W A S jetzt - Kurt Baldauf - E-Book

W A S jetzt E-Book

Kurt Baldauf

0,0

Beschreibung

Tony Troll versucht seinem Namen alle Ehre zu machen und geht mit einer möglichst offenen Einstellung durchs Leben. Serafina gestaltet ihren Weg auf ähnliche Weise und Nick ist überall - auch in Afrika. In 9 Kurzgeschichten treffen sie auf weitere interessante Menschen, die sich den Ausgleich zum alltäglichen Überlebenskampf und gegen die allgegenwärtige Reizüberflutung vor allem in der Natur und in der Liebe suchen. 'Was jetzt' ist kurzweilig, spannend, erotisch und manchmal auch politisch. Die 9 Kurzgeschichten sind alle gleichzeitig und im selben Herbst entstanden; ausgenommen *Die Prinzessin von Saba, *Polit-Punk und *Barça, die ich bereits in früheren Büchern und Artikeln veröffentlichte, für diese Textsammlung allerdings neu überarbeitet habe.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 90

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kurt Baldauf

W A S jetzt

was war und was ist

 

 

 

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

KELTENRÄTSEL am GNEPFSTEIN

SERAFINA UND LENA

ZENTRAL - PERSPEKTIVISCH

POLIT-PUNK

TONY VERSUCHT LOCKER ZU BLEIBEN

PESCHE

DIE PRINZESSIN VON SABA

Barça ist zurück:

RITTA

AUS UND SCHLUSS:

Impressum neobooks

KELTENRÄTSEL am GNEPFSTEIN

Der Pilatus hatte sich in den letzten Tagen deutlich bemerkbar gemacht und sogar die Hektik der letzten Wochen in den Hintergrund gedrängt.

Tony war gar nichts anderes übrig geblieben, als sich von seinem städtischen Leben loszureissen, um in die Berge zu verschwinden. Er hatte sich für die ‚Feldalp‘ entschieden, die auf der Seite des Hausbergs lag, die der Stadt Luzern abgewannt ist und in diesen aussergewöhnlich schönen Hochsommertagen eine grandiose Sicht auf das Alpenpanorama bot. Von hier konnte man neben unzähligen anderen Gipfeln auch die schneebedeckten Eiger und Mönch sehen und von den drei eindrücklichen Viertausendern der Berner Alpen fehlte einzig die Jungfrau, die im Sichtschatten der zwei Bergriesen stand. Dafür zeigte sich etwas weiter im Westen der Titlisgletscher, dessen weisse Flanke von der bald untergehenden Sonne und dem tiefblauen Himmel beschienen wurde. Dieser Ausblick, die körperliche Anstrengung des Aufstiegs und die kühltrockene Luft auf 1‘700 Metern über Meer halfen ihm, sein Alltagsleben mit dem nötigem Abstand zu betrachten und Tony war froh, dass er sich für diese Wanderung entschieden hatte.

Die Feldalp wurde in diesem Sommer von Andreas bewirtschaftet. Zusammen mit 162 Rindern, Kälbern und drei Ziegen und natürlich mit Mani, seinem treuen Border-Collie Hirtenhund lebte er für die Sommermonate hier oben und ‚Rees‘, wie der Älpler genannt werden wollte, war in diesem Frühling dreissig Jahre alt geworden. Er kam aus dem Muotathal im Kanton Schwyz, wo seine Familie einen Bauernbetrieb führte und er war ein eher kleiner, aber zäher und kräftiger Bursche mit blonden Locken und blauen Augen. Wenn man ihm aufmerksam zuhörte, hatte man manchmal den Eindruck, dass die Feldalp, die zwischen den Kantonen Luzern und Obwalden liegt, für ihn schon fast zum Ausland gehörte, obwohl Rees sonst sehr weltoffen war und man mit ihm über fast alles diskutieren konnte.

Tony Troll war dieses Jahr schon zum zweiten Mal bei ihm zu Gast.

Eigentlich hiess er Tony Trollhauser, aber man nannte ihn allgemein nur Tony Troll. Das war kürzer und passte besser zu ihm, denn Tony Troll hatte seinen Namen geprägt. Oder der Name hatte in geprägt – wer wusste das schon so genau. Auf dem Pilatus war das sowieso nicht von Bedeutung und er hatte sich bei Rees nur mit Tony vorgestellt. Das reichte hier oben, denn alles andere würde sich zeigen.

Als er am Nachmittag angekommen war, sass der Älpler gerade am grossen Holztisch seiner Hütte vor einem Sonntagskaffee, das untrüglich nach Schnaps duftete und diskutierte mit einem Bauern aus dem Unterland. Der hatte heute seine Rinder besucht, die er Rees für die Sommermonate anvertraut hatte und zu dem heiklen Gesprächsthema, über das die zwei verhandelten, versuchte Rees mit Hilfe von drei Schweizer Sackmessern, die vor ihm auf dem Tisch lagen, einen Spiessen aus seinem Daumen zu entfernen. Tony setzte sich zu den zwei Landwirten und Rees fragte ihn, ob er etwas Spitzes bei sich habe, weil er mit den Sackmessern keinen Erfolg bei seiner Handkosmetik hatte. Dazu schaute er Tony forschend in die Augen.

„Nein,“ antwortete Tony mit einem Blick auf die Klingen, „ich habe nicht einmal ein Sackmesser dabei.“

„Dann ist ja gut,“ antwortete der Älpler und bot ihm einen Kaffee an, denn er konnte sich gut an Tony erinnern, obwohl ihm sein Name nicht sofort eingefallen war. Aber das lag womöglich auch am Nachmittagskaffee, denn weil heute Sonntag war, standen auf dem Tisch zusätzlich vier verschiedene Flaschen mit Schnaps. Tony konnte auf den Etiketten lesen, dass es sich bei drei Flaschen um ,Chrüter‘, Zwetschgenwasser und Zuger Kirsch handelte. Die vierte Flasche war nicht beschriftet, denn sie enthielt etwas Selbstgebranntes, das trotz der glasklaren Flüssigkeit gefährlich aussah.

„Vom Wasser kannst du dich selber bedienen“, ergänzte Rees grinsend. Der Bauer aus dem Unterland und der Älpler waren beim Thema Selbstmord hängen geblieben und Tony hörte nur mit einem Ohr hin. Er konnte gut verstehen, dass ein Mann der vier Monate alleine hier oben lebte, über das Thema Tod nachdachte. Zusätzlich war in diesen Tagen ein Wanderer nicht weit von hier tödlich abgestürzt und bei Tonys letztem Besuch war in der Nacht ein Gewitter über die Alp gefegt, das nicht nur bei Rees und Tony in Erinnerung bleiben würde. Nicht wegen dem Gewitter, obwohl es sehr heftig gewesen war und erstaunlicherweise noch am Abend vorher und auch am nächsten Morgen wolkenlose Fernsicht herrschten. Zur bleibenden Erinnerung und zum allgemeinen Gesprächsthema war vor allem ein junger Vater mit seiner neunjährigen Tochter geworden, die mitten in der Nacht aufgetaucht waren, weil sie vor dem Unwetter flüchten mussten, das genau über die Bergkuppe mit ihrem kleinen Zelt gezogen war. Die zwei hatten auf dem nahen ‚Mittaggüpfi‘ campiert, weil sie dieser Berg mit seinem 360°-Panorama und den weitläufigen Heidelbeersträuchern mit ihren süssreifen, blaufärbenden Beeren dazu eingeladen hatte. Um drei Uhr nachts war dann das unerwartete Gewitter niedergegangen und Tony hatte ihre Taschenlampen, deren Leuchtkegel den Berghang hinuntergeirrt waren, sofort entdeckt.

Er hatte sich zuerst über die komischen Blitze gewundert, als er schlaftrunken von der Toilette zurückkam und noch mehr wunderte er sich, als er einen erwachsenen Mann und ein kleines Mädchen als Urheber der Irrlichter ausmachte. Sie waren mitten durch das Blitzen und Donnern direkt auf die Alphütte zumarschiert und froh, als Tony sie ins Trockene einlud. Auch Rees war vom Gewitter oder von der allgemeinen Unruhe aufgewacht und hatte die Einladung Tonys natürlich bestätigt. Er hatte genug freie Matratzen für Alp-Gäste und es war eine Selbstverständlichkeit, dass der durchnässte Vater und seine kleinen Tochter hier bleiben konnten. Für Erklärungen war dann Morgen noch genug Zeit und sie hatten sich alle in ihre warmen Schlafsäcke und unter Militärdecken gekuschelt und dem Gewitter zugehört.

‚Das Mitaggüpfi,‘ hatte Tony beim Einschlafen noch gedacht, und: ‚Das hätte ich dir sagen können, das du beim Gnepfstein oben nicht Zelten solltest.‘

Rees dachte vielleicht dasselbe – vielleicht auch nicht. Bestimmt dachte er aber daran, dass er zum Abschluss des Tages, und wie jeden Abend, den Alp-Segen über seine Alp gerufen hatte und dass es wiedermal geholfen hatte. Wie fast immer. Und wie fast immer, dachte er natürlich an seine Tiere, die draussen dem Regen trotzend im Gewitter standen. Aber so war das hier oben: ‚Morädänn‘, flüsterte Rees und schlief erst ein, als das Blitzen und Donnern endlich nachliess, denn er war ein pflichtbewusster und guter Älpler.

Am nächsten Morgen hatte Tony den Vater und seine Tochter zur Postautostation begleitet und dafür auf den Umweg übers Mittaggüpfi verzichtet. Das Mädchen hatte noch beim Frühstück über Übelkeit geklagt, aber sie war ein tapferes Kind. Ihr Vater, ein IT-Spezialist, der nach eigenen Angaben auch Computerprogramme für Öko-Betriebe schrieb, war froh, dass Tony sie begleitete und er schien eigentlich ganz in Ordnung zu sein. Vater und Tochter waren nicht aus der Gegend und sie wussten nicht viel über den Pilatus. Jedenfalls nicht mehr, als man als Schweizer über diesen Berg wissen musste und schon in der Schule gelernt hatte. Übers Mittaggüpfi wussten sie erst recht nicht viel. Wie die meisten Schweizer auch nicht und Tony wollte sie nicht erschrecken mit der keltischen Vorgeschichte des Gnepfsteins, die in den hiesigen Schulbüchern nur am Rand oder gar nicht erwähnt wird.

Die Geheimnisse um die sagenumwobene Vergangenheit und das dazu passende nächtliche Gewitterspektakel, das er zum Glück aus der trockenen Alphütte geniessen konnte, waren genug Gründe für Tony Troll, sich vorzunehmen wieder hierher zurück zu kommen. Allerdings wollte er dann die zusätzliche, kurze Wanderung zum Mittagsgüpfi unbedingt auf sich nehmen.

Seit dem Gewitterabenteuer waren fast drei Monate vergangen. Tony war zurück am Mittaggüpfi und er hatte auch Rees nochmal angetroffen, dessen Alpsommer in wenigen Wochen zu Ende gehen würde. Inzwischen war es Abend und der Bauer, der seine Rinder besucht hatte, war ins Unterland zurückgekehrt. Tony hatte Spaghetti mit einer einfachen Tomatensauce gekocht und nachdem Rees seine Tiere versorgt hatte, assen sie die Pasta am grossen Tisch der Alphütte, der von einigen Kerzen spärlich beleuchtet wurde und lernten sich besser kennen. Rees zeigte Tony gerade das neuste Video einer grossen, bürgerlichen Landespartei, das er ihm auf seinem Handy vorführte. Tony bemerkte die forschenden Blicke, die Rees ihm heimlich zuwarf, ging aber nicht darauf ein. Erst recht nicht auf das Video und schon gar nicht auf das gefährliche Thema Politik. Er zog es vor, mit Rees über Volksmusik und das ‚Original-Schwyzer-Örgeli‘ zu diskutieren, das dieser nach der Videopräsentation unter dem Tisch hervorzog und auf dem er Tony nach einigen Probetönen vorspielte. Tony konnte gut hören und auch sehen, dass der Älpler auch ein guter Volksmusiker war, der über die Kantonsgrenzen hinaus bekannt war. Rees und Tony kamen aus grundsätzlich verschiedenen politischen Lagern und womöglich auch aus verschiedenen Volksschichten. Aber sie verstanden sich auf einer anderen Ebene, die viel wichtiger war: Auf der Menschlichen. - Dafür brauchten sie nicht viel zu sprechen, aber sie hörten sich zu, wenn einer etwas zu sagen hatte. Auch wenn es um Luchse ging oder gar um Wölfe, von denen auch Mani der Bordercollie abstammte, der in einer Ecke lag und ihre Unterhaltung aufmerksam beobachtete. Rees wollte nichts von wölfischer Abstammung seines Hundes wissen. Aber das war nicht so wichtig. Auch als Rees behauptete, dass es bei ihm zuhause im Muotathal keine Luchse gab, weil man dort die besseren Jäger habe als im Kanton Luzern, mussten beide lachen. Tony glaubte es sowieso nicht und Rees bedauerte das Verschwinden der Luchse womöglich im tiefsten Herzen, obwohl er das nie zugegeben hätte.