BRAND DER LIEBE - Uschi Constanze David - E-Book

BRAND DER LIEBE E-Book

Uschi Constanze David

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Beschreibung

Nach der Trennung von seiner Verlobten verlässt der sechsundzwanzigjährige Noam Philipp Erbe sein Elternhaus in Frankfurt, um bei BARGA IT in Weimar eine Stelle anzutreten. Kaum dort angekommen, verliebt sich der Spieleentwickler Hals über Kopf in die sieben Jahre ältere Kollegin Ellin Hartmann, obwohl sein Vater ihm den Rat mit auf den Weg gegeben hat, von Frauen zunächst einmal die Finger zu lassen. Noam jedoch erkennt in Ellin seine Zwillingsseele und setzt alles daran, die verheiratete Frau und Mutter dreier Kinder für sich zu gewinnen. Hat ihre Liebe eine Chance?

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Seitenzahl: 394

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Uschi Constanze David

Brand der Liebe

Uschi Constanze David

BRAND DER LIEBE

Zwischen den Stühlen 11

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Februar 2024

Zwischen den Stühlen @ p.machinery

Kai Beisswenger & Michael Haitel

Titelbild: Norbert Pielsticker

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat: Kai Beisswenger

Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Zwischen den Stühlen

im Verlag der p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.zds.li

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 378 9

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 731 2

Trotz der Schilderung realer Ereignisse aus der Vergangenheit handelt es sich um einen Roman. Die beschriebenen Personen, Begebenheiten, Gedanken und Dialoge sind fiktiv. Sollte es Übereinstimmungen mit tatsächlich existierenden Personen, Namen und Vorkommnissen geben, sind diese rein zufällig und ohne jegliche Bedeutung.

01 • September 2007

Carl ist baff. Das ist mal wieder typisch seine Mutter. Schlägt sie doch allen Ernstes vor, Noam Philipp Erbe als Berater und Composer anzuwerben. Und er soll das in die Wege leiten. Wer sonst? Hat er Bock darauf? Nicht wirklich. Aber wenn sich Barbara etwas ernsthaft in den Kopf gesetzt hat, kommt man ihr kaum bei. »Könntest du mich vielleicht fragen, was ich davon halte, bevor du mir einen Auftrag erteilst«, murrt er.

»Das ist kein Auftrag. Das ist eine Bitte. Und ich erwarte, dass du sie mir erfüllst. Oder hast du vergessen, was ich schon alles für dich getan habe?« Stirnrunzelnd blickt sie ihn an. Während er sich beeilt, sie zu beschwichtigen, schießen ihm allerhand Gedanken durch den Kopf. Wieso soll Erbe so plötzlich nach Weimar zu BARGA IT kommen? Okay, er hat sich mit den Storyboards für Death Life und LMA einen Namen gemacht, aber muss man ihn deshalb gleich anwerben? Das hält Carl mal wieder für maßlos übertrieben. Ihm ist die Nische, die auf Wunsch seiner Mutter kürzlich eingerichtet wurde, sowieso ziemlich egal. Wenn es nach ihm ginge, würde sich BARGA IT weiterhin nur auf maßgeschneiderte Softwarelösungen für Unternehmen konzentrieren. Leider geht es nicht nur nach ihm. Das ist der Haken an einer so hochaktiven Mutter, wie Barbara eine ist. Aber sich deshalb mit ihr anzulegen, wäre blöd. Sie tut so, als ob sie immer noch das Sagen hätte, und erwartet von ihm, dass er springt. Bislang ist er mit seiner Taktik, im richtigen Moment nachzugeben und hin und wieder total auf stur zu schalten, um sich eigene Freiräume zu sichern, ganz gut gefahren. So unschuldig wie möglich fragt er seine Mutter: »Was bezweckst du mit diesem Vorstoß eigentlich?«

Barbara blickt ihn durchdringend an. »Was ich bezwecke? Was glaubst du denn?«

»Keine Ahnung. Sag’s du mir.«

»Ich will die Firma zukunftsfähig machen.«

Er muss sich ein Lachen verkneifen. Meint sie das ernst? Barbara scheint ganz zu vergessen, dass das Unternehmen seit Kurzem ihm gehört. »Ich verstehe nicht ganz«, wendet Carl ein.

Leicht ungeduldig, wie es manchmal ihre Art ist, antwortet sie. »Er ist ein aufsteigender Stern. Von seinem Glanz wird auch etwas auf uns abstrahlen. Abgesehen davon halte ich ihn für ein Genie.«

Boah. Sie geht mal wieder in die Vollen. Mühsam unterdrückt Carl ein Grinsen. Ganz die alte Firmenchefin, tut so, als ob ich immer noch ein kleiner Junge wäre, dem man genaue Anweisungen erteilen und erst einmal auf den neuesten Stand bringen muss. Er würde am liebsten den Raum verlassen.

»Und? Was ist nun? Kümmerst du dich darum?« Sie wirft ihm einen gebieterischen Blick zu.

Carl setzt ein vielsagendes Gesicht auf und schaut seiner Mutter in die Augen, während er denkt. Vermutlich ist sie bloß scharf auf diesen gut aussehenden Youngster. Chris Landing hat so etwas neulich angedeutet. Sie sei von Erbe total fasziniert, brenne darauf, ihn persönlich kennenzulernen. Regelrecht besessen von dieser Idee sei sie, hat er verlauten lassen. Landing wird es wohl wissen. Er holt tief Luft. »Wann mach ich mal nicht, was du sagst, Mutter?«, erwidert er lakonisch. Ihm ist doch egal, was sie wirklich vorhat. Er kennt seine Mutter gut. Sie ist die Königin der Hintergedanken. Vielleicht macht es ja Spaß, Erbe zu treffen, tröstet er sich gedanklich.

»Was grinst du so anzüglich?«, fragt sie lauernd.

Ich bin am Zug, Mama! Halt dich zurück, denkt er, während sie ihn so intensiv mustert, dass er sich erneut zu einer Antwort genötigt fühlt. »Mich würden deine wahren Motive interessieren, ganz einfach.« Er hat den Satz kaum ausgesprochen, als sich ein Schwall von Worten über ihn ergießt. Seine Mutter schwärmt von LMA, als ob sie den ganzen Tag nichts anderes tun würde, als dieses Computerspiel zu spielen, singt Erbes Loblied, säuselt in einem fort. Carl fühlt sich, als ob er nicht nur ein Paar Ohren, sondern mehrere hätte. Offenbar hängt ihr Leben davon ab, diesen Freak nach Weimar zu kriegen, schlussfolgert er genervt und wirft ihr einen Blick zu, der sagen soll, mäßige dich, ohne dass er dabei seine Wärme verliert. Denn es ist ja immer wieder erstaunlich, mit was sich Barbara so beschäftigt. Laut fragt er: »Geht es dir echt um seinen Output?« Ein verräterisches Zucken ihrer Mundwinkel zeigt ihm, dass sie genau verstanden hat, was er damit andeuten möchte. Der Typ macht dich heiß, nicht wahr, Mama, schwirrt ihm durch den Kopf. »Ich kenne dich doch«, ruft er, ohne zu konkretisieren, was er damit meint. Ihm ist bekannt, dass Erbe ein Weiberheld ist. Seit der Kreation von Death Life ist in der Frauenwelt eine Art Erbe-Fieber ausgebrochen. Erbe in aller Munde. Und sein bestes Teil ist vermutlich in vieler weiblicher Munde. Carl schnalzt genüsslich mit der Zunge. Da könnte man glattweg neidisch werden. Er hat Fotos von Erbe gesehen. Groß, schlank, imposant, volles dunkles, halblanges Haar und eine Intensität in den Augen, die bei den meisten Frauen den Kitzler vermutlich auf Anhieb anschwellen lässt. Der Hype um den Typ ist wirklich riesengroß.

»Carl«, hört er seine Mutter sagen, »kann ich mich auf dich verlassen? Wirst du Erbe ansprechen oder muss ich das selbst tun?«

Sicher, die Games sind außergewöhnlich, aber ihn deshalb gleich in die Firma zu holen…? Ist das nicht maßlos übertrieben? Auf so eine Idee kann nur seine Mutter kommen. Sie hat sich von dem Theater, das um den Kerl gemacht wird, anstecken lassen und jetzt will sie sich auch noch die Blöße geben, ihm nachzulaufen. Carl rafft sich zu einem letzten kleinen Widerstand auf. »Was erhoffst du dir davon, Mutter?«

»Wie oft muss ich es noch wiederholen? Erbe ist äußerst vielversprechend. Ein Genie. Und er ist charismatisch. Ich gehe davon aus, dass er die Welt überraschen, es weit bringen wird. Sollte es uns gelingen, ihn an Land zu ziehen, seinen Namen vor unseren Karren zu spannen, wird das eines Tages auf uns und unsere Firma zurückstrahlen. Du weißt, ich will ein Game Studio einrichten, in dem Entwickler ihre Spiele zum Leben erwecken können«, antwortet sie.

»So, so!« Carl lächelt maliziös. Dass sich seine Mutter so ungeniert als Fan outet, ist die eine Sache, dass sie ihm schon kurz nach Firmenübergabe Anweisungen erteilt und von unserer Firma spricht und eigene Pläne hegt, eine andere. Soll er ihr gleich einen Riegel vorzuschieben oder erst später? Seine Gedanken überschlagen sich. Vielleicht taugt der Freak ja für was, kann mir noch ein paar Tricks und Kniffe beibringen, wie die Frauen leichter zu knacken sind.Könnte lustig sein. Mal sehen, wer mehr Treffer landet, er oder ich? Anschauen kostet ja nichts. Er überlegt, mit welcher Antwort er den Ball spielen kann, ohne seiner Mutter zu viel Siegessicherheit zu vermitteln. Auf keinen Fall will er etwas überstürzen und schon gar nicht ist er gewillt, sofort nachzugeben. Es muss allmählich klar sein, wer von nun an das Sagen hat.

»Und? Sprich! Wirst du ihn kontaktieren?«, unterbricht Barbara seine Überlegungen. Wie typisch für sie, ihr Faible so enthusiastisch auszuleben. Sie ist selten gewillt, sich ernsthaft zurückzuhalten, will immer da sein, wo der Bär steppt, will auf keinen Fall was verpassen, will ihre Muschi nicht erkalten lassen. Seit dem Tod seines Vaters führt sie nicht nur das Regiment, sondern auch ein ziemlich ausuferndes Liebesleben. Prestige ist ihr verdammt wichtig. Vermutlich befürchtet sie, dass ihr die Felle davonschwimmen, wenn sie sich zurückzieht. Deshalb ist sie weder bereit, ihren Platz zu räumen, noch schafft sie es wirklich, sich rauszuhalten. Einen Moment lang ist er versucht, ihr ihren Wunsch abzuschlagen, hat das Gefühl, ihr sagen zu müssen, dass er Erbe für fragwürdig hält, dass die Zeit gekommen ist, ihm die Entscheidungen zu überlassen, die die Firma betreffen. Dann aber gewinnt seine Unbekümmertheit Oberhand. Außerdem würde es sowieso nichts nützen. Wenn sie sich mal was in den Kopf gesetzt hat, ist es kaum möglich, sie davon abzubringen.

»Du willst also, dass ich ihn weichkoche«, stellt er trocken fest. »Mich würde allerdings erst einmal interessieren, was der Kerl tatsächlich draufhat und vor allem, was er vorhat? Ehrlich gesagt halte ich Erbe nur für einen studierten Juristen, der aus einer Laune heraus Games designt.«

»Wie kannst du so etwas sagen«, empört sie sich. »Er ist ein Genie. Ein Auserwählter. Er hat die Szene völlig umgekrempelt.«

»Stimmt, er sorgt für Aufsehen. Womöglich ist er sogar so genial, wie du glaubst. Aber müssen wir ihm deshalb gleich eine hoch dotierte Stelle anbieten?« Leicht gereizt schaut er seine Mutter an. »Außerdem tust du so, als ob du etwas vom Zocken verstehst, was ich jedoch ernsthaft infrage stelle. Was ich allerdings keinen Augenblick anzweifle, ist, dass dich sein gutes Aussehen blendet.«

»Du vergisst, dass ich eine Menge Ahnung von Dingen habe, die Wirkung entfalten, und ich habe Erfahrung. Ich will, dass du ihn beackerst, zu BARGA IT zu kommen. Von mir aus zur Probe, aber sorge dafür, dass er kommt.«

Ja, das hast du, stimmt ihr Carl in Gedanken zu. Außerdem habe ich keine Lust mehr. Also holen wir den Kerl nach Weimar und schauen, was daraus wird. Mir reicht’s! Die Sache ist eh nicht so wichtig.

»Was ist jetzt, Carl? Bist du bereit? Du weißt, ich will nur das Beste für dich und unser Unternehmen. Erbe könnte der Richtige für uns sein, das spüre ich. Weltruf, Carl! Er könnte unseren Weltruf begründen.«

»Mit was? Mit einem neuen Spiel? Meinst du nicht, dass das alles ein bisschen zu weit hergeholt ist? Sollten wir uns nicht eher auf unser Kerngeschäft fokussieren?«

»Nein, sollten wir nicht!« Barbara klingt sehr entschieden. »Agile Softwareentwicklung darf doch auch mal überraschen. Wir wollen uns in diesem Bereich einen Namen machen, das hatten wir doch besprochen. Und meine Intuition sagt mir, dass er dafür der Richtige ist.«

Während sie weiterspricht und von den Vorzügen Erbes schwärmt, denkt er: Immer wieder erstaunlich, wie Barbara tickt. Vielleicht hat sie ja recht. Rein geschäftlich gesehen hat sie schon öfters einen sicheren und zukunftsweisenden Riecher bewiesen. Womöglich ist Erbe wirklich ein guter Fang. Es ist doch völlig unerheblich, ob ich ihren Enthusiasmus teile oder nicht. Sie hat schon so viele gute und weitsichtige Entscheidungen für die Firma gefällt, dass es hirnrissig von mir wäre, ihrem Instinkt zu misstrauen. Und wenn sie ihn pimpern will, dann soll sie ihn halt pimpern. Grinsend hebt er die Hand und sagt einlenkend: »Okay, Barbara! Ich rufe ihn an und lade ihn nach Weimar zu einem Meeting ein. Dann sehen wir weiter. Einverstanden?«

»Tu das«, sagt sie und strahlt.

02 • Einen Monat später

Unangemeldet rauscht Barbara in sein Büro. Spitz fragt sie: »Was ist nun?«

»Was meinst du?« Er ahnt schon, um was es geht, will mit seiner Gegenfrage aber erst mal Zeit gewinnen.

»Wo bleibt er?«

»Wer?«

»Du weißt genau, wen ich meine.«

»Erbe hat unsere Einladung dankend abgelehnt. Habe ich wohl vergessen zu erzählen.«

»Hast du persönlich mit ihm gesprochen?«

»Nein, habe ich nicht. Die Einladung ging über die Personalabteilung.«

»Das ist in diesem Fall ein großer Fehler.«

»Du übertreibst, Mutter!«

»Man muss ihn bauchpinseln, ihn locken, ihm ins Ohr säuseln. Und das wirst du auch tun. Du bist doch demnächst sowieso unterwegs. Also halte auf deinem Rückweg von Sylt in Frankfurt und überzeuge ihn davon, für uns tätig zu werden.« Das sagt sie lächelnd, aber mit einem Ton, der Carl verrät, dass sie keine Widerrede duldet. Mag ihr Lächeln auch noch so smart sein, es steckt ein eiserner Wille dahinter.

Da er keine Lust auf eine Diskussion hat, lenkt er sofort ein und weist seine Sekretärin umgehend an, einen neuen Termin mit Erbe zu vereinbaren. »Bist du jetzt beruhigt, Mama?« Aber sie ist schon beim nächsten Thema. »Wirst du ihr einen Heiratsantrag machen?«, fragt sie.

»Weiß ich nicht«, antwortet er und setzt ein Gesicht auf, von dem er hofft, dass es möglichst undurchdringlich ist. Erst dieser Überflieger, nun Lisa. Es stört ihn gewaltig, dass sich Barbara auch noch in seine Liebesgeschichten einmischt.

Er hat Lisa vor einigen Monaten während eines Cluburlaubs in Spanien kennengelernt. Sonne, Sand und Meer und einige heiße Nächte. Eine Lebensgeschichte daraus zu machen, war weder von seiner noch von ihrer Seite vorgesehen. Doch nun ist Lisa im dritten Monat schwanger. Zweimal ist ihnen das Kondom geplatzt. Lisa behauptet, daran sei nur sein wildes Stoßen schuld, er schiebt es auf ihre Pillenphobie und irgendwelche Aussetzer, die kein Mensch voraussehen kann. Ist auch egal. So früh Vater zu werden, hält er an und für sich für keinen Weltuntergang, wäre da nicht seine Mutter, die gleich eine Verbindung fürs Leben daraus stricken möchte und sich wie immer in alles einmischt.

Er bemerkt ihren lauernden Blick und zuckt mit den Achseln. »Was willst du?«

»Das weißt du genau«, antwortet sie.

Ich fühle mich eigentlich noch zu jung zum Heiraten. Aber vielleicht macht es ja Spaß, die Ehe zu erproben, sinniert er vor sich hin. Vielleicht ist Lisa das Bollwerk, das mich vor Barbara abschirmt. Ein bisschen weniger Einmischung wäre gut. Ich sollte es just for fun ausprobieren.

»Du solltest es tun. Es spricht eine Menge dafür«, hört er seine Mutter sagen. Wie schon öfters fragt er sich, ob sie seine Gedanken lesen kann.

»Warum? Bloß weil sie schwanger ist?«

»Das, was dazu führte, hat dir doch Vergnügen bereitet oder etwa nicht?«

»Ja, schon, aber …«

»Liebe vergeht, Reichtum besteht! Merk dir das«, bemerkt das weibliche Oberhaupt mit glasklarer Stimme. Ihr hoheitsvoller Ton kitzelt an seinen Nerven. Am liebsten würde er auf der Stelle den Raum verlassen.

»Dir kommt es vielleicht gelegen, dass Lisa aus einer reichen Familie stammt. Du scheinst aber nicht zu kapieren, dass mir das völlig wurscht ist. Ich will nicht wegen des Geldes heiraten. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt heiraten will. Es reicht doch, wenn ich mit ihr zusammenziehe«, erwidert er.

»Zusammenziehen reicht auch, so, so. Und was wäre ein Grund für dich, zu heiraten?«

Er muss kurz überlegen. »Spaß, der sich so anfühlt, als ob er ein Leben lang Spaß machen würde? Aber im Grunde kann ich mir das nicht vorstellen. Dazu gibt es zu viele hübsche Frauen.«

»Spaß, der ein Leben lang anhält? Hm.« Barbaras Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel daran zu, dass sie das für völlig abwegig hält. »Auf so eine absurde Idee kann nur ein Youngster kommen. Du hältst Spaß für wichtiger als Geld?« Der bedeutungsschwere Unterton in ihrer Stimme ist nicht zu überhören.

»Das habe ich nicht gesagt.«

»Hör gut zu! Für eine funktionierende Beziehung ist Geld die beste Basis. Und Geld zu Geld – das ist die allerbeste Basis.«

»Wir kennen uns kaum.«

»Du hast sie geschwängert.«

»Ich habe meinen Pimmel in sie reingesteckt und nicht rechtzeitig rausgezogen. Das ist alles. Seit wann bist du so pingelig?«

»Ich bin nicht pingelig.« Sie wirft ihm den herablassendsten Blick zu, den er je an ihr wahrgenommen hat. »Ich sage nur eins: Ein Mann aus gutem Haus bringt das in Ordnung, weil er weiß, dass eine Ehe weit mehr ist als eine Liebesbeziehung. Ein Mann aus gutem Haus ist unsentimental und orientiert sich an dem, was wichtig ist, und nicht an seinen Gefühlen. Sie ist ein Goldfisch. Sie entstammt einer reichen Familie, vergiss das nicht. Du kannst dann immer noch pimpern, wen du willst.«

»Was soll das?« Carl schaut seine supercoole Mutter an, wie sie mit ihren sechsundvierzig Jahren aufgebrezelt vor ihm steht, und wünscht sich für einen Augenblick ein etwas mehr in die Jahre gekommenes Mutterexemplar.

»Das weißt du genau. Eine Ehe ragt weit über das Geplänkel zwischen Mann und Frau hinaus. Sie ist ein Pakt, der ganze Sippen miteinander verbindet. Verstehst du? Ich glaube kaum, dass du ein Leben lang treu sein kannst. Umso wichtiger, dass der äußere Rahmen stimmt.«

Das geht eindeutig zu weit. Jetzt will sie mir auch noch vorschreiben, wen und wann ich heiraten soll. Carl würde am liebsten mit den Zähnen fletschen, stattdessen sagt er: »Okay, Mutter! Ich fahre sowieso nach Hannover. Ich will Lisa auf jeden Fall wiedersehen und mit ihr reden. Danach sehen wir weiter. Ich nehme übrigens Jo mit«, fügt er hinzu.

»Du nimmst Hartmann in deine vorgezogenen Flitterwochen mit? Was für ein bizarrer Einfall. Soll er die Stute halten, während du dir überlegst, was aus dem Fohlen werden soll?« Spöttisch blitzt Barbara ihn an.

»Quatsch! Ich setz ihn unterwegs bei Kati ab. Er soll sich einen Wallach anschauen.«

»Du willst schon wieder ein Pferd kaufen?«

»Es soll sich um einen Rohdiamanten handeln. Und wir können ein leistungsstarkes Pferd mit hoher Sprungkraft und schnellen Galoppwechseln in unserem Stall gebrauchen.«

»Ach ja? Na gut! Kümmere du dich um Erbe und um deine Zukunft, dann habe ich nichts dagegen, dass du das Geld mit offenen Armen zum Fenster rauswirfst. Hartmann wird schon wissen, was er tut. Ich hoffe bloß, dass du es auch weißt«, erwidert seine Mutter und blitzt ihn an.

Carl unterdrückt, was ihm auf der Zunge liegt. Er hat keinen Bock, diese Unterhaltung weiter zu befeuern. Seine Mutter ist gewieft. Mit Sicherheit fallen ihr neue Argumente ein, wenn er ihr die Gelegenheit dazu gibt. Er hat genug von diesem Gespräch. Was sie für bedeutend hält, ist für ihn noch lange kein Grund. Außerdem bringt das ganze Gequatsche sowieso nichts. Klar, Lisa stammt aus einer reichen Familie – und er ist darauf geeicht, einen Goldfisch an Land zu ziehen, aber er muss sich erst einmal über einiges klar werden und er wird sich über einiges klar werden, ganz gleich, was seine Mutter sich so vorstellt. Ich fahre mit Lisa eine Woche nach Sylt und vögle sie durch, dann weiß ich mehr, denkt er und grinst in sich hinein. Barbara schaut ihn prüfend an. »Kann ich mich, was Noam Philipp Erbe betrifft, endlich mal auf dich verlassen? Es wird Zeit, dass du das ernsthaft in die Hand nimmst.«

»Nicht dein Ernst, oder?« Carl lacht spöttisch. Er hat das Gefühl, zwölf statt dreiundzwanzig zu sein.

»Carl!« Seine Mutter schlägt ihm auf den Arm. »Schaff ihn her! Hast du mich verstanden?«

»Aye aye, Captain! Ich fahre auf dem Rückweg bei ihm vorbei, fühle ihm auf den Zahn, kette ihn an und schleife ihn her. Vielleicht können wir ihn ja für das Omi-Opi-Gehirnjogging-Spiel einsetzen, an dem wir momentan dran sind. Da könnten noch ein paar hübsche Einfälle nicht schaden«, antwortet er.

Milde lächelnd entgegnet Barbara: »Wenn du meinst …«

»Was soll das schon wieder heißen?«

»Nun, dass ich Erbe mehr zutraue, als die Entwicklung eines Autorennspiels für Senioren«, antwortet sie.

»Das wird sich zeigen«, entgegnet er und zeigt ihr sein frechstes Grinsen.

03 • Jo

Sein Gefühl trügt ihn nicht. Als er Ellin anschaut, wird er von ihren Blicken durchbohrt, als ob er ein Stück Metall wäre und kein Mensch aus Fleisch und Blut. Sie funkelt ihn so böse an, dass es ihm graust. Guck du nur, denkt er höhnisch. Es geschieht dir ganz recht, nicht zu wissen, was bei mir gerade abgeht. Dauernd gängelst du mich und stellst mich infrage. Nichts kann ich dir mehr recht machen. Das hält kein Mann auf Dauer aus. Jo hat seine Ehe so satt, wie man etwas nur satthaben kann. Der ganze Spaß ist flöten gegangen. Ellin hängt ihm zum Hals raus. Wären da nicht ihre drei gemeinsamen Söhne, hätte er sich schon längst verkrümelt. Wer will schon dauernd mit derselben Frau in die Kiste steigen? Er jedenfalls nicht. Nichtsdestotrotz will er sich nicht trennen. Sie ist eine gute Mutter. Und drei Söhne sind nun mal drei Söhne. Dieser Teil der Abmachung ist unauflösbar. Liebe vergeht, Familie besteht.

»Na, hast du dich gestern Abend gut unterhalten«, fragt sie spitz.

»Sicher. Und du?«

»Geht so«, sagt sie und klingt dabei so frustriert, dass er kotzen könnte. Er weiß, was sie will: Reden, reden, reden. Immer wenn sie etwas aus der Welt schaffen will, besteht ihrer Meinung nach Redebedarf. Jo hält das für Schwachsinn. Man kann nicht alles aus der Welt quatschen. Es gibt Dinge, die sind nun mal, wie sie sind. Außerdem ist er müde und hat keine Lust auf irgendwelche Dispute. Das bringt alles nichts.

Doch die Bombe ist bereits scharf. Als er schweigend nach dem Döschen greift, das die Zahnstocher enthält – er will seinem Sohn demonstrieren, wie der Spender funktioniert – ist ihm schlagartig klar, was jetzt folgen wird. Es ist eine Einsicht, die der eintretenden Realität vorauseilt wie ein Blick in die Zukunft. Es ist, als ob er den Verlauf des Films, der ablaufen wird, voraussehen könnte. Er hat den Spender kaum in der Hand, da sagt Ellin auch schon in tadelndem Ton: »Nicht kaputt machen!« Den Kindern zuliebe drängt Jo die scharfe Antwort zurück, die ihm auf der Zunge liegt, aber der Hut, der sich unsichtbar auf seinem Kopf befindet, lupft sich und sein Hals schwillt an. »Ich wollte ihm nur zeigen, wie das Ding funktioniert«, meint er, stellt das Döschen aber sofort wieder hin.

»Habe ich geschenkt bekommen«, sagt Ellin.

Der Vorwurf in ihren Worten dröhnt in seinen Ohren. Als ob das nicht alle längst wüssten.

»Wissen wir doch alle. Die Bemerkung hättest du dir sparen können«, wendet er ein.

»Er wird sich an den Dingern stechen und sie bloß überall verteilen. Aber dir scheint das völlig egal zu sein«, fährt sie fort, als ob sie ihn nicht gehört hätte.

Seinen Ärger schluckend versucht Jo, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Und, wann fahren wir los?«, fragt er.

»Nicht bevor die Wogen geglättet sind«, erwidert Ellin aufgebracht.

Wie er diese Attitüden hasst. »Es reicht! Ich will nichts mehr hören«, sagt er wütend. »Deine ewig vorwurfsvolle Haltung geht mir auf den Zeiger.«

»Was bildest du dir ein? Mir reicht es schon lange«, zischt sie, steht ruckartig auf und geht zum Spülbecken. Kaum dort dreht sie sich mit versteinerter Miene um und deutet hinein. »Was ist das?« Der Ton in ihrer Stimme verheißt nichts Gutes.

Jo gräbt in seinen Hirnwindungen blitzschnell nach einer geeigneten Antwort. Er hat vorhin das Schmutzwasser ablaufen lassen und ohne nachzuspülen, den Stöpsel gezogen. Vermutlich sieht das Spülbecken nicht supersauber aus. Mit Gewissheit ein weiterer Grund für Ellin, sich über ihn aufzuregen. Da sein Gehirn eine schnelle Antwort verweigert, gibt er sich unwissend. »Was genau meinst du?«

»Diesen Dreck hier. Das Spülbecken strotzt vor Dreck. Kannst du nicht einmal was richtig machen?« Sie fängt an, es sauber zu machen, aber Jo spürt, wie ihre Missbilligung durch den Raum tigert und darauf wartet, weiter anzugreifen und ihm Hiebe zu verpassen. Und in der Stimmung müssen wir nun zu den Großeltern fahren, denkt er angepisst. Warum hat sie auch nicht einfach einen Babysitter organisiert? Laut fragt er: »Hätten deine Eltern nicht zu uns kommen können, um hier auf die Kinder aufzupassen?«

»Sagt wer? Einer, der zu faul ist, das Spülbecken ordentlich zu hinterlassen, und den es sonst eher nervt, wenn sie hier übernachten?« Ellin sieht ihn vorwurfsvoll an.

»Das ist eine Unterstellung.«

»Wie du meinst.«

»Und hör endlich auf, an diesem blöden Spülbecken rumzumachen. Wir frühstücken doch noch.«

»Ich nicht. Mir ist der Appetit vergangen.« Kerzengerade verlässt sie die Küche. Finn blinzelt mit den Augen, isst aber wortlos weiter. Frank und Felix löffeln mit gesenktem Kopf ihre Müslis. Wie still sie die ganze Zeit waren. Kinder sind die Leidtragenden, denkt Jo und streicht seinem Jüngsten sanft über den Hinterkopf.

Nach einer Weile taucht Ellin wieder auf. Gut möglich, dass sie geweint hat. Ihre Augen sind jedenfalls ganz glasig. »Alles okay?« Er fragt vorsichtig.

»Wir hatten schon mal bessere Zeiten«, entgegnet sie. Ein leicht bitterer Unterton liegt in ihrer Stimme.

Noch bevor Jo etwas erwidern kann, klingelt das Telefon. Ellin nimmt ab. »Es ist Carl von Bargen«, sagt sie. Sie hält den Hörer in der Hand, runzelt fragend die Stirn.

Jo nickt und nimmt den Anruf entgegen.

»Hey Jo! Hier ist Carl! Pack deine Sachen zusammen, wir fahren in den Norden!«

»Wann?«

»In den nächsten zwei Stunden. Die Wettervorhersage für morgen ist schlecht, deshalb möchte ich früher los. Ich muss zu Lisa. Du weißt schon, meine neueste Flamme. Wer seinen Schwanz zu tief reinhängt, hinterlässt eben manchmal Spuren. Du kümmerst dich derweil um unseren Rohdiamanten. Ich habe dich bereits angekündigt. Schau ihn dir gut an. Sollte er deinen Erwartungen entsprechen, dann schlag zu. Ich habe vereinbart, dass sie euch nach Hause befördern, wenn der Deal zustande kommt. Ist im Kaufpreis enthalten. Solltest du skeptisch sein, dann lass das Pferd stehen und nimm den Zug. Auch okay. Wir reden darüber, sobald ich zurück bin. Du hast freie Hand. Kati bereitet auf dem Gestüt ein Zimmer für dich vor. Du darfst gerne ein paar Tage bleiben, wenn du magst.«

Ich habe doch frei, denkt Jo und reibt sich die Schläfen. Aber das interessiert Carl natürlich nicht. Manchmal behandelt er Jo wie einen Leibeigenen. Immer großzügig zwar, dennoch wie einen Leibeigenen. Dabei bin ich einfach nur Leiter des Gestüts der Familie von Bargen. 1991 hatte der Alte von Bargen Adelstanz von der Treuhand günstig erworben. Nach seinem Tod fiel es als eine Art emotionales Vermächtnis an Carl. Dass Jo als Verwalter zum Dauerzuständigen erkoren wurde, hat viele Gründe. Er ist einer der besten Reiter weit und breit, hat dem kleinen Carl das Reiten beigebracht und damit eine stabile Verbindung geschmiedet. Von jeher ignoriert das Gestüt jede Arbeitszeitregelung. Wäre es nicht so ein ausgezeichnetes Liebesnest, in dem Jo unbehelligt Frauen flachlegen kann, hätte er vermutlich längst gegen diese Vereinnahmung protestiert. So aber hält er den Ball flach. Carl und er wissen, was sie aneinander haben. »In anderthalb Stunden stehe ich dir zur Verfügung«, antwortet er.

»Geil, Mann! Du bist einfach ein super Typ, auf den man sich verlassen kann. Nimm dir den Tag frei, sobald du zurück bist. Okay?« Carl scharrt mit Hufen, die er nicht hat, das hört Jo genau. Das Gespräch ist beendet. Männer kennen einander.

»Ich muss packen. Ich fahre mit Carl in den Norden«, sagt er zu Ellin.

»Was? Ich dachte, du hast frei.«

»Das dachte ich auch.«

»Und was wird aus der Fahrt zu den Großeltern?«

Dein Problem, denkt Jo und verlässt ohne ein weiteres Wort den Raum.

04 • Ellin

Kaum ist Jo weg, übermannt Ellin die Verzweiflung. Es grämt sie, dass ihre Ehe so schlecht läuft. Sie stellt sich oft die Frage, wie es nur so weit kommen konnte. Vor allem aber beunruhigt sie, dass Jo nicht mehr mit ihr schläft.

Es fing nach der Geburt ihres dritten Kindes an. Sie fühlte sich ständig überlastet, was dazu führte, dass ihre Lust auf den Nullpunkt sank. Irgendwann war sie wieder bereit und signalisierte das auch. Aber Jo ließ sie abblitzen, ignorierte sämtliche Versuche. Das tat weh, sehr weh. Sprechen wollte er auch nicht darüber. »Mach nicht aus allem ein Drama«, wehrte er ab, als sie das Thema ansprach. »In jeder Ehe gibt es Talsohlen.« Sie jedoch empfand es als Missachtung ihrer Weiblichkeit, denn sie sehnte sich so danach, wieder begehrt und berührt zu werden. Also gab sie nicht auf, sondern versuchte es wieder und wieder, handelte sich aber stets eine Abfuhr ein, weshalb sie immer frustrierter wurde. Und mit dem Frust kam der Ärger und wuchs und wuchs.

Zwischenzeitlich sind ihre Versuche vor allem der Sehnsucht nach einem Neubeginn geschuldet als dem Wunsch nach Vereinigung und deshalb eher halbherzig.

Das Thema fräst sich in ihr Inneres. Nervös knetet sie ihre Finger, fragt sich angestrengt, was sie noch tun kann, damit Jo sie wieder anziehend findet und Sex mit ihr will. Warum finden sie keinen Zugang mehr zueinander? Es schmerzt, körperlich abgelehnt zu werden. Was kann ich tun, um meine Ehe wieder auf Vordermann zu bringen?Was? Ihre Verzweiflung steigert sich.Gleichzeitig flammt Wut in ihr auf. Ich drehe noch durch, wenn sich nichts ändert. Es muss sich unbedingt etwas ändern. Ihre Gedanken überschlagen sich, unterfüttern den Groll, den sie schon so lange in sich aufgestaut hat. Sie springt auf und boxt wild in die Luft, so als ob sie einem unbekannten Gegner eine verpassen wollte. Sie kann sich kaum beruhigen. Lange halte ich es nicht mehr aus. Was hat ihn nur so gleichgültig werden lassen? Das fragt sie sich und ruft sich die Zeit, als alles zwischen ihnen begann, ins Gedächtnis. Mehr als zehn Jahre ist das jetzt her.

Beide sind sie bei BARGA IT angestellt, begegnen sich häufiger, wechseln sogar hin und wieder ein paar Worte. Jo ist nicht Ellins Typ, obwohl er mit seinen dunklen Locken, den großen Augen mit den schweren Lidern ein gut aussehender Mann ist. Irgendetwas an ihm irritiert sie, ja stößt sie sogar ab. Außerdem eilt ihm der Ruf voraus, hinter fast allen Frauen her zu sein und sich für keine entscheiden zu können. Sich festzulegen, so heißt es, falle ihm schwer, wohingegen sie von der großen, einzig wahren Liebe träumt.

Dann macht ihr Freund mit ihr Schluss einer anderen Frau wegen. Und plötzlich ist Jo Hartmann zur Stelle und tröstet sie, bietet ihr seine breite Schulter an, um sich auszuheulen, was sie auch tut. Nicht lange, und aus dem kollegialen Tröster wird ein Vertrauter, ein Mann, der ihr sehr viel Aufmerksamkeit schenkt und sie zu verwöhnen weiß. Ellin lässt sich einlullen, öffnet sich, gibt mehr und mehr von sich preis. Sie verbucht ihre Beziehung als Freundschaft, zumal Jo keinerlei Anstalten macht, sie zu verführen. Dann kommt der Tag, an dem er unmissverständlich zum Ausdruck bringt, dass es ihm ernst ist mit ihr. Er halte sie für die Mutter seiner Kinder, sagt er und wolle sie heiraten. Ellin hält einen riesengroßen Blumenstrauß in der Hand, fühlt sich überrumpelt und weiß nicht, was sie erwidern soll. Gleichzeitig schmeichelt es ihr, dass ein Mann so ernste Absichten für sie hegt. Noch immer ist das Fiasko mit ihrem Ex-Freund nicht ganz vergessen. Und Jo lässt sich nicht locker, umgarnt sie immer weiter, ignoriert ihre Unschlüssigkeit. Sie bittet um Bedenkzeit, die er ihr großzügig gewährt. Das rührt sie mehr als alles andere. Es ist so ritterlich, so bereit, auf sie zu warten. Das muss etwas bedeuten. Welcher andere Mann wirft schon so viel in die Waagschale? Sie kennt keinen. Und das Standing, das Jo in der Firma hat, ist auch nicht zu verachten.

Mehr als ein Jahr und Hunderte von Dates vergehen, bevor sie zu einem Entschluss gelangt. Nach einer heißen Nacht, in der Jo mehr Stehvermögen als sonst beweist, stimmt sie seinem Antrag zu. Zu ihrer eigenen Überraschung. Mit einem Mal sieht sie in ihm nicht mehr den plump-schwülstigen Mann, sondern einen powervollen Partner, der sie mehr begehrt als jeder andere vor ihm. Ihr erster Eindruck verblasst. Es ist ein Sieg der Beharrlichkeit, nicht jedoch der Zärtlichkeit. Er spricht danach sofort von Heirat, will nicht länger warten, will mit ihr Kinder zeugen. Ihre Gefühle bleiben gemischt. Da ist eine leise Stimme tief in ihrem Herzen, die sagt, dass er nicht ganz der Richtige ist. Dennoch kann sie sich mit einem Mal nicht mehr vorstellen, ihm eine endgültige Abfuhr zu erteilen. Er hat Bedeutung in ihrem Leben erlangt. Außerdem hat er viele Qualitäten, ist galant, verwöhnt sie, macht ihr Komplimente. Und er will sie heiraten. Viele Frauen würden mit Kusshand ja sagen.

Das Verhältnis setzt sich fort, überdauert all ihre Stimmungsschwankungen, ihre Zweifel und all ihre Hochs und Tiefs an der Seite dieses Mannes. Mit einem überaus romantischen zweiten Heiratsantrag fegt Jo ihre Bedenken schließlich vom Tisch.

Es folgt eine Traumhochzeit. Sie feiern auf dem Firmengelände der Bargens in einem Partyzelt der Extraklasse. Jo gilt als väterlicher Freund von Carl. Er hat dem jungen Bargen das Reiten und wer weiß was sonst noch beigebracht, leitet erfolgreich das Gestüt, das Carl sehr am Herzen liegt und Barbara von Bargen zeigt sich dafür gerne erkenntlich. Fast die halbe Firma ist dabei, als sie und Jo sich das Jawort geben. Ellin platzt beinahe vor Stolz.

Nach der Heirat verbessert sich ihr Stand im Unternehmen, denn sie ist nun die Frau von Jo Hartmann. Neue Möglichkeiten tun sich für sie auf. Sie nutzt die Chance, steigt tiefer in die faszinierende Welt der Informationstechnik ein, absolviert zahlreiche, von der Firma bezahlte Fortbildungen. Sie spielt sogar mit dem Gedanken, das Abitur nachzuholen und zu studieren. Doch Jo hält sie zurück. Er will so schnell wie möglich eine Familie gründen und keine Frau, die noch mal durchstartet. Er drängt sie, die Pille abzusetzen. Sie spricht mit ihrem Frauenarzt. »Machen sie sich keine allzu großen Hoffnungen. Das klappt nicht so schnell bei ihnen. Wenn überhaupt, werden sie frühestens ein halbes Jahr nach Absetzen der Pille schwanger, aber es kann durchaus auch Jahre dauern oder sogar schwierig werden«, behauptet er. Sie erschrickt. So hat sie sich das nicht vorgestellt. Was, wenn sie gar keine Kinder bekommen kann? Sie setzt die Pille ab, lässt der Natur ihren Lauf und wird sofort schwanger. Neun Monate lang kotzt sie sich die Seele aus dem Leib und bringt schließlich den von Jo heiß ersehnten Stammhalter auf die Welt. Er feiert die Geburt seines ersten Sohnes wie einen Triumph. Für sie fühlt sich die Familiengründung wie eine Niederlage an. Das Dilemma beginnt. Denn statt sie bei diesem gewaltigen Lebensumbruch zu unterstützen, zieht sich Jo zurück, wohnt fortan die meiste Zeit auf Adelstanz, obwohl er sich bislang eher sporadisch dort aufhielt. Wenn sie sich beschwert, argumentiert er, dass er für den Reiterhof verantwortlich sei und deshalb Schlaf und einen glasklaren Kopf brauche. Jede Nacht eine Stunde Babygeschrei sei da nicht drin. Pferdezucht sei nichts für unausgeschlafene Pendler, die unmotiviert im Stall und auf der Koppel herumhängen. Pferdezucht erfordere Disziplin Konzentration und Motivation.

Sie gibt nach, zeigt Einsicht. Zunächst ist ihr das Arrangement sogar recht, denn sie mag das Gestüt nicht – Stallgeruch ruft Übelkeit bei ihr hervor. Viel lieber lebt sie in der Stadt und genießt das ungestörte Zusammensein mit dem Neugeborenen, auch wenn das so alleine oft sehr anstrengend ist. Nach einiger Zeit begreift sie jedoch, dass bei dieser Art der Lebensführung etwas auf der Strecke bleibt. Da ist es allerdings schon zu spät. Die Rollen sind verteilt und zurren sich auf eine Weise fest, die sie als Abwärtsspirale erlebt, in den Augen der anderen jedoch als Mutterliebe verbucht wird. Weil Jo so selten daheim ist, sieht sie sich gezwungen, ihre Stellung bei BARGA IT aufzugeben, fungiert nur noch als Aushilfe. Der Traum vom Studium verschwindet unter einem Berg von Windeln und unter dem nachfolgenden, lautstarken Geschrei von Finn, dann von Frank und schließlich von Felix.

Nach der Geburt ihres zweiten Sohnes glänzt Jo durch noch mehr Abwesenheit. Ellin ist jetzt noch angepflockter. Ihr Frust wächst. Sobald Jo auftaucht, streiten sie sich. Manchmal massiv. Danach will Jo sie umgehend besteigen, ohne Vorspiel oder sonst irgendetwas. Er verhält sich wie ein Hund, der sein Revier markiert, wohingegen sie echte Nähe und Austausch sucht und schließlich auch einfordert. Die Lust beginnt zu leiden. Doch wenn sie nicht willig ist, wird Jo grantig. Und so gibt sie häufig nach, um den Stress nicht noch weiter zu erhöhen. Einer muss schließlich die Harmonie aufrechterhalten, lautet ihr Motto, aber diese Devise ist trügerisch. Mehr und mehr setzt ihr die fordernde Lieblosigkeit von Jo zu. Keine Spur mehr von der Zärtlichkeit, die sie am Anfang der Beziehung erleben durfte, kein Werben, kein Vorspiel, weder mit Worten noch mit Blicken. Sie wird wie ein Ackergaul bestiegen und geritten, geritten, geritten. Danach verschwindet Jo in ein Leben, das ihr weitgehend fremd bleibt. Sowohl ihr Muttersein als auch die stupide Sexmaschinerie frustrieren sie zusehends. Sie sehnt sich so heftig nach echtem Miteinander und Beachtung, dass ihr oft schlecht vor Frust ist.

Eines Tages ist sie erneut schwanger, weil sich ein Verhüterli noch während des Akts umgestülpt hat. Nach der Geburt des dritten Kindes vollzieht sich in ihr eine Wende. Sie wird immer trauriger, zieht sich von Jo zurück, weil sie sich ausgelaugt fühlt. Wenn er sich beklagt, wirft sie ihm vor, ein furchtbar schlechter Liebhaber zu sein, um ihre Ruhe zu haben.

»Glaubst du, es macht Spaß, in ein Loch zu fallen? Deine Vagina ist ausgeleiert. Wir können es in Zukunft auch ganz lassen«, kontert er eines Tages.

Das trifft sie. Schockiert und verletzt zieht sie sich noch weiter in sich selbst zurück, hält die Fassade aber aufrecht. Sie bewahrt Haltung, tut so, als sei alles im Lot, kümmert sich um die Kinder, den Haushalt, den Freundeskreis, doch in ihr wütet Aufruhr. Sie fühlt sich wie eine abgehetzte Stute. Das Gefühl, nicht entkommen zu können, durch die Kinder und die erneute Schwangerschaft ausgeliefert zu sein, drückt zunehmend auf ihr Gemüt. Trotzdem bemüht sie sich, das Beste aus der Situation zu machen. Was bleibt ihr auch anderes übrig als durchzuhalten und auf bessere Zeiten zu hoffen? Ihr Hunger nach Zärtlichkeit wächst ebenso wie ihre Enttäuschung. In den Alltagsatempausen träumt sie davon, geliebt zu werden und diese Liebe küssend und kosend zu erwidern. Nachts wird sie von wilden Fantasien heimgesucht, die sich mit ihrer christlichen Erziehung nicht vereinbaren lassen. Sie träumt von hemmungsloser Leidenschaft mit wildfremden Männern. Das Fahrwasser der Beziehung wird immer eisiger, und sie beginnt, darin zu erkalten. Während Jo lediglich keine Lust mehr hat, mit ihr zu schlafen, ansonsten aber ganz fidel ist, ist es bei ihr grundsätzlicher. Ihre Gefühle für ihn versiegen einfach. Lautlos. So, als hätten sie nie existiert.

Sie thematisiert diese neue Realität nicht. Doch ihre Bemühungen, ihn wieder an sich zu binden, werden halbherziger. Dass sie sich vor langer, langer Zeit einmal Vergnügen bereitet haben, erscheint ihr fern. Erleichterung macht sich in ihr breit, denn Sex ohne die Inbrunst der Liebe bedeutet ihr nichts. Nichtsdestotrotz nagt die Situation an ihr. Ein Spannungsfeld entsteht, das sich unmerklich immer weiter in ihr ausdehnt.

Ellin springt auf, läuft unruhig auf und ab. Die Rückschau hat sie nachdenklich gemacht. Ich habe das nicht verdient. Wenn es so weitergeht, sterbe ich noch an Verbitterung. Ich komme mir vor wie eine Alleinerziehende, ausgestattet mit einem Berechtigungsschein für finanzielle Unterstützung, denkt sie. Ihr Körper ist vor Frust ganz hart, wird immer härter. Dreiunddreißig und schon am Ende, schreit es in ihr. Tausend und eine Nacht lang keinen Sex mehr – das ist nicht natürlich, auch wenn sie und Jo so tun, als ob es normal wäre. Ob der Hase eventuell woanders im Pfeffer liegt? Steckt mehr dahinter, als ihr bewusst ist. Soll sie eine Aussprache herbeiführen? Hätte sie das schon längst tun sollen? Schon damals nach der Geburt von Finn? Immerhin wurde bereits damals aus dem Appetit aufeinander eine gepflegte kleine Mahlzeit, gefolgt von einem Einheitsbrei, der schließlich zur Fastenkur geriet. Jo spielt den treu sorgenden Familienvater, beteuert hin und wieder auch, sie und die Kinder zu lieben und nie verlassen zu wollen, aber das muss nichts heißen. Eine Krümelbeziehung bleibt eine Krümelbeziehung. Gut möglich, dass sich eine andere Frau an dem Brotlaib satt isst, der einst für sie gebacken wurde. Wenn sie daran denkt, dass sie in puncto Liebe mal die ganze Torte im Sinn hatte und nicht nur ein paar Krumen, könnte sie vor Weh schreien. Stattdessen rauft sie sich die Haare, rennt ruhelos auf und ab. Dieses distanzierte Miteinander ist wie ein Tod auf Raten. »Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr!« Ihr Schrei prallt an der Wand ab. Jo und ich sind als Liebespaar out, out, out. Wir bewegen uns nicht mehr aufeinander zu. Mag sein, dass wir als Familie weiterhin eine Einheit bilden, ansonsten sind wir ein Gebrösel. Sie fragt sich, wie es wohl wäre, wenn sie einen Liebhaber hätte, verbietet sich den Gedanken aber sofort wieder. Ihre Mutter würde ihr den Hals umdrehen, wenn sie Ehebruch beginge. Ihre Mutter legt Wert auf Anstand und Moral. Wenn sie das tut, wird sie in der Hölle schmoren, die ihr ihre Mutter heißmachen wird. Und ob Sex mit einem Fremden so befriedend ist, wagt sie zu bezweifeln. Müde lässt sie den Kopf sinken. Sie kommt sich vor wie in einem bösen Märchen. Zwar steckt ihr Leben in einem sicheren Rahmen, aber das Bild, in dem sie sich aufhält, ist voller schwarzer Flecken und diese Flecken werden immer größer und dunkler. Tränen schießen ihr in die Augen. Eine ungeheure Sehnsucht bemächtigt sich ihrer. Sie hat sich stets als weibliches Wesen definiert und ihre Sexualität genossen. Nun ist sie eine Gefangene ihres eigenen Lebens. Es schmerzt. Es schmerzt zutiefst. Seufzend richtet sie sich auf, ruft sich zur Räson. Sie hat Pflichten zur erfüllen.

05 • Unterwegs

Mit Lisa und ihren Eltern im Schlepptau erreicht Carl Sylt. Dass die Alten mit von der Partie sind, nervt ihn. Irgendwie ist er da in etwas hineingeraten, das er so nie wollte. Wenigstens ist diese dämliche Fahrt nun bald zu Ende, denkt er und legt den Wagen rasant in eine Kurve. Dass er noch ein bisschen heftiger auf die Tube drückt als sonst, löst hinter ihm umgehend Protest aus.

»Geht es auch ein bisschen langsamer«, moniert Lisas Vater.

»Ich habe genug von der Fahrerei. Ich will endlich ankommen«, gibt er ungehalten zurück.

»Wenn du weiter so rast, landen wir vorher im Graben oder sogar im Krankenhaus«, entgegnet der Alte scharfzüngig.

Carl verkneift sich eine weitere Bemerkung, doch sein Ärger über die Anwesenheit des Alten wächst.

Ehe er es sich versah, befanden sich Lisas Eltern angeschnallt auf der Rückbank, fuhren einfach mit, als wäre das die selbstverständlichste Sache der Welt. Wie das passieren konnte, ist ihm immer noch ein Rätsel, aber es ist passiert. Die ganze Fahrt über taten sie dann so, als ob sein Navi der letzte Mist wäre, und dirigierten ihn gen Norden wie einen Chauffeur. Echt nervtötend.

Mit der buckligen Verwandtschaft im Gepäck wurde aus der erhofften Leichtigkeit des Seins ein bleiernes Familienspiel, noch dazu ein irritierendes. Eskortiert von ihren Eltern erlebt er eine andere Lisa als sonst. Sie verhält sich zurückhaltend, ja, fast prüde, tut so, als ob sie kein Wässerchen trüben könnte. Ganz die wohlerzogene Tochter aus gutem Hause. So hat er sich das nicht vorgestellt, nestelt er während des Fahrens doch gerne mal an seinen Gespielinnen herum, eine Hand am Steuer, die andere in den weiblichen Feuchtgebieten. Aber daran ist momentan nicht zu denken, so kommentarlos, wie Lisa den Anordnungen ihres Vaters folgt und von ihm erwartet, dass er es auch tut. Verdammt! Ich brauche keine Anstandswauwaus und schon gar nicht brauche ich eine zugeknöpfte Freundin, die mit einem Mal so tut, als ob ich Luft und sie scheintot wäre. Und schon gar nicht brauche ich einen Alten hinter mir, der dauernd was zu meckern hat. Wütend lässt er für einen Augenblick das Steuer los, greift dann wieder danach und drückt es so fest, als ob er es zerquetschen wollte. So fest würde er seine Hand gerne zwischen ihre Schenkel schieben und ihr klarmachen, dass das Stück anders gespielt wird.

Sie sind da. Carl fährt mit quietschenden Reifen in die Einfahrt und hält dann ruckartig an. Das Haus sieht toll aus. Eine Villa in unmittelbarer Meeresnähe. Er springt aus dem Auto, verzichtet darauf, irgendwem die Tür zu öffnen. Ihm ist jegliche Lust auf Höflichkeit vergangen. Wenn er nur daran denkt, dass die beiden Alten nun unentwegt um sie herum sind, könnte er sofort Scheiße schreien. Und das alles wegen ihres Vaters. Wieso wollte der bloß mit? Und warum verdammt noch mal haben wir uns darauf eingelassen? Im Stillen fragt sich Carl, wie er dieser Situation entkommen kann, aber ihm fällt nichts Passendes ein. Nur die Unlust an einer fruchtlosen Diskussion, noch dazu mit Leuten, die sich sowieso dauernd im Recht wähnen, hält ihn davon ab, klipp und klar vorzuschlagen, dass jeder sein eigenes Ding macht, also jeder kommt und geht, wann er will, und dass man auch darauf verzichtet, gemeinsam die Mahlzeiten einzunehmen. Der Alte trägt ja die Kosten für den Aufenthalt, versucht er sich zu beschwichtigen.

Das Zimmer wirkt langweilig und unbelebt. Es gähnt ihn an. Ungestüm schleudert er sein Gepäck aufs Bett. Wer braucht diese bescheuerten Aufpasser? Ich nicht! Die legen den besten Teil von Lisa trocken, und auf eine vertrocknete Lisa pfeif ich, denkt er erbost. Unruhig tigert er auf und ab. Durch die geschlossenen Fenster dringt das Rauschen des Meeres zu ihm. Wie donnernder Applaus klingt es und hinterlässt ein beinah höhnisches Dröhnen in seinen Ohren.

Er verlässt das Haus, ohne jemanden davon in Kenntnis zu setzen. Dieses Vater-Tochter-Gebaren ist ihm ein Rätsel. Vielleicht liegt es daran, dass er vaterlos aufgewachsen ist. Seine Mutter legt kein so übertriebenes Beschützerverhalten an den Tag. Barbara mischt sich zwar andauernd in alles ein, will ständig mitreden, beachtet und hofiert werden, erwartet von ihm und seinem Bruder aber, dass sie sich behaupten und ihr Leben rocken. Sie sollen Männer sein und keine Memmen.

Der Wind peitscht ihm erbarmungslos ins Gesicht. Wie eine graue, schwere Masse breitet sich das Meer vor ihm aus. Was für eine trübe Brühe, schießt ihm durch den Kopf. Was Lisa jetzt wohl macht? Zum Teufel mit dem Anstand. Er will sie sofort ficken oder er wird zum Tier. Er ist schließlich nicht hier, um atemlos und unbefriedigt herumzulaufen. Er ist hier, um Spaß zu haben.

Angespannt drückt er sich in diese salzige Wand hinein, die ihn von allen Seiten bedrängt. Der hartherzige Dezemberwind raubt ihm den Atem und lässt seine Gesichtszüge erstarren. Die Kälte ist klirrend. Wenigstens ist die Brise steif, grummelt er vor sich hin, erklimmt eine Düne und inhaliert Luft, die so nasskalt ist, dass es ihn schaudert. Abhauen oder bleiben? Er weiß es nicht. Weit und breit ist niemand zu sehen. Um ihn herum nichts als Gischt, Sand, Wind und Wolken. Er fühlt sich abgeschnitten. Gleichzeitig hüllt dieses Gemenge ihn ein und macht ihn seltsam unentschieden. Die Worte seiner Mutter kommen ihm in den Sinn – Liebe vergeht, Reichtum besteht. Bei der Erinnerung daran zerfällt er zu einem wehrlosen, flauschigen Etwas, gibt sich dem Wind preis. Der Zweck seines Hierseins verflüchtigt sich. Sein Atemhauch ist eisig. Nach einer Weile sehnt er sich nur noch danach, emporgehoben und an einen wohltemperierten Ort getragen zu werden, an dem barbusige Frauen auf den Tischen tanzen und der Alkohol in Strömen fließt. Das Kreischen der Möwen holt ihn ins Hier und Jetzt zurück. Er verlangsamt seine Schritte, bleibt stehen und kehrt um. »Liebe vergeht, Reichtum besteht. Scheiß drauf«, murmelt er vor sich hin und schlendert zum Haus.

Drinnen ist es angenehm warm. Sie sitzen bereits beim Abendbrot, geben dabei ein Bild der Eintracht ab. Er setzt sich zu ihnen. Lisas Vater thematisiert gerade die Schwangerschaft.

»Weimar liegt nicht um die Ecke. Du wirst das Kind also nur hin und wieder zu Gesicht bekommen, von Bargen«, sagt er kalt.

»Wenn wir innerhalb der nächsten sechs Monate heiraten, bekommst du es nur dann und wann zu Gesicht«, entgegnet Carl, ohne zu überlegen. Verdutzt lauscht er dem Gesagten nach, versucht den Umfang seiner Worte zu erfassen.

Lisa springt mit einem Satz auf und fällt ihm jubelnd um den Hals. Ich glaube, sie hat es auf mich abgesehen, schlussfolgert er beunruhigt und sieht die Falle zuschnappen, die sie ihm gestellt haben. Es ist doch eine Falle oder nicht?

»Soll das ein Antrag sein, von Bargen?«, fragt der Alte streng.

»Wie hat es sich für dich denn angehört?«