Der Weihnachtsabend oder Eine Geistergeschichte zum Christfest - Charles Dickens - E-Book

Der Weihnachtsabend oder Eine Geistergeschichte zum Christfest E-Book

Charles Dickens.

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Beschreibung

Der alte Geizkragen Ebenezer Scrooge mag Weihnachten so gar nicht. Auch in diesem Jahr würde er die Feiertage am liebsten ignorieren. Nur hat er da die Rechnung ohne drei Geister gemacht. Die nämlich suchen ihn am Weihnachtsabend freundlich heim – und stecken den reichen Geschäftsmann mit dem Zauber dieser besonderen Nacht an. Soll aus dem Griesgram am Ende noch ein Menschenfreund werden? "Der Weihnachtsabend" erscheint nun in einer modernen Neuübersetzung von Hans-Christian Oeser, die zugleich dem Geist des Originals wunderbar treu bleibt. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

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Seitenzahl: 150

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Charles Dickens

Der Weihnachtsabend

oder eine Geistergeschichte zum Christfest

Aus dem Englischen übersetztvon Hans-Christian Oeser

Reclam

Englischer Originaltitel: A Christmas Carol in Prose. Being A Ghost Story of Christmas

 

2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2022

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962070-1

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014309-4

www.reclam.de

Inhalt

Widmung

Der Weihnachtsabend

Vorbemerkung

Erste Strophe: Marleys Geist

Zweite Strophe: Das erste der drei Wesen

Dritte Strophe: Das zweite der drei Wesen

Vierte Strophe: Das letzte der Wesen

Fünfte Strophe: Das Ende vom Lied

Zu dieser Ausgabe

Anmerkungen

Zeittafel

[5]Gewidmet dir, dem Leser.

Mögen die Geister dich gebührend heimsuchen!

Der Weihnachtsabend

[7]Vorbemerkung

In diesem kleinen Geisterbuch habe ich mich bemüht, den Geist einer Idee zum Leben zu erwecken. Das soll meinen Lesern aber nicht die Laune verderben, weder was sie selbst, ihre Mitmenschen und die Festtage, noch was mich betrifft. Möge er ihre Häuser freundlich heimsuchen und niemand ihn vertreiben wollen.

Ihr getreuer Freund und Diener

C. D.

Dezember 1843

[9]Erste Strophe

Marleys Geist

Marley war tot, dies gleich vorneweg. Daran besteht überhaupt kein Zweifel. Der Eintrag im Begräbnisregister war vom Geistlichen, vom Handlungsgehilfen, vom Leichenbestatter und vom Hauptleidtragenden unterschrieben worden. Ja, Scrooge hatte unterschrieben. Und Scrooges Name war ja auch auf der Börse gut für alles, was er zu unterschreiben beliebte.

Der alte Marley war tot wie ein Türnagel.

Wohlgemerkt, ich will nicht behaupten, aus eigener Kenntnis zu wissen, was an einem Türnagel so besonders tot sein soll. Vielleicht wäre ich geneigt, einen Sargnagel als das toteste Stück Eisenware zu betrachten, das im Handel erhältlich ist. Doch in jenem Vergleich liegt die Weisheit unserer Vorfahren; und meine unheiligen Hände sollen ihn nicht entweihen, sonst wäre es um unser Land geschehen. Sie werden mir daher erlauben, mit Nachdruck zu wiederholen: Marley war tot wie ein Türnagel.

Wusste Scrooge, dass er tot war? Natürlich wusste er es. Wie könnte es auch anders sein? Scrooge und er waren Geschäftspartner gewesen, ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren. Scrooge war sein alleiniger Testamentsvollstrecker, sein alleiniger Nachlassverwalter, sein alleiniger Rechtsnachfolger, sein alleiniger Vermächtnisnehmer, sein einziger Freund und der einzige Leidtragende. Und selbst Scrooge war von dem traurigen Vorfall nicht so erschüttert, dass er sich nicht noch am Tag der Beerdigung als ausgezeichneter Geschäftsmann erwiesen und ihn [10]feierlich mit einem zweifellos vorteilhaften Handel begangen hätte.

Die Erwähnung von Marleys Beisetzung führt mich zurück zu meinem Ausgangspunkt. Es besteht kein Zweifel, dass Marley tot war. Das muss man ein für allemal begreifen, sonst hat die Geschichte, die ich erzählen werde, nichts Wunderbares an sich. Wären wir nicht vollkommen überzeugt, dass Hamlets Vater vor Beginn des Stücks gestorben ist, so wäre sein nächtlicher Spaziergang auf dem eigenen Festungswall bei Ostwind nicht bemerkenswerter, als wenn irgendein Gentleman mittleren Alters nach Einbruch der Dunkelheit unversehens an einem windigen Ort auftaucht – sagen wir, auf dem Kirchhof von St. Paul’s –, um den schwachen Verstand seines Sohnes in Staunen zu versetzen.

Den Namen des alten Marley ließ Scrooge nie übermalen. Noch Jahre später stand er über der Tür des Lagerhauses: Scrooge & Marley. Die Firma war unter dem Namen Scrooge & Marley bekannt. Manchmal nannten Leute, die neu ins Geschäft kamen, Scrooge Scrooge und manchmal Marley, doch er hörte auf beide Namen. Für ihn war alles ein und dasselbe.

Oh, aber er war ein rechter Geizhals, dieser Scrooge! Ein schröpfender, raffender, klaubender, scharrender, krallender habgieriger alter Sünder! Hart und scharf wie Feuerstein, aus dem noch kein Stahl ein großzügiges Feuer geschlagen hat; in sich gekehrt, abgesondert und verschlossen wie eine Auster. Die Kälte in seinem Innern hatte seine alten Gesichtszüge starr, seine spitze Nase noch spitzer, seine Wangen welk, seinen Gang steif, seine Augen rot und seine dünnen Lippen blau werden lassen – und drückte sich [11]hinterlistig in seiner raspelnden Stimme aus. Auf seinem Kopf, seinen Brauen und seinem kantigen Kinn lag eisiger Reif. Seine frostige Temperatur trug er stets mit sich herum: An den heißen Hundstagen kühlte er sein Büro damit, und zur Weihnachtszeit taute er um kein Grad auf.

Äußere Hitze und Kälte hatten wenig Einfluss auf Scrooge. Keine Wärme konnte ihn erhitzen, kein Winterwetter ihn erkälten. Kein Wind, der wehte, war schneidender, kein fallender Schnee zielstrebiger als er, kein prasselnder Regen weniger offen für flehentliche Bitten. Das miserabelste Wetter wusste nicht, wo es ihn packen konnte. Die heftigsten Regen-, Schnee-, Hagel- oder Graupelschauer vermochten sich ihm gegenüber nur eines Vorzugs rühmen: Sie zeigten sich oft freigebig, Scrooge dagegen nie.

Niemand hielt ihn jemals auf der Straße an, um mit freudiger Miene zu fragen: »Mein lieber Scrooge, wie geht es Ihnen? Wann kommen Sie mich einmal besuchen?« Kein Bettler flehte ihn um eine milde Gabe an, kein Kind fragte ihn nach der Uhrzeit, zeit seines Lebens hatten sich kein Mann und keine Frau bei Scrooge je nach dem Weg erkundigt. Selbst die Blindenhunde schienen ihn zu kennen; und wenn sie ihn kommen sahen, zerrten sie ihre Besitzer in Hauseingänge und Höfe, dann wedelten sie mit dem Schwanz, als wollten sie sagen: »Gar kein Augenlicht ist immer noch besser als ein böser Blick, blindes Herrchen!«

Aber was kümmerte das Scrooge! Genau das gefiel ihm ja. Sich auf den überfüllten Pfaden des Lebens voranzukämpfen und sich alles menschliche Mitgefühl vom Leib zu halten, genau das war, wie die Eingeweihten es nennen, Scrooges »Fimmel«.

[12]Einmal nun geschah es – von allen schönen Tagen des Jahres ausgerechnet am Weihnachtsabend –, dass der alte Scrooge geschäftig in seinem Kontor* saß. Draußen war es trostlos und bitterkalt, neblig obendrein, und er hörte, wie die Leute im Hof schnaufend auf und ab gingen, die Hände vor der Brust zusammenschlugen und mit den Füßen auf den Boden stampften, um sich zu wärmen. Die Uhren der Stadt hatten eben erst drei geschlagen, doch es war schon recht dunkel – den ganzen Tag war es nicht hell geworden –, und in den Fenstern der benachbarten Büros flackerten Kerzen wie rötliche Schlieren durch die zum Greifen dicke, braune Luft. Der Nebel strömte in jeden Spalt und jedes Schlüsselloch und war so undurchdringlich, dass die gegenüberliegenden Häuser, obschon der Hof zu den schmalsten gehörte, bloße Phantome zu sein schienen. Wenn man sah, wie die düstere Wolke sich herabsenkte und alles verfinsterte, hätte man meinen können, die Natur hause ganz in der Nähe und brüte etwas Gewaltiges aus.

Die Tür von Scrooges Kontor stand offen, damit er seinen Handlungsgehilfen im Auge behalten konnte, der in einer tristen kleinen Zelle dahinter, einer Art Kabuff, Briefe abschrieb. Scrooge hatte ein sehr kleines Feuer brennen, doch das Feuer des Handlungsgehilfen war noch viel kleiner; es sah aus, als bestünde es aus einem einzigen Stück Kohle. Aber er konnte nicht nachlegen, denn Scrooge bewahrte den Kohlenkasten in seinem Zimmer auf; und so sicher, wie der Handlungsgehilfe mit der Schaufel hereinkam, drohte ihm sein Herr, ihre Wege würden sich trennen müssen. Weswegen sich der Handlungsgehilfe in seinen weißen Wollschal hüllte und versuchte, sich an der Kerze [13]zu wärmen, was ihm, da er kein Mann von großer Vorstellungskraft war, jedoch missglückte.

»Frohe Weihnachten, Onkel! Gott schütze dich!«, rief eine muntere Stimme. Es war die Stimme von Scrooges Neffen, der so schnell eingetreten war, dass Scrooge ihn erst jetzt bemerkte.

»Pah!«, sagte Scrooge. »Humbug!«

Von dem raschen Gang durch Nebel und Frost war er so erhitzt, dieser Neffe, dass er geradezu glühte; sein hübsches Gesicht war gerötet; seine Augen funkelten, und gleich fing sein Atem wieder an zu dampfen.

»Weihnachten Humbug, Onkel?«, fragte Scrooges Neffe. »Das meinst du doch nicht etwa ernst?«

»Und ob«, sagte Scrooge. »Frohe Weihnachten! Was für ein Recht hast du, froh zu sein? Was für einen Grund hast du, froh zu sein? Arm wie du bist.«

»Ach, komm schon«, erwiderte der Neffe heiter. »Was für ein Recht hast du, trübsinnig zu sein? Was für einen Grund hast du, missmutig zu sein? Reich wie du bist.«

Scrooge, dem spontan keine bessere Antwort einfiel, sagte nur wieder: »Pah!«, und schickte ein »Humbug« hinterher.

»Sei nicht so böse, Onkel!«, sagte der Neffe.

»Was sollte ich sonst sein«, entgegnete der Onkel, »wenn ich in einer Welt voller Narren lebe? Frohe Weihnachten! Hinaus damit! Frohe Weihnachten! Was ist die Weihnachtszeit für dich anderes als eine Zeit, in der du Rechnungen bezahlen musst, ohne Geld zu haben? Eine Zeit, in der du ein Jahr älter, aber keine Stunde reicher geworden bist? Eine Zeit, in der du die Bücher abschließt und feststellst, dass ein Dutzend Monate lang jeder Posten gegen [14]dich spricht? Wenn es nach meinem Willen ginge«, sagte Scrooge entrüstet, »sollte jeder Idiot, der mit ›Frohe Weihnachten‹ auf den Lippen herumläuft, mit seinem eigenen Plumpudding* gekocht und mit einem Stechpalmenstock im Herzen begraben werden. Jawohl!«

»Onkel!«, flehte der Neffe.

»Neffe!«, entgegnete der Onkel streng. »Feiere du Weihnachten auf deine Weise, und lass es mich auf meine Weise feiern.«

»Feiern!«, wiederholte Scrooges Neffe. »Aber du feierst es doch gar nicht.«

»Dann erlaube mir, dass ich nichts damit zu tun haben will«, sagte Scrooge. »Möge es dir viel Gutes bringen! Bisher hat es dir nicht viel Gutes gebracht!«

»Es gibt viele Dinge, die mir Gutes hätten bringen können und von denen ich doch nicht profitiert habe«, erwiderte der Neffe. »Darunter auch Weihnachten. Aber ich bin sicher, dass ich die Weihnachtszeit, wenn sie dann kam – abgesehen von der Verehrung, die ihrem heiligen Namen und Ursprung gebührt; falls man von etwas, das so dazugehört, überhaupt absehen kann –, dass ich sie immer als eine gute Zeit empfunden habe: als eine Zeit der Güte, der Vergebung, der Barmherzigkeit, der Freundlichkeit; als die einzige Zeit im langen Jahreskalender, die ich kenne, in der Männer und Frauen in gegenseitigem Einvernehmen weit ihre verschlossenen Herzen öffnen und an Menschen, die unter ihnen stehen, so zu denken scheinen, als wären diese tatsächlich Gefährten auf dem Weg zum Grab und nicht eine andere Gattung, unterwegs zu anderen Zielen. Und deshalb, Onkel, auch wenn mir die Weihnachtszeit nie ein Stück Gold oder Silber zugesteckt hat, glaube ich, dass sie [15]mir Gutes gebracht hat und weiterhin Gutes bringen wird, und ich sage, Gott segne sie!«

Aus seinem Kabuff heraus spendete der Handlungsgehilfe unbedacht Beifall. Als er sich der Ungehörigkeit dieser Geste bewusst wurde, stocherte er hastig in der Glut und löschte den letzten schwachen Funken für immer.

»Sollte ich von Ihnen noch einen Ton hören«, sagte Scrooge, »werden Sie Weihnachten mit dem Verlust Ihrer Stellung feiern! Du bist ein recht gewaltiger Redner, mein Junge«, setzte er, an seinen Neffen gewandt, hinzu. »Ich frage mich, warum du nicht Parlamentsabgeordneter wirst.«

»Sei nicht ärgerlich, Onkel. Komm! Iss morgen mit uns zu Abend.«

Scrooge sagte, eher sehe er ihn in der – ja, diese Worte sprach er wirklich! Er führte den Satz zu Ende und sagte, eher sehe er ihn in jenem Schlund* wieder.

»Aber warum?«, rief Scrooges Neffe. »Warum?«

»Warum hast du geheiratet?«, fragte Scrooge.

»Weil ich mich verliebt habe.«

»Weil du dich verliebt hast!«, knurrte Scrooge, als wäre dies das Einzige auf der Welt, was noch lächerlicher war als frohe Weihnachten. »Einen schönen Tag noch!«

»Aber, Onkel, du hast mich auch davor nie besucht. Warum also das als Grund dafür angeben, dass du mich jetzt nicht besuchen willst?«

»Schönen Tag noch«, sagte Scrooge.

»Ich will nichts von dir; ich verlange nichts von dir; warum können wir nicht einfach Freunde sein?«

»Schönen Tag!«, sagte Scrooge.

»Ich bedauere von ganzem Herzen, dass du so halsstarrig bist. Es hat nie einen Streit zwischen uns gegeben, an dem [16]ich beteiligt gewesen wäre. Aber Weihnachten zu Ehren habe ich einen Versuch unternommen und werde meine Weihnachtslaune bis zuletzt beibehalten. Also frohe Weihnachten, Onkel!«

»Schönen Tag!«, sagte Scrooge.

»Und ein glückliches neues Jahr!«

»Schönen Tag!«, sagte Scrooge.

Dessen ungeachtet verließ sein Neffe das Zimmer ohne ein böses Wort. An der Außentür blieb er stehen, um auch dem Handlungsgehilfen Weihnachtsgrüße zu übermitteln, der, sosehr es ihn fröstelte, wärmer war als Scrooge – denn er erwiderte sie herzlich.

»Noch so ein Kerl«, murmelte Scrooge, der ihn gehört hatte. »Mein Handlungsgehilfe, fünfzehn Schilling die Woche, Frau und Kinder, und redet über frohe Weihnachten. Ich komme noch ins Irrenhaus.«

Dieser Verrückte hatte, indem er Scrooges Neffen hinausließ, zwei andere Personen hereingelassen. Es waren beleibte Gentlemen, angenehm anzuschauen, die nun mit gezogenem Hut in Scrooges Büro standen. Sie hielten Bücher und Papiere in den Händen und verbeugten sich vor ihm.

»Scrooge & Marley, wenn ich nicht irre«, sagte einer der Gentlemen und deutete auf seine Liste. »Habe ich das Vergnügen, mit Mr Scrooge oder mit Mr Marley zu sprechen?«

»Mr Marley ist seit sieben Jahren tot«, antwortete Scrooge. »Er starb vor sieben Jahren, genau an diesem Abend.«

»Wir zweifeln nicht, dass sein überlebender Partner seine Freigebigkeit gut vertreten wird«, sagte der Gentleman und überreichte sein Empfehlungsschreiben.

Das traf wohl zu, waren sie doch Seelenverwandte gewesen. Bei dem ominösen Wort »Freigebigkeit« jedoch [17]runzelte Scrooge die Stirn, schüttelte den Kopf und gab das Empfehlungsschreiben zurück.

»Zu dieser festlichen Jahreszeit, Mr Scrooge«, sagte der Gentleman und zückte einen Federhalter, »ist es noch wünschenswerter als sonst, dass wir ein wenig Vorsorge treffen für die Armen und Bedürftigen, die gegenwärtig sehr zu leiden haben. Vielen Tausenden fehlt es am Nötigsten; Hunderttausenden fehlt es an den einfachsten Annehmlichkeiten, Sir.«

»Gibt es keine Gefängnisse?«, fragte Scrooge.

»Jede Menge Gefängnisse«, sagte der Gentleman und legte den Federhalter wieder weg.

»Und die Armenhäuser?«, wollte Scrooge wissen. »Sind sie noch in Betrieb?«

»Das sind sie. Dennoch«, erwiderte der Gentleman, »wünschte ich, das Gegenteil sagen zu können.«

»Tretmühle* und Armengesetz* haben also weiterhin volle Geltung?«, fragte Scrooge.

»Beide finden große Anwendung, Sir.«

»Oh! Freut mich sehr, das zu hören«, sagte Scrooge. »Nach dem, was Sie eingangs sagten, befürchtete ich schon, es sei etwas vorgefallen, was sie in ihrer nützlichen Tätigkeit aufhalten könnte.«

»Unter dem Eindruck, dass sie der breiten Volksmasse schwerlich christliche Heiterkeit an Leib und Seele vermitteln«, erwiderte der Gentleman, »bemühen sich einige von uns, Spenden zu sammeln, um den Armen etwas zu essen und zu trinken zu geben und ihnen wärmende Kleidung zu beschaffen. Wir haben diese Zeit gewählt, weil sie genau die Zeit ist, da der Mangel am stärksten spürbar wird und der Überfluss frohlockt. Was darf ich von Ihnen erwarten?«

[18]»Nichts!«, erwiderte Scrooge.

»Sie wünschen, anonym zu bleiben?«

»Ich wünsche, in Ruhe gelassen zu werden«, sagte Scrooge. »Wenn Sie schon fragen, was ich wünsche, Gentlemen – das ist meine Antwort. Ich selbst feiere Weihnachten nicht und kann es mir nicht leisten, Müßiggängern das Feiern zu ermöglichen. Ich beteilige mich daran, die erwähnten Einrichtungen zu unterstützen – die kosten genug; und wem es schlecht geht, der muss sich eben dorthin wenden.«

»Viele können sich nicht dorthin wenden. Und viele würden lieber sterben.«

»Wenn sie lieber sterben wollen«, sagte Scrooge, »sollten sie es doch einfach tun und so den Bevölkerungsüberschuss verringern*. Außerdem – Sie entschuldigen – verstehe ich nichts davon.«

»Aber Sie könnten etwas davon verstehen«, bemerkte der Gentleman.

»Es geht mich nichts an«, erwiderte Scrooge. »Es genügt, dass man etwas von seinem eigenen Geschäft versteht und sich nicht in das anderer Leute einmischt. Das meinige nimmt mich unentwegt in Anspruch. Schönen Nachmittag noch, Gentlemen!«

Die Gentlemen sahen ein, dass es zwecklos war, ihr Anliegen weiterzuverfolgen, und zogen sich zurück. Scrooge nahm seine Arbeit wieder auf, mit einer höheren Meinung von sich selbst und in besserer Stimmung als gewöhnlich.

Unterdessen hatten sich Nebeldunst und Dunkelheit so sehr verdichtet, dass Leute mit brennenden Fackeln umherliefen und sich erboten, Kutschen voranzugehen und ihren Pferden derart den Weg zu weisen. Der verfrorene alte Turm einer Kirche, dessen schroffe alte Glocke durch ein [19]gotisches Fenster in der Mauer stets verstohlen auf Scrooge herabblickte, wurde unsichtbar und schlug die Stunden und Viertelstunden hoch oben in den Wolken – mit zitternden Schwingungen, geradeso als klapperten ihm die Zähne. Die Kälte nahm zu. In der Hauptstraße an der Ecke des Hofes waren einige Arbeiter damit beschäftigt, die Gasleitungen auszubessern; in einem Kohlenbecken hatten sie ein großes Feuer entzündet, um das sich eine Gruppe zerlumpter Männer und Jungen drängte, die sich die Hände wärmten und verzückt in die Flammen blinzelten. Aus einer vernachlässigten Entnahmestelle trat Wasser aus, das mürrisch gefror und zu misanthropischem Eis wurde. Der Glanz der Ladenfenster, in deren Lampenwärme Stechpalmenzweige und -beeren knisterten, rötete die bleichen Gesichter der Passanten. Das Gewerbe der Geflügel- und Kolonialwarenhändler geriet zu einem prächtigen Spaß, einem glorreichen Spektakel, bei dessen Anblick man fast nicht glauben wollte, dass solch langweilige Gesetzmäßigkeiten wie Kauf und Verkauf irgendetwas damit zu tun haben könnten. In der mächtigen Festung seines Amtssitzes gab der Oberbürgermeister seinen fünfzig Köchen und Butlern die Anweisung, Weihnachten so zu feiern, wie es sich für den Haushalt eines Oberbürgermeisters schickt. Und selbst der kleine Schneider, den er am Montag zuvor mit einer Geldstrafe von fünf Schilling belegt hatte, weil er sich betrunken und mordlustig auf den Straßen herumgetrieben hatte, rührte in seiner Dachstube den Weihnachtspudding für den kommenden Tag an, während seine magere Frau mit dem Säugling hinausging, um den Rinderbraten zu besorgen.

Es wurde noch nebliger und kälter. Eine durchdringende, stechende, schneidende Kälte. Hätte der brave heilige [20]Dunstan* dem Bösen Geist mit nur einem winzigen Hauch derartigen Wetters in die Nase gezwickt, statt seine gewohnten Waffen zu gebrauchen, so wäre dieser gewiss in gellendes Geschrei ausgebrochen. Der Besitzer einer dünnen jungen Nase, von der hungrigen Kälte so zerknabbert und zernagt, wie Knochen von Hunden zernagt werden, beugte sich hinab zu Scrooges Schlüsselloch, um ihn mit einem Weihnachtslied zu erfreuen. Doch beim ersten Ton von

Gott segne Euch, mein lust’ger Herr!

Nichts soll Euch noch erschüttern!

griff Scrooge mit einer so heftigen Bewegung nach seinem Lineal, dass der Sänger entsetzt floh und das Schlüsselloch dem Nebel und dem noch besser zu Scrooge passenden Frost überließ.