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1926 erfindet ein deutsche Professor den Zeitsparer. Legt man sich in diesen Apparat, vergeht keine Zeit, und man kann die gesparten, Stunden und Tage irgendwo später in seinem Leben wieder einfügen.
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Mein lieber Ignaz Wrobel, ich widme Dir dieses Büchlein, weil Du es brauchen kannst. Du bist ein ernster Mann, nicht wahr, und stehst unter Deinen Mitmenschen geachtet da, als ... sagen wir ... Pädagoge, Fotograf oder als Redakteur oder Buchhändler ... Du bist ernst. Denn dass das Leben eine ernste Sache sei, haben sie Dir schon auf der Schule bei Gelegenheit des kleinen deutschen i beigebracht. Du hast es geglaubt.
Dem ist aber nicht so. Glaub's nicht, mein Ignaz, glaub's nicht! Dass jede Wirkung auch eine Ursache haben muss, dass in allem eine Kausalität versteckt liegt, glaub's nicht! – Kausalität, mein Junge, ist, wenn man dran glaubt.
Lerne von den englischen Exzentriks, dass man sich vom Schwergewicht, vom Satz vom Grunde und wie all die dummen Sachen heißen, sehr wohl befreien kann, wenn man nur den Mut hat. Denn das, was danach kommt, ist das Himmelreich. Wer sagt, dass Weinen der Ausdruck einer Gemütsempfindung sei? Oder ein physiologischer Vorgang? – Glaub's nicht! Weinen ist eine Tätigkeit, die nicht motiviert werden kann.
Bleib äußerlich der ernste reputierliche Mann mit dem Bart, als den sie Dich kennen und schätzen. Innerlich aber, mein Junge, innerlich: Lache!
Stets der Deine
Ignaz Wrobel
Am 27. Februar 1926 war es soweit.
Die Herren in weißen Laboratoriumsmänteln erfüllten den großen Raum, bewegten sich unruhig, lachten, gestikulierten und sprachen aufgeregt durcheinander. Denn sie hatten zwei Stunden regungslos gehorcht, abwechselnd auf den ungefügen Apparat gestiert, der in der Mitte des Hörsaales stand, und auf den kleinen Mann, der leichenblass auf einem Stühlchen saß und mit leiser Stimme Erläuterungen gab ...
Der deutsche Professor Gottlieb Friedrich Waltzemüller hatte den Zeitsparer erfunden.
Der Apparat hob die Zeit auf. Er war gar nicht so kompliziert, und wenn Sie Ihrerseits aufs Patentamt gehen, werden Sie sehen, dass ich recht habe: Denn da bekommen Sie die Erklärung zu dem Ding, das aussah – damals, heute sind sie ja anders – wie ein zugedecktes Bett aus Stahl. Man legte sich hinein, und was man da an Zeit ersparte – denn drinnen liefen ja die Uhren nicht, nicht die elektrischen und nicht die Sanduhren –, das konnte man beliebig irgendwo in seinem Leben wieder ankleben und einfügen – wo man es gerade brauchte ...
Das gab einen Hallo! Mit dem Herumtrödeln auf der Erde war es auf einmal vorbei. Niemand hatte mehr Zeit zu verlieren.
Die Redensart: »Ich habe keine Zeit« wurde Formel für den Offenbarungseid – und es war ganz erstaunlich, wie sich die Menschen beeilten, um mit den nötigsten Obliegenheiten fertig zu werden.
Sie sparten! Keiner tat noch etwas anderes, als im Eiltempo die wenige Nahrung zu sich zu nehmen und sich dann befriedigt in den Apparat zu packen. Da drinnen sparte er nun Zeit und legte sie auf die hohe Kante. Wer ging noch spazieren? Wer hatte noch Augen zu sehen; was auf der Welt vor sich ging? Sie lasen nicht, sie liebten nicht, sie freuten sich nicht mehr – sie sparten.
Carnegie hatte zu allem Zeit. Er aaste geradezu mit der Zeit, als ob er sie später nicht noch einmal brauchen könnte. Aber dafür war vorgesorgt: Er kaufte Zeit auf. Und tausend arme Teufel legten sich krumm, damit der kleine weißhaarige Herr sich so recht gemütlich eine Birne schälen oder gar ein Stückchen zu Fuß gehen konnte.
Es gab eine Zeitbörse. Da wurde die Zeit gehandelt – und weil sie sehr gut bezahlt wurde, so legten sich ganze Dörfer industriemäßig in den Kasten aus Stahl, sparten und verkauften meistbietend. Darauf fielen die Preise – aber durch einen Trust gelang es, eine kräftige Hausse zu erzielen.
Einmal gab es einen Corner: Mister Woolf aus New York, der infolge eines tödlich verlaufenen Unterhaltungsromans einen schrecklichen Tod gefunden hatte, lebte wieder auf, weil er fühlte, dass hier ein Geschäft zu machen sei, kaufte auf – ich glaube, er hat damals im Ganzen zirka 70000 Jahre gehabt wurde eingekreist und musste losschlagen. Man konnte darauf den Tag schon für 5 Cents haben, und die Leute bummelten, dass es eine Schande war. Die Theater machten weit auf, ganz reiche Herrschaften begannen, Fußball zu spielen, und man sah bereits wieder Angehörige des mittleren Bürgerstandes, die im Schein der untergehenden Sonne, lässig vor der Schwelle ihres Häuschens stehend, träumerisch in der Nase bohrten ...
Aber das ging vorüber: Der Monat Zeit kostete wieder seine achtzig Dollar, und alles war wie früher.
So lagen die Dinge, als sich eine seltsame Nachricht auf der Erde verbreitete. Bei München, hieß es, lebe ein Mann, der spare überhaupt keine Zeit! Hat man je so etwas gehört? Er sei Menschendoktor und heiße Bruck. Dr. Bruck
Einige reiche Leute – denn die andern hatten ja keine Zeit – machten sich auf, diesen Unmenschen zu sehen.
Wahrhaftig: als sie sich dem kleinen Anwesen näherten, rauchte da ein Mann mit einem Spitzbart eine Pfeife, eine lange Pfeife, und auf dem Porzellankopf – das sah man deutlich – war ein buntes Blumengewinde gemalt, mit Engeln, die die Girlanden-Enden angepackt hielten ... Der Mann paffte behaglich und stieß die Rauchwölkchen in die warme Sommerluft, in der sie, hellblauen Gazeschleiern vergleichbar, langsam nach oben entschwebten ...
Und dieser Mensch verfolgte ihren Aufstieg zufrieden, und wenn eins verflogen war, schickte er ein anderes nach und mochte sich so an diesem Wolkenspiel schon eine ganze Weile erfreut haben. Und nicht genug damit: Er zündete sich die Pfeife, als sie ausging und nicht gleich brennen wollte, dreimal hintereinander an. Da brannte sie. Ja, war er denn toll ...? Es schien so.
Denn als der reiche Münchner Engrosschlächter Mauermeier sich dem Manne eilig prustend, um nicht zu viel Zeit zu verlieren, in das Gesichtsfeld schob, da sagte der: »Grüß Gott!«, sagte er, und dann mummelte er so recht behaglich an seiner glimmenden Pfeife.
Und ehe der Mauermeier sich noch recht erholt hatte, fuhr der Doktor fort:
»Ja, wollen wir nicht ein kleines Spaziergängchen machen? – Da seht doch nur, wie hübsch grün schon das wellige Gras ist, über das der Wind läuft, und da drüben die Höhen, auf die ich jetzt zuschreiten will, sind schon durchsichtig bläulich, und das ist ein gutes Zeichen fürs Wetter.«
Da nahm sich der Mauermeier die Zeit – denn er hatte es dazu und konnte es sich leisten, Gott sei Dank! – da nahm er sich die Zeit, ganz schnell einmal zu sagen:
»Einsperren sollt man Eahna, Heer Nachbar, z'wegen Verschwendung!«
Und schob eilig laufend, in der Richtung zum Bahnhof, ab, um den Zug nach München nicht zu verpassen, damit er gleich wieder weitersparen könne ...
Der Doktor aber stand fröhlich lächelnd auf, ergriff das Stöckchen, das ihn auf allen Wegen begleitete, und durchschritt den sauberen, stillen Ort, darinnen er wohnte, besah sich voll guten Mutes die breiten Straßen und die niedrigen Häuser und das achteckige Türmchen auf dem Wirtshaus.
Da oben, in dem achteckigen Zimmerchen, mit der Aussicht auf das Dorf und die Berge, habe eine verrückte Gräfin gewohnt, raunten die Leute, und wenn die Nebelschwaden dicht durch die regenschwere Luft zogen, dann schoben sie sich wohl an den acht Fensterchen vorbei, der Ofen knasterte, und eine weißhaarige Dame kroch murmelnd die gewundene Treppe herauf, um hier ein verlorenes Leben zu beschließen ...
Das überdachte der Doktor, und dann guckte er, ob das Krankenhaus noch an seinem Platz sei, und sah nach der Post, vor der eine alte Rumpelchaise ohne die Gäule aufgestellt war, und nach dem Rathaus – und stand schließlich nicht ab, unterwegens im besten Schmauchen ein kleines Poem zu verfertigen, in dem alles darinnen stand: Wie schön doch das bisschen Leben sei, und wie man nur einmal auf die Welt gesetzt werde, und wie er für seine Person auf alle Mauermeiers und Zeitsparer pfeife ...
Walter Jarotschiner, die illegitime Amme der Rechtsbeflissenen, die an den Brüsten der alma mater vorschriftsmäßig zu saugen hatten, der juristische Repetitor Walter Jarotschiner rutschte mit einem matten Seufzer ins Bett; seine pinselblonden Haare, die im Kranze die ehrfurchtgebietende Tonsur umstanden, bauschten sich.
Der Dienstag war ein böser Tag: Neun Stunden saß Rabbi Ben Jarotschiner im Kreise seiner Schüler und lehrte: von den Verhältnissen der Germanen und den Schuldverhältnissen insbesondere und von den Geschäftsbüchern der römischen Familienväter und von den Käufen nach, auf und zur Probe ...
Und sein Mund troff von Weisheiten, und seine irrenden Äuglein sahen alles andere als die aufhorchenden Jünglinge: Die waren seit Generationen an ihm vorbeigezogen, und er glaubte nicht mehr daran, dass jeder von ihnen einen eigenen Namen besäße – er hatte ein eigenes topografisches System erfunden, um sie zu bezeichnen: da gab es einen Tür-Präsidenten und einen Umgedrehten und einen Nebenmann und einen Blätterer – das passte auf alle und ließ außerdem eine objektive Distanz des Lehrenden zu den Hörern erkennen ...
Jarotschiner kuschelte zusammengesunken im Bett. Der zu schwere, birnenförmige Kopf war wie immer nach vorn gekippt, und nur der Bauch lag ruhig und ein bisschen gebläht da, still bewegt von dem taktmäßigen Atmen des Einschlafenden ...
Öffnete sich die Tür? – Sie öffnete sich. Und herein trat – mein Gott! – welch ein Wesen! – Es war grau, unscheinbar, ein Mann offenbar, wie?, und statt der Hände und Arme, wie wir, die normalen Durchschnittsmenschen, sie haben, trug es längliche Klumpen, Keulen schien es, und auch sie grau, glibberig, durchscheinend wie eine Kinovision – Jarotschiner unterschied deutlich dahinter die Wand, ein Stückchen gemusterte Tapete und das Bild des Rechtsgelehrten Kohler, der aufgerichtet und würdig in einem Rahmen stand, Professor, Dichter und Musiker, der er war ...
Der Jugendbildner rührte sich nicht. Das Phantom – denn was anders konnte es sein? – das Phantom klappte ein paar Mal die gewaltigen Kiefer probeweise auf, zu, auf ... und begann zu sprechen; flüsternd, heiser, aber man konnte jedes verdammte Wort hören:
»Oh, Walter Jarotschiner! – Du überhäufst mich mit Schande! – Oder besser: Du behaftest mich in solchem Maße damit, dass ich nicht umhin kann, mich an dir zu rächen.«
Hatte die trockene Stimme aufgehört zu knarren? Der im Bett wurde völlig wach. Sein Denken glitschte aus. Wer war das? War es eine Inkarnation seiner verpfuschten Latein-Extemporalia der Schulzeit? – Es sprach so. Himmlischer ...
»Gibt es denn noch ein Verbrechen«, redete das Ding weiter, »das Du mir nicht schon angedichtet hast? – Du hast mich geschaffen, hast mich aus dem Nichts geholt – Aahaach! hättest Du mich doch darinnen belassen!« – setzte sich auf des Bettes Rand und weinte bittere Tränen.
Jarotschiner staunte: Gefährlich war es anscheinend nicht, das leuchtete ein. Aber wer war das, und was in aller Welt mochte es wollen? – Es schluchzte noch immer, seine Nase war voll, es rutschte mit dem Ärmel darüber hin ...
»Ich – e-ä-iche ... Mit wem habe ich das Vergnügen?«, fragte Herr Jarotschiner.
Das Ding fuhr auf. Donnernd:
»Ich bin das Paradigma, an dem Du Deine scheußliche Wissenschaft übst, ich bin das wehrlose Opfer all Deiner bubenhaften Schüler, schülerhaften Buben ... Buben ... Schüler ... Ich bin geschändet! Denn es gibt nichts, aber auch nichts, was ich noch nicht begangen hätte: vom einfachen Rechtsgeschäft mit obligater Schieberei bis zur Majestätsbeleidigung! Du hast mich auf Deinem sonst so blondem Gewissen!! Erkenne mich: Ich heiße und bin Peter Panter!«
In der Tat. Daran hatte er nicht gedacht. Er, Jarotschiner, hatte diesem Unding das Leben gegeben – er hatte es wirklich erschaffen, aus dem Nichts, wie es sich richtig ausgedrückt hatte, er hatte es abgerichtet, alle nur denkbaren Verbrechen zu begehen, damit seine Schüler daran lernten, es war gewissermaßen sein kriminalistisches Versuchskaninchen gewesen ... und nun stand es da und hielt Abrechnung ...
»Du schufest mich als einen armen Wandersmann, der ehrsam mit Waren – mit welchen, sagtest Du nie – handeln ging, und so ließ es sich eine Weile auch ganz schön an.
Aber wie durftest Du es Dir in den Sinn kommen lassen, mich zu den fürchterlichsten Verbrechen anzustacheln, die Du ersinnen konntest?!
Ich raubte, ich musste mich auf Dein Geheiß an fremden beweglichen Sachen bereichern in der Absicht, mir dieselben rechtswidrig zuzueignen.
Ich musste in das befriedete Besitztum eines andern widerrechtlich eindringen, ich musste durch Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben Frauenspersonen zur Duldung des außerehelichen Beischlafs nötigen; übel nachreden musste ich und Münzen verringern und viele Totschläge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters und unter mildernden Umständen begehen ...«
Da war nichts zu machen. Jedes Wort eine Anklage, jedes Wort eine Wahrheit, jedes Wort eine Verurteilung.
Aber wie sollte man es den jungen Herren beibringen, die die ganze Schönheit der Vorschriften über den Rücktritt vom Versuch theoretisch zu begreifen nicht imstande waren? Ein Hilfsmittel, nicht wahr, eine harmlose Eselsbrücke, sozusagen ... Kinder werden nicht immer um ihrer selbst willen gezeugt ...
Wenn der jetzt böse wurde – Jarotschiner versuchte, mit seinem ledernen Herzen ein bisschen schneller zu klopfen ...
Aber siehe: Peter Panter weinte ... Er weinte, unter vielem Blasen und Ziehen, so wie die gewöhnlichen Leute ihrem inneren Schmerze Ausdruck zu verleihen pflegen. Ein Taschentuch hatte er auch nicht.
»Ich bin erledigt, ich, Peter Panter; nirgends kann ich mich mehr blicken lassen! Niemand achtet mich mehr. Nicht der Hochstapler Othmar Gubatta, dem ich die goldene Uhr seines verstorbenen Vaters unter Vorspiegelung falscher Tatsachen – aber auf Dein Geheiß, Jarotschiner! – aus der Tasche holen musste, nicht die Prostituierte Berta Stocklossa, der ich ihren bewegten Lebenswandel vorhielt, tückisch darauf bauend, nachher einen Wahrheitsbeweis erbringen zu können; nicht der Feldwebel Senf und die Oberin Trinius und Herr Puschnus und Frau Tumuscheit und nicht Direktor Sporckhorst und nicht der Kriminalschutzmann August Seegebarth ... Sie alle speien nunmehr auf Peter Pantern –chp! –chp! ...«
Und nun weinte er so schaudervoll, dass es dem Jarotschiner das Herz zerschnitt. Er wollte ihn aufrichten, trösten – zu spät!
Herr Panter war auf das Fenster zugewankt, hatte es geöffnet und kullerte sich sanft heraus, ein müdes Lebewohl seinem Schöpfer und Mörder zuhauchend ...
Jarotschiner auf – und an das Fenster. Er beugte sich weit hinaus. Die kühle Nachtluft strich ihm traditionell um die heißen Schläfen. Nichts. Der Hof war leer. Oben auf dem Dach maute ein Kater, er stand im Vollmond, sein emporgereckter Schwanz verdeckte das Mare procellarum, eine wenig gebirgige Stelle des Erdtrabanten ...
Sein schönstes Paradigma! Sein eines, einziges, allereinzigstes Paradigma! Sein Herz hämmerte: Wie sollte er morgen die atmende Gemeine lehren, wenn jener fehlte? Wie den jungen Herren beibringen, dass das Standesamtsregister und das Grundbuch nicht ganz dasselbe sei?
Diese Nacht schlief Walter Jarotschiner nicht.
Aber am Morgen – es mochte auf ein Viertel sieben gehen, und draußen begann es schon zu grauen und zu blauen – erschuf er:
THEOBALD TIGER
Andreas Grillruhm, ein reputierlicher junger Mann von behaglichem Äußeren, war lesender Abonnent dieser Blätter: »Das tägliche Morgengebet« – »Der Händehoch« – »Allgemeiner Hinkender Politischer Bote für die Umgegend« – »Die Türklinke. Organ für die Interessenvertretung der Türklinkenfabrikanten«.
Morgens, mit der Rechten die Lasche des linken Zugstiefels emporzerrend, mit der Linken auf dem Tisch das »Tägliche Morgengebet« ausbreitend, ließ er gierig alle Nachrichten in sich hinunterlaufen, die eine betriebsame Zeitung ihren Abonnenten zu vermelden hat:
Er las von den Auseinandersetzungen über die Schul- und Kirchenfrage in Budapest – er war nie in Budapest gewesen, kannte keinen Ungarn, auch ging ihn dieses Land nicht im Geringsten an –, er las von der Weigerung des amerikanischen Leutnants Murphy, den Union-Jack an der Küste von Guatemala niederholen zu lassen, und er las vom dritten Friedensvertragsentwurf auf dem Balkan.
Die Rechte ließ die Lasche los, der Stiefel saß. Auf den rechten Stiefel folgte ein fesselnder Aufsatz des nationalliberalen Abgeordneten Mümmelmann über die Zukunft dieser Partei und eine kleine Plauderei über das Teppichklopfen.
Die Krawatte machte die Sache schon schwieriger: Aber bei einiger Übung konnte man ihre Bindung ganz gut im Spiegel mit dem einen Auge kontrollieren, während das andere wachsam den siegreichen Jüanschikai verfolgte und zugleich einen Streik in Spanien, den Einsturz eines Irrenhauses in Timbuktu und das fünfundzwanzigste Auftreten der Hofopernsängerin Metzger-Heink-Lattermann-Schumann-Ungibauer mit Befriedigung konstatierte.
Es folgte eine hellbraune schülprige Flüssigkeit, die man als Kaffee anzusehen hatte, und ein Chor aufgeregter Stimmen umbrauste den Jüngling:
War es nicht wissenswert, die näheren Einzelheiten der präsumptiven Geburt des Thronfolgers zu erfahren? Und wie das noch werden sollte, wenn der Unmut der russischen Diplomatie über die französische, gemischt mit einer gewissen Entfremdung der Portugiesen und Dänen, weiterhin anhielt – das mochte der Teufel wissen. Ganz zu schweigen von den drei Raubmorden, dem Massenunglücksfall, den einzelnen Unglücksfällen, dem sportlichen Teil und der Plauderei über das Teppichklopfen, die man schon einmal gelesen hatte.
Die Familiennachrichten kamen in der Fahrt zur Fabrik – einer Türklinkenfabrik, wie man bemerkt haben wird – an die Reihe und wollten gleichfalls bewältigt sein.
Kurz: ein aufgeregter Morgen. Aber was geschieht? Dem Grillruhm brennt seine Türklinkenfabrik herunter. Ihm – ist eigentlich nicht richtig gesagt, seiner Versicherungsgesellschaft herunter.
Das »Tägliche Morgengebet«brachte eine detaillierte Schilderung des Brandes mit vierzehn Zeilen Impression.
Der »Allgemeine Hinkende Politische Bote für die Umgegend« beschuldigte bei dieser Gelegenheit die herrschende politische Partei im Lande (war es die Linke? Ich glaube, es war die Linke), dass nur unter ihrer Führung die Feuerwehren ... und so.
Der »Händehoch«hatte gleich angeklingelt: Er möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, seine Teilnahme auszusprechen, Teilnahme auszusprechen ... eh — und anzufragen, ob es vielleicht Herrn Andreas Grillruhm sehr erwünscht wäre, wenn bei Gelegenheit der Aktualität seiner Person eine etwas genauere Darstellung seiner kaufmännischen Laufbahn ...
Grillruhm inserierte. – Das Blatt druckte daraufhin die morgengebetliche Schilderung ab, und die Sache war beigelegt.
Was »Die Türklinke«anbetraf, so wusste dieses Organ, was es seinen beiden Abonnenten schuldete, umso mehr, als der eine tot war ... Schön.