Der Weg nach FISTERRA - Kurt Baldauf - E-Book

Der Weg nach FISTERRA E-Book

Kurt Baldauf

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Beschreibung

50 Jahre meines Lebens lagen bereits hinter mir, als ich beschloss, mein Schicksal wieder in die eigenen Hände und Füsse zu nehmen. Mein Plan war es, meine Drogenvergangenheit abzuschliessen und den Jakobsweg von Genf über Frankreich und Spanien bis nach Cap Finistère am atlantischen Ozean zu pilgern. Damals war es mehr als fraglich, ob ich eine Wanderung von mehr als 2'000 Kilometern bewältigen konnte, geschweige denn, auf den ersten 1'000 Kilometern den Entzug von der 'heroingestützten Behandlung' einer schweizer Sozialinstitution schaffen würde. Inzwischen weiss ich, wie schnell die Strapazen des Entzugs von unzähligen anderen Erlebnissen in den Hintergrund gedrängt wurden, und ich weiss, was es heisst, jeden Tag ein Stück weiterzuwandern, bis man irgenwann (nach 2'000 Kilometern) das ehemalige 'Ende der Welt' in Cap Finistère erreicht.

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Kurt Baldauf

Der Weg nach FISTERRA

Am Ende der Welt

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

VORWORT:

ABSCHIED

ERSTER BIS ZWANZIGSTER TAG und AUBRAC

Pushing: EINUNDZWANZIGSTER BIS SIEBENUNDVIERZIGSTER TAG

PYRENÄEN - 49. BIS 82. TAG UND – SANTIAGO D.C.

KATHEDRALE:

DER WEG NACH FISTERRA:

NACHWORT:

Impressum neobooks

VORWORT:

Vor vielen Jahren und in einem anderen Leben, beschloss ich, mein Schicksal wieder in die eigenen Hände zu nehmen.

Nach fünf Jahren in einer heroingestützten Behandlung, hatte ich endlich den Mut, dieses Programm für zehn Tage zu verlassen, um eine zehntägige Wanderung auf dem Schweizer Jakobsweg zu wagen. Diese erste Wanderung wurde zu einem Probelauf für weit Mehr, wovon ich damals aber noch nichts wusste.

Der Mut, bestand damals vor allem darin, für diese zehn Tage von Heroin auf Methadon umzustellen. Das war nötig, weil Heroin grundsätzlich nicht in den Urlaub mitgegeben wird.

Und Methadon hat nicht die gleiche Wirkung wie Heroin. Bei mir jedenfalls nicht.

Am ersten Tag dieser Wanderung war es kalt, Es regnete und schneite ununterbrochen, und ich fühlte mich sehr allein. Trotzdem blühte ich bereits während den ersten Schritten förmlich auf. Am zweiten Tag schien die Sonne und mit jedem Kilometer den ich zurücklegte, wurde alles nur noch immer besser.

Am letzten Abend der zehntägigen Wanderung traf ich schliesslich und endlich auf eine der offiziellen Pilgerherbergen, wo ich für wenig Geld einen Pilgerpass kaufen musste, um dort übernachten zu können. Dieser Pass war ein robustes Faltblatt und jeder wichtige Ort auf dem Jakobsweg hat seinen eigenen Stempel, mit dem er sich dort eintrug, sofern man das wollte. Wenn man den Pilgerpass mit diesen Stempeln füllte, konnte man offiziell beweisen, wo einem der Jakobsweg bisher hingeführt hatte und die heutige Herberge, gehörte zu den Unterkünften, in denen man nur mit diesem Pilgerpass aufgenommen wurde. Der Pass war allerdings fast gratis.

Dieses Papier war mir schon mehrmals von stolzen Pilgern gezeigt worden.

Das hatte mich nie wirklich interessierte, weil ich diese Wanderung ja für mich machte und niemandem beweisen musste.

Der Pilgerpass gehörte für mich zu einem Teil dieses Wegs, für den ich mich nicht richtig erwärmen konnte. Auch der ganze religiöse Aspekt dieser Wanderung war für mich damals allerhöchstens zweitrangig. Zusätzlich führte ich lieber Tagebuch, um mich später an diese Tage erinnern zu können.

Plötzlich bekam dieser Pass aber auch für mich eine handfeste Bedeutung, denn ich war sehr müde und wollte in dieser Herberge schlafen.

Als ich das Faltblatt später genau studierte, lass ich auf der ersten Seite folgenden Eintrag:

„Ich bin Pilger/in auf dem Jakobsweg, der mich dereinst nach

SANTIAGO DE COMPOSTELA führen kann.“

„Wer weiss das schon…,“ sagte ich mir, schluckte meine tägliche Methadondosis und dachte über die letzten Jahre nach:

Als ich mit dem Heroinprogramm begann, hatte ich mir drei Jahre Zeit gegeben. Daraus sind fünf geworden, aber das macht nichts. Ich habe immer gewusst, dass ich irgendwann wieder drogenfrei leben will und mein halbes Leben unermüdlich nach einem Weg aus meiner Sucht gesucht.

Wie ich mein grosses Ziel erreichen kann, wurde mir aber erst klar, als ich die zehn Probetage auf dem Jakobsweg durch die Schweiz wanderte und merkte, dass mein endgültiger Entzug auf diesem Weg funktionieren würde.

Und ich begann immer mehr an den Eintrag im Pilgerpass zu glauben.

Ich hatte seit Jahren auf diesen Moment hingearbeitet und von da an würde ich dieses endgültige Ziel nicht mehr aus den Augen verlieren. Das fühlte ich ganz genau, obwohl vieles noch unklar war. Wieder einigermassen zurück in der Realität und im ‚Programm‘, liess mich folgender Gedanke nicht mehr los:

„Ich wollte so bald wie möglich den ganzen Weg nach Santiago de Compostela wandern, zwei, drei Monate unterwegs sein und in den ersten Wochen der Wanderung den Entzug vom Heroinprogramm selbstständig und alleine meistern.“

All die Schwierigkeiten und Fragezeichen, die dieses Vorhaben mit sich bringen würde, beunruhigten mich keinen Moment.

So richtig los ging es aber erst, als ich mit meinem Sohn über meine noch nicht konkreten Pläne sprach und er davon begeistert war.

„Geh, geh – ich finde es eine Superidee“ meinte er und von diesem Moment an war ich wie elektrisiert und richtete all meine Energie auf die Ziele:

‚Entzug vom Heroinprogramm‘ … und ‚FISTERRA‘, das am Atlantischen Ozean in Galicien (3 Tagesmärsche nach SANTIAGO de Compostela) liegt und mein endgültiges Ziel am Ende des Jakobswegs war.

Das war auch nötig, denn bevor ich überhaupt losgehen konnte, stellte mich bereits die Organisation des Projektes vor die vielleicht grössten Schwierigkeiten der ganzen Wanderung.

Ich wusste aus Erfahrung, dass ich den Heroinentzug möglichst schnell und schmerzlos mit Methadon machen konnte. Dass das aber nur möglich sein würde, wenn ich nicht Methadonabhängig war, wusste ich auch und dafür hatte ich bereits all die Programmjahre gesorgt. (Arbeitgeber hatten mich aus organisatorischen und anderen Gründen immer wieder gedrängt, auf Methadon umzustellen.)

Trotzdem, der Methadon-Abbau „bis auf 0 mg“ musste gut geplant und abgestimmt sein. Immerhin hatte ich in den ersten Tagen Medikamente dabei, die mich heute etwa 50 Mal umbringen würden und ich wollte auf keinen Fall nach dieser Wanderung Methadonabhängig sein.

Weil ich alles selbstständig und mit möglichst wenig fremder Hilfe schaffen wollte, kamen die Abmeldungen bei allen wichtigen Stellen dazu. Nur so würden während meiner dreimonatigen Abwesenheit keine Rechnungen eintreffen und niemand würde meinen Briefkasten leeren müssen.

Ich musste möglichst leicht packen und durfte trotzdem nichts Wichtiges vergessen.

Auch meine Rückkehr nach Luzern wollte und musste ich bereits vorbereiten. Das beinhaltete die Wohnung zu putzen, Kleider auszumisten, alle gefährlichen Telefonnummern vom Handy zu löschen… und, und, und.

Dazu kamen all die Unsicherheiten der Reise. Fragen wie:

„Wo gehe ich los? Wo komme ich hin? Wie schaffe ich das?“

Ich wollte an Alles denken, und ich war während diesen Vorbereitungen bis zur Grenze des Erträglichen gefordert. Trost und Mut gab mir in dieser aufwühlenden Zeit die Musik: Ich hörte viel Musik. Ich war dankbar dafür, denn auf Heroin hatte ich kaum mehr Musik gehört. Sie war mir trotzdem immer wichtig gewesen und plötzlich wieder in mein Leben zurückgekehrt.

Das konnte nur ein gutes Zeichen sein.

Trotzdem nahm ich keine Musik mit auf den Weg.

Ich hatte meine Musik im Kopf.

In meinem Tagebuch, vermerkte ich jeden Tag die Melodien, die ich hörte. Auch die Filme, an die ich mich auf der Wanderung regelmässig erinnerte.

Manch einer wird sich vielleicht wundern, womöglich auch ärgern, über diese Tagebucheinträge. Das ist mir egal.

Für mich war das ein sehr wichtiger Teil der Reise. Ohne diese Bilder und Melodien hätte ich es nicht geschafft, meine Ziele zu erreichen.

(Auch aus urheberrechtlichen Gründen habe ich diese Beiträge so korrekt wie möglich gekennzeichnet.)

Um es vorweg zu nehmen: Ich bin 2200 Kilometer gewandert. Von Genf bis zum Atlantischen Ozean. Ich bin durch Santiago de Compostela durchmarschiert und habe das Ziel in Fisterra, am ehemaligen Ende der Welt und am ‚Point Zero‘ erreicht.

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei all den Menschen bedanken, die mir immer wieder geholfen haben. Bei meiner Familie, bei allen Freunden und Freundinnen, bei meinen Kung-Fu-Trainingspartnern von der Black-Dragon Schule und auch bei meinen Therapeuten vom Drop-in, die womöglich ein nicht kleines Risiko eingingen, als sie diese lange Wanderung unterstützten.

Und ich danke der Kraft in mir, die nie aufgegeben hat.

*

ABSCHIED

Mehrere Wochen gelang es mir, mein Vorhaben vor meinen Mitpatienten im Heroinprogramm geheim zu halten. Das war einfach, denn es ist normal, dass immer wieder Leute das Programm verlassen. Sei es, um den Entzug in eine Klinik oder wo auch immer zu machen, oder weil sie ganz einfach auf die Gasse zurückkehren.

Das gehörte zum Alltag und wurde meistens von niemandem bemerkt oder beachtet.

Bei mir kam es etwas anders.

Mein ‚Abgang‘ war in den letzten Tagen nicht mehr geheim zu halten, weil mir die Angestellten vom Drop-in-Team, die gerade Schicht hatten, der Reihe nach im Konsumationsraum vor allen Anwesenden alles Gute wünschten und die Hand schüttelten. Das hatte ich so nicht erwartet und noch nie erlebt. Die andern Patienten liessen sich nichts anmerken oder waren mit ‚Konsumieren‘ beschäftigt. Ich glaubte aber zu wissen, was dem Einen oder der Anderen durch den Kopf ging, weil ich weiss, was ich gedacht hätte:

„Was soll das Theater, der wird ja sowieso früher oder später wieder hier sein und ich mach jetzt meinen Schuss und Morgen auch und Übermorgen auch. Der kommt schon wieder, wenn er nicht draufgeht.“

Mir war es etwas peinlich und unangenehm, dieses Verabschieden, aber auch egal, denn ich wusste:

„Ich will und werde nicht hierher zurückkehren!“

Als es endlich losging und ich die ersten Schritte machte war ich so gut vorbereitet, wie nur irgend möglich und ich musste mich nur noch auf die Wanderung und meinen Körper konzentrieren.

ERSTER BIS ZWANZIGSTER TAG und AUBRAC

Erster Tag:

Zuerst erwartet mich eine Zugfahrt nach Genf und bereits unmittelbar nach der Abfahrt trifft es mich wie ein Schlag: Ich habe das Ladekabel für mein Handy zu Hause vergessen. Was soll das bedeuten? Probleme schon in der ersten Stunde? oder muss es so sein? Ich entscheide mich vorsichtig für: es muss so sein und mache die letzten wichtigen Anrufe und SMS nach Hause und teile mit, dass ich ab sofort unerreichbar bin. Ich werde mich per Postkarte wieder melden.

Die Uhr habe ich auch vergessen…

Als ich nach drei Stunden den Genfersee mit seinen wunderschönen Weinbergen sehe, kommt auch die Sonne endlich raus. Drei oder vier Monate war sie hinter Wolken verschwunden. Endlich wieder Sonne nach einem langen Winter… Ich werde ruhiger, kann mich entspannen und auf das konzentrieren, was jetzt kommen wird.

In Genf kommt die erste Notre-Dame-Kirche, wo ich einen Stempel für meinen Pilgerpass suche, aber nicht finde. Das ist nicht so schlimm, aber etwas ärgerlich. Da kommt eine alte Frau Richtung Sakristei gelaufen, die ich in meinem Schulfranzösisch anspreche. Sie versteht mich sogar, was wohl nicht sehr schwierig ist, denn ich winke zusätzlich mit meinem Pilgerpass herum. Sie gehört zu dieser Kirche und führt mich in die Sakristei, wo sie einen Stempel in meinen Pilgerpass macht. Ich freue mich über diese Situation, obwohl ich eigentlich nicht so viel von diesem Pilgerpass halte. Aber ich werde ihn später brauchen, um in den Herbergen übernachten zu können und am Schluss für das Diplom, dass man in Santiago erhält, das mir im Moment allerdings überhaupt nicht wichtig ist.

Der Start ist geglückt, vor der Kirche scheint die Sonne und ich marschiere los. Nach drei Stunden durch Genfer Vororte habe ich dann doch langsam genug, denn ich wollte doch in die Natur. Die kommt nun endlich und nach einigermassen lockeren, ersten fünfzehn Kilometern finde ich meinen Campingplatz, wo ich die erste Übernachtung in einem Bungalow mit sechs Betten reserviert habe. Eines davon ist ein Doppelbett. Das nehme ich gern, weil ich bisher der einzige Pilger auf diesem Campingplatz bin.

Irgendwie ist schon alles etwas komisch und ich bin auch nervös, aber das schöne Wetter rettet mich über Bedenken hinweg. Ich schlafe mit vier fremden Leuten, die dann doch noch auftauchen, im gleichen Raum, aber ganz gut. Das ist auch kein Wunder, denn ich habe ja noch mein Methadon.

Zweiter Tag:

Weil ich geplant habe, auch die ersten drei Tage noch auf der vollen Methadondosis zu gehen, schaffe ich heute laut Wanderführer zwei Tagesetappen und das sind etwa 25 Kilometer.

Als ich endlich am Zielort ankomme, ist die Herberge ausgebucht. Reserviert habe ich diesmal nicht, weil es Gestern so einfach war. Das bedeutet nochmals 5 oder 6 Kilometer weiterwandern bis zur nächsten Übernachtungsmöglichkeit.

Vor lauter Ärger und weil es so schön bergab geht, verirre ich mich auch noch. Also wieder zurück, diesmal natürlich bergauf.

Inzwischen macht sich der Entzug bemerkbar. Ich kann nicht anders, als schon am zweiten Tag zu tun, was ich unbedingt vermeiden wollte und schlucke meine Abendration bereits bevor ich mich am Ziel auf ein Bett legen kann.

Dummerweise habe ich meinen Wasservorrat nicht ergänzt und bringe die Tablette kaum von meiner Zunge runter. Sie ist bitter, aber wenigstens habe ich auf den Weg zurückgefunden. Zum Glück treffe ich kurz vor dem Dehydrieren auf ein Privathaus, wo man mir etwas verwundert, aber freundlich eine Flasche Wasser und einen Apfel schenkt.

Der Apfel ist sauer und mir wird bewusst, dass ich gleich Erbrechen muss. Dann wäre die ganze Methadondosis wieder verloren, bevor sie richtig im Blut ist und das darf nicht sein. Also möglichst tief durchatmen, was in solchen Momenten hilft.

Ich schaffe es, mich zu beherrschen und torkle die fünf Kilometer, die laut Wegweiser verbleiben, weiter steil bergauf.

Endlich kommt der nächste Ort mit Pilgerherberge, aber jetzt wird es noch schwieriger. Niemand von den Touristen hier weiss genau, ob es in dem kleinen Ort wirklich eine Herberge gibt und schon gar nicht, wo die genau ist. Jetzt nur die Nerven nicht verlieren. Dank der Hilfe von zwei jungen Frauen mit Rucksack, die ich nicht mehr so klar wahrnehme, finde ich endlich das Schild „Auberge“.

Ich brauche ein Bett, und räume den Stein, der die Tür verschliesst ohne zu zögern weg, denn jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um höflich zu sein.

Was für eine Überraschung: Hier drin sieht es schön und aufgeräumt aus. Nur ist niemand da. Auf dem Tisch liegt ein Zettel: Je suis ici à 18.30.

Soviel Französisch verstehe ich auch in meinem momentanen Zustand.

Langsam geht es wieder besser. Ich kann mich sogar zu einer Dusche überwinden, bevor ich mich auf eines der Betten lege und sofort einschlafe.

Nach gefühlten zehn Sekunden, es muss 18.30 Uhr sein, werde ich von einer Frauenstimme geweckt und bin erneut angenehm überrascht.

Die junge Frau erklärt mir kurz, wo ich kochen kann und kassiert die paar Euros ein, die ich zu bezahlen habe. Sie merkt natürlich, dass ich ziemlich fertig bin und sie muss schnell weiter oder was weiss ich wohin.

Und schon ist sie wieder weg.

Bei Käse, Brot und Wurst erinnere ich mich an einen Stein, den ich irgendwo unterwegs gesehen habe: Bis Santiago 2‘000 km, stand darauf.

Heute habe ich mindestens 30 geschafft. Mehr interessiert mich im Moment nicht und ich falle wieder ins Bett, wo ich sofort einschlafe.

Dritter Tag:

Heute bin ich zum letzten Mal auf voller Dosierung. Das ist das Erste, was mir beim Aufwachen einfällt und ich schlucke die Tabletten für den Morgen.

Danach entdecke ich fast vor der Tür eine Anhöhe, mit einer Burgruine. Die habe ich gestern gar nicht mehr wahrgenommen. Ob ich da wirklich rauf steigen soll, so früh am Morgen? Natürlich, denn gerade geht die Sonne am fast wolkenlosen Himmel auf. Superwetter, und ich werde zusätzlich belohnt mit der Burg, oder dem was davon übrig ist, und einem atemberaubenden Panorama bis zum Mont Blanc.

Bereits am frühen Nachmittag erreiche ich den geplanten Ankunftsort und sicherheitshalber stürze ich mich auf die erste Übernachtungsmöglichkeit, obwohl mir das komische, etwas muffige und baufällige Haus nicht gefällt. Nachdem ich die 12 €, die ich bei der Frau, die mir alles erklärt, bezahlt habe, wird mir klar, dass ich hier nicht den ganzen restlichen Tag bleiben kann. Bis zum nächsten Städtchen geht es aber noch einige Kilometer weit hinunter und vor allem müsste ich nachher wieder alles zurück, den Berg hoch.

Das habe ich nicht verdient, packe wieder zusammen und marschiere Richtung Städtchen und dem Fluss, der dort unten glitzert. Die bereits bezahlte und gesicherte Nacht kümmert mich nicht. Die Besitzerin der Herberge, die eigentlich ganz nett ist und einige Häuser weiter wohnt, schaut mir verwundert nach, aber was soll’s. Ich will ein Bier, das es hier anscheinend nicht gibt und ein anderes Bett.

Endlich unten am Fluss werde ich für den Entscheid belohnt und finde nach etwas Rumfragen ein Zimmer in einem ehemaligen Kapuzinergebäude aus dem Jahr 1624. Es soll auch bald etwas zu Essen geben. Draussen auf dem Rasenplatz über der Rhône. Was muss ich eigentlich bezahlen, für diese Belohnung, frage ich ein älteres Pilgerpaar, das auch hier übernachtet?

„Donativo?... Das heisst, ich kann geben, was ich will?…“

Es ist einfach nur schön hier und das werde ich jetzt geniessen, denn Morgen beginnt der Drogenabbau.

Irgendwie wird das schon gehen. Ich habe ja bereits die Umstellung von Heroin auf Methadon geschafft und bin trotzdem auch heute wieder 25 Kilometer gewandert.

Vierter Tag:

Früh am Morgen, am Ausgang des Städtchens und auf der Suche nach dem Weg, treffe ich einen Schweizer.

Eigentlich hat es mir überhaupt nichts ausgemacht, alleine unterwegs zu sein. Der Andere ist aber froh, wieder mal Schweizerdeutsch sprechen zu können und mir ist es Recht. Es lenkt mich vom Entzug ab, der irgendwo im Hinterkopf herumgeistert. Und Geister sind das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.

Irgendwann kommen wir irgendwo an. Die 25 Kilometer von Heute fielen mir verhältnismässig leicht, vom schweren Rucksack und den Füssen, die ebenfalls schwer sind und weh tun, abgesehen.

Fünfter Tag:

Heute bringe ich sogar das Morgenessen hinter mich, bevor ich meine Morgenration Methadon schlucke. Überhaupt, das Morgenessen. Wir müssen uns Beide zum Essen zwingen, ich und der andere Schweizer, dessen Gesellschaft mir erhalten bleibt.

Schon komisch, da wandert man den ganzen Tag, braucht tausende von Kalorien und muss sich zum Essen zwingen. Ich bin froh, dass es meinem Wanderfreund gleich geht und fühle mich zeitweise wie in Trance, während dem Gehen.

Seit ich in Genf losgelaufen bin, scheint die Sonne.

Ich vermisse den ganzen Tag nichts, bis ich merke, dass es bereits 18.00 Uhr ist und ich noch meine Tabletten schlucken darf.

Sechster Tag: