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Studienarbeit aus dem Jahr 2003 im Fachbereich Orientalistik / Sinologie - Allgemeines u. Übergreifendes, Note: 1.5, Universität Bern (Institut für Islamwissenschaft und Neuere Orientalische Philologie), Sprache: Deutsch, Abstract: [...] Der Schwerpunkt dieser Hausarbeit liegt darin, diese beiden unterschiedlichen Antworten zur Frage nach der Identität dieses beliebten Schwankhelden darzustellen. Dazu soll zunächst ein kurzer Forschungsüberblick zur Frage der Historizität des „türkischen Hocas“ einleiten. Anschliessend soll die Ansicht, dass die Figur des Nasreddin Hoca mit einem spezifisch türkischen Kontext und einer entsprechenden Mentalität untrennbar verbunden sei, anhand von drei Autoren vorgestellt werden, die mit unterschiedlichen Methoden versuchen, ihre Theorie zu untermauern. Dem gegenüber stehen die Forschungen von Autoren, die Nasreddin Hoca als eine Art Integrationsgestalt unterschiedlicher humoristischer Kurzprosa im islamischen Orient betrachten. Auch hier soll ein Überblick der grundsätzlichen Theorien und der verwendeten Methoden geschehen, welche die Autoren zur Stützung ihrer Überlegungen anführen. Als Literatur dienten mir hauptsächlich verschiedene Sammlungen von Hoca-Anekdoten, darunter Ulrich Marzolphs „Nasreddin Hodscha - 666 wahre Geschichten“, „Wer den Duft des Essens verkauft“, übersetzt und herausgegeben von Herbert Melzig und „Das Wort des Esels“ von Orhan Veli Kanik, übersetzt von Yüksel Pazarkaya. Weitere Werke bildeten „Nasreddin Hodscha und Till Eulenspiegel - Eine Studie zur vergleichenden Schwankforschung“ von Inci Krause-Akidil und das Buch der Erzählforscherin Alev Tekinay „Materialien zum vergleichenden Studium von Erzählmotiven in der deutschen Dichtung des Mittelalters und den Literaturen des Orients“.
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Universität Bern Institut für Islamwissenschaft Philosophische Fakultät und Neuere Orientalische Philologie
Der Volksnarr und Schwankheld Nasreddin Hoca -
Proseminararbeit
eingereicht am 24. Oktober 2003
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Der Volksnarr und Schwankheld Nasreddin Hoca zählt zu den beliebtesten literarischen Figuren der gesamten islamischen Welt. Charakterisiert wird er oft als ein Schalk, „eine Person, die mit Heiterkeit und Freude jemandem eine Posse spielt“ (Goethe), ein weiser Tor, der hinter das Allbekannte, hinter alles Selbstverständlich Geltende ein sinnendes, oft verblüffendes Fragezeichen setzt, aber auch ein das Diesseits bejahender Materialist und Freigeist.1Er ist bekannt von Istanbul bis Aden, von Marrakesch bis Peking, von Samarkand bis Wanne-Eickel, geliebt und geschätzt bei den judäo-spanische n Exilgemeinden auf dem Balkan wie bei den zentralasiatischen Uiguren wie in oberägyptischen Gemeinden, in den Dörfern Siziliens wie in den Hochhaussiedlungen der Teheraner Vorstädte, bei den in ganz Europa verstreut lebenden türkischen Arbeitnehmern wie bei der seit Mitte des 19. Jh. stetig wachsenden nicht-islamischen Fangemeinde.2Seine Anekdoten haben sich in sprichwörtlichen Redewendungen in vielen Sprachen niedergeschlagen.3
Im allgemeinen Bewusstsein der Bewunderer seiner Schwänke und Anekdoten verkörpert Nasreddin Hoca das Bild eines mittelalterlichen Gelehrten mit Turban und Talar und verkehrt auf einem Esel sitzend. Der Protagonist der beliebten Schwänke wird dazu oftmals in einen konkreten historischen Kontext eingebettet: Der „ursprüngliche Schwankheld“, um den sich die zahlreichen Anekdoten ranken, soll im 13. oder 14. Jahrhundert in der Gegend von Aksehir im südlichen Zentralanatolien gelebt haben
und Zeitgenosse einiger bekannter Persönlichkeiten gewesen sein. So skizziert Goethe Nasreddin Hoca als „launigen Zug- und Zeltgefährten“ Timurs in den Anmerkungen zum „Westöstlichen Diwan“. Auch viele Wissenschaftler scheinen von einer „spezifisch türkischen Originalität“ des bekannten islamischen Schwankhelden überzeugt zu sein.
Auf der anderen Seite gibt die weit verbreitete Popularität Nasreddin Hocas anderen Erzählforschern den Anlass, die ihm so oft zugeschriebene „türkische Mentalität“ in Abrede zu stellen. Provozierend stellt der Wissenschaftler Ulrich Marzolph die Frage, ob denn
1Melzig, Duft des Essens, S. 224.
2Marzolph, 666, S. 8.
3Ebd., vgl. Nr. 338 (Nasreddins Kessel), Nr. 176 (Die Decke) oder Nr.561 (Der Nagel).