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Als Mira dem genusssüchtigen und sexfixierten Daniel begegnet, ist es um sie geschehen. Der deutlich ältere Zigarrenmann zieht sie in seinen Bann. Eine wundervolle Reise, die am Jakobsweg entlang nach Portugal führt, schweißt das Liebespaar eng zusammen. Was keiner ahnt, ist, dass die Karten des Schicksals längst gemischt sind. Nach der Rückkehr aus dem Liebesurlaub brüskiert Daniel Mira mit seiner Untreue und schlägt sie damit in die Flucht. De Gründe für sein Verhalten treten erst viel später ans Licht. Constanze David beschwört mit dieser Erzählung auf amüsante und abwechslungsreiche Art den Zauber einer großen Liebe.
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Seitenzahl: 168
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Du bist ins Leere entschwunden, aber im Blau des Himmels hast du eine unfassbare Spur zurückgelassen, im Weben des Windes unter Schatten ein unsichtbares Bild. (Rabindranath Tagore)
Kapitel Eins: Einleitung
Kapitel Zwei: Memento mori
Kapitel Drei: Zigar 1991
Kapitel Vier: Chris 2001
Kapitel Fünf: Zusammentreffen
Kapitel Sechs: Recherche
Kapitel Sieben: Recherche
Kapitel Acht: Mosaikteilchen
Kapitel Neun: Verbindung
Kapitel Zehn: Leidenschaft
Kapitel Elf: Herzensabsicht
Kapitel Zwölf: Krise
Kapitel Dreizehn: Liebe
Kapitel Vierzehn: Auf dem Jakobsweg
Kapitel Fünfzehn: Leichtigkeit
Kapitel Sechzehn: Liebesleid
Kapitel Siebzehn: Erklär mir Liebe
Kapitel Achtzehn: Daniel 1998
Kapitel Neunzehn: Erinnerungen
Kapitel Zwanzig: Die Arie des Todes 2001
Kapitel Einundzwanzig: Ein Happy End, wie es das Leben schreibt
Wann drang sein Name zum ersten Mal an mein Ohr? Ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, da es schon so viele Jahre her ist und das Vergessen lang. Spuren verwischen sich in der Weite des Rückblicks. Jedenfalls war ich noch ganz jung und räkelte mich wohlig in dem Wissen anderer, als ich zum ersten Mal von diesem Rudelbumser hörte. Das muss irgendwann in den 1970ern gewesen sein. Er war ein Draufgänger, wie man ihn nicht besser hätte erfinden können. Als Experte für Feuchtgebiete erschloss und genoss er Frauen wie am Fließband. Sex war neben Zigarren und Rotwein in ziemlich unverfälschter Manier Daniel Barons Lebenselixier. Er war der Typ, der einen Joker nach dem anderen zu ziehen schien: Lässiges Studium, umwerfende Frauen, guter Job und unaufhaltsame Karriere.
Ich hatte ihn über eine gemeinsame Freundin kennengelernt und tummelte mich eine Weile vergnügt im Umfeld seiner Clique. Dabei erlebte ich hautnah, dass er dem Ruf, der ihm vorauseilte, mehr als gerecht wurde. Wir steckten so manche Nacht im gleichen Umfeld fest und feierten das Leben bis in den frühen Morgen und darüber hinaus. Ungeniert, zügellos und ohne an ein Danach zu denken, versteht sich. Es war eine coole Zeit. Ausschweifend und nachttrunken. Beide legten wir uns keine Hemmungen auf. Wozu auch? Sein Lieblingssatz damals lautete: »Man muss durchblicken«. Den brachte er so überzeugend philosophisch, denn er war ein großer Meister des Small-Talks, dass nur Insider, wie beispielsweise Edgar und ich, wussten, dass damit die Kleidungsstücke weiblicher Wesen gemeint waren – vor allem aber das, was sich mehr oder weniger darunter verbarg. Meiner lautete: »Drinnen ist es schöner als draußen.« Daniel schien alles andere als ein Typ zu sein, der innerhalb von Sekunden die Chance seines Lebens verpasst, um schließlich für den Rest des Lebens ein vom euphorischen Glücksrittertum Verschonter zu bleiben. In das Meer des Weltschmerzes einzutauchen, war ihm so fern und fremd wie einem Tier das Bedauern. Aber ach, wie schnell machen wir uns ein Klischee zu eigen, hegen feste Vorstellungen über uns und andere, ziehen unsere Schubladen fleißig auf und zu und vergessen dabei letztlich, sie regelmäßig aufzuräumen.
Am 18. Juli 2001 traf ich die Schwester von Daniel Baron, mit der ich einst eine flüchtige Freundschaft gepflegt hatte, in der Oper. Sie erzählte mir mit Tränen in den Augen von seinem in ihren Augen viel zu frühen Tod und lud mich ein, am Wochenende in sein Haus zu kommen, wo sie gerade mit der Haushaltsauflösung beschäftigt war. Sie hoffte auf meine Bereitschaft, einiges von den dort gehorteten Zigarrenbeständen zu übernehmen. Damit lag sie richtig. Ich nahm diese Gelegenheit gerne wahr, günstig an Genüsse heranzukommen, denen ich gelegentlich euphorisch fröne. Ich gehöre nämlich zu der weit unterschätzten Zahl derer, die eine gute Havanna zu rauchen und zu schätzen wissen. Eine kleine, aber nicht unbedeutende Gemeinsamkeit mit Baron, der edlen Zigarren verfallen war. Er hielt sie für große Damen, die einen betörenden, unvergleichlichen Duft verströmen – einen Duft, der ihre großartige Herkunft aus den flutenden Feldern Kubas verriet. Der Mann war zweifellos ein Kenner. Ich wusste, dass auf ihn Verlass war, was exzellente Zigarren betraf. Nur half ihm das zwischenzeitlich nichts mehr. Zuletzt gehen eben alle Zigarren in Rauch auf.
Also fuhr ich am nächsten Sonntag hinaus aufs Land. Dort hatte sich Baron vor etwa sieben Jahren ein altes Haus gekauft und es umbauen lassen. An den Bauernhof, der im Spätmittelalter erbaut worden war, erinnerte nur noch ein winziges Bauerngärtchen zur Straßenseite hin. Ansonsten war aus dem einstigen, fast schon aufdringlich anheimelnden Fachwerkhaus, wie die Bilder dokumentierten, die an den Wänden des Eingangsbereichs hingen, ein lichtes Gebäude mit schwingenden Treppen und luftigen Ausblicken geworden, dem eine gewisse Modernität nicht abzusprechen war. Die vor Behaglichkeit ächzenden Zimmer hatten sich in ein neues Etwas verwandelt, das exquisit genannt werden konnte. Das Alte lebte aufgefrischt in einem großen Eichenportal weiter, das einschmeichelnd ins Innere lud, und in den dunklen Balken, die es wie ein gestärktes Klettergerüst durchzogen. Wie viele Wunden das Verputzen diesem Fachwerkbau geschlagen hatte, ließ sich nur vermuten. Der Anpassungstrend an den Steinbau jedenfalls war unverkennbar. Aber auch hier gab es wie so oft zwischen Verstümmelung und Neugestaltung einen fließenden Übergang, der im Inneren des Hauses zu einem unvergleichlichen Ergebnis geführt hatte.
Ich ging voller Staunen durch dieses Haus, das sich von der Stadtwohnung Barons, die vor mehr als fünfzehn Jahren einen hypercoolen Eindruck bei mir hinterlassen hatte, deutlich unterschied. Hinzukam, dass die moderne Einrichtung so geschickt mit antiken Möbeln vermischt war, dass eine besondere Atmosphäre behaglicher Schwerelosigkeit entstand, in der man sich auf Anhieb zuhause fühlen konnte. Ellen Baron führte mich herum.
Schließlich landeten wir in einem kleinen Raum. Dort lagerten die Schätze, die mich neben meiner Neugier hierher geführt hatten. Baron hatte ein halbes Leben lang Zigarren zelebriert, wie ich das auch tue. Ich nahm einen tiefen Atemzug. Ein zartwürziger Duft durchzog dieses nach Norden ausgerichtete Erdgeschosszimmer. Ruhende Havannas! Was für ein beglückendes Odeur! Sie entfalten sich bei richtiger Lagerung und Pflege in aller Stille wie guter Wein. Leben weiter, um zu werden, was sie wirklich sind. Um innerhalb von Jahren zur Vollendung zu gelangen. Jede auf ihre Art und zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt. Es musste ihm schwergefallen sein, Abschied zu nehmen. Für einen Genussmenschen ist es nie genug. Sein Abgang mit gerade mal neunundvierzig Jahren hatte ihn unausweichlich um das Vergnügen gebracht, seine Lebensgenüsse mit jener Weisheit, Würde und philosophischer Gelassenheit zu versehen, mit der berühmte und oft zitierte Schriften das Alter rühmen. Ein vorweggenommener Verfall des Körpers, ein Scheitern vor der Zeit. War es ihm wenigstens vergönnt gewesen, zu seiner persönlichen Vollendung zu gelangen? Ich schaute seine Schwester an, blieb vor dem Zigarrenlagerschrank mit Feuchter und Temperaturanzeige stehen, der dieses Zimmer auf höchst ungewöhnliche Weise beherrschte, taxierte den herrlichen Humidor, sozusagen eine Mini-Feuchte-Truhe für die edel-würzigen Teile, der auf einem kleinen Tischchen in der Nähe des Fensters stand und verspürte plötzlich unbändiges Mitleid. Erscheint Ihnen das merkwürdig? Für die Lustverfallenen hege ich eben eine gewisse Bewunderung – und ich stehe dazu.
»Möchtest du eine rauchen?«, fragte mich Ellen leise. Ich zögerte. Blickte sie zweifelnd an. Der richtige Zeitpunkt ist wichtig, wenn es darum geht, sich einer Zigarre zu widmen. Ob diese Gelegenheit dazu geeignet war, schien selbst mir fraglich. Ellen unterbrach meine Gedanken, indem sie sagte: »Dann leiste ich dir mit einer Zigarette Gesellschaft«. Ich rief mir in Erinnerung, dass es für jeden Zeitpunkt die passende Zigarre gibt. Doch erst der Blick, den ich zusammen mit Ellen in den Humidor warf, gab schließlich den Ausschlag. Denn sofort sprang mir eine »Petit Partagas« ins Auge, die wie geschaffen schien, für diesen Augenblick der von feinwürziger Trauer umwehten Wiederbegegnung mit einem Leben post mortem oder dem, was von diesem Leben übrig war. Der Geschmack dieser Havanna ist immer ausgeprägt, nachhaltig und nie enttäuschend, hinterlässt auf dem Gaumen aber manchmal eine leichte Bitterkeit. Angesichts der Situation schien mir diese Zigarre die richtige zu sein. Wir gingen also eine rauchen, nahmen in dem großzügigen Wohnessbereich Platz, von dem aus man durch eine Glaswand einen herrlichen Blick auf den Seerosenteich im hinteren Garten genießen konnte. Libellen tanzten über den weit geöffneten weißen Blüten, die umringt von ihren hellgrünen Blättern ungemein bezaubernd wirkten. Ellen forderte mich auf, mit ihr zusammen ein Glas Weißwein zu trinken. »Der Weinkeller ist eine Aufgabe für sich«, seufzte sie. Das klang so, als ob ich ihr helfen sollte, ihn zu leeren. Dazu verspürte ich jedoch keine Lust. Mich plagte das Bedürfnis nach einem kräftigen Kaffee, den ich dann auch bekam. Ellen und ich pflegten einen offenen Umgang miteinander.
Da saßen wir nun, vergeistigten Trauer in Rauch und schwiegen. Ich betrachtete diese durchaus nicht unattraktive Frau in den Vierzigern und fragte mich – übrigens nicht zum ersten Mal – weshalb sie Single war und eine Verfolgte des Unglücks in der Liebe. Früher einmal, das wusste ich, war sie mit einem Kumpan ihres Bruders liiert gewesen. Von seiner Seite aus hatte das nicht allzu lange gehalten. Sie jedoch trauerte der Liaison eine kleine Ewigkeit nach. Das war die Zeit gewesen, als ihr Bruder noch studierte und eher Weizenbier als Wein trank. Damals erlebte ich ihn in der Szene und las ihm den Salonlöwen trotz seiner ausgeprägten Jungenhaftigkeit bereits an der Nasenspitze ab. Auf seine Art ein schöner Mensch. Ein wenig kantig zwar im Gesicht und mit leichtem Bauchansatz, dabei volles Haar und funkelnd grüne Siegeraugen, meist sonnengebräunt, ein Lebemannlächeln im Gesicht, das manchmal auch sanft und weich sein konnte, meistens jedoch anzüglich wirkte. Eine gerade Stirn, die in ihrer kraftvollen Verbindung zur Schläfe, Wange und Unterkiefer an die Skulpturen romanischer Ritter erinnerte. Etwas Kraftvolles, Bezwingendes ging von diesem Löwenschädel aus, ein unsichtbares Waffengeklirr.
Baron war einer jener germanischen Typen, die einmal Gallien erobert, unterworfen und daraus das Frankenreich gemacht hatten. Er war ein Siegertyp. Einer mit Charisma, aber von einer gewissen Skrupellosigkeit geprägt. Er fehlte bei keiner Vernissage und bei keinem wichtigen Event. Seine Abende verbrachte er entweder in der Szene oder auf Partys. Wurde eine Bilder- oder Skulpturenausstellung eröffnet, sang und spielte ein Star oder gab es sonst eine Show, konnte man sicher sein, ihn dort anzutreffen. Woher ich das weiß? Abgesehen von einem winzigen Unterschied, ähnelten wir uns. Auch ich zog um die Häuser, auch ich wollte das Leben in mich einsaugen, saufen wie Wein und keinen Tropfen dabei verschütten. Bei Baron spielten dabei immer drei Dinge eine Rolle: weibliche Wesen, mit denen er flirtete, ein Glas in der einen Hand, aus dem er trank und das bei ihm, selbst wenn es sich um ein Bierglas handelte, stets den Charakter eines Cocktailglases annahm und in der anderen Hand eine Zigarre, an der er genüsslich zog. Er hatte trotz Jeans, sportlichem Sakko und enormer Ungezwungenheit den Hauch jener situierten Herren an sich, die sich einst in exklusiven Clubs tummelten und mondänen Frauen den Hof machten. Er war ein Salonheld mit Rolls-Royce-Appeal. Da er zu diesem Zeitpunkt noch weit und breit der einzige in seiner großen Clique war, der inmitten des vergnüglichen Trubels Zigarren zelebrierte, hatte er den Spitznamen »Zigar« verpasst bekommen. Und diesen Spitznamen behielt er. Gerne, wie es schien. Mir war wie vielen anderen bekannt, dass er mächtig herumvögelte – auch wenn er gelegentlich eine sympathische, oft hinreißend natürliche, junge Frau zur festen Freundin hatte, die aus unserer Sicht stets zu bedauern war. Die Beziehung hielt meist nur für kurze Zeit. Denn nichts konnte seine Einstellung und seinen Lebensstil ändern. Er, der Sohn aus gutem Hause, dessen Großvater gleich nach dem Krieg mit irgendeinem Patent ein Vermögen gemacht hatte, war damit verwachsen wie eine Kletterpflanze mit dem Gerüst, um das sie sich rankt. Ein Bewusstsein, das sich in der ganzen Familie widerspiegelte und den richtigen Stallgeruch hervorbrachte. Nämlich die großbürgerliche Haltung, die Gesten, die Sprache und die Umgangsformen derer, die unsichtbar sichtbar tragen, sagen, tun, was man trägt, sagt und tut, wenn man von Haus aus dazugehören will. Aus diesem angeborenen Grund sah sich Baron auch gar nicht veranlasst, besonders moralisch zu handeln. Das überließ er lieber anderen. Bei ihm wurde Ehre durch die Art des Auftretens verkörpert, nicht jedoch zum Herzensmaßstab gemacht. Mann musste schließlich durchblicken, versteht sich! Einige Jahre lebte er dennoch fest mit einer Frau zusammen, die ihn eine ganze Weile faszinierte, wie ich immer wieder vernahm. Vielleicht weil sie ebenso geburtsparfümiert war wie er. Es hieß, dass sie versuchte, ihn von seinen Lastern zu befreien, was selbstverständlich misslang. Ein Genussmensch will nicht gerettet werden. Die Summe seiner Laster bleibt immer gleich, selbst wenn er sie wechselt oder eins gegen das andere austauscht. Als sie sich trennten, begann erneut eine ausgesprochen wilde Zeit im Leben des Zigars.
»Wann?«, fragte ich Ellen beiläufig, »haben sich dein Bruder und Carmen Roeder eigentlich getrennt?« Dabei lutschte ich genüsslich an meiner Zigarre, deren herber Saft sich bereits hinten zusammenzog. So ist das eben mit einer Petit. »Das war im Januar 1991«, erwiderte Ellen Baron. »Und ich kann dir sagen...«, fuhr sie fort, dass das wahrscheinlich sein Verhängnis war. »Sein Verhängnis?«, hakte ich mit Unschuldsmiene nach, obwohl ich genau wusste, wovon sie sprach.
Seine Koffer waren bereits gepackt. Einmal mehr würde er einer von fünfhundert Millionen Menschen sein, die in diesem Jahr weltweit verreisten. Er hatte die Nase gestrichen voll. Carmen war so überstürzt ausgezogen, dass er oft um fünf Uhr morgens aufwachte und von Trennungsgefühlen übermannt wurde. Und wozu die ganze Aufregung? Er war in den Jahren mit dieser großen, blonden Klassefrau auffällig treu gewesen. Okay, ein paar Seitensprünge hatte er sich erlaubt, das musste er zugeben, aber so what? Die hatten keine Bedeutung gehabt. Dennoch war nun alles für die Katz. Sein heftiges Dauerfaible für Diana war letztlich aufgeflogen, und das bloß, weil Diana Heidi kannte, die wiederum eine Freundin von Carmen war. Diese Verschwörung des Weiblichen hatte ihn allein in seiner Wohnung zurückgelassen. Er verstand Carmen nicht ganz. Immerhin hatte es eine Zeit gegeben, in der er gerne ein Kind mit ihr gezeugt und sie auch geheiratet hätte, während sie es wichtiger fand, ihrem Beruf als Lektorin nachzugehen, um unabhängig zu bleiben. Unterstützt von ihrem millionenschweren Vater, prallte die Begeisterung seiner von ihrer Schönheit hingerissenen Anfangsliebe, kühl und eloquent an ihr ab. Und dann so ein Theater wegen dem bisschen Vögeln. Lächerlich! Einfach lächerlich! Wenn Frauen wussten, was sie wollten, sah der Mann kein Land mehr. Deshalb konnte man die wahre Liebe den Hasen geben. Eine Idee, nichts als eine Idee. Die Lust aber, ein Komet zu sein, mit feuerrotem, starkem Schweif, glänzend am blauen Firmament, unstet und rastlos hineilend durch das Gemüt der Frauen, glimmende Funken versprühend auf die reine Kühle des Herzens, das Feuer der Versuchung inszenierend, blieb ungebrochen. Feurio! Er liebte es, aufzuschnüren und zu verführen. Er bekam sofort Appetit, wenn er zartes weibliches Fruchtfleisch roch. Er war kein Kostverächter und würde nie einer werden. Auch mit Achtunddreißig war er noch bereit, abzuheben.
Am nächsten Tag, es war der 12. März 1991, flog er nach Bangkok, um von dort auf die Insel Koh Samui weiterzureisen, wo er mit Freunden verabredet war. Chris war ebenfalls dabei, weil Paul bei einem Treffen nicht die Klappe halten konnte und einfach gesagt hatte, »komm doch einfach mit«, ohne vorher Rücksprache mit ihm oder den anderen zu halten. Weil er Chris ganz amüsant fand, vor allen Dingen aber kein Fass aufmachen wollte, hatte er dem Vorschlag zugestimmt. Nun saß Chris ebenfalls in diesem Flugzeug, wie er festgeschnallt auf engstem Raum, und sagte gerade: »Ich komme mir vor wie ein Fisch, der sein Leben geopfert hat, um in einer Dose das Fliegen zu lernen. Welcher Teufel hat mich bloß geritten, mit auf diese Reise zu gehen? Ich fange schon jetzt an, es zu bereuen. Aber hast du schon bemerkt…? Die Rothaarige neben mir wirft dir immer wieder flammende Blicke zu. Die sieht das offenbar völlig anders. Die würde wohl am liebsten auf dich draufhocken.« Daniel winkte ab. Er sah selbst, dass die Geilheit der Rothaarigen aus jeder Pore drang, konnte es förmlich riechen. Und es war auch klar, wen sie da anschmachtete. Das Objekt ihrer Begierde war ganz offensichtlich er. Das lenkte ihn ein wenig von diesem notdürftig bezogenen Sitzplatz ab, dessen billiger Stoff ihn dermaßen abstieß, dass er, noch bevor er sich darauf niederließ, eine Decke darauf hatte ausbreiten wollen. Da die Decke aber muffig roch, war er dann doch davor zurückgeschreckt und hatte das Teil stattdessen unter den Sitz gesteckt. »Mir graust auch davor, die nächsten elf Stunden auf diesen achtzig cm2 zu verbringen, Chris! Aber lass uns bei Laune bleiben. Feldforschung ist übrigens ein durchaus geeignetes Mittel, sich abzulenken.«
»Diese Rothaarige ist wie geschaffen dafür, nicht wahr, Zigar?« Chris richtete sich wachsam, fast angestrengt auf. Daniel erhaschte dabei einen Blick auf die vorbeieilende Stewardess und nutzte den Moment, um zu fragen, ob es im Bordshop ein Fernglas zu kaufen gäbe, damit er dem Unterhaltungsprogramm folgen könne. Dem Rotschopf und dessen Blicke schenkte er ebenso wenig Beachtung wie der kleinen Provokation von Chris. Die Stewardess beantwortete seine, zweifellos von Ironie durchtränkte, Frage mit einem Ja, was ihm ein breites Grinsen entlockte, zumal ihre Antwort weit weniger verbindlich klang, als Chris sich leicht flirtend ebenfalls nach dem Programm erkundigte. »Keine Ahnung!«, erwiderte sie und entschwand flugs. Daniel entschied nun, in aller Ruhe Feldforschung zu betreiben. Chris konnte er zu einem späteren Zeitpunkt ja einweihen. Momentan verspürte er jedoch wenig Lust, sich ihm anzuvertrauen und einen Austausch zu starten. Je länger er die Rothaarige beobachtete, desto sicherer wurde er sich in Bezug auf sie.
Ihr Pfläumchen juckte sie. Besonders wenn sie ein paar Gläser intus hatte, verspürte sie das heftige Verlangen, einen Mann aufzureißen – und er schien genau der Richtige dafür zu sein. Nur schade, dass er sich gelangweilt gab. Das reizte sie erst recht. Ihr standen bereits die Nippel stramm, wenn sie ihn bloß anschaute. Wie souverän und genüsslich der seine Zigarre bearbeitete. Der war hot und sie war hot. Was also sprach dagegen? Daniel lachte in sich hinein. Er genoss die Aufmerksamkeit des vibrierenden Lockenschopfes, der ihm über Chris hinweg heiße Blicke zuwarf. Seine Vorstellung, was in ihr ablief, war ziemlich exakt. Was für ein Pech für die etwas zu klein geratene Vollbusige mit dem leicht verlebten Gesicht! Sie entsprach nicht seinem Beuteschema. Er liebte Natürlichkeit, Frauen mit Klasse, die hinter ihrem kühlen Sex-Appeal das Rasseweib verbargen. Dieses weibliche Wesen hatte einen Anflug von Verruchtheit, der ihn kolossal irritierte. Er hatte das Gefühl, dass er die Finger weglassen sollte, auch wenn das lockige Etwas so stark nach Verführung roch, dass seine Testosteron-Ausschüttung definitiv angekurbelt wurde. Lässig drehte er sich zur Seite.
Später jedoch bei der Gepäckausgabe auf dem Flughafen in Bangkok stellte sie sich neben ihn und quatschte ihn an. Ob er sich ein Taxi mit ihr teilen würde, und ob er ein Hotel für sie wisse, da sie noch nichts gebucht habe, fragte sie. Ihre Ungeniertheit gefiel ihm. Dennoch warf er Chris einen Bitte-rette-mich-Blick zu, aber Chris gab sich ziemlich ungerührt, tat, als sei er meilenweit entfernt und hätte nicht das Geringste mit ihm zu tun. Das brachte ihn etwas ins Schleudern. Immerhin war der Rotschopf attraktiv und allein auf Reisen, und sein Gentleman sandte eindeutige Erregungssignale. Also schlug er ihr vor, mitzukommen, da er den Besitzer des Hotels, das er gebucht hatte, von anderen Besuchen in Bangkok gut kannte und sicher war, dass er sie unterbringen konnte. So geschah es dann auch.
Mitten in der Nacht klopfte es. Mit einem Schlummertrunk in der Hand betrat der Rotschopf das Zimmer, um sich zu bedanken.
»Lust auf einen Drink?« Auffordernd lächelte sie an.
»Hm?«
»Schwül hier drinnen«, meinte sie.
»Ich habe die Klimaanlage abgestellt, weil ich mir keinen Schnupfen holen will.« Regungslos blieb er nackt unter seiner dünnen Decke liegen und ließ sie mitsamt dem Schlummertrunk einfach in der Mitte des Raumes stehen. Sie tauschten ein paar belanglose Floskeln aus. Er vermied es bewusst, ihr irgendein Signal zu geben, verhielt sich stattdessen abwartend und unbeteiligt. Schließlich machte sie auf dem Absatz kehrt und verschwand. Möglicherweise hielt sie ihn für schwul. Ihm konnte das egal sein.