratur fünf bereits erledigte Vorgänge mit, von denen ich vier rechts von mir und einen aufgeklappt vor mir auf den Schreibtisch drapierte.

Zudem holte ich noch den Locher und den Tacker aus der Schublade wieder heraus, stellte sie neben dem Telefon, nahm ein Block und schrieb das heutige Datum darauf. Dann starrte ich das Telefon an. Es schien heute selbst nicht gut drauf zu sein, denn es klingelte immer noch nicht.

Mit einem kritischen Blick über den Schreibtisch und der Zufriedenheit meiner kreativen Idee, die sich mit meiner Persönlichkeit vereinte, lehnte ich mich zufrieden in meinen Sessel zurück.

Das Leben eines Selbstständigen ist härter, als man annimmt. Unregelmäßige Einkommen erschweren einem die Zeit. Erst im Laufe der Jahre, wenn man in seiner Branche empfehlenswert wurde und gute Arbeit bisher geleistet hatte, steigern sich auch kontinuierlich die Einnahmen.

Beim Zurücklehnen bemerkte ich den Sonnenschein, der durchs Fenster in den Raum fiel. Es müsste demzufolge schon fast Mittag sein, eigentlich Zeit, irgendwo, was essen zu gehen.

Plötzlich ein Klopfen, ein Klopfen an der Tür des besagten Privatdetektivs Níquel, der mit seinem Einfallsreichtum Kriminalfälle knackt, die selbst ein Sherlock Holmes, ein Hercule Poirot, eine Miss Marpel, ein Derick und ein Columbo in den Schatten stellen würde.

Ein neuer Klient dachte ich mir oder eine Klientin. Sofort fiel mir die Reklame der TV-Werbung von der Glasbläserei Viel-Mann ein, wo eine Klientin mit mittellangen blonden Haaren, schlanker Figur, dunkelrot geschminkten Mund, stark getönter Sonnenbrille und mit einem roten Mantel bekleidet hereintrat, sich am Schreibtisch abstützte und sprach:

»Ich habe gehört, sie sollen der Beste sein.«

»Schon möglich …«, bekam sie als Antwort mit einem coolen Gesichtsausdruck. »Was kann ich für sie tun … Lady?«

»Finden sie …«

Meine sinnigen Gedanken wurden durch das Öffnen der Tür unterbrochen. Eva trat herein. Eva ist stellvertretende Bezirksstaatsanwältin und führt die Aufsicht über die Ermittlungen in diesem Gebiet. In einigen meiner, sehr umstrittenen Fällen, stand sie mir immer wieder hilfsbereit zu Seite, was zu einem Gleichgewicht des Nehmens und Gebens führte und ich daraufhin schon mehrmals für die Staatsanwaltschaft tätig wurde.

Wir sind schon seit Langem sehr gut befreundet, wobei sie die Meinung vertritt, dass ich bereits bei unserer ersten Begegnung ihr ein Pfeil durch Herz geschossen hätte. Na ja, sie ist schon ein süßer Käfer und ich könnte mir auch nichts Schöneres vorstellen, als jeden Morgen neben ihr aufzuwachen.

Aber da ist mein Job, der nicht nur gefährlich, sondern auch tollkühn, waghalsig und brutal ist. So könnte man eine Liebesbeziehung mit ihr dazu ausnutzen, sie als Repressalie gegen mich einsetzen, um Vorteile damit zu erwirken und dieser Gefahr, möchte ich sie nicht aussetzen.

»Oh mein Gott, was ist passiert?«, bemerkte ich, als ich sie im Türrahmen stehen sah.

»Was soll passiert sein?«

»Na ja, du besuchst mich in meinem Büro, das ist ja noch nie vorgekommen.«

»Wieso störe ich dich?«

»Na ja, wie du siehst, stecke ich bis zum Hals in Arbeit. Aber egal, was kann ich für dich tun?«

»Hast du die Zeitung gelesen?«

»Ja, warum? Stand nichts Besonderes drin.«

»Gunnar A. soll seine Geliebte umgebracht haben«, half mir Eva auf die Sprünge.

»Stimmt, eine Affäre mit Mord, hieß es.«

»Ich weiß, dass er unschuldig ist, er hat sie nicht umgebracht.«

»Woher willst du es so genau wissen?«

»Ich kenne ihn von früher.«

»Aha.«

»Er mochte mich damals, als wir noch Kinder waren.«

»Oh … eine Sandkastenliebe also.«

»Nein mehr eine Sandkastenschwärmerei, denn in dem Alter konnte man noch nicht von Liebe sprechen. Es war mehr eine Freundschaft, die für ihn wichtig war und wenn sich da eine Zuneigung entwickelt hätte, muss man nicht gleich von einer Sandkastenliebe sprechen. Kinder lieben Menschen auf ihrer Weise. Aber lass uns nicht abschweifen.«

Sie schob mir eine Ermittlungsakte rüber, so, als wenn sie davon ausgehen würde, dass mich der darin befindliche Fall interessieren würde und dass eine Zusammenarbeit mit ihr, den Zugang zu dieser Ermittlungsakte voraussetzt.

Ich schlug den Aktendeckel auf, überflog das Sachverständigengutachten, die Beweismittelliste, die Vermerke der Polizei und stieß dann auf zwei Fotos der Verstorbenen.

»Gut aussehendes Mädchen«, bemerkte ich, »bis auf die Würgemale am Hals. Schade um das hübsche Ding.«

»Er kann keinem Tier etwas zuleide tun, erst recht keinem Menschen«, erwähnte sie noch, als ich mir die Bilder etwas genauer ansah. Dabei sah ich mir nochmals die Beweisliste an, worauf sie sprach:

»Er ist unschuldig!«

»Nein, nein im Gegenteil, er ist schuldig. Die Beweiskette sieht lückenlos aus. Selbst die Linienführung der unter ultraviolettem Licht sichtbar gemachten Fingerabdrücke wurden fotografiert, vergrößert und mit dem Tatverdächtigen verglichen. Sie stimmten überein. Du weißt, dass die Analyse von Fingerabdrücken bei der Aufklärung von Verbrechen als wichtigstes Beweismittel gilt. Man hat sogar DNS Spuren von ihm gefunden. Unanfechtbare Beweise, auf die ein Ermittler angewiesen ist, um einen Kriminalfall zweifelsfrei zu lösen.«

»Níquel, ich weiß das alles, aber er ist trotzdem unschuldig.«

»Mensch Eva, du weißt doch selber, dass man schon Angeklagte auf viel geringere Beweise verurteilt hat.«

»Ja aber dieses Ganze ist ein entsetzlicher Irrtum. Ich fühle es.«

»Mit Gefühlen kommt man hier nicht weiter, wir brauchen Tatsachen. Gunnar Arendt hat seine Geliebte ermordet, das scheint klar erwiesen zu sein. Ein Mensch, der gemordet hat, muss bestraft werden. Es ist nicht meine Aufgabe festzustellen, ob dieses Prinzip richtig oder falsch ist. Die Indizien sprechen gegen ihn.«

»Aber es gibt doch noch was anderes als Indizien, ein Gefühl, eine Gewissheit, etwas auf das du dich auch ständig verlässt. Gerade du müsstest mich verstehen.«

»Sag das noch mal.«

»Du hast selbst immer gesagt, ich sollte auch mal meinen Gefühlen folgen.«

»Ja aber nicht der Unvernunft.«

»Ach Gefühle dürfen nur in deinen Fällen eine Rolle spielen, was?«

»Nein, das nicht.«

»Ich glaube einfach nicht, dass er der Mörder ist. Da will jemand ihm die Schuld in die Schuhe schieben.«

»Ja, wenn du Tatbestände, Indizien, Rückschläge nicht mehr geltend lässt, dann stellst du unsere ganze Rechtsprechung doch infrage.«

»Nein, das tue nicht, aber es könnte doch auch mal ein Unschuldiger in dieses ganze Räderwerk geraten.«

»Das würde sich doch sehr schnell herausstellen, oder?«

»Nicht unbedingt. Es ist sogar denkbar, dass sich gerade ein Unschuldiger in Widersprüche verwickelt.«

»Das glaubst du doch selbst nicht.«

»Oh doch! Da gibt es einen interessanten psychologischen Versuch. Ein anständiger verlässlicher Mensch wurde nach seinem Tagesverlauf gefragt und siehe da, er hat für eine gewisse Zeit kein Alibi.«

»Aber das ist doch eine Spielerei.«

»Diese Spielerei, wie du sie nennst, kann auch manchmal ernst werden.«

»Hm … und was glaubst du denn, was passiert ist?«

»Keine Ahnung, ich weiß nur eins, ich glaube ihm, dass er es nicht gewesen ist. Er bestreitet sogar, die Frau jemals gekannt, geschweige sie überhaupt irgendwo mal gesehen zu haben.«

»Kann auch eine Schutzbehauptung sein. Männer sind manchmal sehr einfallsreich, wenn es bei einer Affäre darum geht, verräterische Spuren wie etwa der Lippenstift am Hemdkragen, der Duft eines unbekannten, womöglich weiblichen Parfüms zu vertuschen.«

»Sprichst du von dir?«

»Witzbold! Mit einer Affäre zum Austoben oder nur zum Problemabladen tut man sich keinen Gefallen. Man würde sich nur den Weg zu einer richtigen Partnerschaft verbauen, zu einer Liebe, wo zwei Körper und zwei Seelen miteinander verschmelzen, wo gegenseitige Verantwortung, Respekt und Treue sich verbinden.«

»Und wann verschmelzen wir miteinander?«

»Es ist immer schon so gewesen. Die Henne weiß, wann der Tag anbricht, überlässt aber das Krähen den Hahn. Aber willst du Turteltaube über uns sprechen oder über deine Sandkastenschwärmerei?«

»Níquel kannst du nicht mal mit ihm reden, mir zuliebe? Du wirst merken, dass seine Geschichte doch sehr glaubwürdig ist. Du kannst dir dann immer noch überlegen, ob du den Fall übernehmen willst oder nicht.«

»Du siehst doch, ich versinke hier in meinen Fällen. Ich weiß schon gar nicht mehr, wo mir der Kopf steht.«

»Bitte, bitte, bitte!«, flehte sie jämmerlich.

Ich kann ihr einfach nicht widerstehen. Sie ist eine attraktive, selbstbewusste, hinreißende Frau der Anklage, mit dunklen kurzen Haaren, blauen Augen und knackigen Kurven, eine Frau um auf die Knie zu fallen und Gott zu danken, dass man ein Mann ist.

»Und was kriege ich dafür?«

»Ich könnte dich zum Essen einladen.«

»Soll das etwa ein Date werden?«

»Weißt du überhaupt, was ein Date ist?«

»Na ja ein Anglizismus für das französische Wort Rendezvous, zu Deutsch: Verabredung. Aber im Laufe der Zeit hat man dem Begriff Date immer mehr auf das Kennenlernen von Mann und Frau bezogen, die auch ein sexuelles Interesse aneinander haben. Doch manche sagen auch Date, wenn sie zum Arzt gehen.«

»Heißt das jetzt, du übernimmst den Fall?«

»Also gut, ich werde mit ihm reden und mir seine Geschichte anhören, vielleicht auch ein oder zwei Recherchen anstellen. Sobald ich damit durch bin, werde ich mich bei dir melden.«

»Danke! Für Gunnar Arendt lass ich dir morgen früh eine Besuchererlaubnis zukommen, damit du ihn im Untersuchungsgefängnis besuchen kannst. Ich würde ja mitkommen, aber ich habe morgen eine wichtige Besprechung.«

Daraufhin stand sie auf und ging zur Tür. Dort blieb sie kurz stehen, drehte sich um und sprach:

»Du hast also viel zu tun, nicht wahr?«

»Ja«, antwortete ich, »wie du siehst.«

Dabei schwenkte ich meinen Arm über den Schreibtisch und ließ dann die Hand auf den rechts neben mir liegenden Aktenstapel ruhen.

»Ist es nicht eigenartig«, sprach sie dann weiter, »dass auf deinem Notizblock nicht mehr als nur ein Datum steht und das alle deine Akten auf dem Schreibtisch mit den gleichen Buchstaben anfangen?«

So was nennt man in flagranti ertappt. Oh ja, sie ist schon eine gute Kriminalistin. Ihr, was vorzumachen ist, als wenn man einen Wellensittich oder auch einen Kanarienvogel im Käfig fragt: Na wie lange sitzt du schon?

2. Wenn ich mich entschieden habe, wird es ein langer Weg werden, den wir gemeinsam gehen

Der nächste Morgen verlief ähnlich, wie der Tag zuvor. Frühzeitig wurde ich wach und marschierte demzufolge auch beizeiten ins Büro. Unterwegs der obligatorische Handelsvertrag beim Kiosk ohne klein gedruckte Zusätze: der Tausch Zeitung gegen Geld.

Eigentlich ist es immer das Gleiche. Ein bestimmtes Wirken, das einem in der Vergangenheit so geprägt hatte und dass man heute noch genauso ausführt. Ein unstillbares Bedürfnis, das unser Verhalten steuert, ohne dass man sich bewusst darüber ist.

Einstein hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, als er einmal gesagt hatte: Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun aber andere Ergebnisse zu erwarten.

Im Büro bereitete ich erst mal mein geliebtes Heißgetränk vor, um anschließend mit dem schwarzen Gold wie ein Mensch zu funktionieren. Manche brauchen eben diesen Energieschub und ganz besonders ich.

Da ich keine Lust habe, mich lange mit der Handzubereitung aufzuhalten, benutze ich eine Kaffeemaschine. Sie nimmt mir die Arbeit ab und liefert mir zu jeder Tageszeit alles für einen absoluten Koffeinkick.

Das typische Röcheln weist dann darauf hin, dass der Kaffee gleich fertig ist. Ebenso kann es aber auch bedeuten, dass es Zeit wird, die Maschine mal einer gründlichen Entkalkung zu unterziehen.

Nachdem ich gefühlt stundenlang in meinem Büro gesessen hatte, bereits meinen keine Ahnung wievielten Becher getrunken hatte, der mich in wenigen Sekunden von null auf Hundert brachte und mich daran hinderte einzuschlafen, klingelte das Telefon. Etwas verwirrt, legte ich meine Hand auf den Apparat und ließ es noch ein zweites und drittes Mal klingeln. Dann nahm ich den Hörer auf. Eine Frau war am anderen Ende der Leitung und begrüßte mich mit Herrn Doktor und beklagte sich:

»Herr Doktor, Herr Doktor, ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen. Es war so schrecklich …«

»Entschuldigen sie bitte, wenn ich sie unterbreche«, entgegnete ich ihr, doch sie hielt einfach nicht inne, redete hektisch weiter.

»Ich mache mir richtig Sogen …«

»Junge Frau«, versuchte ich abermals ihren Redefluss zu unterbrechen, doch vergebens. Ihre Euphorie ließ sie einfach nicht mehr los.

»Herr Doktor, er hat heute Nacht zweimal gehustet. Er ist doch noch so jung, hat noch sein Leben vor sich. Wir hatten vor Jahren schon mal einen Hund verloren, der war allerdings viel älter und hatte auch gehustet. Ist es was Ernstes?«

Dann trat endlich Ruhe ein und man spürte die Spannung am anderen Ende der Telefonleitung, die auf eine Antwort wartete, auf die Antwort eines Veterinärs.

»Ich muss sie leider enttäuschen«, sprach ich dann zu ihr, »aber ich bin nicht ihr Tierarzt.«

»Sie sind nicht mein Tierarzt? Ja warum sagen sie mir das nicht gleich. Ich rede mir hier den Mund fusselig, weil mein Mops schwer krank ist und sie, sie feixen sich womöglich einen, machen sich über mich alte Frau auch noch lustig.«

»Äh …«

»Sie Wüstling sie. Ich werde sie bei der tierärztlichen Vereinigung anzeigen.«

Danach hängte sie auf. Ich nahm meinen Kaffeebecher, füllte ihn nach, lehnte mich dann in meinen Chefsessel zurück und fing an zu sinnieren. Im selben Augenblick klopfte es etwas lautstark an der Tür. Erschrocken zuckte ich zusammen, kippte mit meinem Stuhl nach hinten weg, sodass ich mit dem Hinterkopf unsanft die Rückwand berührte. Der Kaffeebecher, den ich gerade noch in der Hand hielt, machte sich selbstständig und zerschellte auf dem Fußboden. Doch zuvor entleerte sich der Inhalt über mein T-Shirt.

Während ich fluchte, weil der Kaffee noch so heiß war und er mein neues, schlichtweißes Armani T-Shirt in ein "unter der Sonnenbank vergessenes" aufpeppte, ging die Tür auf und ein Mann trat herein.

»Morgen Níquel«, sprach er.

Es war der Bote des Strafgerichtes, der mir schon des Öfteren Dokumente zugestellt hatte, wenn es mal eilte. Und während ich mit Daumen und Zeigefinger das T-Shirt vor meiner Brust hektisch hin und her wedelte, fragte er:

»Neues T-Shirt oder ist dir warm.«

»Sehr witzig. Sonntag habe ich Zeit, da lach ich dann darüber.«

»Ich habe hier eine Zustellung von der stellvertretenden Bezirksstaatsanwältin. Sie sagte, es sei sehr eilig.«

»Das wird die Besuchserlaubnis sein. Danke«, sprach ich, nahm den Umschlag entgegen, öffnete ihn, holte das Dokument heraus und überflog es kurz.

Normalerweise wird eine Erlaubnis für einen einmaligen Besuch ausgestellt mit einer maximalen Dauer von dreißig Minuten. Doch in diesem Fall hat die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin eine Dauererlaubnis ausgestellt mit einer unbegrenzten Sprechzeit. Es schien ihr also doch viel daran zu liegen, dass ich diesen Fall näher betrachte.

»Seit wann brauchst du eine besondere Erlaubnis um Besuch zu kriegen?«, bemerkte der Bote.

»Das ist eine Besuchserlaubnis für einen Untersuchungsgefangenen, du Dumpfbacke.«

»Aha, neuer Auftrag?«

»Geht dir gar nichts an. So und nun hau endlich ab.«

Nachdem der Bote wieder verschwunden war, holte ich mir ein sauberes T-Shirt aus der Hängeregistratur. Da die Schubladen sehr geräumig waren, hatte ich eine als meinen Küchenersatz beschlagnahmt, wo Kaffeemaschine, Becher, Zucker, Milch und so weiter untergebracht wurde und eine andere für Ersatzklamotten, falls man bei seinen Ermittlungen - im wahrsten Sinne des Wortes - im Dreck stecken bleibt.

Nach einem erfrischenden Ereignis am Waschbecken und einem neuen T-Shirt machte ich mich sogleich auf den Weg zum Untersuchungsgefängnis. Es befand sich gleich neben dem Oberlandesgericht und ist durch einen unterirdischen Gang miteinander verbunden.

»Guten Tag. Ich habe hier eine Besuchserlaubnis für Gunnar Arendt.«

Ein Mann mit dunkler Hose und langärmeligem dunklen Hemd mit Emblem seines Dienstherrn auf beiden Ärmeln wandte sich mir zu:

»Ihren Ausweis bitte und füllen sie diese Anmeldung aus.«

Er gab mir ein Formular, welches ich kurz ausfüllte und ihm zurückgab. Dann prüfte er die Unterschrift mit dem des Ausweises sowie den Namen.

»Wie ist doch gleich ihr Name?«, fragte er.

»Man nennt mich Níquel.«

»Der Ausweis ist aber auf Jack Liebre ausgestellt.«

»Das ist richtig. Níquel kommt aus dem spanischen und heißt frei übersetzt: Nickel, ein Material mit besonderer Härte. Ich bin nämlich Privatdetektiv und Níquel ist ein mir angedichteter Sobriquet.«

»Ach sie sind einer dieser Schnüffler, die der Meinung sind, dass sie alles besser können als die Polizei.«

»Nicht unbedingt, aber es gibt signifikante Unterschiede. Während sie als Polizist erst dann aktiv werden, wenn ein konkreter Tatverdacht vorliegt, ermitteln wir bereits im Vorfeld, um ihnen diesen konkreten Tatverdacht zu liefern.«

»Sie meinen also, wir sitzen nur herum.«

»Nein das habe ich nicht gesagt, aber gehen wir doch mal von dem Fall eines Stalkings aus. Das Stalkingopfer benötigt handfeste Beweise, um eine Anzeige zu erstatten ohne die sie wiederum nicht tätig werden. Bei uns Privatermittlern hingegen sind Beweise nicht notwendig. Wir sehen den Sachverhalt aus der Sicht des Opfers und ermitteln dementsprechend. Da wir im Verborgenen arbeiten, konnten so schon viele Delikte durch unseren Einsatz aufgedeckt werden. Somit tragen wir eine ganze Menge dazu bei, damit kriminelle Handlungen nicht unentdeckt bleiben. So und jetzt würde ich gerne Gunnar Arendt sprechen.«

Während der Mann sich ein Schlüsselbund schnappte und wir in eins der unteren Etagen hinuntergingen, fragte er:

»Wollen sie ihm ihre Dienste anbieten, das wäre zwecklos. Der Mann ist so gut wie verurteilt.«

»Verurteilt ist erst jemand, wenn der Richter das letzte Wort gesprochen hat.«

Im Untergeschoss dieses Justizgebäudes befanden sich diverse Zellen für die Untersuchungshaft Beschuldigter, dessen Prozess erst in absehbarer Zeit erfolgt und wo die Möglichkeit der Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht.

Er öffnete die Tür mit der Nummer 25.5. Drinnen saß ein Mann zusammengekauert auf dem Bett. Mein Blick schweifte durch das Zimmer, durch diesen spartanisch eingerichteten Raum. Auf der einen Seite ein Bett mit fingerdicker Matratze auf einem Drahtgeflecht mit Metallfedern. Auf der anderen Seite ein Tisch mit einem Stuhl, daneben ein Doppeltürenschrank, sowie eine frei stehende Toilette und eine Waschgelegenheit mit einem Spiegel aus Blech, der so verbogen war, dass man sich vorkam, in einem Lachkabinett zu sein. Um das Schamgefühl und die Menschenwürde nicht zu verletzen, wurde zusätzlich eine Winkelstange mit einem Vorhang um die Nasszelle angebracht.

Gunnar Arendt hob seinen Kopf, als ich vor ihm stand. Sein Gesicht war schmerzverzerrt von einer einzigen Sorgenfalte verformt.

»Man nennt mich Níquel«, fing ich an, um die verharrende Stille zu unterbrechen. »Ich bin gekommen, um ihnen zu helfen.«

»Mir zu helfen?«

»Ja. Ich beschäftige mich seit Kurzem mit ihrem Fall. Ich will ihnen sagen, dass es jemand gibt, der an ihre Unschuld glaubt. Vielleicht komme auch ich nach unserem Gespräch zu der gleichen Überzeugung.«

»Sehr gütig von ihnen, aber ich brauche keine Hilfe.«

»Nun …, die Beauftragung erfolge von der stellvertretenden Bezirksstaatsanwältin.«

»Von Eva?«

»Ja!«

»Meinen sie denn, dass es Aussicht hätte?«

»Sagen sie es mir. Was hatte sie zu der Tat bewogen?«

»Ich habe niemanden umgebracht. Gewiss das Belastungsmaterial ist erdrückend, aber ich bin nicht der Mann, der irgendjemand wehtun könnte. Ich kenne alle Schikanen der Justiz, da kann kommen, was will. Mich wird man nicht so leicht zur Strecke bringen.«

»Dann fühlen sie sich also so sicher, dass sie meine freundschaftliche Hilfe nicht benötigen.«

»Ich brauche keine Hilfe.«

»Dann haben sie schon verloren. Aber beantworten sie mir doch ein paar Fragen, damit ich nicht umsonst hier war und ich der stellvertretenden Bezirksstaatsanwältin, was erzählen kann. Sie kennen sich von früher, wie sie mir erzählte und es liegt ihr viel daran, dass wir wenigstens einmal ausführlich miteinander gesprochen haben. Also worin bestand ihre Beziehung zu der Toten?«

»Ich hatte sie noch nie in meinem Leben gesehen.«

»Das hatten sie bereits bei der Polizei zu Protokoll gegeben.«

»Warum fragen sie denn?«

»Es ist mein Job, Fragen zu stellen.«

»Ich verkehre nicht in solchen hochherrschaftlichen Kreisen, das lässt mein Gehaltsstreifen einfach nicht zu.«

»Wie darf ich das verstehen, sie verkehren nicht in solchen Kreisen?«

»Na bei der Hautevolee. Ich bin ein einfacher Arbeiter, ich muss für mein Geld noch richtig arbeiten und mit dem Erlös kann man sich keinen Schatten leisten, der sich selber in Gold aufwiegt.«

»Von wem sprechen sie?«, fragte ich etwas verwirrt.

»Na von der Getöteten, die Frau die ich umgebracht haben soll.«

Ich nahm mir die Akte hervor, die mir Eva freundlicherweise in Kopie zur Verfügung gestellt hatte. Nicht jeder hat Einblick in die Strafakten der Polizei, da sie viele sensible Daten enthält und somit nicht jedem zugänglich gemacht werden darf, außer denen, die direkt mit dem Fall vertraut sind. Beim Durchblättern stieß ich auf den Namen Marion Bergmann. Ein Name, der nichts Besonderes in mir hervorrief, der keiner vornehmen Gesellschaftsschicht zuzuordnen war.

»Okay. Wo waren sie zur Tatzeit?«

»Das hatte ich doch schon alles der Polizei erzählt.«

»Sicher, aber nicht mit mir. Eva möchte, dass ich ihnen helfe und wenn ich ihnen helfen soll, dann sollten sie sich doch die Mühe machen und mir es noch mal erzählen.«

»Nun gut. Ich hatte ein wenig Trouble mit meiner Frau, nichts Ernstes, nichts, dass unsere Beziehung gefährden könnte. Probleme in den Ehen sind so gut wie unvermeidlich und auch wir haben mal gegensätzliche Ansichten. Kommt in den besten Familien vor.«

»Und um was ging es?«

»Na ja, es ging um Geld. Geld und Liebe miteinander zu verknüpfen, führt doch häufig zu Konflikten. Sie wollte schon vor Jahren, dass ich ein bisschen mehr Karrierebewusster werde, doch ich wollte lieber mehr Zeit für die Liebe haben, für das Familienleben, für sie und nicht für den Job.«

»Verstehe und weiter?«

»Ich bin dann aus dem Haus, um mich zu beruhigen. Ich hasse Streit, ich mag nicht, wenn man sich zankt. Meine Frau weiß das und sie lässt mich dann auch gehen.«

»Und wohin sind sie gegangen?«

»Ich bin hinunter an den Fluss gegangen, hab mich auf eine Bank gesetzt und aufs Wasser geschaut. So ein Blick, wo sich seichte Wellen friedlich entrollen, sich gegenseitig hochschaukeln, das ist schon beruhigend.«

»Wie lange saßen sie da?«

»Hm … keine Ahnung, ein bis zwei Stunden bestimmt. Ja genau, fast zwei Stunden waren es gewesen. Als ich zurückkam, hatte die Uhr gerade zehn geschlagen.«

Ich blätterte in der Ermittlungsakte herum und holte das Protokoll eines Zeugen hervor. Kurz überflogen sprach ich dann:

»Ein Zeuge hat hier Folgendes zu Protokoll gegeben:

An den besagten Tag ging ich mit meinem Hund spazieren und kam an dem Grundstück vorbei. Ich erinnere mich deshalb so genau daran, weil ich an dem Tag Überstunden gemacht hatte, später nach Hause kam und demzufolge auch später mit dem Hund ging. An der Eingangstür der Villa brannte eine Lampe und im Schein dieser Lampe sah ich diesen Mann.

Der Zeuge deutete mit dem Zeigefinger auf den Angeklagten, auf sie.«

»Ich bin ein durchschnittlich gebauter Mensch, bin nicht übergroß oder klein, auch nicht übermäßig dick oder zu dünn ist. Es kann damit mindestens jeder Zweite in dieser Stadt gewesen sein.«

»Hinzu kommt noch, dass man ihre Fingerabdrücke dort gefunden hatte, ihre DNS, ihre Haare, genügt das immer noch nicht? Laut Laborbericht trugen sie zum Zeitpunkt der Tat einen dunkelblauen Pullover. Es wurden Baumwollfasern gefunden, die von ihrem Pullover stammten.«

»Das kann nicht …«

»Ich stelle es mir so vor. Frau Bergmann wollte die Verbindung mit ihnen beenden. Daraufhin zettelten sie einen Streit mit ihrer Frau an, verließen das Haus, um mit Frau Bergmann zu reden. Von ihrer Wohnung sind es gerade mal dreißig Gehminuten. Das Gespräch eskalierte, sie wurden wütend und im Affekt hatten sie Frau Bergmann dann erwürgt.«

»Quatsch so ein Blödsinn. Wie oft soll ich es ihnen noch sagen, ich kann es nicht gewesen sein, ich saß doch unten am Fluss.«

»Wenn sie weiterhin auf ihr Flussalibi pochen, werde ich so langsam sauer.«

»Das ist ihr gutes Recht, aber ich bin es wirklich nicht gewesen. Irgendjemand muss mich doch dort gesehen haben.«

»Gut, auf ihr Alibi unten am Fluss werde ich später zurückkommen. Wie hatte sich ihre Frau gefühlt, als sie von der Anschuldigung hörte?«

»Wissen sie, nicht nur mein Verteidiger hat die Hoffnung aufgegeben, sondern auch meine Frau. Sie meinte nur, man könnte ihr nicht zumuten, jahrelang an einen Knacki gekettet zu sein.«

»Das tut mir leid.«

Wir sprachen sehr lange und er war sehr redselig, erzählte, wie er seine Frau kennengelernt hatte und wie früher alles nicht besser aber anders war. Seine Frau ging in letzter Zeit stark auf Distanz, verhält sich manchmal so, als wenn sie kaum noch was für ihn empfindet. Zeitweilig stellte er sich die Frage, ob die gemeinsame Verbindung viel weniger von ihr abhängig war, sondern vielmehr von ihm selbst, wobei er glaubte, dass die gegenseitigen Gefühle von ganz alleine wiederkommen werden.

Viele Notizen hatte ich mir gemacht, um später vielleicht aus dem Gespräch mit ihm einen Hinweis zu finden, der zu seiner Entlastung beitragen könnte.

»Ich habe genug gehört«, äußerte ich mich. »Die Informationen werde ich erst mal ausarbeiten und einige Sachen recherchieren. Morgen oder übermorgen schaue ich noch mal vorbei, um ihnen meinen Entscheid zu geben.«

»Níquel«, sprach er verbittert. »Eva … äh die Staatsanwältin hatte mir von ihnen erzählt, sie meinte, sie wären der Beste auf diesem Gebiet. Sie würden sogar eine Stecknadel in einem Heuhaufen finden, ohne sich anstrengen zu müssen. Was ich eingangs gesagt hatte, ist natürlich alles quatsch, aber … bitte …, bitte helfen sie mir. Sie können mir glauben, ich habe die Frau wirklich nicht umgebracht, ich kannte sie noch nicht mal.«

»Ich glaube ihnen, doch muss ich erst mal sehen, wie man so ein Fall am besten anpackt und wie die Chancen auf Erfolg stehen. Dazu muss ich mit ihrer Frau sprechen, die mir eine Charakterisierung von ihnen geben soll. Wo kann ich sie am besten antreffen?«

»Ich nehme mal an, da ich im Knast sitze, wird sie wohl wieder Zuhause wohnen oder dabei sein, die Wohnung leerzuräumen. Wenn sie nicht da ist, dann können sie Petra sicher bei ihrer Mutter erreichen. Aber die Idee, sie zu besuchen, finde ich nicht so gut.«

»Warum nicht?«

»Ihre Mutter wird sie beeinflussen und mich in ein äußerst schlechtes Licht darstellen. Sie meinte, mir würde der Antrieb fehlen. Ihre Tochter hätte was Besseres verdient, was viel Besseres. Das hat sie mir schon so oft gesagt, dass solche Sprüche zwischenzeitlich an mir abprallen.«

»Ich werde dennoch mit ihrer Frau reden müssen und mich von ihrer Schwiegermutter nicht einschüchtern lassen. Vielleicht habe ich auch das Glück, ihre Frau allein anzutreffen. Danach werde ich mit dem Ehemann der Verstorbenen sprechen. Wenn ich das hinter mir und mich entschieden habe, wird es ein langer Weg werden, den wir gemeinsam gehen.«

»Tun sie ihr Möglichstes. Ich weiß, dass sie es schaffen.«

»Verlassen sie sich nicht zu sehr auf das Urteil von Eva.«

Daraufhin verließ ich die Haftanstalt und kehrte zurück in mein Büro.

3. Ein Fall wie Alternativurlaub in einem Kloster

Im Büro sortierte ich meine Aufzeichnungen und legte sie dann zu den Dokumenten der polizeilichen Ermittlungsakte. Es war wie das Memory-Spiel mit hohem Suchfaktor, wo jedes Bild zweimal im Spiel enthalten ist und wo es galt, ein passendes Paar zu finden.

Wie auf einem Wühltisch grub ich mich durch den verheerenden Papierkrieg, zerknüllte beiläufig einige Notizen, die doppelt oder gar unwichtig waren und warf sie mit einer Präzision in den Papierkorb, der jeden Basketballspieler vor Neid erblassen lassen würde.

Und genau im Moment meines exorbitanten Wurfs ging die Tür auf und die stellvertretende Bezirksstaatsanwältin trat herein und das, ohne das Gebot der Höflichkeit beim Betreten eines Büros anzuwenden, das Anklopfen.

»Ach das nennst du also schwer beschäftigt«, bemerkte sie sofort.

»Immer mit der Ruhe, ich arbeite gründlich und nicht flüchtig.«

»Du meinst auch: Besser faulenzen, als gar nichts tun.«

»Wie komme ich zu der Ehre, dass du mich schon wieder besuchst?«

»Ich habe gehört, dass du Gunnar Arendt besucht hattest.«

»Oh die aus der vorkolonialistischen Zeit stammende Buschtrommel funktioniert also immer noch bei euch.«

»Der Aufseher aus dem Untersuchungsgefängnis hatte mich angerufen. Er kam zuerst mit deinem Namen nicht so ganz zurecht. Und …? Wie verlief das Gespräch?«

»Wie du siehst, versuche ich mir ein Bild zu machen.«

»Mit Körbchen werfen?«

»Nein, das sind nur unwichtige Notizen, die mein Bild nur stören würden.«

»Und?«

»Was und?«

»Wie ist dein Eindruck? Glaubst du ihm?«

»Na ja, es spricht zurzeit nichts dagegen, ihm nicht zu glauben oder er ist ein hervorragender Schauspieler. Aber bevor ich mich entscheide, möchte ich noch mit seiner Frau sprechen und mit dem Ehemann des Opfers.«

»Wann?«

»Was wann?«

»Wann du gedenkst, mit denen zu sprechen?«

»So schnell wie möglich. Wenn ich meine Notizen soweit sortiert habe und sie heute noch erreiche, dann … na ja dann wohl heute noch.«

»Gut! Dann kannst du mir heute Abend beim Essen Bescheid geben.«

»Soll das vielleicht die versteckte Art einer Einladung sein, um sich im Voraus für mein Engagement zu bedanken?«, fragte ich.

»Ja!«

»Wow. Dann wäre es ja eine typisch klassische Einladung, wo du zahlst, oder?«

»Das ist nun mal die Schattenseite bei so einer Einladung.«

Nachdem sie gegangen war, machte ich mich fertig, um die Frau von Gunnar Arendt zu besuchen. In der Vermutung, dass sie sich in der gemeinsamen Wohnung aufhalten würde, fuhr ich als Erstes dort hin. Erst beim zweiten Mal klingeln, würde die Tür geöffnet.

Eine Frau stand vor mir mit knallig rot geschminktem Mund, kurzem Rock und einem viel zu offenen Dekolleté. Sie hatte ein strahlendes Lächeln auf den Lippen und fragte:

»Ja bitte?«

»Sind sie Petra Arendt?«

»Ja!«

»Man nennt mich Níquel. Ich bin Privatdetektiv und arbeite im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Es geht um den Tatbestand des Mordes, den man ihrem Mann unterstellt. Ich müsste ihnen hierzu ein paar Fragen stellen, darf ich kurz hereinkommen?«

Kaum ausgesprochen wurde die Tür ruckartig weiter aufgerissen und im Türrahmen erschien eine ältere Dame, der man sofort die Senilität und Besserwisserei ansah. Es war vermutlich die Mutter, die Schwiegermutter von Gunnar Arendt, was sich kurz danach auch bestätigte. Herrschsüchtig sprach sie:

»Meine Tochter hat bereits alles über diesen Nichtsnutz der Polizei erzählt. Sie wird keine weiteren Fragen mehr beantworten. Basta!«

»Das ist ihr gutes Recht. Ich kann sie aber auch abholen lassen, wenn ihnen das lieber wäre. Das dauert keine zehn Minuten und ein Streifenwagen mit Blaulicht und Martinshorn wird hier vor der Tür stehen.«