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„Der Weg des Meisters“ betritt die Pfade fernöstlicher Heil- und Lebenskunst mittels Qigong und Traditioneller Chinesischer Medizin. Es ist ein Buch über die Kunst, das Leben mit einem Lächeln zu meistern. Ausgewählte Qigong-Übungen helfen bei Alltagssorgen und Stress, befreien von Rückenschmerzen oder Migräne und fördern die Vitalität sowie eine jugendliche Ausstrahlung. Mit Atemübungen und Selbstakupressur bringt man Ruhe und Entspannung in den Alltag. Abgerundet wird das Buch durch allerlei Wissenswertes zur chinesischen Ernährungslehre, zu Feng Shui, Spiritualität, Kultur und Philosophie.
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Seitenzahl: 357
Dr. med. univ. Christopher Po Minar
Der Weg des Meisters
Das Geheimnis der fernöstlichen Heil- und Lebenskunst
Für Love
Danke, dass du für mich da bist und an mich glaubst.
Du bist meine größte Inspiration und Kraftquelle.
Danke, dass ich diesen Weg mit dir gehen darf.
Liebe Leserin, lieber Leser!
Fernöstliche Heil- und Lebenskunst mittels Qigong, Taiji Quan und Traditioneller Chinesischer Medizin (TCM) sind modern. An jeder Ecke sprießen Organisationen und Vereine aus dem Boden, veranstalten Qigong- und Taiji-Quan-Kurse und bieten Ausbildungen zum „Qigong-Lehrer“, „Taiji-Lehrer“ oder „Fünf-Elemente-Ernährungsberater“ an. Ärzte der westlichen Schulmedizin arbeiten Hand in Hand mit Ärzten der Traditionellen Chinesischen Medizin, Patienten nehmen Ginseng statt Aspirin, üben Qigong und Taiji Quan statt Gymnastik und Physiotherapie.
Doch obwohl es nun eine Vielzahl an „Ausbildungen“ gibt, finden sich nur wenige Lehrbücher.Was es hauptsächlich gibt, sind „Schnupperbücher“ und „Qigong in fünf Minuten“. Was noch fehlt, sind breitere, umfassendere Werke des Qigong, des Taiji Quans. „Der Weg des Meisters“ soll ein bescheidener Versuch sein, diese Lücke zu füllen.
So eine Arbeit wird eigentlich nie fertig, man muss sie für fertig erklären, wenn man nach Zeit und Umständen das Möglichste getan hat. Goethe
„Der Weg des Meisters“ weist vom Prinzip in die Richtung, die in der Tat unergründliche Weite und Tiefe der traditionellen chinesischen Heil- und Lebenskunst sowie die Lebenspflege mittels Qigong und Traditioneller Chinesischer Medizin zu erforschen und darzustellen.
„Der Weg des Meisters“ ist allerdings nicht nur ein Buch über Qigong und chinesische Medizin, sondern auch ein Werk über Ernährungslehre und Feng Shui, Kultur und Philosophie, Spiritualität und moderne Wissenschaft. Es ist ein Buch über das Leben. Es ist ein Buch über die Kunst, das Leben mit einem Lächeln zu meistern, indem wir uns der Kräfte des Universums bewusst werden und diese für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden nützen. Mein Ziel war es, die Lebenspflege mittels Qigong als Teilbereich der traditionellen chinesischen Medizin und Kultur für jeden verständlich zu machen und hierbei nicht nur zu informieren, sondern auch zu unterhalten und vielleicht sogar ein wenig zu inspirieren. Dabei ging es mir weniger um die bloße Darstellung bestimmter Bewegungsabläufe, als viel mehr um das „Wie“ der Übungen. Ich wollte vermitteln, was sich hinter den bloßen Choreographien des Qigong verbirgt und welche Verbindungen es zur Traditionellen Chinesischen Medizin gibt.
Der Leser soll vor allem die Grundprinzipien und Hintergründe des Qigong kennen lernen und verstehen. „Der Weg des Meisters“ ist somit reich an geheimem Wissen, welches normalerweise nur hinter verschlossenen Türen von Meister zu Schüler persönlich weitergegeben wird. Da für mich Tradition allerdings nicht die Anbetung der Asche, sondern vielmehr die Weitergabe des Feuers ist, habe ich mich bemüht, all diese wertvollen Informationen zu sammeln und so mehrere Jahrtausende an Wissen und Erfahrung zusammenzutragen. Es soll somit der Versuch sein, mit einer Prise Humor und Leichtigkeit Wissen und Fakten mit Geschichten, Weisheiten und Anekdoten zu vereinen.
Der Ursprung dieses Werkes liegt eigentlich in meinen unzähligen Aufzeichnungen und Notizen, die ich im Rahmen meiner Lehrtätigkeit, aber vor allem auch meiner Schülerschaft in der Kunst des Qigong und der Traditionellen Chinesischen Medizin im Laufe der Jahre gesammelt habe. Ursprünglich war dieses Buch primär als Ergänzung zu meinen Kursen gedacht, es war quasi „Das Buch zum Film“. Nichts desto trotz habe ich die Zeilen dieses Werkes als Schüler geschrieben, nicht als Lehrer, und schon gar nicht als „Meister“.
Sie mögen mir an dieser Stelle bitte verzeihen, wenn ich in diesem Buch auf eine geschlechtsneutrale Form der Ansprache verzichtet habe. Dies soll einzig und allein dem Lesefluss dienen. Dieses Buch ist natürlich gleichermaßen an Leser wie auch Leserinnen gerichtet. Ich möchte an dieser Stelle all meinen Lehrerinnen und Lehrern für ihre Großzügigkeit, Wissen und Können weiterzugeben, zutiefst danken. Vor allem aber möchte ich ihnen für die Inspiration, die sie mir durch ihre Vorbildwirkung als Menschen gegeben haben, danken. Ihnen allein gebühren die Lorbeeren und der Ruhm, ich persönlich sehe mich nur als Übermittler der „frohen Botschaft“. Auch all denen, die Qigong und TCM weiterentwickelt und der Welt und letztendlich auch mir zugänglich gemacht haben, möchte ich meinen vollen Respekt aussprechen.
Unendlicher Dank gebührt meiner wunderbaren Frau und meinem Sohn, die mich in den letzten Jahren immer unterstützt und an mich geglaubt haben. Danke vielmals für Eure große Geduld und Euer liebevolles Verständnis, wenn ich wieder einmal viel zu viel Zeit vor dem Computer, im Training oder in der Arbeit verbracht habe.
Ebenso viel Dank gebührt meinen Eltern. Sie haben mich durch all die Jahre auf meinem Weg stets unterstützt.
Zu guter Letzt danke ich auch dem Verlag und vor allem Ihnen, dem Leser, dass Sie mir die Möglichkeit geben, meiner Begeisterung und Leidenschaft für diese Kunst Ausdruck zu verleihen und an Sie weitergeben zu dürfen.
Ich wünsche Ihnen viel Erfolg und vor allem Vergnügen beim Erlernen dieser so faszinierenden Lebenskunst und hoffe, Ihnen mit diesem Werk ein klein wenig Freude bereiten zu können.
Dr. Christopher Po Minar
Vorwort
Der Mythos
Der Meister
1. Ein Vergleich
„Traditionelle Chinesische Medizin“ versus „Westliche Schulmedizin“
2. Die Grundlagen
„Qi“ – eine universelle Kraft
Ein geschichtlicher Überblick
Wichtige Begriffe des Qigong
3. Die Praxis
Die Körperhaltung
Die Atmung
Der Geist
Praktische Tipps
4. Die Übungen
Ba He Fa – Acht-Harmonien-Heilkunst
Ba He Qigong – Acht-Harmonien-Qigong
Ba He Jing Gong – Acht-Harmonien-Meridianübungen
Ba He An Gong – Acht-Harmonien-Meditation
Ba He Xue Gong – Acht-Harmonien-Akupressur
5. Die Theorie
Die Wirkung von Qigong aus wissenschaftlicher Sicht
Die Wirkung von Qigong aus traditioneller Sicht
6. Ein Ausblick
Dao und Taiji
Wu Xing – die Fünf Elemente oder Wandlungsphasen
Welcher Elemente-Typ bin ich?
Chinesische Diätetik
Feng Shui
7. Die Medizin
Das Studium der Traditionellen Chinesischen Medizin
Physiologie der Traditionellen Chinesischen Medizin
Pathologie der Traditionellen Chinesischen Medizin
Pathophysiologie der Traditionellen Chinesischen Medizin
Psychologie der Traditionellen Chinesischen Medizin
Diagnostik der Traditionellen Chinesischen Medizin
Therapie der Traditionellen Chinesischen Medizin
8. Die goldene Mitte
Die goldene Mitte
9. Der Weg
Nachwort: Wenn sich der Nebel lichtet
Der Autor
Register
Impressum
Seit Jahrtausenden gibt es unzählige Geschichten, Erzählungen und Anekdoten über Meister dieser Welt, über Menschen verschiedenster Abstammung, Herkunft und Kultur. Doch, was ist ihnen gemeinsam? Was macht einen Meister zum Meister? Welche Eigenschaften und welches Wissen besitzt ein Meister?
Ein Meister weiß den Wert von Gesundheit zu schätzen. Deswegen hegt und pflegt er Körper und Geist wie ein gewissenhafter Gärtner seinen Garten, denn sie sind ihm Transportmittel und Fenster in und zu dieser Welt. Er weiß über die Natur der Dinge, und er weiß vor allem, wie er sich die Energie des Himmels und der Erde zunutze machen kann. Er weiß über die Kraft der Nahrung, der Umgebung, aber vor allem auch des Körpers und des Geistes.
Vor allem aber hat der wahre Meister Gewissheit über eines: die Kraft des Qi. Er weiß über jene alles durchdringende Macht, die unser Universum beherrscht und ohne die kein Leben möglich wäre. Und nicht nur weiß er über die Existenz und die Eigenschaften dieser universellen Kraft, er nutzt sie auch. Er nutzt sie zu seinen Gunsten und der seiner Mitmenschen. Hierzu kennt er eine Vielzahl an Möglichkeiten und Methoden. Eine davon ist das Qigong, das „Üben mit Lebensenergie“. Aber auch die Ernährungslehre nach den Fünf Elementen und das traditionelle chinesische Feng Shui sind Teil seines Repertoires. Er bedient sich letztendlich einer Vielzahl an Methoden, um die Kraft des Qi zu nutzen. Die Traditionelle Chinesische Medizin liefert dem Meister eine hervorragende Grundlage für dieses Unterfangen.
Natürlich weiß der Meister auch von der Vergänglichkeit der Dinge und dass nichts von dauerhaftem Bestand ist. Trotzdem ist er voller Freude und Fröhlichkeit. Er überlässt anderen den Ruhm und ist zufrieden mit dem, was er besitzt. Er lässt die Dinge ihren natürlichen Verlauf nehmen und erfreut sich an den kleinen Annehmlichkeiten des Lebens. Er lebt in Harmonie mit dem Dao.
Und auch wenn er weiß, dass andere Kulturen ebenso gute Methoden kennen, sich die Macht und Weisheit des Universums zunutze zu machen, so geht er doch den für ihn vorbestimmten Weg. In unserem Fall ist dies der fernöstliche, chinesische. Auf diesem Weg wollen wir ihn begleiten.
Und weil es mindestens genauso viele Meister des weiblichen Geschlechtes gibt, ist dies auch die Geschichte über: Den Weg der Meisterin.
Schon bei meinem ersten Studienaufenthalt in China war ich einem alten, graubärtigen Professor zugeteilt, den ich auf Schritt und Tritt verfolgte und natürlich in jugendlicher Neugier mit Fragen löcherte: „Was macht die Traditionelle Chinesische Medizin bei …? Wie behandelt die Traditionelle Chinesische Medizin …? Wie ist die Traditionelle Chinesische Therapie von …?“ Eines Tages, sichtlich durch meine Fragen ermüdet, konterte er mit einem Gegenangriff: „Was macht denn die traditionelle westliche Medizin bei …? Und wie behandelt die traditionelle westliche Medizin …?“
„Gesundheit ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist alles nichts.“ Schopenhauer
In diesem Augenblick wurde mir bewusst, dass es in China gar keine „Traditionelle Chinesische Medizin“ gab. Was es gab, war „Chinesische Medizin“. Den Begriff „Traditionell“ hatten eigentlich nur wir Westler eingeführt, ganz so als ob es nur in China eine Tradition gebe und bei uns nicht. Auch der Begriff „Westliche Schulmedizin“ scheint für mein Verständnis etwas verwirrend. Gehen chinesische Ärzte denn etwa nicht zur Schule? Natürlich tun sie das, und zwar mindestens fünf Jahre lang bevor sie das Studium der Chinesischen Medizin abschließen können, ganz zu schweigen von den Jahren an Training, die dem Studium folgen. Dieses Kapitel könnte also genauso „Chinesische Schulmedizin versus Traditionelle Westliche Medizin“ heißen. Nichts desto trotz blickt die chinesische Medizin auf etwa 3000 Jahre an Erfahrung zurück, das älteste medizinische Buch dürfte in etwa 2000 Jahre alt sein.
Aus praktikablen Gründen habe ich dennoch in diesem Buch immer wieder die geläufige Abkürzung „TCM“ für „Traditionelle Chinesische Medizin“ verwendet.
Zu Beginn möchte ich mich ein wenig dem Begriff der „Gesundheit“ widmen. Laut WHO (World Health Organisation) umfasst Gesundheit nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern auch das körperliche, geistige und seelische Wohlbefinden. In der fernöstlichen Version, hier am Beispiel der ayurvedischen Medizin, klingt dies in etwa so: „Ein Mensch ist gesund, dessen Physiologie (Doshas), Stoffwechsel (Agni), Gewebe (Dhatus) und Ausscheidung (Malas) im Gleichgewicht sind und dessen Seele (Atma), Sinne und Geist sich dauerhaft im Zustand inneren Glücks befinden“ (Sushrut Samtita). Dies trifft zwar in Grundzügen sowohl im Westen als auch im Osten zu, dennoch gibt es einige wesentliche Unterschiede, was die weitere Beschreibung von „Gesundheit“ betrifft. Beginnen möchte ich im Westen.
Selbst Arzt von Beruf, wird mir jeden Tag aufs Neue vor Augen geführt, wie selbstverständlich Gesundheit für uns ist. Wenn wir krank sind, gehen wir zum Arzt. Der Arzt macht dann in gar göttlichem Stile alles wieder gut, die Krankenschwester assistiert als Engel. Folglich ist man wieder gesund, bis man erneut „aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen wird“ und erkrankt. Also wieder zur Reparatur zum Arzt …
Folglich wird bei uns Gesundheit als etwas gesehen, auf das wir selbst kaum bis gar keinen Einfluss haben, wenn wir nicht selbst Arzt von Beruf sind (was ich ja für den größten Irrtum überhaupt halte, da ich noch nie eine „kränkere“ Berufsgruppe kennen gelernt habe als Ärzte). Und, was noch viel schlimmer ist, wir schieben jegliche Verantwortung zur Gesunderhaltung ab, zum Hausarzt, zu unserem Gesundheitssystem, zur Krankenkasse. Als ob Gesundheit etwas mit Glück oder Pech zu tun hätte und primär eine Angelegenheit zwischen unserem Arzt und unserer Versicherung wäre. Leider erkennen wir in der heutigen Zeit den Wert von Gesundheit meist erst dann, wenn wir krank werden. Die lange ersehnte Weltreise wird somit erst dann angetreten, wenn die „unheilbare“ Erkrankung bereits diagnostiziert wurde. Auch aus gesellschaftlicher Sicht, so scheint es zumindest, hat man heutzutage erst dann das Recht, das Leben zu genießen, wenn man todkrank ist. Offensichtlich brauchen wir manchmal den nahenden Tod, der uns wieder daran erinnert, dass wir noch am Leben sind.
Eine alte chinesische Bauernregel besagt: „Wenn man gesund ist, kann man hart arbeiten, wenn man hart arbeiten kann, kann man viel ernten, wenn man viel ernten kann, kann man gut essen, wenn man gut essen kann, dann ist man gesund.“
Im Osten (und hier meine ich immer die sogenannten „traditionellen Medizinsysteme“) sieht das Bild von Gesundheit schon ganz anders aus. Man könnte es vielleicht mit einem Ball, der auf einem Hügel liegt, vergleichen. Wenn sich dieser Ball in der Mitte, sprich am Gipfel des Hügels befindet, würde dies „Gesundheit“ entsprechen. Sobald wir aber beginnen „ungesund“ zu leben, wird sich dieser Ball mit der Zeit nach rechts oder links bewegen. Wir kommen aus dem Gleichgewicht. Irgendwann wird dieser Ball zu rollen beginnen, schneller werden, schließlich ganz unten ankommen und wir schwer krank sein. Und einmal unten angekommen, braucht es unendlich viel Energie, diesen Ball wieder den ganzen Hügel hinaufzurollen, wenn es vielleicht sogar schon fast unmöglich ist. Auch ist es sehr schwer, einen Ball, der bereits ins Rollen gekommen ist, aufzuhalten.
Daraus folgt, dass es am Einfachsten ist, wenn wir gleich am Gipfel bleiben und uns rechtzeitig darum kümmern, nicht zu weit nach rechts oder links abzuweichen.
Aus diesem Vergleich wird ersichtlich, dass für Gesundheit eine gewisse Eigenverantwortung und tägliche Pflege nötig sind. Hundertprozentige Gesundheit und Balance sind zwar anzustreben, bleiben allerdings leider nur Illusion. Was wir tun können ist, uns von Zeit zu Zeit wieder in Richtung Balance zu bewegen. Leider haben wir diese Fähigkeit im Laufe unseres Lebens sehr oft schon verloren, sodass wir sie erst wieder neu erlernen müssen. Die chinesische Medizin an sich ist somit weniger Reparaturmedizin als vielmehr Lebensstilbehandlung, der „chinesische“ Patient weniger Behandelter als vielmehr Handelnder. Gerade in einer Zeit, in der häufig über Altersvorsorge und Rentenversicherung gesprochen wird, sollte man nicht vergessen, auch seine gesundheitliche Existenz abzusichern.
Die chinesische Medizin versucht daher schon viel früher zu „agieren“, anstatt wie die westliche Medizin abzuwarten und dann zu „reagieren“. Eine Krankheit erst dann zu behandeln, wenn sie bereits ausgebrochen ist, gleicht dem Unterfangen, einen Brunnen erst dann zu graben, wenn man bereits am Verdursten ist. In China wurden die Ärzte früher solange bezahlt, wie man gesund war. Wenn man krank wurde, hatte der Arzt versagt. Es gab sogar Ärzte, die sich weigerten, den Kaiser zu behandeln, als er krank wurde, denn da war es ja schon zu spät, er hätte schlicht und einfach früher auf sich achten müssen. Ich möchte hier natürlich nicht darauf eingehen, was mit diesen Ärzten in weiterer Folge wohl geschah.
Während also die westliche Medizin ihr Hauptaugenmerk auf die Erkrankung legt, so steht in der chinesischen Medizin die Gesundheit im Mittelpunkt. Auch ist es in China die nobelste Pflicht eines Arztes, selber gesund zu bleiben. Wie kann man als Arzt denn Patienten behandeln, wenn man selber krank ist? Wenn ich als Arzt mit fünfzig Jahren einem Herzinfarkt zu Opfer falle, werden alle meine Patienten zu „Waisenkindern“. Gerade dieser Punkt ist bei uns im Westen völlig unbekannt.
Gesundheit bedeutet also im Gleichgewicht sein. Dies kann allerdings in einer Gesellschaft, in der man sich mittels Wecker täglich aus dem Schlaf reißen lassen muss, um dann im Winter in völliger Dunkelheit zur Arbeit zu gehen, um dann wieder in völliger Dunkelheit abends nach Hause zu kommen, manchmal etwas schwierig sein.
Wer keine Zeit hat, sich um seine Gesundheit zu kümmern, wird sich später Zeit nehmen müssen, krank zu sein.
Da Vieles leider nicht änderbar ist, brauchen wir allzu oft Süßigkeiten, Zigaretten, Alkohol oder Antidepressiva, um zumindest ein künstliches Gleichgewicht wieder herzustellen. Dadurch werden wir von äußeren Umständen abhängig. Je näher wir aber (wodurch auch immer) dem eigenen, echten Gleichgewicht kommen, desto schneller verlassen uns diese Hilfsmittel und „Krücken“ von selbst. Warum beginnen so viele Teenager in der Pubertät zu rauchen? Weil sie unsicher sind, weil ihnen ein Gefühl der Ichhaftigkeit fehlt. Rauchen, wie so viele andere Suchtmittel auch, stabilisiert kurzfristig unser Ich, um natürlich nach kürzester Zeit wieder zu kollabieren. Und dass eine starke Identität die Voraussetzung für ein starkes Immunsystem darstellt, bezweifeln heutzutage auch nur mehr die wenigsten. Zweifellos fühlen sich die Menschen heutzutage trotz immer besser werdender medizinischer Versorgung kränker als eh und je. Wo liegt also die Lösung des Problems?
Schlaue Worte und weise Ratschläge sind wie immer schön und gut, was jedoch fehlt ist eine Methode. Um krank zu werden, gibt es so viele wunderbare Dinge, die wir tun können, um gesund zu bleiben leider nur wenige. Wie praktisch wäre es, wenn wir also eine einfache Möglichkeit hätten, unser Gleichgewicht wieder zu finden, unsere Ichhaftigkeit wieder zu spüren, ohne an ihr festhalten zu müssen. Qigong ist eine.
Auch die ewige Suche nach etwas Messbarem steht in der chinesischen Medizin nicht so sehr im Vordergrund. Während die westliche Medizin Krankheit und Mensch oft als zwei voneinander unabhängige Faktoren sieht, gibt es in der TCM keine Krankheit ohne Menschen. Der chinesische Arzt ist somit viel mehr am persönlichen Befinden des Patienten interessiert. Deswegen kann die chinesische Medizin oft schon zu einem viel früheren Zeitpunkt erfolgreich eingesetzt werden, an dem die westliche Medizin noch nicht hilft, sprich der Patient noch „zu gesund“ ist, beziehungsweise die Messwerte noch alle im Normbereich sind. Gesundheit definiert sich in der TCM somit nicht nur an Laborwerten, sondern viel mehr daran, wie es dem Patienten eigentlich geht.
Die drei wichtigsten Grundkonzepte der TCM sind: Yin und Yang, die Fünf Elemente beziehungsweise Wandlungsphasen und die Meridianlehre.
Ich möchte hier nicht die Wichtigkeit von Laboruntersuchungen, bildgebenden Verfahren und anderen Errungenschaften der modernen Medizin abstreiten (man denke hier z. B. an die Früherkennung von Krebserkrankungen usw.), jedoch sollte immer der Mensch therapiert werden und nicht der Laborwert. Da Befund und Befinden bekanntermaßen oft weit auseinander klaffen, sollte auch nicht die Krankheit behandelt werden, sondern der Kranke. Auf der anderen Seite muss hier auch erwähnt sein, dass diese Schwäche der westlichen Medizin gleichzeitig auch ihre Stärke ist. Es können hier wiederum jene Krankheiten behandelt werden, die anfangs noch keine Symptome zeigen.
Wer sich erstmals etwas näher mit der chinesischen Medizin beschäftigt, wird sehr bald merken, dass sich Anatomie, Physiologie, Pathologie und natürlich auch Pharmakologie doch sehr von den uns gewohnten, westlichen Modellen unterscheiden.
Um Missverständnisse gleich von Anfang an zu vermeiden, möchte ich an dieser Stelle von vornherein klar stellen, dass die chinesische Medizin unter einem Organ nicht nur das organische Substrat, sondern viel eher eine Funktion beziehungsweise einen Funktionskreis versteht. Genau genommen stellt das Organ an sich nur eine Ebene eines Funktionskreises dar.
Unsere Grundkonstitution bestimmt unsere Krankheitsdisposition.
Wenn ein chinesischer Arzt beispielsweise ein Leberproblem feststellt, bedeutet dies noch lange nicht, dass tatsächlich die Leber als anatomisches Organ geschädigt ist. Es kann zwar manchmal sein, dass tatsächlich eine messbare Schädigung des Organs vorliegt, in einem großen Teil der Fälle wird allerdings nichts zu finden sein, da die „chinesische“ Leber eigentlich einen viel weiteren Begriff umfasst, als nur unser „Alkoholabbauorgan“. Das gleiche gilt beispielsweise auch für den in der TCM häufig verwendeten Begriff der Milz. Diese hat tatsächlich viel eher mit unserer Bauchspeicheldrüse, dem Verdauungsapparat und dem Stoffwechsel, sprich der gesamten Resorptions- und Transformationsfähigkeit des Körpers, als mit unserem westlichen „Blutabbauorgan“ zu tun.
Auch das Konzept des Meridiansystems, in dem nach Ansicht der TCM Qi und Blut fließen, entspricht einer energetischen, funktionellen Anatomie. Meridiane stellen eigentlich ein Netzwerk von Blutgefäßen, Lymphgefäßen, Nervensträngen, Muskelketten, Bindegewebe und Hautzonen dar, die zur Versorgung von gewissen Körperteilen dienen und als Spiegel der Organfunktionen eine Projektion des Körperinneren nach Außen darstellen. Sie verbinden die Organe und deren Funktionskreise miteinander. Neben dem Modell der Funktionskreise steht in der TCM vor allem auch das Fließen der „Humores“, also der Flüssigkeiten im Vordergrund. Hierbei wird der Fluss von Qi, Blut und Körperflüssigkeiten beurteilt. TCM ist somit auch eine „Humor- (und vielleicht auch -volle) Medizin“.
Auch beschreibt die Physiologie der TCM eigentlich nicht nur den „Hier-und-Jetzt-Zustand“ des menschlichen Körpers, sondern auch des Körpers während der embryonalen beziehungsweise auch urgeschichtlichen Entwicklung. Deswegen ist es beispielsweise mithilfe der Akupunktur möglich, den Körper auf seiner urältesten, ich möchte schon fast sagen „primitivsten“ Ebene zu beeinflussen.
Ganz allgemein sieht die Traditionelle Chinesische Medizin den Menschen als einen Mikrokosmos, der nach genau denselben Regeln wie der Makrokosmos, sprich das Universum, funktioniert.
Auch wenn sowohl westliches wie auch chinesisches Medizinsystem eine Physiologie, Pathologie, Diagnostik, Therapie und Prophylaxe beinhalten, so besitzt nur die TCM auch eine breite Basis an Philosophie. Die Tatsache, dass die TCM so eng mit der chinesischen Philosophie verknüpft ist, stellt gleichzeitig Stärke wie auch Schwäche dieses Systems dar. Da die TCM es liebt, Analogien herzustellen, sind die Konzepte von Yin und Yang, sowie der fünf Elemente Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser allgegenwärtig.
Wer das Wetter beurteilen möchte, sollte nicht nur den einzelnen Regentropfen analysieren.
Wer sich intensiver mit der Traditionellen Chinesischen Medizin beschäftigt wird bald merken, dass auch sie kein in sich geschlossenes, perfektes Gebäude ist. Vielmehr ist sie eine breite Sammlung an über Jahrhunderte gesammelten Erfahrungen, die nachträglich in einem Theoriekonzept zusammengetragen worden sind. Deshalb finden wir auch hier verschiedene Lehrmeinungen, Stile und scheinbare Widersprüche. Aber, wie Platon bereits formulierte: „Die Welt ist ohne Widersprüche nicht zu verstehen … Das Ziel der Philosophie ist die Weisheit … Die Weisheit ist die Einsicht in die Grenzen des Wissens.“
Die Wahrheit ist somit immer vom Kontext abhängig. Die chinesische Medizin ist nicht nur Wissenschaft, sondern immer auch Kunst. Erfolg und Misserfolg hängen hier also noch viel mehr vom Können des Arztes oder Therapeuten ab.
Eine Schwäche der westlichen Medizin liegt meiner Meinung auch darin, dass sie viel zu selten nach dem „Warum?“ fragt. Auch wenn wir mittlerweile Krankheitsmechanismen bis in molekulare Ebenen beschreiben können, stellt sich trotzdem immer noch die Frage des „Warum“. Warum hat der eine Mensch diese und jene Erkrankung und sein Nachbar nicht? Durch die Besessenheit, jedes Detail wissenschaftlich analysieren zu müssen, vergessen wir leider viel zu oft das Gesamtbild. Wir kappen zwar mit hochtechnischer Apparatemedizin die Spitze des Eisberges weg, denken aber nicht an den riesigen Teil unter der Wasseroberfläche. Dies ist ein Grund, warum viele akute Krankheiten sich letztendlich zu chronischen verwandeln.
Ich nenne dies „Bumerang-Medizin“. Der Arzt verschafft dem Patienten genügend Besserung, um wieder hinaus in die freie Luft „fliegen“ zu können, dadurch, dass aber nur zu oft die eigentliche Ursache außer Acht gelassen wurde, fliegt der Patient wie ein Bumerang immer wieder zurück in die Hände des „Gottes in Weiß“. Und das kostet natürlich! Wenn ich mir vorstelle, wie viele Milliarden an Euro in die Entwicklung eines neuen Chemotherapeutikums für die Behandlung von Lungenkrebs investiert wird, um dann nach jahrelanger Forschung eine minimal bessere Heilungsquote zu erreichen, wundere ich mich, warum man sich nicht viel mehr auf folgende ganz einfache und zu über 90 Prozent erfolgreiche Therapieform konzentriert: Nicht Rauchen! Ich möchte mit diesem Beispiel keinem Raucher zu nahe treten, es soll nur verdeutlichen, dass die beste Therapie nun einmal die Prävention ist. Und genau darin liegt die Stärke der chinesischen Medizin. Ein Grund hierfür besteht darin, dass die TCM, wie auch viele andere als „komplementäre“ oder „alternative“ abgestempelte Heilmethoden das Modell der Grundkonstitution kennt und anwendet. Dies erklärt, warum gerade der eine diese Erkrankung bekommt und der andere, der scheinbar genauso lebt, nicht. Tatsächlich leiden wir meist immer wieder an denselben Beschwerden, wir erkranken ja nicht einfach nach dem Zufallsprinzip einmal so und einmal so. Im Gegenteil! Der Mensch ist den eigenen Problemen und Erkrankungen meist sehr treu.
Ein guter Arzt ist der Krankheit immer einen Schritt voraus.
Ganz allgemein liegt die Stärke der TCM also darin, funktionelle, reversible Ungleichgewichte von gestörten (und nicht zerstörten) Körperteilen zu behandeln. Sie kann somit die Funktion der Organe regulieren, und zwar noch lange, bevor messbare Veränderungen auftreten.
Da kein Mensch dem anderen gleicht, kann individuell auf jeden Patienten eingegangen werden. Das Kopfweh des einen wird in der chinesischen Medizin anders behandelt als das Kopfweh des anderen. Die Therapie wird somit immer individuell dem Menschen angepasst, denn was für den einen gesund ist, kann für den anderen schon sehr schädigend sein. Daraus folgt: Gesundheit ist individuell.
Während fast alle komplementären Medizinsysteme die individuelle Einzigartigkeit anerkennen, isoliert, analysiert, reduziert und abstrahiert die westliche Medizin. Noch dazu tut sie dies meist unter artifiziellen Standardbedingungen, die mit dem echten Leben oft nur mehr sehr wenig zu tun haben. Durch diese Überspezialisierung hat sie leider manchmal den Blick auf die Ganzheit des Menschen verloren.
Auch scheint sie sich so manchmal ein wenig auf der Statistik auszuruhen, falls eine Therapie einmal nicht greifen sollte. Diese sagt uns nämlich, dass statistisch gesehen ein gewisser Prozentsatz der Bevölkerung schlicht und einfach „Pech“ hat. Die in der westlichen Medizin so häufigen Sätze wie „Damit müssen Sie leider lernen zu leben“ oder „Hierfür gibt es leider keine Therapie“ sind in der TCM ethisch verboten. Es wird immer behandelt, auch wenn die Karten schlecht stehen.
„Der Mensch lebt inmitten von Qi, und Qi erfüllt den Menschen. Angefangen bei Himmel und Erde bis zu den zehntausend Wesen braucht alles das Qi, um zu leben.“
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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