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Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der Wind des Todes enthält sechs ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Die Gefährtin des Wolfs von Clay Fisher, Der Einzelgänger von Kenneth Fowler, Musketen für Juarez von E. E. Halleran, Zwei gegen El Paso von Matt Braun, Der Mann aus Riondo von Dudley Dean sowie Heiß weht der Wind des Todes von Lewis B. Patten.
Ergänzt wird dieser Band durch eine bibliographische Notiz von Dr. Karl Jürgen Roth.
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CHRISTIAN DÖRGE (Hrsg.)
Der Wind des Todes
Sechs Romane in einem Band
Apex Western, Band 19
Apex-Verlag
Inhaltsverzeichnis
Das Buch
Clay Fisher: DIE GEFÄHRTIN DES WOLFS (Yellowstone Kelly)
Kenneth Fowler: DER EINZELGÄNGER (Outcast Of Murder Mesa)
E. E. Halleran: MUSKETEN FÜR JUAREZ (Blazing Border)
Matt Braun: ZWEI GEGEN EL PASO (El Paso)
Dudley Dean: DER MANN AUS RIONDO (The Man From Riondo)
Lewis B. Patten: HEISS WEHT DER WIND DES TODES (Ride The Hot Wind)
Ein Six-Pack zum Lesen. Sechs Romane vom Leben an der Frontier -
Eine bibliographische Notiz von Dr. Karl Jürgen Roth
Die von Christian Dörge zusammengestellte und herausgegebene Sammlung Der Wind des Todes enthält sechs ausgesuchte und klassische Spitzen-Romane US-amerikanischer Autoren, perfekten Lesestoff also für alle Western-Fans und Leser der Reihe APEX WESTERN: Die Gefährtin des Wolfs von Clay Fisher, Der Einzelgänger von Kenneth Fowler, Musketen für Juarez von E. E. Halleran, Zwei gegen El Paso von Matt Braun, Der Mann aus Riondo von Dudley Dean sowie Heiß weht der Wind des Todes von Lewis B. Patten.
Ergänzt wird dieser Band durch eine bibliographische Notiz von Dr. Karl Jürgen Roth.
Erstes Buch: JUDITH BASIN
1.
Die vier Felljäger waren weder alt noch jung. Sie waren vorsichtige Männer, mit wachsamen Gesichtern und fremd in dieser Gegend.
Der Tag war weit fortgeschritten, aber noch erstaunlich heiß, für Anfang September. Totale Einsamkeit hier oben in den Bergen von Montana, wo die Sommernächte eisig sein konnten.
Drunten im Cañon eine Staubschicht unter dem letzten Glanz der einfallenden Sonne. Um vier Uhr morgens waren sie aufgebrochen, und jetzt ließ Jepson, der Anführer, den Rucksack von den Schultern gleiten und setzte sich auf einen Baumstumpf. Keuchend wartete er auf die anderen.
»Bloß einen Moment zum Verschnaufen«, sagte er.
Die anderen nickten.
Big Anse Harper, der Mann mit dem Packesel, warf den Zügel über einen Ast und hockte sich neben Jepson.
»Ein ganz schöner Aufstieg«, sagte er. »Und das mit leerem Bauch! Meine Socken dampfen.«
»Da unten im Flachland Feuer zu machen, wäre Wahnsinn gewesen«, sagte Jepson und deutete mit dem Daumen über die Schulter.
Alex MacDonald, der dritte Mann, nickte. »Recht hat er«, sagte er mit seinem schweren schottischen Akzent.
Caswell, der vierte Mann, sagte nichts.
Sie saßen da, vier nachdenkliche Männer in ihren Wollhemden, zweitausend Meter über dem Meeresspiegel und siebenundzwanzig Meilen von der nächsten weißen Siedlung entfernt. Man schrieb den 2. September 1875.
Jepson holte einen Riegel Kautabak aus dem Rucksack, biss ein Stück ab und gab ihn weiter.
»Wieviel haben wir dabei?«, fragte Big Anse.
»Vier Dutzend«, sagte Jepson. »Das müsste für einen normalen Winter reichen.«
Big Anse grinste. »Sofern wir nicht unerwartet Gesellschaft bekommen.«
Jeder hatte begriffen, aber Caswell, der jüngste und unerfahrenste, musste es aussprechen.
»Meinst du die Sioux?«, fragte er.
»Wen denn sonst? Die und die Cheyenne. Aber eher die Sioux, und vor allem die Hunkpapa.«
»Das haben wir doch schon vorher gewusst«, sagte Jepson, der vermeiden wollte, dass bereits am ersten Tag Nervosität aufkam. »Im Fort haben sie uns gewarnt, und der alte Reed auch. Dass wir keinen Sonntagsausflug machen, war doch jedem von Anfang an klar.« Er überlegte, dann nickte er. »Wo es Wild gibt, gibt es Wölfe, und hinter denen sind wir her. Und Indianer gibt es auch, wo es Wild gibt. Das ist doch logisch. Wer sich einbildet, dass wir keine sehen, ist auf dem Holzweg.«
»Solang wir sie bloß sehen«, sagte Big Anse trocken, »habe ich nichts dagegen.« Er stand auf. »Los, Leute, schauen wir, dass wir noch über den Kamm kommen und dann unser Nachtlager aufschlagen.«
Jepson blieb hocken, sah sich um und schüttelte den Kopf. »Der Platz hier ist ideal«, sagte er. »Da unten gibt es Wasser, Holz liegt genug herum, und Gras für den Esel ist auch da. Ich schlage vor, wir bleiben hier.«
»Ja«, sagte MacDonald. »Jeder ist geschafft. Wir sind ganz schön weit gekommen. Das reicht.«
»Wir müssten tiefer in den Wald rein, bevor wir ein Feuer machen«, sagte Big Anse. »Du bist doch kein Anfänger, MacDonald. Das Unterholz schluckt den Schein.«
»Trotzdem«, sagte Jepson, bevor der Schotte den Mund aufmachen konnte. »Ich bin dafür, dass wir hier bleiben. Hier können wir wenigstens das Gelände überblicken, und es schleicht sich nicht so schnell einer an uns 'ran.«
»Finde ich auch«, sagte Caswell. »Jepson hat recht.«
»Ich bin auch dafür«, sagte MacDonald.
MacDonald war einfach müde. Von Indianern hatte er wenig Ahnung. In den Wäldern Kanadas geboren und aufgewachsen, war er ein ausgezeichneter Jäger und Trapper, aber die Gegend hier am Oberlauf des Missouri war ihm genauso fremd wie den anderen. Und wie die anderen hatte er nicht die blässeste Ahnung, wie tief der Hass der Indianer gegen die Weißen war, die immer wieder in ihre Jagdgründe eindrangen.
Nur Big Anse, der aus den Wäldern Georgias stammte, hatte einen Instinkt für dieses gefährliche Gebiet, aber auch er war hundemüde.
»Okay«, sagte er. »Ich gebe mich geschlagen. Los, Caswell, hilf mir, den Esel abzuladen. Das Kreuz hängt ihm ja schon durch.«
2
Das Feuer schwelte. Nicht ein Hauch von Rauch stieg in den mondhellen Nachthimmel auf. Den Bauch voll mit geräuchertem Schweinefleisch und dicken Bohnen, die Füße am Feuer, lagen Big Anse, Caswell und MacDonald auf dem Boden und schnarchten.
Außerhalb des schwachen Scheins saß John Jepson unter einer Zeder und hielt die erste Nachtwache.
Inzwischen war es klirrend kalt. In den vier Stunden seit Sonnenuntergang war die Temperatur um zehn Grad gefallen.
Jepson wickelte die Decke fester um sich.
Die Nacht war so klar, dass das weiße Licht des Mondes und das frostige Glitzern der Sterne fast unangenehm waren, aber Jepson war zufrieden. Nicht einmal ein Murmeltier oder eine Maus hätten ungesehen an ihm vorbeihuschen können, geschweige denn ein Indianer.
Der Schatten tauchte wie aus dem kahlen Boden gewachsen hinter ihm auf. Keinen Meter von ihm entfernt stand er wie ein böser Traum in der Stille. Als er jedoch sprach, klang die tiefe Stimme beruhigend. Trotzdem hätte John Jepson fast der Herzschlag getroffen.
»Langsam aufstehen und umdrehen. Das Gewehr bleibt liegen.«
Jepson gehorchte. Er schluckte, bevor er sich umdrehte.
Der Mann, der im kalten Licht des Mondes vor ihm stand, war wunderlich genug, aber nicht sein Äußeres verschlug Jepson vollends die Sprache.
Schreiben hatte Jepson nie gelernt, und das Lesen hatte er sich mühsam selbst beigebracht. Dass die Sprache etwas anderes sein konnte als ein Mittel zur Verständigung, war ihm unbekannt.
Deshalb stand er jetzt mit offenem Mund da und ließ den dramatischen Vortrag des seltsamen Vogels über sich ergehen, ohne ein Wort davon zu verstehen.
Zu seinem Glück unterbrach Jepson den Mann wenigstens nicht.
»So hob ich eine Kunde an, von der
Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte,
Dein junges Blut erstarrte, deine Augen
Wie Stern' aus ihren Kreisen schießen machte,
Dir die verworr'nen krausen Locken trennte,
Und sträubte jedes einz'le Haar empor,
Wie Nadeln an dem zorn'gen Stacheltier!«
Der Unterkiefer sank Jepson noch weiter herunter.
»Mann«, brachte er schließlich hervor. »Wovon redest du da eigentlich? Bist du nicht ganz richtig im Kopf?«
Der Fremde lachte.
»Von den Sioux rede ich, mein Freund«, sagte er. »Und von deinem Feuer und davon, wie sicher du dich gefühlt hast und wie leicht es war, sich an dich heranzupirschen.«
Jepson konnte nur noch den Kopf schütteln. »Ich verstehe dich trotzdem nicht«, sagte er. »Und was das Ganze soll, erst recht nicht.«
»Nein? Dann erkläre ich es dir. Angenommen, nicht ich, sondern ein Indianer hätte sich von hinten an dich angeschlichen, dann wäre deine Seele jetzt zermalmt, dein nicht mehr ganz so junges Blut würde in der Gegend herumspritzen, und deine krausen Locken würden am Gürtel eines Sioux baumeln. Hast du jetzt kapiert?«
Jepson hatte nicht kapiert.
»Nein«, sagte er prompt. »Bloß dass bei dir eine Schraube locker sein muss.«
Wieder lachte der Fremde. »Das war doch Shakespeare, mein Freund. Hamlet. Erster Aufzug. Ich bin nämlich ein gebildeter Mensch.«
Die Stimme und das Lächeln des Fremden waren so sympathisch, dass Jepson sich überhaupt nicht mehr auskannte und eine Mordswut bekam.
»Deine Blödheit ist ja schon strafbar«, fauchte er. »Schleicht sich von hinten an einen heran! Du bist wohl lebensmüde?«
»Mein Freund«, sagte der Fremde höflich, »dasselbe könnte ich dich fragen. Aber nicht hier. Gehen wir ans Feuer, dann frage ich euch gleich alle auf einmal.«
An dem Lächeln des Fremden änderte sich zwar nichts, aber Jepson spürte plötzlich einen Gewehrlauf in der Seite und musste wohl oder übel gehorchen.
Auf den Befehl des Fremden hin weckte er die anderen und warf einen Arm voll trockener Zweige in das Feuer.
Als sich die anderen mit verklebten Augen aus ihren Decken schälten, flackerten die Flammen auf, und Jepson sah das Gesicht des »gebildeten Menschen« zum erstenmal richtig.
Der Fremde war mittelgroß, schlank, schwarzhaarig wie ein Zigeuner und schlitzäugig wie ein Sioux. Er war ein weißer Mann, aber einer, wie Jepson und die anderen ihn nie gesehen hatten.
Trotz des fast schmächtigen Körperbaus waren die Schultern unnatürlich breit, die Arme lang wie bei einem Affen und muskulös. Die Hüften schmal wie die eines Texaners und die Beine so krumm wie die eines reinrassigen Crow oder Blackfoot. Bei der kleinsten Bewegung spannten sich alle Muskeln seines Körpers. Trotz der ungemein angenehmen Stimme, der Wärme seines Lächelns und der Gepflegtheit seiner Sprache, wirkte er irgendwie primitiv, fast animalisch.
Seine Hose, das Hemd und die Jacke waren aus Elchleder. Er trug Arapahoe Mokassins, um den Hals wie ein Cheyenne eine Kette aus Bärenklauen, auf dem Kopf eine Mütze aus Biberfell, die gut ihre fünfzig Dollar gekostet haben musste, und um die Taille einen so kunstvoll mit Perlen bestickten Gürtel, wie ihn nur die Sioux anfertigen konnten. Und mit Waffen ausgerüstet war er wie ein Häuptling: die letzte Ausführung einer 73er Winchester, ein gut fünfzehn Zentimeter langes Jagdmesser und ein Beil aus Sheffield Stahl. Seine Haltung war einwandfrei die eines Indianers.
Er stand breitbeinig da, die Fußspitzen leicht nach innen gekehrt. Der muskulöse Rücken, die breiten Schultern und die gewölbte Brust waren wie aus einem Guss. Er hielt den Kopf hoch erhoben. Die Adlernase und das energische Kinn unterstrichen den noblen, fast arroganten Zug auf dem Gesicht. Eine wirklich seltsame Erscheinung. Kraftvoll wie ein junges Tier und gleichzeitig freundlich, gutmütig und ein wenig scheu wirkend.
Dem finsteren, vorwurfsvollen Stieren der vier Felljäger begegnete der Fremde mit einem Grinsen, das blendend weiße, gesunde Zähne zeigte.
»Und jetzt, meine Freunde«, sagte er, »gibt es eine Nachhilfestunde. Es geht darum, warum weiße Männer an einem Steilhang ohne dichten Baumbestand in Tashunka Witkos Jagdrevier kein Feuer anzünden dürfen.«
»Und wer, zum Teufel«, sagte Big Anse, »ist dieser Tashunka Witko?«
»Crazy Horse«, sagte der dunkeläugige Scout. »Ein hinlänglich berühmter und berüchtigter Oglala, von dem ihr vielleicht schon einmal etwas gehört habt.«
»Jesus, Maria und Joseph!« entfuhr es Big Anse.
»Allmächtiger!«, sagte Caswell und riss die Augen auf. »Ist das nicht der größte Sioux, den es gibt. Außer Sitting Bull, natürlich.«
»Außer niemand«, sagte der Fremde. »Sitting Bull ist Politiker und Medizinmann. Er kämpft nicht. Crazy Horse ist der eigentliche Anführer, und ein fanatischer Weißenhasser namens Gall ist der Kriegshäuptling. Damit ist Sitting Bull Nummer drei auf der Liste.«
Jepson sah den Fremden mit unverhohlener Abneigung an. »Und wer bist du, dass du hier Vorträge hältst?«, fragte er.
»Kelly«, sagte der Fremde ruhig. »Luther S. Kelly.«
Nun rissen alle vier den Mund auf.
Der Fremde lächelte. »Ja, Yellowstone Kelly«, sagte er.
3
»Mann-oh-Mann!«, rief Big Anse. »Das ist doch nicht zu fassen. Das ist ja genauso, als würde einem Jesse James die Hand schütteln. Oder Jed Smith.«
Die anderen sagten nichts, weil sie kein Wort herausbrachten.
Kelly lächelte. »Und ihr seid die vier Felljäger aus Fort Buford, oder?«
»Richtig«, sagte Jepson. »Hast du was dagegen?«
»Nicht im geringsten«, sagte Kelly. »Aber erst einmal der versprochene Vortrag. Thema: Wie man frühzeitig Kahlköpfigkeit verhindert oder Die abrupte Trennung eines Narren von seinem Skalp im Siouxland oder...«
»Sehr komisch«, sagte MacDonald. »Wirklich sehr komisch. Wie wär's, wenn du endlich damit anfangen würdest? Wir wollen weiterschlafen.«
Kelly tat es, und als er fertig war, hatten die vier Männer folgendes begriffen:
Erstens: Sie hätten Fort Buford nie verlassen dürfen.
Zweitens: Sie hätten davor schon St. Louis nicht verlassen dürfen.
Drittens: Sie sollten auf der Stelle umkehren und beten, dass die Indianer ihre Spur nicht entdeckten.
Und viertens: Am Fluss angelangt, sollten sie im Schilf versteckt auf das nächste Flussboot warten und bis St. Louis nicht mehr aussteigen.
Nachdem er seine Rede gehalten hatte, trat Kelly einen Schritt zurück und wartete auf die Reaktion der vier Männer.
»Und wenn wir nicht umkehren?«, fragte MacDonald.
»Dann müsst ihr jeden Moment damit rechnen, dass euch die Felle, die ihr erbeutet, die Haare auf dem Kopf kosten. Verlasst dieses Gebiet, sonst geht es euch schlecht.«
Der Schotte mit den silbergrauen Haaren nickte. »Ich nehme an, du hast einen Grund, dass du uns sagst, wir sollen umkehren.«
»Allerdings«, sagte Kelly.
»Und der wäre?«
»Dass ich mich auskenne - was für euch übrigens von Vorteil sein könnte.«
»Inwiefern?«, fragte MacDonald.
Kelly zuckte mit den Schultern. »Im Moment stehen die Chancen neunundneunzig zu hundert gegen euch. Wenn ich mich mit euch zusammentue, stehen sie fünfzig zu fünfzig, und ihr könnt damit rechnen, im Frühjahr mit einer ordentlichen Ladung von Wolfspelzen wieder ins Tal zu ziehen.«
»So, so«, sagte MacDonald. »Und der Preis?«
»Das Fünftel, das mir sowieso zusteht, und jeweils zehn Prozent von jedem weiteren Fünftel.«
Die Forderung war akzeptabel. Luther Kelly war schließlich der erfahrenste Mann am Oberlauf des Missouri, und die vier Männer wussten, dass seine Dienste unbezahlbar waren. Trotzdem brachte Jepson einen Einwand vor.
»Moment, Mister«, sagte er. »Erst erzählst du uns, was alles passiert, wenn wir nicht umkehren, und dann bietest du uns deine Hilfe an, wenn wir bleiben. Ich kann es nicht leiden, wenn einer nach zwei Richtungen redet. Du sagst, du hast deinen Grund, dass du uns wamst, aber genannt hast du ihn nicht. Also raus mit der Sprache.«
Kelly verlagerte das Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Gern«, sagte er. »Zehn Meilen südlich von hier habe ich durch mein Fernglas gesehen, dass genau neununddreißig Hunkpapa Sioux eure breite Spur verfolgen. Sie werden von einem Häuptling angeführt, der von den Black Hills bis zu den Big Horns berühmt und berüchtigt ist.«
Jepson runzelte die Stirn.
»Von welchem Häuptling?«, fragte MacDonald.
»Vom schlimmsten, den ihr euch denken könnt«, sagte Kelly.
»Mann!« explodierte Caswell, der bisher keinen Ton von sich gegeben hatte. »Sag doch endlich den Namen.«
»Seinen Namen wollt ihr wissen?« Kelly lächelte mit der Gleichgültigkeit eines Menschen, für den die akute Gefahr zu einer Art Droge geworden ist. »Sein Name ist für den weißen Bruder so bitter wie sein Herz schwarz ist. Selbst bei einem Hunkpapa hinterlässt er einen schlechten Geschmack auf der Zunge. Die Sioux sprechen den Namen nicht aus, sie spucken ihn aus.«
Kelly schaltete eine Kunstpause ein und sah von einem zum andern. Caswell stand der Angstschweiß auf der Stirn. Wenigstens einer von den vier Idioten hatte also den Ernst der Situation begriffen. Wenn die anderen drei nicht augenblicklich nachzogen, waren sie tote Leute.
»Sein Name«, sagte er, »ist Gall.«
4
Die vier Felljäger zuckten zusammen, und Kelly war zufrieden. So ahnungslos waren sie also doch nicht. Gall, der Hunkpapa, war ihnen ein Begriff. Sitting Bulls Kriegshäuptling Nummer eins war von denen, die den Vertrag von Laramie verletzten, weitaus mehr gefürchtet als seine berühmteren Stammesbrüder. Gall war für Sitting Bull und die Hunkpapa das, was Crazy Horse für Red Cloud und die Oglala war. Sitting Bull und Red Cloud machten Schlagzeilen in den Zeitungen, aber Gall und Crazy Horse waren diejenigen, die Wagenzüge plünderten und Truppen überfielen. Wenn Crazy Horse zum Beispiel als Weißer geboren worden wäre, hätte er Kellys Meinung nach den besten Präsidenten abgegeben, den man sich denken konnte. Er wäre ein Oglala Lincoln gewesen, denn sein Streben nach Freiheit und die ergebene Liebe zu seinem Volk waren einmalig.
Gall war das krasse Gegenteil. Er war ein roter Guerilla, Anführer in der mörderischen, weißen Tradition eines Poole, Quantrill, Anderson und Jesse Woodson James. Die Liebe zu seinem Volk war nicht ergeben, sondern tierisch. Sein Streben nach Freiheit war Instinkt, nicht Ideal. Gall kämpfte nicht für seinen Stamm, sondern für sein persönliches Recht, sich zu nehmen, was er gerade wollte, und wenn es der Skalp einer weißen Siedlersfrau war.
Kelly kannte den berüchtigten Hunkpapa nicht aus eigener Erfahrung, zweifelte aber nicht einen Moment daran, dass sein schlechter Ruf zu Recht bestand. Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer, besagte das alte Sprichwort, und ein Mann in Kellys Mokassins konnte es sich nicht leisten, daran zu zweifeln.
Jetzt beobachtete Kelly geduldig und leicht amüsiert, wie die vier Männer die Köpfe zusammensteckten und berieten. Die misstrauischen Blicke, die ihn dabei flüchtig trafen, ließen ihn zwar kalt, aber sie wunderten ihn. Schließlich bekam er von Big Anse die Erklärung dafür.
»Diese verfluchten Dickschädel«, schimpfte der Riese. »Sie sträuben sich, weil du einer von diesen Irländern bist.«
»Was?« Kelly konnte nur lachen.
»Ja, einer von den Speichelleckern. Von den Arschkriechern.«
»Moment einmal, Mister«, sagte Kelly, immer noch lachend. »Sollen dies vielleicht Beleidigungen sein? Wenn ja, dann vergeudest du deine Zeit. Ich bin andere Ausdrücke gewöhnt. Lass dich erst einmal von einer Ree oder Mandan oder einer Gros Ventre Squaw beschimpfen, wenn du mitreden können willst. Sag deinen Freunden, dass sie endlich zu einem Entschluss kommen und meine Herkunft in Frieden lassen sollen.«
»Darum geht es doch gar nicht, Kelly«, sagte Big Anse mit unglücklichem Gesicht. »Es geht nicht um deine Herkunft, sondern um deine Religion.«
»Meine was?« Kelly ging langsam die Geduld aus.
»Weil du eben katholisch bist«, sagte Big Anse. »Mir persönlich ist das egal, obwohl ich den Papst auch nicht leiden kann. Aber Jepson und MacDonald sind verbissene Freimaurer, und Caswell ist überzeugter Baptist und - verdammt, Kelly, du weißt doch selber, wie es ist.«
Natürlich wusste Kelly selber, wie es war, aber schon lange hatte er nichts mehr mit den sturen Vorurteilen zu tun gehabt, auf denen die Siedler mit so viel Ausdauer herumritten. Er hatte nicht das geringste Verständnis dafür.
»Jetzt hört mir einmal gut zu«, sagte er, und auf seinem Gesicht war nicht mehr die Spur eines Lächelns. »Meine Religion ist euch also wichtiger als meine beruflichen Fähigkeiten. Mir scheint, ich muss euch so manches erklären. Erstens: In meiner Familie hat nie jemand unter Betsucht und den damit verbundenen Schwielen an den Knien gelitten. Zweitens: Wir stammen aus Nordirland. Der erste, der aus meiner Familie 1638 nach Amerika ausgewandert ist, war John Kelly, Kapitän zur See, charakterlich einwandfrei und Anhänger der Episkopalkirche. Ich für meine Person halte nichts von den verschiedenen Kirchen und gehe auch in keine. Trotzdem bin ich ein gläubiger Mensch und Anhänger des Christentums. Ich bin überzeugt davon, dass es einen Gott gibt, und hoffe, ihm eines Tages zu begegnen. Und schließlich zu drittens: Jeder hat das Recht, zu glauben, was er will. Ich respektiere den Großen Geist der Sioux genauso wie ich den Heiligen Geist der katholischen Kirche oder den Himmlischen Vater der Protestanten respektiere. Schlussfolgerung: Ich gebe euch jetzt noch genau fünf Minuten Zeit, euren Quatsch mit dem Papst zu beenden und euch zu entscheiden, ob ihr mein Angebot annehmen oder ablehnen wollt - Amen!«
Sie brauchten keine fünf Minuten dazu. Kelly wurde zum Partner der Firma gemacht, und es wurden ihm seine zehn Prozent zugesprochen.
Jeder kam zu Wort und jeder wollte erst einmal auf der Stelle umkehren, doch dann konnte Kelly sie davon überzeugen, dass ihnen von Seiten der Sioux keine ernstliche Gefahr drohe, wenn sie sich seinen strikten Anweisungen beugen würden. Dass es jedoch zu Auseinandersetzungen mit den Indianern kommen würde, ließ Kelly nicht außer Zweifel.
»Mit diesen wilden Kerlen verhält es sich wie mit Wildpferden, die zugeritten werden sollen«, erklärte Kelly. »Man weiß, was einen erwartet, man weiß aber nicht, wann es kommt. Vorbereitet darauf ist man aber. Ich bin schon manchen lieblichen Sommer und manchen harten Winter durch ihr Gebiet gezogen, und das immer allein. Überfallen worden bin ich nur ein einziges Mal, und das mit achtzehn. Später haben mich mein leichter Schlaf und meine Zielsicherheit vor derlei Ärger bewahrt.«
»Und wie war das damals?«, fragte Big Anse sofort.
Kelly lachte. »Ich war neu hier und hatte von nichts eine Ahnung«, sagte er. »Sie waren zu zweit. Broken Back und Shuffling Bear, beide Ogalala und beide miese Typen. Es war in der Nähe von Red Mike Welchs Farm, zwölf Meilen von Fort Stevenson entfernt. Ich sollte damals die günstigste Postroute zwischen Fort Stevenson und Fort Buford ausfindig machen. Wie dem auch sei, einer von den beiden, ich glaube Broken Back war es, hatte ein erstklassiges englisches Jagdgewehr. Der andere hatte kein Gewehr, war aber der geschickteste Typ mit Pfeil und Bogen, der mir je begegnet ist. Er pflanzte mir einen breitspitzigen Buffalopfeil ins Knie, bevor ich mich von meinem Pferd werfen und meine Artillerie in Aktion bringen konnte. Ich hatte damals einen nagelneuen Henry Repetierer, der mich ganze fünfundfünfzig Dollar gekostet hatte. Man überlege sich - fünfundfünfzig Dollar!«
»Mann!«, rief Big Anse mit kindlicher Ungeduld. »Was ist anschließend passiert?«
»Verzeihung, Anse«, sagte Kelly. »Ich wusste nicht, dass es dir pressiert. Nach dem ersten Pfeil verfehlten sie ihr Ziel.« »Und?«
»Und ich nicht.«
»Ach so«, sagte Big Anse, und damit war die Besprechung zur Gründung der neuen Judith Basin Pelzjäger Vereinigung Jepson, Harper, Caswell, MacDonald, Kelly & Co. beendet.
Dass nicht mehr Zeit darauf verschwendet wurde, war insofern von Vorteil, als die Firma sehr kurzlebig war. Sie existierte bloß knappe achtundvierzig Stunden lang.
5
Am nächsten Morgen brachen die Männer Richtung Judith Mountain auf, wo nach Kellys Erfahrung ideale Bedingungen für die Wolfsjagd herrschten. Gegen elf Uhr waren die paar Meilen geschafft, und es wurde Halt gemacht. Kaffee wurde gekocht und dann das Gelände nach einem günstigen Platz für ein festes Camp abgesucht.
Es sollte aus einer mit Schießscharten ausgerüsteten Blockhütte bestehen, mit einem Anbau für die Zubereitung der Mahlzeiten und die Aufbewahrung der Felle. Der Esel, in Montana geboren und aufgezogen, sollte sich wie jedes Sioux- oder Cheyenne-Packtier sein Futter und seinen Schutz vor der eisigen Kälte, die jeden Tag kommen musste, selber suchen.
Gegen Mittag hatte Kelly die ideale Stelle gefunden: eine kleine, ungefähr zehn Meter tief liegende Schlucht mit bewachsenen Wänden und einer kleinen Wiese auf dem Grund. Am Rande der Wiese eine Quelle, aus der selbst in dieser trockenen Jahreszeit Wasser sprudelte, das durch einen schmalen Spalt aus dem Berg floss.
Die Laune der Abenteurer stieg sofort. Und als dann Kelly jedem seiner neuen Freunde noch einen von seinen salzigen Pfannkuchen buk, die von Fort Berthold bis zu den Three
Forks berühmt waren, war die Freude groß.
Und zum Abendessen, versprach er, würde es frisches Fleisch geben.
Da den ganzen Morgen über nichts passiert war, war anzunehmen, dass die Indianer ihre Verfolgungsjagd aufgegeben und sich anderen Zielen zugewendet hatten. Sobald sich Kelly von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugt haben würde, würde er ein Stück Wild erlegen.
Vorher aber wollte er noch den Plan für das Winterquartier festlegen, denn dann konnten sich die anderen einstweilen ans Bäumefällen machen, solange er jagte. Die Zedernstämme für die Blockhütte müssten mindestens dreißig Zentimeter dick sein, erklärte Kelly den Männern. Für den Anbau reichten Fichten- oder Föhrenstämme vom halben Durchmesser.
Jepson und die anderen ärgerten sich nicht eine Sekunde, dass Kelly bereits die Führung übernommen hatte und Befehle ausgab. Im Gegenteil, sie waren froh, dass ihnen alle Entscheidungen abgenommen wurden und sie sich an die Arbeit machen konnten.
Dieser Yellowstone Kelly hatte eine Ausstrahlung, die einem einfach Sicherheit gab. Seine Kenntnis der Gegend und der Tiere, die hier lebten, war erstaunlich. Und die Sprunghaftigkeit in dem, was er sagte, war zugleich interessant und amüsant. Von Shakespeare über Edgar Allan Poe und Sir Walter Scott bis zu den Erfahrenswerten des Mannes, der das Missourigebiet wie seine Westentasche kannte - die vier Männer hörten ihm gerne und aufmerksam zu.
Kelly gehörte zu den Menschen, die in anderen Interesse aufleben lassen konnten. Außerdem besaß er das Talent, Gefühle zu wecken, von der Freude bis zur nackten Angst. Er war ein echter Kelte, ein Mann, der weder Gott noch den Teufel fürchtete, aber beide respektierte. Er war bescheiden und glücklich und genauso einsam, frei und sauber wie der ruhelose Wind, der über die Ebenen des Westens fegte. Wer Kelly begegnete, spürte sofort seine starke und gleichzeitig zärtliche Liebe zu diesem wilden Land und war bereit, ihm zu folgen.
Seine neuen Gefährten machten sich also mit Lust an die Arbeit und schwangen die Axt, während Kelly den Grundriss der Blockhütte absteckte und dabei fröhlich vor sich hin pfiff.
Er für seinen Teil war auch zufrieden mit seinen neuen Freunden.
Gut, dieser Jepson war ein schwerfälliger und etwas einfältiger Geselle, und Caswell war offensichtlich feige bis in die Knochen, aber MacDonald schien ein prima Haus zu sein und Big Anse Harper so hilfsbereit und gutmütig wie Robinsons Diener Freitag.
Für einen Einzelgänger wie ihn, der selbst in einer Gesellschaft von Abenteurern, die auf nichts so großen Wert legten wie auf ihre Unabhängigkeit, als Eigenbrötler galt und der von den Indianern Lone Wolf genannt wurde, war die Aussicht auf einen Winter mit Freunden zusammen mehr als erfreulich. Obwohl Kelly erst sechsundzwanzig war, hatte er schon sieben Winter hinter sich, die er einsam und allein durchwandert hatte, und wollte keinen achten hinzufügen.
Beim Gedanken an den Zufall, der ihn hierhergeführt hatte, runzelte Kelly nachdenklich die Stirn.
Auf seinem Weg zu einem der Flussposten hatte er kurz bei dem alten Reed reingeschaut und zufällig erfahren, dass vor kurzem vier Trapper in die Judith Mountains auf gebrochen waren. Sofort hatte ihn die Lust überkommen, mit den Männern zu ziehen. Und als er dann aus reiner Gewohnheit mit seinem Fernglas die Gegend abgesucht und gesehen hatte, wie Galls Trupp angehalten und mit dem alten Reed palavert hatte, war sein Entschluss schon halb gefasst gewesen, als Gall plötzlich der Spur gefolgt war, der er selbst folgte - nämlich der der vier ahnungslosen Narren von Fort Buford.
Anschließend war es eigentlich nur noch seine Pflicht als guter Christ gewesen, die Männer zu warnen. Jeder hätte so gehandelt.
Grinsend trieb Kelly den letzten Markierungspflock in den Boden. Warum machte er sich eigentlich selbst etwas vor? Christenpflicht und Nächstenliebe - alles lahme Entschuldigungen. Er war hier oben, weil er genau wie damals, als er mit fünfzehn von Zuhause weggelaufen und zur Union Army gegangen war, immer noch nach den zwei Dingen suchte, ohne die er nicht leben konnte: nach Freiheit und Abenteuer.
Das wilde, freie Land schneebedeckter Berge, die dunklen, bewaldeten Abhänge, die sich windenden Täler mit den kristallklaren Flüssen und die endlosen Weiten mit dem goldenen Buffalogras waren das Opium in Luther Kellys Leben. Er brauchte die uneingeschränkte Freiheit, durch dieses jungfräuliche Land streifen zu können. Die Freiheit und das damit verbundene prickelnde Gefühl von Gefahr und Tod.
Wer das Leben kennen und begreifen wollte, musste wissen, was der Tod bedeutete. Er musste ihm ins Auge geblickt haben, und das hatte Kelly in den letzten neun Jahren oft genug getan.
Nicht neun Jahre, sondern genau neun Minuten später wurde er wieder dazu gezwungen.
6
Der weiße Scout erstarrte. Hier stand er am Rand der kleinen Wiese wie ein Rehbock auf einer Lichtung, und hielt die Luft an. Hatten ihn die Sioux gesehen oder nicht?
Er hörte ihre tiefen Stimmen und sah ihre Gesten, wie sie erst miteinander in ihrem Dialekt und dann auf Englisch mit den vier weißen Trappern sprachen. Nach wenigen Sekunden wusste Kelly Bescheid.
Die Indianer hatten ihn zwar nicht gesehen, aber sie suchten ihn.
Wo der einsame Wolf sei, fragte Gall die vier ängstlichen Männer. Der weiße Bruder, den man Yellowstone Kelly nannte?
Die vier Männer schwiegen.
Sie sollten nicht wagen, mit falschen Zungen zu reden, drohte Gall. Er wisse, dass Kelly zu ihnen gestoßen sei und habe es außerdem eilig. Er brauche den Scout dringend.
Die vier Männer standen wie Elendsfiguren neben ihrem Feuer. Jeder wollte zu Kelly halten, aber keiner hatte den Mut dazu. Als die Indianer plötzlich auf getaucht waren, hatten sie die Waffen zwar an sich gerissen, aber keine Zeit gehabt, auch nur einen Schuss abzugeben. Und jetzt wagten sie es nicht mehr. Sie saßen in der Falle.
Kelly war nicht weiter erstaunt, als Jepson in seine Richtung deutete. Er nahm es dem Mann auch nicht übel. Was hätte er sonst tun sollen?
»Da drüben ist er«, sagte Jepson. »In der Schlucht.«
»Sayapi, Red Paint!«, rief Gall, und ein junger Mann ritt aus dem Kreis der Krieger und blieb vor dem Häuptling stehen. »Nimm ein Dutzend Männer mit«, befahl Gall auf Hunkpapa, »und bring mir den einsamen Wolf.«
Der junge Mann tippte mit den Fingerspitzen der linken Hand an die Stirn, um dem Häuptling seinen tiefen Respekt zu zeigen, und riss sein Pferd herum.
»Sayapi!«, rief Gall hinter ihm her. »Nicht ein Schuss wird fallen, verstanden? Lone Wolf wird keinen Widerstand leisten. Wir haben seine Freunde, und er ist ein Ehrenmann. Sag ihm, dass Gall ihn sprechen will.«
»Hau«, entgegnete der junge Mann. »Meine Ohren sind unbedeckt. Ich habe dich gehört.« Er machte eine weite Handbewegung, und zwölf Männer lösten sich aus dem Kreis und preschten hinter ihm her.
Zum hundertsten Male war Kelly somit Zeuge, dass die Indianer das gesprochene Wort nicht brauchten, sondern sich perfekt durch Gesten verständigen konnten, hatte aber im Moment keine Zeit, den Instinkt seiner roten Brüder zu bewundern, sondern war mit sich selbst und seiner Strategie beschäftigt.
Während Gall seine Befehle ausgegeben hatte, hatte sich Kelly lautlos im Halbkreis um den Ort des Geschehens geschlichen und befand sich jetzt keine zehn Meter von der Feuerstelle entfernt im Dickicht. In der unnatürlichen Stille, die dem Aufbruch der dreizehn Krieger folgte, war das metallische Klicken, das beim Spannen seiner Winchester entstand, gespenstisch laut.
Kelly trat hinter den roten Besuchern aus dem Dickicht.
»Hohahe!«, rief er in der Sprache der Sioux. »Willkommen an meinem Feuer.«
Gall blieb völlig bewegungslos.
Auch von seinen Männern rührte sich nicht einer. Sie saßen wie die Ölgötzen auf ihren kleinen, dickbäuchigen Pferden. Nicht ein Auge zuckte nervös.
Die dreizehn Krieger reagierten genauso weise. Von der einen Sekunde zur anderen standen ihre Pferde. Nicht einer drehte sich um. Bis auf den jungen Anführer.
Red Paint war wütend.
Kelly, dieser weiße sunke, dieser dunkelhäutige Wasicum-Hund, hatte vor den anderen einen Trottel aus ihm gemacht. Er hatte ihn durch seine Hinterlist und durch die spöttische Bemerkung persönlich beleidigt.
Der junge Krieger riss sein Pferd herum und brachte gleichzeitig seinen Karabiner in Anschlag.
Aber Kelly ließ sich die Schau nicht verderben. Er brauchte bloß den federleichten Abzug seiner Winchester zu berühren, und der Schuss saß.
Hätte Kelly das Ziel verfehlt und den Indianer verwundet oder gar getötet, so hätten er und seine vier Freunde keine dreißig Sekunden mehr gelebt. Aber er hatte sein Ziel nicht verfehlt. Der Karabiner des jungen Indianers flog mit zersplittertem Schaft und zerbeultem Abzugsbügel zu Boden.
Die Indianer trauten ihren Augen nicht. Nur ein Mann von Lone Wolfs Mut konnte einen solchen Schuss wagen. Seine Medizin war immer noch die stärkste, seine magische Kraft, zu verletzen, die größte und sein Selbsterhaltungstrieb der beste. Nicht nur, dass niemand so einen Schuss gewagt hätte, niemand hätte mit dieser Präzision getroffen. Kein Wunder, dass Crazy Horse ihn The-Little-Man-With-The-Big-Heart nannte.
Sogar Gall war beeindruckt.
»Hopa, hopa! Phantastisch!«, rief der große Häuptling. »Lone Wolf hat ein Auge wie Wanbli K'leska, der gefleckte Adler.«
»Wowicake, du sprichst Wahres«, sagte einer der beiden Männer direkt neben dem Sioux-Häuptling. Er unterschied sich von seinen Stammesbrüdern durch einen beachtlichen Bauch. »Aber Lone Wolf war im Vorteil und besitzt die stärkere Waffe.«
»Ha-a-u«, sagte Kelly, bevor Gall antworten konnte. »Owotanla! Die Zunge von Frog Belly ist gerade wie immer.«
Kelly hatte den Sioux vor Jahren einmal gesehen und erinnerte sich an ihn. Der Durchschnittsindianer war eitel, und Frog Belly war ein Durchschnittsindianer. Seinen Namen von einem weißen Mann von Kellys Kaliber ausgesprochen zu hören, entlockte ihm ein fast kindliches Strahlen.
Gall jedoch blieb finster.
»Heb dein Gewehr auf!«, befahl er Red Paint. »Und du, Lone Wolf, reitest vor mir her. Steig auf den Esel. Du musst für uns arbeiten, und das schnell. Verstanden?«
»Arbeiten?«, wiederholte Kelly erstaunt. »Dann seid ihr also nicht den vier Männern hier gefolgt, sondern mir?«
»Dir sind wir gefolgt, Lone Wolf. Steig auf den Esel. Wir reiten zurück nach Süden in unser Camp. Hopo, Hookahey.«
Kelly wusste, dass er gehorchen musste. Es gab genau zwei Möglichkeiten: zu tun, was von ihm gefordert wurde und sich anschließend erschießen zu lassen, oder sich weigern und sich gleich erschießen zu lassen.
Er entschuldigte sich mit kurzen Worten bei seinen neuen Geschäftspartnern. »Tut mir leid, Freunde«, sagte er. »Diesmal habe ich mich geirrt. Sie waren nicht hinter euch her, sondern hinter mir, und ich habe sie euch auf den Hals gehetzt. Ich werde mein Bestes tun, sie euch jetzt wieder vom Hals zu schaffen. Und etwas noch: kommt bloß nicht auf die Idee, weglaufen zu wollen. Bleibt, wo ihr seid. Macht's gut. Ich glaube nicht, dass wir uns je Wiedersehen. Und falls doch, dann bin ich bestimmt kein erfreulicher Anblick. Alles Gute...«
»Aufsteigen«, sagte Gall mit tonloser Stimme. »Ich bitte dich nicht noch einmal.«
»Brauchst du auch nicht, mein Freund«, sagte Kelly und schwang sich grinsend auf das knochige Tier. »Für einen Wasicum begreife ich erstaunlich schnell. Hopo! Machen wir uns auf den Weg.«
Jepson, mit seinem Spatzenhirn, hatte die Bemerkung mit dem sicherlich nicht erfreulichen Anblick natürlich nicht begriffen und kam sich verlassen und betrogen vor.
»Kelly!«, rief er hinter dem Scout her. »Du kannst uns doch nicht einfach im Stich lassen. Was soll denn jetzt aus uns werden?«
Luther Kelly drehte sich noch einmal um und lachte. »Das kann ich euch auch nicht sagen«, rief er. »Aber ihr könnt eurem Schöpfer danken, dass ihr nicht in meiner Haut steckt.«
7
Kein Lüftchen regte sich. Nichts rührte sich. Sogar die Vögel schwiegen.
»Du weißt sicher«, sagte Gall in die sonnenüberflutete Stille hinein, »dass du stirbst, wenn du keinen Erfolg hast.«
»Natürlich«, sagte Kelly. »Für Misserfolg hat es noch nie eine Belohnung gegeben.«
Der weiße Scout wusste nicht, ob der Häuptling lediglich seine Nerven testen wollte oder ob die Bemerkung ernst gemeint war. Die Gedanken der Indianer waren nicht zu erraten. Ihre Reaktionen erst recht nicht.
In den acht gefährlichen Jahren am Yellowstone hatte Kelly gelernt, wie man mit den Sioux und ihren noch unberechenbareren Vettern, den Cheyenne, umzugehen hatte, wenn man am Leben bleiben wollte. Das Gesetz Nummer eins war, man durfte keine Angst zeigen. Gelang einem das nicht, war man unrettbar verloren.
Aber den Trick zu kennen und ihn auch anwenden zu können, das waren zwei völlig getrennte Dinge.
Gall hatte Kelly inzwischen erklärt, was von ihm erwartet wurde.
Er hatte mit seinen Kriegern eine Weide der Crows überfallen und dabei eine stattliche Anzahl von Pferden erbeutet. Im letzten Moment war ein halbes Dutzend Crows dazwischengekommen, und es hatte eine kleine Schießerei gegeben. Resultat: fünf Crows tot und einer verwundet.
Einen lebenden Zeugen zurückzulassen, wäre unklug gewesen. Außerdem wurde es als Bravourstück angesehen, wenn es einem gelang, einen gefangenen Crow mit nach Hause zu bringen.
Dass es sich in diesem Fall um ein ganz spezielles Bravourstück handelte, konnte Kelly in diesem Augenblick noch nicht ahnen.
Die drei Tage harten Reitens, um den Verfolgern zu entkommen, waren dem verletzten Knie des Gefangenen schlecht bekommen. Sehr schlecht sogar. Die Wunde musste behandelt werden, sonst starb der Gefangene, und das wollte Gall vermeiden. Der Gefangene sollte lange leben. Gall hatte seine ganz persönlichen Gründe dafür, aber die gingen Kelly nichts an.
Der Hunkpapa hatte bei dem alten Reed nach einer Medizin gefragt, die das Knie des Gefangenen heilen würde, und erfahren, dass Lone Wolf vor ein paar Stunden in die Berge aufgebrochen sei. Er hatte sofort seine Spur verfolgt.
Warum? Das müsste Lone Wolf doch selbst wissen. Wenn jemand in der Lage war, das Gift aus der Wunde zu ziehen, dann er. Falsche Bescheidenheit sei fehl am Platz. Gall wisse schon lange von Lone Wolfs Heilkraft. Er hoffe nur für alle Beteiligten, dass sie noch so wirksam war wie eh und je.
Kurz vor Ankunft im Camp der Indianer machte Kelly einen letzten Versuch, die Situation zu klären.
»Mir ist bloß eines nicht klar, mein Bruder«, sagte er zu Gall, »woher weißt du, dass ich Heilkräfte besitze? Ich habe mir immer eingebildet, dass ich es niemand verraten habe.«
Zu behaupten, er besitze nicht die Wunderkraft, die man ihm andichtete, wäre Wahnsinn gewesen, und dieser Wahnsinn hätte ihm die schulterlangen Haare gekostet.
Der Hunkpapa Häuptling sah ihn an. »Du erinnerst dich also nicht?«, fragte er.
Kelly schüttelte den Kopf. Das Gesicht des Mannes war ihm zwar vom ersten Moment an bekannt vorgekommen, aber mehr auch nicht.
»Es ist lange her«, sagte Gall. »Viele, viele Jahre, im Camp der Pemmikanmacher am Red River.«
Jetzt fiel es Kelly wie Schuppen von den Augen. »Natürlich!«, rief er. »Mit Sitting Bull zusammen. Wie habe ich das vergessen können?«
»Ich war damals noch sehr jung und ein ganz einfacher Krieger«, sagte Gall. »Ich saß in der letzten Reihe von Tatankas Kriegern. Du hast mich nicht gesehen, aber ich habe dich gesehen. Du warst damals noch fast ein Knabe und hattest große Angst. Du hast gedacht, dass wir dich töten. Erinnerst du dich?«
Und ob sich Kelly erinnerte. Sieben ganze Jahre war es her. Er hatte gerade seine drei Jahre bei der Union Infanterie hinter sich gebracht und war mit einer Bande von Mischblut Büffeljägern von Kanada aus in Richtung Westen gezogen. Sie waren die Pemmikanmacher vom Red River gewesen, von denen Gall gesprochen hatte.
Die Büffeljäger, die streng genommen von den Sioux abstammten, hatten ihm geraten, sich genauso zu kleiden wie sie, damit er bei eventuellem Zusammentreffen mit Indianern nicht als Weißer auffallen würde, aber das scharfe Auge Tatanka Yotankas hatte sich nicht täuschen lassen.
Nur die schnelle Reaktion eines alten Halbbluts hatte Kelly das Leben gerettet. Der Enkel des Alten hatte sich ein paar Wochen vorher den Arm gebrochen, und Kelly - der während seiner drei Jahre Militärzeit neunzig Tage im Lazarett gedient hatte - hatte dem Kind den Arm geschient.
Man hatte Sitting Bull das Kind vorgeführt und Kellys Wunderkräfte gepriesen. Der Häuptling war beeindruckt gewesen und hatte dem leichenblassen jungen Kelly befohlen, ihn von einem Furunkel am Hals zu befreien, was Kelly getan hatte.
Seit jenem Tag trug Kelly zur Vorsicht immer seine Standardausrüstung bei sich: Lanzette, Pinzette, einen Satz Sonden, eine Spritze, eine Rolle Katzendarmfaden, ein Fläschchen Karboltinktur und mit Kampfer versetztes Opium, das noch aus Armeebeständen stammte. Das Ganze befand sich in einem Lederbeutel, der nicht größer war als seine Hand, und immer in seinem Gürtel steckte.
8
Die Pferde verfielen in Schritt.
Kelly biss die Zähne zusammen. In wenigen Momenten sollte er seine chirurgischen Fähigkeiten unter Voraussetzungen beweisen, die wohl keinem Arzt Spaß gemacht hätten - sein eigenes Leben hing vom Leben des Patienten ab.
Dieses Indianerverfahren, dachte Kelly, auf die moderne Medizin angewandt, würde vielleicht zu großem Fortschritt führen. Oder wenigstens zu höchster Vorsicht.
Der Gedanke amüsierte Kelly, und er lachte laut auf.
Gall sah ihn erstaunt an. »Ich kann mich nicht daran erinnern, dass die Situation damals besonders lustig war«, sagte er. »Höchstens die Tatsache, dass du Sitting Bull mit deinem kleinen Messer in den Nacken geschnitten hast.«
Auch das hatte Kelly nicht als lustig empfunden, er lachte aber trotzdem schnell noch einmal.
»Genau!«, sagte er. »Ich habe eben daran denken müssen, was für eine Heidenangst ich hatte. Erst, weil ich glaubte, dass jetzt alles aus ist, und dann, weil ich Sitting Bull kurieren sollte. Erinnerst du dich daran, wie es war? In einem großen Kreis um mich herum die Krieger, die Gewehre auf mich gerichtet. Sie hatten den Befehl, auf mich zu schießen, wenn der Häuptling bei der Operation auch nur den kleinsten Laut von sich geben sollte. Du hast recht, das war wirklich recht lustig.«
»Ich bin froh, dass du so denkst«, sagte Gall.
»Wieso, mein Bruder?«
»Weil du bald die Gelegenheit haben wirst, die gleiche Situation zu erleben. Genau die gleiche.«
»Wie bitte?«
Der Sioux-Häuptling sah Kelly volle zehn Sekunden an. »Genau wie damals«, sagte er dann ruhig, »wirst du in einem Kreis von Gewehrläufen stehen, wenn du dein kleines Messer ansetzt.«
Sie waren inzwischen in dem Camp angekommen, dessen Anlage sich Kelly mit einem schnellen Blick eingeprägt hatte. Da es sich um ein Kriegscamp handelte, sah man weder Hütten noch Packtiere. In der Mitte, offensichtlich extra für den Verwundeten errichtet, ein aus Farnwedeln geflochtenes Dach auf vier Pfosten. Die Seitenwände bildeten vier purpurrote Wolldecken.
Kelly konnte nur hoffen, dass der Indianer, den sie hier gefangen hielten, in einem noch heilbaren Zustand war. Wenn nicht -
Der Teufel soll diese roten Hunde holen, dachte Kelly. Ganz gleich, wie die Sache ausgeht, jetzt gebe erst ich einmal den Ton an.
Er rutschte von seinem Esel und trat schnell zwischen Gall und die Hütte. »Ich gehe allein rein«, sagte er, »oder gar nicht.«
Galls Gesicht umwölkte sich. »Warum sagst du das?«, fragte er.
»Weil meine Medizin nur wirkt, wenn ich den Kranken erst allein sehe.«
»Das glaube ich dir nicht.«
Kelly zuckte mit den Schultern. »Es ist mir egal, was du glaubst. Meine große Medizin wird nicht wirken, wenn man mich beobachtet.«
»Bei Tatanka hat sie auch gewirkt, und es haben hundertsiebzig Krieger zugesehen.«
»Das war anders.«
»Wieso?«
»Weil die Luft rein war. Kein böser Geist schwebte über allem.«
Kelly musste Zeit gewinnen und eine Fluchtmöglichkeit finden, falls dem Verwundeten nicht mehr geholfen werden konnte. Da er die Ängste und den Aberglauben der Indianer nur zu gut kannte, spielte er seinen letzten Trumpf aus.
»Ich rieche den Tod in diesem Camp«, sagte er.
Der Häuptling fuhr zurück, als habe ihn der Teufel persönlich angesprungen. Die Krieger, die Kellys Bemerkung gehört hatten, verzogen sich hinter ihren Anführer.
»Geh hinein«, sagte Gall schließlich. »Aber vergiss nicht, dass hier draußen die Gewehre auf dich warten.«
Kelly nickte und schob eine der Decken zur Seite.
In der nächsten Sekunde wurde er blass, denn jetzt roch er den Tod wirklich. Wer einmal den süßlichen Gestank faulenden Menschenfleisches gerochen hatte, würde sich immer daran erinnern. Noch bevor er die Wolfsdecke von dem Verwundeten zog, wusste er, was er vorfinden würde: Wundbrand. Der verwundete Gefangene war bereits vom Tod gezeichnet. Und mit ihm Luther S. Kelly.
Das war jedoch erst der erste Schock für den weißen Scout an diesem sonnigen Herbstnachmittag.
Der zweite kam einen Moment später, als er die Hand auf die fiebrige Stirn des Patienten hielt. Ein flüchtiges Lächeln ging über das gequälte Gesicht.
»Hohahe«, sagte eine Stimme, die so weich war wie der erste Schnee. »Ich bin froh, dass du gekommen bist. Ich habe auf dich gewartet.«
Kelly brachte keinen Ton heraus.
Galls Gefangener war eine Frau. Eine sehr junge und seltsam schöne Frau.
Zweites Buch: CROW-GIRL-LICHTUNG
9
Kelly wusste, dass das Mädchen nicht mehr zu retten war.
»Alles wird wieder gut«, sagte er und legte ihr die Hand auf die Stirn. »Wehre dich nicht und hab keine Angst. Ich lasse dich ins Freie tragen. Das saubere Licht der Sonne wird mir helfen, dein Bein zu sehen. Ich bin gekommen, um dich wieder gesund zu machen. Glaubst du es mir?«
»Ich glaube es dir, Wasicum«, sagte das Mädchen und presste die glühende Stirn an seine kühlende Handfläche.
»Und ist dein Herz mir gut, Crow Girl?«, fragte Kelly.
»Ja, mein Herz ist dir gut, Lone Wolf.«
Kelly zog die Hand zurück und spürte die Tränen auf den braunen Wangen.
Mit angespanntem Gesicht trat Kelly vor die Hütte und gab seine Anordnungen. Die Krieger gehorchten nicht sofort, sondern warteten erst auf das Einverständnis ihres Häuptlings.
»Tut, was Lone Wolf sagt!«, befahl dieser mit so drohender Stimme, dass die Krieger zusammenfuhren.
Kurz darauf wurde das Crow Mädchen aus der Hütte getragen.
»Legt sie auf diesen sauberen Stein«, befahl Kelly und deutete auf eine vom Regen weiß gewaschene Felsplatte neben der Quelle, in deren nächster Nähe die Indianer ihr Camp aufgeschlagen hatten.
»Schneidet mir vier Zedernpflöcke«, befahl Kelly als nächstes. »Sie müssen lang sein und an einem Ende zugespitzt. Ihr müsst sie an den vier Ecken des Steins in den Boden treiben. Außerdem brauche ich vier gut gefettete Lederriemen. Alte Riemen, die weich und geschmeidig sind, aber trotzdem noch halten. Hopo! Hopo!«
»Was hast du vor?«, fragte Gall mit steinernem Gesicht, während sich die Krieger mit finsteren Mienen an die Ausführung von Kellys Befehlen machten. »Willst du sie hier draußen in der Sonne anbinden wie einen räudigen Hund?«
»Ich muss sie anbinden«, sagte Kelly ruhig. »Wenn ich mein kleines Messer ansetze, kann das leichteste Zucken eine Frage von Leben und Tod sein. Das Mädchen darf sich nicht bewegen.« Kelly sah dem Häuptling fest in die Augen. »Vor allem dann nicht, wenn derjenige, der das kleine Messer führt, von neununddreißig Hunkpapa-Gewehren bedroht ist.«
Als die Krieger das Mädchen auf den nackten Stein legten, wurde Gall dunkelrot vor Wut.
»Idioten!«, schrie er. »Holt eine Decke und legt sie vorsichtig darauf. Sie ist doch kein Sack Hafer.«
»Keine Decke!«, befahl Kelly ruhig. »Der Stein ist sauber, und so will ich es.«
Gall fuhr mit glühenden Augen zu ihm herum.
Red Paint war mit einem Sprung neben dem Häuptling und zog das Messer. Die übrigen Krieger legten die Gewehre an. Ihre Lippen wurden schmal.
»Was sagst du?«, fragte Gall zischend.
»Dass dem Mädchen keine Decke untergelegt wird«, antwortete Kelly ruhig, und die Stille, die seinen Worten folgte, wurde immer intensiver.
Red Paint war der erste, der die Nerven verlor. Mit einem Satz stand er neben den Kriegern an der Felsplatte.
»Gebt sie her!«, schrie er und entriss das fiebrige Mädchen den Männern. Mit wildem und zugleich zärtlichem Ungeschick presste er es an die breite Brust.
»Los, holt endlich die Decke!«, befahl er. »Hookahey!«
Der weiße Scout blieb völlig ruhig. Er hob nicht einmal die Stimme. »Es wird viel Blut geben, meine Brüder«, sagte er. »Und wir werden viel sauberes Wasser brauchen, um es wegzuwaschen. Ich bestehe darauf, dass das Mädchen nicht auf eine Decke gelegt wird, sondern auf den nackten Stein. Unter ihr der nackte Stein, über ihr die Sonne. Hört, meine Brüder. Ich werde nur dann mein kleines Messer einsetzen, wenn man mir auf der Stelle gehorcht.«
Die Worte waren zwar an die Krieger gerichtet gewesen, galten aber Gall.
Es folgte bedrückende Stille. Red Paint hielt das Mädchen an sich gepresst, und Gall sah von ihm zu Kelly. Schließlich beugte der Häuptling den Kopf und machte ein Zeichen mit der linken Hand.
»Binde sie an, wie es Lone Wolf befohlen hat«, sagte er zu Red Paint.
Im ersten Moment sah es so aus, als wollte sich der junge Mann dem Befehl des Häuptlings widersetzen, doch dann legte er das inzwischen unruhig gewordene Mädchen auf die Felsplatte. Dann sah er Kelly direkt ins Gesicht.
»Tu, was Gall sagt.« Das Gesicht des jungen Hunkpapa war völlig ausdruckslos. »Aber bete zu deinen Göttern, dass er nicht Falsches sagt.«
Kelly ignorierte die Bemerkung. »Ich brauche Seife«, sagte er. »Yuccaseife. Und ein sauberes Tuch.«
Das Tuch war kein Problem. Es wurde gebracht. Aber Seife schien keiner zu haben. Plötzlich jedoch meldete sich Red Paint noch einmal.
»Ich habe etwas Besseres als Yuccaseife«, sagte er. »Ich habe Wasicum-Seife.«
»Was?«, rief Kelly. »Echte Seife?«
»Von dem alten Mann im Tal«, erklärte Gall. »Er hat gesagt, dass sie gute Medizin für das Bein des Mädchens ist. Wir wussten, dass er lügt, haben sie aber trotzdem genommen, weil wir nicht wollten, dass er uns für dumm hält.«
»Er hat nicht gelogen«, sagte Kelly in scharfem Ton. Das Hin- und Hergerede ging ihm langsam auf die sonst so unerschütterlichen Nerven. »Bringt mir die Seife.«
»Hol' sie!«, befahl Gall, und diesmal gehorchte Red Paint auf der Stelle und war innerhalb von Sekunden mit der Seife zurück.
»Und jetzt geht an euer Feuer und wendet die Augen ab«, sagte Kelly. »Ich muss etwas tun, was niemand sehen darf.«
»Was?«, fragte Gall misstrauisch.
Red Paint hatte schon wieder das Messer in der Hand, und seine Augen sprühten Feuer.
Kelly streifte die beiden Männer mit arrogantem Blick. »Würdet ihr euren eigenen Frauen Zusehen, wenn sie nach einem langen, heißen Ritt in einem kühlen Bach baden?«
Die beiden Indianer wurden dunkelrot, und Gall beugte beschämt den Kopf. »Natürlich wenden wir uns ab«, sagte er und wandte sich an seine Krieger. »Geht an euer Feuer. Lone Wolf hat Recht. Ein Krieger sieht nicht zu, wenn eine Frau badet.«
Als ihm alle den Rücken zugewandt hatten, machte sich Kelly an die riskante und unfreiwillige Arbeit. Als erstes schnitt er dem Mädchen das schmutzige Kleid auf, zog es unter ihrem Körper weg und warf es auf den Boden. Den nackten Körper versuchte er zu übersehen. Das Mädchen sagte keinen Ton und versuchte nicht, sich zu wehren. Es war viel zu schwach und fiebrig, um sich Gedanken darüber zu machen, dass es von einem fremden weißen Mann mit Seife und frischem Quellwasser gewaschen wurde.
Kelly arbeitete wie besessen, und der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Sein Atem ging immer schneller. Irgendwie fühlte er sich schuldig, konnte aber nichts gegen die Gefühle unternehmen, die ihn plötzlich überfielen. Noch nie in seinem Leben hatte er den nackten Körper einer Frau gesehen, und das Crow-Mädchen hatte einen so schönen Körper, wie ihn sich Männer auch nur erträumen konnten. Als der junge Scout fertig war, zitterten seine Hände wie Espenlaub.
Jetzt wandte er seine ganze Aufmerksamkeit zum erstenmal dem zerschmetterten Knie zu, und der Magen stülpte sich ihm fast um.
Die Wunde war vier Tage alt und so entzündet, dass Kelly nicht die geringste Hoffnung hatte. Wildes Fleisch, Eiter, Knochensplitter - der Anblick war grauenvoll. Die Entzündung hatte sich bereits gut handbreit über dem Knie ausgebreitet. Das Bein unter dem Knie war völlig formlos.
Amputation, die einzig mögliche Behandlung, wenn das Leben des Mädchens gerettet werden sollte, kam nicht in Frage. Die Hunkpapa waren, wie alle reitenden Stämme, eine körperstolze Rasse. Für sie war der Tod wünschenswerter als die Verstümmelung.
Kellys Hände waren plötzlich wieder völlig ruhig. Er legte das Tuch so über den Körper des Mädchens, dass das Knie frei war.
»Lasst sie anbinden«, rief er Gall und Red Paint zu.
Gall gab den Befehl an vier Krieger weiter, die sich mit ungerührten Gesichtern an die Arbeit machten, während Kelly an der Quelle hockte und mit dem feinen Sand seine Instrumente abrieb. Anschließend wusch er sie mit Seife und legte sie zum Trocknen in die Sonne.
Aus dem Ledersäckchen machte er eine Rolle und steckte sie dem Mädchen zwischen die Zähne.
»Damit du dir nicht die Zunge abbeißt«, sagte er, »wenn der große Schmerz kommt.«
Gall und Red Paint nahm er zur Seite und bat sie, sich hinter dem Kopf des Mädchens aufzustellen und aufzupassen, dass sie die Lederrolle nicht ausspuckte.
Die beiden Männer nickten und gehorchten.
Und dann begann Kelly zu arbeiten. Ersparen konnte er dem Mädchen nichts, er konnte nur versuchen, dass es die Tortur möglichst schnell hinter sich hatte.
Als erstes schnitt er das bereits tote Fleisch in Schichten ab. Nicht ein Laut entrang sich der Kehle des jungen Mädchens. Das Messer glitt weiter. Beim siebten Schnitt traf es auf noch lebendes Fleisch.
Crow Girl schrie auf, spuckte den Knebel aus, bäumte sich auf und verlor die Besinnung.
10
Danach ging alles sehr schnell. Kelly entfernte die Knochensplitter und brachte die heil gebliebene Kniescheibe in die Lage, die er für die richtige hielt. Die frisch ausgeschnittene Wunde blutete heftig, was Kelly nur recht war, denn so reinigte sie sich selbst. Als der Blutfluss langsam nachließ, tupfte er die Wundränder mit Back-Soda ab, das er für seine berühmten gesalzenen Pfannkuchen immer bei sich hatte, und ließ das Bein in der Sonne trocknen.
Inzwischen legte er Katzendarmfaden in die Nadel, tauchte beides in das kochende Wasser, das er sich von einem Krieger hatte bringen lassen. Er nähte die Wunde zusammen, so gut es ging, schiente das Bein mit Weidenzweigen und verband es vom Knöchel bis zur Mitte des Oberschenkels mit Stoffstreifen, die er vorher hatte auskochen lassen.
Als er den letzten Knoten gemacht und die Enden abgeschnitten hatte, trat er einen Schritt zurück und gab seinen Zuschauern durch ein einfaches Zeichen mit der Hand zu verstehen, dass er fertig war.
Die Bewunderung der Sioux war grenzenlos.
Gall kam mit hocherhobenem Arm und nach außen gekehrter Handfläche auf Kelly zu. Das Zeichen bedeutete Friede aus Respekt und Freundschaft. Dass selten ein Weißer diese Auszeichnung von einem Indianer bekam, war Kelly nur zu klar, und er versuchte sofort, den günstigen Moment auszunützen.
»Vielen Dank«, sagte er und beugte vorsichtig den Kopf. »Ich habe getan, worum du mich gebeten hast, mein Bruder. Das Mädchen lebt, und seine Qual ist gelindert. Jetzt ist es für dich an der Zeit, dein Versprechen zu halten.«
Gall nickte, aber bevor er etwas sagen konnte, fiel ein großer Schatten zwischen ihn und den weißen Scout.
»Welches Versprechen?«, fragte Red Paint mit tonloser Stimme. »Wir haben lediglich versprochen, ihn zu töten, wenn er sie nicht retten kann.«
»Der unausgesprochene Teil eines solchen Versprechens lautet, dass ihr mich freilasst, wenn es mir gelingt«, sagte Kelly, und plötzlich bekam seine Stimme einen scharfen Klang. »Bist du ein Mandan Hundefresser oder ein Hunkpapa Krieger? Schleichst du dich um dein Wort herum wie ein Pawnee Pferdedieb, oder stehst du dazu wie ein Sioux Häuptling?«
Kelly dachte plötzlich nicht mehr an seinen Skalp. Sein irisches Blut war ins Wallen geraten, und er hatte genug von Red Paint und den Wortspaltereien der Hunkpapa.
»Antworte, Sayapi!«, fuhr er Red Paint an. »Hörst du nicht, dass ich mit dir rede?«
Das Gesicht des jungen Mannes verzerrte sich, die Augen wurden zu mongolischen Schlitzen. Zum dritten Mal zog er das Messer, aber diesmal blieb es nicht dabei. Mit der blinden Wut eines Tiers wollte er sich auf den unbewaffneten Scout stürzen, doch Gall war schneller. Er sprang Red Paint von hinten an, packte ihn, hob ihn hoch über den Kopf, wirbelte ihn in einem vollen Kreis um die eigene Achse und schleuderte ihn mit einer unglaublichen Wucht auf den Boden.
Kelly hatte nie in seinem Leben eine solche Kombination aus Schnelligkeit und brutaler Kraft gesehen.
Gall ließ keinen Moment verstreichen. Er packte Red Paint an den Schultern, zog ihn in die Höhe und stellte ihn zurück auf die Beine.
»Heb dein Messer auf!«, befahl er. »Und danke Wakan Tanka, dass du Lone Wolf, der ohne Waffe ist, nicht getötet und somit Schande über meinen Stamm gebracht hast.« Er wandte sich an Kelly. »Lone Wolf«, sagte er. »Ich bedaure den Zwischenfall und entschuldige mich für meinen Neffen.«
Kelly nickte. Dass Red Paint der Neffe des Häuptlings war, war ihm neu, aber er machte keine diesbezügliche Bemerkung.
»Sayapi ist jung«, fuhr Gall fort, »und hasst den weißen Mann. Aber er ist kein Feigling. Das Mädchen ist der Grund, verstehst du? Er hat sie angesehen und ist wütend, weil sie seinen Blick nicht erwidert hat. Nohetto, so ist es. Verstehst du?«
Kelly hätte am liebsten den Kopf geschüttelt, fand es aber doch klüger zu nicken.
Red Paint war also eifersüchtig, aber Kelly, der über keine Erfahrung in Liebesdingen verfügte, hatte es nicht bemerkt. Er hatte lediglich gedacht, dass der Neffe des Häuptlings Crow Girl für seinen persönlichen Besitz hielt, weil er es gefangen genommen hatte.
»Hau, mein Bruder«, sagte er höflich, ohne sich durch den Vorfall von seinem eigenen Ziel abbringen zu lassen. »So ist das Leben. Als Mann verstehe ich es.« Seine Stimme wurde gleichgültig. »Mit deiner Erlaubnis, Gall, werde ich jetzt wieder weiterziehen.«
Der berüchtigte Hunkpapa sah ihn eine ganze Weile an. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.
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»Ziehe in Frieden«, sagte der Sioux-Häuptling schließlich.
»Vielen Dank«, sagte Kelly und tippte mit den Fingerspitzen der linken Hand gegen die Stirn. »Haben meine Freunde und ich auch deine Genehmigung, den Winter über hier zu jagen?«
»Was wollt ihr jagen?«
»Den Pelz des Wolfs. Den Wolf zu jagen wird gut sein für den Wildbestand.«
»Das stimmt. Ihr könnt bleiben.«
»Vielen Dank.«
»Hör auf mir zu danken. Geh.«
»Noch etwas. Wenn ihr weiterzieht, müsst ihr aufpassen. Wegen dem Mädchen, meine ich.«
Der weiße Scout erklärte dem Sioux-Häuptling, wie man eine Tragbahre anfertigte, die vorn an ein Packtier geschnallt, aber hinten von zwei Männern zu Fuß getragen werden musste.
Gall bedankte sich bei Kelly und versicherte ihm, dass er für den bequemen Transport des Mädchens sorgen werde.
»Und dann noch diese Medizin gegen die Schmerzen«, sagte Kelly und hielt das Fläschchen mit der Opiumtinktur in die Höhe. »Es dauert nur einen Moment.« Ohne auf das Einverständnis des Häuptlings zu warten, ging Kelly zu der Steinplatte.
Das Mädchen war inzwischen wieder zu Besinnung gekommen. Kelly gab ihr die Medizin und holte in der hohlen Hand Wasser zum Nachtrinken.
»Ich habe gehört, was du von der Tragbahre gesagt hast«, flüsterte sie ihm zu und sah ihm so tief in die Augen, dass ihm ein Schaudern über den Rücken lief. »Ich danke dir. Es tut sehr weh.«
»Bald wird es weniger weh tun«, sagte Kelly und senkte den Blick. »Die Medizin wird dich deine Schmerzen für Stunden vergessen lassen.«
Sie lächelte, und Kelly wurde rot wie ein Schuljunge.
»Ich muss jetzt gehen«, stotterte er. »Kann ich noch etwas für dich tun?«
»Ja«, sagte das Mädchen schnell. »Nimm eine Nachricht mit.«
»An wen?«, fragte Kelly und beugte sich tiefer zu dem Mädchen herunter. »Schnell! Die anderen können jeden Moment kommen.«
»Ich habe einen Bruder«, flüsterte das Mädchen. »Er ist Scout bei den Pony Soldaten. Ich weiß nicht, wo er im Moment ist, aber du wirst ihn finden. Er ist nicht unbekannt.« Sie lächelte stolz.
»Wie heißt er?«
»Du kannst seinen Namen nicht aussprechen. Nicht in meiner Sprache. Aber die Wasicum nennen ihn Curly.«
Jetzt fiel es Kelly wieder einmal wie Schuppen von den Augen. Als er eben die makellosen Züge Crow Girls betrachtet hatte, hatte er das bestimmte Gefühl gehabt, ihr schon einmal begegnet zu sein, hatte aber gleichzeitig gewusst, dass man so ein Gesicht nicht vergisst.
Curly war der beste Vollblutscout, den die Armee je gehabt hatte. Er war ein intelligenter, freundlicher und ausnehmend gut aussehender junger Mann.
»Ich kenne deinen Bruder«, sagte Kelly. »Ich finde ihn bestimmt. Was soll ich ihm ausrichten? Dass dich Gall gefangen hält?«
»Nein, nicht Gall, sondern Sayapi. Gall ist gut. Red Paint ist der Teufel, der auf mich geschossen hat. Er hat gewusst, dass er das Gewehr auf eine Frau richtet. Er hat es mir selbst gesagt und dabei gelacht. Er hat gesagt, dass er im Dunkeln meinen Körper gesehen hat und ihn besitzen wollte. Deshalb hat er mich ins Bein geschossen. Ich wollte, er hätte mich getötet.«
»Wissen die anderen, dass Red Paint absichtlich auf dich geschossen hat?«
»Nein. Er hat behauptet, dass es ein Missgeschick war. Er hat Gall dazu überredet, mich mitzunehmen. Gall hat ein gutes, stolzes Herz, aber wenn es um seinen Neffen Sayapi geht, ist er blind.«
»Und was soll ich deinem Bruder sagen?« drängte Kelly. »Dass dich Galls Leute gefangen halten?«
»Ja. Curly wird kommen. Er wird die Pony Soldaten mitbringen und diese Sioux-Hunde bestrafen.«
Kelly warf einen flüchtigen Blick über die Schulter und sah Gall näherkommen. »Ich muss weg«, sagte er. »Möge Wakan Tanka neben dir gehen.«
»Lone Wolf...«
»Was denn?«
»Gall hat dir gesagt, dass dieser Sayapi mich angesehen hat?«
»Ja.«
»Und auch, dass ich ihn nicht angesehen habe?«
»Ja.«
»Aber dich habe ich angesehen, Lone Wolf«, sagte das Mädchen und sah ihm so tief in die Augen, dass er den Blick bis in die Fußspitzen zu spüren glaubte.
Kelly wusste nicht, was er antworten sollte, er hätte aber auch keine Zeit mehr gehabt, dem Mädchen noch etwas zu sagen, denn Gall legte in dem Moment eine Hand auf seine Schulter.
»Beeil dich, Lone Wolf«, sagte der Häuptling. »Lind schau dir Sayapis Pferd an.«
Kelly drehte sich um, konnte das Pferd aber nirgends sehen.
»Wo ist es denn?«, fragte er.
»Weg«, sagte Gall mit undurchdringlichem Gesicht. »Und Sayapi ebenfalls.«
»Ich habe verstanden«, sagte Kelly. Er hatte die Anspielung genau verstanden. Er ging zu seinem Packesel, stieg auf und ritt zu Gall zurück.
»Sayapi hat zehn Krieger mitgenommen«, sagte er.
»Zwölf«, sagte Gall. »Die zwölf, die das Gesicht verloren haben, als du dich von hinten an dein Feuer angeschlichen hast.«
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